Kapitel 1       Start    Weiter 

Die Nacht danach 

 wikipedia  The_Day_After_-_Der_Tag_danach  (1983)     Audio 2006 dlf  

 

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"Wahrscheinlich würde es Überlebende geben. In jedem Fall aber würden die Formen menschlicher Gesell­schaften, wie wir sie heute kennen, mit ziemlicher Sicherheit aufgehört haben zu existieren." Mit dieser lakonischen Schlußbemerkung endet eine von der Schwedischen Akademie der Wissenschaften mit inter­nationaler Beteiligung ausgearbeitete und 1982 veröffentlichte Studie über die akuten und langfristigen Folgen eines auf der nördlichen Halbkugel ausgefochtenen globalen Atomkriegs (AMBIO).21

Die Autoren gehen davon aus, daß dieser Krieg von einem "begrenzten Einsatz taktischer Kernwaffen" aus­ge­löst wird und anschließend rasch eskaliert. Innerhalb einiger Tage würde dann etwas weniger als die Hälfte der den Supermächten insgesamt zur Verfügung stehenden Sprengkraft von 12.000 Mega­tonnen eingesetzt werden. 

(Am Rande: 12.000 Megatonnen entsprechen der Wirkung von einer Million Hiroshima-Bomben oder rund drei Tonnen TNT für jeden einzelnen Menschen auf der Erde, ob Mann oder Frau oder Kind.)

Es führte hier zu weit, die sehr detaillierten Überlegungen, Voraussetzungen und Methoden zu beschreiben, welche die an der Studie beteiligten Wissen­schaftler ihren Zahlen und Berechnungen zugrunde gelegt haben. Wer sich dafür interessiert, sollte die Original­publikation lesen.21  

Nur zwei Punkte seien erwähnt: Mit einer bei aller distanzierten Sachlichkeit zwischen den Zeilen deutlich spürbaren Überraschung stellen die Wissen­schaftler fest, daß es gar nicht leicht war, für alle der in ihren Computer­modellen "eingesetzten" insgesamt 14.737 Gefechtsköpfe überhaupt "lohnende" Ziele zu finden. 

Und dies, obwohl sie - neben allen denkbaren militärischen Zielen selbstverständlich - weder in den USA, Kanada, West- und Osteuropa sowie der UdSSR, China, Japan und beiden Koreas, in Vietnam und Australien noch in Südafrika und Kuba auch nur eine einzige Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern "vergaßen": Bis zu einer Million Bewohnern wurde jedes dieser Ballungsziele mit einer Megatonne bedacht (zur wirksameren Streuung verteilt auf vier Sprengköpfe). Ab einer Million gab es drei Megatonnen. Riesenstädte mit mehr als drei Millionen Einwohnern hatten zehn Megatonnen (zehn 500-kt- plus fünf 1-Mt-Sprengköpfe) zu erwarten.

Eine Zwischenbemerkung:  

Niemand sollte sich Illusionen darüber hingeben, daß in einem "totalen Nuklear­krieg" internationale Abkommen zum Schutz der Zivilbevölkerung wie zum Beispiel die Haager Land­kriegs­ordnung oder andere, neuere Abkommen oder gar humanitäre Überlegungen allgemeiner Art den gezielten Angriff auf zivile Ballungszentren verhindern könnten. Ganz abgesehen davon, daß es kaum eine größere Stadt geben dürfte, die nicht als "kriegswichtig" einzuordnende Ziele enthält — seien das nun Verwaltungs­zentren, Industriebetriebe, Raffinerien, Bahnhöfe, Kasernen oder Brücken —, wurde die gegnerische Bevölkerung ja schon im letzten Krieg von allen kriegführenden Parteien als Bestandteil der verteidigungs­wichtigen Infrastruktur angesehen und entsprechend "behandelt".

