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Der Unzivilisierte erlebt Zivilisation

 

 

 

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Zivilisation ist etwas Transportables. Sie fließt immer von Kulminationspunkten zu den Stellen geringerer zivilisatorischer Entwicklung hin und pflegt dort faszinierend zu wirken. Dies schafft besondere Probleme.

Am 1. August 1914 wurde »zum Wecken« geblasen. Über die ganze Erde hin wurde der Ruf gehört. Viele Völker fuhren aus ihrem Schlafe auf, im wesentlichen, um Kanonen einzukaufen und um sich solcherart schleunigst zu zivilisieren. Die Türkei hatte es am eiligsten. Sie war gezwungen, überstürzt zu handeln, um der nach dem Weltkrieg geplanten Vivisektion in letzter Stunde zu entgehen. Aber erwacht sind sie alle: Türkei, Arabien, Irak, Iran, Afghanistan, China und viele andere, sie sind erwacht und sind auch schon bereit, zu verstädtern.

Beschauliche und weniger Beschauliche — das ist eine Einteilung der Völker und Staaten, die dem Wohlwollen entspringt. Bis zum ersten Weltkrieg neigte die Überheblichkeit des Europäers viel eher dazu, zwischen Unbefähigten und Befähigten zu unterscheiden, wobei begreiflicherweise die Unbefähigten immer nur die anderen waren. Nach dem Weltkrieg haben aber erstaunlich viele von diesen »anderen« das Begabtenabitur bestanden. Selbst unter den Negern finden sich Rassen, die in den letzten Dezennien einen starken geistigen Aufstieg erlebten. So die Waganda in Kenia, die sich durch einen starken Bildungs­drang — auch die Wagandamädchen — auszeichnen. Die »Japaner Afrikas« hat sie Johnston genannt.

So schrumpfen immer mehr die Erdstriche zusammen, wo wir Europäer noch auf unsere höheren Geistesgaben pochen können, und wo wir noch annehmen dürfen, imposant zu erscheinen.

Der Neger Afrikas hat den Weißen empfangen wie einen Gott. Dieser hat ihm seine Überlegenheit täglich und stündlich mit der Nilpferdpeitsche zu beweisen versucht. Heute versagt dieses Argument. Man hat den Neger auf den europäischen Kriegsschauplatz geschleppt. Dort hat er viel gelernt. Er hat aber auch etwas verlernt — den abgöttischen Respekt vor dem Weißen. Und die Mohammedaner Afrikas haben überhaupt nie eine besondere Achtung uns gegenüber empfunden. Mit den schwersten Kanonen machen wir ihnen keinen so tiefen Eindruck, wie wenn wir Mohammedaner wären.

Der Schwarze Erdteil ist respektlos geworden gegenüber dem Weißen.

Um das Werk zu krönen, hat man nach dem ersten Weltkrieg ausgesuchten Schund an Filmen in Afrika, Asien und auf den Inseln spielen lassen, um in instinktloser Verblendung den Farbigen vorzuführen, wie niedrig, hemmungslos und gemein der Weiße sich benimmt, wenn es ums Geld oder um »das Weib« geht.


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Heute ist man allenthalben bemüht, die Kultur der Afrikaner zu retten, zu stärken und neues Leben in ihr zu entfachen; man fürchtet, daß sonst ganz Afrika der Anarchie verfällt, was bedauerlich wäre — nicht im Interesse der Afrikaner —, die Geschäfte müßten darunter leiden. Erst hat man die Neger totgeschlagen. Dann hat man sich besonnen und gefunden, daß es rentabler ist, sie als Sklaven nach Amerika zu verkaufen. Schließlich, als die afrikanischen Bergwerke nach Arbeitskräften verlangten, wurden die Manieren wiederum feiner. Man hat erkannt, daß das beste und billigste Arbeitstier der Neger ist. So wertvolle »PS« schlägt man weder tot, noch verkauft man sie über den Ozean. Und jede dieser Wandlungen hat sich der Weiße als moralisches Plus aufgerechnet.

Und jetzt sieht man ein, daß man immer noch tugendreicher und altruistischer werden muß — dem Geschäft zuliebe. Wohl hat man den Neger leben lassen. Um die Seele dieser Arbeitssklaven hat sich der Weiße (abgesehen von den Missionen) aber weniger gekümmert als um die seiner Kuh und seines Esels. Jetzt steigt die Ernte auf. Die durch keine geistigen Bande, durch keine Kultur und keinen Kult mehr gefestigten, völlig haltlosen Negermassen verfallen der Anarchie. Um diese Gefahr zu bannen, will man dem Neger seine verlorene Welt wieder zurückgeben. Sie soll ihm ein Beißkorb sein, den er nicht fühlt — so denkt man —, ja, den er sogar freudig als Geschenk entgegennimmt. Heute bemühen sich um die Seele der Neger nicht nur das Christentum und der Islam, sondern auch der Kommunismus.

Unsere Zivilisation hat den Neger in Afrika an den Rand des Abgrunds geführt. In letzter Stunde wurde schnell eine andere Platte aufgelegt: Dem Neger die Kultur des Negers. Hoffen wir, daß noch alle danach zu tanzen vermögen.

Die Medizinmänner Afrikas haben den Weißen verflucht im Namen all ihrer Götter, die Zauberpriester haben alle Dämonen gegen ihn aufgerufen. Und der Neger erwartete nun, daß den fremden Eindringling der Blitz erschlagen oder daß eine Erdspalte ihn verschlingen würde. Und was geschah? Nichts — nichts!

In sachlicher Wichtigtuerei hat man vor den Augen des Negers seine ganze Götterwelt fein säuberlich in Koffern verpackt, um sie zu Hause in Museen als groteske Kuriosa zur Schau zu stellen. Und keiner der Götter vermochte es zu verhindern, keiner konnte sich wehren, keiner sich rächen; fürwahr eine blamable Angelegenheit für die Götter. Damit hat man dem Neger seine Religion lächerlich gemacht und seine Kultur an der Wurzel getroffen. 


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Damit hat man sein Mißtrauen wachgerufen gegen alles, was ihm das Leben wertvoll machte, nämlich gegen die Symbolik. Aber was wissen wir schon von Symbolik? Was kann diese dem zivilisierten Europäer noch bedeuten? Wir verbrennen unsere Toten. Wir tun dies aber nicht, um die Seele der Verstorbenen in offener, lodernder Flamme gereinigt zum Himmel zu schicken, wie dies bei manchen Völkern der Tropen der Brauch ist. Nein, einem zivilisierten Leichnam gebührt es, innerhalb von Sekunden elektrisch geröstet und verascht zu werden. So befiehlt es der Bushido des Materialismus. Auf diese Weise wird der gebildete Europäer schnell und technisch einwandfrei beseitigt; und es wird kein fruchtbarer Boden für Friedhöfe vergeudet. Aber einwandfrei beseitigt wird damit auch alles Symbolhafte. Wenn dieses aber schon unter der Pforte des Todes vertrieben wird, wo könnte es sonst noch in europäischem Leben Wurzel schlagen?

Wie sieht nun eine Bilanz über plus und minus aus? Was hat die europäische Zivilisation Afrika gebracht? Was war gut, was war schlecht?

Zuerst die Debetseite: Daß man früher unter Kolonisieren Niedermetzeln der Bevölkerung und einige Zeit später Sklavenhandel verstand, wurde schon vorgerechnet. Daß man dem Neger hochprozentigen Alkohol bot, viel stärkeren, als er selbst zu produzieren vermochte, gehört auch hierher — wie beinahe zu jeder Kolonisierungstätigkeit. Als Hochzeitsgabe brachte der Europäer dem Afrikaner die Syphilis. Im Laufe der Jahrhunderte hat der Neger allerdings den Umgang mit dieser Krankheit etwas erlernt — sowie auch der Europäer —, so daß sie heute nicht mehr in so schwerer Form auftritt, wenn auch die Meta-Lues nicht ganz fehlt. Ein Neger hat meist Malaria und ist dadurch vor Paralyse sicher. Aber es gibt unter dem Äquator auch noch andere Völker — im malaiischen Archipel —, die mit der Lues leicht fertig werden, auch dann, wenn sie nicht in Malariagegenden leben.

Der Krebs ist ein Produkt der Zivilisation. Der Neger im afrikanischen Busch hat so gut wie nicht darunter zu leiden. Dagegen ist der Krebs bei den Negern in den Städten von Kapland und ebenso in Nordamerika ungeheuer verbreitet.

Mit unseren Transportmitteln wurde die Schlafkrankheit über weite Gebiete Afrikas verbreitet, die früher frei davon waren. Von der Westküste ausgehend, schob sie sich ständig weiter ins Innere vor und hat schon ungeheuere Gebiete völlig entvölkert. Ähnlich wie die Malariamücke mit Flugzeug von Afrika nach Brasilien gelangte, wo heute schon 90% der Bevölkerung des bisher fieberfreien Jaquaribe-Tals von dieser hier besonders bösartig auftretenden Malaria befallen sind. Jetzt ist der Überträger wieder ausgerottet. Die Bevölkerung Australiens erliegt vor allem den eingeschleppten Infektionskrankheiten. Sind doch für die Polynesier unsere Masern so schlimm wie für uns die Pest.


