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Teil 2    Der Plünderer 

6. Asien — einst und jetzt

Das Unheil begann früh 

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Nicht erst seit gestern treibt der Mensch Raubbau mit seiner Erde; er tat es schon vor Tausenden von Jahren, schon in den frühesten Zeiten seiner Geschichte. Das kann man lesen in der trostlosen Chronik der von Sand begrabenen Ruinen, der Flüsse, die in Kanälen hoch über der umgebenden Landschaft dahinfließen, der ständig wachsenden Deltas, der zerfallenen Terrassen, die einst fruchtbare Felder und reiche Gärten trugen. Man kann es ablesen an den vom Menschen geschaffenen Wüsten, an den unermeßlichen Gebieten blanken Felsens, von dem der einst fruchtbare Boden weggewaschen und weggeblasen ist.

Gelegentlich findet man in dem einen oder anderen verwüsteten Teil unserer Erde Spuren, die zeigen, was dort einst vor der allgemeinen Zerstörung gewesen ist. Da gibt es die Schutzmauer einer Terrasse, die nicht eingestürzt ist, sondern die noch ihr Stück Humus schützt, auf dem noch heute, aller Verwüstung ringsum zum Trotz, Weinstöcke oder Olivenbäume grünen; dort findet man eine einsame Gruppe von Zedern auf einem geschützten Plätzchen, während bis auf das kleine, sie tragende Fleckchen Land, alles ringsum zerstört ist.

Die Erosion und ihre fatalen Folgen wurden oft auf eine schrittweise Klimaänderung in einem Gebiet zurückgeführt, oder genauer gesagt darauf, daß bestimmte Regionen während langer Perioden unter einer merklichen Verringerung der Regenfälle gelitten haben sollen. Neuere Untersuchungen stützen nun diese alte Theorie nicht, nach der man einen ungünstigen Verlauf der Wetter­bedingungen verantwortlich machen muß. Es gibt keinen wirklichen Beweis für die geologische, das heißt also durch natürliche Ursachen ausgelöste Austrocknung eines Gebietes in historischer Zeit. China, von dem weite Gebiete schwer verwüstet sind, hat niemals in den letzten dreitausend Jahren eine Klimaschwankung erlitten.

Palästina weist heute die gleichen allgemeinen Wetterbedingungen auf wie in biblischen Zeiten. Ein kleiner Bestand von Zedern auf dem Libanon, der durch die Jahrhunderte unberührt blieb, weil man ihn für einen heiligen Hain ansah und weil ein Schutzwall die Ziegen abhielt, spricht für die Ansicht, daß am Verschwinden der unermeßlichen Zedernwaldungen, die noch in historischen Zeiten standen, das Wetter nicht schuld ist. Auch in Nordafrika bezeugt ein Olivenwäldchen, das seit den Zeiten der Römer erhalten blieb, daß nicht dem Wetter allein die Schuld an den toten, vom Sande begrabenen Städte gegeben werden kann. Naturkräfte haben ihr Spiel gespielt, doch der Mensch selbst hat kräftig mitgeholfen.

Wieso wurde der Mensch zum Zerstörer des Landes? Heute, in einer derart übervölkerten Welt, bei derartigem Nahrungsbedarf kann man leicht verstehen, daß übervölkerte Länder wie China und Indien ihren Boden, im verzweifelten Bemühen, ihre dicht­gedrängten Millionen zu ernähren, aussaugen. Unter dem drückenden Zwang unmittelbarer Bedürfnisse ist es für Menschen schwer, an die Zukunft der ungeborenen Generationen oder an die Erde, die sie tragen soll, zu denken. Sie haben weder Zeit noch Kraft, noch auch im allgemeinen das Wissen, um das zu tun; sie müssen zufrieden sein, wenn es ihnen gelingt, koste es, was es wolle, am Leben zu bleiben. Doch so war es nicht von jeher. Einst war, wie oben erwähnt, die Zahl der Menschen sehr beschränkt, und bis tief in historische Zeiten hinein gab es übergenug Land, um sie ausreichend zu versorgen, ohne daß man genötigt gewesen wäre, den Boden auszusaugen.

