Thomas Rietzschel

 

(ehemals Kulturkorrespondent der FAZ)

 

 

Die Stunde der Dilettanten 

Wie wir uns verschaukeln lassen 

 

2012 : Wien : Zsolnay : 255 Seiten

  DNB.Buch  Bing.Buch  Goog.Buch

Thomas Rietzschel (2012) Die Stunde der Dilettanten - Wie wir uns verschaukeln lassen 

wikipedia.Autor  *1951 bei Dresden

DNB.Autor

 

detopia:  

R.htm    Besserwisser

Aufmerksamkeit 

Bildzeitung

 

Walter.Rossum  

Heinz Friedrich

 

 

detopia-2020:

Mich stört das alte Büso-Matra, dass das Volk durch Angst gefügig und feige gemacht werden soll, damit man dann darauf eine Diktatur aufsetzen kann. Aber die Bedrohungen haben doch einen realen Kern, oder nicht?

Oder hat das Konzept der Reklame und der Privatmedien die Angst-Hysterie erst ermöglicht?

Beispiel: Bildzeitung-Aufmacher: "Bleiben uns nur noch 15 Jahre?"

oder Endzeit-Film "2012" von Emmerich.

 

 


 

Kleiner Artikel, 20.12.2019
achgut.com/artikel/von_wegen_klima._es_geht_um_das_system 

Von Thomas Rietzschel -

"Von wegen Klima. Es geht um das System Langsam schleicht sich die Katze aus dem Sack. Dass es bei der Klima-Kampagne keineswegs um den CO2-Ausstoß und ..."

 

Inhalt       Inhalt.pdf 

Vorwort - Jedermann ganz groß  7

Es ruft der Berg - Die Entdeckung des Dilettantismus  21

Genies, so weit das Auge reicht - Die Ausbreitung des Dilettantismus  52

Augen zu und durchregiert - Die Machtentfaltung des Dilettantismus 83

Alchimisten reiten Elefanten - Die Geschäfte des Dilettantismus 134

Über Tische und Bänke - Die Schulen des Dilettantismus 173

Entertainer zu Diensten - Die Medien des Dilettantismus 215

Nachwort  - Alles Glück, das wir verdienen 248 

 

 

 

Interwiew

Was Banker, Fernsehpromis und Merkel gemeinsam haben

Thomas Rietzschel (FAZ) über Dilettantismus als Massenphänomen unserer Zeit 

Telepolis-Interview 2012 mit 15 Fragen, Reinhard Jellen 10.11.2012

Teil 1: heise.de/tp/artikel/37/37922/1.html  

Teil 2: heise.de/tp/artikel/37/37923/1.html   

 

Mit <Die Stunde der Dilettanten> hat der Autor und ehemalige Kulturkorrespondent der FAZ Thomas Rietzschel ein kluge und scharfzüngige Kritik an den gegenwärtigen politischen und kulturellen Zuständen verfasst. 

Auch der Leser, welcher den Tenor seiner Ausführungen in der Gesamtheit nicht teilt, kann das Buch erstens mit Vergnügen lesen, weil es über weite Strecken brillant geschrieben ist. 

Zweitens lässt es sich auch dort, wo man mit dem Autoren nicht übereinstimmt, mit Erkenntnisgewinn studieren, weil die Thesen so klar formuliert sind, dass einem, geradewegs die nötigen Gegenargumente dazu einfallen. 

Und drittens wird man feststellen, dass einem - trotz konträrer politischer Positionen - mittlerweile der kluge, sich auf die Aufklärung berufende Konservatismus näher steht als die politisch korrekt servierte, postmodern-grünsozialdemokratische Milchgraupensuppe, die einem sonst als alternatives Sparmenü zum schwarzgelben Feinschmecker-Eintopf geboten wird.

Ein Interview mit dem unzeitgemäßen Merkel-Kritiker.

 

1)  Herr Rietzschel, was zeichnet einen Dilettanten aus?

R: Gemeinhin glaubt man, der Dilettant sei einer, der von dem, was er zu können meint, meist nichts und in jedem Fall zu wenig versteht. Das stimmt aber nicht ganz, denn eines beherrscht der Dilettant ganz hervorragend: die Täuschung. Der Dilettant ist ein begnadeter Blender, ein Meister in der Kunst, sich und anderen etwas vorzumachen.

Kurzum: Der Dilettant glaubt zu sein, was er sein will. Denken sie an Flauberts Roman Bouvard und Pécuchet fast schon die klassische Geschichte [2] der Dilettanten. Zwei abgedankte Schreiber wollen nach ihrer Pensionierung alles Mögliche sein: Landwirte, Ärzte, Naturforscher. Und was tun sie? Beginnen sie eine Ausbildung? Nein. Sie lesen etwas; und vor allem besorgen sie sich das nötige Equipment und die Kostüme, die zu den jeweiligen Berufen passen. Das heißt, der Dilettant betreibt die Sache nicht um der Sache willen, sondern wegen der Lust, die ihm die Sache verspricht. Er will sich inszenieren, will sich ergötzen, wie es das italienische Verb dilettare sagt, von dem der Begriff abgeleitet wurde.

