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3.3  Die Gotteskindschaft

"Machet euch die Erde Untertan."

 Erstes Buch Mose 1,28

165-168

Die europäischen Kulturvölker, welche die Fahne des technischen Fortschritts und der Zivilisation entrollten, waren alle christlich. Und das ist wohl kein Zufall; denn die christliche Lehre hebt den Menschen aus der gesamten übrigen Schöpfung heraus. Denn Gott schuf den Menschen persönlich mit der erklärten Absicht, einen Herrn über die Welt einzusetzen, und er schuf ihn, wie dreimal betont wird und ein viertes Mal im neunten Kapitel des ersten Buches Mose, "nach seinem Bilde". Das kann doch nur heißen: nach seinem Vorbild, also Gott selbst gleich oder ihm zumindest ähnlich.

Im zweiten Kapitel des ersten Buches Mose folgt noch <Eine andere Erzählung von der Schöpfung — Das Paradies>. Auch da erhielt der Mensch einen Herr­schafts­auftrag: "Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, daß er ihn bebaue und bewahre." Noch deutlicher bestätigt wird das, als Gott den "Bund mit Noah" unter dem Regenbogen schließt:

"Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde! Furcht und Schrecken vor euch komme über alle Tiere der Erde, über alle Vögel des Himmels, über alles, was auf Erden kriecht, und über alle Fische im Meer: in eure Hand sind sie gegeben. Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das Kraut, das grüne, gebe ich euch alles."36

Im Psalm 8,6 hatte es geheißen: 

"Du machtest ihn wenig geringer als Engel, mit Ehre und Hoheit kröntest du ihn. Du setztest ihn zum Herrscher über das Werk deiner Hände, alles hast du ihm unter die Füße gelegt: dazu auch die Tiere des Feldes, die Vögel des Himmels, die Fische im Meere ..."

Diese Texte sind von damaligen Menschen aus ihrer Sicht niedergeschrieben worden. Deren Wunsch­vorstell­ungen sind also eingeflossen, doch es sind Wünsche, die bis in die Gegenwart gültig geblieben sind. Goethe äußerte ein Jahr vor seinem Tode zu seinem Chronisten Eckermann:

"Es ist dem Menschen natürlich, sich als Ziel der Schöpfung zu betrachten und alle übrigen Dinge nur in bezug auf sich und insofern sie ihm dienen und nützen. Er bemächtigte sich der vegetabilischen und animalischen Welt, und indem er andere Geschöpfe als passende Nahrung verschlingt, erkennet er seinen Gott und preiset dessen Güte, die so väterlich für ihn gesorget. Der Kuh nimmt er die Milch, der Biene den Honig, dem Schaf die Wolle, und indem er den Dingen einen ihm nütz­lichen Zweck gibt, glaubt er auch, daß sie dazu sind geschaffen worden. Ja, er kann sich nicht denken, daß nicht auch das kleinste Kraut für ihn da sei ..."37

Dement­sprechend hält sich Goethes Faust anfangs für ein "Ebenbild der Gottheit".38

Der Mensch wird im Alten Testament weit über die übrigen Geschöpfe erhoben, Gott ist sein Gesprächs­partner, der ihn als seinen Statthalter auf Erden einsetzt. Im Neuen Testament geht Gott noch weiter. Er schickt seinen einzigen Sohn und läßt ihn den Tod am Kreuz sterben, um — ja, um den Menschen zu erlösen. Ein Gott opfert sich für die Menschen! Ist das nicht Hybris des Menschen in höchster Potenz? Noch keine Religion hatte bis dahin derart der menschlichen Eitelkeit geschmeichelt. 

Damit war wohl der christlichen Religion eine erfolgreiche Laufbahn unter den Menschen schon sicher. In verschiedenen Religionen wurden den Göttern lebende Menschen geopfert, um sie günstig zu stimmen, ihren Zorn zu besänftigen oder um sie wieder zu versöhnen. Bei Christus ist das umgekehrt: Er opfert sich für die Menschen! Und das geschieht auf Befehl Gottes, des Vaters. Muß eine solche Lehre nicht die Arroganz des Menschen ins Unermeßliche steigern?

