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  Der Mythos von der "russischen Überrüstung"  

 

 

175-191

Die Angst vor der "russischen Bedrohung" hat in unserer Gesellschaft längst wieder einen Grad erreicht, der die Realitäten zu entstellen beginnt. Und der jeden, der auf diese beängstigende Verfälschung unserer Sehweise aufmerksam zu machen versucht, der Gefahr aussetzt, als "Handlanger sowjetischer Interessen" oder als "Kolporteur sowjetischer Desinformation" verteufelt zu werden.

Es ist nicht zuletzt dieses Phänomen, das der heute herrschenden Atmosphäre den unverwechselbaren Geruch einer "Vorkriegsära" verleiht. Man darf sich davor nicht fürchten. Man muß versuchen, die Attacken so zu ertragen, wie ein Psycho­analytiker die Abwehr hinzunehmen gelernt hat, mit der ein neurotischer Patient sich gegen die Aufarbeitung seines Verfolgungswahns sträubt. Der Vergleich mag in manchen Ohren hart klingen. Es wird aber noch einsichtig werden, wie präzise die Analogie ist. 

Es hilft auch, sich daran zu erinnern, daß sehr viel Größere, Menschen, deren moralische Integrität niemand anzuzweifeln wagen würde, keine bessere Erfahrung gemacht haben. Man habe es leider, so schrieb Albert Schweitzer am 17. Juli 1961 (!) in einem Brief aus Lambarene, "mit verblödeten Staats­oberhäuptern zu tun, die mit der Atombombe spielen". Und: Wer sich zum Anwalt der Vernunft mache, müsse damit rechnen, "als Communist gebranntmarkt" zu werden. Mehr falle den "Wider­sachern der Humanität leider nicht ein".69

Deshalb sei hier unverdrossen der Versuch gemacht, anhand einiger von jedermann nachprüfbarer Beispiele daran zu erinnern, daß es auch Fälle westlicher "Desinformation" gibt und gegeben hat. Dies nicht, um russische Propagandakampagnen zu rechtfertigen oder "das eigene Nest zu beschmutzen". Sondern deshalb, weil nur eine realistische, von emotionalen Verfälschungen freie Sicht der Dinge zweckmäßige Entscheidungen ermöglicht. 

Allein deshalb also, weil es "dem eigenen Lager nützt", will ich versuchen, die Köpfe derer, die dem Mythos von der russischen Überrüstung verfallen sind, zu ein wenig Nachdenk­lichkeit anzustiften.

 

Die Überzeugung, daß sich der systemimmanente Expansionismus des Sowjetregimes seit dem Ende des letzten Krieges in einer fortwährenden Aufrüstung dokumentiert habe, mit welcher der Westen nur unter Mühen habe Schritt halten können, ist fraglos weit verbreitet. Dergleichen die Ansicht, daß der Westen unter dem verführerischen Einfluß der für sein System charakter­istischen Friedensliebe stets der Versuchung ausgesetzt gewesen sei, es an den zu seinem Schutze notwendigen Rüstungs­anstrengungen fehlen zu lassen, wie sich dann insbesondere in den Jahren der sogenannten "Entspannungs­politik" in erschreckendem Ausmaß erwiesen habe.

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Die Amerikaner hätten ihre "nuklearstrategische Zerstörungskapazität auf ein Viertel dessen (vermindert), was sie zu Beginn der sechziger Jahre besessen hatten", sagte Helmut Kohl in der Nachrüstungsdebatte, und er fuhr fort: "Für die Europäer und für uns Deutsche... ist der Verlust der nuklear-strategischen Überlegenheit der USA eine der folgenreichsten Entwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte."

Ihm assistierend schlug Alfred Dregger in die gleiche Kerbe: Zu den heutigen Realitäten gehöre "die unveränderte offensive Zielsetzung der sowjetischen Politik und die gerade unter dem Deckmantel der Entspannung massiv betriebene Aufrüstung". Anders als der Westen habe die Sowjetunion "seit 1945 niemals abgerüstet. Sie hat immer aufgerüstet, und sie betreibt seit 15 Jahren eine Hochrüstung, für die es in der Geschichte der Menschheit, jedenfalls in Friedenszeiten, kein Beispiel gibt". Das "Weißbuch 1983 zur Sicherheit der Bundesrepublik ... berichtet nüchtern über die Fakten".

Nichts davon ist wahr. Auch Dreggers Behauptungen geben tendenziös nur die halbe Wahrheit wieder. Wenn man die andere Hälfte hinzufügt, die in allen Debatten­beiträgen der "Nach"-Rüstungs-Befürworter ausnahmslos verschwiegen wurde, wird man daran erinnert, wie vortrefflich sich mit halben Wahrheiten lügen läßt. 