Ein Beispiel aus der Gegenwart: Wir haben derzeit mit Guido Westerwelle einen Außenminister, der vor allen Außenminister werden wollte, weil er sich in der Rolle gefiel. Als er dann gewählt wurde und zum Außenminister ernannt war, wusste er nicht, wie er das Amt ausfüllen sollte. Und seither tingelt er nun als Operettendiplomat durch die Welt. Er hat sein Ziel erreicht, indem er den Außenminister darstellt. Das ist es, was den Dilettanten ausmacht: Auf der Bühne eine Rolle darstellen und sich mit etwas spreizen, was ihm bei anderen gefallen hat.

Deshalb sollte man den Dilettanten auch vom Laien unterscheiden. Während dieser sich als Autodidakt etwas aneignet, für das er entflammt ist, genügt dem Dilettanten die Vorspiegelung der Kompetenz. Geht es ihm doch zuerst um die persönliche Präsentation.

 

   "Das große Welttheater der Selbstverwirklichung"   

 

2) Mit welchen kulturellen, sozialen und ökonomischen Entwicklungen hängt die flächendeckende Durchsetzung des Dilettantismus in den oberen Segmenten der Gesellschaft zusammen?

R: Dilettanten hat es immer gegeben. Schon Goethe und Schiller haben ihnen heimgeleuchtet. Ein gewisser Bodensatz an Dilettanten gehört zu jeder Gesellschaft.

Allerdings gibt es immer wieder Zeiten, in denen der Dilettantismus epidemisch wird, dann nämlich, wenn die Menschen das Glück haben, in größerem Wohlstand zu leben. Denn der Dilettantismus kann nur dort grassieren und systemische Bedeutung erlangen, wo die Gesellschaft so reich ist, dass es Einzelne sich leisten können, nach ihren Vorstellungen und zu ihrem Vergnügen zu leben.

Das, was wir heute als Dilettantismus erleben, entsteht am Ende des 19. Jahrhunderts, als die Gesellschaft im Vergleich zu früheren Zeiten unendlich wohlhabend wird und deshalb immer mehr Menschen davon befreit sind, sich der täglichen Fron zu beugen.

Damals entstanden die ersten Aussteiger-Kolonien. Berühmt wurde der Monte Vérita [4], der Berg der Wahrheit in Ascona. Eine der Gründerinnen dieser Ansiedlung, die Klavierlehrerin Ida Hoffmann, schrieb seinerzeit ein kleines Manifest, in dem sie unter anderem erklärte: "Jeder Mensch ist ein Künstler", er muss nur sein "natürlichen künstlerischen Fähigkeiten" in sich entdecken. Mit anderen Worten, es bedurfte keiner besonderen Begabung oder Ausbildung mehr, jeder sollte fortan der Künstler sein können, der zu sein er sich einbilden mochte. Eine Kernbotschaft für das kommende Jahrhundert des Dilettantismus. Joseph Beuys wiederholte sie später als er erklärte: "Ich definiere mich selbst als Künstler."

Das setzte einerseits, keine Frage, sehr viel Kreativität frei, wovon die künstlerische Avantgarde des 20. Jahrhunderts profitiert hat, andererseits war man damit auch jeglicher Vergleichbarkeit enthoben, die Banalität konnte sich bedeutungsvoll in Szene setzen, jeder sich selbst die Bedeutung geben, die ihm zukommen sollte. Eröffnet war das große Welttheater der Selbstverwirklichung. Unterdessen haben wir uns darin prächtig eingerichtet.

Jeder hat das Recht, sich selbst als das Maß aller Dinge zu begreifen. Wenn ich mich - in der Übertreibung liegt die Kraft der Darstellung - bei der Vorstellung, dass zwei mal zwei fünf ergibt, besser fühle als bei dem Ergebnis vier, dann ist vier eben fünf. 

Oder denken Sie, was mit der Sprache geschehen ist. Wir hatten schon Kultusminister, die die Rechtschreibung abschaffen wollten, weil sie darin eine Diskriminierung derer entdeckten, die sie nicht beherrschen.

 

3) Warum hat der Dilettantismus überhaupt in solcher Weise systemische Relevanz erlangen können?

R: Weil wir in einer leistungsmüden Gesellschaft leben, in der wir einesteils ein enormes individuelles Selbstbewusstsein entwickelt haben, andererseits es aber leid sind, uns vom Zweifel an den eigenen, den eingebildeten Fähigkeiten die Laune verderben zu lassen. In den Medien werden uns ständig Versager präsentiert, die trotzdem Fernsehstars werden.

Wir leben längst in einer Epoche des professionellen Dilettantismus. Die Vortäuschung der Kompetenz - vor sich und den anderen - ist zur eigentlichen Profession geworden. Zumal in der Politik kann man es damit weit bringen, bis zur Bundeskanzlerin, die uns einen unendlichen Blödsinn über die Wirtschaft erzählt, das aber mit einem Gestus der Macht und der Überzeugung, dem die Mehrheit nur allzu gern erliegt.

