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9. Europa, England und Australien  -  Sitten und Klima halfen, nicht so das Gewinnstreben 

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Im westlichen Europa insgesamt wurde besser für das Land gesorgt als irgendwo sonst auf der Erde, und so haben die Gegenden dort weniger gelitten als in irgendeinem anderen Teil der alten Welt. Hilfreich wirkt hier ein wahrhaft segensreiches Klima, dem die schroffen Temperaturextreme, denen wir in Rußland begegneten, fehlen, in dem genügend viel Regen, zumeist noch in sanfter Art fällt, und das einen ebenmäßigen Wechsel der Jahreszeiten aufweist. Kaum ein anderer Teil der Erde ist in dieser Hinsicht gleich glücklich.

Westeuropa besitzt eine lange Vegetations­periode. Die Landschaft ist im allgemeinen nicht allzu hügelig und von Natur fruchtbar. Jahrhundertelang wurde sie von einer Bevölkerung gepflegt – von einer Bevölkerung, die auf ihrer Scholle lebte und arbeitete, und die den Boden nicht als Objekt der Ausbeute, sondern als ein heiliges, anvertrautes Gut und als Urgrund des Daseins betrachtete. In vielen Teilen Europas lag der Boden zur Hauptsache nicht in den Händen einiger weniger Großgrund­besitzer, sondern war in relativ kleine Parzellen aufgeteilt, die einzelnen Eigentümern zum Unterhalt der eigenen Familie dienten. So wurde das Land behütet und gepflegt.

Schon von alters her waren die Bewohner Europas einsichtsvolle Bearbeiter des Bodens geworden, niemals waren sie Nomaden, sondern viele Generationen lebten auf dem gleichen Stück Land. Sie liebten ihre Scholle und lernten, ihr viel von dem, was sie aus ihr zogen, zurückzuerstatten. Früh wurde es für sie zum zwingenden Leitsatz, im größtmöglichen Ausmaß den Mist zur Düngung zu verwenden, und in Frankreich und Norditalien ist der Bauer, der vor einem Regen seine Wiesen mit Jauche besprengt, oder der auf den öffentlichen Straßen jede Spur tierischer Abfälle sammelt und auf den Komposthaufen, der zum Bild fast jeden Hauses gehört, trägt, ein alltäglicher Anblick. Mit solch einer verständigen Art der Pflege kann der Boden unbeschränkt gesund und fruchtbar erhalten werden, und so ist es in vielen Teilen Europas geschehen.

Doch nicht ganz Europa war derart glücklich. An einigen Stellen, vor allem dort, wo wasserdurchströmte Ebenen sich zwischen niederen Hügelzügen erstrecken, wurde der Boden auch auf unterspülten Abhängen bebaut, die dann während der Haupt­regen­periode langsam der Erosion zum Opfer fielen. Ein Hauptbeispiel für diesen Vorgang in historischen Zeiten finden wir in den Pontinischen Sümpfen Italiens. Ursprünglich war das ein Gebiet fruchtbarer Bauernhöfe.

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Die Sümpfe entstanden, als man in den Tagen, da Rom auf dem Gipfel seiner Macht stand, die Hänge der umliegenden Hügel unter den Pflug nahm, um die wachsende Bevölkerung zu ernähren. Schrittweise mußten die Bewohner der Flußebenen ihr einst fruchtbares Land aufgeben, weil die Flüsse durch die in höhergelegenen Gebieten ausgewaschene Erde verschlammten, und mit der Zeit wurden große Teile der Flußebenen zu Malariasümpfen, welche die Gesundheit aller gefährdeten, die in der Nähe lebten.

Eine der Ursachen für Roms Niedergang darf man wohl in der sinkenden Gesundheit des römischen Volkes suchen, und er wiederum stammt wohl zu einem beträchtlichen Teil von der falschen Benutzung des Bodens her. Die Pontinischen Sümpfe decken ein so großes Gebiet, daß dort sechzehn Städte geblüht hatten, bevor Rom zur Macht gekommen war.

Jahrhunderte seit ihrer Bildung blieben diese Sümpfe ein gefährliches Brutbett der Seuchen. Vom vierten nachchristlichen Jahrhundert bis zum zwanzigsten vereitelten die Sümpfe jedes menschliche Bemühen, sie wieder zu sanieren. In langer Folge kämpften Kaiser und Päpste mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln und Kenntnisse gegen dies gefahrbringende Ödland; doch keiner erzielte einen Erfolg von bleibender Bedeutung. Endlich konnten 1931 dank der modernen Ingenieurkunst und der wissenschaftlichen Erkenntnisse die Sümpfe mit großen Mitteln und nach einer Reihe von Jahren härtester Arbeit entwässert und in fruchtbares, gesundes Land verwandelt werden. Hier sehen wir ein nur allzu deutliches Beispiel dafür, welcher ungeheuren Anstrengungen es bedarf, um wiederherzustellen, was der Mensch ruinierte.

Die Vorgänge in den Pontinischen Sümpfen zeigen noch etwas weiteres: die heimtückische Gefahr, die jeden Teil der Erde bedroht, wo allzu viele auf einem Boden begrenzter Ergiebigkeit zu leben versuchen — und jedwedes Land, mag es so fruchtbar und so gut gepflegt sein, als es will, ist naturgemäß in seiner Produktivität an bestimmte Schranken gebunden. In einem Land wie Italien, in dem der Druck der Bevölkerung etwa 320 Personen pro Quadratkilometer kultivierbaren Bodens beträgt, ist es so gut wie sicher, daß der Boden leiden muß.

