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   Antriebskräfte der Wissenschaftler (87)   Das Wesen Freiheit (93-98)

   Probleme der Anpassung  

 

77.

In der industriell-technologischen Gesellschaft leidet nicht jeder unter psychologischen Problemen. Manche bekennen geradezu, daß sie die Gesell­schaft, so wie sie ist, akzeptieren. Wir wollen nun über die verschiedenen Gründe sprechen, weshalb die Antwort vieler Menschen auf die moderne Gesellschaft so unterschiedlich ausfällt.

78.

Erstens gibt es zweifellos Unterschiede in der Stärke des Bedürfnisses nach Macht. Einige Menschen haben ein relativ geringes Bedürfnis nach Selbst­verwirklichung, oder dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung. Es sind fügsame Menschen, die ihr Los auch als schwarze Plantagenarbeiter der alten Südstaaten akzeptiert hätten (damit wollen wir keineswegs die schwarzen Plantagenarbeiter der Südstaaten verächtlich machen. Die meisten dieser Sklaven waren NICHT mit ihrer Knechtschaft zufrieden. Wir verachten diejenigen, die damit zufrieden waren.)

79.

Manche Menschen haben ein außergewöhnliches Bedürfnis, ihre Selbstverwirklichung zu erlangen. Zum Beispiel diejenigen, die einen hohen sozialen Status zu erreichen und ihr ganzes Leben damit verbringen, unermüdlich die Erfolgsleiter zu erklimmen.

80.

Die Empfänglichkeit für Werbung und Marketingreklame ist bei den Menschen unterschiedlich. Manche sind so empfänglich dafür, daß sie ihr ganzes Geld für die Glitzerware ausgeben, die die Werbung der Vermarktungs­strategen vor ihnen ausbreitet. Selbst wenn sie ein hohes Einkommen haben, geraten sie schnell in finanzielle Schwierigkeiten und können sich ihre Ansprüche nicht alle erfüllen.

81.

Andere sind der Werbung und Vermarktungsstrategie weniger ausgeliefert. Es sind diejenigen Menschen, die ein geringes Interesse an Geld haben. Für ihre Selbstverwirklichung benötigen sie keine materiellen Anreize.

82.

Andere Menschen haben eine durchschnittliche Aufnahmefähigkeit für die Einflußnahme der Werbung. Sie verdienen genug Geld, um ihre Bedürfnisse nach materiellen Gütern und Dienstleistungen zu befriedigen, jedoch müssen sie dafür hart arbeiten, Überstunden machen, eine zweite Arbeitsstelle annehmen, befördert werden. Mit Hilfe der materiellen Anschaffungen erfahren sie ihre Selbstverwirklichung. Daraus kann man nicht schließen, daß alle ihre Bedürfnisse damit erfüllt werden. Sie können eine unvollkommene Autonomie in ihrer Selbstverwirklichung / power process erreichen (ihre Arbeit besteht wahrscheinlich in der Befolgung von Anordnungen) und manche ihrer Bedürfnisse bleiben unerfüllt (z.B. Sicherheit, Aggression). (In § 80-82 machen wir uns der Vereinfachung schuldig, indem wir vorgeben, daß materielle Wünsche allein durch Werbung und Vermarktung entstehen. So einfach ist das natürlich nicht.) (vgl. F.N. § 63)

83.

Manche Menschen befriedigen ihr Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, indem sie sich mit einer mächtigen Organisation oder einer Massenbewegung identifizieren. Eine Person, die weder Macht noch eigene Ziele hat, schließt sich einer Bewegung oder einer Organisation an, übernimmt deren Zielsetzungen als ihre eigenen, und setzt sich für diese ein. Werden einige dieser Ziele erreicht, dann empfindet der einzelne allein durch die Identifikation mit der Bewegung oder der Organisation seine Selbst­verwirklichung, auch dann, wenn seine persönlichen Anstrengungen nur eine unwesentliche Rolle beim Erreichen der Ziele gespielt haben. Dieses Phänomen wurde von Faschisten, Nazis und Kommunisten ausgenutzt. Auch unsere Gesellschaft benutzt es, wenn auch weniger brutal.

