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5  Der angemessene Verbrauch 

 

 

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Wahrscheinlich hat kein anderer Einzelfaktor einen so entscheidenden Einfluß auf das menschliche Wesen wie seine Beziehung zum Wasser, das aus den Wolken niederfällt. Es hat immer eine ungeheure Rolle in der Vorstellungswelt des ländlichen Menschen gespielt, obwohl er gewöhnlich keine verstandes­mäßige Haltung dazu einnahm.

Er hat Regengötter eingesetzt und zu ihnen um Beistand gegen die Dürre und gegen die Flut gebetet, für die er oft genug selbst verantwortlich war. Das mangelnde Verständnis des Landmanns hat Millionen Ackerboden verschwendet, katastrophale Senkungen der Ernteerträge verursacht und Über­schwemmungen angerichtet, das Vieh hungern lassen, Wüsten über das Angesicht der Erde gebreitet und die alten Kriege angezettelt.

Unsere Zivilisation wurde aufs Gefährlichste dadurch beeinflußt, daß der ländliche Mensch sich seiner Beziehung zum Regenfall nicht bewußt war. Sein stumpfes Nichtbegreifen hat irrige ökonomische Begriffe geformt, beispielsweise den Glauben, das europäische und amerikanische Ökonomie­system ließe sich auch auf die übrige Welt anwenden; es hat die Ideen über Kolonisation und Emigration verwirrt und den Menschen gegen die Bedeutung des Umfangs und der Verteilung der Städte und Industrien blind gemacht. Er brachte kein Verständnis auf für jene Beschränkungen, die der Turnus der Regenfälle und ihrer Nutzung zwangsläufig mit sich bringt; seine Idee von der Bevölkerung, und infolgedessen auch seine politischen Begriffe verzerrten sich. Selbst das Gebiet der Ethik wurde beeinflußt. 

In all diesen Mißverständnissen keimt vielleicht die verborgene Saat künftiger Kriege; und was das Schlimmste ist: der Zusammenbruch unserer Zivilisation.

 

Der Mensch kann nicht ohne Wasser leben. Sechzig Prozent seines Körpers bestehen aus Wasser, das ständig erneuert werden muß. Seine Nahrung besteht größtenteils aus Wasser; so sind z.B. dreihundert Tonnen Regenwasser nötig, um eine Tonne Getreide wachsen zu lassen. Das ist klar ersichtlich; nicht so ersichtlich ist die Rolle des Wassers in der totalen Umwelt, die das Weiterbestehen des Menschen bestimmt und auf die Entwicklung seiner Sitten und seiner Kultur einwirkt. Noch unklarer ist für die meisten Menschen, wie weit und wodurch ihre eigenen Gewohnheiten die ihnen zugänglichen Wasservorräte beeinflussen, bezüglich der Speicherung angehäufter Rückstände des Waldbodens, des Acker- und Wiesenbodens, der Brunnen, Quellen, Marschen und Seen. Tatsächlich sind viele Aspekte dieser Beziehungen selbst den Naturwissenschaftlern dunkel, die sich damit befassen.

Alles Wasser, das dem Menschen zugänglich ist, stammt vom kondensierten Dunst der Atmosphäre. Ein Teil davon — wie die Feuchtigkeit, die sich auf einem kalten Bierglas bildet — wird direkt auf der Erdoberfläche durch schnelle Abkühlung kondensiert, z.B. der Tau. Ein größerer Teil kondensiert sich in den oberen Atmosphären, wo er in Form von Wolken sichtbar wird.

Diese Verdunstung resultiert natürlich aus einem Absinken der Temperatur, verursacht durch aufsteigende, zusammengepreßte Luft. Zu Zeiten entsteht die Aufwärtsbewegung durch breite Veränderungen großer Luftmassen. Eine kalte Luftmasse keilt sich unter eine wärmere Luftmasse und treibt die wärmere nach oben. Eine warme Luftmasse, die vom Ozean landwärts weht, kann die kalte Luft überrennen und ihre Feuchtigkeit in Niederschläge verwandeln. Oder umgekehrte Strömungen, durch die Hitze der Erdoberfläche gebildet, steigen rapid auf und verursachen die heftigen Gewitter, die wir im Sommer haben, und die in den Tropen das ganze Jahr hindurch charakteristisch sind.

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Jeder Anstieg von dreihundert Fuß verursacht eine Verringerung in der Temperatur um annähernd ein Grad Celsius. Je kälter die Luft ist, um so weniger Feuchtigkeit kann sie halten. Wo Berge die Bewegung der Luftmassen hemmen, zwingen sie die Winde, zu steigen, sich abzukühlen und ihre Feuchtigkeit zu verlieren. Die Bewegungen solcher Luftmassen mit ihren weitgreifenden Wirkungen auf menschliche Wesen waren das Thema des fesselnden Romans "Sturm" von George Stewart, den man geradezu als schmackhafte Einführung in das Verständnis der Meteorologie empfehlen kann.

 

   Der Regengott regiert  

 

Der größte Teil des Wassers, das auf den Erdboden regnet, stammt (durch Verdampfung) aus dem Ozean. Diese Feuchtigkeit beherrscht den hydrologischen Zyklus, die Kreisbewegung des Wassers von der Atmosphäre zum Land und (durch viele verschiedene Prozesse) wieder zurück zur Atmosphäre. Nahe dem Meer und im Wege der einfallenden Winde liegende Gebiete in Westeuropa, im Nordwesten der Vereinigten Staaten und in der Monsunregion Indiens bekommen reichliche Regenfälle. 

Zentralasien, das zwar in der Zone der ostwärtsgerichteten Winde, aber viele hundert Meilen vom Atlantik entfernt liegt, wird zum größten Teil nur von Winden gekreuzt, die ihre Feuchtigkeit bereits verloren haben; dadurch wurde Innerasien zur Wüste. Die Himalayaberge, die sich nach Osten und Westen erstrecken, wirken sich als Damm gegen die Monsunwinde aus. Ebenso wirken unsere eigenen Küstengebirge und die Rocky Mountains, die sich von Norden nach Süden ziehen; sie schaffen in ihrem Windschutz das, was die Geographen einen "Regenschatten" nennen. Das ist ein Gebiet mit geringen Niederschlägen, welches den Hintergrund für das problematische Drama des mittleren Missouritales und der Staubbecken in unseren Hochebenen geschaffen hat.

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Die Pflanzen schwitzen durch die winzigen Poren ihrer Blätter große Mengen aus dem Boden gezogener Feuchtigkeit aus. Die Klimatologen sind sich noch nicht einig über die Wirkung dieser Transpiration auf den Regenfall. In Gebieten, die vom Ozean her durch Luftmassen beflutet werden, ist das wahrscheinlich unwichtig. Wo der ozeanische Regenfall jedoch beschränkt ist, kann man annehmen, daß die Vegetation materiell zum hydrologischen Zyklus beiträgt. Wo Millionen Acker Wald, wie im Amazonasbecken, viele hundert Millionen Tonnen Wasser in die Atmosphäre abgeben, von der sie wieder bewässert werden, muß das Klima feuchter sein als dort, wo der meiste Regen auf trockenen Boden fällt und ins Meer stürzt. Wo die schützende Vegetation fehlt, ist die Hitzeabsorption durch die kahle Erde verstärkt, mit dem Ergebnis, daß die konvektiven Strömungen heftiger sind und der Regenfall noch konzentrierter ist.

Der Regenfall variiert von Ort zu Ort außerordentlich. In manchen Gegenden Indiens ergibt er eine Totalhöhe von vierzig Fuß im Jahr. An der peruanischen Küste, im Regenschatten der Anden, mißt man einen Niederschlag von einem zweihundertfünfzigstel Zoll; mehr als ein Wanderer, der durch windgeschützte Küstentäler zog, traf auf Fußspuren, die zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre alt waren. An der Südseite der Paracasbucht, hundertfünfundzwanzig Meilen südlich von Lima, gruben Indianer vor der Zeit der Eroberer die mysteriösen Zeichen in die Erde, die man allgemein als "Kandelaber" oder "Drei Kreuze" kennt. In den vierhundert Jahren seit der Ankunft Pizarros ist so wenig Regen gefallen, daß diese Erdzeichen anscheinend unverändert sind. In den "roaring forties" (d. i. der stürmische 40. Breitengrad) des südlichen Chile, wo die Winde und der schwere Regen von Westen her kommen, liegt der Regenschatten auf der anderen Seite der Anden und Patagonien ist halbtrocken.

Der Regenfall variiert nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich außerordentlich. Glückliche Gebiete, wie die britischen Inseln, haben Niederschläge, die mit etwa einhundertfünfzig Regentagen gleichmäßig über das ganze Jahr verteilt sind. 

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Diese Verteilung und der geringe Niederschlag von etwa fünfundzwanzig Zoll sind die Hauptursache dafür, daß Westeuropa wenig unter der Bodenerosion gelitten hat. In scharfem Gegensatz zu dieser Regeneinteilung stehen die großen Tropengebiete, die etwa 13% der Landfläche der Erde umfassen,1) wo heiße, trockene Jahreszeiten und ihre äußerst hohe Verdunstung mit konzentrierten Niederschlägen abwechseln, die fast so hoch sind wie die aus Indien berichteten. 

