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5. Kreis:  Des Wechsels ewige Wiederkehr 

Heraklit — Alkmaion — Anaximander — Der Prediger —  Liä Dsi — Laotse — Dschuang Dsi — Goethe — Nietzsche — Rilke 

 

 

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Ökologisches Denken bewegt sich in Kreisen, und es hat weder Anfang noch Ende; über den Gegenpol kehrt die Schlußkette immer wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Es entspricht dem Naturgeschehen, das im immerwährenden Wechsel kreist: Sommer und Winter, Tag und Nacht, Saat und Ernte, Wachsen und Sterben, Wachen und Schlafen, Einatmen und Ausatmen. »Alles hat seine Zeit«, sagt der Prediger Salomos, aber er beklagt die Sinnlosigkeit des Wechsels zu unrecht.

Der Bedeutendste der Kreisdenker ist der griechische Philosoph Heraklit, zu dessen Richtung viele Philosophen und Dichter vor Sokrates gehören. — Die überragende Sonderstellung Heraklits, der als »der Dunkle« in die Überlieferung einging, nimmt in China Laotse ein. Über sein Leben weiß man noch weniger als über das Heraklits, sogar die Zeit seines Wirkens ist fraglich. Die überlieferten 81 Stücke des Tao Te King (das Buch vom Weltgesetz und seinem Wirken) soll er am Grenzpaß niedergeschrieben haben und dann verschwunden sein; aber diese und andere Episoden seines Lebens sind Legende. 

Uns interessieren die überlieferten Worte, gleich, wer sie aufgezeichnet hat. Wir geben mehrere Schilderungen über Gespräche zwischen Kungfutse (Kung Dsi) und Laotse (Lau Dan) wieder, die sich auf den SINN der Welt konzentrieren. Kungfutse vertritt dabei das logische Denken, Laotse das ökologische, das über die Ratio hinausreicht. Die mystischen Naturerfahrungen lassen sich mit der Sprache kaum wiedergeben. Das haben sie mit der religiösen Mystik gemeinsam. Die Indianer Nordamerikas hatten ein solches Gefühl des Einsseins mit der natürlichen Umwelt.

Goethe, Rilke und andere Dichter haben versucht, derartige Welterfahrungen in ihren Werken festzuhalten. Somit steht Friedrich Nietzsche, der sich zuweilen als der erste Lehrer der »Ewigen Wiederkehr« sieht, in einer Jahrtausende währenden Tradition. 


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Worte Heraklits 

 

Diese Weltordnung hier hat nicht der Götter noch der Menschen einer geschaffen, sondern sie war immer und ist und wird immer sein: immer-lebendes Feuer, aufflammend nach Maßen und verlöschend nach Maßen. Feuers Wende: zuerst Meer; des Meeres eine Hälfte Erde, die andere flammendes Wetter... Das Meer zerfließt und erfüllt sein Maß nach demselben Sinn, der auch galt, bevor es Erde wurde.

 

Gott ist Tag Nacht, Winter Sommer, Krieg Frieden, Sattheit Hunger; er wandelt sich wie Öl (?): mischt sich dies mit Duftstoffen, so heißt es nach dem jeweiligen Geruch.

Ein und dasselbe ist Lebendiges und Totes und Wachendes und Schlafendes und Junges und Altes; denn dies schlägt um und ist jenes, und jenes wiederum schlägt um und ist dies.

Es lebt das Feuer der Erde Tod und die Luft lebt des Feuers Tod, das Wasser lebt der Luft Tod, die Erde den des Wassers.

Der Seelen Tod ist Wasser zu werden, Wassers Tod Erde zu werden; aus Erde aber gewinnt Wasser Leben und aus Wasser die Seele.

Das Entgegengesetzte paßt zusammen, aus dem Verschiedenen ergibt sich die schönste Harmonie, und alles entsteht auf dem Wege des Streites.

Zu Unrecht sagt Homer: »Möchte doch schwinden der Streit aus der Welt der Götter und Menschen!« Dann ginge ja alles zugrunde. Denn es gäbe keine Harmonie, wenn es nicht hohe und tiefe Töne gäbe, und keine lebenden Wesen ohne Weibliches und Männliches, was doch Gegensätze sind.

Krankheit macht Gesundheit süß und gut, Hunger die Sattheit, Mühe die Ruhe.

Gleich ist Anfang und Ende auf der Kreislinie.


 

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  Herbert Gruhl (Herausgeber) Glücklich werden die sein....  Zeugnisse ökologischer Weltsicht  aus vier Jahrtausenden