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6.6  Gibt es ein Danach?

Von Herbert Gruhl 1992    ( Löbsack 1983 Danach )

Himmel und Erde werden vergehen, zusammen mit uns vergehen.

Ob es dann ganz zu Ende ist? Wir wissen es nicht.

Der chinesische Philosoph Liä Dsi

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Es gibt frühere überzeugende Aussagen darüber, daß die Frist des Lebens auf unserem Planeten begrenzt ist. Besonders die berühmte von Friedrich Nietzsche, die er zweimal mit leichter Abweichung niederschrieb:

"In irgend einem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. 
Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der Weltgeschichte, aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Tiere mußten sterben. 
Es war auch an der Zeit, denn: obwohl sie schon viel erkannt zu haben sich brüsteten; waren sie doch zuletzt — zu ihrer großen Verdrossenheit — dahinter gekommen, daß sie alles falsch erkannt hattenSie starben und fluchten im Sterben der Wahrheit. Das war die Art dieser verzweifelten Tiere, die das Erkennen erfunden hatten."64

Wenn Nietzsche von wenigen Atemzügen — angesichts der Ewigkeit — spricht, so denkt er in Jahrmillionen, bis unsere Erde erkaltet. Er meint also die geologische Entwicklung wie auch schon Liä Dsi im vierten Jahrhundert vor Christus,65 wie auch Oswald Spengler, der davon sprach, daß zu guter Letzt die Erde und das Sonnensystem verschwinden werden.66

detopia-2010: Man denke auch  Friedrich Engels - Dialektik der Natur 

Aber Nietzsche erkannte auch die andere Gefahr, daß die klugen Tiere an ihrer Erkenntnis sterben könnten, nicht erst durch Erstarrung der Erde. Sie hatten geglaubt, ihren eigenen Fähigkeiten vertrauen und sie in weltverändernde Taten umsetzen zu dürfen. Heute, 120 Jahre später, erkennen einige wenige Menschen, daß dies ein Irrtum gewesen ist, und verfluchen ihn bereits. 

Doch ist es nicht ein grandioses Phänomen, daß eine Art von klugen Tieren imstande ist, mit eigener Hand alles Leben auf unserem Planeten zu vernichten und damit auch sich selbst? Wer kann bestreiten, daß dazu eine solche Genialität gehört, wie sie vielleicht im ganzen Universum kein zweites Mal wiederkehrt? Doch nicht wir Menschen haben sie errungen, sondern die Natur hat sie uns verliehen.

 

Zur Genialität des Menschen gehört auch, daß er sich zu allen Zeiten herrliche Himmelreiche erträumt hat. Über die Jahrtausende verlegten die verschiedenen Religionen alles Erstrebenswerte ins Jenseits. Nach dem Tode werde die geplagte Seele in die ewigen Himmel der Seligkeit aufsteigen. Zu guter Letzt glaubten die technisch siegreichen Euroamerikaner, den Himmel auf dieser Erde einrichten zu können. Ihr neuer Glaube nahm religiöse Züge an, folglich kam es zu Kriegen um den richtigen Weg zum Himmel auf Erden. 

Der kommunistische Weg scheiterte. Damit scheint der kapitalistisch-demokratische Weg den Sieg errungen zu haben; doch das ist eine Täuschung, die tödlich endet. Denn gerade seine weit effektivere Technik und Wirtschaft wird zwangsläufig die Erde noch schneller ruinieren, zumal er überdies der Bevölkerungs­explosion, die er erst ermöglicht hat, völlig hilflos ausgeliefert ist. 

Der "freie" Westen lebt genauso in irdischen Wahnvorstellungen wie der Kommunismus. Der extremste Wahn ist der des Auszugs der Menschen in den Weltraum, also ins Nichts! Die tragische Folge der letzten Wahnideen des Menschen ist, daß er seine Lebensbasis, seinen Planeten Erde ins Nichts befördert.

Dennoch bleibt es die Faszination unseres blauen Planeten, daß eine an sich unbegreifliche Entwicklung einen derartigen Kulminations­punkt erreichen konnte. Dazu gehört auch unsere Erkenntnis, daß uns ein Darüber­hinaus nicht mehr offen steht, weil diesmal alle physischen Möglichkeiten, die unser Planet geboten hat, ausgeschöpft worden sind. Damit ist uns der Rückweg abgeschnitten. Die Rettungsschiffe sind verbrannt; doch die meisten wissen es nicht und werden es nie wissen.

