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3.9  Neue Geschöpfe durch Gentechnik?

 

Hier sitz' ich, forme Menschen  /  Nach meinem Bilde ...
Der deutsche Dichter Goethe im "Prometheus"

195-206

Die Worte des Prometheus in Goethes Gedicht sind wahrscheinlich meist im übertragenen Sinne verstanden worden. Aber der weitblickende Goethe sah voraus, daß der Mensch versuchen würde, Menschen mit technischen Mitteln "herzustellen"; sonst hätte er den in der Retorte erzeugten Homunculus nicht in den zweiten Teil des <Faust> aufgenommen. Dort erklärt der Gelehrte Wagner:

"Behüte Gott! Wie sonst das Zeugen Mode war
erklären wir für eitel Possen.  ...
Wenn sich das Tier noch weiter dran ergetzt,
So muß der Mensch mit seinen großen Gaben
Doch künftig reinem, höhern Ursprung haben.  ...
Was man an der Natur Geheimnisvolles pries,
Das wagen wir verständig zu probieren....."78

Anderthalb Jahrhunderte nach Goethe befindet sich eine neue Wissenschaft, die Gentechnologie, auf dem Weg eben dahin. Sie ist dabei, zwar nicht den ganzen Menschen, aber Teile von ihm umzukonstruieren. Die Voraussetzung dafür war die Entdeckung der Genketten vor vier Jahrzehnten, die wir am Anfang des Buches beschrieben haben. Die Geschwindigkeit, in der die Entdeckung verwertet wird, ist ebenso atemberaubend wie bei der Kernspaltung.

Und um Spaltung handelt es sich auch hier. Denn der Kern jeder Zelle, von denen der Mensch um die 60 Billionen besitzt, enthält auch die Gene. Wie viele das sind, weiß man noch nicht, die Schätzungen schwanken zwischen 40.000 und 200.000. Um die Aufspaltung der Genketten in den Zellkernen geht es also, um durch Austausch die erwünschten Eigenschaften zu bekommen und die unerwünschten zu eliminieren. Es wird also eine Auslese getroffen. Nicht die Auslese der Natur, die Darwin entdeckte, sondern eine vom Menschen ausgedachte und künstlich zu vollziehende.

Die Auslese der Natur ist ein Vorgang von Hunderten und Tausenden von Generationen. Darauf zu warten, hat der Mensch heute keine Zeit! Er will seine Ergebnisse sofort, in einer Generation — und er will sie vermarkten!

Züchtung mittels geplanter Paarung gab es seit einigen Jahrtausenden, sie wurde zur Grundlage von Pflanzenanbau und Viehzucht. Und diese altmodische Methode wollten die deutschen Nationalsozialisten auch auf den Menschen anwenden. Da hat man auch gesehen, daß diese Methode zu lange dauert; denn bevor einige "Zuchterfolge" erzielt werden konnten, waren die Urheber dieser Idee schon wieder verschwunden. Darum beeilt sich die heutige Ad hoc-Technik: Entdeckung und Anwendung fallen zeitlich fast zusammen. Schnell, schnell, der Konkurrent könnte zuvorkommen. Der Nobelpreisträger James Watson fürchtete schon, der Amerikaner Linus Pauling könnte zuvorkommen.79  

Es war von Anfang an ein Wettrennen wie bei der Atombombe. Allerdings sind die Anwendungs­bereiche der Gentechnologie tausendmal vielfältiger.

Was ist aber das Ziel dieser neuen Unternehmungen? Bei der Atombombe wußte man es: die Vernichtung des Gegners. Auch bei der friedlichen Kernspaltung wußte man es: Erzeugung von Energie.

Doch welche Ziele hat die Gentechnologie? Zunächst gab man sich bescheiden: besseres Saatgut, leistungsfähigere Tiere, gesündere Menschen. Das ist den letzteren leicht plausibel zu machen, zumal hier die erste Anwendung nicht den Schreck verbreitete wie die Zündung der beiden Atombomben über Hiroshima und Nagasaki, woraufhin Japan sofort kapitulierte. Und dennoch wurden danach weitere Atombomben gebaut, schließlich zu Tausenden — heute schon von Staaten, die ihre Bevölkerung kaum ernähren können.

