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1  Modische Sorgen

Wenn Fleisch Mord ist --

sind Eier dann Vergewaltigung?

 

 

I

13-29

Die heutige Zeit ist in der Menschheitsgeschichte ein Augenblick der Hoffnung. Warum sagt es nur kein Mensch? Wir leben nicht mehr in der ernsten Gefahr eines Atomkriegs, der fast fünfzig Jahre lang drohte, die Menschheit zu vernichten oder die Wochenendpläne der Menschen sonstwie zu stören. Das abstoßende, mächtige und kriegslüsterne Imperium, die ehemalige Sowjetunion, ist zerfallen. Heute ist sie nichts mehr als ein Gebiet auf der Landkarte, angefüllt mit zerstrittenen Nationalitäten mit zu vielen K- und S-und Zischlauten in den Namen – bewaffnete Scrabble-Spieler. Das zweite große feindselige Regime der jüngsten Zeit, Rotchina, hat sich entschlossen, den Weltmarkt für Feuerwerkskörper zu erobern, um so seine Weltgeltung zu unterstreichen.

Die bösen politischen Ideen, die unser Jahrhundert bedroht haben – Faschismus, Kommunismus, Ted Kennedy for President –, befinden sich auf dem Rückzug. Der Kolonialismus ist verschwunden, und somit werden die Bewohner von fast einem Viertel der Erdoberfläche von Besuchen Prinzessin Dis verschont. Der letzte Ort des Planeten, auf dem sich die weiße Vorherrschaft bis in die jüngste Zeit hinein behauptet hatte, hat inzwischen einen Präsidenten von tiefdunkler Hautfarbe gewählt. Der Rassismus im Stil der Apartheid ist jetzt auf einige wenige bemitleidenswerte und unbedeutende Schauplätze verbannt wie etwa den U.S.-Senat (und sollten Sie der Meinung sein, Kaukasier könnten genetische Überlegenheit für sich in Anspruch nehmen, sollten Sie sich vorstellen, was Sie erwartet, wenn Sie Studien des U.S.-Senats als Hauptfach wählen).

Es sieht heute besser auf der Welt aus, als es seit Beginn der Geschichtsschreibung je ausgesehen hat. Es sieht heute besser aus als noch vor wenigen Jahren. Sogar besser als um 9.30 Uhr heute morgen, nämlich dank Aspirin und zwei Bloody Marys.

Doch das ist persönlich, und Geschichte ist allgemein. Es ist immer möglich, daß jemand am Tag des Sieges über Nazi-Deutschland Mumps bekommt oder erleben muß, daß ihm beim Fall der Berliner Mauer ein Stück davon auf den Fuß fällt. Im allgemeinen ist das Leben heute besser, als es je gewesen ist, und sollte jemand der Meinung sein, es habe in der Vergangenheit so etwas wie ein goldenes Zeitalter des Vergnügens und des Überflusses gegeben, in das er sich gern zurückversetzen würde, kann ich darauf nur mit einem einzigen Wort antworten: "Zahnheilkunde".

Wir kennen die Wahrheit all dieser Dinge von Geschichten, die wir zu Hause gehört haben. Das Dasein ist zu Lebzeiten unserer engsten Familienangehörigen sehr viel lebenswerter geworden. Mein Großvater O'Rourke wurde 1877 in eine ziemlich scheußliche Welt hineingeboren, obwohl wir ihm nicht all die Schauermärchen glaubten, mit denen er die Schrecken seiner Zeit auszuschmücken liebte. Der Durchschnittslohn betrug wenig mehr als einen Dollar pro Tag. Das heißt, wenn man einen Job hatte. Die O'Rourkes waren nicht dafür bekannt.

Die meisten Menschen waren Farmer, und haben Sie eine Ahnung, wann Kühe morgens aufstehen? Weil sie den ganzen Tag im Freien arbeiten mußten, und das in einer Zeit, in der weder Sonnencremes noch Bikinis erfunden worden waren, bekamen Landarbeiter nur an einigen Stellen eine Sonnenbräune. Die Menschen mußten selbst für ihren Spaß sorgen, und wie das bei den meisten Do-it-yourself-Vorhaben ist, waren die Ergebnisse danach ... Denken wir etwa an die Nähkränzchen von Frauen, die sich zusammensetzten, um für wohltätige Zwecke Bettzeug zu nähen. Und die typische Ernährung der damaligen Zeit war so schlecht, daß sie schon an moderne Diäten heranreicht.

Frauen hatten kein Wahlrecht, nicht einmal über die Maßen intelligente First Ladys, die auf eigenen Füßen standen und über eine ungeheure innere Kraft verfügten und daneben noch Glück hatten, wenn sie in Schlachtvieh spekulierten. (Soweit bekannt, hatte Mrs. Rutherford B. Hayes ein gutes Auge für die Qualität lebender Rinder.)

Ohne eine First Lady, die an Wahlen teilnehmen kann, gibt es auch keine Gesundheitsreform. Natürlich gab es auch damals keine Gesundheitsvorsorge. Und um die Gesundheit der meisten Menschen sah es ohnehin schlecht aus. Krankheiten waren allgegenwärtig, und selbst die harmloseste Infektion konnte sich als tödlich erweisen. Die von Pasteur vertretene Theorie, Bakterien lösten Krankheiten aus, war nichts weiter als eine weitere verschrobene Idee aus Frankreich, die auf die Menschen der 1870er Jahre nicht mehr Eindruck machte als der Dekonstruktionismus auf uns.

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Männer heirateten meist mehrere Frauen, ohne dabei Schürzenjäger zu sein: Viele Frauen starben im Kindbett. Auch die Kinder starben manchmal schon, bevor man ihnen einen passenden ellenlangen Namen hatte geben können. Ein Spaziergang über einen alten Friedhof verrät uns, daß unsere Vorfahren oft mehr tote Kinder hatten als wir lebende.

Die Umwelt wurde bedenkenlos verschmutzt. Niemand dachte sich etwas dabei. Abwässer wurden entsorgt, indem man sie in einen Fluß leitete. Persönliche Hygiene sah so aus, daß man sich Gesicht, Hals und Hände bis zu den Handgelenken wusch - falls überhaupt. Meine Großmutter (aus der Klempner-Linie der Familie) sagte, sie habe als kleines Kind einmal von einem Dienstmädchen gehört, sie solle beim Waschen immer mindestens ein Kleidungsstück anbehalten, "denn eine Dame zieht sich nie vollständig aus".