Hier ein einziger Beleg für die Selbstverständlichkeit, mit der diese Betrachtungsweise schon in Friedens­zeiten das strategische Denken beherrscht. Den Einwand, die Sowjetunion könnte die Drohung mit einem amerikanischen Zweitschlag womöglich durch eine Evakuierung ihrer Städte konterkarieren, widerlegte der frühere US-Vereidigungs­minister Harold Brown mit dem Hinweis darauf, daß ein paar Telefonanrufe genügen würden, um die nuklearen Waffen Amerikas auf neue Ziele zu richten und damit auch die "Sammelstellen für die Evakuierten einzudecken"

(Es besteht Anlaß, vor der erstaunlich verbreiteten, unglaublich naiven Auffassung zu warnen, die ausschließlich den Amerikanern strategische Überlegungen auf solchem Niveau zutraut — nur deshalb, weil die östlichen Militärs und Nuklearstrategen infolge der "Geschlossenheit" ihrer Gesellschaft keine Gelegen­heit haben, sich in so entlarvender Weise zu äußern.)

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Bei der Beurteilung der folgenden Resultate der Wissenschaftler-Studie ist außerdem zu berücksichtigen, daß die Autoren ihren Abschätzungen bei allen Rechen­schritten vorsichtshalber stets die "konservativste" — zurück­haltendste — Annahme zugrunde gelegt haben (und daß sie zum Beispiel die gravierenden Konse­quenzen der Zerstörung ziviler Kernreaktoren überhaupt außer Betracht ließen).

 

Im Rahmen dieser Annahmen würde sich ein "totaler Nuklearkrieg" voraussichtlich etwa folgender­maßen abspielen: 

In den ersten dem interkontinentalen Nuklearschlag beider Kontrahenten folgenden Minuten würden von den 1,3 Milliarden Stadtbewohnern der Zielgebiete 750 Millionen Menschen durch Strahlung, Hitze und die Folgen der Druckwelle getötet. 340 Millionen wären durch Verbrennungen, Knochenbrüche und Bestrahlung geschädigt. Unverletzt würden diese ersten Augenblicke des nuklearen "Schlagabtauschs" nur 200 Millionen Menschen in Ost und West überstehen. (Und noch so viele Schaufeln würden daran nicht das geringste ändern.)

Diese Überlebenden würden sich in einer Situation wiederfinden, für die es in der menschlichen Geschichte kein Beispiel gibt. Die ihnen zeitlebens gewohnte Welt wäre innerhalb der Zeitspanne eines Augenblicks verschwunden. Die fremdartige Trümmerwelt, die an ihre Stelle getreten ist, wäre infolge des von der Explosion aufgewirbelten Staubs und des Rauchs der überall ausbrechenden Brände in ein unwirkliches Zwielicht getaucht. 

Die Luft wäre erfüllt von dem Lärm zahlloser kleinerer Explosionen von Ölheizungstanks und Gasleitungen und von dem Krachen zusammen­stürzender Trümmer. Durch alle diese Geräusche hindurch wären die Hilferufe und das Stöhnen der Schwerverletzten und Sterbenden zu hören, deren Zahl die der unverletzt Gebliebenen fast zweifach überstiege. Es wäre nur unter Schwierigkeiten möglich, in diesem Chaos die verletzten und hilfsbedürftigen eigenen Angehörigen zu finden und zu identifizieren.

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Dafür und zum Versuch der Hilfe (wie und womit? Es gibt nicht einmal mehr Wasser) bleibt außerdem kaum Zeit. Denn wer von den noch Gehfähigen auch nur die nächsten Stunden überleben will, muß sich beeilen, möglichst schnell aus dem Kern des Explosionsgebietes herauszukommen, bevor brennender Asphalt und Sauerstoffmangel im Verein mit dem rasch anhebenden Feuersturm — die Angriffe auf Hamburg und Dresden haben davon im letzten Krieg einen kleinen Vorgeschmack gegeben — ihm den Weg abschneiden.

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Erneute Zwischenbemerkung: 

Ich weiß, daß ich mir mit dieser Darstellung aus einer ganz bestimmten Ecke den Vorwurf auf den Hals ziehen werde, ich schilderte "mit lustvoll-morbider Akribie die Folgen eines totalen Atomkriegs", wie es der politische Redakteur Josef Joffe vor einiger Zeit Jonathan Schell und seinem Buch <Das Schicksal der Erde> in der Zeit vorgeworfen hat.22

Ich muß das in Kauf nehmen. Gegen die Unterstellung, der Versuch einer realistischen Beschreibung dieser Folgen entspringe dem Bedürfnis nach morbidem Lustgewinn, kann man sich nicht mehr wehren.