Am Beginn der Gentechnik stand also kein Feuerball und kein Rauchpilz, und ein sichtbares Fanal wird von ihr auch künftig nicht ausgehen. 

Darum gibt es gegen sie auch keine Massen­demonstrationen wie gegen die Kernkraftwerke, denn man bemerkt ja nichts, die Öffentlichkeit kennt nicht einmal den Sitz der Laboratorien. Doch die Euphorie der Wissenschaftler ist die gleiche. War die Atomtechnik mit der Erwartung verbunden, die Menschheit werde nun unbegrenzte Mengen billiger Energie bekommen, so die Gentechnik mit der Euphorie, der Mensch sei nun den Geheimnissen des Lebens auf die Schliche gekommen und könne sich folglich selbst als Schöpfer betätigen.

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Nicht mehr nur als Schöpfer der Maschinen, sondern als Schöpfer von Lebewesen, was man bisher immer noch notgedrungen Gott überlassen hatte. Demgemäß lauteten die Schlagzeilen in den Zeitungen: "Spielregeln für den achten Schöpfungstag",80 "Dem Schöpfer auf die Sprünge helfen".81

Richtig ist, daß es sich um Eingriffe in die Schöpfung handelt. Doch wissen die neuen Herren der Schöpfung, zu welchem Zweck und Ziel ihr Tun letztlich führen soll? Zu dieser Frage ist das Kapitel "Was ist das Leben?" so wichtig; da der Mensch nicht weiß, was Leben eigentlich ist, ob die Evolution ein Ziel hat oder ob sich ein Sinn hinter allem verbirgt — wie soll er da ein Ziel seiner Eingriffe vorweisen können? Er könnte sich darauf beschränken, daß es gut sein muß, einfach mehr Leben zu haben. Aber wie kann es ein vernünftiges Ziel sein, mit hohem technischen und finanziellen Aufwand neuartige Lebewesen in die Welt zu setzen, während gleichzeitig täglich Hunderte von Arten ausgerottet werden?

Der Gipfel der Absurdität liegt also darin, daß der Mensch eine Entwicklung "selbst in die Hand nehmen" will, über deren Sinn er nichts weiß! Ohne die Weisheit Gottes zu besitzen, will er jetzt Gott spielen — bis in die Reihen der Theologen hinein. 

Der Jesuiten­pater Teilhard de Chardin schrieb in seinem Hochmut: "Wird uns die Entdeckung der Gene nicht bald die Kontrolle des Mechanismus der organischen Vererbung gestatten?"82 Und ein führender Moraltheologe der Katholischen Kirche, Johannes Reiter, meint: "Die Gentechnologie eröffnet dem Menschen Chancen und Hoffnungen."83

Wie sollten bei soviel christlichem Beistand die Wissenschaftler der Branche nicht an ihre eigene Mission glauben? Jede Sparte ist doch heute von ihrer Wichtigkeit überzeugt, die schon aus der Höhe der erzielten Einkommen hervorgeht. Und wer stellt schon die eigene Daseinsberechtigung in Frage? Das tun immer nur einige Außenseiter, die sich den Luxus der Unabhängigkeit leisten. 

Da gab es einige in der Atomphysik, wie zum Beispiel die Nobelpreisträger Hannes Alfven* und Linus Pauling

Und in der Biochemie tat das der erste Erspürer der Genketten, der im alten Österreich-Ungarn geborene Erwin Chargaff, welcher zum schärfsten Kritiker aller Eingriffe wurde. Wir können uns auf ihn berufen, denn es gibt keinen Fachkundigeren, der zugleich das umfassende Allgemein­wissen hat, um die schicksalhafte Bedeutung des Vorgangs für die menschliche Gattung zu begreifen.

