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13. Die Volks- und Betriebswirtschaftslehre der post-kapitalistischen Arbeitsgesellschaft

 

 

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Die westliche Volks- und Betriebswirtschaft berücksichtigen im Grunde nur das Verhältnis zwischen Arbeit­geber und Arbeit­nehmer. Auch der kritische Ansatz von Marx streift nur die Ausbeutungspraxis der Natur und erklärt sie lediglich dadurch, daß die Produktions- und Eigentums­verhältnisse nicht stimmen. In einer weiter­entwickelten sozialistischen und marxistischen Volkswirtschaft würde sich das Verhältnis zwischen dem Reichtum der Arbeiter und der Ausbeutung der Natur zum Positiven wenden und automatisch zum Schutz der Natur führen.

Bei einer kritischen Betrachtung des real existierenden Sozialismus ist dieser Ansatz an keiner Stelle zu entdecken, im Gegenteil, der Glaube an den wissenschaftlich-technischen Fortschritt beschleunigt die Ausbeutung und die Zerstörung der Natur, und die Schwierigkeiten der zentralistischen Planwirtschaft führen den Naturschutz ad absurdum. Damit ist zur Zeit weder der soziale Kapitalismus noch der reale Sozialismus als Bürgschafts­lehre tauglich für das 21. Jahrhundert. Beiden fehlt die Komponente einer ökologischen Betrachtungsweise der Volkswirtschaft.

Nach den heutigen Ideologien muß das Recht auf Arbeit gleichgesetzt werden mit einem Recht auf Zerstörung der Natur. Dies kann die Menschheit auf Dauer nicht überleben. 

Die Volkswirtschaften der letzten 200 Jahre produzierten als Erbe für die nächsten Generationen keine positiven Werte mehr, sondern lediglich negative in Form von verseuchten Böden, zerstörter Luftschicht, ausgerotteten Tieren, weitgehender Zerstörung der Vegetation auf dieser Erde und massenhafter Ablagerung von Schadstoffen chemischer und strahlender Art überall auf der Erde.

Dieses Erbe sind Schulden, die von den künftigen Generationen bezahlt werden müssen, wenn diese sich noch Überlebenschancen ausrechnen wollen. Sie können das Erbe, das wir volkswirtschaftlich hinterlassen, nicht ausschlagen, sie können sich nicht davonstehlen, weil sie keinen anderen Platz im Weltraum haben, um zu existieren.

Alle volks- und betriebswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnungen, die wir heute anstellen, taugen daher nur noch für immer kürzer werdende Zeiträume und müssen laufend nach oben korrigiert werden. 

Bei jeder Lohnrunde, die stattfindet, sind die Zuwächse nicht mehr durch den Fleiß der Arbeiter oder durch das Wachstum des Kapitals begründet, sondern durch die immer schärfere Ausbeutung und Zerstörung der Natur. Bildlich gesprochen gibt es heute ein neues Ausbeutungsverhältnis: Arbeitgeber und Arbeitnehmer beuten gemeinsam einen Dritten aus, nämlich die Natur. Dadurch entsteht gewissermaßen ein neues Tarifgefüge, eine neue Gegnerschaft. Die historischen Formen des Arbeitskampfes wie Streik, Aussperrung, Entlassung, Lohn­forderungen, Lohndruck usw. müssen auf die neuen Gegner Mensch und Natur übertragen werden.

Nennen wird das, was der Mensch anrichtet, Naturausbeutung, so befinden wir uns im letzten Stadium dieser Entwicklungsphase. Übertragen wir die Bilder Zolas aus seinen Arbeiterromanen auf die geschundene Natur, so ist heute die Menschheit selbst zum Kapitalisten der Epoche geworden. Sie versucht ohne Rücksicht auf die Substanz, das Letzte aus dem Ausgebeuteten heraus­zupressen, geht bis zur physischen Vernichtung und bringt die Natur an denselben Rand des Ruins wie den Arbeiter im vorigen und teilweise noch in diesem Jahrhundert.