Oder nehmen wir die Finanzkrise. Die, die sie angerichtet haben, wollte vor allem eines sein, nämlich so wie Gordon Gekko in dem Hollywoodfilm Wallstreet. Mit ihrer eingebildeten Kompetenz haben sie einen Schaden angerichtet, der uns alle unterdessen Milliarden kostet. Reihenweise haben die Banker erfolgreich versagt, sind sie in der Sache erbärmlich gescheitert und persönlich mit Boni abgefunden worden. Großmeister des Dilettantismus.

Alle Welt wiegte sich in dem Glauben, Unternehmen wie die Münchner Hypo Real Estate oder die KfW würden von ausgewiesenen Experten geführt, bis wir plötzlich feststellen mussten, dass diese Elite von dem Metier, in dem sie sich gefiel, viel zu wenig, oft gar nichts verstand. Noch die Sparkassendirektoren aus der Provinz sind mit dem Geld, das die Gemeinde für das neue Schwimmbad oder die Oma für den Enkel zurückgelegt hat, losgezogen, um auf den Finanzplätzen dieser Welt den großen Max zu markieren. Von dem, was sie dabei angerichtet haben, konnten sie sich keinen Begriff machen. Der Mut der Dilettanten verdankt sich ihrer Ahnungslosigkeit.

 

  "Keine abschließende Geschichte des Dilettantismus"   

 

4) In Ihrem Buch wimmelt es gerade von Romantikern, Selbstverwirklichern, Ichlingen, Aussteigern und anderen Hippievorläufern des 19. und 20. Jahr­hunderts.

Warum haben Sie die postmodernen Philosophen, die Eventkunst und die suhrkampende Literaturzwergenriege von heutzutage nicht auch angemessen in ihrer Geistes­krankenkabinett mit aufgenommen?

R: Ich denke schon, dass sie vorkommen. Sie sind beispielsweise in dem Kapitel zur Kunst durch Jeff Koons und Damien Hurst vertreten, von denen in zwanzig Jahren niemand mehr sprechen wird. Ich habe mich auch bemüht, Intellektuellen wie Claus Peymann oder Walter Jens mit ihrer ideologischen Verführbarkeit und Selbstüberhebung zu Wort kommen zu lassen, aber das Ganze ist eben ein Essay und keine wissenschaftliche Arbeit. Ich versuche, Linien aufzuzeigen, mehr nicht. Daraus mag sich erklären, dass es Phänomene gibt, die ich nicht beachtet habe.

Aber natürlich haben Sie recht: Der Dilettantismus offenbart sich nicht zuletzt in der Kunst. Nur musste ich mich entscheiden, mit welchen Bereichen ich mich ausgiebiger beschäftigen wollte, und da war es mir wichtiger zu ergründen, was in Politik, Bildung, Wirtschaft und in den Medien geschieht. Außerdem hat die Geschichte des Dilettantismus nicht den Vorzug guter Geschichten, nämlich vergangen zu sein. Wie sie ausgeht, kann ich nicht sagen, und schon allein deshalb konnte auch keine abschließende Geschichte des Dilettantismus entstehen.

 

   Ausdruckstanz und NS-Ideologie   

 

5) Sie erzählen in Ihrem Buch, dass Rudolf von Laban, der Erfinder des Ausdruckstanzes, später zum Lieblingschoreographen von Adolf Hitler avancierte. Ist es möglich, dass dies nicht nur kein Zufall ist, sondern die dieselbe Medaille mit ihren beiden Seiten?

R: Eine kleine Einschränkung: Hitler hat ihn für die Inszenierung des Massenballetts zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 verpflichtet. Dass Laban sein Lieblings­choreograph gewesen sei, habe ich nicht geschrieben. Es stimmt auch nicht. Der Choreograph musste schließlich emigrieren.

Aber richtig ist sicher, dass die ästhetische und die politische Seite des Dilettantismus zwei Ausprägungen einer Medaille sind. Der Ausdruckstanz war zunächst ein Versuch, sich von den ästhetischen Normen zu befreien. Die Tänzer sollten ihr Wesen frei entäußern können. Einzelne haben es darin bald zu großer künstlerischer Meisterschaft gebracht, zu etwas, das wieder viele ansprach.

Zugleich wurde damit aber auch der Illusion Vorschub geleistet, man könne es aus sich heraus, gleichsam voraussetzungslos schaffen. Übertragen wir diese Erkenntnis in den politischen Bereich, ist der Weg nicht mehr weit zu Hitler und Stalin, die ja beide auf ihrer Art politische Dilettanten waren. Beiden haben sie krude Ideologien individuell, nicht kreativ ausgesponnen, um sich narzisstisch zu befriedigen, bedenkenlos.

 

   "Merkel versucht das Parlament auszutricksen"   

 

6) Seit Rot-Grün können wir beobachten, dass sich gemäß dem Helmut Schmidt-Bonmot: "Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen" in der Politik nicht nur der Dilettantismus, sondern auch der Pragmatismus flächendeckend durchgesetzt hat ...