Ich möchte jedoch ausdrücklich betonen, daß hier niemandem bewußte Unehrlichkeit unterstellt werden soll. Mir liegt ganz im Gegenteil gerade daran zu zeigen, wie sehr der von Bedrohungs­ängsten ausgehende psychologische Druck die Fähigkeit außer Kraft setzen kann, nachprüfbare Fakten und Zusammen­hänge noch objektiv wahrzunehmen.

Horst Afheldt schreibt zu diesem Punkt in seinem wichtigen, jede einzelne Angabe präzise dokumentierenden Buch66/3: "Die These von ungeheuren russischen Rüstungs­aufwendungen stimmt. Aber die Rüstungs­aufwendungen der NATO sind noch größer". Die Behauptung in Ziffer 7 des Weißbuchs der Bundesregierung 1983, die Sowjetunion habe "seit Mitte der sechziger Jahre Rüstungs­anstrengungen unternommen, die ohne Beispiel sind", sei deshalb falsch.   wikipedia Horst Afheldt (1924-2016, 91)

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In einer gewiß unverdächtigten Quelle — einer Veröffentlichung des amerikanischen Verteidigungs­minister­iums aus dem Jahre 1981 — wird festgestellt, daß die Rüstungsanstrengungen der NATO (ohne Frankreich!) bis 1964 fast doppelt so hoch waren wie die des ganzen Warschauer Pakts, der erst 1980 fast aufschloß.70

Frage: Wer hat da "vor"- und wer hat "nach"-gerüstet?

Dieselbe Quelle: In der Zeit von 1964 bis 1980 — also auch während der ganzen "Entspannungs­periode" — gab der Warschauer Pakt umgerechnet 3200 Milliarden, die NATO (wieder ohne Frankreich gerechnet!) dagegen 4000 Milliarden, also 800 Milliarden Dollar mehr für Rüstungszwecke aus.

Wie unter diesen Umständen in ein offizielles Weißbuch der Bundes­regierung die zitierte, in der Nachrüstungsdebatte selbstverständlich mit dem entsprechenden Nachdruck verwendete Behauptung hineingeraten konnte, verrät einem niemand.

Frage: Ein (bei einem so offiziellen Dokument einigermaßen erstaunliches) Versehen — oder ein Beispiel für westliche "Desinformation"?

Auch die von Kanzler Kohl in seiner Eröffnungsrede aufgestellte Behauptung, daß die Sowjetunion seit 1945 "immer aufgerüstet" habe, ist unbestreitbar. Auch sie stellt dennoch eine wahrhaft umwerfende Verdrehung des tatsächlichen Ablaufs dar, weil sie die Hälfte der Wahrheit unterschlägt, die hier mit der nebenstehenden Aufstellung ergänzend hinzugefügt sei (zusammengestellt aus jedermann zugänglichen Daten).

In der Tat, "die Russen" haben seit 1945 pausenlos gerüstet — und sie hatten alle Mühe, dabei den Anschluß nicht zu verpassen an den Rüstungsstand der Amerikaner, die ihnen immer und ausnahmslos einen Schritt voraus waren. Dies hat seinen Grund gewiß nicht in einer die sowjetische noch übertreffenden amerikanischen Kriegslüsternheit. Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfen wir als Ursache einfach die überlegene Innovationsfähigkeit amerikanischer Technologie ansehen.

Immerhin aber genügt diese vergleichende Aufstellung, um die aus Kanzlermund stammende, für sich genommen unwiderlegbare Behauptung (die Russen hätten seit 1945 "immer aufgerüstet") als "Desinformation" durchschauen zu können.71

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Übersicht über das Jahr der Einführung
jeweils neuer Waffensysteme:

in den USA 

in der UdSSR

Atombombe  

Wasserstoffbombe 

taktische Kernwaffen     

Interkontinentalraketen 

Atom-U-Boote  

U-Boot-Raketen 

Interkontinentale Feststoffraketen

Mehrfachsprengköpfe

getrennt steuerbare Mehrfachsprengköpfe

1945 

1953   

1955  

1955 

1956

1959 

1962

1964 

1970  

1950 

1954

1956

1957

1962

1968 

1969 

1972

1975 

 

Nicht besser steht es um die Belegbarkeit der Kohlschen Aussage, die Amerikaner hätten ihre "nuklear­strategische Zerstörungskapazität" auf ein Viertel des Standes der beginnenden sechziger Jahre vermindert. Es ist mir nicht gelungen, eine Quelle ausfindig zu machen, welche den Kanzler zu dieser kühnen Aussage veranlaßt haben könnte.

Dagegen habe ich in den von mir benutzten Quellen (s. Anm. 66/2 und 66/3) bestätigt gefunden, was ohnehin jedermann weiß: nämlich daß die Amerikaner seit dem Ende der fünfziger Jahre unter dem Vorwand einer angeblich bestehenden "Raketenlücke" dazu übergingen, jene das Maß ausreichender Abschreckungs­drohung irrational übersteigende nukleare "Overkill-Kapazität" aufzubauen, welche die Russen, dem amerikanischen Beispiel ein weiteres Mal folgend, sich anschließend dann auch zugelegt haben.