Auf die voraussehbare Gefahr hin, daß meine Kritiker das morbide Bedürfnis nunmehr in die mir unzu­gäng­lich­en unbewußten Tiefen meiner Seele verlegen werden, beharre ich darauf, daß dieser Versuch unumgäng­lich notwendig bleibt, solange auf den für die Sicherheit unserer Gesellschaft entscheidenden Positionen noch immer Männer wie Eugene Rostow, "TK" Jones, Louis Giuffrida und ihnen geistes­verwandte Kollegen sitzen, die diese Realität vor sich selbst, ihren Dienstoberen und vor der Öffentlichkeit zu einer "schrecklichen Geschichte" herunterlügen, die letztlich "in den Griff zu bekommen" sei.

Zwar werden diese Männer Darstellungen wie diese nicht lesen. Und wenn sie sie lesen sollten, dann werden sie die Schilderung von sich weisen in der Überzeugung, sie allein seien kompetent und urteilsfähig (oder, indem sie sie à la Joffe als Ausdruck morbiden Luststrebens verleumden). 

Aber vielleicht gelingt es dafür, die potentiell betroffenen Mitmenschen aus ihrer Lammsgeduld aufzuschrecken und an ihre demokratischen Rechte zu erinnern, zu denen auch das Recht gehört, Leute wie "TK" aus ihren Posten zu verjagen, in denen sie Unheil anrichten könnten.

detopia: Jonathan Schell

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Ich muß es daher meinen Lesern (und nicht zuletzt auch mir selbst) zumuten, die realistische Schilderung der Folgen eines "totalen Nuklearkriegs" fortzusetzen, die, woran gleichzeitig nochmals erinnert sei, nicht eigenen morbiden Phantasien entsprungen ist, sondern den kühlen elektronischen Eingeweiden der Computer eines internationalen Gremiums angesehener Wissenschaftler.

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Die akuten Folgen eines Weltkriegs mit Nuklearwaffen sind, so übertrieben die Behauptung in manchen Ohren zunächst klingen mag, noch keineswegs die schlimmsten. So unüberbietbar das Grauen für die Betroffenen auch wäre, nach Ansicht der AMBIO-Autoren würde etwas mehr als ein Sechstel der Stadt­bevölkerung der kriegführenden Parteien die erste Phase der Ausein­andersetzung überleben: etwa 200 Millionen an der Zahl. 

Würden sie sich nicht an den Wiederaufbau machen und die uns gewohnte Welt "innerhalb weniger Jahre" erneut auferstehen lassen können, wie Eugene Rostow und seine Kollegen uns beruhigend versichern? Und geht daher womöglich wirklich als "Sieger" aus der nuklearen Schlacht hervor, wer es fertigbringt, mindestens fünf Prozent seiner Bevölkerung durch das Inferno unverletzt hindurchzuretten, wie es der amerikanische Vizepräsident George Bush als Vorbedingung für einen "siegreichen" Ausgang forderte? 23) 

Und wäre das, wenn es sich bei diesen fünf Prozent um amerikanische Bürger handelte, ungeachtet allen Grauens nicht vielleicht doch der einzige Weg, auf dem es sich endlich bewerkstelligen ließe, definitiv eine "Weltordnung [herzustellen], die den westlichen Wertvorstellungen entspricht", wie der amerikan­ische Regierungsberater Colin Gray es in einem offiziellen Artikel formulierte? 24

Und nicht zuletzt: Gibt es eigentlich irgendeinen Grund anzunehmen, daß ähnliche apokalyptische Versuchungen in den Gehirnen östlicher Politiker und Nuklear­strategen weniger lebhaft herumspuken?

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Vor dem Hintergrund dieser (und zahlreicher vergleichbarer) von Persönlichkeiten des "öffentlichen Lebens" wiederholt und mit nachdrücklicher Überzeugung vorgetragenen Ansichten ist es notwendig — da möglicherweise lebensrettend — über das akute Inferno hinaus auch die Spätfolgen eines "totalen Nuklear­kriegs" mit "morbider" Detailtreue aus dem Dunkel der Verdrängung hervorzuholen. 

Auch die an der AMBIO-Studie beteiligten Wissenschaftler hatten anfangs Hemmungen, die Aufgabe überhaupt in Angriff zu nehmen. Angesichts des akuten Grauens erschienen ihnen Überlegungen hinsichtlich möglicher langfristiger Folgen als zweitrangig, ja als unangebracht.