Alles war für alle Menschen schlimmer als heute. Schwarze hatten ebensowenig ein Wahlrecht wie Frauen, wurden allerdings durch gewalttätigere Mittel daran gehindert, es durchzusetzen. Etwa zehn Prozent der amerikanischen Bevölkerung waren in der Sklaverei geboren. Niemand dachte sich etwas dabei, wenn man Schwarze, Juden, Iren und Italiener mit Begriffen wie "Kellerasseln", "Itzigs", "Kartoffelfresser" und "Gonokokkenträger" belegte. Es war eine Welt, in der das Wort "Nigger" nicht tabu war. Gefahr drohte höchstens, wenn man jemanden einen Knallkopf nannte.

Heutzutage können wir gar nicht aufzählen, welche Segnungen uns inzwischen zuteil geworden sind. Eine davon dürfte wohl sein, daß wir nicht dauernd zählen müssen - das tun Computer für uns. Information ist leicht verfügbar. Schulbildung für alle ist eine Selbstverständlichkeit. Gelegenheiten, sich weiter­zuentwickeln und voranzukommen, klopfen buchstäblich an die Tür, zerren an der Klinke und werden sogar durchs Fenster hereinkommen, wenn wir nicht gerade die Alarmanlage eingeschaltet haben.

Luxus und Komfort in einem Ausmaß, wie es noch vor wenigen Generationen nur den Allerreichsten bekannt war, würde heute selbst den Teilnehmern an einer Floßfahrt auf einem Wildwasser kaum genügen. Unsere Kleidung ist bequemer, unsere Wohnungen sind wärmer, frei von Ungeziefer und riechen besser. Unsere Nahrung ist frischer. Unser Licht ist heller. Wir können schnell überallhin reisen, und es stehen uns Kommunikationsmöglichkeiten zur Verfügung wie noch nie.

Selbst die schlechten Dinge sind besser, als sie früher waren. Schlechte Musik beispielsweise ist viel kürzer geworden. Eine Aufführung von Wagners vollständigem Ring-Zyklus dauert vier Tage, während "Mmm Mmm Mmm Mmm" von den Crash Test Dummies kaum mehr als drei Minuten dauert.

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II

Das Leben ist süß und angenehm. Man könnte jedoch lange Zeit Bücher lesen, ins Kino gehen oder fernsehen, ohne ein Wort davon zu lesen oder zu hören. Vor allem, wenn man am Tag fernsieht. Wer am Tag viel Zeit vor dem Fernseher verbringt, für den dürfte das Leben vermutlich schrecklich sein. Aber, wie ich schon betont habe, ist das ein Problem des Fernsehsüchtigen und nicht der Geschichte. Die Geschichte entwickelt sich weiter, sie tut, was sie will. Eines Tages wird sie uns allen zweifellos um die Ohren fliegen, wenn ein Komet auf der Erde einschlägt oder ein grün angehauchter Jurist zum Präsidenten des Obersten Bundesgerichts ernannt wird. In der Zwischenzeit sollten wir unser Leben jedoch genießen, doch genau das tun wir nicht. Trübsinn hüllt die Erde ein. Aus jeder Ecke des Globus erreichen uns Jammern und Wehklagen. Es wird gestöhnt, die Welt sei "ungerecht", "unfair". "Ich Ärmster" ertönt es allenthalben auf dem Planeten und nirgends lauter als bei meinen Nachbarn.

Jetzt, in diesem Augenblick, am Ende des Zweiten Jahrtausends, ist der beste aller geschichtlichen Augenblicke, und genau hier, in den Vereinigten Staaten, ist gegenwärtig der beste Aufenthaltsort. Doch höre ich Jubelrufe, die von den purpurn schimmernden majestätischen Bergen widerhallen und über die fruchtbaren Ebenen rollen? Nein. Ich höre Amerika winseln. Amerika, die Heulsuse der Welt. Ich sehe mein Land in tiefer und gekränkter Verstimmung - es meckert, nörgelt, jammert, schimpft, schluchzt, macht sich Sorgen, beklagt sich lauthals, hat Bauchschmerzen und bemitleidet sich. Ein Koloß, der einst die Welt umspannte, liegt jetzt am Boden, trommelt mit den Fäusten und tritt mit den Füßen um sich. 

Wir sind eine Nation von Jammerlappen und Knickstiefeln geworden. Die Straßen der Neuen Welt sind mit Langweilern gepflastert. Jeder hat etwas zu meckern. Wir sind eine Nation von wehleidigen Schreihälsen geworden, von Sauertöpfen voller Selbstmitleid, und blasen Trübsal - ein Land, das über alles meckert und schimpft.

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Am 4. Juli 1993, dem amerikanischen Nationalfeiertag, las ich auf der Titelseite des Boston Globe in einem Leitartikel die folgenden Zeilen:

Das Land, das heute seinen 217. Geburtstag feiert, ist frei, lebt in Frieden und ist relativ wohlhabend – doch tief besorgt ... Das amerikanische Volk ist tief verstört, wird von Zweifeln gequält und ist voller Zorn.

Und jeder beliebige Blick in die Medien bietet in Hülle und Fülle weitere Beispiele, wie geschluchzt und gestöhnt wird, oft von Unheilspropheten, von denen man es gar nicht erwartet hätte.

In der New York Times Book Review vom 24. April 1994 äußerte sich eine Frau R. Schumer über "die heutige Ära, in der sozialmoralische Leitideen gelockert werden oder zunehmend fehlen, was auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen ist - den Verfall von Religion und Gemeinschaftsgefühl, die Anonymität des modernen Lebens -, die den selbstsüchtigen, zwanghaften Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts hervorgebracht hat". Miss Schumer ist Autorin der Underground-Gourmet-Kolumne der Zeitschrift New York. Dabei hatte sie für die New York Times Book Review nur ein Kochbuch rezensiert.

"In einer Welt voll kosmischer Erschütterungen, in der die vier Apokalyptischen Reiter ... ungehindert wüten können", begann ein Artikel über den harmlosen Komiker Jerry Seinfeld in der Mai-Ausgabe 1994 von Vanity Fair.

