Start    Nachwort

Ein Briefwechsel mit Rudolf Bahro

Fleck-Vortrag 

1. Rudolf Bahro an Dirk Fleck, 1994

 

 

318

Lieber Dirk C. Fleck,

ich habe ihr Buch von der Öko-Diktatur gelesen.

Es müsste ja plötzlich der psychologische Mechanismus der Projektion ausgefallen sein, hörten die Leute plötzlich auf, den Boten zu schlagen, der die schlechte Nachricht überbringt.

Nicht selten werden die Empörten zu verbergen haben, dass sie es »interessant« finden.

Ästhetisch gesehen gibt es kaum was Schwereres als utopische Romane. Das Genre hat erst mal insofern die herrschende Struktur an sich, als die den (letztlich real-projizierten, d.h. im Sinne von »Geschichte als Psychodynamik« aus uns in die Welt hinaus gearbeiteten) scheinbar so objektiven »Sachproblemen« die Psychologie, d.h. die Charaktere unterordnet. Die Menschen sind dann vornehmlich Vehikel, die einen Stoff zu repräsentieren haben. Selbst ein Ernst Jünger ist dem nicht entgangen (neulich las ich sein »Heliopolis« von 47-50, und paar Jahre früher sein späteres, subtileres — aber doch bleibt der Held bis zu einem gewissen Grade problem-illustrativ, wie schon der Titel anzeigt — »Aladins Problem«). Ich komme auf Jünger, weil der m.E. auch wesentlich Essayist ist — und Ihr GO! ist literarisch ein verkleideter Essay.

Vor einem Jahr habe ich auf einer Diskussionsveranstaltung über »Europa« in Ahlen auf die Frage, was ich für 2005 voraussehe, auch gesagt: Ich sehe Kanonenboote im Mittelmeer die Festung Europa gegen zahllose boat people abschirmen. Aber diese Ihre Szene und die Szene Gipfelsitzung ermäßigen immer noch irgendwie, was wir von dem Weltbürgerkrieg, der schon begonnen hat, wissen. 

In Ernst v. Weizsäckers <Erdpolitik> ist eine Karte, wonach es zwei Gebiete gibt, in denen die Amtssprache nichteuropäisch ist: den arabischen Raum (noch ohne die Nordküste des Mittelmeers) und Ostasien — ich assoziierte automatisch: Nostradamus sah was von einer arabisch-chinesischen Koalition, die Frankreich besetzt.* Das sieht so unwahrscheinlich nicht aus.

* (d-2009): Solowjew ließ in seinem "Antichrist" den chinesischen "Sohn des Himmels" "in Eilmärschen" durch Frankreich zum Atlantik marschieren.

Die würde wohl nicht mit Nussschalen den Weg suchen, und wir hätten es — soweit wir seelisch in unserer Kosmologie von Sünde, Schuld und Strafe wohnen — nur zu sehr verdient. Von der Großwetterlage her gesehen dürfte ihr ökodiktatorisch malträtiertes Deutschland immer noch eine Idylle sein.

Ihr Buch ist ein Beispiel dafür, dass auf dem Boden unserer Zivilisation, d.h. auf dem Boden der ihr zu Grunde liegenden Geistesverfassung, alle Alternativen falsch sind. 

Geistig, spirituell brauchen wir externen Anstoß oder besser externe Unterwanderung, uns aus der Starre des rationalistischen Machtwillens zu erlösen.

Ist Ihnen klar, wie sehr sich unsere Szenarien unterscheiden? (Selbstverständlich moniere ich nicht, dass Sie eine andere Mixtur produziert haben, ich diskutiere auf deren innere Konsistenz hin.) 

Bei mir soll ja durch die rechtzeitige Konstituierung einer rettenden politischen Instanz (weil ich nicht glaube, dass Rettungspolitik von dem gegebenen institutionellen Rahmen ausgreifen kann) gerade vermieden werden, dass wir in eine strukturell flächendeckende Öko-Diktatur — die dann tatsächlich allgemeine Diktatur wäre, wie Sie die skizzieren — verfallen. 

Dennoch bin ich inzwischen nicht mehr sicher, ob die immer relativ gewaltsamen selektiven Eingriffe, die ich befürwortet habe, und die, so nötig sie scheinen, eilig ein Einzelinteresse verletzen, damit die Seele seiner Träger — ob die nicht doch inadäquat sind. Sie setzen immer eine wissende Instanz voraus, Leute, die mit dem als legitimierend beigezogenen allgemeinen Interesse die Kontrolle über ihre eigenen Überlebens­bedingungen nicht verlieren wollen. Da bleibt eine Brücke zu der Mentalität Ihres Ministers Heiland.

Ganz im Gegensatz zu Ihrer revolutionären Initialzündung sehe ich ja ein Öko-Notstandsregiment sich auf dem platten Wege der Normalität schrittweise ansammeln — ebenerdig schäublemäßig (der Mann möge verzeihen), bis dann der vielberufene Schmetterlingsflügelschlag genügt, damit das Klima umschlägt oder auch nur die neue Qualität sich enthüllt.

319


Interessanterweise ist der Übergang zur Öko-Diktatur bei Ihnen die Aktion konvertierter Wissenschaftler und Technokraten. Und Konversion heißt hier nicht mehr als vergleichsweise der Übergang von einer hiesigen Kirche zur anderen. Das ist immanent logisch: der Kampf zwischen Experten, die ihre methodologische Basis teilen, nimmt leicht die Form des exterministischen Krieges zwischen »Schwarz«- und »Weiß«-Magiern an.

