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4.3  Die Unratlawine

 

 

Die Industrie und ihre Produkte führen uns an den Rand des
Bankrotts, nämlich zur Zerstörung von Erde und Atmosphäre.
Der französische Dichter Eugène Ionesco

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Die Masse Mensch belastet die natürlichen Systeme unseres Planeten zunehmend. Die Last wird vervielfacht durch die materiell überlastete Lebensführung, die im technischen Zeitalter zur Gewohnheit geworden ist. In seiner ganzen Vorgeschichte über die drei Millionen Jahre hinterließ der Mensch nahezu nichts, was nicht verrottbar gewesen wäre, außer den Knochen der gejagten Tiere, und selbst die wurden noch zum Teil als Waffe oder Werkzeug verwendet. Das änderte sich erst in den Hochkulturen, die jedoch Inseln in einer weiter einfach lebenden Welt blieben.

Der weltweite Verbrauch an Grundstoffen pro Kopf blieb bis ins 19. Jahrhundert gering; erst in unserem Jahrhundert wurde die Steigerung explosiv. Für die Schweiz ermittelten Wissenschaftler einen durchschnitt­lichen Pro-Kopf-Verbrauch im Jahr von 90 Tonnen.35 Damit erreicht der Jahresverbrauch eines Schweizers ungefähr 1200mal das eigene Körpergewicht. Bei einer siebzigjährigen Lebenszeit kommt ein Berg von 84.000 Tonnen zustande! Der Verbrauch in der Schweiz kann für mindestens eine Milliarde Menschen auf der Erde als repräsentativ angesehen werden, denn der des USA-Bürgers liegt noch bedeutend höher.

Dieser Verschleiß sieht nach Wahnsinn aus; doch er relativiert sich etwas. Denn 60 Tonnen macht allein der jährliche Wasser­verbrauch aus, den der Mensch für diverse Formen der Reinigung nötig zu haben glaubt, während sein Leib nur eineinhalb Tonnen benötigt. Auch für die Atmung braucht er nur vier Tonnen Luft im Jahr. Wasser und Luft erneuern sich immer noch alljährlich, so daß sie nicht aufgezehrt werden; doch die 60 Tonnen Wasser verlassen die Häuser als Abwasser, was uns noch im nächsten Kapitel beschäftigen wird.

Hier interessiert, daß 28 Tonnen Stoffe je Person und Jahr für Wohnung und Transporte aller Art aufge­wendet werden, die sich nicht erneuern. Abzüglich einer bescheidenen Wiederverwendungsrate ist das ein Posten, der unwiederbringlich verloren geht; denn in ihm stecken die verbrannten Energiemengen für Heizung und Verkehr.

Selbst wenn wir von einer fünfzigprozentigen Wiederverwendung von acht Tonnen fester Stoffe ausgehen, was zur Zeit eine Illusion ist, bleibt eine Vernichtung von rund 20 Tonnen Feststoffen pro Person im Jahr. Wenn wir den Verbrauch der ärmeren Hälfte der Erdbewohner ganz weglassen, dann ist es wohl erlaubt, die Schweizer Zahlen auf die halbe Weltbevölkerung, also derzeit 2,8 Milliarden Köpfe hochzurechnen. Das ergibt einen Jahresverschleiß von 56 Milliarden Tonnen. 

 

Der Erdball hat eine Landfläche (ohne die eisbedeckten Gebiete) von 111 Billionen Quadratmetern. Würde die jährliche Verarbeitung der entsprechenden Zahl von Kubikmetern 2000 Jahre fortgeführt, dann würde die gesamte Landfläche der Erde in einer Tiefe von einem Meter einmal umgearbeitet sein. Hätte man also bei Christi Geburt mit der heutigen Menschenzahl und Wirtschaftsweise begonnen, so wäre das heute "geschafft"! 

Und das bei sogenanntem Nullwachstum. Und hätte man zu Beginn der Kulturgeschichte vor 5000 Jahren so begonnen, dann wäre die Erdkruste heute in zweieinhalb Meter Tiefe einmal umgewühlt. Um korrekt zu bleiben, auch diese Rechnung relativiert sich etwas; denn wir holen einen riesigen Teil der Menge aus tiefen Bergwerken und pumpen Öl und Gas aus unterirdischen Lagern hoch. Doch daraus den Schluß zu ziehen, daß die Erd­oberfläche damit nicht beschädigt werde, wäre verfehlt; denn es entstehen außer den Abraumhalden bei den Verarbeitungs- und Verbrennungs­prozessen vielerlei Umweltbelastungen — und das nicht nur auf der Erdoberfläche, sondern auch in den Welt­meeren und in der dünnen Lufthülle.

Somit schädigen die rund 10 Milliarden Tonnen fossiler Brennstoffe und die rund zwei Milliarden Tonnen Mineralien sowie die 150 Millionen Tonnen Düngemittel das gesamte Ökosystem weit mehr als die Stein-, Sand- und Lehmgruben, woraus die schlichten Baumaterialien — allerdings mit riesigem Energie- und Transport­aufwand — gewonnen werden. Der Bergbau räumt also nicht nur die Erde aus, sondern schädigt sie in jeder Beziehung. Und für seine unbrauchbar gewordenen Güter sucht der Mensch Ablagerstätten, die Kenneth Boulding "umgekehrte Bergwerke" nennt.