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Nicht allein zieht man mehr aus dem Boden, als man ihm zurückzuerstatten vermag, man rodet auch mehr abschüssiges Land oberhalb der Ebenen und schafft so den Kräften heftiger Regenfälle freie Bahn, die in wenigen Jahren, ja vielleicht in einer Regenperiode nicht nur die gutgerodeten Gebiete zu zerstören vermögen, sondern mit dem Schutt auch noch alles fruchtbare Land in den tiefer gelegenen Ebenen verschütten und unbrauchbar machen. Wo Ebenen am Fuße steiler Berge liegen und wo gleichzeitig die Bevölkerung zu groß ist, sind diese Vorgänge fast unvermeidlich. So ging es in vielen Gegenden Europas, in Frankreich so gut wie in Italien, und nur allzu häufig versuchte der Mensch den unvermeidlichen Ereignissen Einhalt zu gebieten, indem er eine Art Kriegführung gegen die Natur begann. 

 

Man baute Abflußkanäle, Dämme und Überlaufrinnen, um aus den regenreichen Bergen das überschüssige Wasser abzuleiten und die tiefer gelegenen Gebiete vor der Erosion und der Gefahr, von Erosionsmaterial verschüttet zu werden, zu schützen. Man tat, was man konnte, und zuweilen mit beachtlichem Erfolg, um die Menschenopfer zu vermeiden, die so oft im Gefolge von Hochwasser und stürmischen Wassereinbrüchen zu beklagen waren. Doch dies System der regulären Schlacht gegen die Natur ist in Wahrheit mehr eine Behandlung der Symptome als eine der Ursachen. Es ist wie der Versuch, einen todkranken Menschen heilen zu wollen, anstatt vor allem dafür zu sorgen, daß er nicht erst krank wird. Behandlung der Symptome läßt immer an eine Art von Gegensatz denken. 

Die Behebung der ersten Ursachen dagegen kann man als eine Art von friedlicher Verbundenheit betrachten; man kommt den Schwierigkeiten zuvor, ehe sie wirklich auftreten, man schafft in Einklang mit der Natur und bekämpft sie nicht, nachdem sie sich zur Wehr setzt. Um jeden Preis muß sich der Mensch, so lange es noch Zeit ist, darüber klar werden, daß er ein Teil der Natur ist, daß die Natur nicht sein Feind ist; denn nur indem er sich den Naturprozessen einpaßt, kann der Mensch, gleich allen anderen Lebewesen, ein friedliches Gleichgewicht erreichen, das auch für die noch ungeborenen Generationen ein Leben auf diesem Planeten möglich macht.

Nicht durchgängig hat es sich aber als eine zwingende Notwendigkeit erwiesen, daß Bevölkerungsdruck zur Vernichtung der Fruchtbarkeit des Bodens führen muß.

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Selbst im heutigen Italien, vornehmlich in den lombardischen Ebenen, gibt es Gebiete, in denen die Gesundheit des Bodens seit Jahrhunderten bewahrt wurde. In Japan, einem Land von der Größe des Staates Montana (d.h. nicht ganz zehnmal so groß als die Schweiz), mit der halben Bevölkerung der ganzen Vereinigten Staaten, haben die Einwohner den recht beschränkten Bruchteil des Landes, der bebaubar ist – es ist nur ein Fünftel der ganzen Fläche –, mit peinlichster Sorgfalt, Geschicklichkeit und Einsicht in fruchtbarem Zustand erhalten. Aber diese Beispiele, neben wenigen anderen, sind nur die Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Aber sie bilden einen ermutigenden Beweis für das, was sich erreichen läßt.

Mohammed war angeblich der Meinung, der Pflug habe Knechtschaft und Schande über die Menschheit gebracht, und wahr­scheinlich hat diese orientalische Vorstellung und das Nomadenleben, zu dem sie führt, recht viel mit der geradezu unvorstell­baren Verwüstung fruchtbaren Bodens in Spanien zu schaffen. Die großen spanischen Maler der Vergangenheit malten starre, phantastisch herrliche, spanische Städte, wie sie auf zackigen Felsen hoch über zerklüfteten, wüsten Abhängen erbaut waren. Wer nur etwas Empfinden für das Wohl des Bodens besitzt, dem erscheinen diese Bilder wie eine grausige Vorahnung. Der Zustand Spaniens ist heute genau der, den diese Bilder als Ahnung zeigen, wenigstens der Zustand des Landes selbst. Die verzweifelten, gedrückten Zustände der Landschaft entstammen mehr der Gier als der Not; ihre Geschichte reicht zurück bis in die Zeiten, in denen Spanien reich und mächtig war.