Beispiel: Manuel Noriega war für die U.S.A. ein Ärgernis. (Ziel: Bestrafung Noriegas). Die U.S.A. marschierte in Panama ein und bestrafte Noriega (Erreichung des Ziels). Die U.S.A. erlebte damit den Power Process und mit ihr stellvertretend viele Amerikaner, die sich mit den U.S.A. identifizieren. Dies erklärt die weitverbreitete öffentliche Zustimmung der Panama-Invasion, sie hat den Amerikanern ein Machtgefühl vermittelt.[15]

Dasselbe kann man in Armeen, Körperschaften, politischen Parteien, Menschenrechtsorganisationen, religiösen und ideologischen Bewegungen beobachten. 

Besonders linke Bewegungen üben auf Menschen eine Anziehung aus, die ihr Bedürfnis nach Macht befriedigen wollen. 

Dennoch bedeutet für die meisten Menschen die Identifikation mit großen Organisationen oder Massenbewegungen nicht die volle Befriedigung ihres Machtbedürfnisses.

 

84.

Ein anderer Weg zur Befriedigung der Selbstverwirklichung können Ersatzhandlungen sein. Wie wir in § 38-40 erklärt haben, ist eine Ersatzhandlung auf ein künstliches Ziel ausgerichtet, das jemand verfolgt, um sich dadurch "Erfüllung" zu verschaffen. Dabei geht es nicht um das Ziel selbst. Zum Beispiel gibt es keinen Grund, seine Muskeln zu trainieren, einen kleinen Ball in ein Loch zu zielen oder einen kompletten Satz Briefmarken zu erwerben. Dennoch widmen sich viele Menschen in unserer Gesellschaft dem Bodybuilding, Golfspielen oder Briefmarken sammeln. Manche Menschen widmen sich anderen Dingen, die angeblich wichtiger scheinen und von der Gesellschaft ernst genommen werden. 

So gibt es Menschen, die sich mit trivialen Dingen wie Sport, Bridge oder Schach beschäftigen, während andere darin nichts weiter als Ersatzhandlungen sehen, sie folgerichtig nicht ernst nehmen und von ihnen auch keine Selbstverwirklichung erwarten. Hinzuzufügen ist noch, daß häufig die dem Lebensunterhalt dienende Berufstätigkeit selbst eine Art Ersatzhandlung ist. Da diese Beschäftigung teilweise wirklich dazu dient, den physisch notwendigen Lebensunterhalt zu erwerben, kann man sie nicht als REINE Ersatzhandlungen ansehen. Andererseits ist sie Mittel zum Zweck einen bestimmten sozialen Status zu erreichen und die Luxusgüter zu erwerben, deren Notwendigkeit ihnen durch die Werbung suggeriert wird.

Viele Menschen unternehmen weit mehr Anstrengungen in ihrem Beruf als zum Erwerb des eigenen Unterhalts und zum Erlangen eines angemessenen sozialen Status nötig wäre. Diese darüber hinaus gehenden Bemühungen stellen ebenfalls Ersatzhandlungen dar. Es sind gerade diese über das Notwendige hinausgehende Bemühungen, die auch von emotionalen Gefühlen begleitet werden und als mächtige Kraft dazu beitragen, daß das System sich auf Kosten der individuellen Freiheit weiter entwickeln und perfektionieren kann. (vgl. § 131). Insbesondere kreative Wissenschaftler und Ingenieure neigen zu dieser Art von Ersatz­handlungen. Dieser Punkt ist so wichtig, daß darüber in einem gesonderten Teil im folgenden Abschnitt (§ 87-92) gesprochen werden soll.

85.

In diesem Abschnitt haben wir dargelegt, wie viele Menschen in der modernen Gesellschaft ihr Bedürfnis nach Selbst­verwirklichung auf diese oder jene Weise zu befriedigen suchen. Dennoch glauben wir, daß die Mehrheit ihr Bedürfnis nach Selbstverwirklichung nicht völlig befriedigen kann. Erstens handelt es sich hier um Menschen, deren Statusbedürfnis unersättlich ist, die Ersatzhandlungen ausüben, die sich mit einer Bewegung oder einer Organisation identifizieren, um auf diese Weise ihr Bedürfnis nach Selbstverwirklichung zu erlangen. Andere sind weder durch Ersatzhandlungen noch durch Identifikation mit einer Organisation befriedigt (vgl. § 41, 64). Zweitens wird vom System zuviel Kontrolle durch äußere Vorschriften oder durch Anpassung ausgeübt, woraus eine Einschränkung der Selbstbestimmung (Autonomy) und Enttäuschung über die Unmöglichkeit, gewisse Ziele erreichen zu können resultiert, was zur Folge hat, daß viele Impulse unterdrückt werden.

86.