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Ob Tuberkulose schon früher bei den Hottentotten, Buschmännern und Negern vorhanden war, hat sich bisher noch nicht ermitteln lassen. Heute jedenfalls ist sie sehr stark verbreitet und geht erst da wieder zurück, wo entsprechende Maßnahmen getroffen sind.

Und nun zu den Krankheiten der Seele.

Ein amerikanischer Trust wünschte einige Schiffsladungen Wellblech an die Einwohner von Südseeinseln zu verkaufen. So setzte er es durch, daß diese bedauernswerten Menschen ihre gesunden, zweckmäßigen, billigen und naturschönen Hütten aus Bambus und Reisstrohbedachung aufgaben und durch Wellblechbuden ersetzten, die in der äquatorialen Sonnenglut eine mörderische Hitze entwickelten. Man hat ihnen das Grammophon aufgehängt und hat sie nach modernster Jazzmusik tanzen machen. Ihr Tanz war bisher Gottesdienst, war ein vollendet ästhetischer Reigen, der im Tempelhof mit einer nur diesen kindlichen Völkern eigenen Grazie den Göttern dargeboten wurde. Und heute? 

»Man tanzt in Wellblechhallen, in denen sich eine schwüle Atmosphäre über den Tanzenden ausbreitet. Zigarettenrauch erfüllt die Luft. Amerikanische Zigarettenfirmen verteilten Millionen von Packungen gratis, bis sich die Asiaten das Rauchen angewöhnt hatten und somit ein neues Absatzgebiet für die Erzeugnisse dieser Industrie geschaffen war. — Weltanschauungen gingen in Trümmer, moralische Bindungen zersprangen, und aus dem Zusammenprall zwischen Ost und West blieb ein Chaos zusammenbrechender Kultur zurück.« (Gedat.)

Man sehe nur in den Museen die schönen selbstgeformten Töpfe, geschmückt mit edlen Ornamenten — sie sind aus den Hütten der Eingeborenen verschwunden, denn sie mußten leeren Konservenbüchsen und verbeulten Benzinkanistern weichen. Hier haben wir alles in einem: Die Kunst dieser Naturvölker verkommt, weil sie die Konkurrenz mit dem Abfall aus unserer Kehrichttonne nicht auszuhalten vermag. (Tafelbild 15.)

So sehen die Segnungen der Weißen aus. Dem Melanesier wurde in moralischer Entrüstung sein geheiligter Lieblingssport, die Kopf jagd, untersagt. Aber man hat ihm damals nichts dafür gegeben, das sein Leben in gleicher Weise ausfüllen könnte. So hat man seine Welt langweilig und fad, man hat den Unglücklichen arbeitslos gemacht. Oder sollte ihm etwa das Kino die atemraubende Spannung einer Kopfjagd ersetzen?

Wir müssen uns gestehen: Wenn primitive Völker, wie die Neukaledonier, aussterben, so liegt dies nicht allein an den eingeschleppten Krankheiten, denen gegenüber ihr Körper noch so wehrlos ist, daß 50% von ihnen daran zugrunde gehen; auch das seltsam starke Überwiegen der Knabengeburten — 150 Knaben auf 100 Mädchen — ist nicht der Grund der Katastrophe.


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Ausschlaggebend ist die Lebensunlust, die diese Menschen trotz ihrer Primitivität erfaßt hat. Alles, was ihnen auf dieser Welt etwas zu bedeuten vermochte, wurde von ihren Herren, den Weißen, zertrümmert. Damit hat ihr Leben jeden Sinn verloren. Nun wollen sie keine Kinder mehr, sie wollen aussterben. 

Und für die Urmenschen Australiens gilt dasselbe. Daher die Regel: »Alter Mann heiratet junges Mädchen, junger Mann heiratet alte Frau.« (L. Lommel.)

Die Berührung eines Primitiveren mit einer ihm völlig fremden Geisteswelt ist um so gefährlicher, je weiter entwickelt diese, je größer also der Abstand ist. Während die Neger von USA vor der Sklavenbefreiung eine eine geringere Zahl von Geisteskranken aufwiesen als die Weißen, schnellte diese Zahl plötzlich empor, als der Neger dem Kampf ums Dasein in einem technisch fortgeschrittenen Milieu ausgesetzt war, allerdings um nach einer Generation wieder abzusinken. Heute leidet der Neger Amerikas viel häufiger an Kreislaufstörungen als sein afrikanischer Bruder, denn Amerika hat seinen Blutdruck namhaft gesteigert. 

In gleicher Weise wie die Zahl der Geisteskranken ist auch die der inhaftierten Neger angestiegen. Allerdings müssen hier alle Zahlen mit Vorsicht gewertet werden.

Tatsache aber bleibt doch, daß der Zwang, sich mit einer neuen, stark zivilisierten Welt in selbständiger Weise abzufinden und sich mit ihr auseinander­zusetzen, für den mit einem Schlag frei gewordenen und zu eigenem Leben gezwungenen Neger eine außerordentliche Belastung bedeutete, die oft nicht ertragen wurde, und die zu seelischen Störungen und Verwirrungen führte, zum Teil allerdings auch zur Bewährung und Anpassung.

In gleicher Lage befindet sich aber heute auch schon ein großer Teil der Neger, die in Afrika leben. Nicht nur die wenigen Irren und Verwirrten leiden darunter; alle werden betroffen und leiden, auch da, wo wir es nicht sofort drastisch vorgeführt bekommen, auch da, wo der Geist nicht völlig aus dem Geleise geworfen wird.

Neurosen, sowohl leichtere als auch schwere werden bei primitiveren Völkern sehr selten beobachtet; sie treten aber sofort gehäuft auf, sobald diese mit der Zivilisation in enge Berührung kommen, sobald sie entwurzelt werden. Diese Neurosen sind nicht Erbeigenschaft des Zivilisierten, sondern sie sind allemal von außen an den Menschen herangetragen. 

Noch auf ein anderes ist zu achten. Man stelle sich vor, ein Junge von 14 Jahren verkehre nur mit alten Leuten, die ihre Entwicklung längst hinter sich haben. 


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Man weiß, wie sehr diese stete Berührung und Verflechtung des jugendlichen, noch ganz unfertigen und eminent plastischen Ideenkreises mit einer stets fertigen, beharrenden, unbeugsam herrischen, kurz typisch alten Gedankenwelt schädigend und hemmend wirkt. Nun — etwa ähnlich liegt der Fall, wenn der Europäer den Neger an die Hand nimmt und ihn leitet. Er verlegt ihm damit seinen natürlichen Entwicklungsweg. Und er verlegt diesen besonders dann, wenn er den Neger zu erziehen versucht, so wie wenn er einen europäischen Volksschüler vor sich hätte, ohne Rücksicht auf die geistige Atmosphäre mit ihren starken Bindungen, der der Neger entstammt.

Das schlimmste aber ist, daß der Neger, fasziniert von den technischen Wunderwerken Europas, auf alle diese dargebotenen »Segnungen« hereinfällt, daß er dabei sein Bestes, seine Tradition und seinen Kult, preisgibt und damit zu einem Haltlosen und Verirrten wird. Der Zylinder auf dem Kopf des Biedermeiers war ein Kultursymbol. 

Auf der schwarzen Wolle des sonst nackten Negers ist er nicht nur eine Farce; er ist auch hier Symbol — aber nur für die Verantwortungslosigkeit, mit der die Weißen mit ihren noch unmündigen schwarzen Brüdern früher Schindluder trieben. Der »Zivilisationskaffer« ist ein trauriges Fabrikat europäischer Kolonisationsfähigkeit. Der Neger fliegt auf zivilisatorische Errungenschaften. Und alle anderen auch; der Europäer nicht ausgeschlossen. Seit die Indonesier ihre Selbständigkeit haben, wird das Tragen von Büstenhaltern als Symbol der Freiheit betrachtet. Man will fortschrittlich sein, man will mit der Tradition brechen, und man glaubt Fortschritt und Freiheit in den Gütern der Zivilisation zu finden; und der Busen muß sich dem Freiheitsdrang der Besitzerin fügen.

Als Ergebnis dieser Betrachtung bleibt: Wo eine raffinierte Zivilisation importiert wird, besteht immer die Gefahr, daß die bodenständige Kultur vernichtet und durch Zivilisation ersetzt wird. Dies bedeutet Entzug der Nestwärme, Entwurzelung und Hinabziehen des Menschen, wenn man ihm nicht eine sehr sorgfältige und gut angepaßte, also assimilierbare sittliche Erziehung angedeihen läßt. Die Entwurzelung äußert sich dann auch ganz massiv darin, daß die Neger auf Wanderschaft gehen. Sie durchwandern den ganzen Kontinent von Nord bis Süd, bis sie meist in einem Bergwerk oder in einer Fabrik des Südens verschwinden.

Nun aber zur Bilanz zweiter Teil: Der Zivilisationsbringer oder der Zivilisationverkäufer, was darf er als Haben buchen?

