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Vorwort

 

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Vor etwa fünf Jahren recherchierte ich für eine Fernsehdokumentation, in der ich Menschen vorstellen wollte, die in ungewöhnliche Paarkonstellationen verstrickt sind — liebend oder auch aggressiv. Da ich noch ein Paar zum Muster »Jäger und Gejagter« oder »Täter und Opfer« suchte, sprach ich mit einem Mitarbeiter des Verfassungsschutzes. Mich interessierte vor allem die seltsame Affinität, die sich in solchen Zwangsbeziehungen häufig zwischen den Partnern entwickelt. Der Beamte erzählte mir von einigen Romeo-Fällen, mit denen er vor Jahren beruflich befaßt gewesen war. 

Ich hatte zwar schon davon gehört, daß die Stasi ausgesuchte DDR-Agenten gezielt auf westdeutsche Frauen angesetzt hatte, um sie unter Vortäuschung von Liebe und erotischer Hingabe zur Spionage zu verführen. Doch ich wußte nicht, daß diese Methode in einer so großen Anzahl von Fällen — drei Dutzend Romeo-Opfer wurden bislang enttarnt — erfolgreich war. 

Natürlich erwies sich dieses Thema als viel zu komplex für eine der relativ kurzen Episoden in meinem Film. Der Gedanke an die Schicksale der Frauen ließ mich jedoch nicht mehr los, und ich begann, über all die Jahre hinweg gesondert an diesem Thema zu recherchieren.

Es war nicht leicht, Material über solche Fälle zusammenzutragen. Die Suche in Zeitungsarchiven ergab nur Bruchstückhaftes, und die für diese Delikte zuständigen Behörden, wie das Bundesamt für Verfassungs­schutz und das Bundeskriminalamt, hielten sich äußerst bedeckt, was konkrete Informationen über die beteiligten Personen betraf. Das hing unter anderem damit zusammen, daß man die betroffenen Frauen, die meist versteckt leben und auch nicht durch Telefonregister oder Adressbücher zu finden sind, vor dem Zugriff sensationshungriger Presseleute schützen will. 

Wie ich allmählich begriff, haben die Frauen eine panische Angst davor, aufgespürt und erneut ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt zu werden. Viele von ihnen sind trotz der Jahre, die seit ihrer Enttarnung vergangen sind, immer noch tief traumatisiert von jenen Ereignissen.

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Mit der Zeit konnte ich dennoch eine große Zahl von Fallgeschichten zusammentragen. Am schwierigsten war es, Kontakt mit den Frauen aufzunehmen. Wenn ich den Namen ihres Anwalts in Erfahrung bringen konnte, bemühte ich mich, über ihn weiterzukommen. Doch fast jeder meiner Versuche wurde negativ beschieden. Manchmal fand ich dennoch die Telefonnummer einer der Frauen heraus. Mit klopfendem Herzen saß ich dann am Telefon, denn mir war bewußt, daß ich bei der Frau am anderen Ende der Leitung einen tiefen Schrecken auslösen würde, wenn ich sagte, wer ich sei, daß ich um ihre Geschichte wisse und sie gern kennenlernen würde. Dieses panische Erschrecken meiner Gesprächspartnerin erlebte ich dann tatsächlich fast jedes Mal. Auch meine Zusicherung, nichts ohne ihr Einverständnis zu tun, konnte kaum eines der Romeo-Opfer beruhigen.

Nach und nach gelang es mir dennoch, das Vertrauen einiger Frauen zu gewinnen. Ich lernte sie kennen, und sie waren bereit, in einem Fernsehfilm offen über ihr Schicksal zu sprechen. Dieser Film wurde — ebenfalls unter dem Titel »Unternehmen Romeo« — im Juli 1998 von der ARD gesendet.  

Doch ich konnte darin nur einen Bruchteil dessen erzählen, was ich inzwischen über diese Fälle und ihre Hintergründe wußte. Das Thema war viel zu gewichtig, die Biographien der Frauen viel zu facettenreich und die Strategie in ihren Details zu unglaublich, um in den 45 Minuten, die ich zur Verfügung hatte, abgehandelt zu werden. 

So kam mir die Idee zu diesem Band. Weder der Film noch das Buch hätten ohne das große Vertrauen entstehen können, das einige betroffene Frauen mir schenkten. Ihr Vertrauen hat mich immer wieder sehr berührt, und ich möchte ihnen von Herzen dafür danken. Diesen Frauen sei das Buch auch gewidmet.