R: Nur weil es den Pragmatismus gibt, heißt das nicht, dass richtig ist, was in seinem Namen angestellt wird. Nur weil etwas von allen gemacht wird, muss es noch nicht wahr sein. Wenn wir annehmen würden, dass etwas richtig wäre, was sich pragmatisch durchgesetzt hat, dann würden wir von vornherein alle humanistischen Ansprüche aufgeben. Dazu bin ich nicht bereit. Ich glaube schon, dass sich im Laufe der Entwicklung, über die Jahrtausende hin, ein kulturelles und ethisches Wertebewusstsein herausgebildet hat, das wir, wenn wir als humanistisch orientierte Gesellschaft weiter existieren wollen, bewahren sollten. Wenigstens sollten wir es versuchen und die Orientierung nicht verlieren. Sonst zerfällt das Gemeinwesen in um sich schlagende Individuen. Die Brutalität, die wir heute schon auf vielen Schulhöfen erleben, wäre dann nur ein Vorspiel. Dem ist politisch Einhalt zu gebieten.

In der Politik aber scheint es derzeit, waren Brandt, Schmidt und Kohl die Letzten, hinter deren Handeln noch mehr als Machtstreben zu erkennen war. Sei es, dass der eine die Ostpolitik umbaute, der andere den Mut hatte, sich dem Terrorismus zu widersetzen, oder dass der Dritte, die deutsche Einheit wagte. 

Bei unserer derzeitigen Bundeskanzlerin kann ich hingegen nicht erkennen, dass wir es mit einer überzeugten Demokratin zu tun haben. Im Gegenteil versucht sie das Parlament auszutricksen, wo es ihre Kreise zu stören droht. Schon wiederholt musste sie vom Bundes­verfassungsgericht zurückgepfiffen werden. Sie ist eine professionelle Dilettantin, die alles tut, um selbst an der Macht zu bleiben, wofür auch immer.

 

7) Es ehrt Sie als Konservativer natürlich, wenn Sie den Dilettantismus von Frau Merkel in den Vordergrund stellen, aber glauben Sie nicht, dass seinerzeit Rot-Grün [11] während ihrer Regierungszeit in Sachen Dilettantismus einen echten Meilenstein [12] hingelegt haben?

R: Zweifelsohne. Mit Schröder beginnt das. Zuerst hat er in Bonn als einfacher Abgeordneter aus einer Weinlaune heraus an den Gitterstäben des Kanzleramts gerüttelt und gerufen: "Ich will hier rein!" Und als er drin war, hat er gesagt, er will Politik machen, um "Spaß" zu haben. Der Ausdruck sagt genug, die Sprache ist wie immer verräterisch.

 

8) Der neue Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück [13], der monatelang die Auswirkungen der Finanzkrise auf die deutsche Wirtschaft leugnete, um dann binnen kürzester Zeit ohne die geringste Gegenleistung der Banken einen riesigen Rettungsschirm aufzuspannen, ist der Dilettant in Reinform. Dennoch bescheinigt ihm zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung [14], ein kompetenter Finanzpolitiker zu sein...

R: Nun ja, Herr Steinbrück ist als professioneller Dilettant perfekt. Er beherrscht die Vorspiegelung von Kompetenz so vollendet, dass sogar die SZ darauf herein fällt. Aber er ist nicht nur derjenige, der die Banken mit unendlichen Mengen von Geld versorgt hat, er hat außerdem nach Kräften zur Deregulierung im Bankenbereich beigetragen, worauf der Schwindel mit den hochriskanten Finanzprodukten in Deutschland erst so richtig Fahrt aufnehmen konnte. - Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass es sich die Betroffenen nachher einiges kosten ließen, wenn er ihnen als Vortragsredner die Köpfe wusch.

 

 "Bildung stellt heute keinen Wert mehr dar"

 

9) Im Bezug auf den gegenwärtigen Politikbetrieb sprechen Sie von einer "Verzwergung" der Politik. Welche Rolle spielen bei diesem Prozess die Medien [3], beziehungs­weise deren Übernahme durch den Boulevard?

R: Im Zuge des Übergangs von der Bonner zur Berliner Republik hat sich das Rollenverständnis vieler verändert. Es wimmelt von verkappten Wasserträgern der Politik. In der Nähe der Macht, wie sie sich in Berlin zwangsläufig ergibt, habe viele die Distanz verloren. Schauen sie sich die Hauptnachrichten von ARD und ZDF an, da wirkt doch vieles schon wie Verlautbarungsjournalismus. Es wird transportiert, was die Politik verkaufen will, Phrasen und Plattitüden. Es hat sich eine plumpe Vertraulichkeit eingeschlichen, die sich bereits in der intimen Titulierung der Politiker durch die Journalisten offenbart, "Angela Merkel", "Wolfgang Schäuble" und so weiter und so fort. Und es ist sicher auch kein Zufall, dass der journalistische Mut meist erst aufflammt, wenn einer abtreten muss oder zu fallen droht.

Das, was eigentlich Journalismus sein sollte, wird uns immer öfter als Unterhaltungsprogramm geboten. Die "wichtigste" Talkshow der ARD wird von Günther Jauch, einem Entertainer moderiert, einem journalistischen Dilettanten.