Doch selbst wenn die meisten Menschen durch die industrielle-technologische Gesellschaft zufrieden gestellt wären, würden wir (FC) uns dennoch gegen diese Gesellschaftsform auflehnen, weil wir es erniedrigend finden, daß hier das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung durch Ersatzhandlungen oder durch Identifikation mit Organisationen anstelle durch das Streben nach realen Zielen erfüllt wird.

 

Anmerkungen zu Probleme der Anpassung

[15] (§ 83) Wir wollen zur Panama-Invasion weder unsere Zustimmung noch Ablehnung zum Ausdruck bringen und haben das Beispiel nur zur Verdeutlichung eines Aspektes benutzt.

 

   

 

   ANTRIEBSKRÄFTE DER WISSENSCHAFTLER  

 

87.

Die wichtigsten Beispiele für Ersatzhandlungen werden durch Wissenschaft und Technologie gegeben. Es gibt Wissenschaftler, die behaupten, daß ihre Motivation in "Neugier" oder "Nutzen für die Menschheit" besteht. Es ist aber leicht zu durchschauen, daß weder das eine noch das andere als Hauptmotiv für die meisten Wissenschaftler in Frage kommt. 

Was "Neugier" betrifft, so ist diese Vorstellung einfach absurd. Die meisten Wissenschaftler erforschen hochspezialisierten Probleme, die normaler Neugier nicht zugänglich sind. Kann man etwa behaupten, daß ein Astronom, ein Mathematiker oder ein Insektenkundler Neugier für die Eigenschaften von Isopropyltrimethylmethane empfindet? Selbstverständlich nicht. Höchstens ein Chemiker empfindet dafür Neugier, und nur deshalb, weil Chemie seine Ersatzhandlung (Surrogate Activity) darstellt.

Ist aber der Chemiker neugierig auf die geeignete Klassifikation einer neuen Käferart? Nein. Denn diese Frage interessiert nur den Insektenkundler, weil Insektenkunde dessen Ersatzhandlung ist. Wenn der Chemiker und der Insektenkundler sich ernsthaft um den Erwerb für ihre existentiellen Bedürfnisse bemühen müßten und diese Anstrengung ihre Fähigkeiten auf eine völlig andere Art als die der Wissenschaft beanspruchen würde, dann würden sie sich nicht um Isopropyltrimethylmethan oder Klassifikation von Käfern scheren. Angenommen, daß die Ausbildung des Chemikers wegen fehlender Stipendien nicht zustande gekommen und er stattdessen Versicherungsagent geworden wäre - in dem Fall wäre sein Interesse einzig Versicherungsangelegenheiten und Isopropyltrimethylmethane wären ihm völlig gleichgültig. Man kann nicht davon ausgehen , daß der Wissenschaftler aus Neugier diesen Aufwand an Zeit und Mühe in sein Werk investieren würde. Mit Neugier ist das Motiv der Wissenschaftler nicht zu erklären.

88.

Es steht auch nicht besser mit der Erklärung "Nutzen für die Menschheit". Eine Reihe von Wissenschaften haben überhaupt keine erkennbare Beziehung zum "Nutzen der Menschheit", zum Beispiel Archäologie oder vergleichende Sprachwissenschaften. Andere Wissenschaftsgebiete widmen sich offensichtlich gefährlichen Möglichkeiten. Dennoch sind die Wissenschaftler dieser Forschungsgebiete genauso begeistert von ihrer Arbeit wie diejenigen, die Impfstoffe entwickeln oder die Luftverschmutzung untersuchen.

Der Fall des Dr. Edward Teller zeigt , daß er sich intensiv für Kernkraftwerke einsetzte. Kann man behaupten, daß dieser Einsatz aus dem Wunsch herrührte der Menschlichkeit zu dienen? Wenn das so wäre, warum hat sich Dr. Teller nicht für andere "humanitäre" Aufgaben eingesetzt? Wenn er so ein Menschenfreund war, warum hat er sich dann an der Entwicklung der Atombombe beteiligt? Wie bei vielen anderen wissenschaftlichen Errungenschaften ist es äußerst fragwürdig, inwieweit Kernkraftwerke tatsächlich zum Nutzen der Menschheit sind. Wiegt die billige Elektrizität den sich ansammelnden [nuklearen] Abfall und das Risiko von [Atom-] Unfällen auf? Dr. Teller hat nur die eine Seite dieser Frage betrachtet.