Wir wollen wieder mit den Seuchen beginnen. Afrika ist mit dem Mikroskop erobert worden. Aber dies kostbare Instrument darf noch nicht in den Schrank zurückgestellt werden — noch lange nicht. Jetzt gilt es erst, dem Eroberten seinen Wert zu verleihen. Afrika erfährt, was Hygiene ist.


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Im tropischen Afrika sterben allein an Malaria 66% der Kinder im ersten Lebensjahr. Der Rest — ebenfalls malariakrank — macht etwa fünf Jahre lang ein Siechtum durch, dem nochmal ein namhafter Teil zum Opfer fallt. Dann allerdings tritt meist eine Immunität ein.

Nun aber ist die Säuglings- und Kindersterblichkeit, die bei den Negern in manchen Gegenden bis zu 90% erreichte, schon stark im Sinken. Man übertreibt nicht, wenn man sagt: Die besten Bekämpfungsmittel aller Tropenseuchen: das Germanin, das Jatren 105, das Atebrin und Plasmochin und andere haben Afrika gerettet.

Der Neger hat sich in Amerika geschickt, anstellig und arbeitsam gezeigt. Warum ist er es nicht in gleichem Maße auch in Afrika? Der Inder ist intelligent und überlegend; und doch, über ganz Indien liegt seit Hunderten von Jahren eine lähmende Dämmerung. Für den Neger und den Inder gilt ganz allgemein: 90% sind krank, sie warten auf den Tod, der ihrem Siechtum ein Ende bereitet. In weiten Gegenden Afrikas und Indiens sind 90% der Menschen mit Malaria infiziert. Nach Hauer kann man in Bengalen alljährlich mit 300.000 Fehlgeburten infolge Malaria rechnen. Außerdem fallen 50% der Säuglinge im ersten Lebensjahr dieser Krankheit zum Opfer. Pakistan zeigt dasselbe Bild.

Die Lebenserwartung des Inders liegt unter 27 Jahren, die des Mitteleuropäers bei 70 Jahren. Häufig sind 100% der Inder von Hackenwürmern befallen, die eine lebenbedrohende Anämie bedingen; dazu kommt noch Ruhr, Gelbfieber, Zeckenfieber, die Schwarze Krankheit = Kala Azar mit 98% Sterblichkeit, die Orientbeule und zeitweise Pest und Cholera; ferner Befall mit dem Wurm Schistosoma Mansoni. In manchen Gegenden sind 100% damit infiziert. 

In Ägypten bis zu 100%iger Befall mit Schistosoma haemotobium (im Gesamtdurchschnitt 50%). Dieser Bilharziose erlagen jährlich 4% der Bevölkerung, bis das Fuadin — eine Antimonverbindung — der Infektion ihre Schrecken nahm. 3,5 Millionen Ägypter leiden an Trachom, einer Bindehautentzündung, die zur Erblindung führen kann. Die Gonorrhöe ist unter den Negern weit verbreitet. Daß 90 und 95% davon befallen sind, ist nichts Seltenes. 25% der Geburten sind in manchen Gegenden als Folge von Geschlechtskrankheiten Totgeburten. (Tafelbild 19 bis 22.)

Man denke sich eine Gemeinde, in der alle leidend, die meisten dem Tode verfallen sind. Wer will hier Willenskraft und vorausschauende Initiative, wer will hier Fortschritt und Leben erwarten? Man muß zugeben, der Weiße hat Afrika und Indien gerettet, gerettet aus fatalistischem Hinsiechen und aus der Dumpfheit von Jahrtausenden. Er schenkte dem Neger und dem Inder einen gesunden Körper und damit die Möglichkeit, sich geistig weiterzuentwickeln — aber auch sich stärker zu vermehren. Damit steigt die Kurve der Hungernden in erschreckendem Maße.


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Südamerika ist nahezu frei geworden von dem gelben Fieber. Pocken, Typhus, Ruhr sind sehr stark zurückgegangen. Und dies gilt beinahe für alle Völker, für Feuerländer und für Grönländer, bei denen die Tuberkulose immer noch eine große Rolle spielt, und auch für die Japaner, die sogar auf ihr geliebtes Haustier, die Ratte, zu verzichten sich entschlossen haben, nachdem sie belehrt wurden, daß diese im Verein mit dem Rattenfloh der wichtigste Überträger der Pest ist.

Schließlich ist aber noch auf eine scheinbar unwesentliche Auswirkung der Zivilisation hinzuweisen: sie zwingt zum Fleiß. Der Mensch ist wie jedes Geschöpf von Natur faul. Und der Primitive ist bestrebt, sich möglichst natürlich zu benehmen. Diese — wie ihm scheint — Gott wohlgefällige Faulheit wird ihm durch die Zivilisation genommen. Gleichwohl rennen alle Zivilisierten hinter dem Phantom her, bequem und geruhsam leben zu können. Aber — sie rennen.

Und nun, wo senkt sich die Waage? Zugunsten oder zuungunsten der Zivilisierenden? Man kann wohl die Auswirkung auf die einfache Formel bringen: Die Primitiveren haben durch die Zivilisation an Gesundheit des Körpers gewonnen, an Gesundheit des Geistes zumeist verloren. Europa hat Kulturen vernichtet.

 

      Der weisse Tropenmensch    

 

Die fortschreitende Zivilisierung der Tropen scheint den weißen Tropenmenschen zu fordern. Wird die Natur die Forderung erfüllen können? Eine Anpassung des Südländers und auch des Tropenmenschen an gemäßigte Zonen, die so weit geht, daß er, ohne merklich Schaden zu nehmen, dauernd hier zu leben vermag, ist ohne weiteres möglich. Wohl tritt Rachitis häufiger auf, da der in den Tropen vor einem Übermaß von Ultraviolettstrahlen schützende schwarze Farbstoff, das Melanin, nun auch die in den gemäßigten Zonen weniger stark vertretenen U-Strahlen zu so großem Teil abfängt, daß die Haut bei der Bildung von Vitamin D gehemmt wird. In New York sind Kinder von Italienern stärker von Rachitis befallen als die von Norwegern. Und in Memphis findet man nur 12% der Negerkinder frei von rachitischen Symptomen.

Brennender und auch viel schwieriger zu beantworten ist die Frage, inwieweit der Mensch der gemäßigten Zone sich an die feuchten Tropen anzupassen vermag. Wirken doch schon die Subtropen auf den Nordländer wie eine angenehme Narkose.


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Als sich der Europäer ausdehnte, hatte er bequeme, leicht zu überwindende Partner: die primitiven Neger und Indianer, die untechnisch denkenden, somnambulen Inder und die politisch chaotischen Massen der Chinesen. Der einzige machtvolle Feind, der ihm in allen fremden Erdteilen entgegentrat, war die Eifersucht, der Neid und der Haß, mit dem sich die Europäer gegenseitig verfolgten. Jetzt aber ist Asien erwacht. Jetzt muß Europa alle seine Kräfte aufrufen. Und es wird nur bestehen können, wenn es sich bewährt, nicht nur in der Heimat, sondern auch in fremdem Lande unter fremdem Klima. Der große Leistungswettbewerb zwischen den Europäern und Asiaten findet in Afrika statt. Und gerade hier wirkt sich das uns völlig fremde Klima mit brutaler Gewalt aus.

Zwei Wege sind denkbar, um die Leistungsfähigkeit in ungewohntem Klima auf voller Höhe zu erhalten: einmal die Beherrschung der klimatischen Faktoren und zweitens die Anpassung des Körpers. Während die Beherrschung der Kälte kein Problem ist, spielen beim Leben in tropischer Hitze die Funktionen des Körpers die entscheidende Rolle. Denn mit Eismaschinen gekühlte Wohnräume zählen vorderhand noch zu den Wunschträumen. Aber selbst wenn dieser Luxus in größerem Ausmaße als bisher möglich wäre, wenn man nicht nur das Wohnen, sondern auch das Arbeiten in Büros, Fabriken und Bergwerken durch künstliche Bewetterung erleichtern könnte — der Farmer hat vor allem außerhalb des Hauses zu arbeiten. Der Neger ist hier entschieden im Vorteil. Er ist am zweckmäßigsten gekleidet, wenn er nackt geht. Unsere Haut hat diesen schwarzen Auffangschild für die tief eindringenden ultravioletten Strahlen nicht. Wir würden einen Nacktspaziergang in der Wüste mit dem Leben bezahlen. Wir müssen uns also bekleiden, und zwar verschieden, je nach der Luftfeuchtigkeit.

Man sollte denken, daß das tropische Klima unserem Körper ganz besonders bekömmlich sein muß. Tragen wir doch immer unter unserem Hemd ein feuchtwarmes tropisches Klima mit uns herum. Es ist aber etwas ganz anderes, ob die Wärme nach außen hin abfließen kann oder ob sie gestaut wird, weil die Außenluft die gleiche Temperatur und die gleiche Feuchtigkeit besitzt. Im ersten Fall vermag der Körper immer weiter Wärme abzugeben, im zweiten Fall wird er allmählich überhitzt. Die feuchten Tropen sind in dieser Hinsicht besonders gefährlich. Der ganze Organismus wird in Mitleidenschaft gezogen.