*(d-2015:)   H.Alfven bei detopia     Jens Reich 2014 Genetik Rede, sehr gut  wenn auch nicht auf meiner und Gruhls Wellenlänge

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Der Ausgangspunkt von Chargaffs Warnrufen ist die Tatsache, daß wir über die biologischen Vernetzungen in der Natur herzlich wenig wissen. Das wird jeder bestätigen müssen, der in den letzten Jahrzehnten die Nachrichten über die Entdeckungen der medizinischen Forschung verfolgt hat. Jede neue Erkenntnis muß schon in Jahresfristen ergänzt, eingeschränkt, verfeinert oder für überholt erklärt werden; manche Ergebnisse müssen auch widerrufen, ja sogar ins Gegenteil gewendet werden. Und das ist in der Regel nicht die Schuld der Forscher, sondern das ergibt sich aus der ungemein verwickelten Materie der menschlich-tierischen Körper und der Vorgänge in ihnen. Internationales Aufsehen erregen allerdings nur die großen Fehlschläge: Das DDT, als "Segen der Menschheit" gepriesen, das Contergan, das die Gene und damit den Körper von vielen tausend Kindern deformierte.

Eine Vorstellung vom menschlichen Körper als eines Kosmos versuchten wir mit der Vielfalt der Einzeller, die als Gäste in ihm hausen, in der Einleitung zu vermitteln. Ebenso eine Vorstellung davon, daß jeder Kubikzentimeter Mutterboden einen ganzen Kosmos von Lebewesen in sich birgt, die auch alle miteinander in Beziehung stehen. Chargaff faßt das zusammen: 

"Aus der Wissenschaft habe ich gelernt, daß wir zu allen Zeiten die Spezifität, die unglaubliche Schärfe des Ineinander­passens der Lebensvorgänge unterschätzt haben. Wann immer wir glaubten, am Ende zu sein, öffnete sich ein neuer Abgrund von Dezimalen. Deshalb müssen wir in der Biologie immer wieder unsere Grundauffassungen abändern und unsere Verfahren verfeinern. Ein Ende ist nicht in Sicht ..."84

Hubert Markl, der nicht als Außenseiter verschrien wird, bezieht das direkt auf die Gene: "Natürlich sind wir weit entfernt davon, die Funktionsweise auch nur der wichtigsten, geschweige denn aller Gene, die zur Ent­stehung und beim ›Betrieb‹ eines normalen oder eines durch Erbkrankheit beschädigten Menschen zusamm­en­wirken müssen, zu verstehen."85)  Dennoch greifen die Wissenschaftler mit ihrem bruchstückhaften Wissen forsch in ungeheuer verwickelte Vorgänge ein.

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Da die Gentechniker mit Vorliebe mit den Genen der diversen Stämme der Escherichia coli manipulieren, betont Chargaff folgende speziellen Einwände.

  1. "In Anbetracht der weiten Verbreitung von Stämmen von E. coli als obligaten Symbionten in der Darmflora von Mensch und Tier muß die Wahl eines, wenn auch abgeschwächten, Vertreters dieser Bazillenklasse als Wirt für die zur Einschleusung fremder DNS dienenden modifizierten Plasmide als wahnwitzig erscheinen.

  2. Mit dem Entkommen solcher neuen Lebensformen aus den Laboratorien muß trotz Vorsichts­maß­nahmen gerechnet werden. Was für Unfug oder sogar Unheil dieses Lebewesen entweder unmittel­bar oder durch Austausch genetischer Elemente mit den im Darm lebenden normalen E. coli Zellen anrichten können, ist unbekannt.

  3. Da sich die gesamte molekularbiologische Forschung in der Vergangenheit fast ausschließlich auf Coli­bakterien beschränkt hat, kann man gar nicht sagen, ob sich nicht eine geeignetere Mikroben­klasse finden läßt, mit der ähnliche, jedoch weniger riskante Versuche gemacht werden können. Da meiner Meinung nach nicht die geringste Eile ist, sollte man sich Zeit lassen, um geeigneteres Versuchs­material zu finden.

  4. Falls die Versuche mit E. coli fortgesetzt werden, so müßten sie auf wenige, leicht zu überwachende Zentrallaboratorien ..... beschränkt werden."

