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6. Kreis  -  Der unfaßbare Sinn  

Heraklit — Philolaos — Alkmaion — Pindar — Dschuang Dsi — Liä Dsi — Laotse — Pascal — Goethe — Rilke — Hofmannsthal 

 

118-136

Zu allen Zeiten haben Menschen den Sinn der Welt und ihres Daseins gesucht. Die großen Weisen der Vergangenheit versuchten, dem Sinn in den lebendigen Vorgängen der Natur nachzuspüren. Und zuweilen glaubten sie, ihn gefunden zu haben, womit noch nicht gesagt ist, daß sie sich sprachlich verständlich machen konnten. 

Am ehesten gelingt dies den Dichtern. Sehr oft liegen den Texten irrationale Erfahrungen und mystische Erlebnisse zugrunde. Wir bewegen uns hier wie schon im vorigen Kreis in einem Grenzbereich, der zur Transzendenz offen ist, aus welchem auch die psychologischen Wissenschaften Beiträge zur Erahnung letzter Dinge erbringen. Die höchsten Gipfel der Weisheit zu ersteigen, ist nur einzelnen vergönnt.

Mit Laotse mag die chinesische Philosophie die äußerste Spitze erklommen haben. In den wiedergegebenen drei Gesprächen hatte Laotse Mühe, selbst dem weisen Kungfutse seine Vorstellung vom höchsten Sinn zu vermitteln. »Wer darüber redet, ist noch nicht am Ziel.« Soweit er uns faßbar erscheint, läuft es stets darauf hinaus: Nur in der Naturordnung ist der ganze Sinn enthalten. Je stärker der Mensch eingreift, umso mehr Unheil richtet er an, umso mehr weicht dann die Welt vom wahren Leben ab. Der Sinn offenbart sich in der Stille, im Schweigen, in der Leere. Auf solche Weise dringt Laotse zum Wesen vor, zum All-Einen, das noch über dem Himmel ist.

In dieser Problematik steht 2000 Jahre später Blaise Pascal, wenn er den Menschen auf dem schmalen Grat zwischen Unendlichkeit und Nichts wandern sieht. In seinem verzweifelten Ringen fand er für sich den Halt im christlichen Glauben.

Die ganze spannungsreiche Dialektik des Kreisdenkens finden wir in Goethes Gedichten und schließlich in unserem Jahrhundert in denen Rainer Maria Rilkes. Die höchste Bewunderung widerfährt dem Menschen sozusagen aus dem Jenseits durch die Schlußworte, die Hugo v. Hofmannsthal dem »Tod« in seinem Drama <Der Tor und der Tod> in den Mund legt.


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Heraklit, der Sohn des Bloson, der Ephesier, lehrt also:

Diese Lehre hier, ihren Sinn, der Wirklichkeit hat, zu verstehen, werden immer die Menschen zu töricht sein, so ehe sie gehört, wie wenn sie erst gehört haben. 

Denn geschieht auch alles nach diesem Sinn, so sind sie doch wie Unerfahrene — trotz all ihrer Erfahrung mit derlei Worten und Werken, wie ich hier sie eingehend auseinanderlege einzeln ihrem Wesen nach und erkläre, wie sich jedes verhält; den andern Menschen aber bleibt unbewußt, was sie im Wachen tun, wie was sie im Schlaf bewußtlos tun.

Habt ihr nicht mich, sondern den Sinn vernommen, so ist es weise im gleichen Sinn zu sagen: Eins ist alles.

Eins, das einzige Weise, läßt sich nicht und läßt sich doch mit dem Namen des Zeus (des »Lebens«) benennen.

Denn das Weise ist das Eine: den einsichtsvollen Willen zu verstehen, der alles durch alles hindurchsteuert. 

Heraklit

 

Mit Natur und Harmonie verhält es sich folgendermaßen: Um das Wesen der Dinge, das ewig ist, und die Natur selbst zu erfassen, bedarf es göttlicher, nicht menschlicher Erkenntnis .....   
 
Philolaos

Über das Unsichtbare und über das Vergängliche haben nur die Götter Klarheit, die Menschen können bloß Schlüsse machen.  
 
Alkmaion

 

Wir Flüchtigen! Was wir sind, schon sind wir's nicht mehr. Ein Traum 
Des Schattens, das ist der Mensch. Aber, kommt nur ein Strahl von 
Gott her, gleich ist es hell, und das Leben dünket uns freundlich.
   Pindar  - Aus der achten <Pythischen Ode>


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Das große Erreichen

Kung Ds'i befragte den Lau Dan und sprach: »Da Ihr heute Muße habt, möchte ich Euch nach dem höchsten SINN fragen.«

Lau Dan sprach: 

»Reinige dein Herz durch Fasten und Kasteien! Wasche weiß wie Schnee deinen Geist! Entschlage dich deines Wissens! Denn der SINN ist tief und schwer mit Worten zu erreichen. Ich will dir seine Umrisse andeuten:

Das Licht entsteht aus dem Dunkel; das Gesetzmäßige entsteht aus dem Unkörperlichen. Der Geist entsteht aus dem SINN; die Wurzel des Leibes entsteht aus dem Samen. Darum pflanzen sich alle Einzelwesen leiblich fort. So werden die Wesen mit neun Körperöffnungen vom Mutterleib geboren, und die mit acht Körperöffnungen kommen aus dem Ei. Sie kommen, und man weiß nicht woher; sie gehen, und man weiß nicht wohin. Da ist kein Tor und ist kein Haus; nach allen Richtungen breiten sie sich aus im Grenzenlosen. Die (den Sinn dieses Werdens) verstehen, deren Glieder werden stark, deren Gedanken werden durchdringend, deren Ohren und Augen werden aufgetan und klar, deren Herzensregungen schaffen keine Ermüdung, und ihre Beziehungen zur Außenwelt sind ohne Schranken. Ohne diesen SINN wäre der Himmel nicht hoch; ohne ihn wäre die Erde nicht weit; ohne ihn könnten Sonne und Mond nicht ihre Bahn ziehen; ohne ihn könnten alle Dinge nicht gedeihen. All das sind Wirkungen des SINNS.

Ausgebreitetes Wissen führt aber nicht notwendig zu dieser Erkenntnis; durch Beweise wird man nicht notwendig weise. Darum entsagt ihnen der berufene Heilige. Dasjenige, was durch Vermehrung nicht vermehrt werden kann und durch Verminderung nicht vermindert werden kann, ist es, was der Heilige festhält. Tief wie das Meer, unendlich, so daß jeder Schluß zugleich ein Anfang ist; allen Wesen ihr Maß zuwendend, ohne sich zu erschöpfen; der Herrscher Pfade bestimmend und doch jenseits von ihnen; allen Geschöpfen, die sich nahen, spendend, was sie brauchen, ohne sich zu erschöpfen: das ist der SINN.

Im Reich der Mitte leben Menschen, die fragen nicht nach Mann und Weib. Sie leben zwischen Himmel und Erde in Menschengestalt, aber sind im Begriff, zurückzukehren zum Ahn aller Dinge. Von dieser Wurzel aus betrachtet ist das Leben nur wie der Hauch eines Seufzers, und alle Wesen, ob sie alt werden oder in der Jugend sterben, unterscheiden sich in ihrer Lebensdauer doch nur um eine kurze Spanne Zeit, die kaum ausreicht, um Recht und Unrecht zu verteilen.


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Bäume und Sträucher haben ihre festen Ordnungen.

Die menschlichen Ordnungen sind wohl schwieriger, darum sind Regeln und Gesetze eingeführt. Wenn der berufene Heilige mit diesen Ordnungen zusammentrifft, so fügt er sich ihnen; gehen sie vorüber, so sucht er sie nicht festzuhalten. Absichtlich ihnen entsprechen heißt Tugend; ganz von selber ihnen entsprechen heißt der SINN. Er ist's, der die Herrscher groß macht und die Könige erhebt.

Das Leben des Menschen auf Erden ist schnell vorüber wie der Schein eines weißen Rosses, der durch eine Spalte fällt; im Augenblick ist es vergangen. Schäumend und wild treten sie alle ins Leben ein; sachte und glatt gehen sie alle wieder hinaus. Sie machen einen Wandel durch und werden geboren; ein weiterer Wandel, und sie sterben. Die lebenden Geschöpfe trauern darob, der Menschen Geschlechter klagen darum, und doch lösen sich nur die Schranken der Natur und fallen ab die Hüllen der Natur. Verwirrt und geblendet fährt die Seele dahin, und der Leib folgt ihr nach. Das ist die große Heimkehr. Daß das Sichtbare aus dem Unsichtbaren kommt und wieder zurückkehrt zum Unsichtbaren, ist etwas, das alle Menschen wissen. Aber es macht dem, der im Begriff ist, ans Ziel zu kommen, keine Sorgen. Es ist etwas, worüber alle Menschen reden, aber wer das Ziel erreicht hat, redet nicht darüber. Wer darüber redet, der ist noch nicht am Ziel. Es hat keinen Wert, deutlich sehen zu wollen; darum ist besser als Beweisen das Schweigen. Den SINN kann man nicht vernehmen; darum ist besser als Horchen die Ohren zu schließen. Das ist das große Erreichen.«

DschuangDsi

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Ruhe für die Welt

Ich weiß davon, daß man die Welt leben und gewähren lassen soll. Ich weiß nichts davon, daß man die Welt ordnen soll. Sie leben lassen, das heißt, besorgt sein, daß die Welt nicht ihre Natur verdreht; sie gewähren lassen, das heißt, besorgt sein, daß die Welt nicht abweicht von ihrem wahren LEBEN. Wenn die Welt ihre Natur nicht verdreht und nicht abweicht von ihrem wahren LEBEN, so ist damit die Ordnung der Welt schon erreicht. 


