Anmerk    Start   Weiter

3.7  Die planetarische Gleichzeitigkeit von Wort und Bild

 

Die Menschen werden von den fernsten Ländern aus mit­einander sprechen und sich antworten. Der italien­ische Künstler, Erfinder und Philosoph, Leonardo da Vinci

185-187

Der Weltverkehr, der heute rund um den Planeten mit höchster Geschwindigkeit rollt und fliegt, wird weit übertroffen von der Geschwindigkeit der Nachrichten, die mit der Schnelligkeit des Lichtes reisen: 300.000 Kilometer in der Sekunde. 400 Jahre nach Leonardo da Vinci war es selbstverständlich, daß ein in Italien gesprochenes Wort in Australien gehört und sofort beantwortet werden konnte. Dafür gibt es inzwischen mehrere technische Einrichtungen: Telefon oder Funk, also per Draht oder drahtlos — auch für Bilder, wobei jetzt Satelliten für ausgezeichnete Qualität sorgen. Deren Zahl ist in nur drei Jahrzehnten von Null auf etwa 100 angewachsen, so daß sie sich bereits gegenseitig stören.

detopia-2018:  heise  Die-naechste-Discokugel-fuers-All-Satelliten-Skulptur-vor-ihrem-Start 

Mehr als 1800 Satelliten kreisen nach UN-Angaben derzeit um den Planeten, allein 2017 wurden gut 550 neue Objekte angemeldet.

Kein Ereignis, auch wenn es nur wenige Personen betrifft, bleibt nunmehr verborgen; denn überall sind auch Zeugen zur Weitergabe bereit, und lebende Bilder von jedem Ereignis können gleichzeitig allen Interessierten angeboten werden, wenn nur die Herren der Medien etwas für wichtig genug halten. "So schickt uns der ausschweifende und doch oberflächliche Weltverkehr der Informations­dienste stündlich Manifeste, Staats­erdbeben, rätselhafte Kongresse, Putsche und Dementis ins Haus."62 [Gehlen] Bevor die Menschen heute ein Ereignis verarbeitet haben, wird schon längst das übernächste gemeldet. Die lebensnot­wendige Abwehr dagegen geschieht durch Abstumpfung.

Die Übersetzung in andere Sprachen verzögert die Weitergabe nur um Minuten. Überdies steht mit der englischen Sprache heute ein Medium zur Verfügung, welches die Gebildeten und auch die Popmusikfans in aller Welt vereint. Auf internationalen Kongressen wird Englisch gesprochen und geschrieben. Die globale Kommunikation ist perfekt und erreicht die entferntesten Winkel des Planeten.

In der modernen Medien­land­schaft gilt die <Einschaltquote>, und die erreicht man nur durch die seichteste Kost. Da die Filmemacher in den Industrie­nationen sitzen, wird von da aus bestimmt, was in Afrika, Indien oder Südamerika über die Mattscheiben flimmert. Das bedeutet automatisch: Werbung für den Lebensstil der Industrienationen, auch wenn nicht überdies die Reklame für deren Zivilisationsartikel eingeblendet würde. Die Erde wurde "ein riesiger Verbrauchsplanet der zivilisierten Menschheit, per Versandkatalog zur allseitigen Bedienung angeboten, sogar frei Haus".63 [Friedrich]

Auch das Fernsehen ist — kurz nach dem Rundfunk — schnell und zuschlagend wie ein Naturereignis über die Völker hereingebrochen. Was sie vorgeführt bekommen, ist phantastisch. Doch welche Verbindung können die Zuschauer zwischen dem Gesehenen und der sie umgebenden Wirklichkeit herstellen? Noch einmal Heinz Friedrich:

"Alle werden hineingezogen in den Strudel zivilisatorischer Dekadenz, die einen längst fragwürdigen materiellen Lebens­standard anstelle schöpferischer Welt- und Wirklichkeits­bewältigung als höchstes Schein­glück anbietet."64

Der Afrikaner Albert Tevoedjre spricht in seinem Buch <Armut und Reichtum der Völker> vom "Wahnsinn der Imitation".65  

Man ahmt aber nicht nur nach, man ist bestrebt, die gleichen Lebensverhältnisse in allen Teilen des Planeten herzustellen — und das ohne Rücksicht auf Klima, Fauna und Flora und auf die Unterschiede der Menschen. Die "unterentwickelten" Völker jagen der Fata Morgana vom besseren Leben nach, und für die Industrieländer sind sie Absatzgebiete, deren Ressourcen zur Verarbeitung gebraucht werden. Zur "Entwicklung" hat man ihnen Geld gegen Zins geliehen; doch der schnelle Wohlstand ist ausgeblieben, und die Schulden schleppen sich fort und fort.

