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Vorwort

von Hans Joachim Rieseberg (1987)

 

7-10

Das 'Thema Umwelt' ist kein ausschließlich naturwissenschaftliches Thema, da es das Problem des Verhält­nisses zwischen Mensch und Natur mit einschließt. Mit den Mitteln der Wissenschaft ist dieses Problem in seiner Komplexität nicht zu fassen: Fragen der Lebensqualität, Werturteile, ethische Probleme, Fragen, die Leben und Tod, Schönheit, Empfindungen etc. betreffen, sind nicht systematisierbar im streng wissen­schaft­lichen Sinne.

Ausgangspunkte meiner Überlegungen waren Untersuchungen und Recherchen zu verschiedenen Umwelt­prob­lemen, insbesondere im Bereich der Stadtplanung, und Studien zur Entwicklung der modernen Zivilisation. 

Ein weiterer Anlaß zur Entstehung dieses Buches war ein von mir ausgearbeitetes Konzept für eine Wissen­schaftsausstellung zur 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin.  wikipedia  750_Jahre_Berlin

Das für einen Teilbereich der Ausstellung vorgesehene Konzept wurde jedoch als zu "kritisch" abgelehnt. Es stellte die Funktion der Wissenschaft für den Fortbestand des Lebens auf der Erde grundsätzlich in Frage. Und dieser Gedanke ist den Politikern unserer Generation schlicht unerträglich. Er paßt nicht in das Bild unserer heilen Gesellschaft, die scheinbar auf dem besten Weg ist, den Menschen das beste Leben zu garantieren, das sie je geführt haben, die grundsätzlich glaubt, alles in den Griff zu bekommen, was uns jetzt oder künftig bedrängt.

Das Ausstellungskonzept wurde abgelehnt — die Wissenschaftsausstellung wurde eine brave Dokumentation, die von großen Männern berichtete, die in Berlin große Taten vollbracht haben.

Während der Vorbereitung und Durchführung der Ausstellung ereignete sich der Unfall von Tschernobyl, der Rhein wurde für voraussichtlich mehrere Jahre vergiftet, das Ozonloch weitete sich immer mehr aus, der Wasserspiegel der Weltmeere stieg, am Nordpol brach ein riesiger Eisberg ab, die Nordsee verwandelte sich in eine stinkende Kloake, und — bedingt durch den Massen­tourismus — gleichen die Alpen mehr und mehr einem mediterranen Karstgebirge. In Südamerika und in Afrika werden die Regenwälder weiter abgeholzt, und in der Sahelzone verhungern Millionen von Menschen.

Die Wissen­schaftler gehen all diesen Problemen und Katastrophen nach: Sie erstellen Studien, sie versuchen, die Ursachen zu ergründen, sie schaffen Politikern, Industriellen und den Verbrauchern Alibis, damit man den Ausverkauf dieser Welt und ihrer Ressourcen guten Gewissens vorantreiben kann.

Ein guter Freund fand schließlich das Manuskript für die Ausstellung auf meinem Schreibtisch und ermunterte mich, eine Zeitungsserie* daraus zu machen. Ahnend, was auf mich zukommen würde, war ich von dieser Idee zunächst nicht sonderlich begeistert. Ich wußte, daß ich mit den üblichen Anfeindungen zu rechnen hatte, die einem "Untergangspropheten" nun mal entgegen­schlagen — inklusive der Forderung nach Patentrezepten, mit deren Hilfe möglichst sämtliche Probleme dieser Welt auf einmal gelöst werden könnten.

*detopia-2008:  In: Der Tagesspiegel: 30.11.1986 bis 1.2.87, 10 Folgen, siehe im Literaturverzeichnis.

Während des Erscheinens der Zeitungsserie wurden meine Ahnungen wahr. Man hackte auf einigen Fehlern herum, die sich in meinen Texten fanden, wodurch allerdings meine grundsätzlichen Aussagen nicht in Frage gestellt wurden. Doch aufgrund der Fehler konnte man den Autor wieder einmal so herrlich diffamieren.

Dabei betrügen sich die Kritikaster letztlich selbst, denn die Folgen der Probleme, die ich aufzeige, werden alle zu spüren bekommen, auch diejenigen, die mir da und dort einen Fehler nachweisen und glauben, dadurch das Gesamtproblem verdrängen zu können.

Nach Erscheinen der Zeitungsserie verebbten die Angriffe gegen mich, und das Bewußtsein gegenüber Umwelt­problemen schien sichtlich gewachsen zu sein. Inzwischen fragen mich immer mehr Menschen nach der Zukunft unserer Zivilisation, nach unseren Überlebens­chancen.