Es ist völlig klar, daß sein Eintreten für die Atomkraft nicht dem Wunsch dieses "Nutzens für die Menschheit" entsprang, sondern einer persönlichen Befriedigung durch seine Arbeit und dem Wunsch, diese in die Praxis umzusetzen.

89.

Dies trifft auf alle Wissenschaftler zu. Mit ganz wenigen Ausnahmen sind ihre Motive weder Neugier noch der Wunsch der Menschheit zu nützen, sondern das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung: ein Ziel zu haben ( ein wissenschaftliches Problem zu lösen), eine Anstrengung zu unternehmen (Forschung) und das Ziel zu erreichen (Lösung des Problems.) Wissenschaft ist eine Ersatzhandlung, weil die Arbeit der Wissenschaftler hauptsächlich in der Befriedigung besteht, die sie aus ihrer eigenen Arbeit erlangen.

90.

Natürlich ist das nicht so einfach. Bei vielen Wissenschaftlern spielen noch andere Motive eine Rolle. Geld und Status zum Beispiel. Manche Wissenschaftler gehören zum Typus, der ein unersättliches Verlangen nach gesellschaftlicher Anerkennung hat (vgl. § 79) und ihre Arbeitsmotivation entsteht größtenteils dadurch. Die Mehrheit der Wissenschaftler, wie die Mehrheit der Gesamtbevölkerung, lassen sich von Marketing und Reklame beeinflussen und brauchen Geld, um ihre Konsumwünsche zu befriedigen. Somit ist Wissenschaft zwar keine REINE Ersatzhandlung. Der größte Teil muß aber als Ersatzhandlung angesehen werden.

91.

Wissenschaft und Technologie haben sich zu einer mächtigen Massenbewegung entwickelt und viele Wissenschaftler erfüllen ihr Machtbedürfnis, indem sie sich mit dieser Massenbewegung identifizieren (vgl. § 83).

92.

Der Vormarsch der Wissenschaft geschieht blindlings, ohne daß der Nutzen der Menschheit dabei in Betracht gezogen wird, er ist einzig orientiert an den psychologischen Bedürfnissen der Wissenschaftler, der Regierungsbeamten und ausübenden Körperschaften, die die Forschungsmittel dafür bereitstellen.

 

 

  

 

  Das Wesen der Freiheit   

 

93.

Wir behaupten, daß die industriell-technologische Gesellschaft nicht reformierbar ist, um dadurch die fortschreitende Verringerung des Bereiches menschlicher Freiheit aufzuhalten. Zunächst müssen wir aber den hier in Frage stehenden Begriff "Freiheit" definieren, der vielfältig interpretiert werden kann.

94.

Wir verstehen unter "Freiheit" die Möglichkeit einer Selbstverwirklichung (Power Process) durch echte Ziele anstelle von künstlichen Ersatzhandlungen, frei von Einmischung, Manipulation oder Kontrolle durch irgend jemanden, besonders durch große Organisationen. Freiheit bedeutet (für das Individuum oder Mitglied einer kleinen Gemeinschaft) die Kontrolle über die eigenen existentiellen Dinge zu haben, die Leben und Tod bestimmen; Nahrung, Kleidung, Unterkunft und Verteidigung gegen Gefahren der Umwelt. Freiheit bedeutet Macht zu haben, aber keine Macht, um andere Menschen zu kontrollieren, sondern Macht über die Kontrolle der eigenen Lebensumstände. Man hat keine Freiheit, wenn irgend jemand (insbesondere eine große Organisation) über einen Macht ausübt, ganz gleich ob diese sich wohltätig, duldend oder freizügig verhält. Man sollte Freiheit keinesfalls mit Freizügigkeit verwechseln (s. § 72).

95.

Man behauptet, daß wir in einer freien Gesellschaft leben, weil uns durch das Grundgesetz eine Reihe von Rechten garantiert wird. Diese sind aber nicht so wichtig wie sie scheinen mögen. Der Grad der persönlichen Freiheit, der in einer Gesellschaft vorhanden ist, wird eher durch die wirtschaftliche und technologische Struktur dieser Gesellschaft festgelegt als durch ihre Gesetze und die Art ihrer Regierung.[16] Die meisten Indianer-Nationen in Neuengland waren Monarchien und viele Städte der italienischen Renaissance wurden von Diktatoren beherrscht. Jedoch bekommt man beim Lesen über diese Gesellschaften den Eindruck vermittelt, daß sie mehr Freiheit zuließen als unsere Gesellschaft. Teilweise geht das darauf zurück, daß sie technisch nicht in der Lage waren, den Willen der Herrscher durchzusetzen, sie hatten keinen modern organisierten Polizeiapparat, die Kommunikation war nicht schnell und weitreichend, keine versteckten Kameras, keine Informationsberichte über das Leben der Durchschnittsbürger. Somit war es relativ leicht, einer Kontrolle auszuweichen.