 

Unterdessen schätzte man die Zahl der Laboratorien dieser Art in den USA bereits 1976 auf etwa 300.86  Im Jahre 1991 waren es allein in Deutschland 1300.

Das Problem mit den Bakterien entsteht, weil man diese als Träger für die Einschleusung der Gene braucht. Der Präsident der <Policy Research Corporation>, James Murray, erklärte 1981: Im Wettbewerb mit natürlichen und sogar mit chemischen Produktionsverfahren erweisen sich die mit Hilfe der Gentechnologie gezüchteten Bakterien als die wirtschaftlichste Methode. Mit geringen Kosten könnten bakterielle "Fabriken" überall in der Welt errichtet werden, die mit minimalen Vertriebskosten operieren könnten. Für zahlreiche europäische Länder könne die mit Hilfe der Gentechnologie bakteriell produzierte Viehnahrung einen großen Teil des bisher verfütterten Getreides der menschlichen Ernährung zuführen.87

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Chargaff erachtet für sicher: 

"Bei Bakterien, die sich normalerweise im menschlichen oder tierischen Organismus aufhalten, können auch die strengsten Vorsichts­maßnahmen nicht ausreichen; irgendwie werden sie entweichen, sich vervielfältigen oder ihre Erbmasse an andere lebensfähige Zellen abgeben. Aber das ist ja nur der Anfang: die molekularen Zauberlehrlinge stehen schon Schlange, um endlich mit der Verbesserung der genetischen Anordnung des Menschen beginnen zu können."88  

"Es handelt sich um nichts Geringeres als die Erzeugung neuer Lebensformen. Wenn es auch nur ein Bakteriunkulum ist und noch kein Homunkulus. Der Rest wird kommen. Sträflicher als die Versuche selbst ist die Gesinnung, die dahintersteckt."89

Über die Gesinnung in heutiger Zeit kann kein Zweifel bestehen. In "Ein Planet wird geplündert" habe ich dargestellt, daß in unserem Jahrhundert die Frist zwischen Erfindung und Anwendung immer kürzer geworden ist.90 So ist auch die Genmanipulation in wenigen Jahren ein riesiger Wirtschafts­zweig geworden. Demgemäß finden sich die Berichte darüber in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen mit Schlagzeilen wie "In der Biologie steckt das Leben der Industrie".91 Sie zählt bereits zu den "Schlüssel­industrien", die über den Absatz­wettbewerb der Zukunft entscheiden. "Die Gentechnologie öffnet Milliarden-Märkte",92 sie ist "wirtschaft­licher als die chemische Produktion".

Die Parlamente konnten mit ihrer Gesetzgebung gar nicht so schnell mithalten, wie das die chemische Industrie wünschte, die andererseits die gesetzlose Zeit fleißig nutzte, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Da hieß es schon 1981: "Hoechst schürt das Wettrennen in der Gen-Technik".93 Man riß sich um die Institute und um die Wissenschaftler, die im Nu von Fachleuten zu Geschäftsleuten wurden. Die Chemiegiganten stürzten sich auf das neue Geschäftsfeld: Ciba Geigy, BASF, Dow Chemical, Monsanto; Hoechst und Du Pont schlossen Exklusiv-Verträge mit der Universität Harvard zur Kommerzialisierung der dort mit ihrem Geld erhofften Entdeckungen, andere Firmen auch.

So hat das <Plant Research Institute> in Kalifornien mitgewirkt 

"an der Entwicklung von Pflanzen, die im Salzwasser gedeihen, und solchen, die mit Tiergenen ›aufbereitet‹ sind und fleischähnliche Proteine produzieren sollen. Präsident Martin Apple sprach nur halb im Scherz, als er sagte, man werde bald ›Koteletts an Bäumen wachsen‹ lassen ... Pflanzen, die ihre eigenen Stickstoffe herstellen und Dünge­mittel überflüssig machen."94

