Bevölkerungsbuch      Start    Weiter 

9.  Die Übervölkerung  

Alfven-1969

 

  Der Bevölkerungszuwachs  

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Wenn jedes Männchen und Weibchen einer Art zusammen im Durchschnitt zwei Nachkommen hervor­bringen, dann wird die Population der betreff­enden Spezies, auf lange Sicht gesehen, konstant bleiben. Bringen sie aber vier Junge zur Welt, dann wird die Population nach drei Generationen um das Achtfache, nach sieben Generationen um mehr als das Hundertfache zunehmen. Zeugen sie hingegen nur durchschnittlich einen Nachkommen, wird die Population in der dritten Generation auf ein Achtel ihrer gegenwärtigen Größe und in der siebenten Generation auf weniger als ein Prozent zusammen­schrumpfen.

Als die Angehörigen der Spezies Mensch noch kleinen Stämmen angehörten, war der Ehrgeiz eines jeden Stammes darauf gerichtet, sich zu vermehren, zahlreicher und damit mächtiger zu werden. Jeder Stammeshäuptling war erfreut, wenn sein Stamm sich vergrößerte, weil das auch für ihn persönlich Macht­zuwachs bedeutete. Die heute die Erde besitzenden Menschen sind jene, die sich sehr rasch vermehrt haben. Die Bevölkerungs­gruppen mit geringer Fortpflanzungsquote sind entweder ausgestorben oder leben heute als kleine Überbleibsel ihrer einstigen Zahl; die Macht ihrer Herrscher ist dahin­geschmolzen.

Man kann sagen, daß die heutigen großen Nationen das Ergebnis einer langen Tradition von Bevölkerungs­explosionen sind; ihre politischen Führer wie ihre Bürger haben ein angeborenes Gefühl dafür, wie wichtig Bevölkerungs­wachstum ist. Der allgemeine Wunsch von Individuen und Gruppen nach Vermehrung hat seinen Höhepunkt in der Bevölkerungs­explosion gefunden.

Solange große Teile der Erde unbewohnt waren und noch urbar gemacht werden konnten, war die Bevölkerungs­explosion für die Spezies Mensch etwas Segensreiches. Die Herrschaft des Menschen wurde ja hauptsächlich erst dadurch möglich, daß die Art sich so stark vermehrte. Von einer zu kleinen Gruppe von Menschen hätte keine Kultur geschaffen werden können. Besonders die Entwicklung der kybernetischen Kultur erforderte einen riesigen Arbeitsaufwand, der nur zu bewältigen war, wenn die Menschen zahlreich waren. 

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Gegen diese Vision des Schreckens sind viele Einwände erhoben worden. Man hat dahingehend argumentiert, daß immer noch genügend unerforschte Gebiete auf der Erde blieben und daß wir wohl die technische Fähigkeit erwerben würden, unsere Nahrungs­produktion weiter in die Höhe zu treiben (die »grüne Revolution«) und uns unserer Abfallprodukte zu entledigen. 

Einige dieser Ansichten sind zweifellos richtig; es ist aber unver­antwortlich, sich mit ihnen zu trösten, ohne sich dabei deutlich vor Augen zu führen, daß sie an der Unvermeidbarkeit des in dieser Vision geschilderten Schicksals nichts ändern. Es ist doch völlig irrelevant, ob die Erde 10 Milliarden oder 100 Milliarden oder 1000 Milliarden Menschen ernähren kann. Zwar können unsere Erfindungsgabe und unsere organisatorischen Fähigkeiten uns möglicherweise in die Lage versetzen, uns der wachsenden Bevölkerungs­zahl für etwas längere Zeit anzupassen. Das endgültige Resultat aber wird das hier geschilderte Ende mit Schrecken sein, weil es vor der charakteristischen Eigenschaft einer Wachstumskurve eben kein Entrinnen gibt.

Auf die entscheidende Frage, ob die Bevölkerung weiter anwachsen darf oder nicht, kann es folglich nur die eine Antwort geben: daß die gegenwärtige Zuwachsrate völlig unvernünftig ist. Das ganze Gerede über die Entdeckung zusätzlicher Nahrungsquellen in der Welt kann keinen anderen Sinn haben, als den wahren Sachverhalt zu verschleiern. Wie sehr wir auch unsere lebens­erhaltenden Güter vermehren — wir können sie nicht unbegrenzt vermehren.