Vor dem fünfzehnten Jahrhundert erstarkte in Spanien eine kraftvolle, einflußreiche Organisation wandernder Schaf­herden­besitzer, die als Mesta bekannt geworden ist. Über ein spärlich besiedeltes Gebiet – das zu Zeiten von Mauren­einfällen bedroht war, die, vor allem im Süden, es verhinderten, daß sich eine bodenständige Besiedelung ausbildete – trieben sie ihre Tiere im Sommer nordwärts und im Winter gegen Süden. Sie konnten fast über das gesamte Land frei verfügen und folgten auf ihren Wanderungen festen Marschrouten, langen straßenartigen Streifen von Weideland, auf denen sie sich je nach den Jahreszeiten frei bewegen konnten.

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Auf ihren Wanderungen berührten sie zahlreiche Gemeinden, die das Recht besaßen, ihre Allmende oder das Gemeindeland, das zu den Städtchen gehörte, einzuzäunen, und diese eingehegten Gebiete wurden für lange Zeit von den Wandernden unbeschädigt gelassen. Diese hatten allerdings das Vorrecht, unterwegs kleine Stämme und Zweige für ihren Bedarf an Brennholz und Futter zu schlagen, und anscheinend war das der Anfang des Mißbrauchs, den sie an dem unbesetzten Land begingen, durch das sie zogen. Zunächst wurden sie von der ansäßigen Bevölkerung nicht als feindlich betrachtet; denn ihre Schafe halfen beim Durchzug die Felder düngen, nach der Traubenernte verbesserten sie nicht nur den Boden, sondern weideten auch die Reben zurück und ersparten so manchem Weinbauern die Arbeit des Beschneidens.

Als aber Ferdinand und Isabella den Thron bestiegen, erblickten sie in der Wollindustrie eine große Quelle des Reichtums von Krone und Land, und begünstigten sie vor allen anderen Gewerben. Wolle wurde auf den auswärtigen Märkten hoch bezahlt und war kompakt und leicht zu verschiffen; so förderten sie die Mesta, wo sie nur konnten. Es entstanden eine Menge Gesetze und lokale Verfügungen, die die wandernden Hirten auf Kosten der ansäßigen Bevölkerung begünstigten. In einigen Fällen wurde das Gemeindeland den Schafhirten geöffnet, Taxen für seine Benutzung oder Nichtbenutzung wurden erhoben und das aufgebrachte Geld zur Krone oder zu politischen Agenten des Herrschers abgeführt.

Ein Ersitzungsgesetz wurde erlassen, das es den wandernden Schafhirten ermöglichte, dauernde Eigentümer von Land zu werden, das anderen gehörte, die zufällig nicht rechtzeitig auf die Anwesenheit der Okkupanten aufmerksam geworden waren. Überall wurde das Land überweidet, die Wälder niedergebrannt, um weitere Weidefläche zu gewinnen, junge Bäume wurden zu Futter- oder zu Brennzwecken umgeschlagen; so wurde der verzweifelte Kreislauf von Habgier, Raubbau und Erosion in Gang gesetzt.

Eine Zeitlang übte die Mesta eine derartig große politische Macht aus, daß gegen sie wenig oder gar nichts unternommen werden konnte, und das dauerte lange genug, um große Teile Spaniens vollkommen zu verwüsten.

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Die gleiche Art umherziehender Schaf­hirten hatte auch in Süditalien und in Tunis erheblichen Schaden angerichtet, doch die Vorgänge in Spanien waren noch krasser, und dort war die Verwüstung des Landes eine vollständige; seit jenen Zeiten hat es sich nie wieder erholt und heute noch, nach mehreren hundert Jahren lernt man dort, wie eine vom Menschen mißbrauchte Landschaft aussieht. Zum Schluß wurde die Mesta durch eine politische Bewegung überwunden, die unter der nichtwandernden Bevölkerung entstand, die die Absicht hatte, auch ihrerseits am Wollhandel zu verdienen, ohne daß sie sich der Mühe und Gefahr aussetzte, von Ort zu Ort zu wandern. Sie blieben zu Hause, züchteten Schafe und erhoben Gebühren von den wandernden Hirten; ein politischer und wirtschaftlicher Kampf begann, der sich über viele Jahre hinzog. Zum Schluß wurde die Mesta vernichtet, aber nicht, bevor in einem nur allzu wörtlichen Sinn das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur in Spanien vernichtet war.

Noch ein weiterer Faktor wirkte in der gleichen Richtung: Spanien wurde aggressiv und arbeitete Pläne aus, um eine große seefahrende Nation zu werden. Die großen Stämme wurden für den Schiffbau geschlagen, und alle möglichen Hilfsquellen wurden den Ambitionen geopfert, die der Handel hervorrief. Die Ereignisse waren nur denkbar durch die Verbindung von Machtstreben und Habgier mit dem völligen Mangel an Einsicht in die unvermeidlichen Folgen, die solch ein Mißbrauch des Landes haben muß.

Im Licht unserer heutigen Kenntnisse kommt einem der ganze sinnlose Kreislauf der Zerstörung in Spanien wie etwas vor, das kein erwachsener Mensch zulassen würde, der es beobachtete. Die furchtbare und beschämende Tatsache ist aber, daß in anderen Ländern die Bevölkerung heute daran ist, in genau der gleichen Art ihre primären Lebensquellen zu vernichten. Sie – und die Bewohner der Vereinigten Staaten gehören zu ihnen – stehen den Dingen zu nahe, um einzusehen, was vorgeht.