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Die trockene Hitze der Tropen ist aber auch nicht unbedenklich. Wenn wir uns an einem recht heißen Julitag vorstellen, daß wir mit einem dicken Wollturban auf dem Kopfe in der Sonne spazieren sollen, so macht uns schon dieser Gedanke schwitzen. Und doch ist der Turban gerade da zu Hause, wo es am heißesten ist, in der Sahara und in Arabien. Was uns von der Ferne unsinnig erscheint, erweist sich bei näherem Zusehen als lebensnotwendig. In Mexiko und in Brasilien trägt man einen großen Strohhut auf dem Kopf. In Afrika würde man bei gleicher Temperatur trotz eines solchen riesigen Strohpilzes dem Sonnenstich erliegen. In der Sahara und in Arabien trägt man den Turban oder irgendeinen dichtgewebten festen Stoff, im alten Ägypten die Sphinxhaube. 

Denn hier gilt es, die ultravioletten Strahlen fernzuhalten, die den Strohhut und das knöcherne Schädeldach durchdringen würden. Die Wärme muß man allerdings beim Turban in Kauf nehmen. Sie ist lästig, die U-Strahlen aber, die mangels auch des geringsten Wolkenschutzes hier sehr stark sind, wirken sich tödlich aus. In Mexiko und Brasilien dagegen wird ein großer Teil der U-Strahlen schon durch die Wasserdampfatmosphäre und durch hohe Wolkenschleier zurückgehalten; deshalb genügt hier der leichte Strohhut.

Dem Neger hat die Natur einen schwarzen Wollturban gleich auf den Schädel wachsen lassen. In der Trockenzone des afrikanischen Buschs dürfte sich der Neger keine Glatze erlauben, wenn er auch oft die Haare recht kurz geschoren trägt. Wohl ist seine Haut für die Tropen besonders geeignet und gewährt ihm einen recht guten Schutz. Sie strahlt die innere Wärme besser aus und verhindert so eine Überhitzung des Körpers. Seine Haut weist außerdem sehr viel mehr Schweißdrüsen auf. Ferner wird sie nachweisbar bei künstlicher Bestrahlung mit ultraviolettem Licht nicht so leicht geschädigt wie die Haut des Weißen. Aber trotzdem vermag sie allein ohne den Schutz der Haare in der Tropensonne das Gehirn nicht genügend zu schützen. 

Unsere Haare sind in unseren Breiten Verzierung, die der Neger sind unentbehrlicher Schutz des Gehirns.

Das tropische Klima verlangt einen anderen Organismus als den des Mittel- und Nordeuropäers. Nicht nur der, der unvernünftig lebt, wird hier schnell ausgemerzt. Auch der geschonte Körper wird nur auf kurze Zeit einigermaßen seine normalen Funktionen aufrechterhalten können. Zu verschieden sind in den Tropen die Anforderungen, die an den Stoffhaushalt, an die Nieren und an die Blutzirkulation gestellt werden. Nur ganz wenige haben die individuelle Fähigkeit, zeitlebens den ungewohnten Klimaeinflüssen zu widerstehen. Es ist denkbar, daß aus solchen begünstigten Einzelindividuen schließlich weiße Tropenmenschen hervorgehen; weniger also durch Umwandlung als vielmehr durch Erhaltung dieser seltenen Fähigkeit. Die Hoffnung ist jedoch nicht allzu groß, zumal in den Tropen auch die Fortpflanzungsfähigkeit leidet. 


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Wo die Natur also besonders scharf auswählt, fehlt die Masse; die Vernichtungsziffer steigt, die Vermehrungsziffer sinkt, und die Sippe stirbt aus. So ist es schon unendlich vielen ergangen. Ja, selbst für ganze Völker, wenn sie geburtenarm sind, besteht die Gefahr, daß sie sich in ihre Tropenkolonien hinein verbluten.

Die Anpassungsfähigkeit unseres Körpers ist, soweit sie vorhanden war, jahrhundertelang durch Kleidung und Heizung eingeschläfert worden. Jetzt will sie auch in den Tropen nicht mehr erwachen. (Seltsam ist es wohl, daß die Kinder der Europäer in den Tropen groß und überschlank werden und sich damit dem Typus der Mischlinge annähern.)

Tropisches Klima zerbricht die Energie, raubt die Unternehmungslust, macht schlapp, arbeitsunlustig und arbeitsunfähig und verringert bedenklich die Widerstandsfähigkeit gegen Infektionskrankheiten.

Ob mit der Zeit eine Anpassung an das Klima möglich ist, ob sich ein weißer Mittelafrikaner entwickelt — das ist sehr fraglich. Die Vernichtungsziffer ist zu groß, und die Frau ist keine Brutmaschine.

Beim Menschen gehen alle Umbildungen besonders langsam vorwärts, denn bei ihm folgen sich in hundert Jahren nur etwa drei Generationen. Das ist sehr wenig. Bei kleinen Haustieren sind es in derselben Zeit 30 und mehr, bei vielen Vögeln 100, bei der Bisamratte mehr als 100. Der Mensch braucht also sehr lange Zeiträume, viel zu lange für den ungeduldigen Menschen. Und da der Europäer, zumal der Nordeuropäer, einen sehr großen Schritt machen muß, um sich zu einem gut angepaßten Tropenmenschen umzubilden, so werden sehr, sehr viele Generationen noch darüber hingehen müssen.

Von der Anpassung der weißen Rasse an die Tropen darf man also nicht allzuviel erhoffen. Den Asiaten scheinen sich hier bessere Aussichten zu bieten; nicht, weil sie schneller anpassungsfähig wären, liegen die Aussichten günstiger, sondern weil sie in den verschiedensten Klimaten leben und somit z.T. schon angepaßt sind.

Dasselbe wie für die Asiaten gilt auch für die Indianer. Auch hier geht man fehl, wenn man aus dem Vorkommen von Indianern von Alaska bis Feuerland auf eine besonders günstige Reaktionsfähigkeit gegenüber verschiedenem Klima schließt. Diese Anpassung, die im Laufe von Hunderttausenden von Jahren erfolgt ist, hat nicht den geringsten Vergleichswert bei der Frage, was der Körper des Individuums an Anpassungsfähigkeit heute zu leisten vermag.

Vor mehr als 200.000 Jahren bewohnten ziemlich einheitliche Menschenrassen unseren Planeten. Sie sind in Europa und ganz Asien, ebenso auch bis in den südlichen Teil Afrikas nachgewiesen.


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100.000 Jahre später aber lassen sich bereits deutlich verschiedene Rassen erkennen, und vor 50.000 Jahren mochten diese den heute lebenden schon ziemlich ähnlich sein. Diese Aufspaltung in Rassen setzte ein, als der Mensch eigenwillig war, um dem Klima nicht mehr auszuweichen, sondern ihm zu trotzen, und als er diese Eigenwilligkeit nicht mehr mit der Gefahr des Erfrierens erkaufen mußte, weil er das Feuerschlagen erfunden hatte.

Wenn wir fragen, ob mit der Zeit durch Anpassung »der weiße Tropenmensch« entstehen könnte, so wollen uns 100 Jahre schon lange erscheinen. Mehr als 100.000 aber hat die Natur gebraucht, um die heutigen Menschenformen aus einer oder mehreren Urrassen herauszuarbeiten.

Der weiße Tropenmensch wird ein Traum bleiben. Und doch ist zu hoffen, daß die europäischen Völker die schweren Probleme, die ihnen Afrika aufgibt, in gemeinsamer Arbeit erfolgreich angehen werden, auch ohne daß sie gut angepaßte Tropenmenschen sind — gewissermaßen in ambulanter Behandlung. Die Schwierigkeit liegt aber darin, daß trotz aller zivilisatorischen Errungenschaften die Feldarbeit immer den Eingeborenen verbleiben wird. Diese aber werden von Jahr zu Jahr kategorischer den Zutritt auch zu den Büro- und Direktorenräumen und zu Präsidentensesseln fordern. Und, wenn sie sich einmal gut bewähren sollten, warum auch nicht?

Die Position des Weißen wird in den Tropen durch das Klima sehr erschwert; die Position des Tropenmenschen wird durch ein Leben in den gemäßigten Zonen begünstigt, wie die Neger in USA uns zeigen. Letzten Endes wird der Europäer Afrika nicht verteidigen können mit Kanonen und mit kaufmännischer Routine, sondern mit einem höheren Ethos.

 

     Inzucht und Bastardzucht     

 

100.000 Jahre, das mag die Größenordnung des Zeitraumes sein, in dem sich Weiße, Gelbe, Schwarze und Rote als Rassen entwickelten. Modelliert wurden sie alle durch Klima und Landschaft. Sie haben sich immer mehr herausdifferenziert, als Rasse konsolidiert, obwohl immer wieder kleinere und größere Kriege, Wanderungen und auch Vervollkommnung der Transportmöglichkeiten zu einer Mischung führten. Aber der engere Lebensraum hat stets wieder dazu geführt, daß das neu zugeflossene Blut mit der Zeit assimiliert wurde.