Als sie sich dann doch an die Arbeit machten, zeigte sich rasch, daß sie gut daran getan hatten: Die langfristigen Folgen übertrafen alle Befürchtungen. Sie ließen jeden Gedanken an erreichbare "Kriegsziele", jeden Gedanken überhaupt an die Möglichkeit, einen Krieg mit Kernwaffen als "Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" zu betrachten, als eine Option erscheinen, die nur ein Wahnsinniger oder ein Selbstmörder ins Auge fassen könnte.

 

Zu ihren gravierendsten Ergebnissen zählen die Resultate, zu denen Paul J. Crutzen kam, Direktor des Mainzer Max-Planck-Instituts für Chemie und international anerkannter Fachmann für "atmosphärische Chemie".

Ursprünglich war man davon ausgegangen, daß die Pilzwolken von einigen tausend atomaren Explosionen solche Mengen an Stickoxiden in die Stratosphäre transportieren würden, daß deren als Ultraviolettfilter wirkender Ozongehalt weitgehend abgebaut würde. Die entsprechend vermehrte Ultraviolettstrahlung auf der Erdoberfläche würde einen Anstieg der Häufigkeit von Hautkrebs bewirken, das empfindliche Meeresplankton — das erste Glied einer der wichtigsten irdischen Nahrungsketten und den Hauptproduzenten von freiem Sauerstoff — schädigen und bei Mensch und Tier Trübungen der Augenlinsen (Katarakte) mit nachfolgender Erblindung hervorrufen. 

Aber, so ernst diese Konsequenzen auch immer sein würden, "dennoch", schreibt Crutzen, "träten diese Wirkungen neben den unmittelbaren Folgen der Kernwaffen in den Hintergrund. Unter diesem Aspekt und deshalb mein anfängliches Unbehagen schien es überflüssig, sich mit dem Problem des ›Nachher‹ auseinanderzusetzen." 

Inzwischen hat Crutzen seine Ansicht geändert.

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Viel folgenreicher wären, so fand er heraus, die an Zahl weit überwiegenden Explosionen der kleineren und mittleren Sprengköpfe, welche die Nuklear­strategen seit einigen Jahren bevorzugt in Auftrag geben, weil sie, von immer zielgenaueren Raketen getragen, über die Androhung "blinder" Zerstörung hinaus neue strategische und sogar taktische Optionen eröffnen. Ihre Feuerbälle wirken nur bis in Höhen von etwa zwölf Kilometer, bleiben also innerhalb der für alle klimatischen Abläufe zuständigen "Troposphäre". 

Hier aber würde die von jeder einzelnen Explosion bewirkte Entstehung von Stickoxiden unter dem Einfluß des Sonnenlichts photochemische Reaktionszyklen in Gang setzen, die eine beträchtliche Erhöhung des Ozongehalts in den unteren Atmosphäreschichten zur Folge hätten. Ozon in den dann auftretenden Konzentrationen aber wirkt schleimhautreizend und lungenschädigend, außerdem beeinträchtigt es das Pflanzenwachstum.

 

Bisher völlig übersehene Folgen aber würden vor allem die nach einem globalen Atomkrieg auftretenden ausgedehnten Flächenbrände nach sich ziehen.

"Merkwürdigerweise", so Crutzen, "ist dieses an sich naheliegende Problem nie vorher behandelt worden." Brennen würden nicht nur Städte und Industrie­anlagen, nicht nur mehr als eine Milliarde Tonnen Kohle, Öl und Gas, sondern auch Getreidefelder, Grasland und "mindestens eine Million Quadrat­kilometer Wald"

Die dabei entstehenden Rauch- und Rußschwaden würden innerhalb von Tagen "etwa 60 Millionen Quadrat­kilometer Land mit einer hoch in die Atmosphäre reichenden, fast alles Sonnenlicht absorbierenden Schicht überdecken. Innerhalb von ein bis zwei Wochen würde sich diese Schicht fast über die gesamte Nordhalbkugel ausdehnen und dabei auch die Ozeane überspannen — und das, obschon nur etwa ein Prozent der gesamten Landfläche direkt von den Bränden erfaßt wäre".