Die Tragödie kann nun mit einem atomaren Donnerschlag enden oder in einem weniger bühnenwirksamen Dahinsiechen der lebenden Wesen, zu denen der Mensch gehört. Letzterer wird noch unwägbare hin und her wogende Kämpfe führen mit unge­wissem Ausgang im einzelnen, aber mit gewissem, was das schließliche Ende der Gattung Mensch betrifft.

Es ist kein Kampf "hie Mensch — hie Natur", der auf diesem Planeten geführt wird, sondern ein mörderischer Krieg innerhalb der Natur, da ja der Mensch ein Teil von ihr ist. Nicht mehr nur ein Teilchen, oh nein; wie könnten wir ein atomar und mit chemischen Giften bewaffnetes Wesen noch als "Teilchen" bezeichnen? — 

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Leonardo da Vinci ist wohl der erste gewesen, der die ganze Furchtbarkeit des technikbewaffneten Menschen erfaßt hat. Und er wußte genau, wovon er sprach, da er selbst nicht wenig zu dessen Bewaffnung beigesteuert hat. Somit gehört er nicht zu den "Propheten", die auf Grund göttlicher Eingebung oder einer "inneren Stimme" Weissagungen in die Welt gesetzt haben.

Auf solche lasse ich mich nicht ein. Es blieb den Theologen überlassen, Phantasmagorien wie <Die Offenbarung des Johannes> in die Bibel aufzunehmen.

Leonardo erblickte im Heraufkommen des modernen Menschen einen Sprengsatz, der die gesamte Natur zu zerstören sich anschickte. Darum nannte er das Menschengeschlecht "etwas Unnützes auf der Welt, das alles Geschaffene nur vernichtet!"67 Er kennzeichnet den Menschen nicht nur als unnütz, sondern als höchst schädlich für die Lebewelt. Darum der Stoßseufzer: "O Erde, warum tust du dich nicht auf? Warum stürzest du sie nicht in die tiefen Spalten deiner riesigen Abgründe und Höhlen und bietest dem Himmel nicht mehr den Anblick eines so grausigen und entsetzlichen Unwesens?" 68

Nietzsche bezeichnete 400 Jahre später den Menschen als "eine kleine überspannte Tierart, die — glücklicher Weise — ihre Zeit hat; das Leben auf der Erde überhaupt ein Augenblick, ein Zwischenfall, eine Ausnahme ohne Folge, etwas, das für den Gesamt-Charakter der Erde belanglos bleibt ...".69 

Zehn Jahre früher hatte er folgende Gedanken: 

"Vielleicht ist das ganze Menschentum nur eine Entwicklungs­phase einer bestimmten Tierart von begrenzter Dauer: so daß der Mensch aus dem Affen geworden ist und wieder zum Affen werden wird, während Niemand da ist, der an diesem verwunderlichen Komödien­ausgang irgend ein Interesse nehme... so könnte auch durch den einstmaligen Verfall der allgemeinen Erdkultur eine viel höher gesteigerte Verhäßlichung und endliche Vertierung des Menschen, bis in's Affenhafte, herbeigeführt werden."70

Nietzsche fügte damals noch hoffnungsvoll hinzu: "Gerade weil wir diese Perspektive ins Auge fassen können, sind wir vielleicht im Stande, einem solchen Ende der Zukunft vorzubeugen." Andererseits folgt ebenfalls in <Menschliches, Allzumenschliches> der kühne Gedanke: "Der Irrtum hat aus Tieren Menschen gemacht; sollte die Wahrheit im Stande sein, aus dem Menschen wieder ein Tier zu machen?" (71)

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Wer könnte darauf kommen, daß ausgerechnet Mao Tse-tung exakt zum gleichen Gedankengang kam? Wortwörtlich: 