Eine Hauptursache für die Verwüstung von Land waren die Nomadeninvasionen in Europa. Der Historiker Gibbon hat das erkannt, wenn er von den Mongolen schreibt: «Viele hundert Meilen vom Kaspischen Meer bis zum Indus, die im Schmuck menschlicher Arbeit und menschlicher Bauten geprunkt hatten, haben sie zerstört, und fünf Jahrhunderte haben den Schaden nicht heilen können, den vier Jahre anrichteten.»

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1223 flohen die Türken vor den Mongolen und kamen im Westen bis nach Armenien. Zerstörung des Landes war die Folge all solcher Kriegszüge; die eindringenden Horden töteten die ansäßige Bevölkerung, und von da an genoß das Land nicht mehr den Schutz derer, die es vernünftig zu nutzen gewußt hätten. Wälder wurden abgeholzt und niedergebrannt; Hochwässer schädigten das Land, und in den Ebenen Ungarns begann der Treibsand wieder einmal sein Werk, den fruchtbaren Humus, der eins der wertvollsten Erbteile Europas war, wegzuschaffen oder zu überdecken. Schicht- und Rinnenerosion folgte und schädigte große Teile in ganz Zentraleuropa. Es war ein großes Glück für diesen Teil der Erde, daß diejenigen, die auf dem Land wohnen blieben, einsichtsvoll genug waren, es vernünftig zu benutzen und daß es ihnen gelang, große Teile wieder in fruchtbaren Zustand zu bringen.

Genau so wie politische Einflüsse, etwa der der Mesta in Spanien, dem Land großen Schaden zu tun vermögen, können es auch bestimmte soziale Gewohnheiten. Eine Gewohnheit dieser Art, die hier Erwähnung verdient, ist das französische System, nach dem beim Tod des Vaters das Land gewöhnlich unter die Kinder aufgeteilt wird, und nicht auf einen einzelnen Erben übergeht. Das hat dazu geführt, daß das Land in kleinere und kleinere Streifchen aufgeteilt wurde, so daß an manchen Stellen das Erbteil eines Kindes nur ein paar Meter lang und breit ist. Liegen solche Landfetzchen alle auf gleicher Höhe, dann entsteht keine so große Erosionsgefahr. 

Ganz anders ist es, wenn es sich um geneigtes Gelände handelt und wenn die Streifen, wie es oft geschieht, bergauf laufen; das ist für den Boden sehr gefährlich, denn ein schwerer Regenfall vermag große Erosionsschäden hervorzurufen. Landstreifen müssen gemeinhin einen Zugang zu einer Zufahrtsstraße haben, diese Zufahrtsstraßen laufen meist den Talsohlen entlang. So wird das von der Straße bediente Land gerne in bergwärts ziehende Riemen aufgeteilt, und wenn sich die verschiedenen Besitzer nicht zu einigen vermögen und es in anderer Art, den Hügelkonturen folgend, einteilen und eine Reihe von schmalen Terrassen ausbauen, dann hat niemand viel Nutzen von dem Terrain.

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Vor einigen Jahren hat die französische Regierung einen Plan ausgearbeitet, die Straßen so anzulegen, daß eher eine horizontale Aufteilung als eine vertikale begünstigt würde, und sie gewährt auch finanzielle Unterstützung für die Zusammenlegung von Landstreifen durch einzelne oder ganze Gruppen, so daß das Land in ganzen Parzellen und nicht in einzelnen Streifen bebaut werden kann. Wo man Streifen anlegt, die den Konturen des Geländes folgen, ist das übliche System, das Land unter die Kinder aufzuteilen, für den Boden eher eine Hilfe als eine Gefahr, denn es führt zu einem sehr sorgfältigen Terrassenbau, zum Ausbau zusätzlicher Bewässerungsgräben und zur Speicherung von Wasser für spätere Verwendung.

England teilt mit dem westlichen Europa, trotz jahrhundertelanger Benutzung und zur Hauptsache auch aus den gleichen Gründen, ein ungewöhnlich günstiges Gesamtresultat bei der Erhaltung des Bodens in fruchtbarem, produktivem Zustand. Außerdem spielte hier eine soziale Sitte eine hilfreiche Rolle; das Grundeigentum ging nämlich von einer Generation zur nächsten nach dem Recht der Primogenitur über, und das verhinderte die Aufteilung des Landes in kleine Landlose oder Streifen wie in Frankreich.

Steinmauern und dichte Hecken, die die meisten Felder einfassen, haben auch zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit beigetragen, denn auf dichtumfriedeten Feldern vermag die Erosion wenig auszurichten. Trotzdem ist Schichterosion in England nicht unbekannt, während man die Schädigung des Bodens durch die aktiveren Erosionsarten vielfach im Hügelland von Wales antrifft. Angesichts solch einer offensichtlich günstigen Situation ist man besonders überrascht, wenn man den Bericht über die Debatten liest, die 1943 und 1944 stattfanden — gerade während einer der kritischsten Perioden des jüngsten Krieges. Diese Debatten spiegeln eine wachsende Besorgnis; mit den Fruchtbarkeitszuständen des englischen Bodens stehe es, in ihrer Auswirkung auf die englische Volksgesundheit, durchaus nicht zum besten. Eine große Rolle spielte ein heftiger Disput, ob «organische» oder «chemische» Methoden die bessere Lösung für die Wiederherstellung des Landes darstellten. Eine Reihe von Rednern vertrat die Ansicht, im «Lebenszyklus» sei irgend etwas grundfalsch und ein schnelles Eingreifen sei nötig, «um einmal endgültig festzustellen, welche Beziehungen zwischen krankhaften, ungenügenden Bedingungen von Boden, Pflanzen, Tier und Mensch beständen.»