Ob aus solcher Mischung Segen oder Unsegen entspringt, hängt jeweils zunächst von Maß und Übermaß der Mischung ab; außer dem Verdünnungsverhältnis spielt die Verträglichkeit der beiden Partner, oder, negativ ausgedrückt, ihre Fremdheit eine entscheidende Rolle. Das Maß der Fremdheit aber läßt sich nur empirisch feststellen.


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Die Kolonisierungen haben von jeher zur Vermischung von Rassen geführt. Die Ansichten über Segen und Unsegen solcher Mischungen waren verschieden, je nachdem der Betreffende an eine erlesene Beimengung fremden Blutes in einem jederzeit assimilationsfähigen Ausmaße dachte oder an eine völlige Durchmischung zweier beliebiger Rassen. »Inzucht stärkt den Charakter, schwächt den Geist — Kreuzung schwächt den Charakter, stärkt den Geist«, das ist die Ansicht von Coudenhove. Und es ist sicher viel Wahres daran. Da aber die Dosierung der Kreuzung, also der Mischung, nicht angegeben ist, mag der eine applaudieren, während der andere diese Ansicht für falsch, ja für gefährlich hält. Engste, andauernde Inzucht schadet, ebenso aber auch stärkere Durchmischung. Dazwischen aber liegt eine Welt des Guten. 

Kretzschmer hat belegt, daß die möglichst reinrassigen nordischen Gebiete Deutschlands, insbesondere Niedersachsen und Ostfriesland, sehr reich an Charakter und Tüchtigkeit, aber relativ arm an Genie und kultureller Produktivität sind, daß andererseits die nordisch-alpine Vermischungszone für die europäische Kultur ausschlaggebend wurde. Es sei hier besonders auf die Sachsen hingewiesen, die, als das stärkste deutsche Mischvolk dreier Rassen, am meisten Genies und am wenigsten das, was Kretzschmer Charakter nennt, aufzuweisen haben.

Und nun die Frage: Soll man den Sachsen folgen und sich über jede Mischung auf der bunten Palette freuen, auch wenn man dabei etwas vom Hasardeur empfindet, der nicht weiß, was dabei herauskommen mag — oder möchte man es lieber den Niedersachsen nachmachen?

Was ist wertvoller? Ein Inzuchtvolk oder eine Gesellschaft von Bastarden — um die Gegensätze stark übertrieben herauszukehren. Die Frage scheint entscheidend zu sein.

Die Frage ist vor allem falsch gestellt. Es ist falsch, nur zwischen den zwei Extremen zu wählen, wie dies bisweilen geschieht, wobei die Inzuchtvölker als ein eminent wichtiges Material angesehen werden, das, untereinandergemischt, erst zu den höchsten Kulturleistungen befähigen soll. Das Inzuchtvolk ist manchem dasselbe, was dem Chemiker die reine Substanz ist: Material, aus dem erst etwas Brauchbares gemacht werden soll. Nicht Endzweck, sondern nur Mittel. Das Ziel aber fordert Mischung.

Man hat hierbei die untergegangenen Weltreiche zu Zeugen aufgerufen, deren Höchstkultur immer erst erreicht wurde, nachdem das Volk mit fremden Bestandteilen stark durchsetzt war — wenn allerdings auch immer zugegeben wird, daß diese Vermischung zugleich den Todeskeim in diese Völker und Reiche hineintrug.


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Das hieße also: Bastardierung als Voraussetzung für höchstes menschliches Streben und Erreichen, zugleich aber auch als Vorbote des Zerfalls und der Vernichtung, Hochkultur nur um den Preis des Völkertodes, nur zu erringen unter den Toren, die zum Hades führen. Aber all dies ist ein Trugschluß.

Man braucht Bastardierung weder zu fördern, um eine Kulturhöhe zu erzeugen, noch um eine drohende Inzucht zu vermeiden. Mit Zahlen läßt sich allerdings die Inzucht als etwas außerordentlich Bedrohliches darstellen. Hätte doch jeder der heute lebenden 2,5 Milliarden Menschen zur Zeit von Christi Geburt 10.000.000.000.000.000.000 verschiedene Ahnen besitzen müssen, wenn jede Verwandtenmischung ausgeschlossen werden soll. Daraus läßt sich der ungeheuere Ahnenverlust ermessen. Ist dies nicht erschreckend, dieses Verwandtsein aller untereinander? Droht hier nicht der Tod durch Inzucht?

Man bedenke aber, daß zur Eiszeit die Erde sehr viel dünner besiedelt war, und daß auch noch zur Zeit der Völkerwanderungen nur etwa 4 Menschen auf den Quadratkilometer entfielen; als ehedem die erste Million Menschen zerstreut und ohne Verkehrsmittel, gruppenweise abgeschlossen, den Planeten bewohnte, damals hätte man mit größerem Recht den Untergang der Menschenrasse infolge Inzucht befürchten können, zumal in früherer Zeit sehr häufig die einzelnen Horden nur mit bestimmten anderen, nicht mit allen, in Frauentausch traten. Aber wir sehen, daß damals die Fortpflanzung durchaus nicht gelitten haben kann; denn aus der Million wurden Milliarden.

Und ist es nicht heute noch so, daß auf dem Bauernhof erheblich mehr Kinder geboren werden als in städtischen Mietskasernen, obwohl in der Großstadt die Durchmischung am stärksten, im Dorf dagegen die Inzucht am weitgehendsten ist?

Versuche lehren, daß bei den Säugetieren zehn Generationen hindurch engste Inzucht, also Geschwisterpaarung, ohne Nachteil ertragen wird. Erst gegen die fünfzehnte Generation hin beginnt sich der Inzuchtschaden zu zeigen. Vorausgesetzt ist hierbei allerdings, daß die Stammeltern eine gesunde Erbmasse besitzen. Liegen dagegen versteckte Erbfehler vor, dann freilich bringt die Inzucht diese schneller an den Tag, als dies ohne Verwandtschaftspaarung der Fall wäre. Verborgener Schaden wird also schneller offenbar. Dies bietet den Vorteil, dagegen angehen zu können, bevor er sich weiter ausgebreitet hat.


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In Gestüten muß oft sehr weitgehend Inzucht getrieben werden, um die guten Eigenschaften eines besonders wertvollen Zuchttieres nicht nur allen Linien, sondern auch einer jeden Linie möglichst intensiv mitzuteilen. In England hat man hierbei die Erfahrung gemacht, daß um so weniger Inzuchtschaden zu befürchten ist, je verschiedener das Klima ist, in dem die verwandten Partner aufgezogen wurden. Man verschickt daher jeweils einen Teil der Herde von Südengland nach Schottland und umgekehrt. Kommen dann Geschwister aus Schottland und aus Südengland wieder zusammen, so wirken diese beiden physiologisch fremdartiger aufeinander, als wenn sie in gleichem Klima aufgewachsen wären.

Man ersieht daraus: Die Blutsverwandtschaft läßt sich nicht einfach aus dem Stammbaum ablesen; sie wird durch das Klima erheblich verändert. Hier ist eine Dauermedizin gegeben, die ständig dem Inzuchtschaden entgegenwirkt. Boden und Klima ändern das Blut, und nicht erst innerhalb von Generationen; das Einzelindividuum bekommt dies schon zu verspüren. Auch für den Menschen ist es nicht gleichgültig, ob er seine Kindheit in Pommern, am Bodensee oder im Engadin verlebt hat.

Das Milieu vermag das Blut der Organismen zu ändern. Dieser Einfluß des verschiedenen Klimas wird solcherart zum Vorbeugungsmittel gegen Inzuchtschaden, bis zu gewissem Grade aber auch gegen Schaden durch Bastardierung. Würde man auf einer Insel verschiedene Europäer, sagen wir Germanen, Romanen und Slawen, aussetzen, so würde schon nach einigen Jahren die Eigenart des Klimas jedem so sehr den Stempel aufgedrückt haben, daß jetzt diesen verschiedenen Rassen in höherem Maße Gemeinsames in ihrem Blut eigen ist als zu Beginn des Experiments.

Mit anderen Worten: Durch den Milieueinfluß wird nicht nur die Gefährlichkeit der Inzucht, sondern auch die der Bastardzucht erheblich gemindert. Verschiedenes Klima macht Nächstverwandte verschieden, gleiches Klima macht Fremde einander ähnlich. Daraus kann der Amerikaner den Schluß ziehen, daß sein Land heute nicht mehr von den verschiedenen europäischen Rassen bevölkert ist, sondern von Amerikanern, das heißt also von Menschen, die etwas Gemeinsames durch das Leben an gleichem Ort und Klima erworben haben. Es gibt Amerikaner des Nordens, Westens, Ostens und Südens, und dies ist ebenso wichtig wie die Unterscheidung in Iren, Engländer, Deutsche, Franzosen, Italiener oder Russen.