"Ungezählte (amerikanische) Wissenschaftler kehrten nach dem Kriege nicht in die Laboratorien ihrer Universitäten zurück, sondern arbeiteten weiter in den Forschungseinrichtungen der Rüstungsindustrie", stellen Garrison und Shivpuri in ihrem wichtigen, minuziös dokumentierten Buch <Die russische Bedrohung>72 fest. 

Ist das so schwer zu verstehen? 

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Wo sonst kann ein intelligenter, ehrgeiziger und junger Wissenschaftler bei hoher Bezahlung auf einem in allen wirtschaftlichen Wechselfällen als sicher anzusehenden Arbeitsplatz die Realisierbarkeit seiner Geistesblitze mit nahezu unbeschränkten finanziellen Mitteln fast spielerisch erproben? Diese jungen Leute arbeiten in ihrem Selbstverständnis ja nicht primär an Mordinstrumenten, sondern an der Entwicklung neuer Systeme zur Entfernungsbestimmung, an rückgekoppelten Steuersystemen zur Stabilisierung ballistischer Bahnen in nicht vorhersehbaren atmosphärischen Turbulenzen oder an dem unlösbar scheinenden Problem, den Kopf einer Rakete einige tausend Kilometer nach dem Verlassen der Startrampe als Ausgangspunkt einer zielgenauen Sekundärrakete benutzen zu können. Vergleichbar faszinierende technische Aufgabenstellungen gibt es in keinem anderen Industriezweig.

Aber wenn es einem der jungen Genies schließlich gelungen ist, eines dieser oder ähnliche Probleme — in einer Art intellektuellen Wettbewerbs mit den Kollegen der Nachbarabteilung oder einer Konkurrenzfirma — zu lösen, dann ist ihm nicht nur die neidvolle Bewunderung seiner Kollegen gewiß und die lobende Anerkennung der Vorgesetzten (verbunden mit einer saftigen Geldprämie). Dann gibt es plötzlich auch ein Raketensystem mit einer bis dahin unvorstellbaren Zielgenauigkeit oder die ebenfalls neue Möglichkeit, am Kopf einer Rakete Mehrfachsprengköpfe anzubringen, die vielleicht sogar noch unabhängig voneinander einzeln steuerbar sind.

Auf diesem Wege kommen derartige Entwicklungen doch zustande. Und zwar in vielen Fällen nachweislich, "ohne daß das Militär dies verlangt hätte. Diese Leute schufen eine neue militärische Technologie, für welche die Generäle erst nachträglich die strategischen Verwendungsmöglichkeiten fanden".72) Es sind die generell auf "Verbesserung" und "technologischen Fortschritt" programmierten Gehirne in den Laboratorien der großen amerikanischen Rüstungsfirmen — und nicht die Generäle —, die darüber nachgrübeln, wie man einen existierenden Sprengkopf noch wirksamer oder ein existierendes Steuersystem noch präziser machen könnte.

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In allen diesen Firmen gibt es Spezialabteilungen, denen keine andere Aufgabe gestellt ist als die, sich über Möglichkeiten der Weiterentwicklung des Bestehenden, über die Perfektionierung über den bisherigen Stand hinaus, den Kopf zu zerbrechen. Aus demselben Grunde, der unweigerlich den Effekt mit sich bringt, daß sich das "absolute Super-Auto" von heute in den Augen des Autofans von morgen unweigerlich als hoffnungslos überholter "alter Hut" ausnehmen wird. Und den General möchte ich sehen, in dem sich nicht sofort Besitzergelüste regten bei der Präsentation eines neuen Zielgeräts (einer noch "unverwundbareren" Rakete, eines noch beweglicheren Panzers, eines noch schnelleren oder kampfstärkeren Flugzeugs), das die bisherige Ausrüstung seiner Truppe vergleichsweise als "alten Hut" erscheinen läßt.

Und welches Argument bietet am ehesten Aussichten, die für das neue — durch militärischen Bedarf primär ja gar nicht erzwungene — Waffensystem erforderlichen astronomischen Summen von den politischen Instanzen auch zu erhalten? Richtig: Die Bedrohung durch die Aufrüstung der Gegenseite. So daß es also im Interesse aller Beteiligten liegt, deren wenn nicht bereits vorliegende, dann unmittelbar bevorstehende Überlegenheit so eindringlich wie möglich zu beschwören.

