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Von Konfuzius zu Malthus

Demoll-1957

 

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Zur Zeit ist die Lage auf unserem Planeten wohl so, daß die westlichen Staaten wieder ihren Bestand weiter erhöhen, einige wenige vielleicht ihn nur gerade erhalten. Die übrigen Völker befinden sich zum Teil noch in lebhafter Vermehrung. Mit dem Fortschreiten einer intensiven Zivilisation und der Bekanntschaft mit der Emanation einer Maschinenwelt aber wird ein Volk nach dem anderen in ein kritisches Stadium eintreten, zu dessen Überwindung es jeweils einige Dezennien benötigt. Im ganzen gesehen wird also die Menschenmasse auch weiterhin noch erheblich zunehmen.

Da aber heute zwei Drittel der Bewohner dieses Planeten schon hungern und unterernährt sind, so besagt diese Steigerung, daß wir den Weg zum Verhängnis gehen, es sei denn, daß das Problem der Geburten­kontrolle angegangen wird. 

Neu ist es nicht, weder in einer die Geburten beschränkenden Form noch in dem entgegengesetzten Versuch, mit zum Teil brutaler Gewalt dem Menschen Freude am Kind oder wenigstens Interesse an ihm beizubringen.

Über das Japan des vorigen Jahrhunderts berichtete E. Honjo in Tokio auf der 19. Sitzung des internationalen Instituts: »In der Provinz Hyugo hatte nur der Erstgeborene das Recht zu leben; alle anderen wurden sofort getötet.« Weiter führt er aus, daß in der Provinz Tosa ein Knabe und zwei Mädchen die höchstzulässige Zahl waren. »Das japanische Volk«, so heißt es, »ob auf dem Lande oder in den Städten, sah damals keinen Unterschied zwischen Kindermord und dem Entwurzeln von Unkraut.«

Dies erinnert schon an die Denkweise der alten Ägypter, die, wie uns ein Papyrus unterrichtet, einen Mann aus der Fremde seiner zurückgebliebenen Frau schreiben ließ: »Wenn Du — ich wünsche Dir alles Gute — niederkommen solltest, laß es leben, wenn es ein Knabe ist — aber wenn es ein Mädchen ist, wirf es weg!« (Nach Penndorf.)

Dies galt für Japan, bevor es unter dem Druck amerikanischer Kanonen 1853 und 1854 seine Häfen der Welt öffnete, es galt also für die Zeit, in der Japan von der eigenen Produktion leben mußte, die ein Anwachsen des Volkes auf 30 Millionen nicht gestattete.

Seit 100 Jahren aber brauchte es für die importierten Rohwaren Arbeiter, die den Export von veredelter Ware ermöglichten. Import, Export und schnelle Zunahme der Bevölkerung waren jetzt erwünscht. Kinderbeseitigung, bis dahin Pflicht, war plötzlich Mord. Eine Wendung der Moral in kürzester Zeit um 180°. Und 1949 vollzog es ebenso schnell wiederum eine Kehrtwendung — gelernt ist gelernt — und führte Geburtenkontrolle ein, zunächst durch Aufklärung mittels Radio und Film und durch Freigabe aller empfängnisverhütenden Mittel, deren Verkauf bis dahin streng verboten war.


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Heute wird Abtreibung vom Staat gefördert. Er übernimmt vier Fünftel der Kosten, der Betrieb meist das letzte Fünftel, sofern schon Kinder vorhanden sind. In manchen Gegenden, insbesondere bei Bergwerks­bevölkerung, kommen auf eine Normalgeburt bis zu 25 Abtreibungen. So wird die Frau nicht nur zu einem körperlichen, sondern auch zu einem seelischen Wrack. Zur Zeit werden jährlich 2 Millionen Schwangerschaften in Japan unterbrochen. Die Moral sah sich zu dieser Schwenkung veranlaßt durch den Verlust der Kolonien auf dem asiatischen Festland. Heute zählt Japan 90 Millionen Einwohner; das sind 1650 auf den Quadratkilometer. Nur 18% des Landes sind landwirtschaftlich nutzbar.

Immer schon wurden Versuche unternommen, um einzelne Völker zu schnellerer Fortpflanzung anzutreiben. Nur zwei Methoden hatten einen nachhaltigen Effekt. Der Glaube und die Hygiene. Diesen gegenüber sind Tyrannenbefehle, auf die Dauer gesehen, nur klägliche Stümpereien, untaugliche Versuche am untauglichen Objekt.

