Start    Weiter

8. Kreis

Der Gegensatz von Stadt und Land

Spengler - Goethe - Schiller - Whitman - Die Indianer - Wiechert - Rilke 

 

166-185

Hier wurde die spätere Aussage Oswald Spenglers an den Anfang gestellt, weil sie die Entwicklung der letzten Jahrhunderte grundsätzlich beleuchtet. Früher hatten Denker von Rang, darunter die Dichter Goethe und Schiller, die zunehmende Diskrepanz zwischen der städtischen Zivilisation und dem ländlichen Leben erkannt, in Deutschland wohl etwas gründlicher als in anderen Ländern. 

Die Frage liegt nahe, warum Hölderlin hier nicht aufgenommen wurde. Die Antwort lautet: Hölderlins Landschaften sind geistige Räume, eher Göttergefilde, denn solche des irdischen Lebenskampfes.

In den Vereinigten Staaten spürte das Dreigestirn Emerson, Thoreau, Whitman den Zwiespalt, der mit der Zivilisation im Leben der Völker aufgerissen wurde. Walt Whitman konnte sich nicht von der Stadt lösen. Doch es war noch die Stadt um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, noch nicht die Stadt der Autos in den lärmerfüllten Hochhausschluchten. Das Leben in der Stadt faszinierte ihn, nicht der dröhnende Moloch, der in einem Jahrhundert daraus erwuchs.

Was vernichtet wurde, erkannten am gründlichsten die Indianer. Sie verloren alles: ihre Jagdgründe, ihr Selbstbewußtsein, ihre Gesundheit, ihre Kultur. Und gänzlich unbegreiflich blieb ihnen, wie fremde Eindringlinge Tiere und Pflanzen rücksichtslos ausrotten und die Erde verwüsten konnten.

Für die echte Naturverbundenheit hätten sich in Europa und besonders in Deutschland noch unzählige Zeugnisse angeboten. Aus Platzgründen beschränken wir uns auf Ernst Wiecherts autobiographische Schilderung der <Wälder und Menschen>, ein Thema, das jetzt furchtbare Aktualität gewonnen hat.

Mit einem seismographischen Gefühl hat Rainer Maria Rilke die Weltsituation an der Wende zu unserem 20. Jahrhundert erspürt. In seinen »Frühen Gedichten« ist schon der Gang der Welt gezeichnet, den die im 9. Kreis folgenden Sätze von Vico, Chateaubriand und Rolland vorausgesagt hatten.

 


  167

    Kultur und Zivilisation  

Der Übergang von der Kultur zur Zivilisation vollzieht sich in der Antike im 4., im Abendland im 19. Jahrhundert. Von da an fallen die großen geistigen Entscheidungen nicht mehr wie zur Zeit der orphischen Bewegung und der Reformation in der »ganzen Welt«, in der schließlich kein Dorf ganz unwichtig ist, sondern in drei oder vier Weltstädten, die allen Gehalt der Geschichte in sich aufgesogen haben und denen gegenüber die gesamte Landschaft einer Kultur zum Range der Provinz herabsinkt, die ihrerseits nur noch die Weltstädte mit den Resten ihres höheren Menschentums zu nähren hat. 

Weltstadt und Provinz — mit diesen Grundbegriffen jeder Zivilisation tritt ein ganz neues Formproblem der Geschichte hervor, das wir Heutigen gerade durchleben, ohne es in seiner ganzen Tragweite auch nur entfernt begriffen zu haben. Statt einer Welt eine Stadt, ein Punkt, in dem sich das ganze Leben weiter Länder sammelt, während der Rest verdorrt; statt eines formvollen, mit der Erde verwachsenen Volkes ein neuer Nomade, ein Parasit, der Großstadtbewohner, der reine, traditionslose, in formlos fluktuierender Masse auftretende Tatsachenmensch, irreligiös, intelligent, unfruchtbar, mit einer tiefen Abneigung gegen das Bauerntum (und dessen höchste Form, den Landadel), also ein ungeheurer Schritt zum Anorganischen, zum Ende —. .....

 Oswald Spengler

#

Sehr merkwürdig ist mir aufgefallen, wie es eigentlich mit dem Publico einer großen Stadt beschaffen ist. Es lebt in einem beständigen Taumel von Erwerben und Verzehren, und das, was wir Stimmung nennen, läßt sich weder hervorbringen noch mitteilen. Alle Vergnügungen, selbst die Theater, sollen nur zerstreuen, und die große Neigung des lesenden Publikums zu Journalen und Romanen entsteht eben daher, weil jene immer und diese meist Zerstreuung in die Zerstreuung bringen.

Johann Wolfgang von Goethe

 


168

[. . . .]

 

185

 

  ^^^^ 

www.detopia.de 

 Herbert Gruhl (Herausgeber) Glücklich werden die sein....  Zeugnisse ökologischer Weltsicht  aus vier Jahrtausenden