Der Psychiater und Harvard-Professor John E. Mack behauptet in einem Buch mit dem Titel Abduction, Menschen aus dem Weltraum würden uns entführen. Warum sollten die kleinen grünen Männchen sich überhaupt die Mühe machen? Damit sie, so Mack, den Erdbewohnern sagen können, wir hätten den ökologischen Ruin der Welt verursacht.

"Der ökologische Ruin, der schrumpfende Arbeitsmarkt für Angestellte und Furcht vor Intimität und Nähe, mit der sich seine Generation konfrontiert sieht" – so beschreibt die Zeitschrift People, die nicht gerade für tiefschürfendes Denken bekannt ist, das Thema des neuesten Buches von Douglas Coupland, dem letzten in der langen Reihe junger Schriftsteller, die mit Klageliedern zu literarischem Ruhm zu gelangen hoffen.

Couplands erster Roman, Generation X, ist ein ausführlicher Bericht darüber, wie unglückselig und bejammernswert das Leben für weiße Mittelstandskinder ist, die nach 1960 geboren wurden. "Unsere Eltern hatten mehr" lautet der Titel des zweiten Kapitels.

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Für den Fall, daß der Leser die Pointe verpaßt (oder bei der unausgegorenen Geschichte einschläft), hat Coupland am Ende seines Romans mehrere Seiten mit deprimierenden Statistiken hinzugefügt. So heißt es etwa in einer von Time und CNN durchgeführten Telefonumfrage vom Juni 1990, daß 65 Prozent der achtzehn- bis neunundzwanzigjährigen Amerikaner mit folgender Aussage übereinstimmen: "So wie die Dinge liegen, wird es für Menschen meiner Generation viel schwerer werden, so angenehm zu leben wie frühere Generationen."

Natürlich ist es für diese jungen Leute schwierig zu wissen, ob sie so angenehm leben werden wie ihre Eltern, denn die Verzweiflung über den ökologischen Ruin unserer Erde, über den schrumpfenden Arbeitsmarkt für Angestellte und die Furcht vor Intimität und Nähe lähmt diese jungen Leute so, daß sie alle noch zu Hause bei Mami und Papi wohnen.

William T. Vollmann, ein anderer jugendlicher Autor, dessen zahlreiche Bücher von bestimmten Leuten als Geniestreiche gepriesen werden, weiß, daß mehr nötig sein wird, als in den Villenvororten Zwischenstockwerke einzuziehen, um uns von unserer schauerlichen Existenz zu erlösen: "Ich würde sagen, die AIDS-Epidemie ist die größte Hoffnung, die wir gegenwärtig haben", sagte Vollmann in einem Interview mit Publishers Weekly vom 13. Juli 1992. "Vielleicht wäre es das Beste, was uns passieren könnte, wenn die Hälfte oder zwei Drittel der Menschheit ausgelöscht würden. Dann hätten die Überlebenden alle Hände voll damit zu tun, sich wieder aufzurappeln, so daß sie sich gegenseitig helfen würden. Und irgendwann würde sich die Welt auch in ökologischer Hinsicht erholen."

Vielleicht sollten wir auch Drogen nehmen. Peter Kramers Buch Listening to Prozac hielt sich sechs Monate auf der Bestsellerliste der New York Times. In einer den "Drogen in Amerika" gewidmeten Sonderausgabe von Rolling Stone vom 5. Mai 1994 hieß es: "Angesichts des psychischen Zustands der Nation von heute wäre Heroin vielleicht genau das, was der Arzt empfiehlt. ›Mit Heroin‹, wie es ein ehemaliger User sagt, ›kann das Leben um einen herum in Stücke zerspringen, und es macht einem trotzdem nichts aus.‹"

Aber nein. In Wahrheit ist es sogar noch schlimmer. Das Dasein und die Schöpfung sind so schrecklich, daß nicht einmal Heroin sie besser machen kann. Sonst würde der Leadsänger der Rockgruppe Nirvana, ihr Oberjauler Kurt Cobain, noch am Leben sein. Und was für ein gequälter Schrei existenzieller Verzweiflung ertönte, als Kurt sich mit einem Jagdgewehr das Gehirn wegschoß, oder was immer er in seinem Schädel hatte, so daß es an den Wänden seines Gästehauses klebte.

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"Das war seine Botschaft. Das Leben ist sinnlos", wie ein sechsundzwanzigjähriger Mann namens Bob Hince einem Reporter der Washington Post anvertraute. Dieser war dabei, für die Sonntagsausgabe vom 24. April 1994 ein Feature mit dem Titel "Generation Hex" zu schreiben. Er fand Mr. Hince beim Trinken in einer der Bars von Seattle, in denen die Gruppe Nirvana ihren Aufstieg begann. "Wir alle spüren die Monotonie, wir haben alle das Gefühl, daß wir unsere Lebensumstände nicht kontrollieren können", sagte Mr. Hince, offensichtlich nicht nur ein Sprecher seiner Generation, sondern auch für ganz Amerika und vielleicht auch für Fremde aus dem Weltall.

Der Reporter berichtete, "[Hince] habe ein sechsjähriges Studium der Molekularbiologie beendet, sei aber jetzt nach Alaska unterwegs, wo er als Lachsfischer arbeiten wolle. Sein rotgefärbtes Haar fällt ihm fast über die Augen und seine dicken Brillengläser ... ›Es ist nichts weiter als Ambivalenz‹, sagt er. ›Was soll ich eigentlich sein?‹"

Persönlich bin ich der Meinung, daß Bob Hince sich keinerlei Sorgen darüber machen muß, was er sein wird, wenn die Menschen, die für sein sechsjähriges Studium der Molekularbiologie bezahlt haben, ihn in die Finger bekommen. Aber, wie es bei Nirvana heißen würde: "Was soll's." Die ganze Welt ist verfault. Alles stinkt. Niemand hat mich lieb. Jeder haßt mich. Mein Name ist Legion. Ich bin heute abend Ihr Kellner, Hauptgericht sind Würmer.