Dennoch, die Ökonomie bietet eine reale Basis der Verständigung über alle Kulturen hinweg. Über Soll und Haben herrscht eine Meinung, und über den Dollar läßt sich alles und jedes valutieren. Und die Techniker in aller Welt verstehen sich, denn sie arbeiten mit den gleichen Formeln und den gleichen Materialien, und sie agieren überall "in Richtung der Kassenergiebigkeit".66 Die Bedingungen des Industriesystems, überall eingeführt, wirken verbindend und nivellierend zugleich. 

"Zum ersten Mal in der Geschichte sehen alle Menschen sich allen Menschen gegenübergestellt, ohne den Schutz unter­schied­licher Umstände und Lebens­bedingungen."67 [H. Ahrendt]  Das soll besagen, daß die eigenen Anschauungen, Sitten und Lebensgewohnheiten einem ständigen Trommel­feuer ausgesetzt sind und damit in die Strudel der Relativierung und Entwertung hinein­gerissen werden.

Da brauchte sich auch in der Nachkriegswelt der scharfe Beobachter von den aufgebauten feindlichen Fronten nicht täuschen zu lassen. Zu recht sagte Martin Heidegger schon 1953: "Rußland und Amerika sind beide, metaphysisch gesehen, dasselbe; dieselbe trostlose Raserei der entfesselten Technik und der boden­losen Organisation des Normalmenschen."68 Inzwischen übernehmen die Völker des ehemaligen Sowjet­reiches auch politisch die westlichen Staatsprinzipien.

Das Problem unserer Zeit liegt aber darin, wie die Massen angebotener Informationen überhaupt noch zu bewältigen sind. Der USA-Bürger hat zu wählen unter 53 Fernsehprogrammen, 12.000 Zeitschriften und 80.000 jährlich neu erscheinenden Büchern; von den Rundfunk­programmen nicht zu reden.69 

So wie der Stau den Verkehr zum Erliegen bringt, so lähmt auch das Nachrichten- und Unterhaltungs­angebot die Aufnahme­fähigkeit des Menschen. Er schaltet ab und tut so, als wäre dies alles gar nicht vorhanden, was noch der erfreulichste Ausweg ist.

Andererseits ermöglichen im Zeitalter der technischen Zivilisation nur die blitzschnellen Nachrichten­verbindungen, daß solche Staatskolosse wie bisher die Sowjetunion oder die Vereinigten Staaten und auch die Europäische Gemeinschaft überhaupt funktionieren. Nur mit Hilfe der Medien kann der Staat für einen gleichmäßigen Informations­stand im ganzen Land sorgen, zum Beispiel auch vor drohenden Gefahren warnen. Allerdings brechen neue Gefahren auch mit einer Geschwindigkeit herein, die früher undenkbar gewesen wäre. "Schnelle Information schafft schnelle Krisen", sagte der amerikanische Politologe Harvey Wheeler.70

Die vielbeschriebene Spitze unter allen denkbaren tödlichen Krisen ist der sogenannte Atomschlag, bei dem der Präsident des angegriffenen Landes auf der anderen Erdhälfte nur acht Minuten für eine Entscheidung hätte, mit welcher der Tod dieses Planeten endgültig sein könnte. - Das allein kennzeichnet schon die wahnsinnig prekäre Lage, in die sich der Mensch in wenigen Jahren hineinmanövriert hat!

187

#

 

detopia-2018: 

 Heinz.Friedrich     Martin.Heidegger      Medienprofessor Bernd Hamm 

 

google.com/search?q=boersenverein+neuerscheinungen

 

 boersenverein.de/markt-daten/marktforschung/wirtschaftszahlen/buchproduktion 

 

es sind zuviele neuerscheinungen, behaupte ich. jedes jahr kommen ja 80.000 bücher zu den bereits vorhandenen hinzu.
Das kann nicht gesund sein und die allgemeine bildung fördern (detopia)

 

 

 

 

 

 

 

 

 www.detopia.de      ^^^^ 

Herbert Gruhl, Himmelfahrt