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Hingewiesen wurde auf den dauernd sinkenden Grundwasserspiegel und die ungewöhnlich geringe Wasserführung von Quellen und Brunnen.

Aufmerksamkeit erheischt die Tatsache, daß bisher Australien und Neuseeland einen sehr großen Teil der Nahrungsmittel geliefert hatten, von denen sich die englische Bevölkerung genährt hatte, daß aber neue Regierungsberichte aus beiden Ländern dartun, daß die Verschlechterung des Bodenzustands zu einem ernsthaften Problem geworden ist, und daß England nicht mehr darauf rechnen darf, aus Australien oder Neuseeland noch ähnlich viel Bodenprodukte wie in der Vergangenheit beziehen zu können.

Allgemein wurde eingesehen, daß die Fragen, die in der Debatte auftauchten, ungewöhnlich komplizierter Natur seien und man schätze, daß eine Königliche Kommission zur Ausarbeitung eines Berichts, eben wegen dieser Komplexizität, zehn bis zwanzig Jahre benötigen würde. Die Sprecher der Regierung sahen sich in die Verteidigung gedrängt. Sie sahen die Notwendigkeit für einen besonderen Bericht einer Kommission nicht ein, und die Motion, einen solchen Bericht auszuarbeiten, wurde zurückgezogen.

Inzwischen aber werden die Prozesse der Natur weiter auf ihren festen Bahnen ablaufen.

 

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Der Redner, der sich über die Lage in Australien und Neuseeland beunruhigt zeigte, war völlig im Recht.

Eine Zeitspanne von nur sechs Generationen hat ausgereicht, um in Australien und Neuseeland weite Landstriche krank zu machen. Das ist rasche Arbeit; Schnelligkeit und Umfang ist fast der gleiche wie bei den grausamen Schäden, die dem Boden der Vereinigten Staaten in einem ähnlichen Zeitraum zugefügt wurden. Australien und die Vereinigten Staaten sind etwa von gleicher Größe; doch das ganze innere Gebiet, etwa 40 Prozent des erstgenannten Landes, ist eine natürliche Wüste. Die Vereinigten Staaten sind wesentlich günstiger gestellt, denn nur 14 Prozent ihrer Fläche sind öde und unbewohnbar.

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Viele Ursachen für die Beschädigung des Bodens sind in Australien dieselben, die wir auch in anderen Ländern gefunden haben, so beispielsweise, um damit zu beginnen, die höchst unglückselige Vernichtung der Wälder, deren Ausdehnung stets sehr begrenzt war, und die nur 5 Prozent des ganzen Landes bedeckten. Daher befindet sich Australien heute in der ungünstigen und bedauernswerten Lage, jährlich über 40 Prozent seines Holzbedarfs importieren zu müssen; nur noch beträchtlich unter 2 Prozent des Landes erfreuen sich einer schützenden Walddecke. Die ersten Kolonisatoren, die das Land zu Weidezwecken oder zum Ackerbau rodeten, empfanden Bäume als ein Hindernis, und ihre zerstörerische Methode, den Wald niederzubrennen, führte auf großen Strecken zu fürchterlichen Verwüstungen.

Jüngst berichtete ein australischer Naturforscher, der bei seinen Forschungen sein Land nach allen Richtungen hin durchstreift hatte:

«Wer es nicht mit eigenen Augen gesehen hat, kann sich keine Vorstellung davon machen, welchen furchtbaren Schaden die Quellgebiete durch Buschbrände im Verein mit der daraus folgenden, heftig beschleunigten Erosion der gebirgigen Gegenden genommen haben. Die australischen Eukalyptuswälder brennen, vor allem noch gefördert durch die Trockenheit der Sommerszeit, heftiger, als irgendwelche anderen Wälder auf der ganzen Erde. Waldfeuer in unserem Land verbrennen selbst die Wurzeln bis zu zwei Fuß unter den Boden, so daß die Baumriesen nach allen Richtungen stürzen.»

Er fügte allerdings hinzu, daß seit kurzem die Situation etwas hoffnungsvoller sei, «dank der wirksamen Wieder­herstellungs­maßnahmen, die jetzt zu wirken beginnen». Es steht nur zu hoffen, daß wir nicht wieder den Fall vor uns haben, in dem der Brunnen gedeckt wird, nachdem das Kind hineingefallen ist!

Wohl das wertvollste physische Besitztum Australiens sind seine Flüsse, deren regelmäßiger Lauf ganz von der Erhaltung der Wälder in den Quellgebieten abhängt. Es ist ergreifend, in die Vergangenheit zu blicken und zu sehen, wie schon einige der frühesten Gouverneure es verboten, die Flußufer zu roden und dann zu beobachten, wie solche Verbote bald wieder in Vergessenheit gerieten, derart, daß in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts die Zerstörung der Wälder durch Feuer­rodung oder Rundschälen gigantisches Ausmaß annahmen. Diese Entwaldung hat dazu geführt, daß der Murray, Australiens größter Fluß, seinen geregelten Rhythmus verlor und nun je nach der Jahreszeit wechselnd Hochwasser oder abnorm niederen Wasserstand zeigt.