Warum sind wir so unglücklich? Liegt es an der, wie die Kassandra unter den Gastronomiekritikern, Fran R. Schumer, es nennt, "Anomie", dem Fehlen von moralischen Leitbildern, "verursacht durch den Niedergang von Religion und Gemeinschaftsgefühl und die Anonymität des modernen Lebens"? Aber sicher. Der sonntägliche Kirchgang ist immer eine meiner Lieblingsbeschäftigungen gewesen. Sitzungen des Bauausschusses im Stadtrat waren auch immer eine Wucht. Und war es früher nicht großartig, wie Mutter immer genau wußte, wer im Keller mit einem zusammen war? "Billy, Mary, Patrick, Susan - warum habt ihr das Licht ausgemacht?" Und was soll dieses ganze Gerede von Anomie überhaupt? Wir wissen alle verdammt genau, daß wir keine Ahnung haben, was das Wort eigentlich bedeutet. Wir könnten genausogut sagen, wir litten an Johimbin oder Rigaudon.

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Machen die geringeren Erwartungen uns deprimiert? In den sechziger Jahren erwartete ich so etwas wie ein permanentes Woodstock-Festival - als könnte ich mein Leben lang im Schlamm sitzen, Hasch rauchen, mir über Kopfhörer dufte Musik reinziehen und mit der Tochter einer wohlhabenden Fußpflegerin herumknutschen, die der Meinung war, sie sei von Aliens aus dem Weltall entführt worden. Man zeige mir jemanden, der damals geringere Erwartungen hatte als ich.

Macht uns der Zusammenbruch der Familie mutlos? Wer meine Familie kennengelernt hat, dem kann das nicht passieren. Oder vielleicht macht es uns deprimiert, daß Gott eine Welt erschaffen hat, in der es Böses gibt. Die Wochenenden wären verdammt langweilig, wenn Er es nicht so eingerichtet hätte.

Ja, es gibt Leiden und Not auf der Erde. Vielen Dank, daß ihr alles noch schlimmer macht, ihr Spielverderber. Das Leben scheint sinnlos zu sein. Ist das nicht ein Grund zum Feiern? Und die Welt wird untergehen. Als würden wir ohne Weltuntergang ewig leben. Wird es in hundert Jahren darauf ankommen, ob wir einzeln dahingerafft wurden oder alle auf einmal? Außerdem soll die Welt schon seit langer Zeit untergehen. Es gibt kaum eine Mythologie ohne Götterdämmerung. Der vorletzte Vers des Neuen Testaments läßt Jesus sagen: "Ja, ich komme bald." Und dabei ist er nicht auf die Erde gekommen, um eine Runde zu schwimmen. (Hinweis für Schulkinder: Macht ja eure Mathe-Aufgaben zu Ende. Irgendwie schafft die Welt es nie, unterzugehen, bevor die Hausarbeiten fällig sind.) Außerdem, warum ist das Leben nicht interessanter, wenn die Welt bald untergehen soll? Warum geben sich die Menschen mit ihren Bauchschmerzen und ihrem Kummer ab, statt sich zu besaufen und Orgien zu feiern? Warum habe ich keine Affäre mit Ava Gardner, so wie Gregory Peck in On the Beach?

Angst und Schrecken sind es nicht, die uns aufregen, Entfremdung übrigens auch nicht. Wir winseln, weil es funktioniert. Wer früher in sein Bier weinte, wurde gemieden. Jetzt sieht man solche Leute in Talkshows. Wenn unser Wehklagen furchtbar genug ist, dreht man einen Fernsehfilm über unser Leben. Dann werden Gesetze verabschiedet, damit wir Geld und Sonderparkplätze bekommen. Wir kommen mit miserablen Zeugnissen aufs College, und wir können die Schule wegen Diskriminierung verklagen, wenn wir schwänzen. Der Rektor hat tiefes Mitgefühl mit unserem Schmerz.

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Miesepetrigkeit ist eine gute Ausrede. Wir sind, wie selbst der rosarot angehauchte, nörgelige Boston Globe zugeben muß, "frei, leben in Frieden und in relativem Wohlstand". Wir haben Gelegenheit und die Mittel, fast alles zu tun. Wie kommt es, daß wir es noch nicht getan haben? Wir haben all dieses materielle Wohlergehen, haben Freiheit und Glück dazu, und trotzdem ist uns so mies zumute wie immer - der Bauch wird allmählich schwabbelig, und unser Kreditkartenkonto bewegt sich immer am Limit. Der Job ist sterbenslangweilig. Das Haus ist ein einziges Chaos. Und im Fernsehen gibt es nichts als Wiederholungen. Es ist aber nicht unsere Schuld. Das Leben ist schuld. Die Welt ist ein schrecklicher Ort, und so ist es kein Wunder, daß auch wir nicht viel taugen.

Wir sind alle Genies. Das wissen wir. Aber warum haben wir keine genialen Ideen gehabt, warum haben wir nichts Geniales getan? Irgend etwas Schreckliches muß uns zurückhalten, vielleicht verdrängte Erinnerungen. Wir haben vergessen, daß wir als Kinder von jemandem mißbraucht wurden, den wir liebten. Doch jetzt meldet sich die Erinnerung wieder. Schokolade und Kekse waren nicht das einzige, woran der Weihnachtsmann herumkaute, nachdem er durch den Kamin ins Haus kam.

Wenn wir uns Sorgen machen, macht uns das wichtig. Nehmen wir an. Sie sind ein Mann und schlendern die Straße entlang und pfeifen dabei eine fröhliche Melodie. Die Leute werden Sie einen Dummkopf nennen. Beugen Sie sich aber über den Nachbarn in der U-Bahn und sagen Sie: "Wie können Sie es wagen zu lächeln, solange in Tibet unschuldige Menschen sterben?" Mit einem solchen Verhalten werden Sie sich schnell den Ruf erwerben, ein ernsthafter Mensch zu sein, und außerdem wird man Ihnen sofort einen Sitzplatz anbieten.

Wenn man sich selbst effektvoll in Szene setzen will, sind Tragödien besser als Komödien, wie jeder Teenager weiß. Denken Sie doch nur daran, wie wenig Aufmerksamkeit wir einem Teenie entgegenbringen, der mit einem breiten Lächeln im Gesicht durchs Haus tobt und Geschwister und Eltern mit fröhlichen Worten überschüttet ... Wahrscheinlich würden wir Drogenmißbrauch vermuten und das Kind schnell in die Klinik fahren, um es entgiften zu lassen. Sie verstehen schon, was ich meine. Eine Hauptrolle in Hamlet ist schließlich begehrter als eine im Sommernachtstraum.

Es ist leichter, mit einer düsteren Miene herumzulaufen, als fröhlich zu sein. Jeder kann sagen "Ich habe Krebs" und sich damit über die Menge erheben. Aber wie viele Menschen schaffen es, andere fünf Minuten lang zu unterhalten und zum Lachen zu bringen?