Wie der Arbeiter, so hat auch die Natur nichts mehr zu verlieren. Ihr Ende ist ohnehin angesagt. Indem die Natur jedoch stirbt, nimmt sie dem Menschen seine Lebensgrundlage und bringt ihn zwangsläufig an den Rand seiner Existenz. In einer solchen end­zeitlichen Entwicklung gibt es kein Recht mehr, keine Verhandlungsbasis, keine Gnade. Unser Wirtschaftssystem kann an diese neuen Verhältnisse, wie sie ökologisch gefordert werden, nicht angepaßt werden.

Wie es eine soziale Revolution gab, die in fast allen Ländern der Industrie­gesellschaft mit teilweise kriegerischen Ausein­ander­setzungen stattgefunden hat und die bis heute nicht beendet ist, so wird es eine ökologische Revolution geben.

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Sie wird nicht mit Kriegen beginnen, sondern mit riesigen Naturkatastrophen, die jedoch kriegsähnliche Zustände auslösen werden. Eine Neubewertung von Arbeit, Konsum und Grundbedürfnissen wird zwangsweise die Folge dieser Entwicklung sein. Diese Bewertung wird sich an den Grundlagen des Lebens und nicht am spätkapitalistischen und spät­sozialistischen Luxus des Lebens orientieren.

Nach Krisenzeiten, wie sie z.B. nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg auftraten, waren die höchsten Werte in der Gesellschaft nicht die Genußmittel oder die Luxusgüter, sondern die Lebensmittel im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich die Mittel zum Überleben. Die Lebensmittel gründen aber auch weiterhin auf Luft, Wasser, Boden, Pflanzen und Wald und menschlichen Interaktionen.

Dabei könnte es in Teilbereichen der Gesellschaft durchaus zu einer ökologischen Weiterentwicklung markt­wirtschaftlicher Systeme kommen. Diese markt­wirtschaftlichen Systeme müßten aber von den natürlichen Ressourcen des Lebens und nicht von den Konsumressourcen ausgehen. Die Zauberformel fast aller, die sich heute mit Umwelt, Wirtschaft und Arbeit beschäftigen, heißt Keynesianismus. Das System beruht schlicht darauf, daß Massenproduktion nur möglich ist, wenn ihr Massenkaufkraft gegenübersteht. Dabei gibt es verschiedene Spielarten: solche, die sich auf den Binnenmarkt richten, und solche, die gemischte Systeme bevorzugen, um Schwankungen der Währungen verschiedener Länder untereinander auszugleichen.

Von den drei großen Systemen des Sozialismus, des Kapitalismus und des Keynesianismus hat das letztere vor allem in der Regulierung der sozialen Ungerechtigkeiten in der Nachfolge des Zweiten Weltkriegs beachtliche Erfolge aufzuweisen gehabt, und auch der wirtschaftliche Niedergang der sozial-liberalen Koalition in der Bundesrepublik hat — so sind sich heute alle Wirtschaftsfachleute einig — nicht Keynes widerlegt, sondern beruhte auf anderen Ursachen, nämlich vor allem auf dem Ölpreisschock der siebziger Jahre, der Unkalkulierbarkeit des Vietnamkrieges und seiner Wirkungen auf die großen Konsum­märkte sowie den ersten Auswirkungen von Produktions­einschränkungen und Produktions­verlagerungen aufgrund der Umwelt­problematik.

Die Wirtschaftspolitik der Regierung Kohl wandte sich in der Folgezeit etwas von Keynes ab und orientierte sich am Thatcherismus, der eine eindeutige Stärkung des Kapitals bevorzugt, die Kaufkraft der Massen relativ klein hält und auf die Stärkung des Außenmarktes orientiert ist.

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Der Thatcherismus und noch stärker der Reaganismus schaffen Arbeitslosigkeit und eine Zweidrittelgesellschaft, bei der ein Drittel hart am Rande des Existenz­minimums lebt und zwei Drittel sich den Staat zu eigen machen können. In gewisser Weise sind der Reaganismus und der Thatcherismus die Neuauflage des Sklavenstaates der Antike mit anderen Zahlen­verhältnissen, denn zu den Sklaven kommen die technischen Errungenschaften des industriellen Systems hinzu.