90% Sterblichkeit der Kinder findet man bei manchen Negern, die mit der Hygiene noch nicht in Berührung gekommen sind. Dazu die bei vielen Negerstämmen häufigen Abtreibungen und — aus religiösen Gründen — das Töten der Zwillingsgeburten. Und dennoch starb der Neger nicht aus, ja, vor einigen tausend Jahren war Nordafrika bei weitem nicht so vernegert wie heute. Der Neger nahm also trotz allem noch zu. Man stelle sich vor, in Europa würden 90% der Säuglinge sterben, von den überlebenden wiederum ein starker Prozentsatz an den in Afrika endemischen Seuchen wie Malaria und Schlafkrankheit zugrunde gehen. Was bliebe da wohl noch übrig? Würde dann Europa nicht in wenigen Dezennien ausgestorben sein?

Wie hoch muß bei einem solchen Volke die Fortpflanzungsziffer liegen? Aber je mehr sich die Hygiene um den Neugeborenen bemüht, um so rarer wird er. Dies gilt auch für den Neger. Die Zahl der Neger in USA sinkt, trotz der Hygiene. Oder wegen ihr.

Als unbestrittener Sieger in der Konkurrenz der geburtensteigernden Mittel bleibt nur die Glaubenslehre, und sie bestätigt damit, daß wie überall so auch hier die geistige Einstellung die Zügel der Weltgeschichte führt.

Im sechsten Jahrhundert v.Chr. war der Geburtenrückgang in China bedrohlich geworden. Alle Mittel, ihm entgegenzutreten, hatten versagt. Da prägte Konfuzius dem Chinesen ein, daß er den Ahnenkult auf das gewissenhafteste zu vollziehen habe. Denn davon hänge die Seligkeit der Ahnen ab. Da aber ein jeder wünschte, dereinst ein möglichst seliger Ahne zu werden, so waren nun plötzlich Nachkommen als Seligkeitsgaranten sehr gefragt. 


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Und jeder pflanzte sich nun wieder emsig fort, um möglichst viele Nachkommen zu hinterlassen, die nach seinem Tode um sein Seelenheil besorgt waren. Seither hat China nie befürchten müssen, daß es zu einem sterbenden Volke werde. Die Regulation der Überbevölkerung aber überließ es den Seuchen; und auch heute noch ist der Chinese selbst in den Weltstädten nicht leicht dazu zu bringen, die üblichen Maßnahmen beim Ausbruch der Cholera, Typhus oder Pest durchzuführen. Man hat sich an diese Art des Ausgleichs gewöhnt.

Aber sehen wir noch, was bei den verschiedenen Völkern der Zwang und das Kommando zur Fortpflanzung vermögen, und was durch Lockungen mit materiellen Vorteilen erreicht wird.

Besonders lehrreich ist für uns das Schicksal von Sparta, und zwar in doppelter Hinsicht. Sparta hielt die Zivilisation ängstlich von sich fern und nahm trotzdem ständig ab, bis es schließlich zu einer ausgestorbenen kleinen Gemeinde geworden war. Und weiter: Selbst drakonische Maßnahmen vermochten keine Geburtensteigerung zu erzwingen. Zur Zeit der Perserkriege (500 v.Chr.) stellte Sparta 8000 Mann. Nach der Schlacht bei Leuktra, 371 v.Chr., und nach einem vernichtenden Erdbeben zählte es nur noch 1500 Vollbürger. Damals waren noch reichlich Landstädtchen und Gemeinden vorhanden, die wieder ein schnelles Anwachsen der Hauptstadt durch Landflucht hätten ermöglichen können. Aber die Bevölkerung sank weiter, und nicht nur in Sparta, sondern auch auf dem umgebenden Lande. 244 v.Chr. waren nur noch 700 waffenfähige Männer zu zählen. Auch die Todesstrafe für jeden Versuch, auszuwandern, vermochte das Schicksal nicht zu wenden.

Wo saß nun die Krankheit, die Sparta so früh schon zum Siechtum verdammte? Die Zivilisation und die Begehrlichkeit, die drakonisch unterdrückt wurden, konnten es hier nicht sein. Man wird noch eine Stufe tiefer gehen müssen. Dem Spartaner fehlte die Lebensfreude. Nur sein tierischer Ernst, der ihn in großen Gegensatz setzte zu dem apollinischen Athener, konnte es zulassen, daß er von einem so phantasielosen Kommißknopf, wie Lykurg es war, seine Gesetze entgegennahm, Gesetze, die bestimmten, daß der Mensch vom 7. Lebensjahr an verstaatlicht wurde. 

