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3.4  Das energetische Feuer

Nicht auf Stoffe, sondern auf Kräfte kommt es an.
Der deutsche Historiker Oswald Spengler

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Was wir heute Energie nennen, entsteht aus dem Feuer. — Wir blicken noch einmal auf die Zeit der Menschwerdung zurück, bis dahin, wo das Denken begann. Die Menschen standen vor vielen Rätseln. Eines der großen war der Blitz, der nicht nur ein Schauspiel blieb, sondern der schon einmal einen Menschen erschlug, wovon zumindest erzählt wurde. Und daß der Blitz hin und wieder etwas in Brand setzte, war ebenfalls beobachtet worden. Sicherlich auch, daß verkohlte Tiere eßbar waren, ja, daß sich das so gedörrte Fleisch auch noch später verzehren ließ. 

So werden die Menschen wohl darüber nachgedacht haben, wie man ein solches Feuer selbst entfachen und nützen könne; denn schließlich strahlte es auch Wärme aus. Andere werden ängstlich davor gewarnt haben, denn der Blitz mußte doch offensichtlich von einer überirdischen Macht gezündet worden sein. Darum wurde er in der Regel einem Gott zugeordnet. Bei den Germanen war es Thor, der seinen Hammer warf, um Blitz und Donner auszulösen. In einigen Gegenden erlebte man einen feuerspeienden Vulkan und erfand auch dafür einen zuständigen Gott.

Da erschien es schon als tödliches Wagnis, diese unheimliche Kraft dem betreffenden Gott oder den Göttern zu stehlen, um selbst darüber zu verfügen! Doch der Drang, das Feuer zu benutzen, blieb bei einigen tollkühnen Menschen stärker. Jemand hatte es auch schon getan, und es war nichts passiert! Doch anderen war es außer Kontrolle geraten, hatte ihre kümmerliche und doch lebenswichtige Behausung in Flammen aufgehen lassen und vielleicht noch einen ganzen Wald dazu! Ein deutlicher Beweis, daß die Götter zürnten! Das Feuer wurde sicher zuerst als zerstörende Kraft erkannt. Dennoch hat der Mensch den Feuerstein gefunden und dazu gebraucht, sich nach Belieben Feuer zu entzünden. Die Wissenschaft war seit längerem der Meinung, daß der Mensch das Feuer schon vor 400.000 Jahren nutzte. 

Der Pekingmensch hatte in China Feuerstellen unterhalten, noch älteren Datums sind die in der Höhle von Verbeszollös in Ungarn, und auch in Südfrankreich hat man verbrannte Tierknochen solchen Alters gefunden.41

Erst kürzlich entdeckte man in der Höhle von Swartkrans in Südafrika (Transvaal) eine absichtlich gebaute Feuerstelle, die mindestens eine Million Jahre alt ist. Demnach nutzten Menschen der Gattung "Australopithecus" oder wahrscheinlicher "Homo erectus", die dort erwiesenermaßen gleichzeitig lebten, das Feuer schon vor mehr als einer Million Jahren und kochten darauf auch Fleisch.42

Auf jeden Fall war die Bändigung des Feuers, eine Hauptbedingung, um den Weg zur Technik zu eröffnen, schon zu sehr früher Zeit erfolgt. Ohne das kontrollierte Feuer wäre schon der Schritt vom Steinzeitalter in das Metallzeitalter unmöglich gewesen. Denn alles Erz der Erde bekommt erst seinen Wert, wenn man es schmelzen kann. Dennoch ließ dieser waghalsige Schritt den Menschen keine Ruhe, so daß sich noch die Hellenen den Mythos vom bestraften Prometheus erzählten. Doch auch noch anderes: Der Halbgott Phaethon wollte eines Tages den Wagen seines Vaters, des Sonnengottes Helios lenken; er verlor aber die Herrschaft über die Rösser, so daß beinahe die Erde in Brand geraten wäre. Dieser Mythos gewinnt heute an Bedeutung, wo der Mensch mit der Sonne vergleichbare Kräfte in seine Hand bekommen hat.43