Allen drei Systemen ist aber gleichermaßen die Zerstörung der Umwelt zu eigen, und alle drei Systeme sind auf ein ununter­brochenes Wachstum ausgelegt. Selbst die extreme Zweidrittelgesellschaft braucht Wirtschaftswachstum und damit Konsum. Und genau hier liegt die Problematik im Bezug zur Zerstörung der Umwelt. Jedes Prozent mehr Wachstum hat unweigerlich einen Verbrauchsschub zur Folge. Dabei ist es fast schon gleichgültig, ob der Verbrauchsschub aus dem privaten, aus dem Industrie- oder aus dem staatlichen Bereich resultiert. Unterschiedlich ist nur die Zerstörungsrichtung, in der die Umwelt angetastet wird.

Der private Bereich zerstört kleinteiliger, aber unter Umständen direkter. Als Zerstörungsformen gibt es Müll, Giftmüll, Individual­verkehr, Luft- und Wasserverbrauch sowie Zerstörung durch Freizeit, die aus überschüssiger Kaufkraft resultiert. Der industrielle Verbrauch, der sich vor allem in Anlageinvestitionen des Maschinenbaus, großen Bauten und riesigem Energiebedarf niederschlägt, zerstört punktueller, verbraucht großflächiger die Landschaft und wirkt auf Luft, Wasser und Boden langfristiger. 

Der staatliche Verbrauch in Form von Konjunkturprogrammen, langfristigen infrastrukturellen Verbesserungen und langfristigen Investitionen zur Sicherung der Volkswirtschaft zerstört vor allem die Bereiche, die der Staat schützen soll. Es sind dies einmal Flächen, die dem Staat gehören, also Wälder, Naturschutzgebiete und bisher nicht industriell oder siedlungsmäßig genutzte Freiflächen, und es sind die staatlichen Randgebiete in Form von Ödflächen oder aber Seengebiete.

Verfolgt man die staatlichen Planungen der letzten 20 Jahre, so ist der Staat wegen des Widerstands der Bürgerinitiativen in ihrem unmittelbaren Bereich immer mehr auf die Gebiete ausgewichen, die ihm zum Schutz unterstellt worden sind. Die Gebiete, die der Staat dem privaten Zugriff ehemals entzogen hatte, um sie zu schützen, fielen also ironischerweise den Planern zum Opfer, die sie schützen sollten.

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Bevorzugt wurden diese Flächen für die Neuansiedlung von Industrie, für Kraftwerke, für Deponien, für Aufbereitungsanlagen aller Art und für umfangreiche Verkehrsbauten genutzt. Damit wurden große zusammenhängende Gebiete in immer kleinere geschützte Teilbereiche parzelliert, und die zerstörenden Industrien und Produktionsanlagen wurden feinflächiger auf das ganze Land verteilt.

Der Grund für diese Politik liegt in der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Nicht mehr die Nachfrage nach Gütern, Leistungen, Verkehr oder Freizeit reguliert die Planungen, sondern der Bedarf an Arbeitsplätzen. Der Arbeitsplatz und die Beschäftigung werden zum Antrieb für die Umwelt­zerstörung. Das keynesianische Modell ist also für die Ankurbelung der Wirtschaft geeignet, nicht aber zum Schutz der Umwelt. Es gibt nach wie vor nur wenige Indikatoren, die volkswirtschaftlich im globalen Vergleich Aussagen über die Zerstörung der Umwelt zulassen. Das sind der Prokopfverbrauch an Energie, der Verbrauch an chemischen Produkten und der gesamte industrielle Güterverbrauch.

Wertet man nun alle drei großen volkswirtschaftlichen Modelle und nimmt als pars pro toto die ehemalige Sowjetunion, die USA und die Europäische Wirtschafts­gemeinschaft, so schneidet letztere immer noch in fast allen Bereichen umweltpolitisch am besten ab. Der Zustand der Umwelt zeigt aber, daß auch dieses Modell nicht in der Lage ist, mittel- bis langfristig das Überleben einer intakten Umwelt zu garantieren. So sind denn auch alle die Diskussionen alternativer Wirtschafts­wissenschaftler falsch, die nicht das Problem der Arbeit selbst angehen.