Zwischen dem Abschluß der Serie und dem Erscheinen dieses Buches habe ich kontinuierlich — die verschied­ensten Aspekte berücksichtigend — an diesem Thema weitergearbeitet, mit dem Ergebnis, daß meine Bedenken in bezug auf das Überleben der Menschheit nicht kleiner, sondern größer geworden sind. 

Meine Zweifel daran, ob die Systeme in Ost und West reformfähig und verbesserungswürdig sind, sind gewachsen. Meine Hoffnung, daß wir noch eine Chance haben, wird immer kleiner. 

Dennoch bin ich der Meinung, daß wir noch nicht kapitulieren müssen, denn wenn wir nur entsprechend unseren Hoffnungen, unseren Ängsten oder unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen handeln, werden wir bald überhaupt nicht mehr handlungs­fähig sein.

Ich gelte seit dem Erscheinen der Zeitungsserie bei vielen Menschen als unverbesserlicher Pessimist. Ich selbst sehe dies anders: Ich habe eine realistische Sicht der Umweltprobleme. Indem ich darüber spreche und schreibe, demonstriere ich zugleich, daß ich eine Änderung unseres Verhaltens noch für möglich halte, das heißt, ich bin Optimist, andernfalls hätte ich vermutlich resigniert wie viele andere und mich in das "Konsum­dasein" zurückgezogen. 

Nur eines will ich deutlich sagen: Mit kleinen Reformen, halbherzigen Gesetzen, ein bißchen Umweltschutz und etwas weniger Wirtschafts­wachstum ist die menschliche Existenz auf dieser Erde nicht zu retten. Entweder schaffen wir es, in den nächsten 30 Jahren unsere Zivilisation radikal zu verändern, oder wir werden gemeinsam untergehen.

Im Unterschied zu den Umweltkatastrophen der Antike, die ebenfalls auf menschliches Handeln zurück­zuführen sind, handelt es sich diesmal um eine globale Umwelt­katastrophe, aus der es kein Entrinnen mehr geben wird.

Je länger wir diese Erkenntnis vor uns herschieben, vertagen und mit irrationalen Hoffnungen und kindlichem Glauben verdrängen, um so weniger Chancen haben wir, etwas zu verändern. Ab einem bestimmten Zeitpunkt sind globale Abläufe irreversibel, irreversibel für die Geschichte der Menschheit, wenn auch vermutlich nicht für die Geschichte der Erde.

In diesen Tagen traf ich einen Unternehmer, der umfangreiche Geschäfte tätigt. Er erzählte mir, er handle mit allem — außer mit Waffen und Drogen; die seien "out", weil sie die Erde und die Menschheit zerstörten.

Ich bin der Ansicht, die Waffen und Drogen von heute sind die Konsumartikel: Das Auto ist eine Waffe, das Verpack­ungs­material aus Kunststoff, das Flugzeug, die Cola-Dose, die Pflanzenschutzmittel und die künstlichen Düngemittel. Kurz: Die meisten Produkte unseres heutigen Konsums sind Waffen, weil wir sie gegen die Natur und damit letztlich gegen uns selbst richten. Mit diesen Waffen zerstören wir unsere Lebens­grundlagen: das Wasser, die Luft, den Boden, die Wälder. Wir bereiten einen globalen "Holocaust" vor, und unsere Zeitgenossen drücken sich vor dieser Erkenntnis.

Unsere Kinder werden eines nicht allzu fernen Tages vor uns stehen und fragen: "Habt ihr davon nichts gewußt? Konntet ihr das nicht voraussehen?" und wir werden antworten: "Das konnte man doch nicht ahnen, geschweige denn wissen. So pessimistisch haben wir die Situation nicht eingeschätzt. Wir dachten, das sei alles nicht so schlimm. Die Mahnenden standen ja in einem anderen Lager und wurden verdächtigt, den <Staatssturz> zu planen." 

Unsere Kinder werden uns zu Recht die Schuld an dem Desaster zuweisen, keinerlei Ausflüchte gelten lassen. In diesem Sinne verstehe ich das vorliegende Buch auch nicht als Entschuldigung, sondern als mögliche Handlungs­anleitung, als Warnung und als Hoffnungs­zeichen

Die Schuld an der Umweltzerstörung, die durch unser Verhalten, unsere Aktivität täglich größer wird — dies betrifft Politiker, Industrielle, Wissenschaftler und den ganz normalen Verbraucher — können wir nur abtragen, indem wir unser Verhalten ändern. Wir müssen lernen: zu verzichten, Konsum zu verweigern, Widerstand zu leisten, politisch aktiv zu werden — kurz gesagt: unser Leben radikal zu ändern.

10

Hans Joachim Rieseberg
Berlin, im Dezember 1987

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