Jede sorgfältige Messung läßt zwar das Zusammengewürfelte der nordamerikanischen Bevölkerung noch erkennen. Jedoch hat man feststellen können, daß sich die Schädelform aller Einwanderer Nordamerikas nach bestimmter Richtung hin ändert. Der Gesichtsschädel wird schmaler, und die Extreme der Längenmaße des Kopfes werden seltener. Das heißt, der besonders hochgezogene und ebenso der extrem kurze Schädel verschwinden. Allerdings, wenn es um gute oder schlechte Nachkommenschaft geht, hat das Skelett nicht so viel mitzureden wie der Chemismus des Blutes.


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Mag man im Schädelbau auch immer noch Iren, Germanen, Romanen und Slawen herauskennen, das Klima hat die Zusammenlebenden einander meist mehr genähert, als uns der Meßzirkel verrät. Der in Amerika »eingeborene« Weiße zeigt dem Zugewanderten gegenüber sein Angepaßtsein schon durch die geringere Sterblichkeit seiner Kinder an. Die Sterblichkeit bis zum ersten Lebensjahr beträgt bei:

  • den eingeborenen Weißen 9,4 %

  • den eingeborenen Negern 15,4 %

  • den eingewanderten Polen 15,4 %

  • den eingewanderten französischen Kanadiern 17,1 % 

  • den eingewanderten Portugiesen 20 %

Die Zahlen lassen vermuten, daß bei den eingeborenen Weißen eine Akklimatisierung stattgefunden hat. Es kann aber auch mit der gesicherten Lebensstellung zusammenhängen.

Anders und schwieriger liegt das Problem in Südamerika. Denn man muß sich klar sein, daß nicht jede Rasse mit jeder ein gleich günstiges Mischprodukt ergibt, auch nicht unter der ausgleichenden Wirkung des Klimas. Wohl wird der Neger, der in USA lebt, zu einem anderen, zu einem amerikanischen Neger. Aber das Negerblut bleibt und wird sich dem der weißen Rasse nie vollkommen anzunähern vermögen.

Man muß sich nur vergegenwärtigen, daß eine Rasse nicht ein mosaikartiges Nebeneinander aller möglichen Erbeigenschaften darstellt. All diese Gene, die den Menschen in der Entwicklung bestimmen, müssen in engster Wechselbeziehung stehen. Die Tausende von Erbteilen bilden in dem Organismus eine geschlossene, ausregulierte und ausbalancierte Ganzheit. Nicht ein Haufen von Teilen, sondern eine Harmonie aller Teile machen den lebendigen Körper aus. Werden wesentliche Stücke ausgebrochen und dafür zu fremdrassige eingefügt, so stellt dies an die regulatorischen Fähigkeiten dieses Mischorganismus häufig nicht mehr zu erfüllende Anforderungen. Freilich, es wird behauptet, daß bisweilen auf physischem Gebiet solche Bastarde zur Luxurierung neigen. Dies aber sind Ausnahmen. Viel häufiger tritt ein Pauperieren ein. Des öfteren wird bei Mischlingen festgestellt, daß sie körperlich weniger leistungsfähig sind und daß sie geringere Widerstandsfähigkeit besitzen gegen Krankheiten und bei Blutverlusten. Gegen Tuberkulose sollen sie anfälliger sein, und hormonale Störungen, vor allem Diabetes, treten gehäuft auf.


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Die Natur hat bei Tieren, bei Pflanzen und bei Menschen Rassen und Arten entstehen lassen, nicht um sie hinterher wieder völlig durcheinander-zumischen. Setzt man Kartoffelkäfermännchen und -weibchen aus der Gegend von Chikago mit solchen aus dem Süden von USA zusammen, so beobachtet man, daß beinahe immer die Chikagoer Käfer unter sich kopulieren, und ebenso die anderen, obwohl die beiden Rassen noch sehr nahe verwandt sind. Gleiches hat man bei Taufliegen feststellen können.

Die Norm in der Natur ist: selten Mischung, und wenn, dann nur unter ganz nahen Verwandten, wie uns die Koloradokäfer zeigen. Allerdings, den Tieren fehlt die gewaltige Neugierde der Menschen. Und diese ist oft stärker als der meist verkümmerte Rasseinstinkt, der nicht mehr zu verhindern vermag, daß auch die am weitesten voneinander entfernten Rassen aufeinander ansprechen.

Die Frage darf nicht lauten: Inzucht oder Verbastardierung. Allzu weitgehende Einförmigkeit und Mangel an Spannungen schwächt die Lebensfrische des Organismus. In diesem Sinne ist Inzucht bedenklich. Dasselbe gilt aber auch bei Mischung von allzu ungleichen und ungleichwertigen Partnern. Wo aber liegt dann das Optimum? Dies ist die entscheidende Frage.

Mischung tut not. Sehen wir uns nochmal die Koloradokäfer an. Die meisten entschließen sich für einen Ehegatten, der derselben Art angehört. Aber nicht alle tun dies. Auch hier stehen den Reaktionären einige wenige Revolutionäre zur Seite. Und das ist gut so. Ebenso verhalten sich die Taufliegen.

Würde eine Rasse von jeder Mischung ferngehalten, so würde sie sich immer einseitiger entwickeln. Die Natur bleibt dann nicht etwa auf derselben Entwicklungsstufe stehen, sie schläft nicht an einem Punkte ein. Die Natur kann alles, nur nicht stehenbleiben — wenigstens nicht für längere Zeiten. Sie hat eine seltsame Neigung, den einmal eingeschlagenen Weg unbeirrt geradeaus weiterzugehen, dabei sich immer mehr verengend, immer mehr sich spezialisierend. So sind manche Tiere das Opfer dieser Unentwegtheit geworden. Den einen wurde ihr Riesengeweih mit der Zeit zu gewaltig, anderen wurden ihre dolchartigen Zähne zu lang, und sie gingen zugrunde.

Der oft verhängnisvollen Entwicklung solcher Orthogenesis wirkt segensreich die gelegentliche Einmischung verwandter Typen entgegen. Wäre dem nicht so — die Welt wäre heute ein seltsames Kabinett von skurrilen Sonderlingen. Und die Menschenrassen und Menschenschläge wären hiervon nicht auszunehmen.


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Die alpine Rasse wäre nicht so tauglich ohne das nordische Blut, das ihr Jahrhunderte hindurch immer zuträufelte. Und auch umgekehrt gilt dasselbe von der nordischen Rasse. Und doch stimme ich solchen Historikern nicht zu, die behaupten, daß allen Kulturblüten eine Rassenmischung vorausgegangen ist. Ja noch mehr. Man erfährt von ihnen sogar bisweilen, daß sich ein jedes Volk durch Transfusion fremden Blutes vor dem kulturellen Niedergang retten könne; — das fremde Blut als Kampferspritze —nicht anders.

So ist es nicht. Man sehe sich nur Europa an. Immer liefen Völker in Gegenden herum, in die sie von Haus aus nicht hingehörten; nie hat es an Gelegenheit zur Bastardierung gefehlt: erst die Römer, dann die Germanen; die einen zogen nach Norden und Osten, die anderen nach Süden und Westen. Die Mongolen, die Hunnen, die Mauren und dann wieder die Türken; Kreuzzüge, Italienzüge der deutschen Kaiser, der Dreißigjährige, der Siebenjährige Krieg, Erbfolgekrieg, die Napoleonischen Feldzüge —eine nicht abreißende Kette. Und immer waren es Soldaten, junge übermütige Menschen, mit denen die Liebe guten Schritt hielt.

Wenn daher in Europa zu irgendeiner Zeit ein stärkeres Aufblühen der Kultur festzustellen ist, und man wünscht eine vorausgegangene Blutmischung dafür verantwortlich zu machen, so wird man nie in Verlegenheit sein. Ja, es ließe sich gar keine Kulturepoche so placieren, daß nicht eine Bastardierung an ihrer Wiege gestanden hätte.

Aber man lege sich die Frage vor: Warum war nicht immer Hochkultur? War doch die Mischung jeder Zeit gegeben. Wohl selten ist einem Volke über längere Zeiträume in solchem Maße fremdes, aber doch assimilierbares Blut zugeflossen wie dem römischen Volke zur Zeit der Soldatenkaiser. Und wo blieb der Aufstieg der Kultur?

Kultur und Kulturhöhe ist nicht etwas, das nach Rezept in der Retorte hergestellt wird: Man gieße einem Volk fremdes Blut in die Adern, und die Ausbeute wird sein: Genie und Kultur.

Man soll nicht Kultur »verordnen« wollen. Man soll am allerwenigsten Rassen mischen wollen in der Hoffnung, serienweise Genies zu produzieren. Man soll dagegen alles tun, um die Rassen und Schläge rein zu erhalten. Gemischt werden sie sowieso in genügender Weise. War doch das wünschenswerte Maß der Mischung schon gegeben, bevor die Bahn, das Auto und das Schiff als Bastardierungsvehikel hinzukamen.