Garrison und Shivpuri belegen diesen fast gesetzmäßigen Ablauf unter anderem mit der Geschichte der Entwicklung der Mehrfach­sprengköpfe. Wissen­schaftler der Lockheed Missiles and Space Company begannen Anfang der sechziger Jahre mit einer Untersuchung der Möglichkeit, mehrere nukleare Sprengsätze in der Spitze derselben Rakete unterzubringen, die dann über dem Zielgebiet in planmäßig gewählten zeitlichen Abständen abgestoßen werden sollten. Als man einige Jahre später den Militärs die fertige Lösung präsentierte, waren diese, wie anders, von der neuen Technologie fasziniert. Sie befanden sich aber auch in einer gewissen Verlegenheit. Damals nämlich war das Prinzip der nuklearen Abschreckung offiziell noch uneingeschränkte Maxime der amerikanischen Sicherheitspolitik. Diesem Ziel aber genügten die bis dahin existierenden Raketen mit ihrer gewaltigen Sprengkraft vollauf. 

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Die sich jetzt andeutende neue Möglichkeit, mit jeweils einer einzigen Rakete mehrere feindliche Ziele — also etwa auch mehrere russische Raketensilos — zur selben Zeit vernichten zu können, ließ sich dagegen nur als erste Weichenstellung in der Richtung auf einen "führbaren Atomkrieg" interpretieren. Denn das neue System ließ erstmals die Möglichkeit auftauchen, das russische "Vergeltungs­potential" (dessen Existenz bislang das Gleichgewicht der Abschreckung auf östlicher Seite gewährleistet hatte) mit einem präventiven "Erstschlag" ausschalten zu können.

Wie dann aber die Kosten für das neue Waffensystem, das die Militärs selbstredend unbedingt haben wollten, im Kongreß plausibel begründen? Die Generäle erklärten bei den Anhörungen schließlich, Raketen mit Mehrfachsprengköpfen würden deshalb unbedingt benötigt, weil die Russen inzwischen wirksame Abfangraketen in großer Zahl entwickelt und in Stellung gebracht hätten. An denen könnten einfache Raketenköpfe nicht mehr in genügender Menge vorbeikommen, um das Abschreckungs­gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Wohlgemerkt: Zuerst gab es die neue Waffe, und erst danach ließen die Militärs sich eine Begründung dafür einfallen, warum diese für "die nationale Sicherheit der USA" unbedingt erforderlich sei. Der technische Fortschritt präjudizierte folglich den Kurs der strategischen Planung, nicht etwa umgekehrt.

Da niemand die unpatriotische Rolle übernehmen mochte, durch seinen Widerstand das Risiko der "Verwund­barkeit gegenüber einem russischen Angriff" zu vergrößern, wurden die Mehrfachsprengköpfe mit gewaltigen Kosten eingeführt. Lockheed und das Pentagon gerieten mit ihrer Argumentation 1972 jedoch in Schwierig­keiten. In diesem Jahre wurde — mit dem Ziel der uneingeschränkten Wirksamkeit des reinen Abschreck­ungs­prinzips — zwischen den USA und der UdSSR ein Vertrag unterzeichnet, der das Arsenal beider Länder auf jeweils nur 200 Abfangraketen begrenzte. Woraus sich (nachträglich!) beiläufig ergab, daß es in den Jahren zuvor die wirksame Abwehr gegen die amerikanischen Interkontinentalraketen auf russischer Seite über­haupt nicht gegeben hatte, mit der die Generalität die Einführung der Mehrfach­spreng­köpfe seinerzeit gegenüber den politischen Kontrollinstanzen durchgesetzt hatte. Der Fall ist beispielhaft und keineswegs etwa eine Ausnahme.

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Tatsächlich stellten Lockheed und eine andere inzwischen hinzugezogene Firma die Entwicklungsarbeiten an der weiteren "Verbesserung" steuerbarer Mehrfachsprengköpfe 1972 vorübergehend ein. Wenige Jahre später wurden sie jedoch stillschweigend wieder aufgenommen. Als alarmierte Politiker protestierten und auf die Un­ver­einbarkeit mit der offiziell immer noch verkündeten Abschreckungsstrategie hinwiesen, wurde ihnen nun­mehr erklärt, die Entwicklung erfolge lediglich vorsorglich für den Fall, daß die Russen den sogenannten ABM-Vertrag — mit dem die Zahl der Raketenabwehrsysteme begrenzt worden war — kündigen oder brechen sollten.

Was je nach Beweislage wechselte, war die vorgeschobene Begründung. Woran man unbeirrt festhielt, das war das neue Waffensystem — und das Grundmotiv aller Argumentation in diesem Bereich: die Bedrohung durch den potentiellen Gegner, die sowjetische Militärmacht, deren Aggressivität und Stärke darum nicht schwarz genug an die Wand gemalt werden konnten.

Nun besteht sicher kein Anlaß, die Rote Armee mit der Heilsarmee zu verwechseln. Es wäre fraglos auch keine ausreichende Sicherheitsdoktrin, sich auf die prinzipielle Friedfertigkeit der Sowjets zu verlassen. Keine Frage auch: Der Gedanke an die Möglichkeit, "Frieden ohne Waffen" schaffen zu können, ist angesichts dieses von inneren Krisen geschüttelten, bis zu mehrfacher Overkill-Kapazität aufgerüsteten östlichen Lagers nicht mehr bloß von rührender, sondern von schlechthin kindischer Einfalt. Aber dennoch auch die Gegenfrage: Sieht die Situation umgekehrt, aus russischer Perspektive, eigentlich so sehr viel anders aus?