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Der heilige Herrscher Yau suchte die Welt zu ordnen, indem er sie fröhlich machte; aber wenn die Menschen mit Lust ihrer Natur bewußt werden, geht die Ruhe verloren. Der Tyrann Gie suchte die Welt zu ordnen, indem er sie traurig machte; aber wenn die Menschen unter ihrer Natur zu leiden haben, so geht die Zufriedenheit verloren. Verlust der Ruhe und Zufriedenheit ist nicht das wahre LEBEN. Daß ohne das wahre LEBEN dauernde Zustände geschaffen werden, ist unmöglich. Wenn die Menschen zuviel Freude haben, io wird die Kraft des Lichten zu sehr gefördert; wenn die Menschen zu sehr gereizt werden, so wird die Kraft des Trüben zu sehr gefördert. Eine Steigerung dieser Kräfte führt dazu, daß die vier Jahreszeiten ihren rechten Lauf nicht haben, daß Kälte und Hitze nicht ihren Ausgleich finden. 

Dadurch wiederum wird der Menschen Leiblichkeit gestört, so daß der Menschen Lust und Groll ihre Grenzen überschreiten; sie werden unbeständig in ihrem Wesen und unbefriedigt in ihren Gedanken; sie lassen auf halbem Wege die Arbeit unvollendet liegen: auf diese Weise entstehen in der Welt Hoff art, Mißgunst, ehrgeiziges Tun und Eifersucht. Und so kommt es zu den Taten der Bösewichter und Tugendhelden. Darum ist es unzulänglich, die Welt heben zu wollen durch Belohnung der Guten, und es ist unmöglich, die Welt zu heben durch Bestrafung der Bösen. Die Welt ist so groß, daß man ihr mit Lohn und Strafe nicht beikommen kann. Vom Anbeginn der Weltgeschichte gab es nur Aufregung. Immer gab man sich nur damit ab, zu belohnen und zu strafen. Da hatte man dann freilich keine Zeit mehr, sich ruhig abzufinden mit den Verhältnissen der Naturordnung.

Lust am Scharfblick führt zum Übermaß der Farbenpracht; Lust an Feinhörigkeit führt zum Übermaß der Töne; Lust an der Menschenliebe führt zur Verwirrung des wahren LEBENS; Lust an der Gerechtigkeit führt zur Beeinträchtigung der Vernunft; Lust an den Umgangsformen fördert trügerischen Schein; Lust an der Musik fördert die Zügellosigkeit; Lust an der Heiligkeit fördert allerhand Kunstgriffe; Lust an der Erkenntnis fördert die Tadelsucht. Wenn die Welt sich ruhig abfindet mit den Verhältnissen der Naturordnung, so mögen jene Dinge da sein oder fehlen, und es bringt keinen Schaden. Wenn aber die Welt sich nicht ruhig abfindet mit den Verhältnissen der N^turordnung, dann fängt man an, jene Dinge unmäßig zu fördern oder gewaltsam zu unterdrücken, und verwirrt die Welt dadurch, und die Welt beginnt sie


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zu ehren, sie zu lieben. Tief wahrlich ist die Verblendung der Welt; nicht nur geht sie an diesen Dingen nicht vorüber oder entfernt sie, nein, sie fastet und kasteit sich, um von diesen Dingen zu reden; sie paukt und singt, um sie zu üben. Was läßt sich da machen?  

Darum, wenn ein großer Mann gezwungen ist, sich mit der Regierurig der Welt abzugeben, so ist am besten das Nicht-Handeln. Durch Nicht-Handeln kommt man zum ruhigen Abfinden mit den Verhältnissen der Naturordnung. Darum, wem sein (wahres) Ich wichtiger ist als die Herrschaft über die Welt, dem kann man die Welt übergeben. Wenn der Herrscher es fertig bringt, sein Inneres nicht zu zerteilen, seinen Scharfsinn nicht zu gebrauchen, dann weilt er wie ein Leichnam, und ungeheure Wirkungen zeigen sich; er ist in abgrundtiefes Schweigen gehüllt und erschüttert doch (die Welt); sein Geist bewegt sich, und die Natur folgt ihm; er läßt sich gehen und handelt nicht, und alle Wesen drängen sich um ihn zusammen. Wie sollte ein solcher noch Muße haben, die Welt zu ordnen!

Dschuang Dsi

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Der Pferdehirt

Der Herr der gelben Erde fragte den Pferdejungen: »Die Regierung der Welt ist allerdings nicht dein Geschäft, mein Sohn, und dennoch möchte ich dich fragen, wie man die Welt regiert.«

Der kleine Knabe lehnte die Antwort ab.

Als der Herr der gelben Erde abermals fragte, da sprach der kleine Knabe: »Die Regierung der Welt unterscheidet sich in nichts vom Pferdehüten. Man muß einfach fernhalten, was den Pferden schaden kann. Nichts weiter.«

Da verneigte sich der Herr der gelben Erde zweimal bis zum Boden, nannte ihn seinen himmlischen Meister und zog sich zurück.

Dschuang Dsi


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Einigung und Sonderung

Die wahren Menschen des Altertums folgten ihrer göttlichen Natur und mischten nicht ihr irdisches Bemühen ins Göttliche hinein. Sie kannten Werte, die unabhängig sind von Leben und Tod.

