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Teil 1   Meditieren — wozu ?

 

 1. Von der Neuzeit in die Neue Zeit  

 

Die existentielle Not  

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Im Ruf nach Meditation meldet sich ein dreifaches Problem: ein universales, ein zeitgeschichtliches und ein jeweils persönliches. — Das universale Problem betrifft eine Not, die im Menschen entsteht, wo immer seine Vollendung zur weltangepaßten Persönlichkeit seinem wahren Wesen zur Sackgasse geworden ist.

Das zeitgeschichtliche Problem kommt aus der Not unserer Zeit. Wenn, wie es heute der Fall ist, das ganze Leben sich nur noch an dem orientiert, was rational erkennbar, technisch und organisatorisch zu meistern und moralisch festgelegt ist, dann gerät der Mensch in seinem rational nicht faßbaren Kern und als schöpferische Individualität in eine existentielle Not.

Das jeweils persönliche Problem entsteht, wo ein Mensch auf eine bestimmte Stufe personaler Entwicklung gelangt ist. Gemeint ist die Stufe, auf der er entdeckt, daß seine totale Befangenheit im raumzeitlich bedingten Leben das Gestaltwerden seines überraumzeitlichen, unbedingten Wesens verhindert. Hier werden das universale und das zeitgeschichtliche Problem zur personalen Not.

Der Ruf nach Meditation ist der Ruf nach einer Not-Wende aus dieser dreifachen Not. So verstanden wäre Meditieren ein Weg zur Befreiung von dieser Not. Das universale Problem berührt heute in seiner zeitgeschichtlichen Bedingtheit jedoch nur die, die zur Erfahrung der Not aus dem Wesen herangereift sind. Das ist gewiß nur ein kleiner Teil der Menschheit.

Die Frucht aller meditativen Arbeit kann nur reifen, wenn der Übende zwei Fragen zu beantworten weiß: Wozu? und: Wie? Er muß sich über den Sinn seines Meditierens nicht nur grundsätzlich klar sein, sondern sich diesen Sinn täglich neu bewußt machen. Und er muß in einem Üben ohne Unterlaß schließlich eine Technik beherrschen, die ihm zur zweiten Natur wird und ihn begleitet wie sein Atem.

Meditieren: Üben ohne Unterlass.

   Meditieren: Initiatische Übung  

 Meditation! Unter dieser Überschrift wird vielerlei verstanden und geübt. Da gibt es Übungen der Stille und zum Stillwerden; Meditation als Mittel zur Verinnerlichung durch Versenkungsübungen, als Weg zum Eindringen in den tiefen Gehalt eines heiligen Bildes oder Wortes; Meditation auch zur Belebung und Erneuerung des traditionellen Glaubens. Das alles hat seinen guten Sinn. Aber meditieren kann und muß noch etwas ganz anderes bedeuten: Instrument zu sein des Durchbruchs zum Wesen! Dann bedeutet Meditation eine initiatische Übung.

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Initiare meint: das Tor zum Geheimen1) öffnen. Das Geheime, das sind wir selbst im Wesen. Das Wesen ist die Weise, in der in uns und allen Dingen das überweltliche, göttliche Leben anwest und in uns und durch uns Gestalt gewinnen möchte in der Welt. Das Wesen ist keine bloße Idee, kein bloßer Gegenstand frommen Glaubens, kein Produkt frommer Phantasie, sondern Inhalt einer Erfahrung, und zwar einer Erfahrung, die nicht nur empirische Valenz, sondern Offenbarungscharakter hat.

Das Wesen, mit dem eins zu werden der Sinn des initiatischen Übens und Lebens ist, ist nicht etwas, das man finden könnte wie ein Ding. Es ist wie alle Transzendenz jenseits des Faßbaren. Obwohl der Mensch Erfahrungen macht, deren überweltlicher Charakter und verwandelnde Kraft auf etwas hinweist, das wir das Wesen nennen — es selbst bleibt im Geheimnis, im Geheimnis, das sich völlig zurückzieht und stumm wird, wenn man es fassen will.

Jeder echte religiöse Glaube ist eine Verfassung der Hingabe des Gemütes, darin die Geheimnisse sprechen, weil man sie nicht lüftet. Einswerdung mit dem Wesen ist die Einswerdung mit dem Geheimnis. Erst der Mensch, der es ertragen kann, daß die Welt, in der er lebt, in einer Nacht seines Bewußtseins entschwindet, hat die Chance, vom Licht des Großen Geheimnisses getroffen zu werden. Der Weg über die Schwelle dieser Erfahrung ist weit, darüber dürfen auch nicht jene Seinsfühlungen und Seinserfahrungen hinwegtäuschen, deren Gewalt das Leben des Menschen erschüttert und vorübergehend verwandelt. Sie sind doch erst ein kleiner Schritt auf dem Großen Wege.

Meditieren als initiatische Übung, als Übung zum Durchbruch zum Wesen und zu einem Leben, das das Wesen Gestalt werden läßt in der Welt — nur von solchem Meditieren soll hier die Rede sein. Meditieren als initiatische Übung und meditatives Leben sind die gehorsame Antwort auf das große "metanoeite"; denn metanoeite meint mehr als die Umkehr aus einem egozentrischen in ein selbstloses, Liebe bezeugendes Leben. Es meint die Befreiung aus der Befangenheit eines ausschließlich an den Nöten, Forderungen und Schönheiten der Welt orientierten Lebens in die Freiheit eines Lebens, das ausschließlich an der Manifestation des göttlichen Seins orientiert ist.