Auch das sogenannte qualitative Wachstum alternativer Wirtschaftstheoretiker sieht keine Veränderungen grundsätzlicher Art in unserer Arbeits­gesellschaft vor, sondern versucht lediglich ökologische Produktionen zu favorisieren. Solange diese Modelle im Theoretischen verhaftet bleiben, klingen sie gut. Wird es dann konkret, so wandern die Arbeitsplätze plötzlich in den Bereich Freizeit, in die Bereiche des öffentlichen Dienstes, in die sozialen Bereiche und in den Bereich des Umweltschutzes. Kein Theoretiker geht aber das zentrale Problem an, nämlich das generelle Herunterfahren des Konsums. Ein solches Modell müßte Keynes und den relativen Erfolgen in den Musterländern Skandinavien, Österreich und mit Einschränkungen auch der Bundesrepublik diametral entgegenwirken.

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Eine solche Politik ist nur in Ländern mit einer relativ großen Massenkaufkraft, mit einem riesenhaften Konsum und einem großen Anteil an Jahres- und Lebens­zeitarbeit machbar. Es gibt aber keine naturwissenschaftlich begründete Vorstellung, wie man diese Faktoren, die entscheidend den Zustand der Umwelt bestimmen, so miteinander in Einklang bringen kann, daß eine Rekultivierung möglich ist. 

Fährt man den Verbrauch herunter, müßte man entweder die Produktion senken oder den Export erhöhen, man müßte die staatlichen Investitionen senken, und man müßte den gesamten Lebensstandard der Bevölkerung herunterfahren. Senkt man dagegen die Arbeitszeit und erhöht die Produktivität, so muß der Verbrauch gleich hoch bleiben, und Verbrauch heißt in Industrieländern immer auch Verbrauch an Umwelt.

Es gibt keine Produktion und keinen Konsum, die auf dem technischen Stand der heutigen industriellen Produktions­weise eine merkbare Verbesserung des Schutzes der Umwelt garantieren können. Daran wird auch der Umwelt­schutz nichts ändern, ganz im Gegenteil, hat er doch nachgewiesener­maßen bisher keine positive, sondern eher eine negative Wirkung auf den Zustand der Umwelt gehabt. Darauf werde ich noch zurückkommen.

 

Es kommt ein weiteres, sehr gravierendes Problem der keynesianischen Länder hinzu. In all diesen Ländern gibt es eine starke Gewerkschafts­bewegung. Diese garantiert geradezu die wirtschaftliche Prosperität der Länder, denn sie hat neben ihrem ursprünglichen Ziel, einen gerechten Anteil der Arbeitnehmer an den erwirtschafteten Gewinnen zu erkämpfen, immer stärker auch eine staatsstabilisierende Funktion erhalten.

Sie hat in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in den Mittelpunkt der Staats­aufgaben die Wirtschafts­funktion gerückt und den Konsum und die Massen­kauf­kraft zum Motor dieser Wirtschaft gemacht. Zwar gelang es den Unternehmern in gewissen Grauzonen, trotz der Stärkung der Massenkaufkraft fast unentdeckt noch relevante Gewinne aus der großen Wirtschaftsmaschinerie abzuzapfen und diese durch verschiedene Manipulationen ins Ausland zu schaffen. 

Diese riesigen Unternehmergewinne setzten in immer größerem Ausmaß die Phantasie der Wirtschafts­theoretiker linker und liberaler Provenienz in Gang und ließen sie eine Reaktivierung dieser Gewinne im volks­wirtschaft­lichen Sinne fordern. Selbst der industrielle Aufsteiger Nixdorf hat seine Unternehmer­kollegen immer wieder aufgefordert, ihr Geld nicht bei ausländischen Banken anzulegen und nur Zinserträge in horrender Höhe zu erwirtschaften, sondern es in Unternehmungen im Inland zu stecken.

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Überlegt man einmal, welche Geldmenge dann in das geschundene Industrieland Bundesrepublik hineinfließen würde und was mit diesem Geld zwangsläufig in einem Industrieland gemacht werden müßte, kann einem nur angst und bange werden. Denn selbst wenn dieses Geld in Unternehmungen für den Umweltschutz investiert würde, so würde auch dies wieder nur Umweltzerstörung produzieren.