Es war überhaupt ein sehr persönlicher Prozeß, den ich durchlaufen habe in der Begegnung mit ihnen, bei der Beschäftigung mit den ungeheuerlichen Erlebnissen, die sie mir schilderten oder über die ich las. 

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Frauengeschichten einer Generation, zu der auch ich, mehr oder weniger, gehöre und durch die mir noch einmal die Nachkriegsjahrzehnte vergegenwärtigt wurden: eine Zeit der Bedrängnisse und der Verbote, vor allem für Mädchen und Frauen, die zu tiefen Verunsicherungen und emotionalen Defiziten führten. Die den Opfern der Romeos schließlich zum Verhängnis wurden. Dennoch habe ich manchmal, wenn ich mich in die einzelnen Geschichten versenkte, den Kopf geschüttelt, nicht nur über den Zynismus der Romeos und des hinter ihnen stehenden, kenntnisreichen Apparats, sondern auch angesichts der unglaublichen Fahrlässigkeit der Frauen sich selbst gegenüber, die allzu naiv auch noch auf die vordergründigsten Lügengeschichten dieser Männer hereinfielen. 

Doch je mehr ich mich in die Atmosphäre jener Jahrzehnte und vor allem in die Einzelbiographien der Frauen vertiefte, um so mehr begriff ich die Unausweichlichkeit, mit der sich ihr Schicksal zutrug. Sie waren zu Figuren im Spiel der Logistiker und Psychoexperten der Stasi geworden. In deren feingesponnenem Netz aus Berechnung und Manipulation verfingen sich jene Frauen, so wie sie sozialisiert waren, geradezu zwangsläufig. Diesen Prozeß möchte vor allem im ersten Kapitel am Beispiel der Lebensgeschichten von drei betroffenen Frauen nachvollziehbar machen.

Am schwersten war es, die Methoden des ehemaligen DDR-Spionageapparats zu rekonstruieren. Treue Gefolgsleute des Systems hatten ja in den Monaten nach der Wende alles getan, um den Aktenbestand der »Hauptverwaltung Aufklärung« (HVA), des drei Jahrzehnte von Markus Wolf geleiteten Auslandsnachrichten­dienstes des Ministeriums für Staatssicherheit, möglichst komplett zu vernichten. Zwar ist inzwischen hinreichend bekannt, daß ihnen dabei etliche Pannen unterliefen, doch in bezug auf die Romeo-Methode haben die Genossen ziemlich sorgfältig gearbeitet. Die Gauck-Behörde fand auf meine Anfrage kein einziges Dossier über die mir bekannten Romeos und ihre Einsätze.

Markus Wolf verweigerte ein Interview zu diesem Thema. Auch die früheren Romeos, ihre Führungsoffiziere, beratenden Psychologen oder Instrukteure, die ich aufspüren konnte, soweit mir Klarnamen bekannt waren, gaben mir keine Auskunft.

Einer von ihnen, der frühere Instrukteur Ernst K., nannte mir folgenden Grund für seine Weigerung: »Moralisch gesehen betrachte ich mich immer noch als Geheimnisträger.«  

Nur ein einziger ehemaliger Romeo war bereit, offen über seinen Einsatz zu sprechen. Seine Geschichte findet sich im zweiten Kapitel des Buchs.

Der Ursprung des Begriffs »Romeo« läßt sich übrigens nicht mehr feststellen. Er ist überall gebräuchlich, sowohl bei ehemaligen HVA-Kadern als auch in den Medien.

Zehn Jahre nach der Wende ist die Zeit der spektakulären Enthüllungen über die ehemalige DDR vorbei. Vielleicht ermöglicht dies eine ruhigere und klarere Sicht — auf jenen Staat und seine Machtinstrumente und auf die Menschen, die diese Instrumente bedienten, wie die Romeos zum Beispiel. Auch deren persönliche und soziale Beweggründe haben mich interessiert.

Obwohl dieses Buch vordergründig die DDR und die Arbeit ihres Geheimdienstes betrifft, soll darin ein zorniger Blick zurück auf den Westen riskiert werden: auf eine Gesellschaft, die Mädchen und Frauen minderbewertete und infantilisierte. Erst die patriarchalischen Verhältnisse der westdeutschen Nachkriegs­gesellschaft boten den Stasi-Strategen und ihrer perfiden Romeo-Methode geradezu ideale Voraussetzungen.

Vielleicht werden einige der hier geschilderten Schicksale für jüngere Frauen schwer nachvollziehbar sein. Das wäre ein gutes, hoffnungsvolles Zeichen.

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 Elisabeth Pfister  Unternehmen Romeo Die Liebeskommandos der Stasi