Die Sachsen sind dank ihrer besonders starken Mischung das geniereichste Volk. Warum aber gilt dies nicht auch für die südamerikanischen Staaten, in denen die Mischung noch viel intensiver ist? Weil sich das Blut der Neger, der Indianer und der Weißen um ein Vielfaches fremder ist als das der verschiedenen europäischen Rassen. Man muß bedenken, in Amerika ist im Verlaufe von hunderttausend Jahren der Indianer gewachsen. Der Weiße und der Neger aber sind bodenfremd, sind importiert. Dort prallen heute drei Erdteile aufeinander, in Sachsen dagegen nur verschiedene Gewächse ähnlicher Gegenden.


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Während man in den USA das Heil darin sieht, Neger und Weiße als unmischbar immer möglichst voneinander getrennt zu halten, sucht man in Mittel- und Südamerika bewußt Rettung in einem Verschmelzungsprozeß. Sehen wir hier von den nur wenig gemischten Staaten Uruguay, Argentinien und Chile ab. Für alle anderen gilt: Aus Weißen, Indianern und Negern, aus Hindus, Chinesen und Japanern soll in der Retorte eine neue Rasse, soll der Südamerikaner geboren werden.

Wenn man zwei verschieden weit entfernte Tierarten miteinander bastardiert, so kann man alle möglichen Stufen der Schädigung des Embryos feststellen. Entweder vermag die Samenzelle in das ihm zu fremdartige Ei überhaupt nicht einzudringen. Oder aber, es wird nach seinem Eintritt in das Ei von diesem wie ein völlig fremdartiges Wesen behandelt; es wird abgetötet und verdaut. Sind die beiden Arten einander nicht mehr gar zu blutsfremd, so machen Ei und Samenzelle wohl den Versuch, etwas Gemeinsames zu produzieren. Aber allzuoft steuert die eine Erbmasse nach links, indes die andere nach rechts strebt; und der Embryo geht schließlich über diesen Meinungsverschiedenheiten zugrunde.

Stehen sich die beiden Partner aber näher, so nahe wie z.B. Pferd und Esel, so vermögen die Erbanlagen des Eies und der Samenzelle immerhin schon so weit zusammenzuarbeiten, um einen lebensfähigen Organismus erstehen zu lassen; aber ganz in Ordnung ist das Machwerk immer noch nicht: Das Maultier, dieses unglückliche Produkt, ist äußerst selten, im männlichen Geschlecht nie fortpflanzungsfähig. Da, wo die Keimzellen gebildet werden, wo die Erbmasse für die nächste Generation ausgegeben wird, da klappt etwas nicht. Dieser Mechanismus, an sich recht kompliziert, verrät sofort, wenn die Entwicklung nicht harmonisch genug verlaufen ist. Die subtilsten Teile lassen zuerst erkennen, wenn das Material nicht einheitlich ist.

Allerdings, der Mulatte, das Produkt von Weißen und Negern, der Mestize, das Produkt von Weißen und Indianern, und schließlich der Zambo, der Neger-Indianer-Bastard, sie alle sind unbeschränkt fruchtbar; ebenso wie auch die Rehoboths in Deutschsüdwest, Bastarde von Hottentottenmädchen und Buren. Wenn auch der Mulatte seinen Namen vom Maultier bekam — mit dessen Unfruchtbarkeit hat er nichts gemein. Doch gibt dies noch keine Garantie dafür, daß hier die beiden Erbmassen den Embryo in voller Harmonie aus sich hervorgehen lassen.


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Wohl sind die Keimstöcke ein besonders subtiler Teil. Es gibt aber ein noch viel feineres Organ, das uns beim Menschen in ungleich besserer Weise registriert, ob der Organismus eine wirklich harmonische Einheit darstellt: Das ist das Gehirn. Man mag von einem besonders anständigen Esel und von dem treuesten Pferd ausgehen — ihr Sprößling, das Maultier, ist charakterlich meist schwierig, störrisch und futterneidisch. Wie ist dies nun mit dem Mulatten, dem Mestizen, dem Zambo und schließlich mit den Mischungen verschiedensten Grades dieser Bastarde untereinander? Die Kriminalstatistik Nordamerikas läßt uns kein klares Bild gewinnen, ob diese Bastarde unmoralischer und unsozialer veranlagt sind als ihre beiden Stammeltern. Neger und Mulatten sind vor dem Gesetz sehr benachteiligt, so daß man kein objektives Urteil aus der Häufigkeit der Straffälle ziehen kann. Aber das eine muß man sich vor Augen halten: Es besteht die Möglichkeit, daß das Gemisch aus Negern, Indianern und Weißen in ethischer Hinsicht tiefer steht als die drei Rassen, und daß die Bastardierung zu einem unheilvollen Wesensbruch führt. Ein sicheres Urteil ist heute noch nicht möglich.

Wohl hat der Organismus die Fähigkeit, weitgehend auszugleichen, zu regulieren und sich anzupassen, wenn zwei Erbmassen nicht gut zueinander stimmen wollen; aber dieses Können hat seine Grenze.

Von welcher Seite man auch die südamerikanische Frage betrachten mag, immer kommt man zu dem Ergebnis, daß diese Mischung der Rassen ein Hasardspiel ist.

 

Der Rassenforscher Davenport ist bei Beurteilung der Wirkung von Bastardierung sehr vorsichtig. Er kommt zu dem Schluß: »that there is not universale rule as to the physical or social consequences of race crossing«.

Und doch rät er ab, wenn es sich um eine Mischung extrem verschiedener Typen handelt, falls nicht schon die Erfahrung gelehrt hat, daß hierbei eine hochwertige Nachkommenschaft entsteht, eine Möglichkeit, die durchaus anerkannt werden muß und die durch Kreuzungen zwischen Chinesen und Hawaiianern auch immer wieder bestätigt wird. Dies aber ist auch für Davenport eine Ausnahme. »The negrowhite and the Philippino-European crosses seem, on the other hand, of a type that should be avoided.« Und er lehnt diese Bastardierung nicht etwa ab, weil noch nicht genügend Erfahrung vorliegt, sondern im Gegenteil, auf Grund einer reichen Erfahrung.

Aber vielleicht gibt es doch noch eine Rettung. Die Retterin wäre die farbige Frau. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie es ist, die dafür sorgt, daß in Zukunft das weiße Blut das farbige völlig überlagert. Die Indianerinnen und ebenso die Negerinnen wünschen Kinder vom weißen Mann. Die Bastardmädchen ihrerseits zeigen in gesteigertem Maße Ehrgeiz, möglichst hellfarbige Kinder zu besitzen. So wird der farbige Mann von den rasseeigenen Frauen als minderwertig abgekört. Was schließlich entsteht, ist — vielleicht — eine neue Rasse.


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Und die verschiedenen Kulturen, die in diesem Schmelztiegel eingeschmolzen werden? Hier kann es nur zur Vernichtung derselben kommen. Oder glaubt man, daß sich Kulturen mischen lassen, ohne ihre Eigenart vollkommen einzubüßen? Bricht man aber den Kulturen ihre Profile aus, so sind sie lebensunfähig, sind vernichtet. Man wird in Südamerika Ersatz suchen, man wird sich um eine Retortenkultur künstlich bemühen, und man wird erkennen, daß die verschiedenartige geistige Einstellung diese Menschen wohl kaum zu einer einheitlichen Kultur kommen läßt. Um sich dies nicht eingestehen zu müssen, wird man sich an die Zivilisation klammern und dieser zu leichtem Siege verhelfen. Eine Kultur der Unkultur ist für dieses Land zu befürchten und des Triumphierens der Zivilisation.

Oder gehen all diese Überlegungen in die Irre? Die Äthiopier, sicher eine gute und auch ziemlich einheitliche Rasse, sollen vor langen Zeiten aus einer Mischung von Negern und Weißen entstanden sein. Vielleicht also verliert das südamerikanische Problem seine Bedenklichkeit für den, der lange genug warten kann, zehntausend Jahre und länger.

Vielleicht ist es die Mission Nordamerikas, den tiefen Atemzug zu tun für den ganzen Planeten. 300 Jahre und mehr hat es eingeatmet, hat es Menschen der verschiedensten Rassen und Denkweisen aufgenommen, hat deren seelische Grundstrukturen, ihre Ideale, Gefühlsleben und Temperamente einander gegenübergestellt und sie — soweit eine Assimilationsmöglichkeit bestand — gegenseitig ausgeglichen und verarbeitet und hat auf diese Art Neues entstehen lassen. Jetzt beginnt das große Ausatmen. Und der kräftige Atemhauch wird über die ganze Welt hin verspürt. Wir empfinden es, wie wenn verstaubte, dumpfe Zimmer gründlich durchlüftet werden. Niemand wird erwarten, daß nun auch alles gut sei, was Amerika ausströmt. Vor so manchen Exportartikeln möchte man gerne die Fenster schließen. Doch gegenüber geistigen Dingen gibt es nur geistige Zollschranken. Ein gesundes Volk läßt nur passieren, was ihm bekommt. Das eine aber wird man auf alle Fälle bejahen müssen: Es geht ein kräftiger Luftzug von Amerika aus, der aufrüttelnd wirkt über lange Zeiten hin. Die Mischung der europäischen Rassen auf amerikanischem Boden hat ein neues Menschenmaterial entstehen lassen. Möglich, daß diese mit der Zeit sich immer stärker konsolidierende nordamerikanische Rasse so urkräftig und robust heranwächst, daß sie schließlich alles, selbst ihren fanatischen Geldhunger, besiegt.