Dieser Staat konnte ihn zur Ehe zwingen und maßte sich selbst die Oberaufsicht im Ehebett an; denn er konnte bestimmen, ob ihm eine Ehe genehm oder eine andere erwünschter war, so wie er auch ohne weiteres über das Leben Neugeborener verfügte und aussetzte, was ihm nicht genügend muskulös erschien. Man denke sich, die Gattenwahl einer Kommission von törichten, aber um so aufgeblaseneren herrischen Beamten unterstellt! 


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Demgegenüber ist das Scherbengericht der Tanten, Onkels und Basen, das bei uns bei jeder ehelichen Verbindung sich ein Einspruchsrecht herauszunehmen versucht, eine völlig harmlose, ja eher humoristische Angelegenheit zu nennen. Was mußten das doch für Menschen sein, die unter dem strahlendblauen Himmel Griechenlands zu so trostlos verbissenen, völlig humorlosen Marschierern werden konnten, die ihr Leben nur dem Feind widmeten.

Sparta lehrt: Es braucht primär gar nicht die Zivilisation und die Begehrlichkeit zu sein, die zum Geburtenstreik führen. Wohl liegen die Ursachen in den meisten Fällen hier. Aber nicht immer, und so auch nicht bei Sparta. Als noch wesentlicher erweist sich hier etwas anderes: Die geistige Einstellung, das Gefühl, überflüssig zu sein, keiner inneren Sendung zu dienen, das ist es, was zu einem Pessimismus führt, der als den obersten Richter des Weltgeschehens nur den Zufall gelten läßt.

Der Spartaner durfte nur dem Staate leben. Wie soll das Göttliche im Menschen sich erfüllen, wenn es nur einem Menschenwerk zu dienen hat? Es gibt keinen Tyrannen und keinen tyrannischen Staat, der nicht im religiösen Leben seinen größten Widersacher erkennt.

Aber dieser Pessimismus ist eine tötende Krankheit. Alle Potentaten, auch der selbstherrlichste Staat, sind, auf lange Sicht gesehen, machtlos dagegen. In Sparta nützten Peitschen und Todesstrafen nichts. Das Leben wurde sinnlos, und damit auch die Produktion von neuem Leben.

In Athen hatte man sehr viel später, erst zur Zeit Alexanders, den Zufall auf den göttlichen Thron erhoben. Damit begann das Absterben auch in Mittel­griechenland. Die Unterwerfung durch Philipp hatte den Prozeß eingeleitet.

Scharfe Gesetze ebensowenig wie materielle Verlockungen vermochten auf die Dauer zu wirken, weder in Babylon noch in Ägypten, weder in Sparta noch in Athen; ebensowenig auch in Rom, wo Augustus durch die Lex Julia und die Lex Pappia Poppäa Eheschließung und Kindererzeugung forderte. Junggesellen konnte nicht Erbe sein und durften an öffentlichen Festen und Theatern nicht teilnehmen! Kinderlose Ehepaare wurden überall benachteiligt, Kinderreiche in jeder Hinsicht bevorzugt. 

Aber das Klimakterium Roms ließ sich nicht mehr abwenden. Die 22 Millionen, die 200 v.Chr. Italien bevölkerten, waren 350 n.Chr. auf 5 Millionen zusammengeschrumpft, trotz des starken Zuzuges von außen und der vielen Freigelassenen, die nun als Römer mitgerechnet wurden. Und bald darauf hatte Rom nur noch die Einwohnerzahl eines Dorfes.

»Was sollen uns Gesetze, wenn die Sitte ihnen nicht Kraft verleiht«, sagt Horaz in einem Gedicht. Statt Sitte würde man hier wohl richtiger übersetzen: Sittlichkeit.


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Die Lehre, die uns Sparta gegeben hat, wird durch das alternde Rom bekräftigt. Weder das spartanisch-einfache Leben noch die Üppigkeit und Schwelgerei waren der letzte Grund zum Niedergang, sondern die Stellung zu den letzten Problemen der Menschheit. Sie führte den verweichlichten Römer in den Tempel desselben Gottes wie den asketischen Spartaner. Es war auch hier der Gott des Zufalls, der Gott der Vernichtung.

Geistige Absage an die Zukunft führt zum Geburtenstreik (Sparta); Hoffnungslosigkeit auf materiellem Gebiet dagegen macht die Menschen verant­wortungslos hinsichtlich der Zahl der Kinder und führt dadurch zur Überproduktion. (Hungergebiete in Indien und Afrika; Minderwertige in den Großstädten.)

