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Sachbuch

"Bruder Norman!"

Der Unentdeckte

 

Niklas Frank hat aus seiner NS-Familiengeschichte ein Lebenswerk gemacht. Für das spektakuläre Buch über seinen Vater Hans Frank, den "Schlächter von Krakau", wurde er angefeindet. Jetzt setzt er sich mit seinem älteren Bruder auseinander. Eine Begegnung.

 

 

Von Stephan Lebert

18. Juli 2013

DIE ZEIT

Nr. 30/2013

49 Kommentare AUS DER ZEIT NR. 30/2013

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Eigentlich ist Niklas Frank ein deutsches Idol. Aber geht das, Idol sein, ohne Anerkennung, ohne Verehrung?

Ausgesetzt wurde er auf dem schlimmsten Berg der deutschen Geschichte. Ohne Hilfe. Musst selber sehen, wie du da oben zurechtkommst, kleiner Niklas, erwachsener Niklas, alter Niklas.

Der Vater, Hans Frank, wurde 1939 Generalgouverneur im besetzten Polen, man nannte ihn schnell den "Schlächter von Krakau". Er war einer der Hauptverantwortlichen des Holocaust, wurde als Massenmörder 1946 in den Nürnberger Prozessen verurteilt und hingerichtet, durch den Strang.

Soll sich jeder mal vorstellen, wie es wäre, einen solchen Vater zu haben. Wie es wäre, wenn die üblichen, die normalen Vater-Sohn-Bilder, Vater spielt, Vater schimpft, Vater lobt, sich mit den Bildern von Leichenbergen und von unvorstellbaren Grausamkeiten mischen. Und immer die Gewissheit: Das hat mein Vater gemacht, daran ist mein Vater schuld.

Die Bilder von Niklas Frank sehen so aus: Vater Hans hatte das Schloss in Krakau zum Familiensitz gewählt, und als kleiner Junge nahmen ihn die Eltern oft mit runter ins Ghetto. Er erinnert sich an einen Nachmittag, an dem er zuschauen sollte, wie Nazischergen abgemagerte Männer auf wilde Esel setzten, bis sie wieder runterfielen, unter allgemeinem Gelächter, auch der kleine Niklas lachte, nur die mageren Männer nicht. Als er Jahrzehnte später eine Lesung in Krakau hatte, kam eine alte Frau auf ihn zu und meinte, für sie als Kind sei das Schloss nur Angst gewesen, nichts als Angst, weil von dort immer nur schreckliche Befehle ergangen seien. "Da stand ich vor dieser Frau und war vor Scham wie gelähmt: Was will man da auch antworten?", sagt er.

 

Ein Frühsommertag in Berlin. Gut sieht er aus auf der Restaurantterrasse mit seiner Baseballmütze, jünger als 73 Jahre. Den ersten Interviewtermin einige Tage zuvor hatte er abgesagt. Die Ehefrau rief an, "mein Mann hat einen Herzinfarkt, ist in der Klinik". Wenige Tage später kommt eine SMS: "Bin wieder pumperlgesund..." Ein paar Stents wurden ihm gelegt. Alles wieder gut. Frank lebt in der Nähe von Itzehoe, jetzt ist er mit seiner Frau ein paar Tage in Berlin, Enkelkinder hüten.

Niklas Frank sagt: "Ich war mir früher immer ganz sicher, unser Gemetzel an den Juden, unser deutscher Massenmord wird uns am Ende irgendwann in den Abgrund ziehen. Wir Deutschen werden unsere Rechnung noch bekommen, die Geister werden uns holen. Aber jetzt denke ich anders. Und da spielen meine Enkelkinder sicher eine Rolle. Das Leben ist stärker als die Vergangenheit. Das Leben ist stärker als alles."

 

Er hat 1987 ein spektakuläres Buch über seinen Vater geschrieben, vorab gedruckt in einer stern-Serie, spektakulär auch deshalb, weil ein Sturm der Entrüstung losbrach, nicht etwa über die Entsetzlichkeit des Vaters, nein, über die beinahe grenzenlose Gnadenlosigkeit des Sohnes. Niklas Frank hat dann ein vernichtendes Buch über seine Mutter geschrieben, über Brigitte Frank, die mit den Memoiren des Gatten, Im Angesicht des Galgens, viel Geld verdiente. Und jetzt, in diesen Wochen, erschien sein Buch über seinen Bruder, über Norman Frank, der über 80-jährig starb, von allem verlassen, nur nicht vom Vater, dessen Porträt als Ölgemälde über seinem Sterbebett hing.