Das außer Kontrolle geratene Feuer hat in der Geschichte öfter die Wohnstätten der Menschen und nicht selten ganze Städte eingeäschert. Die Menschen haben es auch als Waffe gegeneinander ohne Hemmungen eingesetzt, wo sie sich nur auf diese Weise Erfolg versprachen. Ein explosives Gemisch zu entzünden, das eine kleine oder große Kugel gegen die Feinde fliegen ließ, war der nächste Schritt, der noch nicht einmal "eine Nachtwache" hinter uns liegt. In den Klosterzellen des Mittelalters träumten viele wie Roger Bacon und Albertus Magnus davon, die unerschöpfliche Energie für ein perpetuum mobile zu finden, um damit die Kräfte der Natur in den Dienst des Menschen zu stellen. Das perpetuum mobile wurde nicht erfunden, und wir wissen heute, daß es nach den Gesetzen der Physik Utopie bleiben muß.

Doch ein weltumwälzender Erfolg war der Dampfmaschine beschieden, die mehrere Etappen bis zu ihrer Vollendung benötigte. 1690 erfand der englische Physiker Denis Papin die atmosphärische Dampfmaschine für Bergwerke, 1712 sein Landsmann Thomas Newcomen die Kolbenmaschine mit gesondertem Dampfkessel, bis schließlich der Schotte James Watt die doppelt wirkende Nieder­druckmaschine konstruierte, die den Kohleverbrauch je erzeugter Energieeinheit auf ein Drittel senkte.

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Die Elemente Feuer und Wasser werden damit in eindrucksvoller Weise in den Dienst des Menschen gepreßt und können stationär und auch bald selbstbeweglich und bewegend in Dampfschiffen und Lokomotiven ihren Dienst tun. Damit hat der Mensch erstmalig in seiner Geschichte gewaltige Kräfte gebändigt, die sowohl die Produktion von Waren als auch ihren Transport besorgen können, so daß sie ziemlich schnell die Tiere und die Sklaven ersetzt haben.

1870, nach noch nicht einmal 100 Jahren, überstieg die von Dampfmaschinen erzeugte Leistung von vier Millionen PS die der Körper der damals 31 Millionen Einwohner Großbritanniens.44 Weltweit wurde die Leistung aller menschlichen Körper von der aus fossilen Brennstoffen künstlich erzeugten zu Anfang unseres Jahrhunderts überholt und beträgt zur Zeit das Zwanzigfache der auf 5,5 Milliarden gestiegenen Weltbevölkerung. Diese Maschinen verschlangen mit zunehmender Zahl und Größe steigende Mengen von Kohle. Andere von Kohle genährte Feuer brannten in den Hochöfen der Eisenhütten, um das Metall unseres Zeitalters zu schmelzen. 

Denn Kohle und Stahl bilden immer noch die Grundlage unseres Industriezeitalters und damit auch die Macht der Nationen, wie das Wilhelm Fucks dargestellt hat.45 Man ersieht daraus, daß besonders der Machtkampf zwischen Deutschland und Großbritannien ein solcher der Stahlproduktion war, und der zwischen Deutschland und Frankreich wurde 1951 durch die Bildung der Montanunion bewußt beendet. Inzwischen war auf diesem Gebiet der Wettstreit zwischen den USA und der SU entbrannt, bei dem die letztere schließlich nicht mehr mithalten konnte.

Die Erfindung des Menschen aber, welche die vielseitigsten und intensivsten Auswirkungen hatte, war die Herstellung des elektrischen Stroms. 1832 unter­nahm der Franzose Hippolyte Pixii erste Versuche mit einem Stromgenerator. 1834 konstruierte der Deutsche Moritz Hermann von Jacobi den ersten Elektromotor. Die Glühlampe wurde 1878 erfunden. Die Elektrizität als Sekundärenergie kann aus jeder Art von Primärenergie gewonnen werden, doch die Kohle stellt auch heute den Hauptanteil.

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Erdgas wurde in kleineren Mengen schon um 2000- in China, um 400- in Kleinasien und im Mittelalter in Italien für Heiz- und Leuchtzwecke genutzt. Die erste Gaslampe wurde 1799 angezündet, und der erste Gasmotor lief 1860. Erst im 20. Jahrhundert begann man, das Erdgas im großen Maßstab zu fördern und hatte damit zum Heizen, Kochen und zur Stromerzeugung eine relativ saubere Energie.