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Der Entwaldung folgten weitere unvorhersehbare Wechsel zum Schlimmen. So hat man beispielsweise kürzlich bemerkt, daß die tiefliegenden Gebiete an der Nordküste von Neu-Süd-Wales, die ursprünglich kaum unter Frost zu leiden hatten, seit dem Verschwinden der Waldungen auf den umliegenden Hügeln jedes Jahr Frostperioden durchmachen; die wahrscheinliche Erklärung dafür ist, daß nun, bei der Abwesenheit von Bäumen, die kalten Luftmassen vom Hochland ungehindert und ungedämpft an den Abhängen zu Tal ins Flachland hinabfließen können.

Auch Australien hat weiter unter all den Folgen gelitten, die stets auftreten, wenn man Land für den Ackerbau rodet und keine geeigneten Anbaumethoden anwendet. So haben etwa die Weizenländer von Neu-Süd-Wales in weitem Ausmaß schwer unter Erosion gelitten, zum Teil deshalb, weil der Weizen auf hügeligem Gelände mit Steigungen bis zu 3, ja 8 Prozent angebaut wurde. Heute hat man eingesehen, daß viele Gegenden in Neu-Süd-Wales für den Ackerbau zu steil sind und besser zu Weidezwecken benutzt werden. Im gebirgigen Gebiet der küstennahen Milchwirtschaftsdistrikte folgte auf den Anbau von Hafer und anderen Futtergetreiden eine rasche Erosion, und auch im Baumwollgürtel von Queensland ist die Frage der Erosion durch Wasser sehr prekär.

Schwere Winderosionswirkungen sind in dem semi-ariden Gürtel der Staaten von Süd- und Westaustralien aufgetreten, der den Rand der großen Zentralwüste bildet; und zwar zum großen Teil, weil man Land zum Weizenbau benutzte in Gebieten, in denen es nur außerordentlich wenig Regen gibt. Hier kommt noch der ständig aus der großen Wüste herandriftende Sand hinzu.

Noch zwei weitere Ursachen für schwere Schädigungen des Bodens waren in Australien und Neuseeland wirksam. Die eine ist die Schafindustrie, die bekanntlich in ganz unkontrolliertem Ausmaß sich entwickelte. Die zweite erweckt ganz den Eindruck, als sei sie dem Hirn eines Phantasten entsprungen. Es ist die Kaninchenplage, die ein eindruckvolles Beispiel für die Folgen abgibt, die entstehen, wenn man die Beziehungen nicht kennt, die zwischen Tierwelt und Bodengesundheit bestehen.

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Die Kette von Ereignissen, die sich an den blinden Fehltritt einer Handvoll alter Siedler anschloß, die sich nach dem gewohnten Wildbret ihrer Heimat sehnten, grenzt ans Unglaubliche.

Um zunächst auf die Schaffrage einzugehen, so wüßten wir nichts, was die schlimmen Folgen, die sich aus der Übernutzung des Bodens zu Handels- und Gewinnzwecken ergeben, schlagender beweisen könnte, als das Wachstum der Schafindustrie in Australien, die nichts anderes darstellte als den Versuch, mehr aus dem Land herauszuziehen, als es herzugeben fähig ist.

Es lohnt sich, einen kurzen Rückblick auf die Anfänge dieser Industrie zu werfen, die kurzfristig dem australischen Volk so schnelle Gewinne darbot, die aber auf lange Sicht, vielleicht auf dauernd, dem Land so schweren Schaden zugefügt hat. Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts war England zum wichtigsten Weltzentrum für Wollprodukte geworden, und die Spindeln und Webstühle von Yorkshire verlangten nach mehr und mehr Wolle. Damals kauften die englischen Wollfabrikanten den größten Teil der Wolle in Europa, zum Teil in Spanien, zum Teil in Deutschland. Über die Wirkung der wachsenden Schafzucht in Spanien unter der Ägide der Mesta und deren Folgen für das Land haben wir bereits gesprochen. Doch die spanische Wolle ging in der Qualität zurück, und die englischen Einkäufer stellten sich auf die erstklassige Wolle um, die von den sächsischen Merinoschafen stammte.

Die Wollzüchter Nordeuropas hatten nun aber mit den Schwierigkeiten eines strengen Winterklimas zu kämpfen, und diese Situation zeigte Australien seine große Chance, durch die diese armseligste aller britischen Kolonien ihren Verbind­lichkeiten nachkommen, ja, durch seinen Beitrag zu der erstaunlichen Energie der englischen Wirtschafts­expansion eine Stellung als Staatenbund gewinnen konnte. Nach ein paar Jahrzehnten der Zuchtversuche wurde 1882 die Wolle der australischen Schafe in der Qualität der besten sächsischen gleich erachtet. Damals prahlten die australischen Kolonisten, ihr Land «enthalte derart grenzenlose Gebiete, die sich als Weide verwenden ließen, daß für die Zahl bester Wollschafe, die sich dort züchten ließen, keine Begrenzung angebbar sei». Von da an hingen die englischen Fabrikanten mehr und mehr von der australischen Wolle ab, und englisches Kapital gewann großen Einfluß auf die Entwicklung dieser Industrie.