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Ralph Hardy von Du Pont sprach 1981 von einem 10-Milliarden-Markt in zehn Jahren. Der Präsident der Policy Research Corporation in Chicago erwartete zu der Zeit bereits für 1996 einen Markt von 50 bis 100 Milliarden Dollar allein in der Landwirtschaft, während der in der Humanmedizin nur fünf bis zehn betragen werden.95 Zehn Jahre später klingen die Berichte bedeutend kleinlauter. Der Transfer der Gene in Pflanzen zur Stickstoffbindung zum Beispiel hatte nicht den erwünschten Erfolg.96

Doch das große Geschäft mit den kühnen Erwartungen geht weiter. Der Schweizer Konzern Hoffmann-La-Roche erwarb Anfang 1990 für 2100 Millionen Dollar die Mehrheit bei der "US-Biotechnologie-Perle", der Gentech Inc., San Francisco, obgleich fünf Wochen später eine breit angelegte italienische Herzmittelstudie bewies, daß deren Mittel zur Auflösung von Blutgerinnseln nicht besser sei als ein altes europäisches, das zehnmal billiger ist; doch der Kurs der HoffRoch-Aktie zitterte daraufhin nur ein wenig.97 Andererseits befürchtet der Kongreß der USA jetzt, daß die Gentechnik nach Japan abwandern könnte.

Nicht nur mehr die Natur wird vermarktet, sondern bereits die Baupläne der Natur. Was leben soll auf diesem Planeten, wird künftig in den Vorstandsetagen von HoffRoche, Hoechst, BASF und Bayer entschieden. Man sieht, die Deutschen sind wieder ganz vorn, falls ihnen nicht die Japaner den Rang ablaufen. Wie sagte doch Chargaff schon 1980? "Der Raubbau an den Naturgeheimnissen ist eine Großindustrie geworden."98

Obwohl aber die Milliarden nur so hin und her geschoben werden, halten die Firmen den Regierungen jederzeit die offene Hand hin. Und tatsächlich machen auch diese noch Milliarden locker, denn man darf ja nicht den Anschluß an den internationalen Wettbewerb verlieren. Bis 1994 sollten in der Bundesrepublik Deutschland 1,5 Milliarden DM dafür ausgegeben werden. Im Juni 1991 legte jedoch der Bundes­forschungs­minister ein fünfjähriges Zusatz­programm vor, das mit jährlich 100 Millionen DM der Biotechnik einen zusätzlichen "Schub" geben soll. Damit gibt die öffentliche Hand jährlich 1,3 Milliarden, während die deutsche Industrie nur 250 Millionen einsetzt.99 Das liegt daran, daß diese ihr Geld schon in den USA investiert hat, als sie in Deutschland noch Behinderungen fürchtete.

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Schwerpunkte der deutschen Förderung sollten sein: Neurobiologie, Proteindesign, photosynthetische Stoff­produktion, nachwachsende Rohstoffe und Ersatzmethoden zum Tierversuch. Aber warum müssen eigentlich derart als "zukunftsträchtig" gepriesene Projekte vom Steuerzahler mitfinanziert werden? Wo sie doch so große Gewinne versprechen!

Die Industrie legt auch großen Wert darauf, ihre veränderten oder neuen Lebewesen unter Patentschutz gestellt zu bekommen, während alle bisherigen Lebewesen und auch wir Menschen ohne Patent herumlaufen müssen. Im Europäischen Patent­übereinkommen stand seit 1973: "Pflanzensorten und Tierarten/Tierrassen sowie im wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren sind nicht patentierbar." Doch mit dem Binnenmarkt soll eine Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen kommen.100 Die Welternährungsorganisation will dagegen weltweit das Recht der Landwirte auf ihre eigenen Züchtungen als Völkerrecht etabliert sehen.