Darum heißt es: Wenn der Wind über den Fluß fährt, tut er ihm Abbruch, wenn die Sonne auf den Fluß scheint, tut sie ihm Abbruch. Aber laß nur Wind und Sonne miteinander ihre Tätigkeit am Flusse ausüben, und der Fluß wird dennoch nichts von ihren schädlichen Wirkungen merken, denn er hat eine Quelle, die ihn speist, und darum fließt er weiter. So stehen Wasser und Erde, Schatten und Körper, ja jedes Ding mit jedem andern in festen Beziehungen. So kommt das Auge durch Scharfsichtigkeit in Gefahr, das Ohr kommt durch Feinhörigkeit in Gefahr, die Seele kommt durch Begierden in Gefahr, ja jede Fähigkeit kommt dadurch in Gefahr, daß man sie zu übertreiben sucht. Wenn diese Gefahren sich verwirklichen, ohne daß man ihnen entgegentritt, so häuft sich das Unglück und mehrt sich immer mehr, und es ist eine harte und langwierige Arbeit, seine Folgen wieder zu beseitigen. Und dabei halten die Menschen die Dinge noch für ihre wertvollsten Güter. Ist das nicht traurig? So kommt es dazu, daß Reiche zugrunde gehen und Völker geschlachtet werden ohne Aufhören, und kein Mensch fragt nach der wirklichen Ursache.

Dschuang Dsi

 

Meister Gong Sang, ein Schüler Laotses, sprach:

Ist das Volk allzu eifrig auf Gewinn bedacht, so kommt es vor, daß Söhne ihre Väter töten, daß Diener ihre Fürsten töten, daß am hellen Tage geraubt wird und mittags eingebrochen wird. Ich sage Euch: die Wurzel der großen Verwirrung wurde gelegt in den Zeiten von Yau und Schun, und ihr Wipfel wird dauern auf Tausende von Geschlechtern hinaus. Nach tausend Geschlechtern wird es sicher noch dahin kommen, daß die Menschen einander auffressen........___

Dschuang Dsi


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Yin Fu Ging — Das Buch der geheimen Ergänzungen

 

1.   Des Himmels SINN erschauen, Des Himmels Wandel ergreifen Ist das Höchste.

2.   Der Himmel hat fünf Gewalttäter; Wer sie erblickt, wird blühen. Die fünf Gewalttäter sind im Ich; Wer sie wirken läßt im Himmel, Bekommt das Weltall in die Hand,

Und die Natur wird aus dem Ich geboren.

3.   Des Himmels innerstes Wesen ist der Mensch; Des Menschen Herz ist das Triebwerk.

Des Himmels SINN wird festgestellt Durch die Bestimmung des Menschen.

4.   Bringt der Himmel das Triebwerk des Tötens in Gang, Bewegen sich die Sterne, und die Himmelsbilder wandeln

[sich; Bringt die Erde das Triebwerk des Tötens in Gang, Kommen Drachen und Schlangen aufs trockne Land; Bringt der Mensch das Triebwerk des Tötens in Gang, Wird Himmel und Erde verkehrt und umgestürzt; Wirken Himmel und Mensch zusammen, Werden der ganzen Natur Grundlagen bestimmt.

5.   Das innere Leben hat Klugheit und Torheit, Man kann sie ducken und bergen.

Der neun Körperöffnungen Sünden Beruhen auf den drei wichtigsten; Man kann sie erregen und stillen.

6.   Feuer entsteht im Holz:

Das Wehe, in Gang gebracht, wird sicher überwältigen.

Falschheit entsteht im Staat:

Die Zeit, in Aufruhr gekommen, wird sicher zerstören.

Wer das erkennt, wer das in Ordnung bringt,

Der heißt: der Berufene.

7.   Der Himmel belebt, der Himmel tötet: Das ist das Gesetz des SINNS.

8.   Himmel und Erde sind Räuber an der Natur, Die Natur ist Räuber am Menschen,

Der Mensch ist Räuber an der Natur.


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Sind die drei Räuber im rechten Verhältnis,

So sind die drei Mächte im Frieden.

Darum heißt es:

Iß der Zeit entsprechend, so kommt der Leib in Ordnung;

Bewege das Triebwerk entsprechend, so kommen die

[Wandlungen zur Ruhe. 9. Der Mensch erkennt seinen Geist als Geist,

Aber er erkennt nicht, wodurch sein Geist Geist ist.

10.   Sonne und Mond haben ihre Zahl, Großes und Kleines hat sein Gesetz. Wenn des Berufenen Werk entsteht, Tritt die Klarheit der Götter hervor.

11.  Wie es zugeht bei jenem Rauben, Kann niemand auf Erden erblicken, Kann niemand erkennen;

Trifft es den Edlen, so bleibt er fest im Unglück, Trifft es den Gemeinen, so verachtet er das Geschick.

12.  Die Blinden hören gut, Die Tauben sehen gut.

Tu' ab eine Quelle des Gewinns, Und du wirst Helfer finden zehnfach! Dreimalige Umkehr bei Tag und Nacht bringt Helfer zehntausendfach.

13.   Das Bewußtsein wird erzeugt durch die Außenwelt Und stirbt mit der Außenwelt;

Das Triebwerk ist im Auge.