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Ist der Traum zu kühn, in dem Amerikaner der Zukunft den Schrittmacher gegen den Materialismus zu sehen? Eine grandiose, beinahe unheimliche, ja geradezu eine amerikanische Vision, die aber doch im Bereich der nur dort unbegrenzten Möglichkeiten liegt.

Europa wird amerikanisch werden, nicht nur durch den Amerikaner, sondern vor allem durch sich selbst. In Amerika haben sich seit Kolumbus alle europäischen und viele außereuropäischen Völkerstämme zusammengefunden. Die Siedler hatten eine harte Zeit. Wo immer sie vom Schicksal hinverschlagen wurden, da mußten sie anpacken. Unmöglich, daß sie sich die Landschaft ausgewählt hätten, so wie sie gerade ihrer Gemütsart entsprach. Der Bewohner der Ebene kam ins Gebirge, der Gebirgsbewohner an die Küste, der Südländer nach dem Norden und der Nordländer in warme Länderstriche. Das Resultat von all dem ist der heutige Amerikaner. 

Nicht viel anders liegen die Dinge seit zehn Jahren in Europa. Eine Völkerwanderung, von der etwa 30 Millionen Europäer verschiedenster Nationen betroffen sind, eine Durchmischung und Durchdringung fremder Rassen, fremder Mentalitäten und fremder Kulturgüter, die beispiellos wäre, könnte man nicht auf die Besiedelung Amerikas hinweisen, wo all dies zwar ähnlich, jedoch im Zeitlupentempo verlief, ausgedehnt auf einige Jahrhunderte, was sich in Europa auf einige Jahre zusammendrängt.

Diese ungeheuerste aller Völkerwanderungen, in der wir zur Zeit leben, wird den Europäer allmählich verändern. Ich glaube nicht, daß er dadurch schlechter wird, wie viele meinen, ich glaube aber, daß es ihn drängt, sich auf seine ihm gemäße Weise zu amerikanisieren. 

 

     Die Hormonspritze   

 

Sind wir nicht schon so weit, haben wir nicht schon bald gegen alles, gegen Dekadenz, gegen the next, gegen zuviel oder zuwenig Sex, gegen unsoziales Verhalten bestimmte Hormonspritzen bereit? Muß es nicht den Eindruck erwecken, als wäre man imstande, in solchen Teufelsküchen des Menschen Seele einzufangen und sie in Retorten vom einen ins andere zu wandeln? Was ist es mit dem, was man Hormone nennt? 

Man nimmt eine Tablette und ist ein anderer Kerl. Der Schüler, dem das Griechisch ausgesprochen unsympathisch ist, ein anderer, dem Mathematik nur aus unverständlichen, okkulten Zeichen besteht — sie gehen in die Apotheke, und jeder kauft dort, was er braucht: Aufmerksamkeitstropfen, Intelligenzhormone; ein anderer versieht sich mit den nötigen Antigenen gegen beispiellos unerfreuliches Benehmen.


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Wohl sind wir heute noch nicht so weit. Aber sieht es nicht so aus, als zielte die Wissenschaft darauf ab? Die Wahrheitsspritze ist schon da. Methylpentynol nimmt Angst und Beklommenheit und läßt den Furchtsamen tollkühn werden. Im Mittelalter wartete der Feuertod auf die, die Gewalt hatten über andere, auf die, die behexen konnten. Treiben wir heute die Hexerei nicht ganz offen? Der Mensch ein Automat. Je nach den Hormontabletten, die man einwirft, ertönen verschiedene Platten. Weiß dann der Teufel überhaupt noch, wen er holen muß?

Man darf den Wirkungsbereich der Hormone auf die Psyche — und nur davon ist die Rede — nicht überschätzen. Wohl kann ihr Fehlen zum Zerfall der Persönlichkeit führen. Ihre spezifische psychische Wirkung aber erschöpft sich bei normalem Geschehen im wesentlichen (allerdings nicht ausschließlich) in der Erzeugung bestimmter Stimmungen: Heiterkeit, Zorn, Wut, Kampflust und Wagemut, Angst, Demut, Geltungsbedürfnis, »Gschaftlhuberei«, Neigung zur Intro- und Extroversion usw. Da wir aber wohl kaum einen Gedanken fassen können, der nicht mit einer Stimmungsvalenz verbunden wäre, oft genug ihr geradezu entsteigt, so wie auch der Traum zumeist der Stimmung entspringt, so ist die Einflußsphäre der Hormone doch schließlich sehr weit gesteckt.

Es ist sehr wohl zu verstehen, man sträubt sich gegen die Vorstellung, daß das Ich der Zufälligkeit normaler Drüsenfunktionen doch so weitgehend ausgeliefert sei, daß das Höchste der Schöpfung, der durchgeistigte Mensch, zu einem Zerrbild werden kann, sobald nur die Menge der Schilddrüsen­hormone im Blut sich von den normalen zehn Milligramm nach oben oder nach unten entfernt. Aber auch die Schilddrüse ist nicht selbstherrlich und allein entscheidend, auch sie wird wieder gesteuert von anderen Drüsensekreten. So besteht der Organismus des Menschen aus einem Geheimbund von Hormonen. 

Neben der Schilddrüse, der Hypophyse — einem kleinen Anhang des Gehirns — und den Keimdrüsen ist es eine Reihe seltsamer Organe, die zu alledem einen recht unbedeutenden Eindruck machen, Organe, die man früher zum Teil für völlig überflüssige, atavistische Überbleibsel hielt. Und sie alle entscheiden schließlich über Tod und Leben, über gesunden Geist oder über Nacht und Finsternis der Seele. Aber — und das ist das Entscheidende — die Funktion dieser Drüsen ist letzten Endes genauso erbbedingt wie der Bau des Gehirns. Ja, bestimmte Hormone der Hypophyse sind nicht nur von Nervenimpulsen abhängig, sondern sie werden sogar von den Nerven gebildet. Und die Hypophyse wiederum wird weitgehend vom Zwischenhirn gesteuert. Hier bleibt also doch wieder das Gehirn oberste Instanz. 


Dies mag beruhigend wirken, da somit der Zufälligkeit hier auch nicht mehr Platz eingeräumt ist als irgendeiner anderen Stelle im Werden und Funktionieren des Organismus. Wir fühlen uns aber lieber abhängig von dem festgefügten Gehirn als von Sekreten und Drüsen.

Die Struktur des Gehirns bis in den feinsten Bau der Großhirnrinde ist durch die Erbmasse im wesentlichen festgelegt. Die Drüsen jedoch greifen mit ihren Hormonen ein in die Art der Funktion. Das Klavier steht als einfacher Klimperkasten oder als kostbarer Flügel bereit. Gestimmt aber wird es von den Hormonen. Funktionieren diese schlecht, so wird auch der beste Flügel keine reinen Melodien von sich geben können. Arbeiten sie gut, so werden zwar jetzt dem wertvollen Instrument köstliche Klänge zu entlocken sein; bei einem elenden Flügel aber werden selbst die besten und größten Bemühungen um gute Stimmung nicht viel retten können.

Die Hormone sind Voraussetzung für richtiges Funktionieren des Gehirns. Wo sie fehlen oder mangelhaft gebildet werden, können sie in der Tat durch Tabletten und Injektionen ersetzt werden. Die Hormonspritze kann somit heute schon in vielen Fällen nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele ihr normales Leben retten. Unsere modernen Teufelsküchen seien dafür bedankt.

Bereits meldet sich aber auch der Chirurg, um zu zeigen, daß sein Messer ebensoviel und mehr vermag als die Hormonspritze. Mit einem Schnitt trennt er im Gehirn den vorderen Teil des Vorderlappens ab — und siehe da, der Patient, der vorher unter Schuldgefühl litt, beruhigt sich und zeigt eine euphorische Sorglosigkeit und gemindertes Verantwortungsgefühl. — Depressionen und nervöse Oberreizung verschwinden durch einen Trennungsschnitt in der Gegend der Augenhöhlen. — Aggressivität wird geheilt durch Trennung der weißen Substanz des Vorderhirns und Hinterhirns.

Das Gehirn, das in seiner Gesamtheit geradezu Repräsentant der Persönlichkeit ist, wird in einzelne Teile zertrennt — um dem Patienten zu helfen, aber um den Preis, ihn zu einem beziehungslosen Roboter zu machen.

Wenn ein Schuldiger unter Schuldgefühl leidet, wer hat hier das Recht, ihm dieses wegzuoperieren und ihn zu einem euphorischen Hanswursten zu machen?

Der operativ erzeugte untragische Mensch — eine Tragödie der Menschheit.

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Bändigt den Menschen: Ketten für Prometheus - Gegen die Natur oder mit ihr?  (1957) Professor Reinhard Demoll