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Außerdem macht es weniger Arbeit, sich Sorgen zu machen, als etwas gegen das zu unternehmen, was einem Sorgen macht. Dies gilt ganz besonders, wenn wir uns dazu das größte nur denkbare Problem auswählen. Jeder möchte die Erde retten; aber wenn es darum geht, Mami beim Abwaschen zu helfen, drücken sich alle.

 

III

So finden wir uns in der Zivilisation des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts mit einer Unzahl schwerer und gewichtiger Sorgen wieder.

Das Außenministerium der Clinton-Regierung hat die Position eines diensthabenden Blockwarts geschaffen, eines "Unterstaatssekretärs für globale Angelegenheiten". Er ist verantwortlich für "weltweite Programme zur Durchsetzung der Menschenrechte, für Umweltfragen, Bevölkerungskontrolle und Drogenbekämpfung". Timothy E. Wirth, Kandidat für diesen trostlosen Posten, sagte vor dem Senatsausschuß für Auswärtige Beziehungen aus. Wirth tönte: "Ein Wachstum, das nur allzu fähig ist, die heutige Weltbevölkerung im Lauf des nächsten Jahrhunderts zu verdoppeln oder gar zu verdreifachen, ist schon heute eine Kraft, die zu heftigen Gewaltausbrüchen und Massenvertreibungen in Gesellschaften ohne Ressourcen beiträgt". Einige der so zustande gekommenen Flüchtlingsströme sind unsere engen Nachbarn. Oh, wenn ich an diese in großer Zahl vertriebenen Bewohner von Nova Scotia denke, die sich vermehren wie Karnickel. "Andere - Flüchtlinge im Wartestand", sagte Wirth, "drängen sich hungrig gegen das Gewebe von sozialer und politischer Stabilität in der ganzen Welt." Und dieser Anzug muß jetzt endlich in die Reinigung.

Überall sehen wir, wie selbst bei alltäglichsten und trivialsten Aspekten des Lebens der besorgte Zeigefinger erhoben wird. Lightning Comics, ein Comic-Verlag in Detroit, hat einen Superhelden geschaffen, Bloodfire, der HIV-positiv ist. Das sollte Lois Lane, die Freundin Supermans, ganz schön abkühlen.

In einem Remake der Fernsehserie Bonanza war der Schurke ein Mann, der auf der Ponderosa Ranch Kohle im Tagebau fördern wollte.

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Bei einer Konferenz in Chicago 1993 veröffentlichte das Parlament der Weltreligionen ein Kommunique mit der Bezeichnung "Für eine weltweite Ethik", in dem es hieß: "Wir müssen die Dominanz von Machtgier, Prestige, Geld und Konsum überwinden, um eine gerechte und friedliche Welt zu schaffen." Eine gerechte und friedliche Welt voller machtloser Nullen, die pleite sind und in leeren Einkaufszentren herumwandern.

Am Tag der Erde 1994 schlug der Nationalrat der Kirchen vor, Protestanten sollten "ihre Umweltsünden beichten": "Wir verbrauchen mehr als den uns zustehenden Anteil an den Ressourcen der Erde Wir sind für die massive Verschmutzung von Erde, Wasser und Luft verantwortlich. Wir kippen unseren Müll achtlos in der Nähe unserer Häuser, Schulen, Kirchen, Arbeits- und Spielplätze ab " (Das ist der Grund, weshalb die Umgebungen von Episkopalkirchen immer die reinen Müllplätze sind.) "Wir vergeuden Ressourcen für Zerstörungstechnologien. Erst kommen Bomben, dann Brot." Und Fran S. Schumer wundert sich über den Verfall der Religion. Ich bekenne mich zwar der Faulheit und der Völlerei schuldig und gestehe auch, das Dienstmädchen meines Nachbarn zu begehren, habe aber noch nie den Wunsch verspürt, meine Farm gegen Atomwaffen einzutauschen.

Es gibt einen Zeichentrickfilm über Captain Planet und die Planeteers. Es geht darum, Sie-wissen-schon-was zu retten. Die Schauspielerin Margot Kidder ist die Stimme von "Gaia, dem Erdgeist". "Ich mache mir wegen der Zukunft meiner Tochter Sorgen um den Planeten" verkündete Mrs. Kidder in einem Interview mit der Chicago Tribüne. Mrs. Kidder sagte, ihre Tochter hätte ihr einmal anvertraut: "Mami, wenn wir erwachsen sind, ist die Welt vielleicht gar nicht mehr da."

In der Mai-Ausgabe 1994 des Comic-Hefts Barbie, das die Abenteuer der gleichnamigen Puppe schildert, gab es eine Geschichte darüber wie Gehörlose diskriminiert werden. Am Ende des Hefts gab es eine Seite, auf der Barbie Unterricht in Zeichensprache gab. Sie zeigte uns die Zeichen für "verschlußlosen BH", "Laß uns einkaufen gehen" und "Brillantarmband von einem männlichen Bewunderer mittleren Alters". Nur ein kleiner Scherz. Barbie zeigte uns die Zeichen für "Freund", "Hallo", "Danke" und solche Dinge.

In der April-Ausgabe 1994 des Washingtonian las ich einen Artikel meines Freundes Andrew Ferguson über "multikulturelle Ausbildung" in Unternehmen. Andy zitierte einen der Ausbilder, dessen Aufgabe es ist, den Kursteilnehmern "Sensitivität" in Fleisch und Blut übergehen zu lassen, was Alter, Rasse, Geschlecht, Behinderungen, sexuelle Orientierung und Küchenspüle angeht, damit die Absolventen später im Wirtschaftsleben Washingtons nicht unangenehm auffallen:

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"Es ist eine Funktion des Kapitalismus, nicht wahr?" sagt der Ausbilder. "Der Kapitalismus braucht Knappheit, um zu funktionieren. Es ist systemimmanent - keine Knappheit, kein Gewinn.
Solche Machtverhältnisse schafft der Kapitalismus. Eine von Männern beherrschte Kultur neigt nicht gerade auf natürliche Weise dazu, Macht zu teilen, oder?"

Dieser Ausbilder, ein Mann, erhielt für seine Bemühungen ein Honorar von zweitausend Dollar pro Tag.