Das Erdöl wurde in Nordamerika und Europa ab Mitte des 19. Jahrhunderts gefördert — nach unserer verkürzten Zeitrechnung also wenig länger als eine Stunde. Bis Ende 1990 sind von diesem kostbaren Stoff rund 90 Milliarden Tonnen verbraucht worden. 135 Milliarden Tonnen sind noch gesichert vorhanden, die möglicherweise noch gewinnbaren Bestände werden auf 150 Milliarden Tonnen geschätzt. Der Jahres­verbrauch der Welt liegt seit 1973 nahezu konstant bei drei Milliarden Tonnen; damit liefert das Erdöl fast 40 Prozent der in der Welt verbrauchten Energie. Dieser Brennstoff ist leicht zu handhaben, und sein Energieinhalt pro Tonne liegt um 43 Prozent höher als der von Steinkohle. Wie leicht sich dieser flüssige Brennstoff regulieren läßt, weiß jeder Autofahrer und Betreiber einer Ölheizung. Somit konnte es nicht ausbleiben, daß der klobige und schwere Dampfmotor, der außer der Kohle auch noch große Mengen Wasser mit sich schleppen muß, ab 1876 durch den Benzinmotor und ab 1892 auch durch den Dieselmotor ersetzt wurde. Ersterer war so leicht, daß er sich sogar in die Luft erheben konnte, was ab 1902 geschah.

Man muß es sich immer wieder in Erinnerung rufen, denn es ist sonst einfach nicht zu begreifen: Die für unser heutiges Dasein "unverzichtbaren" Maschinen wurden erst vor 100 Jahren mühsam konstruiert und aus­probiert. 

Nach zwei Generationen haben sie bereits unsere Lebensweise revolutioniert und die Umwelt ruiniert. Die Erfinder, die oft ihr ganzes Leben an ihren Maschinen experimentierten, konnten nicht einmal ahnen, daß die Folgen ihres Erfolges bereits in wenigen Jahrzehnten eine Kette von Problemen herauf­beschwören würden. Und wenn, "haben solche Überlegungen je einen Erfinder dahin gebracht, sein Werk zu vernichten"?46

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Abbildung 2  

Die Steigerung der Weltenergieproduktion

Die Kurven zeigen den steilen Anstieg aller von Menschen verbrauchten Primärenergien zwischen 1800 und 1990, getrennt nach Energieträgern.

Außer der Wasserkraft handelt es sich um nicht nachwachsende fossile Brennstoffe. Diese sind hier auf Steinkohleeinheiten (SKE) umgerechnet.

Der Energiewert von einer Tonne Steinkohle entspricht dem von 0,7 t Erdöl oder 833 Kubikmeter Erdgas oder 43 Gramm Uran.  

Hauptquelle: World Resources

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So wie das Flugzeug haben wir auch selber die Bodenhaftung verloren — wir schweben immer höher und höher. Dieses Lebewesen, welches vor einigen Millionen Jahren von den Bäumen gestiegen ist und das erst seit 800 Jahren die Kohle, seit 160 Jahren das Erdöl und keine 100 Jahre das Erdgas nutzt, ist zur Zeit im Begriff, den ganzen Erdball aufzuheizen!

Der Weltverbrauch an fossilen Kohlenstoffen erreichte bereits im Jahre 1988 auf Steinkohlen-Einheiten umgerechnet 10.200 Millionen Tonnen.47 Rechnet man die rund 700 Millionen Tonnen SKE aus der Kernenergie und die etwa 650 Millionen Tonnen SKE aus der genutzten Wasserkraft hinzu, dann bewegt sich der Energiekonsum der Menschen derzeit auf zwölf Milliarden Tonnen SKE, hin. Ich habe in <Ein Planet wird geplündert> dargelegt, daß damit das menschliche Leben völlig von den in der Erde gespeicherten, aber nur einmal vorhandenen Vorräten abhängt.

Die Flamme des prometheischen Denkens, die vor ungefähr einer Million Jahren in den Gehirnen einiger weniger die ersten schwachen Funken schlug, die das Feuer entfachten, strebte nun immer schneller ihrem Höhepunkt zu. Das Nachdenken stieß auf die Vermutung, daß in der Materie noch weit gewaltigere Kräfte schlummern könnten. 