Bisweilen versuchte man, insbesondere im letzten Jahrhundert, mit List der Kurve der Geburten einen günstigen Verlauf zu geben. Steuerermäßigung bis zu 100%, Verbilligung von Strom und Gas und von Bahnfahrten, Wohnungsbeihilfen und anderes mehr wurde geboten; aber die Geburtenzahl änderte sich nicht. Wohl wurden Kinder gezeugt, um sich eine Wohnung zu beschaffen und einen Einkommenszuschlag zu ergattern. Als sich dann die Verhältnisse änderten, wurden viele dieser Kinder als »verfehlte Spekulation« schlecht behandelt.

Die Nazis vermochten z.T. durch Einrichtung von Menschengestüten eine Steigerung der Geburten zu erzwingen, die sich aber nicht auf die höheren Berufe erstreckte. In Rußland war zuerst die Abtreibung erlaubt. Als im Jahre 1935 ihre Zahl im ganzen Land die der normalen Geburten erreichte, als Moskau gegenüber 70.000 Geburten 155.000 Aborte aufzuweisen hatte, wurde 1936 die Erlaubnis wieder aufgehoben. Damals sprach die Iswestija von einer unerhörten Massenverkrüppelung der Frau. Heute sind hohe Belohnungen für große Kinderzahl ausgesetzt. 

In Bulgarien erhofft man sich neuerdings durch geburtenfördernde Mittel ein »planmäßiges« Anwachsen der Bevölkerung in 5 Jahren von 7 auf 10 Millionen. Drückende Steuern, die jeden treffen, der mit 20 Jahren noch keinen lebenden Nachkommen aufzuweisen hat, sollen in Ungarn die Einwohnerzahl steigern.

Kinder werden als Steuergutscheine gefertigt, Erwachsene werden zum Heiraten gezwungen. Asexuelle und Homosexuelle folgen zuerst diesem Ruf, um jeden Verdacht abzulenken, und die Zahl dieser Unglücklichen wird immer größer. Denn zu den Kindern dieser Abnormen kommen noch die immer neu auftretenden Mutationen, aus denen sich in Zeiten ohne Zwang in der Hauptsache diese sexuell Abnormen rekrutieren.


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Geburtenrückgang ist der Alptraum des Nationalisten, Geburtenzunahme die Sorge der Menschenfreunde und der Hungrigen, wobei Nationalist und Menschen­freund sehr wohl in derselben Brust vereinigt sein können. Wer eine Steigerung der Geburtenzahl wünscht, denkt an sein eigenes Volk und schaut dabei eifersüchtig auf den Nachbarn.

Heute aber geht es nicht mehr um einzelne Völker, sondern darum, daß unsere Erde bereits übervölkert ist und nicht nur hinsichtlich des Nahrungs­mangels, sondern vor allem im Hinblick auf die bereits überall sich zeigenden psychischen Pferchungsschäden.

Der unerwartete Geburtenanstieg in den letzten Jahren bei so vielen Völkern, auch bei solchen, die sich schon in hoffnungslosem Schwund der Bevölkerung zu befinden schienen, hat Malthus wieder lebendig werden lassen. Robert Malthus rief im Jahre 1798 zu einer Minderung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit auf. Man hörte ihn, man sprach über ihn in der Regierung und in den Salons, aber man überließ es allemal den anderen, die Lehre in die Tat oder richtiger in Tatenlosigkeit und Enthaltsamkeit umzusetzen. Malthus hatte keinen Erfolg.

Die Neomalthusianer, die heute Geburtenbeschränkung predigen, erwarten sich mit Recht nichts von Askese, wohl aber von Aufklärung und von der Empfehlung von Präventivmitteln. Zum Teil streben sie auch eine Freigabe der Abtreibung an. Auch die Königliche Kommission in England rät zur Geburten­kontrolle und empfiehlt, den Verkauf empfängnisverhütender Mittel freizugeben.

