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 Die Umweltzerstörung in der Antike

 

 

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Der Staatsbegriff ist eindeutig ein Begriff der Ackerbaukultur und führte sehr schnell zu einschneidenden ökologischen Veränderungen auf den jeweiligen Staats­gebieten. Wir wissen heute noch zu wenig über den Untergang der Reiche am Euphrat und Tigris, um diesen eindeutig auf ökologische Ursachen zurück­führen zu können. Genauer können wir dies aber inzwischen von den griechischen und römischen Reichen am Mittel­meer sagen. In diesem Raum fand die erste große Umweltzerstörung statt, die auf Energieverbrauch, Raubbau und Intensiv­land­wirtschaft zurückzuführen ist.

Der Stadtstaat Rom, der heute als Ausgangspunkt der westlichen Stadtzivilisation gilt, stützte sich nach seiner Gründung ausschließlich auf seine Landwirtschaft. Erst durch die Unterwerfung der Etrusker eigneten sich die Römer eine städtische Handwerkskultur an und entwickelten Techniken, um ihre Expansion voran­zutreiben. Dazu gehörte vor allem der Schiffsbau.

Italien war zu Beginn der Eroberungsfeldzüge Roms ein äußerst fruchtbares Land mit mildem Klima, die Böden waren gut und der größte Teil des Landes bis in die Höhenlagen mit Laubwald bedeckt. Es gab viel Wild, wasserreiche Flüsse und Bäche mit sehr großem Fischbestand. Auch der Fischbestand des Mittelmeeres war zu dieser Zeit noch überreich, ebenso die Zahl der nutzbaren Pflanzen, wie Obst, Hülsenfrüchte, verschiedene Getreide- und Weinsorten. Der Beginn einer allmählichen Zerstörung dieses fruchtbaren Landes ging einher mit dem Expansionsdrang des Stadtstaates Rom.

Für die Kriegszüge mußten zunächst Waffen hergestellt werden, dafür wurde Metall benötigt, das durch Handel mit Nahrungsmitteln erworben werden konnte. Deshalb mußten die Anbauflächen vergrößert und dafür ein Teil des Waldes gerodet werden. Nach der Unterwerfung der Etrusker und anderer Stämme in Italien wurden die Bewohner dieser Gebiete entweder zu Sklaven gemacht oder – falls es sich um bedeutende Heer­führer handelte – mit den römischen Bürgerrechten ausgestattet.

Infolge des Wachstums der Stadt Rom mußten immer mehr Grundnahrungsmittel, vor allem Getreide, aus anderen Regionen beschafft werden. Dies führte zu einer Vergrößerung der Getreideanbauflächen auch in weiter entfernt liegenden Gebieten. Nach der Gesamtunterwerfung Italiens dehnten die Römer ihre Eroberungszüge auf immer entferntere Länder im Mittelmeerraum aus. Für diese Kriege wurden vor allem Schiffe und Metall für die Waffen benötigt. Für beides brauchte man Holz, und zwar sehr viel.

Dieser ersten Expansionswelle wurde schließlich der gesamte Waldbestand Italiens geopfert. Während man zunächst die flachen Ebenen für die Landwirtschaft gerodet hatte, mußte man das Holz später aus den hügeligeren Gebieten des Appenin holen. Für die Großgrundbesitzer in Italien hatte dies zunächst Vorteile, es stand nun immer mehr gerodetes Land für den einträglichen Getreideanbau zur Verfügung. Dieses Land wurde auch deshalb benötigt, weil in den ehemals gerodeten Gebieten der Ebenen durch Bodenabtrag (Erosion) die Erträge zurückgingen. 

Diese ökologische Entwicklung hatte jedoch schwere ökonomische und soziale Folgen. Durch Krieg und Ertragsminderung verloren immer mehr kleinere und mittlere Bauern ihr Einkommen, sie mußten ihr Land aufgeben und strömten besitz- und arbeitslos in die Städte. Dort lebten sie auf Kosten des Staates. Gleichzeitig waren die Großgrundbesitzer als Feldherren in den verschiedenen Punischen Kriegen zu riesiger Beute gekommen, die sie nun in Grundbesitz umwandeln konnten, indem sie das Land der verarmten Bauern kauften.