14.  Der Himmel hat keine Gnade. Eben darin zeigt er die größte Gnade. Plötzlicher Donner und Wirbelwind Kommt immer nur blindlings.

15.   Höchste Freude: des Wesens Überfluß, Höchste Stille: des Wesens Bescheiden. Des Himmels Aller-Eigenstes

Ist in seiner Wirkung das Aller-Allgemeinste;

Es in die Hand zu bekommen

Wird ermöglicht durch die Seelenkraft.

16.   Das Leben ist die Wurzel des Todes, Der Tod ist die Wurzel des Lebens; Segen entsteht im Unheil,

Unheil entsteht im Segen.


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17.   Die Toren suchen Offenbarungen

Durch Erforschung der Zeichen in Himmel und Erde.

Ich suche Weisheit

Durch Erforschung der Zeichen in Zeit und Welt.

18.   Die Menschen halten törichte Sorgen für Heiligkeit, Ich halte das Meiden törichter Sorgen für Heiligkeit. Die Menschen halten das Wunderbare für Heiligkeit, Ich halte das Nichtwunderbare für Heiligkeit:

Wer ins Wasser sich stürzt, ins Feuer geht, Zieht selber seinen Untergang herbei.

19.   Der SINN des auf sich selbst Beruhenden ist Stille: So entstehen Himmel, Erde und die ganze Natur. Der SINN Himmels und der Erde Durchtränkt das All:

So siegen Trübes und Lichtes übereinander. Und während Trübes und Lichtes sich ablösen, Gehen Änderung und Wandlung ihren Weg.

20.   Der Berufene hat erkannt,

Daß dem SINN des auf sich selbst Beruhenden

Nichts widerstehen kann;

Deshalb leitet er die Dinge

Durch den SINN der höchsten Stille.

21.   Was Gesetze und Regeln nicht befassen können, Ursprünglich ist es, ein Wunderding.

Das erzeugt alle Bilder:

Die Figuren des Seins und die Zeichen der Zeit,

Das Wirken der Götter

Und die Verborgenheit der Geister,

Das Geheimnis, wie das Trübe und Lichte einander

[besiegen, Leuchtend klar steht es da, Das Höchste: die Idee.

Liä Dsi

Kungfutse beim weisen Laotse

Kungfutse besuchte den weisen Laotse. Eifrig legte er seine zwölf klassischen Bücher vor ihm nieder.

»Ich glaube, du willst zuviel auf einmal«, sagte der Alte.


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»Was ist der Kernpunkt deiner Lehre?«

»Ich lehre Nächstenliebe und Gerechtigkeit«, antwortete Kungfutse.

»Sind dies Teile der menschlichen Natur?«

»Der Charakter eines Menschen ist nicht gut ohne Nächstenliebe und sein Leben nicht vollkommen ohne Gerechtigkeit. Also sind Nächstenliebe und Gerechtigkeit ein Teil seiner Natur. Was sonst könnten sie sein?« sagte Kungfutse beredt. Doch Laotse fragte still: »Was verstehst du unter Nächstenliebe und Gerechtigkeit?«

»Gleiches Glück allen Menschen zu bieten und alle Menschen ohne Unterschied und ungeteilt zu lieben: das ist die Essenz von Nächstenliebe und Gerechtigkeit.«

»Du redest, wie man heutzutage so redet«, sagte der Alte.

»Du sagst: >ohne Unterschied< und >ungeteilt< und setzest damit >geteilt< und >Unterschied< voraus. Wer war es denn, der Unterschiede schuf und zerteilte?

Wenn du die Menschen lehren willst, ihren verlorenen Hirten wiederzufinden, erinnere dich bitte daran, daß das Universum bereits ein ungeteiltes Ganzes ist. Sonne und Mond scheinen gerecht und unterschiedslos für alle, ihre Bahn verläuft regelmäßig und am vorgezeichneten Platz. Die Tiere leben schon immer in Herden beieinander oder auch einzeln. Die Bäume wachsen an dem für sie geeigneten Ort, und niemand braucht ihnen zu sagen, wie sie es richtig und gerecht machen sollen. Warum siehst du dir nicht einfach dieses Leben (Tao) und diese Gerechtigkeit (Te) an?

Du schwenkst deine Fahne von Nächstenliebe und Gerechtigkeit und verwirrst damit alles nur noch mehr. Du kommst mir vor wie ein Mann, dessen Sohn gestorben ist, und nun geht er herum und schlägt ungeduldig die Trommel in der Hoffnung, ihn dadurch wiederzufinden. Ach lehre doch lieber die Menschen, zu ihrer eigenen vollkommenen Einfachheit zurückzufinden. Das ist nämlich schon das höchste Tao.

Der Schwan ist weiß, ohne daß ihn jemand künstlich reinigt. Der Rabe ist schwarz, ohne daß ihn jemand >angeschwärzt< hat. Hell und Dunkel, Weiß und Schwarz, alles ist von selbst an seinem natürlichen Platz. Das ist gut.