1977 ließ General Alexander Haig, damals Oberbefehlshaber der NATO, in einem Computer-Kriegsspiel folgendes Szenario analysieren: In einer Krisensituation befiehlt der amerikanische Präsident als "letzte Warnung" den nuklearen Angriff auf 19 Ziele in Mittel- und Osteuropa: fünf Städte in der DDR, fünf in Bulgarien, drei in Polen, drei in Ungarn und drei in der CSSR. 

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Anschließend sollte dann über den "heißen Draht" zwischen Washington und Moskau die Verhandlungs­bereit­schaft der Sowjets erkundet werden. Auch wenn wir unterstellen, daß in Wirklichkeit niemand einen derartigen nuklearen Schachzug ernstlich plant (andererseits: Wie sicher können wir in dieser Hinsicht eigentlich sein?), wird die ungenierte Bekanntgabe derartiger "Übungen" kaum dazu beitragen, die Bereitschaft der russischen Seite zu fördern, einer ausschließlich friedlichen Zielsetzung der NATO unbeirrt zu vertrauen.

Welche Empfindungen würden sich in uns wohl rühren, wären es nicht amerikanische, sondern sowjetische Politiker und Strategen gewesen, die lauthals über die Möglichkeit diskutiert hätten, unsere Gesellschaft "totzurüsten", sie durch Wettrüsten "in die Knie zu zwingen" oder "durch gezielte nukleare Enthauptungsschläge" zu paralysieren, wie Colin S. Gray, maßgeblicher militärischer Berater der Reagan-Administration, es in dem berühmt-berüchtigten Aufsatz "Victory is possible" in der offiziösen Zeitschrift <Foreign Policy> formulierte?73

Würden wir einem potentiellen Gegner, der über das Schicksal, das er uns zu bereiten gedenkt, in dieser Weise öffentlich meditiert, seine bei anderer Gelegenheit vorgebrachten Friedensbeteuerungen wohl ohne ein Fünkchen des Zweifels abnehmen? Und: Wenn wir uns schon — und sicher nicht ohne jedes Recht — vor der russischen "Überrüstung" fürchten, die in unseren Augen jedes für die eigene Verteidigung noch sinnvolle Ausmaß weit übersteigt (was auch objektiv zutrifft), wie sehr mögen sich dann erst die Russen vor unserer westlichen Rüstung fürchten, die nach Auskunft offizieller amerikanischer Quellen (s. Anm. 70) das von uns bereits als irrational beurteilte russische Rüstungsvolumen noch übertrifft?

Kann man es sich wirklich so leichtmachen, wie die Debattenredner der Regierungskoalition im Deutschen Bundes­tag, die alle diese Widersprüche einfach dadurch auflösen zu können glaubten, daß sie unsere Rüst­ungs­anstrengungen als Beitrag zur Friedenssicherung interpretierten, die der Gegenseite dagegen als Möglich­keit zur Ausübung politischer Erpressung, wenn nicht zur Durchführung noch schlimmerer Pläne? 

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Man muß ernstlich befürchten, daß jene, die sich dieser und verwandter Argumente bedienen, längst jeglichen kritischen Sinn für die groteske Einseitigkeit ihrer Weltsicht verloren haben.

Für diese beunruhigende Vermutung spricht auch die sonst unerklärliche Tatsache, daß Helmut Kohl den Genfer Vorschlag der Amerikaner an die Russen, beide Seiten sollten doch einfach auf alle landgestützten Mittel­streckenraketen verzichten, als Bestandteil des "bisher umfassendsten Abrüstungsangebots der Geschichte" preisen konnte — und zwar ohne dafür im Plenum schallendes Gelächter zu ernten. Warum man eine solche Reaktion eigentlich hätte erwarten müssen, formulierte Egon Bahr in seinem Debattenbeitrag: "Aber wissen Sie denn nicht", fragte er den Bundeskanzler, "daß die USA zwei Drittel ihrer strategischen Systeme seegestützt haben und daß die Sowjetunion zwei Drittel ihrer strategischen Systeme landgestützt hat?"74

Den die ganze Debatte wie ein Grundmotiv durchziehenden Hinweis darauf, daß die NATO im Unterschied zur östlichen Seite bisher nicht über landgestützte Mittelstreckenraketen verfüge — weshalb eine "Nach"-Rüstung in diesem Bereich im Interesse der Friedenssicherung und der Erhaltung des Abschreckungs­gleichgewichts unerläßlich sei —, kann ebenfalls nur für ein ernst zu nehmendes Argument halten, wer an der gleichen Stelle seines sicherheitspolitischen Gesichtsfelds mit einem blinden Fleck geschlagen ist. 