Hier nun meine Lieblingsgeschichte von gequälter Besorgtheit, eine AP-Meldung, die während des Golfkriegs in der saudi-arabischen Zeitung ArabNews erschienen ist. Ich habe sie damals ausgeschnitten und bewahre sie seitdem auf:

Wildhüter und Biologen waren unter denen, die sich im Nordwesten Louisianas fast acht Stunden lang auf einer Farm abmühten, um ein Tier zu retten, das sich in fünfzehn bis achtzehn Meter Höhe in einer Kiefer befand. Sie hielten es für einen Bären. Ein Tierarzt schoß Pfeile mit einem Betäubungsmittel auf das Geschöpf ab, um es so aus dem Baum zu holen. Hilfssheriffs und Wildhüter spannten ein Netz auf, um den Bären damit aufzufangen, wenn die Betäubungsmittel wirkten ... "Die Leute wollten wirklich ... helfen, den Bären schützen und ihn wieder dorthin bringen, wohin er gehörte", wie Norman Gordan sagte, der Eigentümer der Farm ... Erst als der Baum gefällt war ... erkannten die Männer, daß sie einen von Pfeilen durchbohrten Müllsack gerettet hatten.

Einige der Leute, die die oben angerührten Ängste, Nörgeleien und Vorwürfe äußern, sind Amateure: New Age-Propheten, die an alles glauben, nur nicht an Tatsachen, Umwelt-Softies, die der Meinung sind, Labormäuse sollten die Krebslabors leiten, oder von Hasch benebelte Theoretiker, welche die Welt gern so dämlich hätten, wie sie selber es sind. Doch viele dieser übereifrigen Bedenkenträger – der "Ausbilder für multikulturell einwandfreies Verhalten" ist ein erschütterndes Beispiel – sind Profis.

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Professionelle Bedenkenträger machen sich unsere Ängste zunutze. Diese Meister der Frömmelei und Scheinheiligkeit haben ein Programm. Ihnen geht es um die staatlich lizensierte und amtlich abgesegnete Arbeit für ein politisches Ziel, alles in der Haltung des "Ich bin frömmer als du". Und ob diese Händler in Sachen Weltschmerz nun Linke sind (wie meist) oder Rechte (was ebenfalls möglich ist), oder ob sie eine andere und schlimmere Richtung einschlagen (wie etwa religiöse Fundamentalisten), das politische Ziel bleibt immer das gleiche.

Tatsächlich, wenn wir das Wort Politik in seinem weitesten Sinn verwenden, gibt es nur ein politisches Ziel in der Welt. Politik ist das Streben nach Macht und Privilegien, ohne daß man sie verdient. Politiker in diesem Sinn ist jeder, der andere Menschen bittet, einen Teil ihrer Freiheit aufzugeben - ihre Macht und ihre Privilegien -, und zwar an den Staat, die Massen, die Menschheit, den Planeten Erde oder was auch immer. Dieser Staat, diese Massen, diese Menschheit und der Planet werden dann von ... Politikern geführt werden.

Politiker sind ständig auf der Suche nach irgendeiner ernsten Sorge, die einzelne dazu bringt, ihre höchst persönlichen Sorgen und Vorrechte aufzugeben und gemeinsam zu handeln, damit Politiker nach Belieben den Knüppel schwingen können. Immer wieder wird zu einem Kampf auf Leben und Tod aufgerufen (wenn auch nur sinnbildlich - Politiker mögen keine echten Kriege, denn da muß man sich wirklich auszeichnen). Der Grundgedanke ist, daß die Menschen alles stehen und liegen lassen, um einen Dritten Weltkrieg zu beginnen. Erinnern Sie sich noch an den Krieg gegen die Armut? Und daran, wie Jimmy Carter die Amerikaner bat, auf eine Kleinigkeit wie einen Preisanstieg bei Rohöl mit "dem moralischen Äquivalent von Krieg" zu reagieren?" (Was hätten wir denn tun sollen, etwa den Tankwart vor Scham im Boden versinken lassen?) Jetzt kämpfen wir gegen "Umweltverschmutzung", "schlagen eine Schlacht gegen AIDS", "besiegen den Rassismus", und so weiter.

Der "Verbraucheranwalt" Ralph Nader ist ebensosehr ein Politiker wie Senator Robert Packwood, obwohl Ralph nicht so nett mit Damen umgeht. Solche professionellen Bedenkenträger wie Al Gore, Paul Ehrlich, Jeremy Rifkin, Joycely Elders, Barry Commoner, Jesse Jackson und "Captain Planet" wollen unsere Freiheit, nämlich mit der Begründung, sie seien besser als wir. (Es ist Ihnen vielleicht schon aufgefallen, daß Politiker weiser, liebenswürdiger und ehrlicher sind als Sie.)

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Weil Politiker sich so sehr um die Übervölkerung sorgen, um Hungersnöte, ökologische Katastrophen, Rassenhaß, Seuchen und Armut, müssen sie überlegene Menschen sein. Und weil sie sich so sehr sorgen, müssen sie auch Experten sein. (Wie der politisch denkende österreichische Nationalökonom Friedrich Hayek in seinem 1944 erschienenen Buch Der Weg zur Knechtschaft sagte: "Es könnte kaum eine unerträglichere - und irrationalere - Welt geben als eine, in der es den hervorragendsten Spezialisten auf jedem Gebiet erlaubt wäre, ihre Ideale völlig ungehindert zu verwirklichen.")

Die Unterdrückung der Mitmenschen mit Hilfe von Ängsten und Schreckensbildern findet seit der Steinzeit statt. Geldsammler von Greenpeace, die sich über die zunehmende Erwärmung der Erde erregen, sind kaum anders als frühere Stammesälteste in der Frage von Mondfinsternissen. "Oh nein. Night Wolf ißt die Mondjungfrau auf. Gib mir ein Stück Silber, dann sorge ich dafür, daß er sie ausspuckt."