96.

Unsere Verfassung garantiert beispielsweise die Pressefreiheit. Wir denken natürlich nicht daran, dieses Recht aufzuheben, es ist ein sehr wichtiges Mittel, um die Konzentration der politischen Macht einzugrenzen und diejenigen, die politische Macht besitzen, durch Veröffentlichung von Verstößen zu kritisieren. Jedoch kann der Durchschnittsbürger als Person von der Pressefreiheit nur wenig Gebrauch machen. 

Die Massenmedien stehen größtenteils unter Kontrolle großer Organisationen, die selbst Teil des Systems sind. Jeder kann für Geld etwas drucken lassen oder im Internet publizieren, was er zu sagen hat, wird aber kaum eine Wirkung erzielen, denn es wird in der Masse der Medieninformationen untergehen. Deshalb ist es für die meisten Einzelpersonen oder kleinen Gruppen unmöglich, mit verbalen Mitteln etwas zu bewirken.

Nehmen wir uns (FC) selbst zum Beispiel. Wenn wir nicht gewalttätig gehandelt hätten und die vorliegende Schrift einem Verleger vorgelegt hätten, wäre sie nicht angenommen worden. Wenn man sie aber akzeptiert und veröffentlicht hätte, hätte sie kaum Leser interessiert, denn es ist vergnüglicher, die Unterhaltungssendungen der Medien anzusehen als eine nüchterne Abhandlung zu lesen. Aber selbst wenn diese Schrift viele Leser gefunden hätte, würden die meisten das Gelesene bald vergessen haben, weil ihr Gedächtnis durch die Informationsflut der Massenmedien überladen ist. Damit wir überhaupt eine Chance hatten, unsere Botschaft mit nachhaltigem Eindruck zu veröffentlichen, mußten wir Menschen töten.

 

97.

Verfassungsrechte sind in einem gewissen Grad nützlich, aber sie garantieren nicht viel mehr als das, was man als <bürgerliche Auffassung von Freiheit> bezeichnen kann. Gemäß der bürgerlichen Auffassung ist ein "freier" Mensch im wesentlichen Teil einer gesellschaftlichen Maschinerie und hat nur innerhalb eines bestimmten Bereiches vorgeschriebene und begrenzte Freiheiten, Freiheiten nämlich, die vor allem der gesellschaftlichen Maschinerie dienen, mehr als dem einzelnen. So hat der bürgerliche "freie" Mensch wirtschaftliche Freiheit, weil sie dem Fortschritt und Wachstum dient; er hat Pressefreiheit weil öffentliche Kritik das Fehlverhalten politischer Führer begrenzt; er hat das Recht auf einen fairen Prozeß, weil das willkürliche Einsperren durch Machtbefugte schlecht für das System wäre. Dies entspricht der Haltung von Simon Bolivar. Nach ihm verdienten nur die Menschen Freiheit, die dem Fortschritt dienten (Fortschritt nach bürgerlicher Auffassung). Andere bürgerliche Denker hatten eine Auffassung von Freiheit, die ausschließlich dem Kollektiv dient. 

"Chester C. Tan, Chinesisches Politisches Denken im Zwanzigsten Jahrhundert", Seite 202, erklärt die Philosophie des Kuomintang Führers Hu Han-man: "Einem einzelnen werden Rechte zugestanden, weil er ein Mitglied der Gesellschaft ist und sein Leben in der Gemeinschaft diese Rechte notwendig macht. Mit Gemeinschaft meint Hu Han-min die gesamte Volksgemeinschaft." 

Auf Seite 259 führt Tan aus, daß gemäß Carsum Chang (Chang Chun-mai, Führer der Sozialistischen Staatspartei Chinas) Freiheit im Interesse des Staates und des Volkes als Gesamtheit angewendet werden muß. Aber was für eine Freiheit hat man denn, wenn man sie nur in der beschriebene Weise nutzen kann? Die Auffassung von Freiheit, die FC hat, stimmt nicht überein mit der von Bolivar, Hu, Chang oder anderen bürgerlichen Theoretikern. Die Schwierigkeit mit solchen Theoretikern besteht darin, daß sie sich mit der Entwicklung und Bedeutung von sozialen Theorien als Ersatzhandlung befassen. Infolgedessen sind diese Theorien dazu bestimmt ,eher den Bedürfnissen der Theoretiker zu dienen als den Bedürfnissen von Menschen, die vielleicht unglückseligerweise in einer Gesellschaft leben, für die diese Theorien entworfen worden sind.