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Als Folge davon würden fast auf der gesamten Nordhalbkugel für die Dauer von mindestens zehn bis zu dreißig Tagen höchstens noch zehn, möglicherweise aber nur noch ein Prozent des Sonnenlichts bis zum Erdboden durchdringen. 

Es gäbe keinen <Tag danach>, wie ihn der die Katastrophe unfreiwillig verharmlosende Holly­wood­film* desselben Titels zu beschreiben versuchte, sondern eine lange Nacht

Die Menschen, Gesunde, Verletzte und Sterbende, würden auch nicht in Hemdsärmeln herumliegen. Sie würden schlottern vor Kälte, da die Temperaturen unter den geschilderten Bedingungen selbst im Hochsommer bis unter den Gefrierpunkt absänken (und im Winter bis auf in unseren Breiten sonst unbekannte arktische Minuswerte). Was an Getreide und Futterpflanzen auf den Feldern nicht verbrannt wäre, würde diesem Klimasturz zum Opfer fallen.

Und um zu ermessen, was Nahrungsmangel und winterliche Temperaturen für Überlebende bedeuten würden (von den Verletzten und Strahlenkranken ganz zu schweigen), die weder über feste Unterkünfte noch über Heizmöglichkeiten verfügen, braucht man keinen Computer.

 

Als ob das alles noch nicht genug wäre:  

Es würde auch kaum noch trinkbares Wasser geben. Klaus Wetzel, Direktor des Strahlenforschungsinstituts der DDR in Leipzig, ebenfalls Mitglied des AMBIO-Gremiums, berechnete die Mengen und die Verteilung der durch die Explosionen freigesetzten radioaktiven Isotope. Er kam dabei unter anderem zu dem Ergebnis, daß diese strahlenden Nebenprodukte der Katastrophe die meisten — künstlichen und natürlichen — Trinkwasserreservoire auf Jahre hinaus verseuchen und Regenwasser auf Wochen hinaus in ein absolut tödliches Gift verwandeln würden.

Es überrascht nach alledem nicht mehr, wenn man in dem AMBIO-Report auf die — ebenfalls mit vielen Details begründete — Vorhersage der an der Untersuchung beteiligten Mediziner stößt, daß die von allen diesen Übeln geplagten, unterernährten und frierenden Überlebenden von epidemisch auftretenden Durchfällen, Tuberkulose und infektiöser Hirnhautentzündung dezimiert werden.

 

*(detopia-2008): "The Day After" - Mittlerweile ist dieser Film ein 'ehrlicher' Film geworden, weil das Niveau von Hollywoodfilmen über Ökopax kontinuierlich gesunken ist. (Letztes Machwerk: "The Day After Tomorrow")    wikipedia  The_Day_After_-_Der_Tag_danach 

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Die psychische Verfassung von Menschen, die unter solchen Bedingungen zu "überleben" haben, und die Qualität der zwischen­menschlichen Beziehungen, die sich in einer solchen Atmosphäre heraus­bilden dürften, entziehen sich einer wissenschaftlichen Prognose. 

Aber man versteht, warum George Woodwell, Direktor des ökologischen Zentrums am weltweit renommierten <Marinebiologischen Laboratorium> in Massachusetts, seinem für AMBIO ausgearbeiteten sachlich-kühlen Report über die biologischen Folgen ionisierender Strahlung für die irdischen Ökosysteme folgende Schlußbemerkung hinzugefügt hat: 

"Ein realistischer Blick auf die nach einem nuklearen Angriff herrschende Situation führt zu der Annahme, daß ein rasches, barm­herziges Verbrennen in einem Feuerball a quick, merciful roasting in a personal fireball wohl doch das bessere Los sein würde."

Bleibt, um das Bild abzurunden, noch die Frage, wie lange die geschilderten lebensfeindlichen Verhältnisse — Dunkelheit und Kälte vor allem — anhalten würden und ob nicht, selbst wenn wir Mitglieder der modernen Industriegesellschaft (in diesem Falle nicht unverdient, wie mir scheint) dafür ausfielen, eine Erholung der Welt denkbar wäre, die von den direkt gar nicht betroffenen Staaten der Dritten Welt, etwa in Afrika oder Südamerika ihren Ausgang nähme.