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In der Tat wäre es am vernünftigsten, die in der Erde entstandenen Hohlräume mit dem Abfall wieder aufzufüllen. Aber die aufgelassenen Bergwerke befinden sich selten dort, wo der Abfall entsteht, oft sogar in anderen Kontinenten, so daß die Transport- und Bergungs­kosten viel zu hoch wären. Diese "spart" man sich und kippt den Müll in der Nähe der Wohnsiedlungen aus oder verbrennt ihn, genauer gesagt, man teilt ihn auf: der kleinere Teil wird zu Schlacke und Asche, der größere wird in die Luft geblasen. 

Die Verbrennung ist trotzdem auf dem Vormarsch, weil die leicht erreichbaren Sand-, Ton- und Steingruben in wenigen Jahrzehnten voll geworden sind. Die Bevölkerung wehrt sich aber inzwischen sowohl gegen die Deponien als auch gegen die Verbrennungs­anlagen. Damit wird bewiesen, daß in den wohlhabenden Regionen der Erde schon nach 40 Jahren Wohlstand der Wohlstandsmüll nicht mehr unterzubringen ist. Die Menschen wollen zwar den Wohlstand, weigern sich aber, die Folgen der Wegwerf­gesellschaft zu akzeptieren.

Allein in der Bundesrepublik Deutschland stieg von 1970 bis 1985 die Zahl der Einwegpackungen für Getränke von zwei auf neun Milliarden Stück. Die Papier- und Pappeproduktion erreichte 13 Millionen Tonnen (1989), die Hälfte bedruckt. Davon werden 43 Prozent wiederverwendet, aber dennoch wuchs der jährliche Hausmüllberg auf über 30 Millionen Tonnen und der des Sondermülls auf fünf Millionen. Der Bauschutt erreichte in der Europäischen Gemeinschaft schon 1980 125 Millionen Tonnen.

Die Natur hatte solche Probleme nie! Sie hat nur das produziert, was auch verrottbar war und damit in den Kreislauf zurück­geführt werden konnte. In der Natur ist für jedes Molekül auch ein Enzym zu dessen Auflösung vorhanden, aber sie hat keine Mittel zur Verarbeitung der vielen synthetischen Produkte, die der Mensch jetzt industriell erzeugt; denn sie sind abiotisch, wie der Fachausdruck lautet, biologisch nicht abbaubar. Viele davon sind Gift für die Kreisläufe der belebten Welt. Da die Menschen aber bis vor kurzem in der Regel davon keine Ahnung hatten, wurde alles, einschließlich der giftigsten chemischen Verbindungen, in die Abfalldeponien geschüttet. Die Folgen kommen schon heute "zu Tage", in Form vergifteter Grundwässer und Böden, ja vergifteter Häuser, die auf solchen Böden leichtfertig gebaut worden sind.

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Eigenartigerweise bezeichnet man diese Hinterlassen­schaften als "Altlasten", obwohl sie noch selten 50 Jahre alt sind. Wie wird das erst werden, wenn der Müll von 500 Jahren zusammen­kommt?

Für die Bundesrepublik Deutschland hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen 1989 die Anzahl der gefährlichen Vorkommen, auch "Müllbomben" genannt, auf 50.000 geschätzt, darunter 8000 ehemalige Firmen­standorte; das Umwelt­bundesamt spricht gar von 70.000 bis 80.000 Verdachtsflächen, wozu jetzt noch die des ehemaligen DDR-Gebiets kommen. Schon die "Sanierung" auf dem alten Bundesgebiet würde nach Berechnungen des Bundesministeriums für Forschung und Technologie 50 Milliarden DM kosten, während die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen sie allein in diesem Bundesland so hoch einschätzt.

Nachdem viele Staaten in zunehmendem Maße die giftigen und gefährlichen Abfälle, auch Sondermüll genannt, unter Kontrolle zu bringen versuchen, hat sich ein schwarzer Exportmarkt dafür entwickelt. Die Umwelt­organisation Greenpeace schätzte ihn auf mindestens eine Million Tonnen jährlich. Die Organisation Afrikanischer Staaten (OAU) schloß Anfang 1991 einen Vertrag gegen derartige Importe und auch gegen die Versenkung in den Meeren. Eine "Weltkonvention" gegen die Abfall-Schattenwirtschaft wurde 1989 in Basel beschlossen, von der aber keine große praktische Wirkung zu erwarten ist.

Von der Müllversenkung in den Weltmeeren muß vermutet werden, daß sie gewaltig ist.  

Plastikmüll schwimmt inzwischen auf allen Meeren; er wird in Neuseeland ebenso angeschwemmt wie in Alaska oder Afrika. "Die Strande aller Kontinente werden von Plastikflaschen, -eimern, -folien und Schaumstoffen überschwemmt. Der Golfstrom trägt sie an die Strande der Barentssee, wo sie bis zu einem Meter hoch liegen."36 Plastikmüll wird in den Mägen aller Meerestiere vom Wurm bis zum fischfressenden Vogel gefunden, die oft daran verenden.37

Schließlich liegen auf dem Meeresboden bereits mehr als 50 Atombomben und Reaktoren atomar betriebener U-Boote, die bei Unglücksfällen verlustig gingen.38

Auch im Weltraum kreisen schon beträchtliche Mengen Schrott. 7000 Teile von alten Satelliten und ausge­brannten Raketen­stufen, die größer als Tennisbälle sind, werden ständig beobachtet. Aber auch winzige Splitter sind gefährlich, da sie mit Geschwindigkeiten von bis zu 60.000 Kilometer pro Stunde aufprallen können.39

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Himmelfahrt ins Nichts von Herbert Gruhl 1992