OD: Ich glaube, daß reicht eigentlich. Wir sehen, daß wir O'Rourke bei den "Verschwörungstheoretikern" einordnen können. Letztendlich bei den Leuten, die sich an ihre Pfründe klammern und alles bezweifeln, was sie irgendwie daran hindern könnte. Sicher: Man kann über jeden Menschen lästern: Der große Schwarzenegger hat mit 50 schon schwere Herzoperationen hinter sich; "der Größte" (Ali) ist ein Wrack; Reagan hat Alzheimer; die Amis sind blöd, weil sie sich einen alzheimernden Schauspieler zum Präsidenten wählten; die Engländer sind blöd, weil sie an die "Queen Mum" glauben; alle Gottgläubigen sind sowieso blöd, weil es keinen Gott gibt; usw. usf. --- Ist es wirklich so, daß "Greenpeace" oder andere die "Mitmenschen" mit Hilfe von "Schreckensbildern" "unterdrücken" wollen? Ist es nicht wahr, was im Schwarzbuch der Weltgeschichte steht? - Daß also allerschlimmste Ereignisse eingetroffen sind, ganz unabhängig davon, ob jemand vorher gewarnt hat oder nicht? --- Solche Fragen könnte ich endlos weiterstellen. Die Antwort gebe ich mir selbst - damit keiner sich "unterdrückt" fühlt: Es sind schon derart viele Ereignisse eingetroffen - ob vorausgesagt oder nicht -, daß ich erwarte, daß dies auch weiterhin so sein wird. - Und nun kann sich jeder sein Teil denken! (Anstatt uns um das notwendige Verhältnis zwischen innerer und äußerer Freiheit zu bemühen, sind wir vollständig auf die Freiheit fixiert, welche das Geld uns verschafft. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn wir darauf hoffen könnten, daß dies noch 200 Jahre so weitergehen würde.)

 

IV

Da in diesem Buch nicht unendlich viel Raum zur Verfügung steht, sollten wir jetzt aufhören, uns Sorgen zu machen, und uns statt dessen ansehen, worum wir uns sorgen. Und wir sollten dabei nicht nur einen Blick auf den Kummer werfen, sondern auch auf den Ort, an dem er entsteht, ferner auf den Kontext und die Menschen, die etwas Besorgniserregendes tun oder denen man es antut. Und dabei sollten wir nicht vergessen, daß es sich auch bei diesen Menschen um Menschen handelt, welche Sprache sie auch sprechen mögen, welche Kultur oder Religion sie auch haben, und was immer sie sich durch die Nase ziehen und welchen klein- oder großkalibrigen spitzen Gegenstand sie auf unseren Kopf richten. Sie sind nämlich genauso dumm, biestig und lächerlich wie wir.

Menschliche Probleme sind komplex. Wenn etwas nicht komplex ist, kann es auch nicht problematisch sein. Sehr einfache schlechte Dinge sind nicht würdig, daß wir uns ihretwegen Sorgen machen. Man stirbt, und damit hat es sich. Wenn man andererseits überlebt, begegnet man allen nur denkbaren Rätseln und Ängsten. Das sind die Dinge, denen sich die Menschen in diesem Buch gegenübersehen. Ich gebe zu, mich unter dem umgesehen zu haben, was sie verblüfft und ihnen Sorgen macht. Dabei schweife ich manchmal ab. Doch andererseits scheint auch ein großer Teil des Lebens nicht immer zielgerichtet zu sein.

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Sorge allein ist ziemlich sinnlos. Sich Sorgen zu machen, ist eine futuristische Angelegenheit. Über diese Zukunft hat Sydney Smith vor fast zweihundert Jahren gesagt: "Wir wissen nichts von morgen; unsere Aufgabe ist es, heute gut und glücklich zu sein." Sich zu sorgen, ist ein Akt höchster Ignoranz. Allerdings können wir ein paar Wahrheiten zu diesem Thema erraten. Eine Vermutung ist, daß die Lösungen, die man uns für die üblichen Sorgen anbietet, meist falsch sind.

Wenn wir in den ärmeren Regionen der Welt herumfahren und den Frauen Anti-Baby-Pillen aufzwingen, sie in Abtreibungskliniken bringen und sie mit billigen Kleinigkeiten abspeisen, wenn sie sich sterilisieren lassen, gehen wir davon aus, daß diese Menschen sich Babys nicht so sehr wünschen wie wir, daß sie ihre Kinder nicht so lieb haben werden wie wir unsere und daß kleine gelbe und braune Babys nicht so gut und wertvoll sind wie die anbetungswürdigen und rosigen reichen Kinder. Amerikanische und europäische Kinder wachsen zu wertvollen Staatsbürgern heran. Wenn Kinder in Bangladesch aber groß werden, werden sie nur zu einem Teil des Übervölkerungsproblems. Schließlich kommen in Dakka keine Einsteins zur Welt.

Hungersnöte in der Neuzeit sind entweder das Ergebnis einer absichtlichen Politik (wie etwa in der Ukraine in den dreißiger Jahren oder im Sudan von heute) oder furchtbarer ökonomischer Ideen (wie in Irland in den 1840er Jahren oder in China Ende der fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts). Wenn wir aber den Herrschern eines Landes, in dem eine Hungersnot herrscht (wie etwa in Äthiopien), Nahrungsmittel geben oder Lebensmittel verteilen, damit die Herrscher davon profitieren (wie sie es in Somalia getan haben), erreichen wir damit nur, daß die Macht der Menschen zunimmt, welche die Hungersnot verursacht haben. Anschließend wundern wir uns, daß unsere Lebensmittelspenden dem Hunger in der Welt nicht Einhalt gebieten.

Eine Art zentraler Planung scheint das Ziel der meisten Umweltaktivisten zu sein. Aber warum sollte ein Politbüro bei Pflanzen und Tieren besser funktionieren als bei den Bürgern der früheren Sowjetunion?

* (o.2005:)  Man lese das "Schwarzbuch des Kommunismus" und dann sage man mir, ob dort irgend etwas drinnesteht, was wir uns zum Vorbild nehmen sollten. - Es ist ja gerade nötig, etwas Besseres zu schaffen, als das Gegenwärtige. Also nichts Schlechteres.

Wenn man bestimmten Rassen und ethnischen Gruppen besondere Rechte und Privilegien zugesteht, ist das nicht besser (und auch nicht anders), als wollte man Herzögen und Grafen besondere Vorrechte und Privilegien einräumen. Immerhin sind Adlige auch nur eine Minderheit.

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Wenn wir mit Demonstrationen auf Seuchen reagieren, mit lautem Geschrei auf unsere Aufregung, daß es überhaupt Krankheiten gibt, ist das kein bißchen wirksamer, als würden wir wie in früheren Zeiten Jungfrauen opfern (oder, wie im Fall von AIDS, wenn wir drogenfrei lebende, monogame heterosexuelle Angehörige des Mittelstands in einen Brunnen werfen).