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In Wahrheit war die Wolle der wirtschaftliche Antrieb zur Erschließung des australischen Kontinents; aber leider war sie auch einer der Gründe für die frühe Abholzung der Wälder in der unüberlegten Absicht, mehr Weideland zu erhalten, die die Bodenwirtschaft Australiens heute so teuer zu stehen kommt. Wer niemals derartige Schafherden gesehen hat, deren jede viele Tausende von Köpfen zählt, kann sich unmöglich eine Vorstellung davon machen, welchen Schaden sie dem Land zuzufügen imstande sind.

Schafe und Ziegen sind Tiere, die sich eng aneinander drängen, und die wahllos bereit sind, lebende Pflanzen aller Art mitsamt ihren Wurzeln abzuweiden. Der Teil der Pflanzendecke weiter, der nicht abgefressen wird, wird von Tausenden von Hufen zerstampft und zertreten. Wird ihre Zahl nicht wohl ausgewogen und geregelt, so können diese Tiere eine der schlimmsten Ursachen für die Beschädigung der Bodenfläche, für Erosion, ja für eine endgültige Verwüstung werden. So war es schon in vorchristlichen Zeiten. So hat es sich wieder in vielen Gebieten Australiens und Neuseelands erwiesen.

Es war ein schwarzer Tag für Australien, als ein alter englischer Kolonist ein paar unschuldig ausschauende Kaninchen an Bord nahm und in seine neue Heimat «weit dort unten» absegelte. Dieser eine Mann, wie immer er auch geheißen haben mag, verursachte zusammen mit ein paar anderen, die das Gleiche taten, unwissentlich dem australischen Volk Verluste, die sich in die Hunderte von Millionen Dollar belaufen und fügte dem Bodenreichtum Australiens Schäden, teilweise sogar endgültiger Art, zu, die sich überhaupt nicht abschätzen lassen. All diese Männer waren blind für die Tatsache, daß die paar Raubtiere, die es in Australien gab, wie die Dingos und die Falkenarten, nicht imstande sein würden, als automatische Naturkontrolle zu funktionieren, um die Kaninchenpopulation im Gleichgewicht zu halten.

Im Vorbeigehen wollen wir bemerken, daß sich die spätere Einfuhr wilder Füchse als Kontrollmaßnahme als ein vollkommener Fehlschlag erwies. Nichts Geringeres als eine durchaus vorgeschrittene Kenntnis der schwierigen gegenseitigen Verkettungen in der Tier-Ökologie hätte dieser Lawine von Schwierigkeiten zuvorkommen können, die selbst heute noch weiterläuft.

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Der älteste Bericht über die Existenz von Kaninchen im wilden Zustand in irgendeinem australischen Staat stammt aus dem Jahre 1827, doch die eigentliche Bedrohung datiert aus dem Jahre 1859, in dem der Schoner Lightning in der Hobson Bay anlegte mit vierundzwanzig Kaninchen an Bord, die für Thomas Austin in Barwon Park nahe bei Geelong bestimmt waren. Diese Tiere wurden ausgesetzt, und nach drei Jahren begann man von den Kaninchen als von einer Pest zu sprechen. Sechs Jahre später hat Austin auf seinem eigenen Grundstück und denen seiner Nachbarn einige 20.000 Kaninchen abgeschossen, mußte aber beschämt zugeben, daß er schätzungsweise mindestens 10.000 hatte leben lassen müssen. Es berührt heute wie eine bittere Ironie, daß sich gerade aus der Zeit, in der diese Kaninchen in Victoria eingeführt wurden, eine Aufzeichnung erhalten hat, daß ein Mann vor das Polizeigericht von Colac geladen und zu einer Buße von zehn Pfund verurteilt wurde, weil er ein Kaninchen gewildert hatte, das John Robertson aus Glen Alvie gehörte, zweifellos streng nach dem altenglischen Jagdgesetz, nach dem Wild dem Grund­eigentümer gehört.

Ein paar Jahre später kostete den gleichen Robertson ein Versuch, die Kaninchen auszurotten, 5000 Pfund. In den nächsten dreißig Jahren vermehrten sich die Tiere in einem Maß und breiteten sich derart aus, daß sie praktisch im ganzen Erdteil zu einer Pest der schlimmsten Art geworden waren. In den sieben Jahren 1883 bis 1890 sah sich die Regierung von Neu-Süd-Wales genötigt, für den Versuch, diese Landplage einzuschränken, nicht weniger als 1.543.000 Pfund auszugeben, und heute ist in Australien wie in Neuseeland die Kaninchen-Vernichtung für jede Gemeinde eine schwere finanzielle Belastung. Man hat die verschiedensten Versuche unternommen, diese Pest aus der Welt zu schaffen. In Westaustralien wurden mit einem Kostenaufwand von mindestens 500.000 Pfund mehr als 3000 Kilometer Hecken gebaut, aber nachdem man endlich mit den Hecken fertig war, stellte sich heraus, daß ein paar Kaninchen schon auf der anderen Seite waren!