Die Frage, wie viele Menschen die Erde ernähren kann, ist folglich von sekundärer Bedeutung; ihre Signifikanz besteht darin, daß ihre Beantwortung uns zu bestimmen erlaubt, wie rasch die Bevölkerung eine zahlenmäßige Stabilität erreichen muß, genauer gesagt: das Plus-minus-Null des Bevölkerungszuwachses. Können wir 100 Milliarden Menschen ernähren, dann haben wir selbstverständlich mehr Zeit zu unserer Verfügung, als wenn wir nur 10 Milliarden Menschen ernähren könnten. 

Die Dauer der Frist hängt also von den Vorräten der Erde ab. Das Kernproblem — Stabilisierung — bleibt davon unberührt.

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     Das Recht des Menschen auf Fortpflanzung    

Viele Menschen glauben, daß eine Familie mit zahlreichen Kindern ein Grund zu großer Freude sei; im allgemeinen stellen deshalb Eltern ihr Recht, beliebig viele Kinder in die Welt zu setzen, niemals in Frage. Aber eine noch größere Zahl von Menschen ist davon überzeugt - sogar leiden­schaftlich davon überzeugt -, daß es ein fundamentales Recht des Menschen auf genügend Nahrung gibt. Diese zwei Rechte geraten in einer Welt, in der die Nahrungs­reserven nicht unbegrenzt sind, notwendigerweise in Kollision.

Derzeit wird eine ungewöhnlich große Zahl von Kindern Eltern geboren, die sie gar nicht wünschen. Sie werden geboren, weil ihre Eltern nicht wissen, wie Schwangerschaft zu verhüten ist. Deshalb ist es, wenn wir der Bevölkerungsexplosion Einhalt gebieten sollen, von entscheidender Wichtigkeit, die Unkenntnis über die Methoden der Schwangerschaftsverhütung und die diese Unkenntnis fördernden kirchlichen und weltlichen Mächte zu bekämpfen. 

Die Vorurteile und Tabus, die diese Institutionen tief in das Denken der Menschen einzuprägen vermochten, machen eine Aufklärung freilich schwierig. Und: Aufklärung allein reicht nicht aus; sie muß durch ökonomische Maßnahmen und durch großangelegte öffentliche Informations­programme über die Bedeutung der Geburtenkontrolle unterstützt werden.

Sollten sich die eben genannten Maßnahmen als unzulänglich erweisen, könnte man gezwungen sein, zu drastischeren Mitteln zu greifen: z.B. zur Möglichkeit der »Rationierung von Babies«. Ehe jedoch zu einem so radikalen Schritt Zuflucht genommen wird, wäre es gewiß vernünftig, zunächst einmal festzustellen, was mit erzieherischen Mitteln zu erreichen ist — durch die Ausstreuung von Informationen und durch verstärkte Anstrengungen, die Menschen davon zu überzeugen, daß das Populationsproblem jetzt und nicht später gelöst werden muß.

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In vielen Ländern sind jedoch solche Aufgaben noch nicht einmal begonnen; anderswo sind die bis jetzt unternommenen Schritte nur mit halbem Herzen erfolgt und deshalb ohne Wirkung geblieben. Bis jetzt ist jedenfalls noch kein signifikanter Rückgang in der Zuwachsrate der Weltbevölkerung erzielt worden.

Wenn wir jedem Menschen das Recht auf ausreichende Ernährung zubilligen, dann müssen wir gleichzeitig darauf bestehen, daß eine Gesellschaft nur dann akzeptabel ist, wenn sie jedem Neugeborenen genügend Nahrung für sein gesamtes Leben garantiert. Es ist aber eine ebenso unausweichliche Tatsache, daß Eltern, die einem Kind das Leben schenken, damit der gesamten Gesellschaft — und letztlich der ganzen Menschheit — eine Last aufbürden.