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Der Durchbruch zu diesem Wesen in ernstgenommener Erfahrung ist das Grundereignis unserer Zeit, mit dem die Neue Zeit die Neuzeit ablöst. Die Zeit ist gekommen, in der der Mensch die Aufforderung zu einem gottgemäßen Leben nicht mehr als eine ihm von außen auferlegte Aufgabe empfindet, sondern als Vollzug einer in ihm selbst wachgewordenen Verheißung. Ein dem göttlichen Sein gemäßes Leben ist keine Ideologie, für die es Alternativen gibt, sondern die Verwirklichung des wahren Selbstes. Nicht alle haben an diesem Ereignis teil. Aber schon sind es viel mehr, als man gemeinhin weiß, die an die Schwelle dieses Durchbruchs herangereift sind und nach Führung verlangen zu ihm hin und durch ihn hindurch in die Verwirklichung des wahren Selbstes.

Im Fortschreiten der initiatischen Entwicklung vollzieht sich eine totale Wende im Wirklichkeitsbewußtsein des Menschen. Diese betrifft das Verhältnis seiner endlichen Kleinheit zur unendlichen Größe des Seins. Im Zuge der Entwicklung seiner rationalen Möglichkeiten verwies er die Realität des Überweltlichen in das Reich eines weltfremden Glaubens. Wohl konnte er sich als ein nur winziges Stäubchen im All empfinden, das aber änderte nichts an dem Größenwahn seines rationalen Bewußtseins, der heute aber ins Wanken gerät. Mit dem Fortschritt seines Geistes im Initiatischen taucht in der Sicht eines neuen Bewußtseins eine Wirklichkeit auf, deren unendliche Größe ihn noch in einem ganz anderen Sinne bescheiden macht als das Bewußtsein seiner Kleinheit im physikalisch erforschten Universum.

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Seine Größe aber besteht nun darin, in seiner endlichen Kleinheit an der Unendlichkeit teilzuhaben. Im Bewußtsein des Einsseins mit dieser Wirklichkeit öffnet sich ihm die Möglichkeit zu einer Selbsterfahrung, Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung in einem neuen Sinn.

Meditation meint Verwandlung, Verwandlung des überwiegend der Welt zugewandten, aus seiner bloßen Natur und im Bedingten der Welt lebenden Menschen zu dem neuen Menschen, der bewußt in seinem Wesen verankert ist und dieses in seinem Erkennen, Gestalten und Lieben in der Welt in Freiheit zu bekunden vermag.

Meditation: Durchbruch zum Wesen.

 

 Initiatisches Meditieren: Ein Ärgernis  

 

Meditieren verstanden als initiatische Übung! Das ist ein Ärgernis für viele! Es ist ein Ärgernis für den Menschen, der noch unerschüttert in der Geborgenheit ursprünglicher Ganzheit lebt. Er hat noch an dem ihn und alle Dinge durchdringenden göttlichen Ganzen teil. Er kann nicht verstehen, was das Gerede von "Initiation" soll, da er ja noch von dem Geheimen durchdrungen ist, zu dem das Initiare das Tor für den öffnet, der es verloren hat.

Meditation als initiatische Übung ist ein Ärgernis für den, der fest in seinem traditionellen Glauben steht. Was soll mir das Gerede vom Sein, von Transzendenz, vom überweltlichen Leben — ich glaube ganz einfach an Jesus Christus, der mir gegenwärtig ist im Gebet und der mich begleitet auf allen Wegen.

Initiatische Bemühung ist ein Ärgernis für alle, die meinen, dank ihres festen Glaubens an Gott einer besonderen Erfahrung entraten zu können, um so mehr, als der Glaube durch den subjektiven Faktor aller Erfahrung in seinem objektiven Sinn nur beschattet oder gar gefährdet werden könnte.

Meditation als initiatische Übung ist ein Ärgernis für den, dem die darin gesuchte Erfahrung verschlossen ist, weil er sich in einer Wirklichkeitssicht verfangen hat, die ihn in den Grenzen des rational Faßbaren hält. Für ihn hat alles rational nicht Faßbare keine Wirklichkeit, ist Phantasie, bloßes Gefühl oder frommer Glaube, der an aller Wirklichkeit vorbeigeht.

Meditation als initiatische Übung ist endlich ein Ärgernis für den, der glaubt, keiner höheren Dimension zu bedürfen. Das ist der Mensch, der sich mit seinen fünf Sinnen, seinem Verstand und auch seinen moralischen Kräften dem Leben und seinen Forderungen, den natürlichen wie den geistigen, gewachsen fühlt. Es genügt ihm, sich aus eigener Kraft im Leben durchsetzen und sich in Leistung, gutem Werk und Liebe in seiner Gemeinschaft bewähren zu können. Hierzu, so meint er, bedarf es keiner Hilfe aus einer transzendenten Dimension.

Um Meditation als initiatische Übung ernst nehmen, fördern und leisten zu können, bedarf es einer bestimmten Stufe und einer bestimmten Gabe: das Überweltliche in uns vernehmen zu können.

Meditieren: Erfüllung oder Ärgernis.

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