 

10) Könnten Sie sich vorstellen, dass in Deutschland die Blender zur Zeit der Treuhand [4] hegemonial geworden sind?

R: Den Blendern ist im Zuge der Wiedervereinigung eine große Chance geboten worden. Ein Irrtum wäre es allerdings anzunehmen, dass die Blender ohne die Wieder­vereinigung nicht an die Macht gekommen wären. Zwar konnten sie nun in einem Land auftrumpfen, das mit den Regeln bürgerlicher Wirtschaft überhaupt nicht mehr vertraut war, und konnten dort noch mehr als in West-Deutschland aufschneiden. Alles in allem jedoch teile ich nicht die pauschale Verurteilung dessen, was die Treuhand gemacht hat. Schließlich musste sie ein völlig marodes Wirtschaftssystem abwickeln. Ohne die Treuhand wäre dieser Prozess wahrscheinlich noch viel chaotischer abgelaufen. Die Wiedervereinigung hat den Aufstieg der Blender befeuert, verursacht hat sie ihn nicht.

 

   "Das Tun des Einzelnen besagt nichts gegen eine historische Entwicklungstendenz"   

11) Sie erklären die Erosion der bürgerlichen Werte in ihrer eigenen Gesellschaft mit fehlender Bildung, die Sie wiederum auf die Einführung der Reformpädagogik zurückführen. Zumindest einer der Hauptprotagonisten Ihres Buches, Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg scheint aber nicht gerade einem antiautoritären Kindergarten entsprungen zu sein. Wie erklären Sie diesen Widerspruch?

R: Die Reformpädagogik ist integriert in den Prozess eines fortschreitenden Bildungsverlustes. Bildung stellt heute keinen Wert mehr dar. In der Guttenberg-Affäre wurde deutlich, dass sie etwas ist, worüber man sich zum Gaudi der Gesellschaft lustig machen kann. Und ob Herr von und zu Guttenberg nun ein Elite-Gymnasium besucht hat oder in einem antiautoritären Kindergarten erzogen wurde, spielt dabei insofern keine Rolle, als das Tun des Einzelnen nichts gegen eine historische Entwicklungstendenz besagt. So oder so hat er von der Toleranz einer bildungsvergessenen Gesellschaft profitiert. 

Immerhin war es die Bundeskanzlerin, die, kaum dass ihr Minister des geistigen Diebstahls überführt war, ganz selbstverständlich erklärte, sie haben den Mann doch nicht als Promovenden eingestellt, weshalb er auch getrost Minister bleiben könne. Dass es dann anders kam, haben wiederum andere erzwungen.

 

12) Sie haben natürlich bemerkt, dass von und zu Guttenberg, der sich ja gerne damit aufspreizt, Platon auf altgriechisch [5] zu lesen, in einem Interview mit Giovanni di Lorenzo zoon politicon mit politisches Tier übersetzte, was anscheinend dem Chefredakteur der "Zeit" auch nicht aufgefallen ist...

R: Sie haben es beide nicht bemerkt. Man sieht, wie hier nur noch mit Versatzstücken und Bildungsbrocken herumgeworfen wird, die man gar nicht verstanden hat, mit denen man sich aber umso bedenkenloser schmückt. Weil er nicht weiß, wovon er spricht, schwadroniert der Dilettant hemmungslos. Das ist in der Politik gang und gäbe. 

 wikipedia  Zoon_politikon 

   "Der materielle Zuwachs ist eine Illusion"   

13) Können Sie sich vorstellen, dass zwischen einer sozial polarisierenden Wirtschaft und Politik, der Ökonomisierung des Alltagslebens und der Brutalisierung [6] der Gesellschaft ein Kausalnexus [7] besteht - und wenn nein, warum nicht?

R: Doch, er besteht. Und dies ist vor allem die Folge eines voranschreitenden Bildungsverlustes, einer gesellschaftlichen Umorientierung, in deren Verlauf der Einzelne gelernt hat, sein Selbstbewusstsein nur mehr aus materiellem Zugewinn zu beziehen. Im Zuge des wachsenden Wohlstandzuwachses hat sich diese materielle Orientierung in den Vordergrund geschoben, politisch forciert. Das heißt, politische Macht wurde erlangt oder gesichert, indem man immer mehr Wohlstand versprochen hat. Das war das Procedere des letzen fünfzig Jahre.

Unterdessen jedoch droht der Schwindel aufzufliegen. Denn Wachstum lässt sich nicht unendlich steigern. Schon heute ist der Reichtum, von dem wir glauben, zehren zu können, nicht mehr real, sondern nur noch virtuell vorhanden. Den imaginierten Vermögen fehlt die Deckung, nicht anders als auf den Konten des Jahrhundertbetrügers Bernard Madoff. Wir leben davon, neue Schulden aufzunehmen, um die alten bezahlen zu können.

Der materielle Zuwachs ist eine Illusion. Daraus werden wir auf längere Frist unser Selbstbewusstsein nicht mehr herleiten können, nicht als Gesellschaft und nicht als Individuen. 