Die Industrieländer, und vor allem auch die keynesianischen, haben sich selbst zur Geisel des industriellen Systems gemacht. Die Gewerkschaften sind nur allzu gern den Konsumversprechungen gefolgt und haben die Folgen, die das Ganze unweigerlich haben mußte, in der Anfangsphase nicht bedacht, dann zwar erkannt, aber nicht diskutiert, und verdrängen es heute trotzig. Sie verhalten sich immer mehr wie die Heizergewerkschaften in England und werden, wenn sie nicht radikal die zentralen Forderungen für das Überleben einer vernünftigen ökologischen Volkswirtschaft ändern, von ihren eigenen Mitgliedern im Stich gelassen werden müssen.

Schon die alte Formulierung von Lenin, Kommunismus sei Elektrizität plus Arbeitermacht, muß heute geradezu als Hohn wirken, und die neue Vorstellung, ökologische Produktion sei die Ergänzung der bisherigen Produktion durch technischen Umweltschutz, ist ein noch größerer Irrtum im Verlauf der Entwicklung der Arbeitsgesellschaft.

Es kommt aber noch ein anderes interessantes Problem hinzu. Einerseits ist heute eine Diskussion über Produktionsverbote in weiten Bereichen der Industrie­gesellschaft aufgrund der Arbeitsplatzproblematik von nahezu keinem Politiker und keiner Partei zu führen. Andererseits gehen wesentliche Teilbereiche genau derselben Produktion, die nicht angetastet werden kann, durch die Automatisierung und Computerisierung in den nächsten 20 Jahren unweigerlich verloren. Selbst wenn diese Produktion weiter beibehalten wird, wird sie nicht mehr von Menschen verrichtet werden, sondern von Robotern. Aber auch diese Roboter benötigen Energie zum Betrieb, Bodenschätze zu ihrer Produktion und Umweltressourcen, um die Produktion aufrechtzuerhalten.

Die schöne neue Arbeitswelt — die des Arbeiters, der nur noch seinen Roboter lenkt oder durch Maschinen­steuerung seinen Anteil an der Produktion erhält — ist nur volks- und betriebswirtschaftlich schön, für die Umwelt verändert sich am Problem der Zerstörung nichts.

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Die Chance der Automatisierung liegt aber eventuell in einer anderen Problemlage. Es ist zur Zeit nicht vorstellbar — und die Geschichte der Arbeiter­bewegung belegt dies eindeutig —, daß die ungeheure Steigerung der Produktivität wertneutral den Arbeitern überlassen wird. Das bedeutet jedoch, daß Automatisierung in wesentlichen Teilbereichen der hochentwickelten Industrie­technologie Arbeitsplätze und damit auch das Hauptargument zur Aufrechterhaltung der Produktion vernichten wird. Wer soll für den Erhalt dieser Arbeitsplätze demonstrieren, welcher Politiker ist von den Stimmen von Roboterwählern abhängig? Welcher Gewerkschaftsfunktionär vertritt die Interessen der Roboter, und wo findet jener Großkonzern noch Fürsprecher, der den Verlust von einigen 10.000 Roboterarbeitsplätzen wegen der Streichung von Subventionen einklagen will oder der sich gegen Umweltschutz­auflagen oder gegen Produktionsverbote wendet?

So zynisch es auch klingen mag, für die Umwelt ist die Automatisierung und die Computerisierung eine Chance. Sie wird aber ausgetragen auf dem Rücken derer, deren Arbeitsplätze vernichtet werden. So geraten dann weite Teile der Industrie­arbeits­plätze in das Spannungsfeld zwischen Produktionsverboten wegen Umweltschutzauflagen und Produktions­vernichtung durch Automatisierung und Computerisierung.