Denn die publikumswirksame Klage über das Fehlen einer vergleichbaren Zahl westlicher landgestützter Mittel­strecken­raketen (Helmut Kohl: "Und bis heute verfügt die NATO nicht über landgestützte nukleare Mittelstrecken­waffen, also solche Waffen, die nach der Bündnisstrategie notwendig sind, um die Abschreckung auf allen Ebenen sicherzustellen") ist angesichts der Vorgeschichte entweder Ausdruck erschütternder Ignoranz oder nichts als pure Heuchelei.

Die angebliche "Raketenlücke" auf dem Gebiet der eurostrategischen Waffen ist nämlich von der gleichen Substanz wie die schon kurz erwähnte, sprichwörtlich gewordene "Raketenlücke" im Bereich der Inter­kontinental­raketen, mit der die amerikanischen Militärs ab 1960 einen der gewaltigsten westlichen Aufrüstungsschritte zu einem "im nationalen Sicherheitsinteresse absolut erforderlichen Schritt der Nachrüstung zur Erhaltung des Gleichgewichts" umlogen und erfolgreich durchboxten75Sie existiert in der Realität gar nicht. 

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Die dichte Besiedelung Westeuropas ließ es den NATO-Strategen vielmehr aus guten Gründen ratsam erscheinen, ihr Abschreckungs­potential nicht auf dem europäischen Festland zu installieren. "Landgestützte Raketen gehören nach Alaska ... oder in die Wüsten ... keineswegs aber in dichtbesiedelte Gebiete. Sie sind Anziehungspunkte für die nuklearen Raketen des Gegners. Alles, was Feuer auf sich zieht, ist für Staaten mit hoher Bevölkerungsdichte oder kleiner Fläche unerwünscht", schrieb der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt schon 1965.78) 

Die überlegene, dem östlichen Lager auch in diesem Punkt wieder um mehrere Nasenlängen vorauseilende westliche Waffen­technologie gab den Eurostrategen die Möglichkeit, aus dieser Einsicht praktische Konse­qu­enzen zu ziehen. Sie postierten ihr Arsenal "seegestützt", das heißt auf U-Booten, von denen aus die Sprengköpfe unter Wasser abgefeuert werden konnten, eine Technik, über die Amerika bereits ab 1959 verfügte. Damit konnte nicht nur eine Gefährdung der dicht zusammengedrängten westeuropäischen Bevölkerung besser vermieden werden. Es war — in einer Zeit, in der man sich auf westlicher Seite noch uneingeschränkt an einer "reinen" Abschreckungsdoktrin orientierte — auch unter strategischen Gesichts­punkten das optimale Konzept. Denn die U-Boote konnten als unverwundbar gelten und stellten daher unter allen denkbaren Umständen das Überleben einer zur Abschreckung ausreichenden "Zweitschlags-Kapazität" sicher.

Anders die Lage der Russen. Ihren Technikern gelang es erst fast ein Jahrzehnt später, mit ihren amerikan­ischen Konkurrenten gleichzuziehen und ebenfalls U-Boote als Raketenplattformen mit hinreichender Zielgenauigkeit einzusetzen. Es blieb ihnen folglich nichts anderes übrig, als ihr das Schreckens­gleichgewicht austarierendes Gegenpotential auf dem Lande aufzubauen, was ihnen allerdings insofern auch leichter gefallen sein dürfte, als sie sich im Gegensatz zu Westeuropa dazu Gebiete mit relativ dünner Besiedelung aussuchen konnten.

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Beide Seiten haben die sich daraus ergebende Sicherheitslage zwei Jahrzehnte hindurch als praktisch ausgeglichen angesehen und daher auch toleriert. Seit 1960 bedrohte die Sowjetunion Mitteleuropa mit 600 bis 700 Mittelstreckenraketen des Typs SS-4 und SS-5. Jede von diesen trug Sprengköpfe im Megatonnenbereich. Ihr Einsatz hätte die Bundesrepublik und darüber hinaus weite Teile Mitteleuropas verwüstet und dem größten Teil der westdeutschen Bevölkerung den sicheren Tod gebracht. Das Maximum einer wirksamen Bedrohung (oder auch der neuerdings fortwährend ins Feld geführten "nuklearen Erpreßbarkeit") bestand folglich während der ganzen Zeit. Niemand regte sich darüber auf — mit Recht insofern, als die auf U-Booten (und in Langstrecken­bombern) stationierten westlichen Kernwaffen den Ausgleich herstellten.