Wir haben aber auch nichts mehr, das wir an dessen Stelle setzen können, keine ideellen Werte, keine Bildungsstreben. Vielmehr existiert da ein riesiger bildungsentleerter Hohlraum, den wir mit materiellem Zuwachs nicht mehr füllen können. Und wie jeder ausgesaugte Hohlraum so birgt auch dieser die Gefahr in sich zu implodieren.

 

14) Ist das eine zu steile These für Sie, wenn ich jetzt behaupte, dass sich doch ein bürgerlicher Wert gehalten, nämlich das Geld?

R: Ich weiß, worauf sie hinauswollen, aber auf diesen Wert ist weiter kein Verlass, weil das Geld nicht mehr da ist. Es existiert nur noch die Illusion davon. Die Bilanzen zum Beispiel der Bundesbank stimmen nur noch, weil darin als Forderungen Riesensummen stehen, die uns andere Länder schulden, allein diese Schulden sind durch nichts gedeckt.

 

15) Letzte Frage: Wie könnte dieser Entwicklung Einhalt geboten werden? Und was muss geschehen damit die ganze Chose wieder in Richtung Goethe, Hacks [8] und Aristoteles [9] geht?

R: Sie haben vorhin gesagt, ich sei ein Konservativer. Das stimmt. Aber sind nicht alle, die vorausgedacht haben, immer auch Konservative gewesen? Nur wenn wir das, was da ist, im Hegelschen Sinne "aufheben", können wir vorankommen: Wir müssen es bewahren, überwinden und weiterentwickeln. Alle revolutionären Versuche, die tabula rasa machen wollten, sind nach kurzer Zeit gescheitert, haben im Chaos geendet. Wir können also die Dinge nur verändern, indem wir sie bewahren. Das zum ersten. Und zweitens verfügen wir heute über technische Mittel, die es leicht machen sollten, uns wieder auf die Bildung zu besinnen. Von den Dilettanten haben wir uns lange genug verschaukeln lassen.

 

Ende

 

Anmerkungen

 

Teil 1:

[0]   hanser-literaturverlage.de/buecher/buch.html?isbn=978-3-552-05554-4    [1]   corn.at     [2]   wikipedia.org/wiki/Bouvard_und_P%C3%A9cuchet  
[3]   books.google.de/books?id=E6QTAAAAQAAJ&pg=RA1-PA261&lpg=RA1-PA261&dq=Goethe+%22Begriff+des+K%C3%BCnstlers 

[4]   emmet.de/hb_veri.htm    [5]   youtube.com/watch?v=pEtlfcBnKBE    [6]   http://www.tanzarchiv-leipzig.de/?q=de/node/399 

[7]   http://www.heise.de/tp/artikel/15/15233/1.html    [8]   http://www.heise.de/tp/artikel/15/15724/1.html   [9]   http://www.heise.de/tp/artikel/16/16390/1.html 

[10]  http://www.heise.de/tp/artikel/33/33366/1.html  [11]  http://www.heise.de/tp/artikel/17/17374/1.html   [12]  http://www.heise.de/tp/artikel/37/37033/1.html 

[13]  http://www.heise.de/tp/artikel/33/33208/1.html    [14]  http://www.sueddeutsche.de/politik/spd-kanzlerkandidat-warum-steinbrueck-die-beste-wahl-ist-1.1482175 

[15]  http://www.heise.de/tp/ebook/ebook_2.html    [16]  http://www.amazon.de/dp/B008X31GMW/ref=nosim?tag=telepolis0b-21 

[17]  http://itunes.apple.com/de/book/isbn9783936931914   [18]  http://www.beam-ebooks.de/ebook/34177  

[19]  http://www.heise-shop.de/heise-heinz/enthemmte-wirtschaft-telepolis_pid_19417173.html 

 

Teil 2:

[1]  http://www.hanser-literaturverlage.de/buecher/buch.html?isbn=978-3-552-05554-4   

[2]  http://www.heise.de/tp/artikel/37/37922/1.html  [3]  http://www.heise.de/tp/artikel/32/32847/1.html   [4]  http://www.heise.de/tp/artikel/37/37484/1.html 

[5]  http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-69518832.html   [6]  http://www.heise.de/tp/artikel/35/35916/1.html   [7]  http://www.heise.de/tp/artikel/37/37365/1.html 

[8]  http://www.heise.de/tp/blogs/6/110678    [9]  http://www.heise.de/tp/artikel/18/18583/1.html    Artikel URL: http://www.heise.de/tp/artikel/37/37923/1.html 

 


 

Leseberichte zum Buch (Amazon)

 

Verzichtbar

2012 Von Georg K.

.... das Buch ist eine dilettantische Abhandlung. Der Informationsgehalt reicht bestenfalls für eine (schwache) Spiegel- oder Focus-Titelstory. Zwei Buchdeckel hat dieses zwanghaft gestreckte Essay-chen nun wirklich nicht verdient. Man hat hier förmlich den Spießer vor Augen, der im Stau auf der Autobahn steht und darüber jammert, warum eigentlich jeder Idiot ausgerechnet heute fahren musste. So wurschtelt der "Philosoph und Kulturredakteur" schnell einmal ein paar Plattitüden zusammen, noch dazu in einem recht nervigen "Hach', ich habe es als einziger erkannt, und kläre euch jetzt alle auf"-Stil, und wird damit ganz schnell zum Experten in Dilettantismus-Kritik. Die genauso dilettierende Kollegenschaft wirds schon freundlich in den Medien plazieren - was ja auch fleissig geschehen ist. 