Die Eltern haben deshalb die Verantwortung zu tragen, die die Aufbürdung dieser zusätzlichen Last mit sich bringt: sie müssen erkennen, daß ihr Kind einen Teil der Nahrungsmittel der Gesellschaft bzw. der Weltbevölkerung verzehren wird — Nahrungsmittel, die schon für die derzeitige Weltbevölkerung nicht ausreichen. Ehe sich also irgendein Ehepaar in einer bereits übervölkerten Welt dazu entscheidet, Kinder zu haben, sollte aus gutem Grund die Frage gestellt werden: Ist auf unserem Planeten für einen weiteren Menschen überhaupt noch Platz?

Man mag verschiedener Meinung darüber sein, ob die Situation in der Welt bereits so heikel ist, daß wir uns diese Frage schon heute stellen müssen; man mag auch darüber streiten, wieviel Zeit noch verbleibt, bis sie zur notwendigen Frage wird. Aber eines steht fest: Sehr bald wird es eine dringende Frage sein.

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   Bevölkerungskontrolle  

Ohne Einschränkung können wir schon jetzt sagen, daß die gerade stattfindende Bevölkerungs­expansion innerhalb einiger Generationen enden wird, und zwar auf die eine oder die andere Weise: entweder durch Massensterben infolge weltweiter Hungersnot, eines nuklearen Krieges oder einer ähnlichen Katastrophe, oder durch eine vernünftige Begrenzung des Bevölkerungs­zuwachses, bis ein konstanter Status erreicht ist. Die erste Alternative wird das Problem automatisch lösen, wenn wir uns nicht bewußt darum bemühen, die zweite Möglichkeit zu realisieren.

Man sollte sich dabei vor Augen führen, daß Kriege der Art, wie wir sie »gewöhnt« sind, für die Bevölkerungsverminderung von geringer Bedeutung sind. Zwei Weltkriege haben nicht mehr Menschen gekostet, als die gegenwärtige Weltbevölkerungsexpansion im Laufe eines halben Jahres hervorbringt. Wir würden also, um die Bevölkerung durch Krieg in Grenzen zu halten, jedes Jahr zwei Weltkriege benötigen. Auch die bisherigen Hungersnöte haben niemals mehr Opfer gefordert, als der Weltbevölkerungszuwachs eines einzigen Monats ausmacht. Wird der Bevölkerung also tatsächlich keine Grenze gesetzt, wird ein solcher Krieg oder eine solche Hungersnot ein so ungeheures Ausmaß annehmen, wie es die Menschheit niemals zuvor erlebt hat.

Nähmen wir diese erste Alternative als unvermeidlich an, so würden wir damit durchblicken lassen, daß die Menschheit den Lebenszyklus des Schimmelpilzes nachahmen wird: Bevölkerungsexplosionen, gefolgt von Massensterben. Lassen Sie uns statt dessen über die vernünftigere Alternative diskutieren: die Eindämmung des Bevölkerungszuwachses durch Geburtenkontrolle. Wie gut stehen unsere Chancen, eine Begrenzung mit diesen Mitteln zu erreichen? Bei den gegebenen Realitäten der heutigen Welt müssen wir sorgfältig unterscheiden zwischen dem, was technisch, und dem, was politisch möglich ist.

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   Technische und politische Möglichkeiten  

Wenn wir von technischer Möglichkeit sprechen, so meinen wir damit, daß, vorausgesetzt, die Welt ist in vernünftiger Weise organisiert, eine bestimmte Maßnahme praktisch durchführbar und das Wohlergehen jedermanns als zumindest eines der Hauptziele der gesamten Menschheit garantiert ist. Mit anderen Worten: Eine solche Maßnahme würde keine Hilfsmittel und Kenntnisse voraussetzen, die wir nicht besitzen.

Der Begriff »politisch möglich« bezieht sich auf Maßnahmen, die im Rahmen des derzeitigen politischen Systems durchführbar sind.

Man hat oft behauptet, daß nur politisch mögliche Maßnahmen einer Erörterung wert seien, daß nur ein Utopist es sich leisten könne, seine Zeit mit Diskussionen über die Möglichkeiten in einem gegenwärtig nicht existierenden politischen System zu verschwenden. 