Die zwangsweise Anwendung von Gift gegen die Kaninchenplage führte unglücklicherweise zu einer riesigen Zerstörung im Wildleben und unter den Haustieren, und die Auslegung von Phosphor, die man zur Einschränkung der Kaninchenplage gemeint hatte, wurde zu einer Hauptursache für das große Sterben unter den Beuteltieren und einheimischen Vögeln.

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Daß das Gefühl für die Bedeutung und die Bedrohung durch die Kaninchenplage zu geradezu psychopatischen Wirkungen führen kann, wird durch die Aussage eines Zeugen vor einer parlamentarischen Kommission beleuchtet, der in einer jener trockenen Gegenden Südaustraliens lebte, in denen die Kaninchen ein wahrer Fluch sind. Dieser Zeuge behauptete allen Ernstes, in seinem Landesteil hätten die Kaninchen einen langen Hals und einen kleinen Buckel entwickelt, und das sei bezeichnend für ihre Fähigkeit, lange Zeit ohne Wasser zu leben. Diese Tiere können, wenn sie dazu gezwungen sind, von Rinden leben, und so sind sie durch ringförmiges Wegfressen der Rinde zu einer weit­verbreiteten Todesursache für den Strauchwuchs geworden und haben zu allem auch noch Millionen von Setzlingen aufgefressen.

Ein anderer Beobachter betont, daß die Kaninchen durch ihre Gewohnheit, sehr mit Auswahl zu fressen, das beste Gras zu nehmen und das schlechtere stehen zu lassen, den Weiden Saft und Kraft entziehen, und daß sie so im Endeffekt die Ursache für die Entstehung neuer Wüstenstriche geworden seien. Ein Mitarbeiter der australischen Enzyklopädie schätzt, «daß mit der Ausrottung des Kaninchens die Kapazität Australiens, Vieh zu ernähren, um 25 Prozent steigen würde». Das mag etwas übertrieben sein, vor allem heute, wo man auf dem besseren Weideland die Kaninchen einigermaßen unter Kontrolle zu halten gelernt hat.

Ganz wenige Dinge kann man allerdings auf der Habenseite des Kaninchenkontos buchen; wie etwa den Nutzen, den das Tier als Pelz- und Fleischlieferant bietet. Dieser Nutzen zeigt sich etwa darin, daß in dem 1924 zu Ende gehenden Jahrzehnt 157.000.000 gefrorene Kaninchen und im gleichen Zeitraum mehr als 700.000.000 Bälge exportiert wurden. Doch der Schaden, der Australien und Neuseeland durch einige alte Kolonisatoren ohne deren Willen und Wissen zugefügt wurde, wird wohl auch weiterhin irreparabel bleiben.

Die Aussichten für die Annahme eines wirklich umfassenden, wirksamen Programms des Bodenschutzes sind in Australien noch nicht günstig. Als Folge der alten Eifersucht zwischen der Regierung des australischen Commonwealth und denen der Einzel-Staaten entstehen unvermeidliche Reibungen.

Der Konflikt zwischen dem Landwirtschaftsdepartement, das jahrzehntelang auf eine Besiedelung der Waldgebiete drängt, und dem staatlichen Forstdepartement, das sich diesem Prozeß widersetzte, ist wohl gemildert, aber noch nicht ganz beigelegt. Die Forstwirtschaft gehört nicht zu den Funktionen, die von den Einzelstaaten der Kontrolle des Commanwealth unterstellt wurden, und die Annahme eines vernünftigen, langfristigen Programms für Produktion und Nutzung in den noch bestehenden Waldreserven hängt zu sehr von dem Maß freiwilliger Zusammenarbeit ab, das bei den staatlichen Autoritäten zu erreichen ist. Noch gehen die Meinungen darüber weit auseinander, eine wie große Bevölkerung das Land zu beherbergen vermöchte. Eine Schule glaubt, der Kontinent könne auf diese oder jene Weise endgültig 100.000.000 Personen erhalten, oder fünfzehnmal die gegenwärtige Zahl. Eine andere wissenschaftliche Schule behauptet, das Doppelte der heutigen Ziffer von 7.500.000 Personen stelle das Optimum der Bevölkerungs­dichte dar.

Eine große Schwierigkeit, die Bevölkerungs­möglichkeiten Australiens richtig zu beurteilen, erwächst aus der Tatsache, daß man in der öffentlichen Meinung nicht aufhört, zu glauben, ein großes Areal bedeute auch eine entsprechend große Lebensmöglichkeit. 

Doch läßt man die großen natürlichen Wüstengebiete aus der Rechnung und analysiert man Klima, Topologie und Boden der bewohnbaren Regionen, so scheint es, als könnten wegen zu geringer Regenmengen oder aus anderen negativen Gründen vier Fünftel des Landes nicht mehr dichter besiedelt werden.

Eine umfassende Untersuchung über die Boden­möglichkeiten Australiens wurde noch nicht durchgeführt. In dieser Hinsicht sind die Vereinigten Staaten, dank der weitgreifenden Arbeiten, die von den Regierungs­departements in den letzten zwanzig Jahren geleistet wurden, in einer weit günstigeren Lage. Was die Erhaltung der Lebensaktiva angeht, bewegt sich Australien — alles in allem gesehn — noch fast wie ein Blinder.

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Fairfield Osborn  1948  Unsere ausgeplünderte Erde  Our Plundered Planet