Die Aussichten, die der AMBIO-Report uns in dieser Hinsicht läßt, sind wenig ermutigend. Die Dauer der "postnuklearen Nacht" und des "Winters im Sommer" läßt sich schwer abschätzen, denn "der Zustand der Atmosphäre als Ganzes, ihr Temperatur­gefüge, ihr Wind- und Wasserhaushalt lägen so fernab von allen üblichen Bedingungen, daß sie durch kein Modell auch nur annähernd faßbar sind" (P. Crutzen). 

Jedenfalls aber wäre "der übliche Wettermotor ... besonders über den Festländern praktisch ausgeschaltet". Die Temperatur­verhältnisse innerhalb der Troposphäre wären auf den Kopf gestellt: Die bodennahen Schichten wären winterlich kalt, die höheren, das Sonnenlicht absorbierenden Schichten würden sich dagegen zunehmend erwärmen.

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Daher ist zu befürchten, daß diese die vertikale Durchmischung der Luft stark unterdrückende anomale Schichtung die Verweil­dauer der Staub- und Rußpartikel "erheblich" über die vorsichtshalber zugrunde gelegten nur "zehn bis dreißig Tage" hinaus verlängern würde — denn diese zehn bis dreißig Tage sind das Resultat einer "auf der Grundlage normaler Bedingungen kalkulierten Verweilzeit". Dann würden die lichtabsorbierenden Schwebeteilchen höher hinauf, bis in die Stratosphäre, steigen, "wo sie einerseits ebenfalls länger verweilen, sich aber über die südliche Hemisphäre verbreiten könnten." 

Selbst wenn diese schlimmste Konsequenz ausbliebe, würden die klimatischen Folgen der nuklearen Katastrophe "die Menschheit stärker als die direkten Wirkungen der Kernwaffen treffen."

Auch die am Konflikt gänzlich unbeteiligten Länder der Dritten Welt blieben in keinem Fall verschont. Sollte ihnen die Ausbreitung des "postnuklearen Winters" bis in ihre Regionen erspart bleiben — mit der jedoch aufgrund der von Crutzen analysierten Zusammenhänge gerechnet werden muß —, wären sie zumindest von den Folgen des totalen Zusammenbruchs einer jeglichen Form von "Weltwirtschaft" betroffen. Der Nachschub von Brennstoffen, insbesondere von Erdöl, aber auch der von Kunstdünger und anderen industriellen Produkten würde abrupt aufhören. Schwere Hungersnöte und nachfolgende soziale Unruhen wären auch in diesen Ländern, in denen nicht eine einzige Kernwaffe explodierte, die unausbleibliche Folge. 

Yves Laulan, Wirtschaftswissenschaftler am <Institut d'Etudes Politiques> in Paris und Vorstandsmitglied der <Societe Generale>, der größten französischen Bank, hat im Rahmen des AMBIO-Teams die wirtschaftlichen Folgen eines "totalen Nuklearkriegs" für die Länder der Dritten Welt untersucht. Er schätzt die durch Hunger und Krankheit verursachten Menschenopfer in diesen vom Konflikt direkt gar nicht betroffenen Regionen der Erde langfristig auf "eine Milliarde oder mehr".

Also, auf lange Sicht, doch keine Überlebenden? 

Das wäre wohl möglich. Aber auch in dieser Hinsicht sind die an der Studie der Schwedischen Akademie der Wissenschaften beteiligten Autoren ihrem Vorsatz treu geblieben, in Zweifelsfällen immer von der zurück­haltenderen Annahme auszugehen. Der Schlußabsatz ihres 162 Seiten umfassenden Reports lautet:

"Obwohl die hier beschriebenen, von einem nuklearen Krieg bewirkten Erschütterungen weitreichend und schrecklich wären, würde es wahr­scheinlich Überlebende geben. Deren Schicksal wäre jedoch äußerst ungewiß. Die menschliche und soziale Umwelt, in der sie leben müßten, liegt weit außerhalb unseres Vorstellungs­vermögens. 

Mit den Zerstörungen und der Verseuchung - infolge der akuten Phase des Krieges selbst - könnten sich langfristige Veränderungen der natürlichen Umwelt verbinden, welche die Bemühungen der Überlebenden um einen Wiederaufbau ernstlich in Frage stellen würden.

In jedem Fall aber würden die Formen menschlicher Gesellschaften, wie wir sie heute kennen, mit ziemlicher Sicherheit aufgehört haben zu existieren."  

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 General Butler bei detopia 

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