Ab 1977 etwa begann die Sowjetunion dann, ihre veralteten Raketenmodelle — die Typen SS-4 und SS-5 mußten vor einem möglichen Einsatz im Gegensatz zu den jederzeit feuerbereiten amerikanischen Feststoffraketen erst stundenlang aufgetankt werden — durch die modernere SS-20 zu ersetzen. Der Westen hätte mit einer solchen Modernisierung wohl kaum so lange gezögert. Jetzt aber entdeckte man in unserem Lager plötzlich aufgeschreckt jene "Raketenlücke" im Mittelstreckenbereich, die es "im Interesse unserer Sicherheit" angeblich unumgänglich notwendig machte, dem Osten Pershing-2-Raketen und Marschflug­körper entgegenzusetzen. Jene Waffensysteme also, die ein neues nuklearstrategisches Zeitalter in Europa eingeläutet haben, in dem man sich nicht mehr ausschließlich am Prinzip gegenseitiger Abschreckung orientiert.

Jetzt hielt man sich mit einem Male nicht nur für berechtigt, jetzt behauptete man sogar, gezwungen zu sein, den Russen einen Rüstungsschritt zuzumuten, den Präsident Kennedy 1962 seiner ungeheuerlichen Unzumut­barkeit wegen unter dem Applaus des ganzen westlichen Lagers mit der Androhung eines Atomkriegs beantwortet hatte:

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die Aufstellung nuklearer Raketen, die das Gebiet der gegnerischen Supermacht von einer geographischen Position aus bedrohen, die außerhalb des eigenen Territoriums liegt, mit allen strategischen und nicht zuletzt psychologischen Konsequenzen, die eine solche Asymmetrie der gegenseitigen Bedrohungs­möglichkeiten nach sich zieht. Kennedy hatte sich 1962 gegen die Aufstellung von zwanzig, höchstens dreißig Mittelstreckenraketen auf kubanischem Boden zu wehren (die höchste amerikanische Schätzung nahm damals 32 Raketen an [s. Anm. 66/3, S. 209]). 

Wie plausibel ist es vor diesem Hintergrund eigentlich, wenn wir von den Russen heute verlangen, sie hätten die Aufstellung von 108 Pershing-2-Raketen auf bundesdeutschem Territorium und zusätzlich von 464 Marschflugkörpern in Westeuropa verständnisvoll als Schritt einer "Nach"-Rüstung hinzunehmen? Als einen Schritt, der mit rein defensiver Zielsetzung allein den Zweck verfolge, das durch den Austausch von SS-4 und SS-5 durch die SS-20 von ihnen selbst gestörte Gleichgewicht "wiederherzustellen"?  

Mit welcher Wahrscheinlichkeit können wir davon ausgehen, daß ihnen die Logik einleuchtet, mit welcher der Sicherheitsexperte der CSU, Theodor Waigel, in der Parlamentsdebatte erklärte, daß es sich bei dieser Aufstellung nur um "jenes Mindestmaß" handele, "das für unsere Sicherheit elementar erforderlich ist"? 

Wieviel Verständnis kann Alfred Dregger* auf östlicher Seite billigerweise wohl voraussetzen, wenn er, wie er es in der "Nach"-Rüstungsdebatte tat, die Neuaufstellung von 572 nuklearen Waffensystemen mit einer bislang unvor­stell­baren Zielgenauigkeit als "minimales Gegengewicht" gegen die Bedrohung aus dem Osten bezeichnet?

Die Vermutung ist nicht aus der Luft gegriffen, daß die Art und Weise, in der hier bei uns für die "Nach"-Rüstung argumentiert worden ist, in östlichen Ohren ebenso unglaubhaft und unwahrhaftig, ebenso irrsinnig klingt wie für uns die russischen Erklärungen zum Hintergrund der Situation in Afghanistan oder die wiederholten Beteuerungen, die östliche Hochrüstung diene ausschließlich der defensiven Sicherung des eigenen Territoriums. 

*(d-2011:)   wikipedia  Alfred Dregger  (1920-2002)     wikipedia  Marschflugkörper  

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Wer sich durch das Dickicht der Auseinandersetzungen um den "NATO-Doppelbeschluß" hindurchliest, bei dem stellt sich früher oder später unweigerlich der Eindruck ein, daß er sich in eine Welt begeben hat, in der alle Begriffe, Argumente und Zusammenhänge in sich zwar stimmig und geschlossen sind, in der sie alle aber einen anderen als den gewohnten Sinn angenommen haben.

Da können die Beteiligten miteinander und gegeneinander engagiert diskutieren und subtile Argumente austauschen, ja die ganze Auseinander­setzung bis auf den Gipfel einer Geheimwissenschaft hinauftreiben, die nur noch Insidern zugänglich ist. Denn alle haben sich denselben Gesetzen unterworfen. Alle gehorchen sie denselben Spielregeln. Diese Regeln und Gesetze aber haben mit der Wirklichkeit, in der wir uns als normale Sterbliche in einer von unüberbietbaren Ausrottungsinstrumenten strotzenden Welt zu fürchten begonnen haben, immer weniger zu tun. Als potentielle "Weichziele" einer längst von keinem mehr für unmöglich gehaltenen nuklearen Auseinandersetzung sind wir zunehmend mißtrauisch geworden gegenüber jenen Verteidigern unserer Sicherheit, denen das Reden vom "Megatod" aus professioneller Gewöhnung schon verdächtig leicht über die Lippen geht.