Das wäre, wenn wir annehmen müßten, daß das derzeitige politische System ewig währt, wohl auch ein vernünftiger Standpunkt. Aber viele offensichtlich stabile Systeme sind dann doch zusammengebrochen, z.B. das Ancien régime Frankreichs. Sein Niedergang wurde vorhergesagt und durch die Philosophen der Aufklärung herbeigeführt, die die Mängel seiner überholten Struktur analysierten und die bestehenden Möglichkeiten mit denen in einem utopischen System möglichen verglichen. Es ist deshalb auch für uns von Bedeutung, über Lösungen zu diskutieren, die, selbst wenn sie in der gegenwärtigen Situation politisch unmöglich, technisch jedoch möglich sind.

Behandeln wir zunächst die Frage, ob es technische Möglichkeiten gibt, den Bevölkerungszuwachs zum Stillstand zu bringen. 

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Die Bevölkerung nimmt immer mehr zu, weil Tag für Tag die Zahl der Geburten die Zahl der Todesfälle übertrifft. Demzufolge können wir den Bevölkerungsanstieg verhindern, entweder indem wir die Todesfälle zunehmen lassen oder indem wir die Geburtenquote verringern. Nur Maßnahmen der zweiten Art sind realistisch.

Die Geburt eines Kindes findet statt, weil eine Eizelle von einer Samenzelle befruchtet wurde. Könnten wir, vom heutigen Tage an beginnend, eine Befruchtung von menschlichen Eizellen überall in der Welt verhindern, würden nach neun Monaten keine weiteren Geburten mehr zu verzeichnen sein. Da das keinen wesentlichen Einfluß auf die Zahl der Todesfälle hätte, würde die Bevölkerungsflut zum Stillstand kommen und die Weltbevölkerung sich zu verringern beginnen. Voraussetzung für die Verschmelzung von Samen- und Eizelle ist, von Ausnahmen (künstliche Befruchtung) abgesehen, der Geschlechtsverkehr.

Da es weder möglich noch wünschenswert ist, die Menschen der positiven Werte der Sexualität zu berauben, läßt sich der geschlechtliche Verkehr nicht verhindern. Die Medizin hat jedoch eine ganze Anzahl von Methoden entwickelt, die die Folge des Sexualverkehrs — die Konzeption — ausschließen. Einige dieser Methoden bringen nur eine geringe Beeinträchtigung des normalen Lebens der in Frage kommenden Menschen mit sich. Könnten sie heute in der ganzen Welt angewandt werden, würde der Bevölkerungs­zuwachs in neun Monaten zum Stillstand gelangen.

Der erste Schritt zur Anwendung wäre die Herstellung und Verteilung ausreichender Mengen empfängnis­verhütender Mittel. Ohne die Einzelheiten der damit verbundenen technischen Probleme zu kennen, dürfen wir wohl annehmen, daß eine ausreichende Menge an Verhütungsmitteln etwa in einem Jahr hergestellt und verteilt werden könnte. 

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Fügen wir also zu diesem Jahr noch die neun Monate hinzu, dann stellen wir fest, daß man eine Zeitspanne von etwas weniger als zwei Jahren brauchte, um bei unserem derzeitigen medizinischen Wissen und unserer derzeitigen industriellen Kapazität der Bevölkerungsexplosion Einhalt zu gebieten.

Ein zweiter Schritt müßte die Unterweisung der Bevölkerung in der Anwendung von Kontrazeptiva sein — ein relativ einfaches Problem, das vernünftige Organisation und Planung in kurzer Zeit lösen sollte. Vergleichen wir die bei der Anwendung von Verhütungsmitteln auftretenden Schwierigkeiten mit denen bei der Anwendung moderner Waffen, so stellen wir fest, daß Waffen weitaus schwieriger zu handhaben sind, daß diese Aufgabe aber innerhalb kurzer Zeit von Soldaten erlernt wird. 

Das Haupthindernis für die Anwendung von Verhütungsmitteln ist angeblich der psychologische Widerstand der Bevölkerung. 