Und doch litten schon in den ältesten Zeiten der Geschichte die Menschen, wenngleich die Bevölkerung der Erde nur einen winzigen Teil der heutigen Zahl ausmachte, unter dem Gefühl, zusammengedrängt zu sein. Dies Gefühl des Zusammen­gedrängt­seins entsprang der Bevölkerungs­konzentration in solchen Gebieten, die besonders erstrebenswert erscheinen und aus dem Widerwillen dagegen, sich auszubreiten und neue Gebiete zu entwickeln. Nur unter starkem Druck verschiedener Art verlassen Menschen ihr Heimatland. Selbst in der jüngsten Zeit und unbeschadet der modernen Leichtigkeit des Transports und der Nachrichten­übermittlung ist dieser Widerstand deutlich, den Ort zu verlassen, an den der Mensch sich gewöhnt hat.

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Das ganze deutsche Kolonialreich vor dem ersten Weltkrieg soll nur gegen 24.000 deutsche Einwohner gezählt haben, und Italien gelang es niemals, mehr als 10.000 Personen seiner ganzen Bevölkerung in seine afrikanischen Kolonien zu verpflanzen. Die Neigung der Menschen, sich zusammenzudrängen, ist uralt. Sie ist eine der wirksamsten Ursachen für die lange Geschichte der Schädigung des Bodens durch das Menschengeschlecht und wirkt seit den Urzeiten menschlicher Geschichte.

Wie die Menschheit zuerst die Methoden und Gebräuche entwickelte, Nahrung aus dem Boden zu gewinnen, ist weitgehend ein Feld für Vermutungen. Zerealien wurden in Asien wahrscheinlich schon ums Jahr 8000 vor Christus gezüchtet, und in Turkestan und Nordpersien pflanzte man augenscheinlich Körner, bevor Tiere domestiziert waren.

Eine der Theorien über die erste Zähmung von Tieren nimmt an, daß sie nicht von Jägern oder Nomaden vollzogen wurde, sondern von seßhaften Bebauern des Bodens, und zwar mehr oder weniger durch Zufall. Der Bauer, der den Wechsel der Jahreszeiten rings um sich her sah und erlebte, wie ihm das Wetter gute oder schlechte Ernten brachte, begann an Wesen zu glauben, die — mächtiger als er selbst — die Kräfte der Natur beherrschten. So entwickelte er ein religiöses Gefühl, das mit der Welt der Natur verbunden war und verschwisterte die wilden Tiere seines Gebiets mit den Gottheiten, die sein Geschick bestimmten.

Die Übung, die verschiedenen Götter dadurch günstig zu stimmen, daß man ihnen die zukommenden Tiere opferte, entwickelte sich, wie man weiß, in den verschiedensten Gegenden der Erde. Da die Tiere schwer einzufangen sind, bauten die urweltlichen Bauern Gehege von recht großen Ausmaßen und trieben wilde Rinder und Schafe in sie hinein, schlossen sie aber genügend locker zusammen, daß sie sich noch fortpflanzten. So konnten sie für Opferzwecke jederzeit leicht herausgegriffen werden, und langsam gewöhnten sie sich an den Menschen und wurden zahm.

Unterdessen lebte der Brauch, aus der Jagd seinen Unterhalt zu beziehen, weiter und wirkte auf eine Teilung der alten menschlichen Gesellschaft in zwei Gruppen hin: die der Jäger und Nomaden auf der einen Seite und die der Pflanzer des Bodens und die Stadtbewohner auf der anderen.

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Nach der Domestikation der Tiere gingen von der ersten Gruppe viele dazu über, Rinder- oder Schafherden zu halten, zogen von einer Weidestelle zur nächsten und blieben bei ihrer nomadischen Lebensweise. Aus vielen Anzeichen ersehen wir, daß während dieser ganzen Geschichtsperiode dauernd zwischen beiden Gruppen die erbittertsten Fehden herrschten. Diese frühesten Kämpfe haben in anderen Ländern und zu späteren Zeiten ihre Entsprechungen, wie beispielsweise die Herrschaft der Mesta im Spanien des fünfzehnten Jahrhunderts oder die landraffenden Kunstgriffe der Rinder- und Schafzüchter in den Vereinigten Staaten, die wir gerade heute miterleben. Zu allen Zeiten, damals wie heute, war das unausweichliche Endresultat stets das gleiche — schwere, oft dauernde Schädigung der Fruchtbarkeit des Bodens.

Das Gebiet, das zwischen den Strömen Euphrat und Tigris liegt, rief einst die Vorstellung vom Garten Eden wach; es war ein reiches Land, dessen Bewohner in Wohlstand lebten, blühende Städte bauten, Reiche errichteten und die Künste entwickelten. Fortgeschrittene Methoden des Ackerbaus wurden entwickelt; dazu gehörte, daß unter der Regierung Hammurabis um 2000 v. Chr. ein großzügiges, kompliziertes System von Bewässerungsanlagen gebaut wurde, indem man das Wasser der beiden großen Flüsse ableitete, um die Fruchtbarkeit des Landes zu heben.

