Start    Weiter

2. Kreis   Die Natur 

— Upanishaden  —  Dschuang Dsi  —  Demokrit  —  Heraklit  —  Leonardo da Vinci  —  Goethe  —  Leopardi  —  Emerson  —  Whitman  —  Rilke —

 

44-61

Unter Natur verstehen wir hier den belebten Teil unseres Planeten, die organische Welt, wovon der Mensch ein Teil ist. Eigenartigerweise hat aber der Mensch keinen Sinn für das Organische entwickelt — oder ihn wieder verloren. Demzufolge konnte er, obwohl sein eigener Körper organisch aufgebaut ist und funktioniert, weit verläßlichere Erkenntnisse aus den Bereichen der unbelebten Natur zusammentragen: in Physik, Chemie und Mathematik. Diese exakten Wissenschaften haben die letzten Jahrhunderte bestimmt. Es wurden zwar auch zum Beispiel durch die Mikrobiologie die Genketten gefunden, eine wichtige Entdeckung, die die Vererbung erklärt; aber all diese Erfolge brachten keine Antwort auf das Warum?

Die Natur hält ihre wichtigsten Geheimnisse vor menschlicher Neugier weiterhin verborgen. Die Menschen fanden die fehlende Ergänzung noch immer im religiösen Glauben, der ihrem Dasein die Erfüllung zu schenken vermochte.

Über das Leben und seine unbegreiflichen Vorgänge wissen wir heute trotz der Mengen inzwischen angehäuften Einzelwissens im Grunde, das heißt in einem philosophischen Sinne und damit auch tatsächlich, nicht mehr, als die großen Denker der Chinesen und der alten Griechen bereits darüber herausfanden. Und die Weisesten sind immer noch die gewesen, die sich dabei der Begrenztheit ihres Wissens bewußt blieben.

Unter den neueren Zeugnissen enthält Goethes um das Jahr 1780 verfaßte Betrachtung über <Die Natur> nach wie vor das Tiefste. Wobei Goethe mit den ihm bekannten Griechen und den Chinesen in einer Tradition steht, in die auch Leonardo da Vinci einzuordnen ist. Diese Weltauffassung vertritt in Nordamerika Ralph Waldo Emerson, der wiederum in enger Verbindung mit Henry David Thoreau stand, auf dessen Buch <Walden oder Hüttenleben im Walde> hier ein Hinweis genügen muß. Der Dritte in dieser Blütezeit amerikanischer Dichtung ist Walt Whitman, dessen Gedichte uns durch mehrere Kreise begleiten. Die unvergleichlich breitere europäische Dichtung über die Natur erscheint hier nur in ihren ökologisch besonders relevanten Zeugnissen.

*


45

Die acht Essenzen

 

Die Essenz der irdischen Wesen ist die Erde

(denn sie bestehen aus Erde, wie die Verwesung zeigt); Die Essenz der Erde ist Wasser; Die Essenz des Wassers sind die Pflanzen

(die nur wachsen, wo Wasser ist, also aus ihm bestehen); Die Essenz der Pflanzen ist der Mensch

(der von pflanzlicher Nahrung lebt); Die Essenz des Menschen ist die Sprache

(durch die er sich von allen anderen Geschöpfen

unterscheidet); Die Essenz der Sprache ist der beim Opfer rezitierte heilige Vers; Die Essenz des heiligen Verses ist der heilige Gesang

(die Melodie, auf die er beim Opfer gesungen wird); Die Essenz des heiligen Gesanges ist der udgitha.

Was man den udgitha nennt, ist also die letzte Essenz der Essenzen, die höchste, die äußerste, die achte.

Aus den altindischen »Upanishaden«

 

*

 

Das Wirken der Natur zu kennen, und zu erkennen, in welcher Beziehung das menschliche Wirken dazu stehen muß: das ist das Ziel. Die Erkenntnis des Wirkens der Natur wird durch die Natur erzeugt, und die Erkenntnis des (naturgemäßen) menschlichen Wirkens wird dadurch erlangt, daß man das Erkennbafe erkennt und das, was dem Erkennen unzugänglich ist, dankbar genießt. Seines Lebens Jahre zu vollenden und nicht auf halbem Wege eines frühen Todes sterben: das ist die Fülle der Erkenntnis.

Dschuang Dsi

 

Der Zufall schenkt große, aber unsichere Güter; die Natur dagegen ist sich selbst genug. Deshalb übertrifft sie mit ihren kleineren aber sicheren Gaben die Hoffnung mit ihren größeren Aussichten.   

Demokrit

 

Die Natur liebt es, sich zu verbergen.

Heraklit


 

 

 

 

61

#

www.detopia.de     ^^^^  
  Herbert Gruhl (Herausgeber) Glücklich werden die sein....  Zeugnisse ökologischer Weltsicht  aus vier Jahrtausenden