Würden alle Rechte bei den großen Konzernen liegen, hätten diese praktisch eine Weltnahrungsdiktatur in den Händen; ihre Herrschaft ist ohnehin schon gewaltig.101 Martin Urban entlarvte in der <Süddeutschen> die Ziele der chemischen Industrie noch weiter und schrieb: 

"Hauptziel gentechnischer Bemühungen ist allerdings nicht die Feldfrucht, die ohne Düngemittel und Pestizide auskommt. Damit würde sich die chemische Industrie, Hauptpromotor der genetischen Forschung, die Märkte für ihre Agrarchemikalien verstopfen. Vielmehr wird mit besonderem Eifer und auch Erfolg an der Resistenz von Kulturpflanzen gegen Herbizide (Unkraut­vertilgungs­mittel) gearbeitet, die dann in desto größeren Mengen ausgebracht werden könnten."102

Was den Menschen selbst anbetrifft, so werden natürlich nach bewährtem Muster die heilenden Möglichkeit­en der Genver­änderung in den Vordergrund gestellt. James Watson spricht von der Chance der Entdeckung und Heilung von rund 3000 menschlichen Erbkrankheiten.103 (Um die 4000 gibt es nur.) Er erweckt damit die Illusion, die Erbkrankheiten könnten praktisch abgeschafft werden. Wieviel neue Krankheiten aber dabei entstehen werden, verschweigt er und kann es auch gar nicht wissen. Sicher wird hier und da auch ein Erfolg erzielt, aber eben auch unvorher­gesehene Schäden und eventuell hier und da ein Chaos in den Erbinform­ationen verursacht werden.

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In welcher Weise heute in der Öffentlichkeit darüber diskutiert wird, zeigen einige Zeilen in der <Neuen Zürcher Zeitung>: 

"Alle Wissenschaftler und Ärzte sind sich darüber einig: ›Hände weg von den menschlichen Keimzellen!‹ Da Änderungen, die dort eingefügt werden, auch für alle Nachkommen Konsequenzen hätten, kann man solche Eingriffe nicht verantworten. Man würde dabei auch in die menschliche Evolution eingreifen und im Genpool Änderungen einbringen, die man später vielleicht bereuen würde."

Nächster Satz: "Im Prinzip wird das allerdings heute schon gemacht."104

Wieso wird das schon gemacht, wo sich doch alle Wissenschaftler und Ärzte angeblich einig sind, es nicht zu tun? Diese sündhaft teuren Eingriffe in die Erbinformationen haben ja auch nur dann Sinn, wenn die Nach­kommen ebenfalls geheilt werden. Infolgedessen war auch in <bild der wissenschaft> zu lesen: "Die gezielte Verbesserung menschlichen Erbgutes — bislang ein Tabu — wird laborfähig: Die Gentherapie am Menschen ist von den staatlichen Gesundheits­behörden in Washington genehmigt worden. In diesem Monat (Dezember 1990) wird erstmals eine Genbehandlung an einem schwer erkrankten Patienten praktiziert." 

Die genetische Information einer krebshemmenden Substanz wird in das befallene Gewebe gebracht. "Viren helfen bei dem Transfer der tödlichen Information in die Erbsubstanz des Zellkerns." Aber: "Die amerikanischen Mediziner sind noch nicht in der Lage, den Weg der eingeschleusten Informationen vollständig zu kontrollieren. So besteht die Gefahr, daß die Gene an nicht vorhersehbaren Stellen eingebaut werden. Denkbar wäre auch, daß Fremdgene aktiviert oder inaktiviert werden, was zu einem Chaos im Stoffwechsel führen könnte."105

Ein schwedischer Versuch hatte ergeben, daß Bakterien eines gleichen Typs sehr unterschiedliche Wirkungen haben können. Durch das Genexperiment wurde ein Stamm hochgiftig.106 Was bei der praktischen Anwendung entsteht, ist oft gar nicht voraus­zusehen. Darum sind auch die vielzitierten Sicherheits­maßnahmen nicht viel mehr als eine Farce. Sie dienen weniger der Sicherheit als vielmehr der Beruhigung der Öffentlichkeit — oder, wie das Chargaff formulierte, dem Schutz der Forscher gegen Schaden­sersatzklagen.107

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Maurice Wilkins, der dritte Nobelpreisträger in Sachen Genketten, erinnerte bei der Nobelpreisträgertagung 1987 an die Pockenviren, die aus dem Labor entkamen und Menschen tödlich infizierten. Der schuldige Forscher, zugleich Sicherheitsbeauftragter seiner Universität zum Schutze der Bevölkerung vor den Gefahren der mikrobiologischen Forschung, nahm sich das Leben.108

Darum sind die Forscher durchaus für Gesetze zur Gen-Technik und auch für Patente. Sie wollen also drei Dinge vom Staat: Gesetze, die sie im Ernstfall schützen, Geld für ihre Entwicklungen und Patente für die Ergebnisse. Im übrigen pochen sie auf ihre verbriefte wissenschaftliche Freiheit.