Der hellenische Philosoph Demokrit (460-371) hatte schon gefolgert, daß der Kosmos aus Atomen bestehen müsse; aber er hielt diese für die kleinsten und nicht mehr aufspaltbaren Teilchen der Materie. Die Idee wurde von der modernen Naturwissenschaft wieder aufgenommen, und 1938 gelang Otto Hahn in Berlin die erste Atomspaltung. Die Umsetzung dei Spaltung in die praktisch nutzbare Energie aus der Steckdose wäre nicht so schnell vor sich gegangen, wenn nicht der II. Weltkrieg ein Wettrennen um die Atombombe verursacht hätte. Denn ein Aufwand von zwei Milliarden Dollar — und das war damals viel Geld — war nötig, um die ersten Bomben bis zur Zündung zu entwickeln. Für die weitere "friedliche Nutzung der Kernenergie" war der Weg dann nicht mehr so weit.

Inzwischen liefern (Stand 1.1.1992) weltweit 425 Atomkraftwerke rund 2000 Terawattstunden Strom jährlich aus dem Brennstoff Uran, einem verhältnismäßig seltenen Stoff der Erde. Darum wurde der sogenannte "Schnelle Brüter" entwickelt, der mehr Brennstoff neubilden sollte als er verbraucht. Das Perpetuum mobile schien damit gefunden; doch die Schwierigkeiten mit den Brütern in den USA, in der SU und in Frankreich rissen nie ab, so daß diese Linie ins Stocken kam und der deutsche Brüter in Kalkar gar nicht erst in Betrieb genommen wurde, obwohl er 1989 für sieben Milliarden DM fertiggestellt war.

Offenbar ist der Mensch hier in Bereiche vorgestoßen, wo schon rein ökonomisch der gigantische Aufwand plus das gigantische Risiko mit dem Energie­ertrag nicht mehr in einem akzeptablen Verhältnis stehen — wobei der Faktor "Risiko" unabschätzbar ist und bleiben wird. Nur Japan nahm im Mai 1991 einen kommer­ziellen Schnellen Brüter in Betrieb.

Dennoch arbeiten die Industrieländer an einem noch viel teureren und im Erfolg noch völlig offenen Projekt der Energie­gewinnung, der Kernfusion, worauf später noch einzugehen ist.

Heute ahnen wir vielleicht den Sinn von Heraklits Satz: "Denn das Feuer wird kommen, alles zu richten und zu verdammen"48, und auch die Bedeutung jenes anderen: "Alles ist austauschbar gegen Feuer und Feuer gegen alles, wie Waren gegen Gold und Gold gegen Waren."49

Wenn wir statt Feuer heute Energie einsetzen, dann wird der Satz sofort verständlich; denn mit Energie können wir aus Rohstoffen Waren herstellen und auch aus Rohstoffen durch Verbrennung Energie gewinnen. Das Feuer hat eine Mittlerfunktion wie das Geld (Gold). Das vom Menschen erzeugte Feuer brennt nicht um seiner selbst willen, sondern es dient der Umarbeitung der Materie, dem Transport der Materialien und der Menschen. Und das Feuer ersetzt nicht nur die Muskel­kraft des Menschen, sondern vervielfacht sie. Und es ersetzt die Muskelkraft der Pferde und der Sklaven. Das Feuer ist der neue beliebig lenkbare Sklave des Menschen geworden, von dem kein Streik und kein Aufstand droht. Und das Feuer ist eine gefügige Waffe des Menschen gegen den Menschen — das hat man schnell begriffen. Aber es ist vor allem auch eine indirekte Waffe gegen die lebendige Natur; sie dient ihrer Versklavung und auch Zerstörung. Und dabei empfindet der Mensch das höchste Triumphgefühl!

In keinem Element liegt also Segen und Fluch so dicht beieinander wie im Feuer. Gerade dann, wenn es im nützlichen Dienst des Menschen steht, verzehrt es nicht nur Brennstoffe, sondern dazu vielerlei Rohstoffe, die zu Gebrauchsgütern jeder Art und Größe — am besten immer mehr und immer größer — verarbeitet werden.

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Himmelfahrt ins Nichts von Herbert Gruhl 1992