Warum sollten wir Menschen vertrauen können, für die der Gedanke ein einleuchtendes Argument darstellt, daß die Reduzierung der Verlustquote der eigenen Bevölkerung auf zwanzig Prozent ein erstrebenswertes Ziel sei, weil sie die Voraussetzung dafür bilden könne, aus einem nuklearen "Schlagabtausch" als "Sieger" hervorzugehen? Affekte trüben den Blick. Genauer muß man sagen, daß unsere Emotionen und Stimmungen die Welt für uns "auslegen", sie in einer der jeweiligen Gemütsverfassung entsprechenden Weise interpretieren und damit unser Urteil präjudizieren.

Ein Beispiel: 

Im Erleben des Hungrigen reduziert sich die Welt mehr und mehr auf eine Wirklichkeit genieß­barer oder ungenieß­barer Objekte. Die erwähnte Präjudizierung des Urteils gibt sich in diesem Falle unter anderem daran zu erkennen, daß sich der Kreis des noch als genießbar Erachteten im Verständnis des Hungernden immer mehr erweitert. Jeder wird das bestätigen, der in einem Gefangenenlager oder in der Nachkriegszeit Menschen in Abfällen wühlen und Dinge essen sah, die für eßbar zu halten ihnen ohne den Druck des Triebs nicht eingefallen wäre.

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Das Auf und Ab unserer Stimmungen läßt uns die Welt wie mit psychischen Sensoren auf ihre verlockenden und bedrohlichen Möglichkeiten hin durchmustern. Sind wir "guter" Stimmung, bereit, uns auf etwas einzulassen und unsere Leistungsfähigkeit auf die Probe zu stellen, dann präsentiert die Welt sich uns als ein Feld attraktiver Möglichkeiten des Genusses und der Bewährung. Umgekehrt dann, wenn wir dieselbe Welt durch den nicht weniger selektiven Filter einer "schlechten" Stimmung betrachten. Jetzt schieben sich wie von selbst die Aspekte in den Vordergrund, die sie auch zur Bedrohung für uns machen können. Jene Eigenschaften der Welt, die uns Grenzen setzen und die unsere Vorhaben gefährden. In solcher Verfassung entdecken wir auch noch das winzigste Hindernis. Und nicht nur das: Jedes Problem, alle Aufgaben, die vor uns stehen, erscheinen uns dann wie durch eine Lupe übernatürlich vergrößert und drohen, uns mutlos zu machen.

Mitunter genügt dann eine einzige gut durchgeschlafene Nacht, um uns das Problem, das noch am Abend zuvor unüberwindbar wirkte, als leicht zu nehmende Hürde erscheinen zu lassen.

Der normale Wechsel unserer Stimmungen sorgt dafür, daß die Welt uns alle ihre unterschiedlichen Gesichter nacheinander zeigt. Daß sie für uns nicht, wie es bei einer anhaltenden Verstimmung der Fall sein kann, in der Einseitigkeit eines einzigen ihrer Aspekte erstarrt. Sobald das geschieht, erstarrt auch unser Vermögen, über die Welt zu urteilen, in entsprechend einseitiger, tendenziöser Weise. Die Psychologen diagnostizieren dann eine Neigung zu "wahnhafter Mißdeutung der Realität".

Vieles spricht dafür, daß der anhaltende Druck einseitiger Emotionen, die permanente und praktisch ausschließliche Beschäftigung mit Bedrohungs­aspekten, in der Welt der sicherheitspolitischen Diskussion eine vergleichbare psychische Grundverfassung hat entstehen lassen. Man kann die "russische Bedrohung" nicht Jahr um Jahr mit suggestiver Eindringlichkeit beschwören und in den schwärzesten Farben ausmalen, ohne von den Ängsten, die man damit beflügelt, früher oder später selbst angesteckt zu werden. 

Es gibt handfeste Indizien für den Verdacht, daß das offizielle System der nuklearstrategischen Sicherheits­politik — ungeachtet seiner system­immanent widerspruchs­freien eigenen Logik — begonnen hat, unter der Einwirkung dieser psychologischen Mechanismen zu einem Wahnsystem zu degenerieren.

Wir müssen die Möglichkeit, daß ein solcher Sachverhalt vorliegt, der als spezielle Variante einer Berufs­krankheit anzusehen wäre, näher untersuchen. Denn die Frage — der wir nach wie vor auf der Spur sind — ist ja die nach unseren Überlebenschancen in einer Welt, deren Aspekte neuerdings um den eines nuklearen Holocaust erweitert worden sind. 

Daß diese Chancen von der psychischen Verfassung jener Handvoll Experten abhängig sind, in deren Hände allein, nach eigenem Selbst­verständnis,77 unser aller Schicksal gelegt ist, wird niemand bestreiten.

190-191

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