Ist damit nicht den Menschen ein Blankoscheck ausgestellt, wie Carl Amery es in seinem Buch <Das Ende der Vorsehung — Die gnadenlosen Folgen des Christentums> formuliert: 

"Das Christentum hat diese Entwicklung beschleunigt; erstens durch den Hunger nach Verheißung, der profaniert wurde, zweitens durch den Pragmatismus, mit dem die Kirchen alles Weltliche, Wirtschaftliche, Politische dem freien Ermessen einer räuberischen Spezies zum Fraße vorwarfen. Halten wir fest: alle die rastlosen Eroberer und Ausbeuter handelten wenigstens in diesem einen Punkt im besten Glauben ... an jene Garantien der Genesis, welche die christliche Botschaft so überaus erfolgreich internationalisiert hat. Sie glaubten alle richtig zu handeln, denn ihres totalen Herrschafts­auftrages waren sie ja sicher."39

Gewiß, die völlige Abhängigkeit des Menschen bestand auch in der christlichen Religion fort, aber eben nicht die Abhängigkeit von der Natur, sondern die Abhängigkeit von seinem Gott! Und dieser hatte ihm in bezug auf die Natur so gut wie nichts aufgetragen. 

* Carl Amery - Buch bei detopia          166/167

Ja, er hatte ihm vielmehr versprochen, daß er immer wieder auf seine Absolution rechnen könne und daß ein jenseitiges Himmelreich ganz für ihn allein bereitstünde! Das Christentum lehrt — so kritisiert Nietzsche — 

"daß Jeder als <unsterbliche Seele> mit Jedem gleichen Rang hat, daß in der Gesamtheit aller Wesen das <Heil> jedes Einzelnen eine ewige Wichtigkeit in Anspruch nehmen darf, daß kleine Mucker und Dreiviertels-Verrückte sich einbilden dürfen, daß um ihretwillen die Gesetze der Natur beständig durchbrochen werden — eine solche Steigerung jeder Art Selbstsucht ins Unendliche, ins Unverschämte kann man nicht mit genug Verachtung brandmarken. Und doch verdankt das Christentum dieser erbarmungs­würdigen Schmeichelei vor der Personal-Eitelkeit seinen Sieg, — ... Das <Heil der Seele> — auf deutsch: <die Welt dreht sich um mich> ...".40

Doch keine noch so anthropozentrische Religion allein hätte Menschen veranlassen können, die Welt nach eigenen Theorien neu zu bauen und das zum Ziel der Weltgeschichte zu erklären. Hierzu bedurfte es eines besonderen Menschentyps. Und das war am Indus, in der Ägäis, am Tiber, am Rhein und an der Themse — der Indogermane.

Jener Menschentyp, der am Rande der eiszeit­lichen Gletscher überlebt hatte, der also über Jahrtausende seine äußersten Lebenskräfte anzuspannen gezwungen war, die sich dabei immer weiter härteten. Dessen Umweltbedingungen auch nach der Eiszeit noch so rauh waren, daß die Eroberung fremder Territorien auch nicht mehr Energie kostete als die Verteidigung des nackten Lebens in der kargen Umwelt des Nordens. 

Und auch der in Jahrtausenden schwer geprüfte jüdisch-israelische Menschentyp erfüllte die geschärften Bedingungen, was auch die immer wieder aufbrechende Rivalität zwischen diesen beiden Eliten erklärt, die vielleicht doch nicht zufällig religiöse Gemein­samkeiten haben.

Es gibt eine umfangreiche Literatur darüber, wie unpassend gerade die christliche Religion für die Germanen gewesen sein müsse. Diese Betrachtungs­weise läßt aber jenen Punkt aus, welcher der germanischen Lebensauffassung gemäß war, nämlich den Auftrag zur Eroberung und Herrschaft. Und da die entdeckten Erdteile von Heiden besiedelt waren, lag im Auftrag zur Christian­isierung zugleich der zu ihrer Unterwerfung im Namen des christlichen Gottes.

Schließlich hatte die christliche Lehre, noch vor der mohammedanischen, das größte Sendungsbewußtsein und entfaltete den größten Missionseifer, den sie schon bei der Bekehrung der wider­spenstigen Germanen bewiesen hatte. Die mittelalterlichen Kreuzzüge fanden ihre Fortsetzung in den "Kreuzzügen" gegen die Indianer in Süd-, Mittel- und Nordamerika, bei der Eroberung Indiens und diverser Stützpunkte an Küsten und Inseln aller fünf Kontinente. 

Und natürlich hatte man einen großen Vorteil bei den Kämpfen, wenn man die selbstentdeckten physikalischen und chemischen Gesetze gegen den Feind einsetzen konnte: die explosiven Fernwaffen, seetüchtige Schiffe, die Eisenbahnen und schließlich Auto und Flugzeug.

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Himmelfahrt ins Nichts von Herbert Gruhl 1992   www.detopia.de