All dieses Streben der Menschen nach gutem Ruf und organisierter Gerechtigkeit ist hoffnungslos. Weißt du, an was mich das erinnert? Wenn ein Teich ausgetrocknet ist und die Fische auf


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dem Trockenen liegen, versuchen sie sich gegenseitig mit ihren Mäulern zu befeuchten. Aber was ihnen wirklich helfen würde, wäre einzig und allein, wenn jemand sie zurückwürfe in die Flüsse und Meere.«

Kungfutse ging nach Hause und konnte drei Monate nicht reden; in tiefes Nachdenken versunken. Dann besuchte er den Alten noch einmal. Sie saßen lange schweigend beieinander, vielleicht tranken sie Tee oder kochten sich Reis. Sie betrachteten die Pflanzen des Gartens, sahen die Sonne kommen und gehen, die Tiere aufstehen und sich schlafenlegen. Es war alles sehr still, sehr einfach und in seiner Ordnung, sehr liebevoll und sehr gerecht. Laotse lächelte, und Kungfutse sagte: »Jetzt verstehe ich es.«

Dschuang Dsi

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Tao Te King

Das Wesen / das begriffen werden kann /
Ist nicht das Wesen des Unbegreiflichen.

Der Name / der gesagt werden kann /
Ist nicht der Name des Namenlosen.

Unnambar ist das All-Eine / ist Innen.

Nambar ist das All-Viele / ist Außen.

Begehrdenlos ruhen / heißt Innen erdringen.

Begehrdenvoll handeln / heißt beim Außen verharren.

All-Eines und All-Vieles sind gleichen Ursprungs /

Ungleich in der Erscheinung.

Ihr Gleiches ist das Wunder /

Das Wunder der Wunder /

Alles Wunder-Vollen Tor.

Laotse I

*

Wesen erschließt alle Dinge. Erschließend nährt es / Nährend gestaltet es / Gestaltend vollendet es.

Laotse  II


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Das Unermeßliche / alles Werdenden Ursprung /

Ist alles Gewordenen Mutter.

Erkennen die Mutter / heißt Kindschaft erkennen.

Kindschaft erkennen / heißt fortleben die Mutter.

Fortleben die Mutter befreit von Endlichkeit.

Beschlossen im Vielen / aufgetan dem Einen /

Nie verstrickt Endliches.

Aufgetan dem Vielen / verschlossen dem Einen /

Naht endlose Verstrickung.

Wahrnehmung des Nichtigen erfordert Größe des

[Schauens. Wahren das Zarte ist das Geheimnis der Kraft. Seine Kindschaft auswirken / Ist Heimkehren zur Mutter. Heimkehren zur Mutter / Befreit von Endlichem.

Laotse LH

Gesetzmässigkeit ist Walten des AU-Einen.

So erstand die Große Ordnung.

So erstand der Erde Beschlossenheit.

So erstand Entfaltungsmöglichkeit.

So erstand Fruchtbarkeit.

Alle Geschöpfe lenkt das All-Eine ins Leben.

Allen Lenkern gibt das All-Eine Richtmaß.

So gesetzmäßig waltet das All-Eine.

Ohne die Große Ordnung wäre nicht All.

Ohne Beschlossenheit wäre nicht Erde.

Ohne Entfaltungsmöglichkeit wäre nicht Leben.

Ohne Fruchtbarkeit wäre nicht Dauer.

Ohne Leben ist nicht Durchdrängung.

Ohne Richtmaß ist nicht Lenkung.

Herrschen geschieht durch Dienen.

Das Hohe fußt im Niederen.

Darum wahrt der Lenker Niedrigkeit /

Beschlossenheit / Gesetzmäßigkeit.

Kennen der Teile verschafft noch nicht Erkennen des

[Ganzen. Wer das All-Eine wahrt / entgleitet nicht.

Weder wird man ihn preisen wie Überspitztes / Noch wird man ihn wegwerfen wie Stumpfes.

Laotse XXXIX


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Von allem Großen ist der Mensch eines. Des Menschen Norm ist die Erde. Der Erde Norm ist der Himmel. Des Himmels Norm ist das Wesen. Das Wesen ist Norm an sich.
Laotse XXV

*

 

Der Mensch zwischen Unendlichkeit und Nichts

......
Denn schließlich, was ist der Mensch in der Natur? Ein Nichts im Hinblick auf das Unendliche, ein Alles im Hinblick auf das Nichts, eine Mitte zwischen Nichts und Allem.

Unendlich entfernt davon, die Extreme zu begreifen, sind ihm das Ende der Dinge und ihr Ursprung unüberwindlich verborgen in einem undurchdringlichen Geheimnis; er ist gleichermaßen unfähig, das Nichts zu sehen, aus dem er gezogen ist, und das Unendliche, in das er verschlungen ist. Was bleibt ihm also zu tun, außer etwa einen Schein von der Mitte der Dinge wahrzunehmen, in einer ewigen Verzweiflung, weder ihren Ursprung noch ihr Ende zu erkennen?

Alle Dinge sind hervorgegangen aus dem Nichts und getragen bis an das Unendliche. Wer wird diesen erstaunlichen Schritten folgen? Der Urheber dieser Wunder begreift sie. Kein anderer vermag es.