Doch langsam trat ein Umschwung ein, und die ganze Region verkam allmählich. Ursache dessen war vielleicht, daß man die Wälder außerhalb der Städte abgeholzt, das Land so zu gewissen Jahreszeiten der Erosion durch Regenfälle ausgesetzt und dem Wasser zu schnellen Abfluß verschafft hatte, was immer dahin führt, daß später im Jahre die natürlichen Wasserquellen versiegen. Vielleicht war auch ein Übernutzen des Weidelandes die Ursache, die ähnliche Folgen zeitigt. Zum Schluß scheinen auch feindliche Völker den endgültigen Zusammenbruch verursacht zu haben, indem sie die Deiche brachen und die Kanäle verstopften, die die Lebensströme der ansäßigen Bevölkerung darstellten. So konnten sie plündern, ihr Vieh in Feldern und Gärten weiden lassen, die Bäume als Brennholz schlagen und am Ende die Bevölkerung versklaven oder ausrotten. Heute sind all diese Städte mitsamt ihrer blühenden Kultur unter Sand vergraben.

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Nahe bei anderen alten Städten Westasiens wurde das Land kunstvoll bebaut und der Humus, der Brot und Nahrung der Bevölkerung darstellte, durch Bau von Terrassen geschützt. Die Bauern hatten entdeckt — wie das seither in verschiedensten Weltgegenden wieder entdeckt wurde —, daß sich Hügelland, auf dem die Bäume abgeholzt sind, immer noch dadurch erhalten läßt, daß man es terrassiert, alle tierischen und pflanzlichen Abfallstoffe, deren man habhaft werden kann, auf die Terrassen zurückschafft und den Abfluß des Wassers von Niveau zu Niveau kontrolliert, so daß alle Teile des terrassierten Bodens ihren Teil bekommen. Die berühmten hängenden Gärten Babylons waren vermutlich terrassierte Abhänge.

Doch solche Terrassen in fruchtbarem Zustand zu halten, benötigt harte Arbeit; bricht die Stützmauer einer Terrasse, so kann sich diese Beschädigung eines relativ kleinen Landstücks auf tiefer gelegene Felder auswirken, auch deren Stützmauern einreißen und die Zerstörung in einer ständig breiter werdenden Bahn von Ruinen talwärts tragen. Das wohlgenutzte Land der babylonischen Kultur verlangte viele Arbeitskräfte, um es in Stand zu halten. Wurde von nomadischen Eindringlingen ein Teil der Stadtbevölkerung niedergemacht, so blieben nicht genug Menschen, um das alljährliche Werk der Wiederherstellung und der Pflege des Bodens durchzuführen, durch das allein die Fruchtbarkeit zu erhalten war.

Langsam wurden große Teile der Landschaft, die man die «Wiege der Kultur» genannt hat, zur Wüste. Die restlichen Bewohner der Städte griffen, um ihr Leben zu erhalten, zu verzweifelten Maßnahmen, ja, versuchten, selber zu nomadischen Lebensformen überzugehen, doch dafür waren sie nicht geschaffen, und ihre Zahl schwand, bis sie ganz ausstarben und die leeren Landstriche den Nomaden überließen, die sich und ihre Herden in den Oasen erhalten konnten, die sie hier und dort in der Wüste fanden.

Die nächsten Kapitel der Geschichte spielen in Syrien: einst ein Land voller Reichtum. Als sich die Völker nach Syrien und zum Mittelmeer hin ausbreiteten, trafen sie auf ein herrliches Land mit Wäldern und Flüssen, voll der reichsten Schätze des Bodens. Dort bedeckte fruchtbarer, rotbrauner Humus die Kalkstein-Hügel. 

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Mehr denn hundert Städte entstanden in Nordsyrien; ihre Erbauer benutzten die großen Baumstämme, die sie in den Wäldern gewannen, und die Steine, die sie mit großer Kunstfertigkeit zu bearbeiten lernten. Über die alte Geschichte dieser Städte wissen wir wenig, aber wir wissen, daß sie reich und blühend waren.