 

Kehren wir zum Problem des Konsums zurück. Eine der Hauptstützen des heutigen Finanzsystems der Keynes-Länder ist die Lohnsteuer. Je geringer aber der Anteil der Arbeitenden an der Bevölkerung ist und je mehr die Arbeitszeit herabgefahren wird, um so mehr sinkt diese Finanzierungs­grundlage des Staates. Andererseits wollen alle, die den innerstaatlichen Frieden aufrecht­erhalten wollen, die Kaufkraft des einzelnen erhalten. Es ist also durchaus denkbar, daß aus der automatisierten Produktion ein relevanter Anteil auch weiterhin in die Massenkaufkraft fließt. Dies aber dann nicht mehr in Form von direkten Arbeits­bezügen, sondern von mehr indirekten Unterstützungen. Damit sinkt der Lohnsteueranteil immer mehr.

Auch hier hat der moderne Keynesianismus bereits Wege gefunden. Die Mehrwertsteuer wird immer mehr zunehmen und die Hauptfinanzierungsquelle des Staates werden. Sie soll die Beibehaltung des Produktionssystems unter Umstellung auf die Automatisierung ermöglichen und wird als Konsumsteuer die wichtigste staatliche Einnahmequelle des nächsten Jahrhunderts sein.

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Auch hier hat die Zukunft bereits begonnen. Der Arbeiter wird abgelöst durch den Konsumenten, und die Arbeitssteuer, die Lohnsteuer, wird abgelöst durch einen immer höheren Anteil der Mehrwertsteuer.

All dies löst aber das Grundproblem des umweltzerstörenden Staates am Ende des 20. Jahrhunderts nicht, das Konsum heißt, und Konsum ist nun einmal im industriellen Bereich mit Umweltzerstörung verbunden. Daraus ergibt sich unmittelbar die Frage: Ist Konsum ein zwangsläufig mit der Arbeit verknüpftes Denkmodell? Hat erst die Orientierung auf die Arbeit den Menschen zum Konsumenten gemacht? Daran schließt sich als weitere Frage an: Ist ein Übergang der Arbeitsgesellschaft in eine andere Form möglich, und wie sieht diese Form aus?

Die Visionen sind bereits vorhanden. Die neue Form heißt Freizeitgesellschaft und ist eine noch aktivere Form von Arbeit als in der Arbeitsgesellschaft. Auch hier weisen die keynesianischen Länder bereits in eine aktive Zukunft. Trotz ihrer hohen Produkt­ivitäts­raten, ihrer gewaltigen Arbeitsleistung, ihrer hohen Einkommen haben diese Länder bereits einen sehr hohen Freizeitanteil. Er ist weit höher als in den USA, immer noch wesentlich höher als in den sozialistischen Ländern und auch weit höher als in den präkapitalistischen Ländern Japans, Koreas und anderer Staaten. 

Die Länder Mitteleuropas — Skandinavien, Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Belgien, Luxemburg, Italien — haben heute bereits Jahresurlaubszeiten von sechs Wochen, eine Lebensarbeitszeit, die unter 40 Jahren liegt, viele sonstige Freizeitvergünstigungen usw. 

Wie aber wird diese Freizeit genutzt? Sie wird genutzt für einen noch intensiveren Konsum als in der Arbeitsgesellschaft, sie wird genutzt für Urlaub, Sport und für Arbeitsersatz wie Heimwerken, Zweit- und Drittjobs, Qualifizierung, Weiterbildung und andere Tätigkeiten.

Für diese Freizeitgesellschaft gibt es verschiedene Antriebsmechanismen. Auch hier spielt die jahrtausende­alte Konditionierung der Arbeitsgesellschaft die entscheidende Rolle. Es ist deren alte These, daß nur der tätige Mensch sich als Mensch erweist, die nun auch für die Freizeit gelten soll. Dahinter verbirgt sich die Furcht der Konservativen, daß der passive Mensch ohne Lebens­freude sei, und die Furcht der Linken, daß die Faulheit und die Muße eben doch bürgerliche Relikte seien. Für die einen steht Frau Noelle-Neumann, für die anderen ungezählte Funktionäre des DGB und der SPD, die die Gesellschaft der Muße für eine ungeheure Verderbtheit halten. Und auch all die Eiferer, die sich alternative Programme für den Fortbestand der Arbeitsgesellschaft und zur Aufrechterhaltung des Wohlstands ausdenken, sehen die größten Beschäftigungs­chancen in der Freizeitindustrie, im Umweltschutz und im Bereich der sozialen Dienstleistungen.

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Wie sieht nun aber konkret die Freizeit- und Dienstleistungs­gesellschaft des nächsten Jahrhunderts aus? 

Es wäre schlicht die Fortsetzung der bereits existierenden Wachstumsbranche Freizeit, die zum Teil einen noch größeren Zerstörungsgrad entwickelt als die Arbeitsgesellschaft. In der kurzen Zeit ihres Bestehens hat die Freizeitgesellschaft es immerhin geschafft, durch Skilaufen die Alpen buchstäblich glatt zu bügeln, durch weitere Massensportarten viele Gewässer in ganz Europa zu zerstören, an den Wochenenden durch riesige Verkehrsbewegungen ganze Landstriche lahmzulegen und durch sinnlose beschäftigungs-therapeutische Anstrengungen in gigantischen Hotelketten rund um das Mittelmeer die von den Römern übriggelassenen Reste an Umwelt zu zerstören. 

Nicht zuletzt das gewaltige Heer der Hobbyarbeiter dürfte im Innen- und Außen­aus­baubereich einen entscheidenden Anteil am Verbrauch von Edelhölzern haben und somit daran beteiligt sein, die Axt oder die Kettensäge an den Regenwald zu legen.

Das in diesen Bereichen bisher Geschaffte war aber erst der Anfang. Noch hat nur ein Bruchteil der Welt­bevölkerung die gewaltigen Möglichkeiten, wie sie von Europäern und Nordamerikanern bisher genutzt wurden. 

Hinzu kommt, daß ein wesent­licher Teil der Freizeit darin besteht, Tätigkeiten, die man bisher in seiner näheren Umgebung ausgeübt hat, nun in der Ferne auszuüben. Es muß ein ungeheurer Reiz darin liegen, nicht mehr zum Kegeln um die Ecke zu gehen, sondern bis nach Mallorca, Taiwan oder Hawaii zu fliegen. Diese Art der Freizeitgestaltung hat innerhalb von zehn Jahren einen Boom im Bereich des Lufttransports gebracht, der, wenn er weiter anhält, wohl schon in 20 Jahren irreparable Schäden in der Atmosphäre verursacht haben wird.

Neben diese Luftakrobaten tritt ein immer größeres Heer von Kreuzfahrern, für die es ein immenses Vergnügen zu sein scheint, ziellos und ohne kulturelle Bezüge zu den Ländern, an denen man gerade vorbeifährt, durch die Welt zu schippern. 

Dazu kommt ein Boom bei den flächenzerstörenden Freizeitparks, die schon heute in weiten Teilen Amerikas, aber auch in Europa anzutreffen sind. Mit den aberwitzigsten, verrücktesten und schwachsinnigsten Geräten und Einrichtungen ausgestattet, beschäftigen sie Menschen, die sonst anscheinend von ihrer eigenen Langeweile aufgefressen würden.

All das ist mit ungeheuren Verkehrsbewegungen verbunden und wird, mit oder ohne Katalysator, die Wärme- und die CO2-Belastung unserer Atmosphäre gewaltig erhöhen, ganz zu schweigen von den flächen­fressenden Einrichtungen, die auch in die letzten Naturschutzgebiete eindringen wollen, um dem Menschen die ach so geliebte Natur nahezubringen. 

Die Erschließung des Nordkaps als Freizeiteinrichtung ist bereits unter Dach und Fach, eine Gipfelstation auf dem Mount Everest ist vorstellbar, Raketenflüge zum Mond sind geplant. Besichtigungstouren zur Antarktis sind in den Bereich des Möglichen gerückt. Und auch die große Afrika-Ralley dürfte nur der Vorbote von großen Wüstenfestspielen sein, die eine Olympiade in Barcelona zu einem Vorstadtereignis werden lassen. 

Die Freizeitgesellschaft ist das Letzte, was unsere Umwelt noch gebrauchen kann, oder ist sie wirklich das Letzte?

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