"Die kommunistische Gesellschaft wird einen Anfang haben und ein Ende ... Es gibt nichts in der Welt, das nicht entsteht, sich entwickelt, verschwindet. Affen wurden zu Menschen, die Menschheit entstand. Am Ende wird auch das Menschengeschlecht verschwinden, aus ihm wird vielleicht etwas anderes, und dann wird auch die Erde zu bestehen aufhören. Die Erde wird erlöschen, die Sonne wird erkalten".72

Mao berief sich dabei auf den deutschen Universal­gelehrten Ernst Haeckel (1834-1919), der über die Weltentwicklung urteilte, daß ihr weder ein bestimmtes Ziel noch ein besonderer Zweck (im Sinne der menschlichen Vernunft) nachzuweisen sei. Somit ließen sich vielleicht Maos und Nietzsches Ansichten auf die Haeckels zurückführen. Bezeichnenderweise hat Mao kein Testament hinterlassen, da er aufgrund seiner Philosophie wußte, daß sich die Nachfolger ohnehin an nichts dergleichen halten würden. Der immerwährende Wandel trägt die Menschen ganz woanders hin, als sie gern möchten.

detopia-2008: Hier möchte ich dem Meister Gruhl widersprechen. Mao's philosophische Einsicht ist nicht so außergewöhnlich, daß diese dem Kapitel hier Entscheidenes hinzufügt. Möglicherweise wollte er damit seiner Alterangst begegnen und hat deswegen diese — meiner Meinung nach Allgemeinplätze — Sätze einfach nur zitiert. — Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß er selbst vielen anderen Menschen das Leben schwer machte und damit seine wirklichen philosophischen Ansichten vollstreckte.

Die Wahrheit wäre lediglich das, was nötig ist, um als Lebewesen zu überleben.
So gesehen wäre die gesamte technische Kultur ein grandioser Irrtum gewesen.

In dieser Richtung liegt Robert Ardreys Erwägung: "Wenn es eine Hoffnung für den Menschen gibt, dann deshalb, weil wir Tiere sind."(73) Damit unterstellt er, daß der animalische Instinkt mit dem Willen zum Leben wenigstens in einem Rest des Menschengeschlechts noch stark genug sein könnte, um per Anpassung auch die widrigsten Lebens­bedingungen durchzustehen. In den Eiszeiten wird das nicht anders gewesen sein, aber es gab damals keine vom Menschen ersonnenen Gifte.

Die Grundbedingung für ein Überleben des Menschen wäre natürlich, daß große Teile des Pflanzen- und Tierreiches erhalten blieben. Doch diese Chance droht ihnen der Mensch zu rauben. Der atomare Komplex mit all seinen Langzeitwirkungen gefährdet den Bestand alles höheren Lebens auf unserem Planeten, nicht nur des menschlichen. Ein großer Atomkrieg mit der folgenden atomaren Nacht würde das Pflanzen- und Tierreich mitvernichten. Die Filme darüber gibt es schon.

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Vielleicht könnten auch dann noch primitive Insekten und Würmer überleben sowie einige einfache Pflanzen. Auch über das weitere Leben in den Meeren läßt sich schwer etwas voraussagen.

Wäre über die Millionen Jahre eine erneute Evolution möglich? Sie würde dann sicher nicht die gleichen Stufen durchlaufen und auch nicht die gleichen Gattungen hervorbringen, die wir Glücklichen noch kennenlernen durften.

Selbst wenn es nie zu einem Atomkrieg kommt, eine Strahlenverseuchung der Naturkreisläufe wird es dennoch geben. Fünfhundert Kernkraftwerke werden bald in Betrieb sein, und um das Jahr 2030 werden sie als strahlende Ruinen dastehen. Und wie viele werden bis dahin noch dazugekommen sein? 