Nicht erst der spezielle »Heilandsche« Ansatz ist von vorneherein ein Machtprojekt, sondern das ganze Unternehmen; die Schlussrebellion ihrer »Iris« erinnert mich an die im Nachhinein so rückständige, aussichtslos-systemimmanente Kritik-Position meiner »Alternative«. Warum lassen Sie den Widerstand nicht von ihren Meditationskommunen ausgehen? Es müsste eigentlich viel wahrscheinlicher, müsste wenigstens zu hoffen sein, dass die Meditation — jedenfalls in so einem Kontext, wie Sie ihn entworfen haben — fundamentale Kritik aufweckt statt einschläfert. Der erste Flüchtling aus einem Stadtlager, der dort ankommt, wäre zuviel für den Seelenfrieden. Ja, schon die erklärten Prämissen der Öko-Diktatur, wie sie Ihrer Iris noch kein Problem aufgeben, müsste ein geöffneteres Bewusstsein als reaktiven Wahnsinn erkennen.

So weit ich sehen kann, repräsentiert »Earth First« die Losung, die Sie der ganzen Komposition voran stellen, die öko-faschistische Mentalität. Sie schließt ein mindestens zweierlei: Überleben um jeden Preis (kennen Sie die Figur des »Überlebenden« aus Elias Canettis »Masse und Macht«?) und »Wir werden es richten« (von dem letzteren Ingrediens war noch ziemlich viel in meiner »Logik der Rettung«).

Amerikanisch-individualistisch bedeutet sie eben, Konservendosen in die Rocky Mountains zu schaffen, und schwere Maschinengewehre dazu, in Deutschland dafür eine »konsequent« konzipierte und dann auch so vorgehende Machteinrichtung von oben, mit der es — das sehen Sie völlig richtig — wahrscheinlich schlimmer kommt als mit - wie Sie vermuten - vorheriger Schönhuberei. 

Mir kommt die von Ihnen für möglich gehaltene (industrie-) »Faschistische Liga« nicht wahrscheinlich vor. Das Eingeschworensein auf »Wissenschaft und Fortschritt« ist heute ein Phänomen der »unterentwickelten« Länder, bei den Herren unserer Hochfinanz und Hochtechnologie ist wohl die Antriebsfeder schon angebrochen; etwas in ihnen ahnt, was der Dürrenmatsche Romulus Augustulus weiß, dass »Rom nicht mehr wert ist, verteidigt zu werden«. 

Ich denke inzwischen, jede auch nur psychisch gewaltsame Strategie kann diese »natürliche« Erosion des bisherigen westlichen Grundimpulses nur stören. Bei dieser Erosion werden natürlich »Teilchen frei«, und die positiv zu organisieren, erscheint mir als die epochale Forderung, an der wir zu arbeiten hätten.

Sie gehen ja auch davon aus, dass die Institutionen und ihre »Policies« — wenn man Ihren Minister Heiland nimmt, sogar über eine sehr kurze Strecke — umgesetzte Bewusstseinsverfassungen sind. Wir kriegen letztlich, was wir — nun auch im buddhistischen Sinne »verdienen«, weil zurück kommt, was wir sind ...   Herzliche Grüße Ihres Rudolf Bahro, Berlin, den 10.4.1994

320-321


2. Antwort von Dirk C. Fleck an Rudolf Bahro, 1994  

 

 

Lieber Herr Bahro, ich habe mich über Ihr Schreiben sehr gefreut. 

Sie haben sicher in vielen Punkten recht, die Logik utopistischer Entwürfe ist ja auch leicht auszuhebeln, zumal es sich bei <GO> um eine Hochrechnung handelt, die die Alpträume der Zukunft in sehr erkennbarem Maße abfedert. Die Realität wird vermutlich viel grausamer sein.

Insofern ist <GO> idealistisch nach vorne gedacht und — im Vergleich zu den zu erwartenden Grausamkeiten der <ebenerdig schäublemäßig> daher kommenden Katastrophe beileibe nicht das Schreckensszenario, als das es gerne dargestellt wird, sondern ein beinahe harmloses Buch.

Jede Reise, die mich außerhalb Europas führt, bestätigt mir in fataler Weise, dass die Menschheit kurz vor dem »Endsieg« steht; alles was ich sehe, ist auf Zerstörung ausgerichtet. Anzeichen dafür, dass wir zur Besinnung kämen, kann ich nicht entdecken. 

Insofern glaube ich in der Tat, dass wir es schon bald mit »natürlichen« Verhältnissen zu tun bekommen, vor deren Hintergrund jede soziale, religiöse oder wie auch immer geartete gesellschaftliche Auseinander­setzung lächerlich anmutet. 

In Zukunft werden ganz andere Dinge eine Rolle spielen: Verteilungs­kämpfe um die letzten Ressourcen, verbunden mit einem unvorstellbarem weltweiten Elend. 

Eine solche Gewissheit ist nicht leicht zu ertragen, zumal sie mich außerstande setzt, den politischen Debatten zum Thema noch irgendeinen Reiz abzugewinnen, solange sie nicht die Bereitschaft zur Radikalität erkennen lassen.

Ich wünsche Ihnen weiterhin Mut und Erfolg.
Herzlichst Ihr Dirk C. Fleck, Hamburg, den 10.5.1994

322

 

 ^^^^

www.detopia.de