Mit der Vergrößerung des Landbesitzes und der Erschließung neuen Getreidelandes außerhalb Italiens entwickelte sich ein neuer Trend in der Landwirtschaft des Römischen Reiches. Man ging über zu Viehzucht und Weidewirtschaft. Durch den Besitzwechsel von Klein- und Mittelbauern auf Großgrundbesitzer ging dagegen das Fachwissen für einen vernünftigen Landbau immer mehr verloren. Statt dessen versuchten die neuen Besitzer mit möglichst wenig Arbeitskräften, die sie in der Regel aus dem Heer der Sklaven rekrutierten, einen möglichst großen Ertrag zu erwirtschaften.

Zu dieser Zeit entstand – noch vor dem ersten technischen Lehrbuch, der Mechanik des Vitruv – eines der ersten Lehrbücher für moderne Intensivland­wirtschaft im agrarindustriellen Stil. Der Verfasser war der berühmte römische Staatsmann Cato der Ältere, und das Werk hieß <De agricultura>.

In dieser Schrift über die Gutswirtschaft entwickelte Cato eine ökonomische Methode eines landwirtschaftlich diversifizierten Betriebs mit Olivenbäumen, Obst- und Getreideanbau, Weinbau und Viehwirtschaft.

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Der Erfolg seiner landwirtschaftlichen Methodenlehre – im ökonomischen Sinne – dürfte nicht zuletzt darauf beruhen, daß er die biologische Düngung propagierte. Mit De agricultura kann Cato als Vorläufer der modernen Industrieagrikultur von Nordamerika und Europa angesehen werden.

Die Umsetzung dieser Methoden hatte nach wenigen Jahrzehnten eine ähnlich verheerende Wirkung wie heute. Die Bodenerosion und Naturzerstörung schritt rapide voran. Gleichzeitig entstand durch das Wachstum der Städte ein großer Bedarf an Bauholz für die Mietwohnviertel; daneben entstand Bedarf an Brennholz für die immer mehr in Mode gekommenen Thermen (Badeanlagen).

In ihrem Drang, den Lebensstandard permanent zu verbessern, begannen die Römer nun die rücksichtslose Kolonialisierung aller Länder im Mediterraneum. Die Grundlage für diese Expansions- und Kolonialpolitik war das Mittelmeer als exzellentes Transportsystem. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wird auf Grund eines hervor­ragenden Transportsystems und eines riesigen Energieverbrauchs Weltgeschichte gemacht. Vergleichbare Situationen trifft man erst wieder in der expansionistischen Politik Englands, das sich mit Hilfe der Eisenbahn und des Dampfschiffes durchsetzen konnte, sowie in der Eroberung Nordamerikas durch die europäischen Kolonisatoren, denen ebenfalls die Eisenbahn zum Sieg verhalf.

Nach der Zerstörung Italiens exportierten die Römer – durch ihren immer höheren Getreidebedarf – die Umweltzerstörung nach Sizilien, Spanien, Kleinasien und Nordafrika. In Griechenland führten sie die Zerstörung, die bereits von den Griechen begonnen worden war, fort. Nach 400 Jahren römischer Herrschaft im Mittelmeer war der größte Teil der Bewaldung der Hügel und der Ebenen verschwunden. Danach wurde der Ackerboden abgeschwemmt, und in den Bergen blieb der nackte Fels übrig. Mit dem Rückgang des Waldes änderten sich allmählich das Klima und die Vegetation des Mittelmeerraumes.

Die starken Regenmassen im Winter wurden vor allem in den mittleren und höheren Regionen nicht mehr von den Bäumen und der Humuserde des Waldes aufgefangen, sondern strömten sofort ins Meer und spülten dabei den Boden mit. Im Sommer fehlte die kühlende und ausgleichende Wirkung der Zedern-, Eichen- und Pappelwälder, die Durch­schnitts­sommer­temperatur stieg immer mehr. Die Bergregionen wirkten nicht mehr als große Wasserreservoirs für den Sommer und konnten die Flüsse und Bäche nicht mehr das ganze Jahr über speisen. Mehr und mehr Gewässer trockneten während des Sommers aus. Das führte zwangsläufig zu einer allmählichen Verkarstung der Ebenen.

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Diese Entwicklung trieb die Römer – auf der Suche nach Boden und Holz und damit nach Energie – in immer entferntere Gebiete des Mittelmeer­raumes und schließlich bis nach Nordeuropa. Auch hierfür mußten immer mehr Schiffe gebaut und zunehmend Wald abgeholzt werden. Das gleiche Spiel wiederholte sich in Frankreich und in England, wobei diese Regionen teilweise verschont blieben, da die Herrschaft der Römer dank ihrer ökologischen Politik langsam zu Ende ging. Allerdings gab es bereits im alten Rom weitsichtige Wissenschaftler und Dichter, die das Problem erkannten. 

So läßt Vergil in seinem Gedicht <Ins Elend> einen Bauern klagen:

"Wir aber müssen hinweg: zum dürstenden Afrika diese, /
jene nach Skythien oder zum kreidereichen Oaxes /
oder ins Land der Britanner, das fern von der übrigen Welt liegt. /
Kommt wohl einmal, wie spät auch, der Tag, da noch einmal die Heimat /
wieder ich seh; das Rasendach auch meiner ärmlichen Hütte, /
und meine Saat – Feld klein aber mein – ich wieder erblicke? /
Jetzt hat ein gottloser Söldner mein Feld, das ich liebevoll pflügte, /
jetzt ein Barbar meine Ernte. Wie tief hat unselige Zwietracht /
unsere Bürger erniedrigt: für solches Volk mußte ich säen?" 3)

 

Die Gebrüder Gracchus suchten eine Landreform durchzusetzen, mit der eine Höchstgrenze für Grundbesitzer eingeführt werden sollte, um den Klein- und Mittelbauern eine Existenzgrundlage zu erhalten. Wie aktuell dies auch für uns heute wäre, es war vergebens. Die Großgrundbesitzer setzten sich durch, Gaius und Tiberius Gracchus wurden ermordet.

Im Gleichklang mit der Zerstörung des Bodens entwickelte sich die allgemeine Landschaftszerstörung. Dies führte dazu, daß immer mehr Menschen die Befriedigung ihrer natürlichen Bedürfnisse nicht mehr im Erleben der Natur fanden und die Freizeit organisiert werden mußte.

In den Städten entstanden riesige Arenen für sportliche Veranstaltungen und zahlreiche, immer größere Thermen. Die römischen Herrscher versuchten, durch "Brot und Spiele" die entwurzelten Volksmassen in den Städten ruhig zu halten. Die Städte selbst wurden zu steigendem, schmarotzerhaftem Energie­verbrauch angehalten. Denn alles, was die wachsenden Stadtkulturen verbrauchten – Getreide, Holz, Baumaterialien, Metalle – mußte auf dem Land erzeugt werden und mit Hilfe der Schiffe von weit her, aus den Kolonien, herbeigeschafft werden. 

* (d-2015:)  wikipedia  Vergil  70- bis 19-

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So entwickelte sich der Fernhandel mit seinem großen, unnötigen Energieverbrauch. Gleichzeitig sank das soziale Prestige des Landlebens, und die Bauern strömten, in die Städte. Das Anwachsen des Stadtproletariats, die immer schwierigere Versorgungslage, die ökologischen Probleme bei der Entsorgung, die großen Viertel mit den Mietskasernen, die heißen Sommer und die regenreichen Winter sowie viele andere Faktoren führten immer häufiger zu Teilzusammenbrüchen des bürokratischen Systems der Römer. Sie, die eine ähnlich straff organisierte Verwaltung aufgebaut hatten wie die heutigen Industrienationen, konnten die Vielzahl der Krisen nicht mehr lösen.

Nach und nach wurde auch die Hauptstütze des römischen Herrschaftssystems, das Heer, von der allgemeinen Krise erfaßt. Die ökologische Krise zeigte ihre psychologische Wirkung in der Desorganisation des Staatswesens. Nach der äußeren Umwelt­zerstörung folgte die Zerstörung der sozialen Ordnung. Das Römische Reich brach zusammen.

Die gängige Theorie, wonach das Römische Reich durch die Völkerwanderung und die anbrandenden Horden der Germanen und anderer nordeuropäischer Völker erobert worden sei, halte ich für falsch. Als diese Völkerschaften in das Römische Reich einfielen, hatte dort der innere Zusammenbruch längst stattgefunden.

Wir besitzen eine ausgezeichnete Darstellung der Zustände Griechenlands um 200 v. Chr. von dem Reiseschriftsteller Pausanias aus Kleinasien. Liest man diese Beschreibung genauer, so findet man unschwer heraus, daß Pausanias schon damals ein zerstörtes Land beschreibt. Kaum eine Stadt in Griechenland hatte noch ihre ursprüngliche Einwohnerzahl. Kaum ein Gebäude war noch in einem funktionsfähigen Zustand. Die Kunstschätze waren geraubt bzw. zerstört, die Dächer kaputt. Wenn Pausanias einmal auf eine größere zusammenhängende Waldfläche traf, so erwähnt er sie ausdrücklich, d.h., es war eine Besonderheit, noch zusammenhängenden Wald zu finden. Dasselbe gilt für Quellen, Flüsse und Bäche.

Der Zustand Italiens war im Vergleich zu Griechenland wahrscheinlich schlimmer. Eine intensivere Auswertung von alten Reise­beschreibungen und ähnlicher Literatur wird mit Sicherheit noch für viele Überraschungen sorgen.

Die Auswirkungen auf die zahlreichen Kolonien der Römer, die schon früh in diesen tödlichen Kreislauf eingebunden waren, sind überall gleich. Vor allem Griechenland, das während seiner ersten Blütezeit bereits in kleinerem Maßstab mit der Waldzerstörung begonnen hatte, war von den Folgen der römischen Politik betroffen.

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Aber auch Spanien, Nordafrika und Teile Kleinasiens mußten den größten Teil des Waldbestandes, des Bodens und der Oberflächen­gewässer opfern. Kurz, gesamte Mittelmeerraum wurde weitgehend entwaldet, die Mittelgebirge verloren ihre Humusschicht, und nur die großen Ebenen, die Tiefebenen und einige wenige Flußtäler waren in dieser Region künftig noch für den Ackerbau geeignet. Von dieser Katastrophe hat sich die gesamte Region bis heute nicht mehr erholt.

Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches infolge der ökologischen Krise wurde die Region im Laufe der nächsten 1500 Jahre zum Durch­wanderungs­land für nordeuropäische und asiatische Völker. Während dieser Zeit wurde aber niemals der systematische Versuch unternommen, wenigstens einen Teil des Gebietes wieder aufzuforsten. So wurde auch die letzte Humus­schicht in die Tiefebenen geschwemmt. Den Rest besorgten die Ziegen, die auch heute noch die zaghaften Versuche der Natur, das Gebiet wieder zu begrünen, systematisch zunichte machen. So finden wir heute nur noch in den Tiefebenen fruchtbare Gebiete. Ein Teil des Bodens konnte jedoch durch das Anlegen von Terrassen gerettet werden. Auf diesen terrassierten Böden, die gleichsam die erste Form einer angepaßten Technologie darstellten, sorgte das nun wesentlich wärmere Klima stellenweise für durchaus einträgliche landwirt­schaftliche Bedingungen. Dies wurde dadurch begünstigt, daß das wärmere Klima half, Heizenergie zu sparen. Für eine Übergangsphase erblühte noch einmal Leben auf diesen Ruinen.

Dieser letzte Hoffnungsschimmer für die ehemals größte Kulturlandschaft dieser Erde wird nun durch die industrielle Agrar­wirtschaft der EG endgültig zerstört. Immer mehr Kleinbauern in Griechenland, Italien, Spanien und der Türkei verlassen ihre Besitzungen und fügen damit unbewußt dem Land große Schäden zu, denn nur die Pflege der Terrassen und Felder könnte die letzten Humuskrumen noch retten. Als Nachfolger des Römischen Reiches und im Rahmen einer großen europäischen Gemeinschaftsaufgabe treten wir damit das Erbe der Römer "würdig" an.

Wir führen die Vernichtung der Wälder, Böden, Flüsse und Seen des Mittelmeerraumes mit mechanischen und chemischen Mitteln fort, und wir fügen dem Ganzen ein neues Element hinzu: Durch die Anreicherung des Meeres mit Schwermetallen und vor allein mit den Rückständen der Öltransporte erreichen wir, was den Römern noch nicht gelang: Durch unseren Energieverbrauch werden wir innerhalb von 50 Jahren auch das Meer in eine tote Kloake verwandelt haben, die dann nicht einmal mehr für die Touristen zum Baden taugen wird.

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Die Nachfolger der Römer im Mittelmeerraum übernahmen weder deren zentralistische Staatsform, noch ihre Technik noch das neue, große Transportsystem, die Schiffahrt. Ihre anarchistische Kleinstaaterei brachte den größten Teil des Handels zunächst zum Erliegen. Dadurch wurde der Energieverbrauch reduziert. Weil durch die vielen Kriege auch die Bevölkerung alarmierend zurückging, konnte sich, so makaber dies auch klingen mag, die Umwelt teilweise erholen, wenn auch die Waldzerstörung nicht mehr rückgängig zu machen war. Erst im Mittelalter, das mit neuen Stadtkulturen und zentralistischeren Tendenzen eine Erhöhung des Energieverbrauchs mit sich brachte, wurde für einen längeren Zeitraum erneut der Teufelskreis der ökologischen Zerstörung in Gang gesetzt.

Diese neue Phase der Waldzerstörung wurde durch die großen Seuchen der Zeit wie Pest und Cholera, aber auch durch zahlreiche Kriege bis hin zum 30jährigen Krieg gestoppt. Die Landwirtschaft jedoch wurde in ihrem Energieverbrauchsverhalten von alldem sehr wenig beeinflußt und unterschied sich bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts kaum von der Landwirtschaft der Römerzeit. Zwar hatten sich die Zugleistungen immer mehr auf die Tiere verlagert, und auch die Veredelungsarbeit, d.h. das Mahlen des Getreides, wurde zunehmend von Tier-, Wasser- und Windkraft übernommen, doch die Landwirtschaft blieb ein rein sonnen­energetisches System, und schwerer Raubbau im Bereich der regenerierbaren Energie blieb die Ausnahme. Dennoch gilt gerade diese Zeit als die Zeit der größten Hungersnöte. Deshalb ist es besonders wichtig zu erkennen, daß diese Hungersnöte nicht auf die unterentwickelte Form der Landwirtschaft, sondern auf völlig andere Gründe zurückgehen.

Im Mittelalter gab es weder Landarmut noch große klimatische Katastrophen. Die Hungersnöte wurden verursacht durch die Landverteilung, den Landbesitz, das Abgabewesen, das Jagdwesen des Adels und die vielen Kriege, die permanent die Landwirtschaft schädigten, weil durch sie die Pflege des Ackerbodens nicht mehr gewährleistet war. Die Nährstoffe wurden ausgewaschen, der Boden lag zu lange brach und bot Wind und Wetter Angriffsflächen, denn der Kreislauf von Nährstoffentzug und Düngung wurde permanent unterbrochen; die erwirtschafteten Erträge wurden immer ungleicher verteilt bzw. teilweise sofort geraubt oder vernichtet. 

Dies ist deshalb wichtig, weil gerade die katastrophalen Zustände im Mittelalter für uns Heutige die Begründungs­schemata der Intensivlandwirtschaft abgeben. Die Not der Bauern im Mittelalter, die Bauernaufstände und die schlechte Versorgung mit Nahrungsmitteln sind Begründungen für Technikeinsatz, Energieverbrauch, Kunstdünger und schadstoff­haltige Mittel.

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Von besonderer Bedeutung für das Problem Landwirtschaft und Energie ist die Entwicklung der Landbau­wissenschaft als Grundlage der modernen industriellen Agrartechnologie. Ab 1800 nimmt diese Entwicklung einen sehr kontinuierlichen Verlauf. Zunächst waren in Deutschland die Erträge im Schnitt nicht höher als heute in vielen Ländern der Dritten Welt. Aber am Ende des Jahrhunderts hatten sich die Erträge verdoppelt, und sie verdoppelten sich noch einmal bis zum Jahre 1950. Diese Ertrags­steigerungen wurden fast alle mit rein mechanischen Mitteln erreicht. 

Zu diesen Mitteln gehörten vermehrte und verbesserte biologische Düngung, verbesserte Bodenbearbeitung, Verwendung immer besserer und größerer Pflüge, Beginn der systematischen Züchtung von Pflanzen und Tieren und der Trend zu hochentwickelten Maschinen, zu größeren Flächen und zu mehr Mechanisierung. Untersucht man diese Methoden im einzelnen, so handelt es sich samt und sonders um biologische Methoden, und selbst die Maschinen werden noch weitgehend von Tieren bewegt und gezogen. Zu berücksichtigen ist dabei noch, daß sich die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Durchschnitt verbesserten, zum Beispiel durch die Einführung von Sitzpflügen und anderen beschäftigungsfreundlichen Systemen. 

Die Landwirtschaft wurde zwar intensiviert, aber noch nicht generell von Fremdenergie bestimmt. Alle benötigte Energie resultierte bis 1950 fast ausschließlich aus Sonnenenergie. Trotzdem erkennt man bei genauerem Hinsehen, daß viele Elemente, die die Landwirtschaft im vorigen Jahrhundert belebten, den Trend zur industriellen Entwicklung in der Landwirtschaft beschleunigten. Dieser Trend geht beim Düngen immer mehr von der energetisch billigen und ökologisch vernünftigen Grün- und Stallmist­düngung hin zum Kunstdünger, der heute fast ausschließlich benutzt wird.

Die intensivere Bodenbearbeitung mit leistungsstarken Pflügen reißt den Boden immer weiter auf und führt zu steigender Bodenerosion. Dadurch wird die Humusschicht zerstört und in die Mikrostruktur der Böden – bestehend aus Pilzen, Bakterien und Kleintieren, vor allem Regenwürmern – eingegriffen. Das verändert wiederum den Wasserhaushalt der Pflanzen und Böden und führt zur Austrocknung. Die Folge­wirkung der starken Pflugbearbeitung sind immer festere Böden, so daß wir heute schon bei einem 12-Scharen-Großpflug und einem Traktor, der mindestens 150 PS haben muß, angelangt sind.

Die weiter vorangetriebene Züchtung von Pflanzen hat mehrere verhängnisvolle Folgen. Die Anzahl der Arten wird immer weiter reduziert; dies führt zu Monokulturen und zur Ausbreitung spezifischer Pflanzen­schädlinge.

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Jedoch nur die natürlichen Lebensgemeinschaften bzw. Symbiosen der Arten erhalten das Gleichgewicht im Boden und bringen gleichzeitig eine maximale Nutzung der vorhandenen Nährstoffe. Die Landwirte werden auf Grund der Konzentration auf immer weniger Sorten stark abhängig von Krisen beim Absatz ihrer Produkte und bei der Bekämpfung von Schädlingen. Die Überzüchtung der Tiere mit dem Ziel einer höheren Ertragsleistung hatte ähnliche Folgen wie die Reduzierung der Vielfalt der Pflanzen. Die Schlacht- und Milchtiere wurden mehr und mehr zu reinen Fleisch- und Milchfabriken und verloren damit ihre eigentliche Funktion als Futterverwerter, Abfallnutzer und Düngemittelproduzent. Die natürliche Kreislaufwirtschaft, die die einzig vernünftige landwirtschaftliche Produktionsmethode darstellt, wurde im 19. Jahrhundert endgültig in die einseitige Richtung der Spezialbetriebe gebracht.

Dabei scheint es uns heute müßig, den hochgelobten Berliner Reformern Liebig und Teer Vorwürfe zu machen. Sie wollten natürlich nur das Beste für die Landwirtschaft. Aber wollten sie das wirklich, konnten sie es nicht besser wissen?

"Die Landwirtschaft ist ein Gewerbe, welches zum Zweck hat, durch Produktion vegetabilischer und tierischer Substanzen Gewinn zu erzeugen.... Die rationelle Lehre von der Landwirtschaft muß also zeigen, wie der möglichst reine Gewinn unter allen Verhältnissen aus diesem Betriebe gezogen werden könne..."4

Die Forderung von A. Teer zeigt eindeutig, in welche Richtung der Trend ging. Für Tradition war da kein Platz mehr und für Ökologie schon gar nicht. Am Ende dieser Entwicklung gibt es nur noch Weizen für die menschliche Ernährung und als Nutzvieh Schweine, Rinder und Hühner, die von Mais leben.

All diese Tendenzen der modernen Landwirtschaft waren also schon im 19. Jahrhundert angelegt. Es fehlte aber noch ein wesentliches Element: die Mechanisierung. Zwar finden wir bereits Vorformen der Mechanisierung, aber nur in Verbindung mit Zugtieren. Sämtliche Methoden der mitteleuropäischen Landwirtschaft im 19. Jahrhundert sind also noch als sonnenenergetische Methoden anzusehen, weisen aber eindeutig frühindustrielle Strukturen auf, die die Landwirtschaft ökologisch immer mehr verarmen lassen. Die Umwandlung des Ackerbaus in eine Agrarindustrie mit Hilfe der Mechanisierung kommt aus Nordamerika. Um dies zu verstehen, müssen wir uns kurz mit der Besiedlung Nordamerikas durch die Europäer befassen.

Nordamerika war noch am Ende des Unabhängigkeitskrieges, 1783, ein sehr dünn besiedeltes Land. Die Indianer hatten das Land in der Regel nicht bewirtschaftet, sondern nur als Sammler und Jäger gelebt. Die Beschreibungen der sogenannten Pionierzeit lassen noch erahnen, daß das weite Wald-, Prärie- und Wüstenland damals in einem stabilen, ökologischen Gleichgewicht stand.

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  Hans Joachim Rieseberg   Verbrauchte Welt   Die Geschichte der Naturzerstörung und Thesen zur Befreiung vom Fortschritt