Großer psychologischer Widerstand besteht aber auch gegen die Erlernung des Umgangs mit Waffen, und trotz dieses Widerstandes haben die politischen Führer eines Landes gewöhnlich wenig Schwierigkeiten, die Bevölkerung in einer kritischen Situation zum Krieg zu mobilisieren. Macht und Propagandamaschinerie, über die moderne Regierungen normalerweise verfügen, reichen in vielen solchen Situationen aus, um das Volk zu gewaltigen Opfern zu bewegen. Man kann ein Volk sehr leicht dazu bringen, zu töten, lange Zeit in Schützengräben zu vegetieren und sich auch den schlimmsten Schrecken eines Krieges zu unterwerfen. 

Verglichen also mit den Schwierigkeiten, denen Regierungen im Kriege gegenüberstehen und die es zu überwinden gilt, sind die Schwierigkeiten, Menschen zur Anwendung von Verhütungsmitteln zu veranlassen, sicherlich nur unbedeutend.

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    Der Kern des Bevölkerungsproblems    

Entscheidet eine Regierung, daß ihre Macht durch innere oder äußere Feinde bedroht ist, mobilisiert sie mit oft grenzenloser Brutalität alle verfügbaren Kräfte und Energien. Ist aber die gesamte Zukunft der Menschheit bedroht — und das ist aufgrund der Bevölkerungsexpansion mit Sicherheit der Fall —, zögern die meisten Regierungen, die so dringend notwendigen Maßnahmen zu treffen, sogar wenn diese sehr einfach sind. Selbst wenn die Bevölkerung in einem Land so rasch wächst, daß Nahrungs­knappheit oder Hungersnöte auftreten, nehmen die Herrschenden diese Katastrophe gelassen hin, es sei denn, daß sie selbst von der Not berührt werden, was aber nur selten der Fall ist.

Die Übervölkerung ist nicht die Folge eines unumstößlichen Naturgesetzes oder irgendeines anderen unvermeidlichen Prozesses. Es ist praktisch möglich, ja sogar praktisch einfach, sie in einigen Jahren zum Stillstand zu bringen. 

Entscheidend ist, daß die Herrschenden in ihr kein schwerwiegendes Problem sehen. Viele von ihnen hoffen sogar, wenn auch nicht auf einen Bevölkerungs­zuwachs allgemein in der Welt, so doch auf einen ihres Landes, weil sie der Meinung sind, daß ein solcher Anstieg ihre Macht verstärken wird. 

Ganz besonders fürchten sie eine Verringerung ihrer Macht, dann nämlich, wenn die Bevölkerungen anderer Staaten schneller zunehmen als die eigene. Diese Furcht ist es wohl, welche der die Bevölkerungsexpansion verniedlichenden Propaganda zugrunde liegt, die sowohl weltliche wie kirchliche Führer einer bereits übervölkerten Welt zumuten.

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    Das Beispiel Japan    

Unsere Feststellung, die Bevölkerungsexpansion sei innerhalb einiger weniger Jahre zu stoppen, ist nicht unrealistisch. Wir brauchen nur Japan als Indiz heranzuziehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hielten es führende Kreise in Japan sowohl für notwendig wie auch für vorteilhaft, die Bevölkerung des Landes zu begrenzen. In weniger als zehn Jahren sank Japans Geburtenziffer von einer der höchsten in der Welt auf eine der niedrigsten. Das wurde durch legalisierte Abtreibung und durch eine umfangreiche und überzeugende Propaganda für die Geburtenkontrolle erreicht. 

Viele der derzeitigen Gegner einer Bevölkerungs­regulierung haben die angewandten Methoden als »brutal« bezeichnet und alles versucht, Fälle ausfindig zu machen, in denen Neurosen und andere unangenehme Erscheinungen als Folge von Empfängnisverhütung oder Abtreibung auftraten. Aber selbst wenn solche Folgen sichtbar würden, so muß man sie in Relation stellen zu dem, was die Japaner während eines sehr brutalen und verheerenden Krieges erleiden mußten. Eine große Zahl von Psychotherapeuten ist sich darin einig, daß Japans imperialistische Expansion mit dem raschen Bevölkerungszuwachs in Verbindung gestanden hat; der rasche Bevölkerungs­zuwachs habe die Staatsführung gezwungen, nach Raum für immer mehr Menschen zu suchen.