98.

Noch ein weiterer Punkt gehört in diesen Abschnitt: Man sollte nicht meinen, daß eine Person genug Freiheit hat, nur weil sie das von sich BEHAUPTET. Die Freiheit wird teilweise durch psychologische Kontrolle eingeschränkt, die den Menschen überhaupt nicht bewußt ist, und darüber hinaus werden selbst die Vorstellungen der Menschen darüber, was Freiheit beinhaltet, vor allem durch gesellschaftliche Konventionen gesteuert und nicht durch ihre wirklichen Bedürfnisse. Zum Beispiel würden wahrscheinlich viele überangepaßte Linke behaupten, daß die meisten Menschen einschließlich sie selbst eher zu wenig als zu viel angepaßt wären, dennoch zahlt der Linke einen hohen psychologischen Preis für seinen hohen Grad an Überangepaßtheit. 

 

 

Anmerkungen zum Wesen der Freiheit 

[16] (§ 95) Als die amerikanischen Kolonien noch unter britischer Herrschaft standen, gab es weniger gesetzliche Garantien für die Freiheit als nach der Ausrufung der amerikanischen Verfassung. Dennoch existierte im Vergleich zu der Zeit nach der industriellen Revolution im vorindustriellen Amerika mehr persönliche Freiheit, sowohl vor als nach dem Unabhängigkeitskrieg. Wir zitieren hier aus dem Werk "Gewalt in Amerika: eine historische und vergleichende Untersuchung" herausgegeben von Hugh Davis Graham und Ted Robert Gurr, Kapitel 12, S. 476-478, Roger Lane: "Mit der zunehmenden Durchsetzung der öffentlichen Gesetzgebung kam es innerhalb der gesamten amerikanischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts zu einer Verbesserung der gesellschaftlichen Umgangsformen. Die Veränderung von gesellschaftlichem Verhalten ist ein Prozeß, der sich über lange Zeiträume erstreckt und man kann wohl vermuten, daß ein Zusammenhang mit den grundlegenden Gesellschaftsprozessen der Epoche der industriellen Verstädterung besteht. 1835 hatte Massachusett eine Bevölkerung von etwa 660.940, davon lebten 81 % in vorwiegend vorindustriellen ländlichen Gebieten und hatten beträchtliche persönliche Freiheiten. 

Viehzüchter, Farmer, Handwerker waren daran gewöhnt, ihren Tagesablauf selbst zu bestimmen, durch ihre Tätigkeit waren sie voneinander abhängig. Persönliche Schwierigkeiten, Verstöße, selbst Verbrechen verursachten im allgemeinen kein größeres gesellschaftliches Interesse... Erst mit der Entstehung von Städten und Fabriken, die um 1835 allmählich zum Sammelpunkt wurden, kam es zu sichtbaren Veränderungen des persönlichen Verhaltens während des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Fabrik erforderte Regelmäßigkeit, das Leben war einem bestimmten Zeit- und Kalenderrhythmus unterworfen, die Anweisungen des Vorarbeiters und Aufsehers mußten befolgt werden. 

Das Leben in der Stadt in enger Nachbarschaft erforderte nun viele Dinge, die zuvor nicht in Betracht kamen. Arbeiter und Angestellte in größeren Unternehmen waren jeweils aufeinander angewiesen, da die Arbeit des einen vom anderen abhing und niemand mehr eine nur auf sich bezogene Tätigkeit verrichtete. Die Folgen dieser neuen Form, das Leben zu organisieren, wurden um 1900 sichtbar, als 76% der inzwischen 2.805.346 Einwohner von Massachusetts Städter waren. Viele ungesetzliche oder gewalttätige Verstöße, die man in früheren Gesellschaftsformen tolerieren konnte, waren in der von Zusammenarbeit abhängenden Gesellschaft dieser Zeit nicht mehr tragbar. Die Verstädterung hatte in kurzer Zeit eine Generation hervorgebracht, die stärker sozialisiert, und "zivilisiert" war als ihre Vorfahren.

 

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Kaczynski (1995) Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft