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2.3  Die langsame Entwicklung der Technik

 

Der Mensch,

die Natur in Dienst nehmend

und überwältigend.

Der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche 

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Wir hatten beschrieben, wie sich der Mensch nach und nach die Kräfte des Wassers, des Windes und die einiger Tiere zunutze machte. Für Unternehm­ungen, die größere Mengen von Arbeitskräften erforderten, setzte er Sklaven ein, so besonders in einigen Hochkulturen. Bei diesem erweiterten, aber doch sehr begrenzt­en Energiepotential blieb es bis zum technischen Zeitalter.

Um so erstaunlicher ist das Ausmaß der kulturellen Leistungen, die vorher in verschiedenen Teilen der Welt erreicht worden sind. Dafür genügte offensichtlich eine langsame Entwicklung der Technik, deren Erfolge hier in groben Zügen skizziert werden sollen.

Es ist bekannt, daß die Kultur des alten Ägypten auf den Hochwässern des Nils beruhte, die zugleich den frucht­baren Schlamm mitführten, dessen künstliche Anlandung die guten Ernten hervorbrachte. Hier wie an Euphrat und Tigris dienten die ersten weiträumigen Techniken des Menschen der Ernährung und konzentrierten sich auf den Wasserbau. Diese Völker hatten früh erkannt, daß außer dem Boden die Feuchtigkeit nötig ist; besonders in Regionen mit viel Sonne, die zwar das Wachstum fördert, aber auch das Land austrocknet.

Bewässerungsanlagen können die Flußwässer in geregelte Bahnen zwingen und die Ernten stark verbessern. Darum entstanden die ersten Kulturen an großen Strömen wie Nil, Euphrat und Tigris, am Indus und an den breiten Strömen Chinas. Auch die mittel- und südamerikanischen Hochkulturen hatten in der Regel einen hohen Stand der Bewässerungs­technik. Die erste Hochkultur Indiens in Mohendscho Daro besaß vor dem Jahr 2000- ein perfektes Be- und auch schon ein Entwässer­ungs­system

Die ältesten bisher bekannten Aquädukte wurden um 700- in Armenien angelegt. Die Römer bauten 312- die erste Wasserleitung für die Stadt, und in den Provinzen finden wir noch Reste solcher Aquädukte, die Täler in Höhen bis zu 50 Meter überquerten. — Kanäle für die Schiffahrt haben die Sumerer schon um 4000- und Staudämme ab 3000- angelegt. Die Ägypter bauten im Nildelta einen Kanal zum Roten Meer und die Chinesen den "Großen Kanal" zwischen den Flüssen Jangtsekiang-Hwai und Peiho.29

Jede Hochkultur hat das Bestreben, sich durch Monumentalbauten sozusagen ihre eigene Größe zu bestätigen und sich gegen die Vergänglichkeit zu wehren. Die Bauten haben zumeist sakralen Charakter. Sie können zur Ehre der Götter oder auch zum Gedenken irdischer Herrscher errichtet worden sein, was in jenen Zeiten oft zusammenfiel; doch auch heute werden noch Staats- und Kirchenmänner in Domen beigesetzt, hier und da auch noch Mausoleen gebaut.

Die ersten großen Baukörper hatten die Form stufenförmiger Pyramiden. Ganz einfach deshalb, weil ihre Statik am leichtesten zu beherrschen ist. Dieser Art waren schon die Staatsbauten der Sumerer und - völlig unabhängig davon - die der Indianer in Mittel- und Südamerika. Nach Osten verbreitete sich dieser Baustil bis nach Java im Rahmen der buddhistischen Heiligtümer. Die bekannten ägyptischen Grabpyramiden folgten in der Form mit allerdings geraden Seitenflächen dem gleichen architekt­onischen Prinzip. Dennoch haben die Ägypter um 4000- auch schon die Bogenkonstruktion gekannt. 

Die Griechen bevorzugten dann das geradlinige, rechteckige Bauwerk mit Säulen und Giebeldach. Erst mit immer kühneren Bogengewölben konnten die Bauwerke geräumiger und höher werden, um schließlich mit den gotischen Spitzbögen die Krönung menschlicher Baukunst mit den damaligen geringen technischen Mitteln zu erreichen. Auch diese steil gen Himmel ragenden Bauten, die heute noch unsere Städte zieren, sind zur Ehre Gottes errichtet worden — einen ökonomischen Nutzen sollten sie gar nicht erbringen. Gotteshäuser zu bauen, das war die Art und Weise, in der auch das Abendland über 1000 Jahre lang seine ökonomischen Überschüsse problemlos beseitigte.

Während die ersten Hochkulturen noch ohne Eisen ausgekommen waren, so besorgten die der mittleren Epoche den Übergang von der Bronze- in die Eisenzeit. Den Anfang machte eine weniger bekannte Kultur, die der indogermanischen Hethiter in Anatolien. Sie entwickelte sich schon im dritten Jahr­tausend vor Christus, und seit 1570- war Hattusa, 150 Kilometer östlich des heutigen Ankara gelegen, ihre berühmte Hauptstadt. Ihre Einrichtungen glichen weitgehend den Städten der Sumerer.

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Die Hethiter entwickelten vor allem eine eigene Hieroglyphenschrift, ihrer Sprache entsprechend, mit 419 Symbolen.30  Die Hethiter können für sich in Anspruch nehmen, unser heutiges Zeitalter, die Eisenzeit, bereits um 1500- eröffnet zu haben, während China erst in die Bronzezeit eintrat, um dann ab 400- auch Eisen zu benutzen. Sowohl Bergwerke als auch Anlagen zur Eisenverhüttung wurden von den Hethitern angelegt.

Ab 800- begann die Verwendung von Eisen in Athen. Seitdem verbreiteten sich die Eisenwaffen, später auch Eisenschilde und -panzer. Das Handwerkszeug wurde zunehmend aus Eisen gefertigt, eiserne Pflugscharen gab es ab 400 v. Chr. bereits südlich und nördlich der Alpen. Außer den vorwiegend kriegerischen Verwendungen blieb der Gebrauch von Eisen bis zum 19. Jahrhundert bescheiden.

Was die bewegten Baustoffmassen betrifft, so übertrifft ein sonst eher primitives Bauwerk des Menschen die anderen: der Mauerbau. Jede Stadt hatte ihre Schutzmauern, aber auch ganze Länder haben sich durch Schutzwälle zu sichern versucht. Das stabilste Werk ist die bekannte Große Mauer Chinas, erbaut im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr., die schließlich eine Länge von 3000 Kilometern erreichte, ihren Zweck aber verfehlte.

Ähnlich erging es dem Limes in Europa, der, zwischen den Jahren 70 und 138 aufgebaut, schon nach 100 Jahren aufgegeben werden mußte, da die Wanderbewegungen der germanischen Stämme ihn unterspült hatten.

Von noch zweifelhafterem Wert war der 120 Kilometer lange Hadrianswall zwischen England und Schottland. Andererseits rissen die Athener im Jahre 404- die Mauer zwischen der Stadt und dem Hafen Piräus in der euphorischen Erwartung des ewigen Friedens ab. Xenophon berichtet: "Die Athener legten unter Flötenspiel mit großer Begeisterung ihre Mauern nieder, da sie glaubten, dieser Tag sei für Griechenland der Anfang der Freiheit."31 Es dauerte keine 30 Jahre, bis die Mauern wieder standen! 

Im 20. Jahrhundert versuchten es die Franzosen mit der Maginot-Linie, was die Deutschen mit dem Westwall beantworteten; doch beide erfüllten ihre Aufgabe nur für Monate. 

Mit umgekehrter Zweck­bestimmung errichtete die sowjethörige DDR eine Mauer quer durch Deutschland und eine rund um West-Berlin.

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Das war etwas Neues in der Weltgeschichte, denn diese Mauern sollten nicht Feinden den Zutritt, sondern der eigenen Bevölkerung die Flucht verwehren, was immerhin 28 Jahre im großen und ganzen gelang. 