Diese Städte zeigen die Erosion von ihrer schlimmsten Seite. Sie liegen nicht unter Sand begraben, sie ragen ungebrochen auf ihren Felsfundamenten, die Türschwellen mehrere Fuß über dem Grundstein, zum Zeichen, daß der fruchtbare Boden selbst aus den Torhöfen fortgewaschen wurde. Noch steht der Kalkfels, doch der rotbraune Humus ist verschwunden und nur noch in vereinzelten Mulden zu sehen, in denen eine Mauer einen kleinen Rest intakt hielt. In solchen Erdtaschen grünen noch Reben und Olivenbäume, einst der Ruhm Nordsyriens und die Quellen seines Reichtums. In der ganzen Gegend stößt man häufig auf Reste von Wein- und Ölpressen, ja, heute noch halten die Zisternen in den Ruinen ihr Wasser, aber niemand lebt mehr dort. Seit langen Zeiten sind die Städte ausgestorben.

Und doch ist es das gleiche Land, das einst soviel Öl und Wein nach Italien ausführte, daß die fortgeworfenen Scherben der Transportkrüge noch bis zum heutigen Tag einen Hügel bilden, den Hügel von Testaccio am Tiberufer. Öl und Wein wurden in große Tongefäße gefüllt und so zu Schiff nach Italien geschafft, wo man die großen Krüge in kleinere Gefäße umfüllte. Offen­sichtlich lohnte es sich nicht, die großen Transportgefäße ins Ursprungsland zurückzuschaffen, und so zerschlug man sie und schichtete die Scherben zu Hügeln auf, deren Größe vom Umfang des Öl- und Weinhandels Zeugnis ablegen.

Aus der Stadt Byblos an der nordsyrischen Küste gelangte viel Holz nach Ägypten, die Zedern des Libanon wurden zu Tal geschafft und am Ufer des Nil Häuser und Tempel aus ihnen erbaut. In den Städten Syriens wurde ein ausgebreitetes System des Terrassenbaus entwickelt, um nach dem Kahlschlag der Wälder, als die Regenfälle bedrohlich wurden. Landverluste zu meiden; und der Ackerbau in diesen Gebieten blieb lange Zeit in Blüte. 

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Die älteste schriftliche Urkunde, in der von landwirtschaftlichem Terrassenbau die Rede ist, findet sich denn in der Tat auch als Inschrift Thutmosis des Zweiten an einer Wand des Tempels von Karnak. Diese Urkunde erzählt, daß im Jahre 1472 v. Chr. auf den Terrassen bei Arvad nahe den Bergen des Libanon Weizen gedieh.

Doch heute sind die Terrassen zerstört und die Städte leer. Hoch über dem Grund, auf dem sie erbaut wurden, laufen alte. Römerstraßen; sie sind nicht mehr wie einst in gleicher Höhe mit den fruchtbaren Flächen, denn dort gibt es keinen frucht­tragenden Acker mehr.

Für das Verschwinden dieser Kultur, die auf dem einst fruchtbaren Gebiet blühte, sind andere Gründe verantwortlich. Es scheint, als hätten damals wohlausgewogene Anbaugewohnheiten dafür gesorgt, daß zwischen dem, was aus dem Boden gezogen, und dem, was ihm zurückgegeben wurde, ein Gleichgewicht aufrecht erhalten blieb. Wohlstand und Kunstfertigkeit gedieh in den Städten vom dritten bis zum siebenten nachchristlichen Jahrhundert. Doch dann wurde 614 durch einen persischen Einfall und 630 durch die Eroberung der Araber ihr Friede gestört und ihnen ihr Lebensfaden abgeschnitten. Auch hier wieder scheint der uralte Kampf seine Rolle gespielt zu haben — der Kampf zwischen dem Nomaden mit seinen Rindern, Schafen und Ziegen und dem auf seiner Scholle seßhaften Bauern. Heute ist das ganze Land eine Wüste, die wohl nie wieder fruchtbar gemacht werden kann.

Man glaubt, in einigen Gebieten Zentralasiens gäbe es kaum Treibsand, hätten sie nicht seit Jahrhunderten nomadische Stämme unregelmäßig durchstreift, die ihre Zelte aufschlagen, wo immer sie Gras und Schößlinge für ihre Tiere finden und die Sträucher und Bäume als Brennmaterial abholzen und so die Abhänge entblößen. Die Sowjet-Regierung macht nun Anstrengungen, diese Stämme in bestimmten Gebieten dauernd anzusiedeln und ihre Weidepraktiken zu überwachen. Man ist sich in gewissem Umfang der Gefahr bewußt, die darin liegt, daß man die Stämme mit ihren Schaf- und Rinderherden nach eigenem Gutdünken herum­wandern läßt, ist doch die Zahl ihrer Tiere so groß, daß jeder Flecken Erde bedroht ist, den sie betreten.