Einige werden wie das in Tschernobyl oder auf noch schlimmere Weise explodieren, andere durch Erdbeben oder Kriegshandlungen zerstört werden. Die nähere Umgebung wird dabei jeweils total verstrahlt, und im Laufe der Zeit wird die Zahl solch unbewohnbarer Flecken auf den Landkarten zunehmen. Aber auch der Gesamtpegel der Strahlung wird sich zwangsläufig erhöhen. "Die Gefahr einer radioaktiven Verseuchung der Umwelt infolge von Kernreaktor­unfällen nimmt ebenso zu wie die Möglichkeit einer weiteren Verbreitung von Kernwaffen", stellte der Report <Global 2000> fest.74

Zur Zeit produzieren die Kernkraftwerke in der Welt fast 100.000 Tonnen abgebrannter Brennstäbe jährlich. Die angesammelte Menge wird bis zum Jahr 2030 um die drei Millionen Tonnen erreichen. Dazu kommen Millionen Kubikmeter schwach radioaktiver Abfälle. Einige Nebenprodukte der Reaktoren haben Zerfallszeiten, die fünfmal so lang sind wie die Periode der überlieferten Geschichte.75 Inzwischen liegen schon Massen davon in aller Welt herum, offen über der Erde, in Kühlhaltebecken (deren Stromversorgung nicht ausfallen darf) meist neben den Atomkraftwerken, der geringste Teil in Bergwerken. Wer wird sich in den kommenden Notzeiten darum kümmern? Wo nicht einmal in heutigen Wohlstandszeiten eine befriedigende Lagerung gefunden wurde!

 

Die Chemie ist in einem einzigen Jahrhundert zu einer gewaltigen "Wachstumsbranche" emporgeschossen. Sollte sie nur noch weitere hundert Jahre in der jetzt erreichten Intensität produzieren, dann werden Böden, Gewässer und sogar die Luft derart von chemischen Verbindungen durchsetzt sein, daß allein daran ganze Gattungen zugrunde gehen müssen. Hinzu kommen die Metalle, von denen jährlich sechs Millionen Tonnen über die Atmosphäre verbreitet werden.

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Der Mensch wird sich zunächst mittels der medizinischen Gegengifte sozusagen eine Weile über Wasser halten. Aber auch ihm wird nur noch selten gesundes Wasser und unvergiftete Nahrung zur Verfügung stehen. 

Darum ist es nur eine Frage der Zeit, wann die Menschen dahinsiechen werden. Es ist fraglich, ob Reste von ihnen Jahrhunderte durchzuhalten vermögen, bis die Natur die Gifte und Strahlungen wieder verdaut haben könnte. Denn die ultra­violette Strahlung aus dem Weltraum, die Isotope aus der Kernspaltung werden die Gene aller Lebewesen mehr oder weniger stark beschädigen. 

Und welche Folgen die Manipulation des Menschen mit den Genen haben wird, läßt sich nicht voraussagen.

Sollten diese drei Globalkalamitäten einzeln und in ihrem Zusammenwirken nicht übermäßig steigen, dann dürften wesentliche Teile der Flora und Fauna überleben, doch kaum der Mensch und in keinem Fall sein heutiger Lebensstil. So wie es zur Zeit aussieht, kann das pflanzliche und tierische Leben nur noch durch eine baldige Katastrophe des menschlichen Lebens gerettet werden. Doch eine atomare dürfte es eben nicht sein! Die Dezimierung auf einige hundert Millionen wäre aber Voraussetzung des Überlebens der meisten übrigen Gattungen. Deren Restbestand bedingt wiederum die Anzahl der Menschen, die ja von ihnen leben müssen.

Einiges kann über das künftige Aussehen der Länder vorausgesagt werden. 

Ruinenlandschaften werden das Bild beherrschen. Die schon heute sichtbaren Industrie­ruinen sind nur die Vorboten der Zeit, in der die Landschaften weitaus dichter damit bestückt sein werden als heute mit den Resten der mittel­alter­lichen Ritterburgen. Doch während man diese in Quadratmetern quantifizieren kann, wird man bei jenen in Quadrat­kilometern rechnen müssen. Die Frage, was wird dereinst daraus, hat sich unser technisches Zeitalter nie gestellt. Auch das ein Beispiel für des Menschen Unfähigkeit, den Planeten zu verwalten. Unüberlegt und bedenkenlos wurden und werden in wenigen Jahren Ruinen für Jahrtausende gebaut. 