Der indische Vizepräsident Radhakrischnan führte vor der UNESCO aus, daß der jährliche Geburtenüberschuß seines Landes bereits 5 Millionen stark übersteige. Die Lebensmittelerzeugung aber hat seit 1940 um 10% abgenommen. Man bedenke, was es heißt, wenn sich in jedem Jahr an den Tisch der Hungernden noch mal 5 Millionen setzen und eine immer noch weiter gehende Kürzung der Hungerrationen fordern.1) Hier wurde Einschränkung der Geburten durch Aufklärung und Verteilung von Verhütungsmitteln als einzige Rettung erkannt. In Kerala zahlt der Staat jedem, der sich sterilisieren läßt, einen Betrag von etwa 22 DM. In Japan ist die Stimmung noch verschärft. Ärzte, Hebammen und Studenten werden hier zur Aufklärung vom Staat herangezogen. Und China folgt schon nach. Eine Geburten-Unterbrechungs-Wanderausstellung in Peking 1957 eröffnet, hatte starken Zulauf. Der Präsident der Universität Peking kämpft für die Aufklärung und Verhinderung der Zufalls-Schwangerschaften, z.Z. aber ist man an höchster Stelle wieder anderer Meinung und denkt an die primitive Formel, mit Bevölkerungsdruck Politik zu machen. 

 

1) 1943 verhungerten in Indien 3 Millionen. Und wieviel Kinder mußten so hungern, daß sie auf Lebenszeit geschädigt waren?


 

Tafel 11  #  Abb 18  #  Badestrand bei New York. Links schließt ein Vergnügungspark an. Bis zu einer Million Menschen treffen sich hier. Gezwungen zur Tuch- und Hautfühlung, führt der einzelne nur noch Brownsche Molekularbewegung aus. Bei solcher »Erholung« wächst der Bazillus the next, der Feind allen Behagens. 

 

19-22 Tropenkrankheiten, die durch die moderne Medizin ihre Schrecken mehr und mehr einbüßen.
Oben links: Lepra (Aussatz).
Oben rechts: Ein Schlafkranker, von Fliegenmaden befallen, die unter der Haut Gänge graben.
Unten links: Die Wunderspritze gegen Framböste.
Unten rechts: Pockenkranke Senegalesen im
Höhepunkt des Exanthemstadiums.

 


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In Japan geht die Geburtenzahl stark zurück, von 34,3 auf 1000 Einwohner 1948 auf 17,2 im Jahre 1957 (42.000 Sterilisationen wurden 1955 vorgenommen); aber immer noch nimmt es zu.

Bedeutsam ist die Stellungnahme von Papst Pius XII. Er erklärte, daß es Eheleuten unter bestimmten Umständen erlaubt ist, nur während der Empfängnis­pause miteinander zu verkehren und so die Empfängnis zu umgehen.

Man weiß nicht, ob die Geburtenkurve weiterhin in geometrischer Progression aufwärts gehen wird. Man weiß nicht, wie in Zukunft die Stärke der Einwohnerzahl der verschiedenen Völker sich gegenseitig verschieben wird. Dennoch läßt sich einiges über Geburtenverhinderung sagen.

Das Tier folgt seinem Trieb, ohne den Zusammenhang zwischen Geschlechtsverkehr und Erzeugung von Nachkommen zu kennen. Sind die Jungen da, so werden sie gemäß dem Instinkt der Mutter betreut. Dem denkenden Menschen blieb es vorbehalten, auch hier mit seinem Wollen und Nichtwollen diesen Urtrieb zu gebrauchen und zu mißbrauchen. Aber mit Reflexionen werden keine Kinder gezeugt. Fortpflanzungswille — so nennt man es, wenn der Mensch einer Selbstverständlichkeit folgt. Fortpflanzungsunlust ist die Erfindung des Menschen. Bei ihm entscheidet der Intellekt, ob Nachkommen wünschenswert sind, und wenn nicht, wie sie vermieden werden können. 

Wirtschaftliche Momente, mangelnde Kinderliebe oder der labile Gesundheitszustand der Mutter lassen oft nur eine begrenzte Kinderzahl als angemessen erscheinen. Was darüber hinaus zur Welt kommt, ist Zufallsprodukt, ist unerwünscht. Diese Kategorie der »Unerwünschten« ist etwas Unwürdiges für den Menschen. Sie verrät Ehrfurchtslosigkeit gegenüber dem Lebendigen und führt nicht selten dazu, daß Eltern und Kind in gleicher Weise darunter leiden. 

Die Aufklärung, daß nur in wenigen bestimmten Tagen zwischen der Regel eine Empfängnis möglich ist, und die Erfindung befruchtungsverhindernder, für die Gewebe unschädlicher Mittel könnte erreichen, daß die Zahl der »Unerwünschten« auf ein Minimum herabgedrückt wird. Wenn diese und deren Nachkommen wegfallen, dann ist das Problem der Ernährung in der Welt gelöst.