Unabhängig von dem, was in der Vergangenheit geschah, ist das Problem, dem sich heute die Völker Ostasiens gegenübergestellt sehen, vielleicht eins der schwersten, das je in irgendeinem Gebiet unserer Erde einem Volke gestellt wurde.

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In China lebt eine Bevölkerung, von der ein großer Teil für den Bodenbau begabt und im Unterhalt einer Terrassenwirtschaft und anderer ausgezeichneter Methoden der Bodennutzung wohl erfahren ist; doch gegen sie trat aus den eigenen Reihen ein Feind auf — die Übervölkerung. Auf Kosten der Zukunft des Landes genügt man den gegenwärtigen Bedürfnissen der wachsenden Millionen. Der dauernde Feind heißt Hunger. Oft wird der Boden vorzüglich genutzt, doch in vielen Gegenden wird er durch die Ansprüche, die man an ihn stellen muß, verbraucht. Wir können nicht sagen, wie die Landschaft rings um den Gelben Fluß in China einst ausgesehen hat, heute jedenfalls ist sie eine fast kahle Einöde. Der Gelbe Fluß fließt zwischen hohen Dämmen auf höherem Niveau als das umgebende Land dahin, in einem Bett, das er sich aus dem Schlamm baute, den er aus den erodierten Gebieten seiner Quellen herabschleppte, und bedroht große Gebiete Chinas, ja, überflutet und verwüstet sie nur allzuoft. 

Die Zahl der Bewohner ist so groß, daß es die Umwelt kaum beachtet, wenn bei Naturkatastrophen zahlreiche Menschenleben zu beklagen sind. Die Verluste sind rasch ausgeglichen, und tagtäglich wächst der Druck der Übervölkerung, doch während das geschieht, schwindet unweigerlich die physische Kraft der Rasse. Was kann solch ein Volk tun? Das ist heute eine der schwerwiegendsten, unbeantworteten Fragen; sie ist zugleich symptomatisch für das Problem, dem sich bald andere Völker gegenübergestellt sehen werden, wenn die heutigen Bedingungen andauern.

In Indien steht es nicht besser, sondern in vieler Hinsicht noch schlimmer. Der innere Feind ist hier der gleiche — zu viele Menschen, als daß der Boden sie nähren könnte. Das indische Land ist schon lange erschöpft, doch dauernd wächst die Bevölkerung weiter. Zeiten der Hungersnot folgen sich in fast regelmäßigem Wechsel; kaum jemand in Indien hat genug zu essen, und alle Mühe, die man aufwendet, ein reiches, aber zerstörtes Land wieder herzustellen, nützt wenig, solange zu viele Menschen von dem leben sollen, was der Boden hervorbringt.

Ein neuerer Beobachter, der während des zweiten Weltkrieges im Royal Army Medical Corps diente, ringt angesichts dessen, was er 1943 und 1944 in Calcutta sah, damit, kaltes Blut zu bewahren.

Ihm schien es, die Hunde in dieser Stadt hätten ihre beste Zeit; sie konnten sich von Menschenfleisch nähren und taten es auch, bevor die Behörden der Stadt Zeit fanden, die Leichen der vor Hunger auf den Straßen Gestorbenen fortzuschaffen; sie kämpften mit den Angehörigen der Toten um die Leichen. Wer damals mit den Behörden Calcuttas besonders gut stand, konnte es vielleicht erreichen, daß gerade sein Grundstück von Leichen frei blieb. Doch in einer anderen Stadtgegend wurde eines Tages von einer Hilfsstation ein Sack Reis handvollweise an Tausende von Menschen verteilt, nicht so sehr in der Meinung, man könne sie damit vor dem Hungertod retten, als vielmehr in der Erwartung, da sie nun einmal so weit hergekommen seien, stürben sie vielleicht bequemerweise in der Nähe der Hilfsstation und könnten so mit einem Minimum an Mühe fortgeschafft werden.

Der verwüstete Boden Indiens kann solch einen Bevölkerungsdruck unmöglich ertragen, doch das Wachstum hält ungemindert an, schwächt Land und Volk und macht sie im Kampf ums Dasein auf dieser Erde hilflos.

Hier stehen wir vor dem extremsten gegenwärtigen Beispiel dafür, wie der Mensch, mit seiner ständig wachsenden Zahl, sich selbst zugrunde richtet und mit sich die Erde, durch die er sein Leben gewinnen muß.

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