Der abtretende Mensch wird die Erde als Trümmerfeld hinterlassen. Was aus den Millionen von Städten für Milliarden von Menschen werden wird, hat uns schon Bert Brecht gesagt: Von den Städten wird bleiben: der durch sie hindurchging, der Wind."76

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Die gleiche Ahnung hatte auch Friedrich Schiller: 77)  

"Jahrelang mag, jahrhundertelang die Mumie dauern,
Mag das trügende Bild lebendiger Fülle bestehn,
Bis die Natur erwacht, und mit schweren, ehernen Händen
An das hohle Gebäu rühret die Not und die Zeit,
Einer Tigerin gleich, die das eiserne Gitter durchbrochen
Und des numidischen Walds plötzlich und schrecklich gedenkt,
Aufsteht mit des Verbrechens Wut und des Elends die Menschheit
Und in der Asche der Stadt sucht die verlorne Natur."

Von der Natur wird leider nicht viel zu finden sein. Aber im Schutt der Städte werden noch Reichtümer liegen: Äxte, Hämmer, Sägen, Schraubstöcke und andere Handwerkszeuge, dazu Nägel und Drähte. Auch die Feldbestellung wird leichter sein als in der Steinzeit, wo sich die Menschen alle Werkzeuge erst mühsam anfertigen mußten. Vielleicht wird aber die verschwindende Anzahl von Menschen wieder als Jäger und Sammler ihr Auskommen haben. 

Es könnte aber auch sein, daß kein einziger Mensch überlebt. Eine Vorstellung, die selbst für Herbert George Wells bedrückend ist, wenn nicht einmal eine kleine Minderheit "Zeuge des Lebens bis zu seinem unausbleiblichen Ende" bleiben sollte.78

 

Es sind schon etliche aufgetaucht, die das Ende des Menschen begrüßen; "daß keine Hoffnung mehr ist, vermag sie hoffnungsfroh zu stimmen", so den Münsteraner Philosophen Ulrich Horstmann. "Die Menschen­leere ist vorstellbar", schreibt er.79** 

Wieso auch nicht? Sogar das absolute Nichts haben sich Menschen schon vorgestellt, seit sie zu denken anfingen. Philosophen, zum Beispiel Wilhelm Leibniz, haben sich die Frage gestellt, warum ist überhaupt Etwas und nicht vielmehr das Nichts

Bei der frühen Suche nach Erklärungen entstanden die Schöpfungsmythen, in denen erzählt wird, wie aus dem Nichts die Erde, insbesondere das Leben geworden sei. Und so gut wie jeder Mensch hat Angst vor dem Nichts, mit dem er im Bewußtsein des eigenen Todes stets konfrontiert wird.

Wenn Arthur Schopenhauer das buddhistische Credo, "daß wir besser nicht da wären", aufnimmt, dann ist das wohl schon "der letzte matte Stoß des Geistes", von dem H.G. Wells spricht.80

Der Mensch hat in seiner Geschichte stets mit großem Geschick das Geschehen so gedeutet, als sei es "gottgewollt". Insofern ist es durchaus nicht über­raschend, wenn nun auch einige unseren unvermeidlichen Untergang als Sieg feiern möchten. 

Ja manche sehen darin den Plan eines Gottes, der sich von Anfang an das Nichts ersehnte. So der jugendliche Philosoph Philip Batz, der sich Mainländer nannte und im Alter von 33 Jahren 1876 konsequent Selbstmord beging. Aber was müßte das für ein seltsamer Gott sein, der vier Milliarden Jahre lang so um die 1000 Millionen verschiedener Arten ins Leben schickt, um schließlich das Nichts zu erreichen, welches er doch wohl ohne jede Anstrengung hätte haben können. Die Leere ist vielmehr des Teufels Wunsch, wie es Mephisto sagt: "Ich liebte mir dafür das Ewig-Leere."81

Der Wille zum Nichts scheint einer der neuesten trügerischen Höhenflüge des Geistes, eine seiner Mutationen zu sein. "Das Paradies ist die Abwesenheit des Menschen", sinniert der rumänisch-französische Schriftsteller Emile Cioran, wo doch die Natur niemals ein Paradies gewesen ist. Das scheint er wie Horstmann nicht bedacht zu haben, der über "die ewige Seligkeit des Versteinerten und der Steine" ins Schwärmen gerät.82 

Diese Denker, die das Leben desavouieren* wollen, hat schon Nietzsche abgefertigt: "Sonderbare Schwärmer, die im Absterben der Menschheit das Heil und Ziel des Willens sehen!"83

In der Argumentation dieses Buches, gemäß dem <Gesetz der gleitenden Fügungen>, könnten wir darin auch eine vorauseilende Anpassung an das Unvermeid­liche sehen; einen weiteren Beweis dafür, daß der Mensch selbst noch dem Absurden Positives abzugewinnen versteht. Doch hier möchte ich mich lieber H.G. Wells anschließen: Wir wurden von dem Willen zum Leben gezeugt und werden um das Leben kämpfend sterben.