Wenn in einem Volk nicht mehr — 50 wie bisher — zum mindesten 10 bis 20 Prozent (wie die englische Kommission annimmt) der Neugeborenen teils ungewünscht, meist sogar unerwünscht sind, wenn diese Prozentzahl infolge der Aufklärung aller Schichten sich auf wenige Prozent herabmindern läßt, dann ist auch das häßliche Problem der Abtreibung so gut wie gegenstandslos geworden.

Man soll die Pflanze nicht erst säen und dann ausreißen. Man soll aber alles tun, daß der Same nur da keimt, wo er erhofft und gewünscht wird. Nur dies ist menschenwürdig.

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Es sind aber sehr viel mehr Unerwünschte.

1935, als die Abtreibung noch erlaubt war — nicht aber unterstützt wurde — kamen in Moskau auf 70.000 Geburten 155.000 Abtreibungen. Das sind rund 70 Prozent. Die Stadt gibt in dieser Hinsicht ein viel klareres Bild als das Land, da dort eine Unterbrechung viel leichter durchgeführt werden kann. Aber selbst bei diesen 70 Prozent muß man sich klar darüber sein, daß es sich um eine Mindestzahl handelt, da sich manche Frauen vor den Folgen eines Eingriffes fürchten oder aus religiösen oder finanziellen Bedenken ihn ablehnen.

70 Prozent der Kinder unerwünscht! Und um ihretwillen soll die Menschheit untergehen?

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Darüber hinaus steht noch eine staatliche Geburtenkontrolle zur Debatte.

Ich kann mir denken, daß sich über dieses Thema ein Buch schreiben ließe.

Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß schließlich anderes darüber zu sagen ist, als daß nur die Alternative besteht, entweder durch Aufklärung zu wirken oder durch drakonisch unmenschliche Maßnahmen.

Das eine aber sollte man allen Menschen klarmachen: daß bei gleichbleibender Vermehrung schon unsere Kinder einer Weltkatastrophe entgegengehen. Wir haben bereits Alarmstufe 1.

Die Hygiene hat den Hunger gebracht, weil sie allein und nicht mit der Aufklärung zusammen marschierte.

Und diese Bedrohung durch Hunger hat noch etwas anderes, viel Schlimmeres zur Folge. Sie hat eine eminent wichtige, den Menschen in seiner Entwicklung geradezu vernichtende Konsequenz: Der Nahrungsmangel wird wohl zunächst nur lokal zu Hungersnot und zu seuchenhaftem Sterben führen.

Ganz allgemein aber wird dann der Zwang zur sorgfältigsten Planung sowohl in Erzeugung als auch Verteilung alles beherrschen; er wird rigoros alle privaten wirtschaftlichen und Eigentums­entscheidungen unterbinden und zur kollektiven Teilnahme an Produktion und Verbrauch zwingen. 

»Unentrinnbar ist die Menschheit durch ihre Vermehrung einer gesetzmäßigen Abnahme der Wirtschaftsfreiheit unterworfen« (v. Zwiedineck-Südenhorst). Die Überbevölkerung führt über den Hunger zum extrem ausgebildeten Kollektiv. In diesem wird dann schließlich rigoros die Zahl der erlaubten Kinder bestimmt. Dann wird die Menschheit den Wohlfahrtsstaat erleben, der alle verhungern läßt, die nicht bereit sind, seine Wohlfahrten zu erdulden. 

Dem einzelnen wird das Letzte an Selbstbehauptungslust und Lebensfreude und an selbsterworbener Wohlfahrt genommen. Das Ende wird dann sein: der geistig zurückgesunkene, jedem höheren Streben entrückte Kollektivmensch. Je dichter gedrängt die Menschen, um so härter stoßen ihre Ellbogen in Gier, Neid, Haß und Lebensangst.

Nochmal sei herausgestellt: Die Überbevölkerung trifft nicht nur unseren Magen, sondern vor allem und entscheidend unsere Seele. Diese verhungert schneller als der Magen. So müssen wir bekennen: Unsere Erde ist bereits übervölkert.1

Die Menschheit aber hat wohl genug gesunden Lebenswillen, um den rechten Weg zu erkennen und auch zu gehen.
So dürfen wir wohl hoffen.

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1) Ausführlicher in: R. Demoll. Nahrungsproduktion der Erde und Bevölkerungspolitik. Hippokrates 1959.

 

 

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Bändigt den Menschen: Ketten für Prometheus - Gegen die Natur oder mit ihr?  (1957) Professor Reinhard Demoll