Man sollte noch erwähnen, daß Japan in den Jahrzehnten nach Stabilisierung seiner Bevölkerung den stärksten Anstieg des Wohlstandes erlebt hat, den ein Staat jemals verzeichnen konnte. Die Kausalzusammenhänge zwischen Bevölkerungs­stabilisierung und Anstieg des Wohlstandes sind vielleicht schwierig zu analysieren, aber zumindest widerlegt das japanische Beispiel die These, daß Geburtenkontrolle für die Zukunft der Menschen fatale Folgen habe. Es sei hier allerdings der Ordnung halber noch die ernüchternde Tatsache erwähnt, daß trotz der gegenwärtigen niedrigen Geburtsrate die japanische Bevölkerung immer noch in einem Maße zunimmt, das viele für alarmierend halten.

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   Bevölkerungsexplosion und Profit  

Es ist demnach wahrscheinlich, daß die Verantwortung für die Bevölkerungsexplosion jene weltlichen und kirchlichen Kreise tragen, die sie nicht einschränken wollen, ja, die vielleicht sogar sehnlich wünschen, daß sie weiter anhalten möge. Ihre Motivation ist wahrscheinlich dieselbe wie die der alten Stammes­häuptlinge. Ihrer Meinung nach dient es ihrem Prestige mehr, über eine große Zahl von Menschen zu regieren, gleichgültig welchen Lebensstandards, als über eine kleine Zahl.

Vor die Wahl zwischen einer kleinen Gruppe mit hohem Lebensstandard und einer vielköpfigen Masse armer und unausgebildeter Menschen gestellt, würden allzu viele politische und kirchliche Führer die zweite Gruppe zu regieren vorziehen. Ein möglicher Grund dafür ist, daß sich arme und unwissende Leute leichter regieren lassen als Gebildete und im Wohlstand lebende.

Hinzu kommt noch, daß auch viele Unternehmer und Geschäfts­leute es für unerläßlich halten, ein gutes Angebot von Arbeitern zur Verfügung zu haben. Die »Massenproduktion« von armen Leuten kann ihnen nur nützlich sein, sie liefert ihnen ein Ameisenheer leicht auszubeutender und billiger Arbeitskräfte.

Auch geistliche Führer haben mehr Macht, wenn ihre Anhänger zahlreich und fügsam sind. Die von ihnen gepredigten Tugenden sind Gehorsam und Armut. Keuschheit ist weniger wichtig. Je größer die Zahl der armen und folgsamen Leute in der Gemeinde, desto weniger ist die religiöse Autorität der kirchlichen Institution in Frage gestellt.

Die häufigste und gefährlichste Methode der Herrschenden, der Forderung nach Bevölkerungs­beschränkung zu begegnen, besteht darin, die Berechtigung der Forderung zuzugeben und dann die Einführung lediglich scheinbarer Vorsichtsmaßnahmen zu erlauben, »scheinbar«, weil sie den Bevölkerungsanstieg nach wie vor zulassen. Man kann dann aller weiteren Kritik mit der Behauptung begegnen, daß das Problem offenbar zu schwierig zu lösen sei.

Weltliche Führer wünschen sich häufig eine Zunahme ihrer Bevölkerung, weil sie ein Nachbarland fürchten oder weil sie für ihren Nachbarn gern eine Bedrohung darstellen möchten. Große Bevölkerungen und rasche Bevölkerungszunahme sind oft als logische Gründe für Expansion bzw. Imperialismus angeführt worden. Man rüste auf, indem man sowohl Waffen wie auch Menschen produzierte, die die Waffen bedienen.

Allzuoft sind solche menschenfeindlichen und zynischen Weltanschauungen Grundlage eines Feldzuges pro Expansion der Bevölkerung oder pro völlige Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Einschränkung.

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1969 -   M-70  Die Menschheit der siebziger Jahre - Von Hannes und Kerstin Alfvén