Weil die Menschen diese Unendlichen nicht bedacht haben, haben sie sich vermessen an die Erforschung der Natur gemacht, als ob sie irgendein gleiches Maß mit ihr hätten. Das ist eine seltsame Sache, daß sie die Prinzipien der Dinge haben begreifen und von da bis zur Erkenntnis des Ganzen gelangen wollen, in einer Anmaßung, die ebenso unendlich ist wie ihr Gegenstand; denn es ist kein Zweifel, daß man diesen Plan nicht fassen kann ohne eine Anmaßung oder eine Fassungskraft, unendlich wie die Natur . . .

Erkennen wir daher unsere wahre Reichweite: wir sind etwas und sind nicht alles; das, was wir an Sein haben, beraubt uns der


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Erkenntnis der ersten Prinzipien, die dem Nichts entwachsen; und das Wenige an Sein, das wir haben, verdeckt uns den Anblick des Unendlichen.

Unsere Einsicht steht in der Ordnung der geistigen Dinge auf der gleichen Stufe wie unser Leib in der Weite der Natur.

Unsere Sinne nehmen nichts Extremes wahr: zu viel Lärm betäubt uns, zu viel Licht blendet, zu viel Ferne und zu viel Nähe hindern den Blick, zu viel Länge und zu viel Kürze verdunkeln die Rede, zu viel Wahrheit macht uns benommen — ich kenne einige, die nicht begreifen können, daß, wenn einer von null vier wegnimmt, null bleibt —; die ersten Prinzipien haben zu viel Evidenz für uns, zu viel Vergnügen ist lästig, zu viel Harmonien mißfallen in der Musik, und zu viel Wohltaten reizen auf: wir wollen etwas haben, um die Schuld im Übermaß zurückzuzahlen . . . Wir fühlen weder die äußerste Hitze noch die äußerste Kälte. Die übermäßigen Qualitäten sind uns feind und nicht wahrnehmbar: wir empfinden sie nicht mehr, wir erleiden sie. Zu viel Jugend und zu viel Alter, zu viel und zu wenig Belehrung hindern den Geist; kurz, die Extreme sind für uns, als ob sie nicht wären, und in be-zug auf sie sind wir nicht: sie entschlüpfen uns, oder wir ihnen.

Das ist unser wahrer Stand im Dasein; das ist es, was uns unfähig macht, sicher zu wissen und schlechthin unwissend zu sein. Wir treiben dahin auf einer unermeßlichen Mitte, immer ungewiß und schwankend, von einem Ende zum anderen gestoßen. An welchem Ziel auch immer wir gedachten, festzumachen und Halt zu gewinnen, es wankt und läßt uns fahren; und wenn wir ihm folgen, entwindet es sich unseren Griffen, entgleitet uns und entflieht in einer ewigen Flucht. Nichts hält für uns an. Das ist der Zustand, der uns natürlich ist und gleichwohl unserer Neigung zuhöchst widerstreitet. Wir brennen vor Begier, einen festen Stand und eine letzte, beständige Grundlage zu finden, um darauf einen Turm zu erbauen, der sich ins Unendliche erhebe; aber unser ganzes Fundament birst, und die Erde öffnet sich bis zu den Abgründen.

Suchen wir also keine Sicherung und keine Festigkeit. Unsere Vernunft wird immer betrogen von der Unbeständigkeit der Erscheinungen; nichts kann das Endliche festbannen zwischen den beiden Unendlichen, die es umschließen und es fliehen.


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Wenn man dies recht begriffen hat, wird man sich, glaube ich, ruhig verhalten, jeder in dem Stand, in den ihn die Natur gestellt hat. Da diese Mitte, die uns als Teil zugefallen ist, von den Extremen stets fern ist, was macht es da aus, wenn ein Mensch ein wenig mehr Einsicht in die Dinge hat? Hat er das, so betrachtet er sie von etwas höherer Warte: ist er nicht immer noch unendlich weit vom Ende entfernt, und ist die Dauer unseres Lebens nicht gleichermaßen unendlich weit entfernt von der Ewigkeit, ob sie auch zehn Jahre länger währt?

Im Angesicht dieser Unendlichen sind alle endlichen Dinge gleich; und ich sehe nicht, warum man seine Einbildungskraft mehr auf das eine als auf das andere gründen solle. Allein schon der Vergleich, den wir zwischen uns und dem Endlichen anstellen, macht uns Mühe.

Wenn der Mensch zuerst sich selbst erforschte, würde er sehen, wie unfähig er ist, darüber hinauszugehen. Wie könnte es sein, daß ein Teil das Ganze erkennte? — Doch wird er vielleicht danach trachten, wenigstens die Teile zu erkennen, mit denen er gleiches Maß hat? — Aber die Teile der Welt haben alle untereinander einen solchen Zusammenhang und eine solche Verkettung, daß ich es für unmöglich halte, den einen ohne den andern und ohne das Ganze zu erkennen.