Die Ethik der Wissenschaft ist ein Thema der letzten Jahre. Vorzugsweise beschäftigt es Kongresse, Akademien und Kirchen, die am Lauf der Dinge nichts ändern. Die Entscheidungen überträgt man freundlichst der Politik. Aber wer glaubt, daß Politiker Entwicklungen stoppen könnten, für die schon Milliardensummen ausgegeben wurden? Die Ethik kommt immer zu spät. Ja, sie kommt nicht nur zu spät, sie müsse sich sogar an Entwicklungen anpassen, die anderen Gesetzmäßigkeiten folgen, stellte man beim "Forum Engelberg" fest.109  

Die Dynamik der Fortschrittsgläubigkeit des Publikums fegt alle Bedenken hinweg, sogar unter Theologen. Am genannten Ort meinte der katholische Vertreter Edouard Bone, daß selbst der Eingriff in die Erbsubstanz des Menschen zentrale Werte nicht gefährden könne, weil diese schließlich durch die gesamte Kultur gestützt würden.110

Da die Politiker von den fachlichen Problemen keine Ahnung haben, laden sie die Fachleute ein, die selbstverständlich das höchste Interesse daran haben, ihre Forschungen weiterzuführen und auch zu verwenden. Das ist hier nicht anders als in der Kernphysik. Im Rahmen der deutschen Gesetzesberatungen verlangten 2000 Wissenschaftler und Ärzte die Weiterentwicklung der Gentechnik, denn es sei ein "unverzichtbares Werkzeug". Ein Nein oder ein Verzicht auf diese chancenreiche Technologie bedrohe die Grundlagenforschung. Wenn Peter Starlinger von der Zentralen Kommission für die biologische Sicherheit dazu erklärte, durch Unterricht, Gespräche und Beratung könne eine Barriere gegen den Mißbrauch aufgebaut werden, dann ist das schlichtweg lächerlich.111

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Der australische Nobelpreisträger für Medizin 1960, Macfarlane Burnet, hat treffend gesagt: "Die Auswirkung dessen, was in diesem höchst verfeinerten Universum von Zellkulturen, Bakterien und Viren vorgeht, auf den Menschen ... ist bestenfalls zweideutig und schlimmstenfalls tief erschreckend." Schon die Mutationen in den Viruskulturen gefährdeten die Welt aufs schwerste. Darauf beruft sich Friedrich Wagner in dem von ihm herausgegebenen Buch <Menschen­züchtung>.112

Der neue Mensch, den der Marxismus durch Erziehung, der Nationalsozialismus durch Erziehung und Menschenzüchtung erreichen wollte, soll nach Meinung vieler Wissenschaftler heute durch die Gentechnik herbeigeführt werden, womit sie voll im Trend des technischen Zeitalters liegen. Was im natürlichen Bereich als unmoralisch gilt, wird von der Öffentlichkeit akzeptiert, wenn es nur mit technischen Mitteln geschieht; denn Technik ist immer gut und — moralfrei! Um ethische Verfehlungen zu brandmarken, genügt es, sich über die der Deutschen und Japaner im letzten Krieg zu entrüsten. Das tat auch Francis Crick auf dem Nobelpreisträger-Treffen 1987 in Lindau. Im übrigen waren sich die Teilnehmer in einer Podiums­diskussion über die ethischen Probleme einig, "den zu erwartenden großen Nutzen der Gentechnik, vor allem für die Medizin der Zukunft" zu betonen.113