Niklas Frank ist von Beruf Journalist, er arbeitete jahrzehntelang für den stern, als Kulturjournalist, später auch als Krisenreporter etwa während des Irakkriegs. Er war immer ein brillanter Autor, aber seine Familienbücher zeichnet etwa anderes aus: Als hätte er das Gift seiner Familie durch sich hindurchlaufen lassen, und am Ende waren die Texte eine Art Essenz, die seinen Körper wieder verlassen hat. Das Vaterbuch schrieb Frank in einem zwölfwöchigen Rauschzustand. Es war Winter, er saß in einem ungeheizten Raum mit Mantel und Mütze und hackte auf die alte Erika-Schreibmaschine ein, die schon seiner Mutter gehört hatte. Er beschrieb seinen Vater als machtgeil, korrupt, verlogen, grausam. Er schrieb Sätze wie: "Warum ziehe ich dich verbal so in den Dreck? Es gibt mir ein so aufmüpfiges Gefühl. Ganz jung bin ich dann... Du steckst mir tief im Hirn, aber irgendwann, vielleicht als Greis, habe ich dich im Griff, hab ich dich überwunden, das Knacken deines Genicks wird als Laut schwächer in meinem Kopf." Und er schilderte quälend genau, wie er als junger Mensch in den Nächten vor dem 16. Oktober, der Hinrichtung seines Vaters, voller Wut und Verzweiflung und Verachtung für den sterbenden Vater onanierte.

 

Im Ausland wurde das Buch Franks rasch als das begriffen, was es ist: Da stellt sich ein junger Deutscher der Vergangenheit und spürt das Blut der Geschichte in sich. Da geht ein Deutscher stellvertretend für sein Land durch die Hölle, durch seine Hölle – und verwehrt seinen Landsleuten den Weg in die Verlogenheit: Ein paar grausige Nazis hätten das deutsche Volk ins schreckliche Unglück verführt, ein paar Täter, ein paar Horrorgestalten, aber doch nicht die Mehrheit. Der Chefankläger im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess, Robert M. W. Kempner, nannte die Frank-Veröffentlichung "einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Menschenrechte".

In Deutschland als Nestbeschmutzer beschimpft In Deutschland hingegen war die Empörung über die stern-Serie einhellig. Hunderte von Leserbriefen geißelten den Sohn, egal, was der Vater getan habe, so dürfe ein Sohn nicht über seinen Vater urteilen. Das war der kollektive Sound, auch der der allermeisten Medien, die ZEIT inklusive, die Niklas Frank als irren Psycho abstempelten. Die Reaktionen auf das Buch von Niklas Frank sind bis heute ein erschütterndes Dokument der Weigerung der Deutschen bis weit in die achtziger Jahre hinein, den Naziterror an die eigene Familie herankommen zu lassen. In der Aufarbeitung der Geschichte war jedes Gefühl erfroren, und als Frank mit seinem Gefühlssturm loslegte, konnte nur noch größere Kälte helfen.

25 Jahre ist das her. "Das hat mich damals sehr, sehr verletzt, dieses Etikett, ach, das ist doch ein Irrer." Es gab keine Diskussionen, keine Debatte, keine Reaktionen aus der Politik, es gab nur Häme und Spott. Ob er damals überlegte, Deutschland zu verlassen? Nein, sagt er, "keinen Moment. Ich bin ein Deutscher durch und durch." Nach einer kleinen Pause fügt er hinzu: "Ich mag dieses Land." Dann lacht er. Das macht er oft, er lacht, wenn der Widerspruch nicht auszuhalten ist. Er mag dieses Land? "Ich bin ein Spießer, ich mag es, wenn alles funktioniert. Und ich kenne die Abgründe. Nein, ich gehe nicht weg."

Man könnte ihn einen Seismografen wider die Verlogenheit nennen. Als der Zweiteiler Unsere Mütter, unsere Väter lief und alle Medien die Geschichtsstunde bejubelten, wurde er von der Redaktion der Jauch-Talkshow gefragt, ob er mitdiskutieren wolle. Gerne, sagte er, es kam auch zu einem Vorgespräch, in dem er sagte, was er von dieser Fernsehproduktion halte. Ein übles Machwerk sei es aus seiner Sicht, die Antisemiten seien in erster Linie die Polen gewesen, die Täter irgendwelche Underdogs, und die meisten Deutschen seien Opfer gewesen, arme Opfer. Da war sie wieder, die Schärfe von Niklas Frank, sein Zorn. Am Ende saß er nicht bei Jauch, man wollte doch das tolle Stück Fernsehen feiern, da hätte Niklas Frank nun wirklich gestört.