Der Mensch steht zum Beispiel in Zusammenhang mit allem, was er kennt. Er braucht Raum, der ihn umfasse, Zeit, um zu dauern, Bewegung, um zu leben, Elemente, die ihn zusammensetzen, Wärme und Speise, um sich zu nähren. Luft, um zu atmen; er sieht das Licht, er fühlt die Körper; kurz, alles gerät in Verbindung mit ihm. Um also den Menschen zu erkennen, muß man wissen, woher es kommt, daß er Luft braucht, um zu bestehen; und um die Luft zu erkennen, muß man wissen, woher sie diese Beziehung zum Leben des Menschen hat, usw. Die Flamme existiert nicht ohne die Luft; um daher das eine zu erkennen, muß man das andere erkennen.

Alle Dinge also sind verursacht und verursachend, Hilfe erhaltend und helfend, mittelbar und unmittelbar, und alle halten sich untereinander durch ein natürliches und unmerkliches Band, das die entferntesten und verschiedensten verknüpft; daher halte ich es für unmöglich, die Teile zu erkennen, ohne das Ganze zu erkennen, und ebenso, das Ganze zu erkennen, ohne die Teile im einzelnen zu erkennen.


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Der Mensch ist für sich selbst der wunderbarste Gegenstand der Natur, denn er kann nicht erfassen, was Körper ist, und noch weniger, was Geist ist, und weniger als irgend etwas anderes, wie ein Körper mit einem Geist vereinigt sein kann. Hier ist der Gipfel seiner Schwierigkeiten, und gleichwohl ist das sein eigenes Wesen . . . 

Blaise Pascal

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Eins und Alles

Im Grenzenlosen sich zu finden, Wird gern der Einzelne verschwinden, Da löst sich aller Überdruß; Statt heißem Wünschen, wildem Wollen, Statt läst'gem Fordern, strengem Sollen Sich aufzugeben ist Genuß.

Weltseele, komm, uns zu durchdringen! Dann mit dem Weltgeist selbst zu ringen Wird unsrer Kräfte Hochberuf. Teilnehmend führen gute Geister, Gelinde leitend, höchste Meister, Zu dem, der alles schafft und schuf.

Und umzuschaffen das Geschaffne, Damit sich's nicht zum Starren waffne, Wirkt ewiges lebendiges Tun. Und was nicht war, nun will es werden Zu reinen Sonnen, farbigen Erden, In keinem Falle darf es ruhn.

Es soll sich regen, schaffend handeln, Erst sich gestalten, dann verwandeln; Nur scheinbar steht's Momente still. Das Ewige regt sich fort in allen: Denn alles muß in Nichts zerfallen, Wenn es im Sein beharren will.

Johann Wolfgang von Goethe


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Vermächtnis

Kein Wesen kann zu Nichts zerfallen! Das Ew'ge regt sich fort in allen, Am Sein erhalte dich beglückt! Das Sein ist ewig: denn Gesetze Bewahren die lebend'gen Schätze, Aus welchen sich das All geschmückt.

Das Wahre war schon längst gefunden, Hat edle Geisterschaft verbunden; Das alte Wahre, faß es an! Verdank es, Erdensohn, dem Weisen, Der ihr, die Sonne zu umkreisen, Und dem Geschwister wies die Bahn.

Sofort nun wende dich nach innen, Das Zentrum findest du dadrinnen, Woran kein Edler zweifeln mag. Wirst keine Regel da vermissen: Denn das selbständige Gewissen Ist Sonne deinem Sittentag.

Den Sinnen hast du dann zu trauen, Kein Falsches lassen sie dich schauen, Wenn dein Verstand dich wach erhält. Mit frischem Blick bemerke freudig, Und wandle sicher wie geschmeidig Durch Auen reichbegabter Welt.

Genieße mäßig Füll und Segen, Vernunft sei überall zugegen, Wo Leben sich des Lebens freut. Dann ist Vergangenheit beständig, Das Künftige voraus lebendig, Der Augenblick ist Ewigkeit.

Und war es endlich dir gelungen, Und bist du vom Gefühl durchdrungen: Was fruchtbar ist, allein ist wahr — Du prüfst das allgemeine Walten, Es wird nach seiner Weise schalten, Geselle dich zur kleinsten Schar.

Und wie von alters her im stillen Ein Liebewerk nach eignem Willen Der Philosoph, der Dichter schuf, So wirst du schönste Gunst erzielen: Denn edlen Seelen vorzufühlen Ist wünschenswertester Beruf.

Johann Wolfgang von Goethe

*

 

Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge und keine Heimat haben in der Zeit. Und das sind Wünsche: leise Dialoge täglicher Stunden mit der Ewigkeit.

Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern die einsamste von allen Stunden steigt, die, anders lächelnd als die andern Schwestern, dem Ewigen entgegenschweigt.

Rainer Maria Rilke

*

Wie wundervoll sind diese Wesen,
Die, was nicht deutbar, dennoch deuten,
Was nie geschrieben wurde, lesen,
Verworrenes beherrschend binden
Und Wege noch im Ewig-Dunkeln finden.

Hugo v. Hofmannsthal  - Aus <Der Tor und der Tod>

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  Herbert Gruhl - Zeugnisse ökologischer Weltsicht aus vier Jahrtausenden