 

Das ändert nichts an unserem gesicherten Wissen darüber, daß wir den Kampf verlieren werden. Die Menschen werden in dem Kampf eben darum unter­liegen, weil sie allzu rücksichtslose Kämpfer sind. Anders formuliert: Sie sind zum Überleben auf einem begrenzten Erdball zu tüchtig!84

Die von den Menschen losgetretenen Lawinen rollen nun hernieder und begraben das Leben unter sich. Aufzuhalten sind sie nicht, wir können uns nur noch über ihre Geschwindigkeit ein wenig streiten.

Auf unserer verkürzten Zeitskala heißt das: Wenn tausend Jahre gleich einer Nachtwache sind, dann ist der lange Mittsommertag der Menschen, während dem die Kulturen der letzten zweieinhalb Jahrtausende blühten, jetzt vorüber. 

Die erst vor einer Stunde in der heraufziehenden Dämmerung entzündeten elektrischen Lichter strahlen noch hell in den Weltraum hinaus. Doch bald nach Einbruch der Dunkelheit naht die Mitternacht — und die Lichter werden verlöschen. Was im Rest der Nacht noch geschehen wird und wie bald, wissen wir nicht. Doch der triumphreiche Tag des Menschen war von ihm selbst — unbewußt — so angelegt, daß es keinen lichten Morgen mehr geben wird.

Die Europäische Kultur, über die hinaus keine Steigerung mehr möglich ist — wie schon über die Griechische nicht, mit Ausnahme unserer grandiosen und tödlichen Supertechnik — ist die letzte dieses Planeten. Wir haben ihren Höhepunkt gerade erst überschritten, so daß wir noch von ihm aus das ganze phantastische Schauspiel überblicken können, das auf unserem einsamen Himmelskörper über Milliarden Jahre gelaufen ist und nun als Tragödie endet.

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Ende

 

*  (d-2010) desavouieren: nicht anerkennen, ableugnen; im Stich lassen; bloßstellen (DDR-Duden)

** (d-2008)  Das "hoffnungsfroh"-Zitat steht auf Seite 29 von Horstmann 1991. (Gruhl schreibt Seite 27) -- Und das Menschenleere-Zitat meint Gruhl wohl folgendes: "Aus d'Holbachs Blickwinkel liegt im Untergang der Menschheit keinerlei »Ungereimtheit«, denn die Menschen­leere enthüllt sich als das Umfassende und Einbettende unseres Daseins. Sie ist nicht nur vorstellbar, sondern sie umgibt uns räumlich als das, was — wie wir in menschlichem Eigendünkel zu sagen pflegen — sonst noch da ist, sowie temporär als das, was vor uns war und aus dem wir aufgetaucht sind, und als das, was nach uns kommt und worin wir wieder verschwinden werden." - Seite 27 bei Horstmann, so wie Gruhl es in der Quellen-Anmerkung schreibt.  Umsonst bei detopia  

Die Herbert-Gruhl-Gesellschaft kümmert sich um den wissenschaftlichen Nachlaß des Autors. Dort kann der Leser sich dort hinwenden, falls er das Buch etwas fragen wollte - Herbert-Gruhl.de . - Ansonsten kann ich keinen Trost anbieten. Seit zehn Jahren predige ich die Utopie für die Rettung, aber es ist eben nur eine Utopie. Utopie auch deshalb, weil noch nie jemand gewillt war, sich länger damit zu beschäftigen. Selbst das war Utopie. Zum Trost kann man versuchen, bei den anderen Endzeit-Autoren fündig zu werden - sie kümmern sich auch liebevoll um die "emotionale Verarbeitung".

 

 

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Himmelfahrt ins Nichts von Herbert Gruhl 1992