Auch für sein neues Buch Bruder Norman! hat sich Frank für ein radikales Szenario entschieden. Die ersten Sätze lauten: "Da liegt er nun, mein Bruder Norman. Tot. Im riesigen Präparationssaal der Anatomie der Münchner Universität. Vollgepumpt mit Hochprozentigem bis ins letzte Äderchen. Das würde ihm gefallen, sagt der Professor. Wir grinsen... Ich hatte dem Professor von Normans Alkoholsucht erzählt... Allerdings hätte er dieses Gebräu, mit dem er konserviert worden ist, nur in seinen schwärzesten Verzweiflungsstunden getrunken. Wenn er auf allen Vieren den Gang entlanggekrochen kam, nachts um drei, und lallend um Schnaps bettelte: 15,6 Liter Ethanol, 192 Milliliter Formaldehyd, 180 Gramm Polyethylenglykol..." Norman war der ältere Bruder, lange beim Bayerischen Rundfunk beschäftigt, er hatte in seinem Testament verfügt, dass seine Leiche der Anatomie vermacht wird. Die Obduktion wird zur inneren Gliederung des Buches. "Es war die Wirrnis eines deutschen Täterkindes", schreibt Frank über seinen Bruder, "dessen Mantra hieß: Ich weiß, unser Vater war ein Naziverbrecher, aber ich liebe ihn."

Niklas Frank hat ein Kammerspiel entworfen. Zwei Brüder unterhalten sich über ihr Leben, ihre Lügen, über den verlogenen Vater, über die Mutter, die sich nackt Norman zeigte und ihn fragte, ob sie wirklich so hässlich sei, dass sie vom Vater verlassen werden müsse. Sie reden über Hitler, der Hans Frank die Scheidung verbat, und sprechen über die letzte Begegnung mit dem Vater vor dessen Hinrichtung. Da war er in den Katholizismus geflüchtet, die Kinder erlebten einen winselnden Mann, auch dieses Bild haben sie behalten. Wäre es mit einem Nazitäter wie Hermann Göring leichter gewesen, der nicht jammerte, sondern bis zum Schluss sagte: "Ich habe wenigstens zwölf Jahre richtig gelebt"?

Die Rollen der Dialoge sind klar verteilt: Niklas will, dass Norman endlich auf allen Ebenen einsieht, was der Vater für ein Dreckskerl war, und Norman fragt Niklas immer wieder, wohin das führen soll, die ganze Selbstzerfleischung. Merke, sagt Norman an einer Stelle, "das Bittere ist der Zwilling der Wahrheit." Auf Seite 58 lässt Niklas seinen Bruder in einem einsichtigen Moment fragen: "Der hat keinen Kern. Wenn er mir jetzt gegenübersäße, würde ich ihn genau das fragen: Warum, Vati, hast du keine Substanz? Warum zerbröselst du vor einem?"

 

 

Frank wählt eine fast karge Sprache in den Gesprächsprotokollen, die er in erster Linie aus seinen Notizen zusammengestellt hat. Man hat das Gefühl, es geht in beinahe jedem Satz ums Ganze, etwa wenn er über Mutter, Vater, vier Kinder schreibt: "Was für eine glückliche Familie: Weil der Vater ein verbrecherisches Leben führte, wird sein ältester Sohn zum Alkoholiker, der zweite Sohn säuft sich verzweifelt mit bis zu dreizehn Litern Milch pro Tag in den frühen Tod, die älteste Tochter greift in ihrer Jugend zu Tabletten und danach jahrzehntelang zu Valium, die zweite Tochter schafft ihren Lebensabtritt mit Rattengift, und ich krakeele hilflos nach draußen. Bruder, der Preis für ein paar Jahre mit Personal war brutal hoch."

 

Mehr Katastrophe geht nicht in ein paar Zeilen. Zwei Menschen, zwei Deutsche. Daraus ein Theaterstück zu machen, das würde ihn reizen, sagt er, "oder einen Film".

 

Niklas ist der Letzte aus der Familie. Für einen Film des russischen Fernsehens ist er vor einigen Monaten in eine Zelle in einen Nürnberger Gefängnistrakt gegangen, eine Zelle, die nahezu identisch mit der Todeszelle des Vaters war. Für einen Augenblick, sagt er, kam da so etwas wie Mitleid auf, als er sich vorstellte, wie es dem Vater vor der Hinrichtung gegangen sein muss. Doch dieses Gefühl vertrieb er schnell wieder. Es ging ganz leicht. Er stellte sich nur den Deutschen aus dem Krakauer Ghetto vor, der ein jüdisches Kind an den Füßen packte und so gegen die Hauswand schleuderte, dass der Kopf zerplatzte.

Ein Lebenswerk hat er aus seiner Familiengeschichte gemacht. Im Ausland ist er dafür hoch geachtet. Da ist er ein guter Deutscher, ein fühlender Deutscher. Und in Deutschland? Der böse Deutsche? Der Nestbeschmutzer? Nennen wir es anders, freundlicher: Niklas Frank ist der Unentdeckte. Immer noch.

 

 

 

 

 

 

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