Solche Mauerbauten sind ein Beweis dafür, daß die Staaten immer wieder an ihre Dauer­haftigkeit geglaubt haben.

Als Materialien für die menschlichen Bauten aller Art dienten Steine, die bis heute noch nicht ausgedient haben, Lehm und Lehmziegel, die ab 3000- bei den Sumerern schon gebrannt wurden, und natürlich Holz. Als ältestes bekanntes Bauwerk, das bereits mit Dachziegeln gedeckt worden war, erwies sich der Tempel der Hera in Olympia.

In den letzten Jahren vor Christi Geburt wurden einige für Bau- und Handwerke bedeutende Erfindungen gemacht. Die Verwendung von Seilen wird schon seit Jahrtausenden üblich gewesen sein; solche aus Hanf sind in China vor 5000 Jahren bekannt geworden, während in Ägypten um die gleiche Zeit die Kette auftauchte und um 1300- auch der Draht.

Über die Winde berichtet Hippokrates um 400-, die Schraube hat möglicherweise Archimedes in Syrakus erfunden, das Wasserrad wird von Philon aus Byzanz beschrieben und der Kran von Vitruv aus dem Rom des ersten vorchristlichen Jahrhunderts. Die Kurbel war um die gleiche Zeit in China bekannt. Kresidos von Alexandrien, der auch die erste Saugpumpe baute, verwendet in seiner Wasseruhr ein Zahnradgetriebe. Sonnenuhren sind schon um 2000- nachweisbar.

Die meisten dieser Erfindungen sind bei näherer Betrachtung eigentlich komplizierte Werkzeuge, die eine effektivere Nutzung der Muskelkraft erreichen, womit sich Arbeiten leichter verrichten lassen.

Einige sind besonders für die Seefahrt wichtig. Deren Eintritt in ein neues Zeitalter nach Jahrtausenden der Ruderboote wurde durch die Verbesserung der Segel möglich. Die ältesten Segelschiffe ließen sich in Ägypten zwischen 3500- und 3000- nachweisen; auf Papyrusboote setzte man ein einfaches Rahsegel. Die Kreter, Phönizier, Griechen und Römer kannten dann schon Segelschiffe mit zwei Masten. Im zweiten Jahrhundert v. Chr. kam das Spriet- oder Lateinersegel auf. Zu Beginn des Mittelalters benutzte man die Galeere mit zwei Lateinersegeln. Die Wikinger setzten auf ihren abenteuerlichen Fahrten in Europa und bis Nordamerika das Rahsegel mit Takelung ein.

In arabischen Gebieten wurde der Dau entwickelt, im Fernen Osten die Dschunke. Ab 1050 wurde der Kompaß zunächst von Chinesen und Arabern benutzt, bald danach auch in Europa. Damit waren die Voraussetzungen für die globale Schiffahrt geschaffen, die im 15. und 16. Jahrhundert mit den ersten noch sehr waghalsigen Entdeckungsreisen einsetzte. In Verbindung mit den Schießwaffen genügte der erreichte Stand der Technik den Europäern, um sich den ganzen Erdball dienstbar zu machen. Nur China und Japan, etwas abseits gelegen, konnten noch bis 1842 beziehungsweise 1853 ihre Isolierung aufrecht erhalten, bis sie von den westlichen Händlern gewaltsam erschlossen wurden.

Die Meere waren ein hervorragendes Element, welches intensive Handelsverbindungen zwischen den Ländern ermöglichte, die Wüsten das andere. Arnold Toynbee hat wiederholt darauf hingewiesen, wie verbindend sich Wüsten für den Handelsverkehr erwiesen haben. Nicht von ungefähr bezeichnet man das Kamel, das bei den Arabern seit 2600- bekannt war, auch als "Wüstenschiff". 

Die hier skizzierten Techniken haben vollauf genügt, um die europäische Hochkultur zu ihrer Blüte zu bringen, deren Höhepunkt sie um das Jahr 1800 bereits überschritt.

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   www.detopia.de       Literatur      ^^^^ 

Himmelfahrt ins Nichts  von Herbert Gruhl 1992