 


 

Brillant 

2012 Von Rumpelstilzchen, Berlin

 

Ein großartiges Buch, das den geistigen Notstand einer Gesellschaft und insbesondere deren 'Elite' den Spiegel vorhält, einer Gesellschaft, die in Politik, Wirtschaft, Bildung und Kultur von Dilettanten beherrscht wird, denen es überhaupt nicht darauf ankommt, Probleme zu lösen, wofür sie eigentlich von uns allen viel zu hoch bezahlt werden, sondern die getrieben werden von Eitelkeit, Macht- und Habgier. Zu aktuellen Figuren wie Guttenberg und Wulff spannt Thomas Rietzschel einen kenntnisreichen Bogen von der Geschichte des Dilettantismus. Daß es dabei keineswegs um harmlose 'menschliche Schwächen' geht, sondern um Existenzfragen, zeigen uns Deutschen exemplarische Figuren des Dilettantismus wie Wilhelm II. und Hitler, die Europa in die größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts geführt haben. Brillant geschrieben, bildet das Buch eine sinnvolle Ergänzung zu Michael Schmidt-Salomons »Keine Macht den Doofen!« Empfehlenswert dazu auch die Diskussion im »Nachtstudio« des ZDF vom 19.2.2012 und die Besprechung im Büchermarkt des Deutschlandfunks. 

 


 

Altachtundsechziger Gesudere

2012 Von chrigue, Wien 

 

Rietzschel macht es einem schwer, ihn einzuordnen, was eigentlich kein Nachteil sein sollte, doch irgendwie schwingt in seinem Text permanent der von der eigenen Entourage enttäuschte Altachtundsechziger mit. Sätze wie "Weil wir stets über mehr verfügen wollen, als wir beherrschen, müssen wir akzeptieren, was uns vorgesetzt wird" klingen mir nach einer desillusionierten und vom Marsch durch die Insitutionen ernüchterten ehemaligen Sponti-Mentalität alla "Unter dem Pflaster liegt der Strand". 

Die Thesen und Schlüsse sind schon richtig, die Rietzschel aufstellt bzw. zieht. Nur - das heutige Fiasko in den beschrieben Bereichen ist die Frucht der unsäglich verlogenen Achtundsechziger, die heute an der Spitze jener Institutionen in Saus und Braus leben, die sie eigentlich genau davon befreien wollten. De jure und de facto haben sie die Gesellschaft und die ihr aufoktroyierte veröffentlichte Meinung in ein Stadium weiterentwickelt, das Wahrheit zu einem gefährlichen Unterfangen und die Lüge zur Königin aller Redaktionen macht. Und genau das gibt Rietzschel nicht wirklich zu. Denn die "Stärke aller Dilettanten, der Glaube an die eigene Präpotenz" haben erst die Achtundsechziger zur Kultur stilisiert und zwar gründlich: Kunst, Bildung, Politik und zuletzt noch die Ökonomie. Da hilft auch nicht mehr das (in Anlehnung an einen nicht ungebildeten österreichischen Ex-Kanzler) "Gesudere" vom Deutschlehrer, der selbst 36 Rechtschreibfehler auf zwei Seiten macht. Herr Rietzschel, das ist die zur Realität gewordenen Vision einer "Umwertung aller Werte", einer Realität in der zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Grand Canyon liegt. Schade, dass Rietzschel nicht über seinen Schatten springen konnte, um seinen Intellekt auf eine penible Suche nach den Wurzeln des von ihm sehr treffend beschrieben Übels zu schicken. Dann wäre der vorliegende Essay wahrscheinlich ein echter (politisch unkorrekter) Knaller geworden.

 


 

Je weniger wir Herr der Dinge sind, desto mehr haben wir gelernt, den Anschein zu erwecken

2012 Von SAMT

 

"Der größte Vorzug schöner Geschichten, nämlich vergangen zu sein, ist der Geschichte des Dilettantismus noch nicht zugewachsen" - So steht es bereits ziemlich am Anfang des Buches geschrieben. Es ist dies der Auftakt einer Rede, wenn man so will, bei der das Auditorium immer geknickter in den Reihen sitzen wird, weil es erkennt, wie sehr es bereits vom Dilettantismus eingenommen sind - auch im eigenen Tun! 

Der in seinen Formulierungen äußert talentierte Autor spannt einen Bogen von den ersten Dilettanten über die Ausbreitung, die Machtentfaltung, den Schulen bis hin zu den Medien. Und er nimmt sich bei Gott kein Blatt vor den Mund! Einiges, was da zu lesen steht, birgt Sprengstoff in sich, nicht, weil es eine polemische Behauptung ist, sondern weil einen die Erkenntnis der Richtigkeit wie ein Keulenschlag trifft. 