Zu Chargaffs Gegenargumenten gehört die Unwiderruflichkeit solcher Experimente. Er hat die Frage aufgeworfen, ob wir das Recht haben, "unwiderruflich der evolutionären Weisheit von Jahrmillionen zuwider zu handeln, um den Ehrgeiz und die Neugier einiger Forscher zu befriedigen".114 Aber er wußte schon damals, "es ist wahrscheinlich zu spät: Was geschehen kann, hat schon angefangen zu geschehen." Und "was ein Trottel verbrochen hat, werden hundert Genies nicht ungeschehen machen können..... Was von den genetischen Ingenieuren geplant und zum Teil bereits ins Werk gesetzt wurde, wird die Biosphäre unwiderruflich verschmutzen ..." 115)

Die Filme über die neuen Monster sind bereits gedreht worden: 1988 wurde im britischen Fernsehen "Gordon" ausgestrahlt, halb Mensch, halb Affe; eine deutsch-schweizer Gemeinschafts­produktion unter dem Namen "Daedalus" läßt eine ganze Mannschaft von geklonten Wesen auftreten, die 2018 die Herrschaft übernimmt; aber solche Filme lassen sich wohl schon nicht mehr zählen.

Nicht einmal auf Friedrich Nietzsche können sich die laborisierenden Gottspieler berufen. Obwohl ihn der Gedanke nie losließ, wie der Mensch zum Über­menschen weiterentwickelt werden könnte, schrieb er schließlich 1884: "Könnten wir die günstigsten Bedingungen voraussehen, unter denen Wesen entstehen vom höchsten Werte! Es ist tausend Mal zu kompliziert, und die Wahrscheinlichkeit des Mißratens sehr groß: so begeistert es nicht, danach zu streben! — Skepsis."116

 

Heute, hundert Jahre später, ist der Zug nicht nur abgefahren, er rast bereits dahin. Dieses Großprojekt des "wohlgemeinten Guten" kann bestenfalls nur soviel Nutzen stiften, wie es Schaden anrichten wird — schlechtestenfalls aber einen unberechenbaren Beitrag zur Ausrottung von Arten leisten, vielleicht auch der menschlichen Gattung selbst. Daß die Potentiale auch dafür in der Genmanipulation vorhanden sind, wird nicht einmal von den Befürwortern bestritten. Aber das Risiko ist wieder einmal "so gering", daß es vernachlässigt werden darf! Jeremy Rifkin behält recht: 

"Man wird Gene manipulieren, um neue Formen erneuerbarer Energie zu schaffen, um Krankheiten zu heilen oder den Intelligenz­quotienten zu erhöhen, aber damit wird die Milliarden Jahre alte Weisheit der Evolution unwiederbringlich zerstört werden ... Der Optimist wird seinen größen­wahn­sinnigen Feldzug nicht gewinnen, aber er könnte sehr wohl Erfolg damit haben, die gesamte Menschheit ins Verderben zu stürzen."117

Nach neuesten Meldungen hat man in den Vereinigten Staaten und in Japan die Vorschriften über den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen weiter gelockert, um die Entwicklung der Biotechno­logie erheblich zu beschleunigen.118 In den Niederlanden wurde Kühen ein menschliches Gen eingepflanzt, die erhoffte Wirkung aber nicht erreicht.119  Ulrich Beck urteilt aus soziologischer Sicht: 

"Die Reichweite der Gesellschaftsveränderungen verhält sich umgekehrt proportional zu deren Legitimation, ohne daß dies an der Durch­setzungs­macht des zum <Fortschritt> verklärten technischen Wandels etwas ändern würde... Es finden <Hearings> statt. Die Kirchen protestieren. Selbst fortschrittsgläubige Wissenschaftler können das Gruseln nicht abschütteln. Dies alles findet jedoch wie ein Nachruf auf längst getroffene Entscheidungen statt. Mehr noch: es gab keine Entscheidung ... Man kann zum Fortschritt zwar nein sagen, aber das ändert nichts an seinem Vollzug."120

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detopia:  Vergleiche auch mit Gordon Rattray Taylor 1968  

 

 

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 www.detopia.de 

Himmelfahrt ins Nichts von Herbert Gruhl 1992