Die Armen der Welt lassen sich nicht reich machen, indem man den Wohlstand umverteilt. Die Armut läßt sich nicht dadurch beseitigen, daß wir die Menschen bestrafen, die der Armut entronnen sind, und deren Geld nehmen, um diejenigen damit zu belohnen, die der Armut nicht entronnen sind. Es funktioniert nicht, wenn man einen ökonomischen Ausgleich schaffen und alles nivellieren will.

Ob wir es nun Marxismus nennen, fortschrittliche Reformen oder Clintonomics, das Ergebnis ist immer das gleiche, ein Abrutschen in die Höllengrube. Die Kommunisten verehren Satan; Sozialisten halten die Verdammnis für ein gutes System, das nur von schlechten Menschen betrieben werde; und Liberale wollen, daß wir alle in die Hölle kommen, weil es dort im Winter warm ist.

Für die ernsten Sorgen, denen die Welt sich heute gegenübersieht, gibt es meist keine Lösungen. Das heißt, es gibt keine Lösungen, die außerhalb unserer selbst liegen. Wir können unseren Kummer nicht mit dem Stimmzettel beseitigen. Oder ihn mit der Post bei unserer Regierung abladen. Wir schaffen es auch nicht, indem wir einer wohltätigen Organisation Geld spenden, Bücher von Umweltaktivisten oder New Age-Propheten lesen und die Internationale singen. Statt dessen müssen wir die undramatischen und oft äußerst langweiligen Pflichten akzeptieren, die uns zu harter Arbeit zwingen, zu Selbstbeherrschung; wir müssen für uns selbst und für unsere Familien und Nachbarn sorgen, liebenswürdig zu allen sein und so viel private Moralität aufbieten, wie wir ertragen können, ohne zu platzen.

Sofern es für unsere Sorgen kollektive Lösungen der Allgemeinheit gibt, sind diese recht einfach. Obwohl sie sich wie viele einfache Dinge (Glaube, Anmut, Liebe, Souffles) nur schwer erreichen lassen. Es war Thomas Robert Malthus selbst, von dem bezweifelt werden darf, daß er der Vater der modernen Bedenkenträger ist, der die folgenden Lösungen in seiner 1803 erschienen revidierten Fassung seines <Versuchs über das Bevölkerungsgesetz> vorschlug:

Das erste große Erfordernis zur Förderung vernünftiger Gewohnheiten ist die absolute Sicherheit des Eigentums; und das nächste ist vielleicht, daß man den Unterschichten durch gleiche Rechte Respektabilität und Bedeutung verleiht und ihnen die Möglichkeit einräumt, bei ihrer Ausgestaltung mitzuwirken. An der Ausbildung der Armen haben wir es in beklagenswerter Weise fehlen lassen, was vielleicht das einzige Mittel ist, ihre Lebensbedingungen wirklich zu verbessern.

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Eigentumsrechte, Herrschaft des Rechts, eine verantwortungsbewußte Regierung und gleiche Bildungschancen für alle: das ist alles, was wir brauchen.

Allerdings hat es bis heute keine Gesellschaft geschafft, diese Erfordernisse voll und ganz zu verwirklichen. Die USA etwa zeigen vor allem bei Punkt vier ein auffälliges Defizit. (Und riesige staatliche Behörden, die alles regeln wollen, sind nicht sehr hilfreich, wenn es darum geht, die Punkte eins bis drei zu verwirklichen.) Dennoch: Wenn wir uns in den Ländern der Welt umsehen, welche die gesellschaftlichen Tugenden Malthus' mehr oder weniger zu verwirklichen trachten, erkennen wir nur ein Minimum der in diesem Buch angesprochenen Sorgen. Und wenn wir sehen, daß es in einem freien, rechtsstaatlichen, demokratischen Land mit einer gebildeten Bevölkerung Unzulänglichkeiten gibt, erleben wir auch, daß man ihnen entgegenzuwirken versucht, soweit es uns sterblichen Menschen möglich ist.

Wir sollten uns also bemühen herauszufinden, was den Menschen Sorge macht, ohne dabei auf die Klageweiber der heutigen Zeit zu achten. Sie hassen die Freiheit und verabscheuen das Individuum. Sie möchten alles politisieren. Stellen Sie sich doch nur vor, Bill Clinton würde Ihr Liebesleben für Sie organisieren. Passen Sie auf, er könnte es eines Tages vielleicht versuchen. Um noch einmal Malthus zu zitieren:

Niemand unterstützt eine Tyrannei erfolgreicher als diese Eiferer, die alles beklagen und die Not der Armen sowie fast alle Übel, denen die Gesellschaft unterworfen ist, den menschlichen Institutionen und der Ungerechtigkeit von Regierungen zuschreiben.

Wir sollten den moralisierenden Schreihälsen das selbstgerechte Grinsen der vermeintlichen Allwissenheit austreiben. Jeder, der eine bessere Vorstellung davon zu haben glaubt, was für die Menschen gut sei, als diese selbst, ist ein Schwein. Geben wir doch den professionellen Bedenkenträgern einmal etwas, was ihnen Sorgen macht. (Hier noch ein Rat an Generation X: Zieht die Hosen hoch, dreht eure Mützen um und sucht euch einen Job.)

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*(d-2005:)  Wenn's bloß so einfach wäre! - Das deutlichste Beispiel für eine "verantwortungsbewußte Regierung" war ja wohl Ronald Reagan, der Schauspieler, der Alzheimer hatte und jeden seiner staatsmännischen Auftritte inszenierte, wie einen seiner Filme und die Gabe hatte, unerwünschte Informationen (Global 2000) schlicht nicht zur Kenntnis zu nehmen. Und die "Herrschaft des Rechts" ist nur so gut, wie "der Gesetzgeber", der sagt, was Recht ist. (Rourke meint hier wohl eher seine Durchsetzung.) Diese Gesetzgeber gehen aus den Bildungsbürger hervor. Usw.- Und wie weit sollen die "Eigentumsrechte" gehen (davon mal abgesehen, daß heute auch mal ganz fix ein Grundstück enteignet wird, wenn es höhere Interessen gibt.)? - Der Kampf um das Wasser resultiert ja daraus, daß jeder meint, er hätte das "Eigentumsrecht".

 

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