Und anders als bei Sarazins "Deutschland schafft sich ab" werden hier keine ethnischen Minderheiten als Sündeböcke herangezogen, nein, wir selbst sind es, die zulassen, dass die Mittelmäßigkeit zum erstrebenswerten Ziel ernannt wird.

"Der Dilettant reduziert alles, womit er sich befasst, auf das Maß seiner eigenen Vorstellungskraft", steht geschrieben. Damit kritisiert Thomas Rietzschel jenen Umstand, dass wir unsere alte Kultur (von der Sprache angefangen) einfach ignorieren, nicht mehr bereit sind darüber zu lesen oder nachzudenken oder gar zu lernen, mit dem Ergebnis, dass als Ideenpool nur noch die eigenen untrainierten Synapsen bleiben. Und so fragt der Autor weiter: "Mit welcher Geniedichte dürfen wir gegenwärtig überhaupt noch rechnen?" um weiters resigniert festzustellen: "Wir verlieren die Fähigkeit eine Entwicklung überhaupt noch als solche wahrzunehmen. Um nicht den Anschluss zu verlieren, bleibt keine Zeit sich Gedanken über das Geworden-sein zu machen."

Dieses Buch ist ein Weckruf an den Intellekt des Menschen. Es ist aber auch ein Schuss vor den Bug, der aufzeigt, wo wir landen werden, wenn weiterhin nur eines gilt: "Wir feiern, was wir zu feiern haben, am liebsten uns selbst."

Einige Zitate aus dem Buch werden veranschaulichen, welches Potenzial zwischen den Blättern steckt: "Am wechselnden Zeitgeist kann sich keine Gesellschaft dauerhaft orientieren - weder ästhetisch noch ethisch." "Die entscheidende Frage ist, ob überhaupt noch die gemeinschaftliche Vorstellung existiert, dass es etwas geben könnte, bei dem as auf mehr als den eigenen Vorteil ankommt, das es um seiner selbst Willen zu bewahren gilt." "Der anmaßende Dilettant ist jener, der mit einer Inbrunst davon überzeugt ist, dass "ER" zu sein völlig genügt, um emporgehoben und bewundert zu werden." "Als Dilettant bewahrt einen das Unwissen vor der Furcht des Versagens. Wer die Schwierigkeiten seines Vorhabens nicht abschätzen kann, handelt oftmals beherzter." 

 


 

Dilettanten überall 

2012  Von Otto Hilscher (Wien)

 

Dilettanten in Politik, Wirtschaft, Kunst und Medien: Unfachmännisch, unsachgemaäß, fehlerhaft, stümperhaft und oberflächlich sind die wenig schmeichelhaften Eigenschaften eines Dilettanten. Ich bin auf das Buch durch ein zweiseitiges, sehr gelungenes, sympatisches Interview in einer Tageszeitung aufmerksam geworden und habe es spontan gekauft. Überrascht stellte ich fest, dass ich auf zwei Zeitungsseiten fast ebensoviel über Dilettanten erfahren habe, wie in dem ganzen 250 Seiten umfassenden Buch! 

Beim Lesen bzw. "Überfliegen" finde ich wenig Neues oder Gedanken, die ich nicht ohnehin schon gehabt habe. Der Autor beschreibt den Zustand unserer gegenwärtigen Gesellschaft, geht aber nicht genügend auf die Ursachen ein, die zu diesem Dilettantismus geführt haben und vermutlich in der Vergangenheit zu suchen wären. Seine diesbezügliche Spurensuche im Tessin überzeugt mich nicht. 

Die Frage ist doch, warum unsere Gesellschaft keine charismatischen Genies wie Kennedy, Picasso oder Hemingway mehr hervorbringt und unsere Umwelt so schnelllebig, oberflächlich und austauschbar geworden ist. 

Meiner Meinung nach hätte er untersuchen müssen, inwieweit die westliche Welt dekatent und leistungsmüde geworden ist, zurückfällt und dabei ist, ihre Führungsrolle in der Welt zu verspielen. Er spricht von Orientierungslosigkeit und dass "wir nicht als Zuseher am Rande eines Vulkans sitzen, sondern mittendrin" aber ich vermisse den Tiefgang mit dem der Autor besser herausarbeitet, warum es dazu kam. Von Bildungsnotstand und Turboschule ist einige Seiten lang die Rede, was mir aber, wie gesagt zu kurz gegriffen erscheint. Offen bleibt auch, wohin uns die Zukunft führen wird. Orwellsche Visionen, was mit der Macht des Internets (z.B. facebook) künftig anzufangen wäre, werden erwähnt, aber leider nicht definiert und nicht weiter verfolgt. Fazit: Abgesehen davon, dass mir das Buch nicht besonders gefällt, kann ich mir auch nicht andere Personenkreise vorstellen, welche die Geduld haben könnten, dieses Buch mit Interesse zu lesen.

 


 

 

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Thomas Rietzschel (2012) Die Stunde der Dilettanten - Wie wir uns verschaukeln lassen