Außer der jährlichen Variation gibt es komplizierte, langfristigere Variationen, welche die Weltgeschichte zutiefst beeinflußt haben; denn sie sind es wahrscheinlich, welche den Anstoß zu den barbarischen Überfällen sowohl auf das alte chinesische Reich wie auf die europäischen Länder gaben. Zyklen von kürzerer Dauer zogen zunächst die Farmer zu unseren großen westlichen Ebenen — und hungerten sie dann aus.

 

    Das allgegenwärtige Leben   

 

Die Natur hat auf diesen ungleichartigen Turnus der Regenfälle mit fast grenzenloser Unterschiedlichkeit und Vitalität geantwortet. Alle bewohnbaren Schlupfwinkel sind von Pflanzen und Tieren belebt, die von ihnen abhängig sind. Wo der Regen reichlich ist, haben sich langsam Wälder entwickelt und haben die Vorherrschaft gewonnen. Wo nicht genug Niederschläge waren, um Bäume aufzubauen, hat die Vegetation ihre Höchststufe im Grasland erreicht. In Gegenden mit noch weniger Regen, wie an der Küste des nördlichen Chile, fehlt die Vegetation absolut; und in der Wüste Gobi oder in unserem eigenen Südwesten ist es den dürreharten Pflanzen (deren Dichtheit im Verhältnis zum verfügbaren Wasser steht) gelungen, einzudringen und weiterzubestehen.

Wie die Pflanzen davon abhängen, daß der Boden ihnen Ankergrund gibt und ihre Wurzeln mit Wasser ernährt und sie mit Mineralien speist, so hängt der Boden wiederum ab von den Pflanzen und den mit ihnen verbundenen Tieren. Manche Grundstoffe des Bodens sind Rohminerale. Das Kohlendioxyd der Luft, mit Wasser verbunden, ätzt die Oberfläche der Felsen weg.

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Der Regen erodiert sie, und der Wind weht winzige Sandkörner daher, die ihre Oberfläche schneiden. Das Wasser sickert in die Felsspalten, friert und sprengt den Felsen. Primitive Pflanzen wie die Flechte ernähren sich von dieser Oberfläche und tun das ihre, um sie wegzufressen. Samen der Bäume fallen in die Ritzen, sprießen, wachsen und reißen oft genug den Felsen auseinander, obwohl sie selbst aus weichen Stoffen bestehen. Die Dichter, die von der "unwandelbaren Erde" und den "zeitlosen Bergen" schreiben, sind keine Geologen; die Erde ist ständiger Wandlung unterworfen, die Berge werden ständig abgetragen, und aus diesem mütterlichen Stoff beginnt sich der Boden zu bilden.

Dies ist jedoch nur ein Anfang. 

Zutreffender als "die unwandelbare Erde" ist das Wort "die lebendige Erde", denn wahrlich, die Erde ist lebendig. 

Primitive Pflanzen helfen sie zu zersetzen und düngen sie mit ihren eigenen verrottenden Körpern. Wird die Erde dann dicker und reicher, so ist es an den höheren Pflanzen, ihren Platz einzunehmen. Sie setzen die Umbildung der unorganischen Stoffe — einschließlich des Kohlendioxyd aus der Luft — in reiche organische Stoffe fort. Mit den Pflanzen in jedem Kubikfuß Boden sind Millionen von Bakterien verbunden — mikroskopische Tiere, Würmer, Krustentiere usw. In Zeitspannen, die mit der Temperatur, dem Regenfall, der Neigung und dem mütterlichen Stoff variieren, wird eine humusreiche Bodenschicht aufgebaut — der A-Horizont.

Es gibt eine Unzahl von Bodenarten, deren jede sich entsprechend ihrer spezifischen Umgebungseinflüsse entwickelt hat, und die hochspezialisiert kultiviert werden müssen, um dem Menschen von größtem Nutzen zu sein. In kühlen Waldgebieten, wo die lösbaren Stoffe durch das vom Himmel fallende Wasser ausgelaugt werden, bildet sich saurer Boden, dem man den allgemeinen Namen Podsol gegeben hat; in den Wäldern der feuchten Tropen bildet sich Lateritboden. In den Grasländern, die sich unter einer geringeren Regenmenge langsamer entwickelt haben, werden die basischen Mineralien nicht ausgelaugt, und die Erde hat die krümelige Struktur, die nach Ansicht der Spezialisten auf die beste Bodenart hindeutet.

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Typische Graslandböden werden "Chernozeme" genannt. "Podsol" und "Chernozem" kommt natürlich aus dem Russischen, denn die Pionierarbeit auf dem Gebiete der Bodenforschung haben die russischen Wissenschaftler geleistet. Eine andere weit verbreitete Bodenart ist der Löß, ein ungewöhnlich feiner, pulvriger Boden, den der Wind mitgebracht hat. Er ist hochempfindlich gegen Winderosion. Ausgefallene Beispiele der Zerstörung dieser Bodenart kann man in den großen Lößbetten des nordwestlichen China sehen.

Zusammensetzung und Vorkommen dieser lebenden wie toten Bodenstoffe hängt von ihrer geographischen Verteilung, ihrem Neigungswinkel, ihrer Fauna und Flora, dem Klima usw. ab.

 

    Das lebendige Gewebe   

 

Die verschiedenen Bodenarten sind durch viele dazwischenspielende Faktoren bedingt, ebenso die Gestalt, die das Leben auf ihnen annimmt. Die Zwischen­beziehungen dieser Faktoren sind dynamisch, nicht statisch. Es ist ein System von Druck und Spannung entstanden, und das ökologische Gleichgewicht ist für lange Zeit erreicht. In jedem Gebiet beeinflussen Pflanzen und Tiere selbst die totale Umwelt und somit das Gleichgewicht. Große Scharen von Wiederkäuern, wie der amerikanische Bison und die Wildherden Afrikas, können dazu dienen, in der Übergangszone zwischen Gegenden von hoher und niedriger Feuchtigkeit den Wald zurückzuhalten.

Eins der interessantesten Beispiele dieser Beziehungen wird aus Schottland berichtet.2) Um das Jahr 1892 hatten sich einige wenige schwarzköpfige Möwen in einem für Birkhühner typischen Moor eingenistet und vermehrten sich innerhalb von fünfzehn Jahren bis auf fünfzehnhundert Paar. Der Vogelmist und das Niedertreten der Vegetation veränderten nach und nach die Umgebung, und Sauerampfer und Binsen verdrängten das Heidekraut.

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Wasserpfuhle bildeten sich in der verschlammten Vegetation. Europäische Krickenten gesellten sich den Möwen zu, und bald gab es keine Birkhühner mehr. Deshalb hörte man auf, das Moor als geschütztes Gebiet zu behandeln, und schon begannen die Möwenscharen abzunehmen, und zwanzig Jahre nach der Bildung der Möwenkolonie waren nur noch etwa zwanzig oder dreißig da. Nun wanderten Heidekraut und ihm verwandte Pflanzen wieder in das Gebiet ein, das jetzt zum zweitemal ein gutes Birkhuhngebiet wurde.

Innerhalb einer jeden Umgebung finden ständige Veränderungen in der Pflanzen- und Tierwelt statt. Veränderungen, die sich der Gesamtumgebung gut anpassen, bleiben bestehen; die sich nicht gut anpassenden verderben. Die ständige Vegetation, die daraus hervorgeht, ist als Klimax bekannt. Der Klimax, die Höchststufe des Graslandes der mittleren Vereinigten Staaten, entwickelte sich vor zwanzig oder dreißig Millionen Jahren, als das Emporheben der Rocky Mountains das Klima des Gebietes veränderte3.

Andere Höchststufen in den nördlichen Hemisphären sind die Tundra, der Wald, die Waldlandschaft und der Busch. Diese haben durch Millionen von Jahren existiert und werden vermutlich weiter existieren, bis ein größerer klimatischer Wechsel stattfindet. Der Mensch kann sie durch Abbrennen, Niederschlagen, Senken des Wasserspiegels zerstören, wo aber einmal diese Einflüsse aufhören (sei es durch die Errichtung von Schutzgebieten oder durch das Verschwinden der menschlichen Bevölkerung), werden sich diese Höchststufen wieder entwickeln. Ein drastisches aber wirksames Mittel, die Wälder und Grasländer der Erde wiederherzustellen, wäre die Bakterienkriegführung großen Stils.

Die erforderliche Zeit zur Wiederherstellung der Höchststufe würde von der Ausdehnung und Härte der Zerstörung in Verbindung mit den örtlichen Bedingungen abhängen. Die Entwicklung dieser Höchststufe würde eine Reihe von ziemlich regelmäßigen Wandlungen oder Folgen durchlaufen. 

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Zum Beispiel: Auf die Abholzung und Verbrennung folgte zunächst eine Invasion von Farnkraut, Brombeere und Weidenröschen, die bald durch Birke, Pappel und Espe beherrscht würden, die wiederum den höheren Formen von Bäumen weichen müßten. Die wertvolle Douglastanne stellt den Subklimax dar und könnte durch Brand und Holzen erhalten werden; ungestört würde sie bald durch Zeder und Sprossentanne verdrängt.

Innerhalb dieser Höchststufen finden Assoziationen der Pflanzen statt, die nach der dominierenden Art genannt werden, wie "Buchen-Ahorn-" und "Eichen-Hickorywälder". Man findet Reihenfolgen sogar in ungestörten Höchststufengebieten, wo die variierende Topographie die örtlichen Bedingungen ändert. In trockenem Land kann die Reihenfolge mit bodenbildenden Flechten auf großen Felsen anfangen. Im Ubergangsstadium von Wasser zu trockenem Land werden die Veränderungen noch sichtbarer: den Unterwasseralgenfolgen die schwimmendenFormen (Wasserlilien), dann Bambus und Binse am Rande des Wassers, Riedgras, Minzen und Gräser am Rande des Landes; wasserliebende Bäume wie Weiden, und endlich die Höchststufe, der Wald. Da die Teiche dazu neigen, sich mit erodierendem Boden und verrottenden Pflanzen zu füllen, werden sie allmählich immer trockener und bereiten den Weg für Pflanzenassoziationen, die der Höchststufe schon näher kommen. Genau wie der Mensch kommt auch die Landschaft von der Kindheit durch die Jugend zur Reife.

Die einmal gestörte Vegetation neigt so stark dazu, zu den Höchststufen zurückzukehren, daß sie oft die Anstrengungen des Menschen, andere Pflanzen anzubauen, zunichte macht. Ein Beispiel von beträchtlicher wirtschaftlicher Wichtigkeit kann man im südlichen Chile finden, wo die Brombeere ein eingeführter und unerwünschter Fremdling ist, aber wuchert und dazu neigt, die Weiden und das kultivierte Land zu überrennen. Seit Jahrzehnten haben die Chilenen versucht, sie durch Niederbrennen zu kontrollieren, ohne zu wissen, daß in ihrer nördlichen Heimat die Brombeere normalerweise nach jedem Waldbrand in Erscheinung tritt. Das Verbrennen schafft günstige Bedingungen für sie. 

Das ist nur eins von tausend Beispielen für den Wert des Verständnisses der Pflanzenökologie. In den Tropen sind reine oder fast reine Baumbestände — für das gemäßigte Klima charakteristisch — etwas Ungewöhnliches. In den Amazonaswäldern zum Beispiel findet man oft mehrere hundert Baumarten auf einer einzigen Quadratmeile. Die Gründe dafür scheinen unbekannt zu sein.

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   Der "goldene Schnitt" der Erde   

 

Die vegetative Höchststufe wird — wie in einer demokratischen Gemeinschaft — durch ein System von fördernden und hemmenden Faktoren aufrechterhalten. Wenn eine eingeborene Spezies dazu neigt, sich unverhältnismäßig zu vermehren, so tritt irgendeine hemmende Macht in Erscheinung. Es kann Krankheit oder Hunger sein, oder der Kampf ums Licht, oder eine Vermehrung der natürlichen Feinde, denen die Spezies zur Beute fällt, und dgl. mehr.

Wo der Mensch eine neue Spezies in eine Umgebung bringt, der die natürlichen Widerstände fehlen, kommt sie leicht ins Wuchern. Ein nur zu wohlbekanntes Beispiel in Nordamerika ist der Star. Er hat die Nistplätze unserer heimischen Vögel besetzt und seine räuberischen Scharen vertilgen in wenigen Stunden, was andernfalls für unsere heimischen Vogelvölker eine angemessene Winternahrung bedeuten würde. Als man den Star nach Neuseeland brachte, entwickelte er nicht nur sich selbst zur Landplage, sondern wurde auch der wirksamste Verbreiter der Brombeere, einer der schlimmsten Plagen, die dieses mißbrauchte Land kennt. Die Feldlerche, die Shelleys Hymnen so beredt preisen, wurde ein Ärgernis ersten Ranges, als man sie nach Neuseeland brachte. Ein anderes Beispiel ist die Feigendistel; nachdem sie in Australien eingeführt war, gedieh sie so gut, daß sie sich eine Zeitlang mit einer Stundengeschwindigkeit von drei Acker pro Stunde ausbreitete!

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Das Kaninchen, für dessen Vermehrung die Wildkommissionen in den Vereinigten Staaten Tausende von Dollars ausgaben, ist die Hauptplage Australiens, weil man dort sein Überhandnehmen nicht eindämmen kann; es fehlen die Raubtiere, die es normalerweise dezimieren. Neuseeland zahlt tatsächlich eine Prämie auf ehemals eingeführtes Rotwild und hat auf diese Art mit Hunderttausenden von Tieren aufgeräumt.

In den Vereinigten Staaten findet man ein vergleichbares Problem; dort hat die Zunahme der Nachwuchswälder, die der Zerstörung der Höchststufe und dem Verlassen des Farmlandes folgte, zusammen mit der Ausrottung der Raubtiere (wie der Berglöwen), in manchen Staaten eine so unmäßige Vermehrung des Rotwildes nach sich gezogen, daß es die Gebiete restlos zerstört, von denen sein Weiterbestehen abhängt.

Wie berichtet wird, werden Wisconsins ausgezeichnete Gesetze zur Wiederherstellung des Waldreichtums durch das zu zahlreiche Wild zunichte gemacht; denn die Wildmenge wird beibehalten, weil man sich sentimentalerweise scheut, ein weibliches Tier zu töten und weil man im Interesse der Touristen große Vorräte von frischem Wildfleisch für gutzahlende Gäste zur Verfügung haben will. Im Kaibabwald am Nordrande des Grand Canyon folgte den durchgreifenden Regierungsmaßregeln zur Raubtiervernichtung ein Anwachsen der Maultierhirsch-Herden von viertausend auf hunderttausend Stück in vierzehn Jahren. Nach der Abweidung aller erreichbaren Baumschößlinge verringerte sich die Herde durch Hunger innerhalb von zwei Jahren um 60%.

Als ich 1943 mit Dr. Shantz das Gebiet besuchte, war es noch nicht völlig wiederhergestellt und seine Ertragsfähigkeit liegt wahrscheinlich noch tiefer als 1910. Es ist vielleicht das markanteste und bekannteste Beispiel von Überhandnahme und planmäßiger Ausgleichung, aber es hat sich weniger dramatisch zweifellos in vielen Teilen unseres Landes wiederholt.(3) Eine solche Naturerscheinung sollte das menschliche Tier nachdenklich machen.

Dies alles sind jedoch abnorme Fälle; unter natürlichen Bedingungen nehmen die Zahlen nicht überhand — wenigstens nicht für lange. Die maximale Produktionskapazität eines Landstriches, der sich im biologischen Gleichgewicht befindet, wird durch die örtlichen Gegebenheiten bestimmt. Einschränkende Faktoren treten in Kraft, um die Zahlen zu reduzieren. In der Natur ist der Tod ebenso wichtig wie die Geburt. Das ist eine Tatsache, die der Mensch nur zu gerne vergißt, wenn er die fadenscheinige Illusion seiner Unabhängigkeit von der Natur entwickelt. 

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   Die Gemeinschaft der Pflanzen  

 

Der Höchststufe geht eine Reihe von Unterhöchststufen voran. Unter primitiven Bedingungen haben ihnen vielleicht natürliche Katastrophen den Weg bereitet — Eiszeit, Überschwemmungen, Vulkanausbrüche, Feuerbrünste durch Gewitter, Bodenrutsche durch Erdbeben. Die Eruption des Vulkans Krakatao im Jahre 1883 bot den Menschen eine der dramatischsten Gelegenheiten, die Reihenfolge des Subklimax zu studieren. Sie vernichtete alles Leben auf der Insel. Innerhalb von drei Jahren fingen die Algen an, den Boden für das Wachstum höherer Pflanzen vorzubereiten. Sechs Jahre nach der Eruption setzte man eine Eidechse aus, und sie ernährte sich von einer beträchtlichen Menge verschiedener Insekten. Knapp vierzig Jahre nach der Katastrophe war die Insel wieder mit fast sechshundert Tierarten bevölkert.5

Ähnliche Naturerscheinungen findet man bei manchen Lawaflüssen im vulkanischen Gürtel beider Amerikas. Weniger beschränkt in ihrer Verbreitung als die Pflanzen sind die Tiere; sie sind beweglicher und die meisten bestehen weiter, weil sie von der verschiedensten Nahrung leben können. Viele Insekten jedoch findet man nur auf einer besonderen Pflanzenart. Ein Singvogel, die Kirtland-Meise, die nur auf der tiefgelegenen Halbinsel Michigan nistet, ist ein merkwürdiges und interessantes Beispiel der sogenannten subklimatischen Spezies. Man findet sie nur in einem bestimmten Stadium der Fichtenwälder, während sie sich nach dem Abbrennen wieder aufbauen. Würden alle Waldbrände in Michigan aufhören, so würde der Vogel wahrscheinlich verschwinden.

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Innerhalb der verschiedenen Pflanzenassoziationen halten die Tiere an bestimmten Nahrungsfolgen fest. Diese müssen natürlich mit der Vegetation beginnen, da die Tiere (abgesehen von wenigen mikroskopischen Formen) nicht fähig sind, ihre eigene Nahrung zu synthetisieren; viele dieser Kettenfolgen sind bekannt. Eine Schwarzmeise zum Beispiel ernährt sich von Blattläusen, wird wiederum vom Käuzchen gefressen, und das Käuzchen fällt der größeren Höhleneule zur Beute. Die Antilope frißt Gras und wird vom Kojoten vertilgt. Eine solche Nahrungskette vom peruanischen Küstengebiet finden wir auf Tafel 6.

Der Begriff "Nahrungsfolge" oder "Nahrungskette" hat zu einer anderen Idee geführt, die im ökologischen Denken sehr wichtig ist — die Idee der Zahlenpyramide. Jedes Tier, das sich von einer anderen, niedrigeren Spezies ernährt (niedriger in der Nahrungskette), muß sich eine Art suchen, die zahlreicher und gewöhnlich auch kleiner ist als das Tier selbst. Es gehört eine riesige Zahl von Feldmäusen dazu, die viel weniger zahlreiche Familie der Habichte und Eulen zu ernähren. Große Wildfamilien sind nötig, um das viel kleinere Volk der Berglöwen zu erhalten. Und eine ungeheuerliche Zahl von Pflanzen ist erforderlich, um den Pflanzenfressern als Nahrung zu dienen.

Um die Anzahl der Tiere im Gleichgewicht zu halten, sind vier Faktoren wichtig. Der erste ist das Raubtiertum, sowohl innerhalb der einzelnen wie zwischen den verschiedenen Arten. Die gemeine Eidechse (Tropidurus) auf den peruanischen Inseln frißt tatsächlich ihre eigenen Jungen. Das ist wahrscheinlich eine der ältesten Formen des Kindesmords. Ein zweiter Faktor ist das Parasitentum, ein Raubtiertum in anderer Form, das auf der umgekehrten Zahlenpyramide beruht.

Ein drittes ist der Wettbewerb. 

Wenn die Tiere ihre Gleichgewichtszahlen überschreiten, neigen sie dazu, ihre Nahrungsquellen zu zerstören und treten in scharfen Wettbewerb um Nahrungsgebiete und Obdach. Daraus ergibt sich entwedereine direkte Sterblichkeit oder eine verringerte Geburtenquote. Ein Beispiel dafür ist die ungeheure Anzahl von Guanovögeln an der peruanischen Küste. Ihre Zahlen ändern sich in etwa siebenjährigen Zyklen; sobald sie den Höhepunkt erreichen, ist buchstäblich auf den Inseln nicht mehr genügend geeigneter Raum für sie. Ihr Wettbewerb wirkt sich aus — sie brechen ihre Nester ab und verlassen Tausende von Eiern.

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Schließlich sind die Zahlen durch den sogenannten psychologischen Faktor beschränkt. 

Durch das instinktive System niederer Tiere — obwohl sie dem Menschen in der Selbsterhaltungskunst weit überlegen sind — hat manche Spezies einen besonderen Sinn für räumlichen Besitz, der die Übervölkerung ausschließt. Die meisten männlichen Singvögel nehmen im Frühling, sobald sie das Brutgebiet erreichen, ein Territorium in Besitz, das sie durch ihren Gesang und ihre Spiele förmlich bekanntgeben und durch Kampf verteidigen. Die Beobachtung zweier Singsperlinge in angrenzenden Gebieten bewies dramatisch die Macht dieses psychologischen Triebes. Wenn der Vogel A sich in das Territorium des Vogels B begab, wurde er regelmäßig vertrieben, und ebenso umgekehrt. Als man ihn jedoch fing, einsperrte und im Käfig, aus dem er nicht entfliehen konnte, in das Gebiet von B hängte, starb er — offenbar aus Angst, da er vom Besitzer dieses Gebietes bedroht wurde. Vor einigen Jahren habe ich selber in Gebieten, die von ihrem "Besitzer" verteidigt wurden, Versuche mit ausgestopften Vögeln — Meisen und Gelbkehlchen — angestellt; sie wurden von ihren lebendigen ,Rivalen' buchstäblich in Stücke gerissen.

Weiterhin werden die Zahlen innerhalb der Pflanzen- und Tierwelt durch eine große Menge beschränkender Faktoren in Schach gehalten. Wir haben sie in gewissem Ausmaße bereits in bezug auf den Menschen diskutiert und es genügt jetzt, hier nur einige dieser Beschränkungen zu erwähnen, um ihre Kontrolle über die Pflanzen und die niederen Tiere zu zeigen. Die chilenische Nationalblume, die Copihue, entfaltet ihre auserlesen schönen Blüten in den südlichen Urwäldern vom mittleren Südchile bis zur Magellanstraße. Der Boden, auf dem sie lebt, ist sauer und durch schwere Regenfälle stark mit Flechten bewachsen.

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Dr. D. S. Bullock aus Angol, der die schönste Copihue-Sammlung der Welt besitzt, war wahrscheinlich nicht überrascht durch die Entdeckung, daß sie nicht die geringste Spur von Kalk im Boden vertragen. Die umgekehrten Bedingungen fand man bei den Versuchen, Wollhandkrabben künstlich in gewisse Flüsse zu verpflanzen; es mißlang vollkommen, weil das Wasser ungenügend Kalzium enthielt, das diese Krustentiere zur Entwicklung ihrer "Schale" brauchen. Die winzige Zwergeule unseres Westens hängt nicht nur von einem großen Kaktus ab, in dem sie nistet, sondern auch von zwei Spechtarten, die das Nistloch für sie aushöhlen! Wo es diese Spechte nicht gibt, kann die Eule nicht bestehen.

Die Wichtigkeit des Todes

Die Produktivität des Landes — das heißt das biotische Potential in Beziehung zur Menge der umgebungsmäßigen Widerstände im gesamten Tier- und Pflanzenreich — ergibt eine außerordentlich unterschiedliche Ertragsfähigkeit. Sie ist nicht nur für jedes Gebiet anders — ein Gebiet kann in diesem Zusammenhang so klein wie ein Quadratfuß sein — sondern auch für jede Spezies.

Die Fähigkeit des primitiven Menschen, weiterzubestehen, war nicht viel anders als die des niederen Tieres. Er paßte sich in vielerlei Art an. Im größten Teil Nordamerikas betrieb er eine Jagdkultur, die seine Umgebung nur wenig veränderte, außer an den Stellen, wo er sich des Feuers bediente, um das Wild zusammenzutreiben und dadurch seine Jagdmöglichkeiten zu verbessern. Die Indianerbevölkerung Ohios überstieg kaum einen Menschen auf vier Quadratmeilen.(6) In Malaiisch-Semang braucht jeder wandernde Stamm fünfzehn oder zwanzig Quadratmeilen Wald; "das Territorium einer Gruppe australischer Abkömmlinge umschließt ungefähr achttausend bis zehntausend Quadratmeilen trockenen Landes."(7) In manchen Teilen der Welt, besonders in den Tropen, nahm der Mensch damals seine Zuflucht zu einer beweglichen Agrikultur, die seine Umgebung zutiefst veränderte.

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Trotzdem war das Waldgebiet, das er auf einmal niederschlagen oder niederbrennen konnte, begrenzt. Vom Gesichtspunkt des rassischen Bestehens aus besaß er den unschätzbaren Vorteil der hohen Todesraten, die seine Vermehrung hintanhielten. Dadurch entstanden für den Boden lange Perioden des Brachliegens bis zu dreißig und vierzig Jahren. Nur in sehr wenigen Gebieten, wo der primitive Mensch einen hohen Grad von Sozialisierung erreichte, wurde die Pflanzendecke überhaupt gestört.

Das Resultat davon war, daß die Beziehung vom Wasser zum Land unter primitiven Bedingungen stabilisiert wurde. Der Boden brachte das Maximum an Pflanzendecke hervor, das seine eigene Struktur, die chemische Zusammensetzung, das Klima usw. erlaubten. Steile Hänge, wie die Vulkane sie bildeten, wurden gradweise durch geologische Erosien abgetragen. Viel langsamer war die Erosionsrate bei älteren, weniger steilen Hängen, wie man sie in den laurentinischen Bergen Nordamerikas findet. Die Vegetation bildete den Boden, und seine Formation wog reichlich die geologische Erosion auf, wenn die Hänge nicht den Winkel des Ruhezustandes überschritten.

Jede Substanz hat ihren eigenen Winkel. Ein feiner Gesichtspuder hat einen steileren Ruhewinkel als körniger Zucker, der wiederum einen steileren Winkel hat als eine Handvoll Murmeln. Beim Boden wird dieser Winkel natürlich stark durch das Wurzelnetz, das den Boden bindet, und ebenso durch biotische Einflüsse wie wühlende Tiere beeinflußt.

Ehe der Mensch "zivilisiert" wurde, erhielt sich seine Umgebung selbst in relativ stabilem Gleichgewicht, und zwar während außerordentlich langer Perioden. In der stabilisierten Landschaft sieht der Ökologe wie der Geograph eine wunderschöne Harmonie, die vieles mit der Symphonie gemeinsam hat. Es gibt dominante und wiederholte Themen, Bewegungen (Sätze), die natürlich ineinander übergehen, glänzende und feine Gegensätze in Phrase und Ton. 

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Die peruanischen Anden hoch über der Waldgrenze — wo für jeden Beobachter, der sehen will, die weite und uralte Bewegung der Erdkruste wie ein klarer Bericht vor seinen Augen ausgebreitet liegt — sind so majestätisch, so ehrfurchtgebietend, daß es mir immer schien, man könne sie nur in Begriffen der Neunten Symphonie von Beethoven schildern. Selbst die erhabenen Worte des "Verlorenen Paradieses" sind zu nichtige Symbole, um sie auf eine Macht anzuwenden, die unfaßbar ist.

Die Beziehungen, die einander aufwiegen und dadurcli natürlich auseinander hervorwachsen, geben jeder Landschaf feinen eigenen Charakter und schreiben ihre Geschichte auf ihr nieder. Und dem Ökologen — dem Amateur wie dem Fachmann — gewährt das Verständnis für diesen .Inhalt der Landschaft' eine tiefe Befriedigung. Während viele Menschen durch eine Gegend fahren oder sie betrachten, ohne mehr Verständnis dafür aufzubringen als der Ochse auf dem Feld, findet der Naturforscher, wohin er auch blickt, Sinn und Anregung. Er weiß die Fülle und die Vollkommenheit zu schätzen, wie ein Künstler ein Gemälde; ihn kränkt die Zerstörung eines einzelnen Elementes der Landschaft — ob es ein seltener Specht oder eine edle Tannenart ist — nicht weniger, als einen Franzosen die Zerstörung der Mona Lisa kränken würde.

 

   Das Verständnis wird belohnt  

 Die rein geistige und gefühlsmäßige Befriedigung und Beglückung, die aus dem Verständnis — dem richtigen Sehen — der Landschaft erwächst, ist eine Begünstigung, die jedermann zugänglich ist. Es ist geradezu ein Raub an uns, daß unsere Schulen uns nicht schon den richtigen Weg dazu zeigen; sie berauben uns nicht nur eines großen und lebenslänglichen Gnadengeschenkes, sondern auch des Verständnisses, das all unsere Beziehungen zu unserer natürlichen Umwelt beherrschen sollte. Den wenigen Glücklichen, die mit Lehrern wie Homer L. Shantz, Aldo Leopold und Isaiah Bowmann unterwegs waren, gibt das Leben mehr als nur Anregung und Befriedigung; sie werden zu wirklich nützlichen Bürgern einer Welt, der solche Bürger verzweifelt not tun. 

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Denn wenn wir unsere Wünsche und Sitten nicht baldigst dem Begriff von Bodenbegrenzung und -möglichkeiten anpassen, wird das Menschengeschlecht so unsägliche Mühsal erdulden müssen, wie es sie nie gekannt hat.

Der Mensch ist der einzige lebende Organismus, der durch die Zerstörung einer Umwelt lebt, die zu seinem Weiterbestehen unentbehrlich ist. Auch die Parasiten neigen dazu; aber ihre zerstörerische Wirksamkeit ist durch ihre fehlende Intelligenz begrenzt. Der Mensch jedoch braucht seinen Verstand dazu, niederzureißen. Nur in seltenen — geographischen oder historischen — Fällen hat er gelernt, zu stabilisieren oder wieder aufzubauen. Und je "fortschrittlicher" er ist, um so zerstörerischer wird er vermutlich werden.

 

   Der gestörte Kreislauf   

Der schädlichste Aufprall des zivilisierten Menschen auf seine Umwelt ist die Erschütterung des hydrologischen Kreislaufs. Es ist möglich, daß dadurch die fallenden Wassermengen verringert werden, und es ist gewiß, daß bis zu einem bedenklichen Ausmaß auch die Wassermengen verringert werden, die dem Menschen überhaupt zugänglich sind.

Der erste Schritt zur Störung des hydrologischen Kreislaufs ist die Vernichtung der Pflanzendecke. Wir vernichten sie — mit der Axt, mit Feuer, mit weidenden Tieren, mit dem Pflug usw. Wenn die Bäume und das Gras fort sind beginnt die Schutzdecke der Pflanzenrückstände (altes Laub, Gras usw.) auf der Oberfläche des Bodens zu verschwinden. Das kann durch übermäßige Oxydation entstehen oder durch hohe Temperaturen oder auch, weil der Boden in den Tropen der Sonne zu schutzlos ausgesetzt ist. Vielleicht auch durch die ungebrochene Kraft austrocknender Winde. Oder durch nicht eindämmbares Feuer, wenn einmal diese Schutzschicht durch und durch trocken ist. Meistens wird sie jedoch von konzentrierten Regengüssen weggewaschen.

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Der nächste Schritt ist das Weggewaschen- oder Weggewehtwerden der Oberschicht des Bodens selbst. Wo Wasser die treibende Kraft ist, wird der Verlust natürlich am schnellsten auf den Steilhängen einsetzen. Diese Erosion kann fast unmerklich vor sich gehen, da große Flächen weggewaschen werden. Gewöhnlich geht ihr die Furchenerosion voraus; die Furchen vertiefen sich zu stark ausgeprägten und leicht sichtbaren Rinnen.

Ein wichtiger Faktor bei der Erosion ist die Wandlung in der Bodenstruktur; viele Forscher halten ihn überhaupt für den wichtigsten. Der ideale Boden, wie man ihn in der Prärie findet, ist krümelig. Dieser Boden ist höchst luftdurchlässig, leicht von den Wurzeln zu durchdringen, bietet ideale Bedingungen für die Bodenfauna und ein Höchstmaß an Durchlässigkeit für Regenwasser. 

Wenn die Erdkrumen zerbrochen werden — wie durch ungeeignete Anbaumethoden und Zerstörung der organischen Stoffe —, ballt sich der Boden zusammen, wird undurchlässiger und verliert seine krümelige Eigenheit. Wenn die Zwischenräume im Boden kleiner werden, füllt sie der schwere Regen schnell mit Wasser und mit festen Stoffen. Die Einsickerung des Regenwassers in den Boden wird verringert, und der niederfallende Regen fängt an, sich die Oberfläche der Hänge hinabzubewegen, indem er feine Teilchen mit sich fortträgt. Der Untergrund, dem Humus, Pflanzen und Tiere fehlen, ist nahezu wasserundurchlässig, und seine wenigen Poren werden rasch verstopft. Dies ist die Ursache dafür, daß die Kontrolle immer schwerer wird, je weiter die Erosion fortschreitet. Der Forscher, der sie bekämpfen will, hat hier ein weit schwierigeres Feld für seine Betätigung. 

Eine der mächtigsten Kräfte, welche die Einsickerung, das Ablaufen und damit die Bodenerosion beeinflussen, ist der Anbau landwirtschaftlicher Fruchtfolgen an Stelle der natürlichen Pflanzen. Reihenfeldfrüchte wie die Sojabohne, Baumwolle, Mais — einschließlich Hybridkorn — und Tabak bringen 100% mehr Bodenverlust mit sich als Waldland, Wald und ungestörte Prärie; und kleine Halmfrüchte wie Weizen, Hafer, Gerste und Roggen sechzehn- bis vierzigmal so viel. Auf Tabelle 1 (8) finden wir die Beziehungen zwischen Erosion und Anbaupraktiken verzeichnet. 

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Tabelle 1
Relative Erosionsmenge unter verschiedenen Pflanzendecken; es sind Werte ausgewählt, die auf den pazifischen Nordwesten anwendbar sind.

Anbaufrucht und Anbaupraktiken 

Relative Erosion 

   

Wald und Waldland  

0,001-1,0

Weiden in feuchtem Gebiet oder bewässert, in bester Qualität 

0,001-1,0

Weiden oder angesäte Wiesen in mittlerer Qualität 

1-5

Weiden oder angesäte Wiesen in schlechter Qualität 

5-10

Obstgärten a) mit perennierender Decke b) terrassiert, mit Winteranbau

5

Kleewiesen 

5

Hochwertiger Weizen, sachgemäß angebaut 

5

Alfalfa 

10

Getreide vor dem Schnitt oder als Stoppel 

10

Weizenbrache, Stoppel verrottet  

10

Obstgärten, Weinberge, gut behackt, bewässert, Reliefanbau, unterrassiert  

15

Obstgärten, Weinberge, nicht bewässert, mit Bodenfrucht  

20

Gemenge, Stoppel nicht abgebrannt 

20

Getreide, ungünstiger Regen bei oder nach der Aussaat 

40

Weizenbrache, Stoppel nicht verbrannt 

60

Weizenbrache, Stoppel verbrannt 

75

Obstgärten, Weinberge, nicht bewässert, behackt, ohne Bodenfrucht 

90

Reihenanpflanzung und Brache 

100

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Beim Lesen dieser Tabelle muß man ständig berücksichtigen, daß mit der Erosion die sich verringernde Fähigkeit zur Wasserabsorption Hand in Hand geht. Ich glaube, daß der Mais, weil er die Bodenerosion um das Hundertfache steigert, sicher zur Notlage der Welt mehr beigetragen hat als das andere große Geschenk der beiden Amerika, die Syphilis. Der Mais hat seinen Ring um die Erde gezogen und wo immer er hinkam, hat er den Boden heruntergebracht und den menschlichen Hunger dadurch gesteigert, daß er die Bevölkerungszahl anwachsen ließ. Von Kapstadt bis Korea, besonders auf den Berghängen rückständiger und unglücklicher Völker, hat er Kanäle für das Regenwasser geschaffen, durch die es rapid zum Meer ablaufen konnte. 

Die Syphilis sucht die Kinder heim bis ins dritte und vierte Glied; die Maiserosion aber bis ins zehnte Glied — und sogar für alle Zeit!

Ebenso wie sich die Aufnahmefähigkeit des Bodens für das Regenwasser verringert, so schwindet auch das normale Grundwasser immer schneller, aus dem sich die Pflanzenwurzel ernährt. Die Einsickerung des Regenwassers in die tieferen Bodenlagen ist geringer geworden, und allein aus diesen Bodenlagen kann das Wasser in Form von Quellen und artesischen Brunnen wieder zum Vorschein kommen. Über große Gebiete hin, wo der Boden schlimm erodiert oder seine Struktur verändert ist, haben sich die Wasserspiegel nicht wieder angefüllt; Maisfelder in einem Gebiet eines Staates berauben die Brunnen bis auf fünfzig Meilen Entfernung. Da das Wasser nicht in die Erde eindringen kann, muß es von der Erdoberfläche ablaufen. Es trägt Boden mit fort. Dieser Boden oder Schlamm fließt in die Seen, die Wasserreservoire und die Flüsse.

 

    Verschwindende Wasser   

Wenn das Wasser seinen Weg nach unten durch den Boden nicht finden und somit nicht zu künftigem Nutzen gespeichert werden kann, so sucht es sich den Weg des geringsten Widerstandes — über die Oberfläche. Ist der Waldboden mit einer dicken Schicht modernder Pflanzen und Blätter bedeckt, unter der wieder ein dichter A-Horizont liegt, so funktionieren diese als Schwämme. Das Wasser, das sie aufgesaugt haben, wird teils durch die langsam wirkende Schwerkraft nach unten freigegeben, teils durch die Wurzeln aufgesogen, teils verdampft.

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Bodendecken dieser Art sind zur Kontrolle der Überschwemmungen von allerhöchstem Wert. Tatsächlich können sie so viel Wasser zurückhalten, daß sie die Wirksamkeit der Reservoire verringern. In manchen Gebieten haben die jüngsten Forschungen ergeben, daß solche Reservoire am besten durch grasbedeckte Berge geschützt werden, die Regenwasser ohne Bodenverlust zuführen. Auch hier stoßen wir wieder auf die Einzigartigkeit eines jeden Teiles der Landschaft; sind reichliche Regenfälle über das Jahr verteilt und wird die Speicherfähigkeit des Reservoirs vermutlich nicht angespannt werden, so wird die Walddecke am günstigsten sein; ist aber das Reservoir groß genug, um alles benötigte Wasser fassen zu können (und der Unterschied an Wasserverlust zwischen Wald und Grasland kann kritisch sein), so ist die Grasdecke vorteilhafter.

Sobald der unbewachsene Boden mit Wasser getränkt ist, fließt der Regen in Rinnsalen, Bächen und Flüssen ab. Eine große ungeschützte Wasserscheide mit leichtem Regen, oder eine kleine Wasserscheide mit schweren Regenfällen, kann einen solchen Wasserandrang in den Flüssen ergeben, daß diese Flüsse das Wasser nicht aufnehmen können und die Menschen flußabwärts auf die Dächer steigen oder ertrinken müssen. Treffen aber schwere Regenfälle auf eine große ungeschützte Wasserscheide, so kann die Wirkung stromabwärts katastrophal sein. Und diese Wirkung finden wir häufig im Tal des Gelben Flusses in China, und weniger häufig in unserm Missouri-Mississippi-Becken.

Die Erosion neigt dazu, in der Potenz anzusteigen; man nennt sie oft den Krebs des Bodens. Wird sie rechtzeitig behandelt, so ist sie ziemlich einfach zu kurieren, ist aber die Flächenerosion schon in Furchenerosion ausgeartet, so gehören heroische und kostspielige Maßnahmen dazu, ihr Einhalt zu gebieten.

Eine noch heftigere Form der Erosion, Gravitätserosion genannt, findet man in vielen Teilen der amerikanischen Tropen. Hier, auf geologisch jungem Land, baut der Wald den Boden auf und hält ihn an seinem Platz fest. Wenn jedoch ein Farmer ein Gebiet rodet, in dem er Mais pflanzen will, so kann die Veränderung des ruhenden Winkels zu Zeiten steile Berghänge dazu bringen, ihren gesamten Boden in Erdrutschen zu verlieren. Dieser Boden ist auf alle Zeiten verloren.

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Die Erosion, die wir sehen, ist, wie Dr. Shantz ausführt, nur ein Stadium in einem Prozeß, der viel früher begonnen hat. In bezug auf unsere westlichen Weideländer sagt er:

"Der Begriff <Bodenerosion> hat sich in der Phantasie des amerikanischen Volkes festgesetzt. Wenn beschleunigte Erosion zutage tritt, die durch übermäßigen Gebrauch oder falsche Behandlung des Bodens entsteht, so ist es an der Zeit, daß etwas geschieht. Aber die Erosion hinkt um Jahre ihren Ursachen nach. Die Ursachen müssen behandelt, und die Wirkung im vornherein verhindert werden. Die Entdeckung der Ursache, lange bevor die Erosion tatsächlich beginnt, ist die Pflicht eines jeden, der neuen Boden erschließt, und ist einfach erforderlich, wenn das Land erhalten werden soll.

Durch ihr Vorhandensein oder Fehlen, durch ihre Bedingungen und die Dichte oder Spärlichkeit der gesamten Pflanzendecke deuten die Pflanzen die ersten Grundbedingungen an, die eines Tages unvermeidlich — nach Monaten oder Jahren fortgesetzten Mißbrauchs — zu dem Stadium der letzten Bodenzerstörung führen, das wir als Erosion erkennen. Deshalb muß man bei der Bebauung des Wildlandes die Ökologie und die Entwicklung der Vegetation so gut verstehen, daß die Diagnose die vorbereitenden Ursachen schon lange entdeckt, ehe das Übel in der starken Form auftritt, die wir als herbeigeführte Erosion erkennen.

Nehmen wir als Beispiel das buschig wachsende Steppengras auf einem der westlichen Berge. Es tritt in mehreren Stadien auf: i. zuerst ist es ein dichter Bestand, der den Regen auffängt und festhält und einen reichen, dunklen Boden entwickelt; 2. bei beschränkter Abweidung werden die Büschel abgefressen, solange aber die Nutzung nicht zu intensiv ist, bleiben sie hoch genug, um gesund und kräftig zu sein; 3. zeitweilig zu intensive Nutzung führt zum teil-

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weisen Absterben der Büschel; 4. fortgesetzte zu intensive Nutzung führt zum Tode der Pflanze, aber die toten Klumpen bleiben im Boden, und manche neuen Pflanzen finden in ihnen einen guten Nährboden; 5. pausenloses Abweiden vernichtet auch die Zwischenpflanzen, und die Bodenkrume bewegt sich von den Büscheln fort; 6. die Büschel toter Halme verzehren sich, und mit ihnen verschwinden Teile der Bodenoberfläche oder des A-Horizontes. 

Um sich von der Erosionsphase 6 zu erholen, sind vielleicht Jahrhunderte nötig. Schneller tritt eine Erholung beim Stadium 5, der teilweisen Zerstörung, ein; die Erholung vom dritten Stadium, das nur ein teilweises Absterben der Büschel aufweist, ist in ein oder zwei Jahren möglich. Es erscheint geradezu als Irrsinn, die tatsächliche Erosion abzuwarten, wenn man den großen Verlust an Produktivität und Zeit bedenkt, der entsteht, weil man den Patienten (die Grasdecke) sterben läßt, ehe man ein Heilmittel anwendet. Die richtige Ausnutzung dieser Anzeichen und besonders der Pflanzendecke in ihrer Gänze, um solche Entartung rechtzeitig zu entdecken, wäre ein höchst fruchtbares Feld für Forschung und Bewirtschaftung. Solche Studien . . . sollten die Weidebewirtschaftung revolutionieren, sowohl für den Wildbestand wie für das Herdenwesen.

Wer Wildland bewirtschaftet, müßte gründlich Bescheid wissen um die natürlichen Neigungen der Pflanzenfolge, und müßte mit der Natur zusammenarbeiten, um die gewünschten Resultate zu erzielen. Ohne dieses Wissen kann die Bewirtschaftung der Vegetation für den Unterhalt der Haustierherden oder den Wildbestand unbeabsichtigt zu den ernstesten Resultaten führen. Künstliche Zerstörung der Vegetation, um Futter und Jagdgehege zu verbessern, künstliche Wiedereinsaat oder Wiederbepflanzung zur Erhaltung des Bodens und zur Verbesserung der Heu- oder Holzproduktion, zur Erweiterung günstiger Bedingungen für den Menschen, die Herden oder den Wildbestand — das alles darf man nicht auf Neulandboden in Angriff nehmen ohne einen klaren Begriff der natürlichen Pflanzenfolge auf diesem Landstrich zu haben.

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 Der Versuch, die natürliche Folge zu verbessern oder zu ändern, bedeutet fortgesetzte Kosten und aller Wahrscheinlichkeit nach endgültigen Fehlschlag. Oft wird die Wiederherstellung der natürlichen Rasen-, Gebüsch- oder Walddecke im gleichen Verhältnis verzögert, wie ein zeitweiliger Erfolg durch den Gebrauch der eingeführten Spezies gesichert erscheint...

Richtige Bebauung von Wildland muß auf allergründlichster Kenntnis des Bodens und der klimatischen, physio-graphischen, biologischen, sozialen und ökonomischen Faktoren des anzubauenden Gebietes basieren."9

 

    Verschwindendes Land   

 

Es hat sich wiederholt erwiesen, daß die Ertragsfähigkeit des Landes — natürlich innerhalb angemessener Grenzen — mit der Dichte des A-Horizontes variiert. Mit anderen Worten: der Farmer mit drei Fuß Mutterboden wird auf seinem Lande zwanzig- oder dreißigmal so viel produzieren wie der Farmer mit drei Zoll Mutterboden. Wenn Regen und Wind den A-Horizont wegtragen, so tragen sie die Produktionsmöglichkeit des Landes weg.

In vielen Teilen der Welt ist der Mutterboden vollständig abgetragen, der Unterboden ist ihm gefolgt, und es ist nur nackter Felsen übriggeblieben; dies können wir in unserer Hemisphäre von den Adirondacks bis zu den chilenischen Anden sehen. Wo es geschehen ist, dauert es Jahrhunderte, um einen Zoll fruchtbaren Mutterbodens neu aufzubauen, der wiederum durch einen einzigen Regenguß weggeschwemmt werden kann. Auf dem Unterboden ist die Wiederherstellung der oberen Decke natürlich ein viel schnellerer Prozeß, und die dazu nötige Zeit variiert mit den örtlichen Bedingungen. Ein einziger Zoll nützt dem Farmer natürlich herzlich wenig. Der Bösewicht in dieser menschlichen Tragödie ist der unkontrollierte Regentropfen — und deshalb bleibe ich dabei, daß er wahrscheinlich der alle wichtigste Einzelfaktor ist, der den Menschen beeinflußt.

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Der Widerstand der Umgebung steigt, wenn er unkontrolliert ist, so hoch, daß er das biotische Potential fast aufhebt, und die Ertragssteigerung sinkt nahezu, wenn nicht ganz auf den Nullpunkt.

Dies ist wieder und wieder geschehen, viele Jahrhunderte hindurch, in vielen Teilen der Welt, und es geschieht immer noch. Es hat frühere Kulturen ausgelöscht, von Mesopotamien bis Honduras. Jedoch ist der hydrologische Zyklus noch niemals angesichts so vieler Millionen von Menschen so schlimm verschoben worden. Diese Hunderte von Millionen selbst sind zum integralen Teil des umgebungsmäßigen Widerstandes geworden.

Dem Forscher im Lande der Wissenschaft ist es klar, daß die Naturgesetze uns Beschränkungen auferlegen. Ob es erwünscht ist oder nicht, ob es politisch zweckmäßig ist oder nicht, ob es mit den religiösen Bekenntnissen zusammenstimmt oder nicht — das Wasser läuft immer weiter bergabwärts, und seine erodive Kraft wächst mit der Geschwindigkeit seines Laufs. Wo eine große und hungrige Bevölkerung lebt, ist es freilich für den Politiker schwierig, ihr immer wieder zu predigen: "Nein, Ihr dürft eure Kornfelder und eure übergroßen Herden nicht auf die Berghänge bringen; Ihr müßt sie durch Bewaldung schützen." 

Der Geistliche, der den Hunger und die Mangelkrankheiten unter seinen Pfarrkindern steigen sieht, die gezwungen sind, auf übervölkertem, erodierendem Land — dem einzig verfügbaren Land — zu leben, mag sich in einem scharfen Konflikt zwischen der traditionellen Moral und seiner Kenntnis des Bodens, ja seines gesunden Menschenverstandes, befinden. Der Farmer, in seinem Dilemma zwischen schwindendem Boden und sicherem Hunger in etwa zehn Jahren, kann dazu kommen, die Einstellung des Politikers wie des Pfarrers gleichmäßig fragwürdig zu finden.

Und dieses Problem trifft nicht nur die Landbevölkerung; ein jeder, der Produkte von ihr kauft — ob er auch tausend Meilen weit weg ist —, muß die Verantwortlichkeit und die Konsequenzen teilen. Die Bankiers in Amsterdam, welche sich der Freiheit der Indonesierentgegenstemmen, die so lange zu Hollands Reichtum beigetragen haben, täten gut daran, über die hochfliegenden Hoffnungen eines freiheitsliebenden Volkes hinweg auf die übervölkerten, erodierten Hänge zu blicken, auf denen diese Menschen versuchen müssen, weiter zu leben und fortzubestehen.

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Der Ruhewinkel mit Vegetation ist nur eine Hälfte des Problems; der Ruhewinkel ohne Vegetation ist eine sehr, sehr andere. Er variiert von Feld zu Feld, der Mensch muß ihn hinnehmen und sich ihm anpassen. Dieses <Anpassen> muß im weitesten Sinne geschehen, denn der Abfluß des Wassers durch das Land hat wegen seiner Wirkung auf die Ertragsfähigkeit eine tiefe Bedeutung hinsichtlich der menschlichen Bevölkerung, des Lebensstandards, daher der Regierungspolitik — und des Friedens. Der Regen wird nicht aufhören zu fallen und der Mensch kann ihn nicht anhalten. Er wird immer weiter bergab fließen, in der Geschwindigkeit, die das Gefälle regiert. Und wenn keine Vegetation da ist, die ihn schützt, wird der Boden mit dem Wasser wegfließen.

 

   Der Wasserablauf und der Lebensstandard  

 

Das ist ein relativ einfacher Stand der Dinge — aber die Gegenmittel sind sehr kompliziert. Die Geschwindigkeit dieses Ablaufs kann selbst auf dem steilsten Lande verringert werden. Die Inkas beispielsweise bauten Mais auf den Seitenhängen der Anden, indem sie Terrassen anlegten, die jetzt 18000 Dollar pro Acker kosten würden. Unverkennbar ist es für Peru heute billiger, Mais von den erodierenden Berghängen Jowas zu kaufen, als seine eigenen Hänge zu schützen. In den Vogesen schaufelt man den Boden, der während der Zeit des Wachstums heruntergespült wird, im Herbst und Winter sorgfältig in Körbe und tragt ihn auf dem Rücken hinauf, um den Mutterboden wieder aufzufüllen. Das ist natürlich ein teurer Arbeitsprozeß, aus dem sich ein niedriger Lebensstandard ergibt.

Das US-Bodenkonservierungsamt machte es zu einem seiner Hauptziele, Methoden zu finden, um das Festhalten des Bodens auf den Hängen und des Wassers im Boden (wo nicht zu große Wassermengen eine Drainage erforderten) in kostenmäßig so niedrigen Grenzen zu halten, daß auch der Farmer, der auf dem Wettbewerbsmarkt verkauft, sie aufbringen kann.

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Tatsächlich war er dazu nicht imstande und wurde von sogenannten "Unterstützungen" abhängig, welche die Last auf den Steuerzahler abwälzten. Trotzdem haben die entwickelten Methoden so allgemein höhere Ernten gebracht, daß die Anfangsinvestition durchaus gerechtfertigt ist. Sicher gibt es viele nunmehr bekehrte Farmer, die nicht rückfällig werden — doch wenn die Preise hoch sind, gibt es bestimmt eine ganze Anzahl, die wieder solches Land umpflügen, das durch seine Lage der Erosion äußerst zugänglich ist.

Eine der gebräuchlichsten Methoden zur Kontrolle der Erosion in den Vereinigten Staaten ist das "Reliefpflügen" —das heißt, die Furchen waagerecht oder fast waagerecht rings um den Berg zu ziehen, statt von oben nach unten. Diese "Reliefs" wirken sich als Miniaturdämme aus, halten das Wasser lange genug, um es einsickern zu lassen, brechen seine Flut und verringern seine Geschwindigkeit und damit seine erosive Kraft.

Ein anderer weithin gebräuchlicher Ausweg ist der "Streifenanbau"; man unterbricht die reliefmäßig gepflügten Gürtel durch Gras- oder Getreidestreifen, die den Boden festhalten, der vielleicht trotz der Relieffurchen hinuntergewaschen wird. Man kann diesen Streifenanbau in jede normale Fruchtfolge einfügen und dadurch nicht nur dazu beitragen die Fruchtbarkeit wiederherzustellen, sondern auch den Mutterboden auf dem Land festhalten.

Als die Landwirtschaftskammer der Vereinigten Staaten etwa neuntausend Farmer befragte, berichtete die Mehrzahl von vermehrten Ernteerträgen (um nahezu 36%) aus Boden, der nach angemessenen Erhaltungs­methoden bebaut worden war. Diese stellen einen Versuch dar, unsere Nutzung des Landes seinen innewohnenden Fähigkeiten, wie wir sie verstehen, anzupassen. Es ist ein Gehorsam, ein Sich-Fügen in die Naturgesetze. Gewisse Landgebiete würden zerstört werden, wenn man sie unter Kultur nimmt, und andere, die eine niedrige Ertragsfähigkeit haben, können — ökonomisch genommen — unmöglich nach den Methoden bearbeitet werden, welche das Bodenkonservierungsamt vorschreibt. Diese Organisation empfiehlt dringend die Stillegung von etwa vierzig Millionen Acker in den Vereinigten Staaten!

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    Eine Idee, nach der man leben könnte  

 

Einer der wichtigsten Beiträge des Bodenkonservierungsamtes — ein Beitrag, der für künftige Jahrhunderte eine tiefe Wirkung auf die menschliche Zivilisation haben kann — ist die Klassifizierung des Landes entsprechend dem Nutzen, den es auf die Dauer bringen kann. Die acht Klassen oder Bodenstufen sind folgende:

Land, das zum Anbau geeignet ist:

Klasse I: Sehr gutes Land, das gefahrlos nach gebräuchlichen guten Farmmethoden bearbeitet werden kann. Es ist fast eben und leicht zu bearbeiten. Einige Gebiete müssen gerodet oder bewässert oder gedüngt werden. Gewöhnlich hat es wenig oder gar keine Erosion.

Klasse II: Gutes Land, das ohne Gefahr mit leicht ausführbaren Methoden bearbeitet werden kann — wie Konturpflügen, schützende Deckenernten, einfache Wasserregulierungen. Allgemeines Erfordernis sind Fruchtfolgen und Düngung. Erosion in bescheidenem Maße ist normal.

Klasse III: Mittelgutes Land, das gefahrlos mit intensiver Behandlung wie Terrassenanlagen und Streifenernten behandelt werden kann. In ebenen Gebieten ist häufig Bewässerung nötig. Allgemeines Erfordernis sind Fruchtfolgen, Anbau zum Schutz der Bodendecke und Düngung. Normalerscheinung : bescheidene bis ernste Erosion.

Land, das sich zu beschränktem Anbau eignet:

Klasse IV: Einigermaßen gutes Land, das am besten zur Weide und zum Heubau geeignet ist, aber gelegentlich unter Kultur genommen werden kann — gewöhnlich nur alle sechs Jahre einmal. In manchen Gebieten, besonders in solchen mit geringem Regenfall, kann man ausgewählte Stellen öfter als einmal in diesem Zeitraum bebauen, wenn sie zugleich sachgemäß geschützt werden. Beim Pflügen müssen sorgsame Praktiken zur Kontrolle der Erosion angewendet werden.

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Land, das nicht zum Anbau geeignet ist:

Klasse V: Geeignet für Gras- oder Forstwirtschaft mit mäßiger oder keiner Einschränkung; braucht nur durchschnittlich gute Bewirtschaftung.

Klasse VI: Geeignet für Gras- oder Forstwirtschaft mit mäßiger Beschränkung; braucht schützende Maßnahmen.

Klasse VII: Geeignet für Gras- oder Forstwirtschaft mit starker Beschränkung; es bedarf außerordentlicher Sorgfalt, um Erosion oder zerstörende Brände fernzuhalten oder andere ungünstige Zufälle zu überwinden.

Klasse VIII: Nur als Wildbahn oder zur Erholung geeignet. Dieses Land ist gewöhnlich steil, rauh, steinig, sandig, naß oder hocherosiv.10.

 

Als ich diese Einstufung in Südamerika einführte, habe ich noch eine neunte Bodenklasse hinzugefügt: Wüste, natürliche oder vom Menschen geschaffene Wüste. Es haben so viele Millionen Acker des südlich vom Rio Grande gelegenen Landes tatsächlich ihre Ertragsfähigkeit verloren, und es sind noch viel mehr Millionen Acker auf einen nicht länger ertragsfähigen Zustand heruntergewirtschaftet worden, daß die Anerkennung der Bodenklasse IX außerordentlich dazu beigetragen hat, in den Menschen das Verständnis für das dynamische Absinken zu wecken.

In übermäßig bevölkerten Gebieten wie El Salvador, Haiti, Griechenland, dem Pandschab und der Insel Luzon ist es für den Menschen sehr schwierig, die Nutzung der Fähigkeit des Bodens anzupassen. Es ist einfach nicht genug Bodenfläche da. Das Getreide muß auf Bodenklasse VI oder VII gebaut werden — oder die Menschen müßten verhungern. Also: je ärger das menschliche Dilemma, um so schwieriger ist die Lösung; je mehr das Land mißbraucht wird, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß es noch schlimmerem Mißbrauch unterworfen wird.

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Der Mensch kann schnell sterben, wie das bei den asiatischen Hungersnöten geschieht; er kann etwas langsamer sterben, wie er das in einigen Teilen der karibischen Inseln und in Mittelamerika tut; er kann mit dem ungeeigneten Boden einen Kompromiß schließen, indem er kunstreich bewässerte Terrassen anlegt wie in Java und auf den Philippinen, und er kann die Hungersnot hinausschieben, bis er die neue, künstlich geschaffene Ertragsfähigkeit wieder bevölkerungsmäßig überholt hat. Diese letzte Wahl verdammt ihn unvermeidlich zu einem niedrigen Lebensstandard.

Er hat keine Hoffnung auf Beibehaltung eines hohen Lebensstandards, wenn er nicht seine Nutzung den gegebenen Fähigkeiten des Bodens anpaßt — und das Land wieder in den Zustand seiner etwa annähernd normalen Möglichkeiten zurückversetzt. Und in diese rationelle Nutzung des Landes ist eine Beschränkung der Bevölkerung eingeschlossen, eine Beherrschung des menschlichen Bedarfs an den Früchten der Erde.

 

    Millionen von DP.s  

 

Die Menschen — und zwar viele Millionen Menschen —, welche das Land ungeachtet seiner Fähigkeiten mißbrauchen, sind "Displaced Persons", DPs., in viel ernsterem Sinne als die paar hunderttausend in den europäischen Flüchtlingslagern. Sie sind ,am falschen Platze' im ökologischen Sinn. Sie können sich nur nähren und kleiden, nur Nahrung, Faserstoffe, Kohle und Holz für die Städte zusammentragen, indem sie das Land, auf dem sie leben, zerstören, und die damit verbundenen Hilfsquellen gleichermaßen. Sie sind es, die die Wälder vernichten, Bodenerosion auslösen, Wildbestände ausrotten, Hochfluten entfesseln. Sie sind es, die von Jahr zu Jahr die umgebungsmäßigen Widerstände höher auftürmen.

Viele Millionen von ihnen müßten verpflanzt werden —hinab von den erodierenden Hängen, heraus aus den entartenden Wäldern, fort von den überfüllten Weiden —, wenn sie nicht den Lebensstandard ihrer Länder und damit den Lebensstandard der Welt immer tiefer herabdrücken sollen. Die Lösung des Problems der europäischen DP.s ist einfach im Vergleich zu dem der ökologischen DPs.

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Indem die neun Bodeneinstufungen die Ertragsfähigkeit des Landes anerkennen, erkennen sie zugleich die Begrenzungen durch die natürlichen Bedingungen an. Sie sind primär für Acker- oder Weideland bestimmt und werden nicht ganz dem Begriff mehrfacher Nutzung gerecht. Diese ist ein Begriff, den die Forstwirtschaftler ins Leben gerufen haben: ein Gebiet kann der Menschheit gleichzeitig viele Arten von Wohltaten schenken. Die nationalen Forste zum Beispiel können beschränkt für Weidenutzung und Holzproduktion gebraucht werden und gleichzeitig die Wasserscheiden schützen, Jagd- und Erholungsmöglichkeiten liefern usw. Das Gebiet der Wasserscheiden fällt naturgemäß meist in Bodenklasse IV bis VIII, aber es gibt Beispiele, daß gutes Ackerland seinen größten Wert als Wasserscheidenschutz erreicht, wie zum Beispiel dort, wo es die Wasserversorgung großer Städte sicherstellt.

Gewisse Gebiete, die für die Agrikultur potentiell nützlich sind, haben vielleicht einen höheren Wert, wenn man sie dem Wildbestand überläßt; die Schutzgebiete für Wasservögel im mittleren Westen sind ein Beispiel für diese Art der Landnutzung. Sie alle könnten zweifellos gewisse Ernteerträge hervorbringen — viele produzieren sogar Ernten und zugleich Enten! — aber ihre Bedeutung als Ruhestation für Zugvögel ist so groß, daß sie ihr Ausscheiden aus der intensiven Agrikultur rechtfertigt.

Unsere nationalen Parks haben zweifellos einen gewissen potentiellen Agrikulturwert. Jedoch ihre außerordentliche Schönheit, ihre wissenschaftliche Bedeutung, ihre Wichtigkeit als Zuflucht für den Wildbestand und den Menschen lassen es weise erscheinen, daß man sie aus jedem Nutzungsprogramm herausstellt, um ihre bleibenden Werte zu erhalten.

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    Wenn wir es doch verstehen würden...   

Ganz abgesehen von dem möglichen wirtschaftlichen Nutzen, den die primitiven Gebiete abwerfen könnten, wäre es für die Menschheit von ungeheurem Vorteil, sie ruhen zu lassen, da sie typisch für alle bedeutenderen Pflanzen- und Tierassoziationen sind. Die Welt ist äußerst rückständig und träge, wenn es sich um die Anerkennung der Wichtigkeit solcher Gebiete handelt; viele von ihnen sind vernichtet und können natürlich nicht wieder hergestellt werden. 

Ein Hauptwert solcher primitiven Gebiete ist ihre Funktion als Freiluftlaboratorium. Ihre wissenschaftliche Erforschung kann uns so vieles über die Arten des Lebens lehren, für die das Land geeignet ist, daß diese Studien für die Landwirtschaft, das Forstwesen, das Hegen des Wildbestandes usw. von ganz beträchtlichem praktischen Wert sind. Die hervorragenden wissenschaftlichen Arbeiten über den Boden, welche die Russen leisten, erklären sich teilweise daraus, daß sie ihre Forschungen in ungestörten, jungfräulichen Gebieten beginnen können. Das ermöglicht ihnen ein Studium der Pflanzenhöchststufen, der normalen Reihenfolgen, der primitiven Bodenstruktur und der Bodenfauna. 

Sie sind mit ihrem Verständnis einer Umgebung, die sich Hunderte von Jahrhunderten unter natürlichen klimatischen und anderen Bedingungen entwickelt hat, selbstverständlich viel besser dafür ausgerüstet, die menschliche Bewirtschaftung des Bodens der natürlichen Beschränkung anzupassen, als es die Bodenforscher sind, die in anderen Weltteilen normale, natürliche Bedingungen nur erraten können. Der kulturelle Wert primitiver Bodenflächen mit ihrer reichen Sammlung von Arten und Verwandtschaften und Unterarten, welche die Zusammenballung der natürlichen Kräfte über Jahrmillionen der Entwicklung ausdrücken, wird fraglos eines Tages weitestgehend anerkannt werden. Manche Universitäten fangen jetzt an, Forschungsstationen in solchen Gebieten zu unterhalten. Es besteht nur die Gefahr, daß die Erkenntnis zu spät kommen wird, um wirklich primitive Gebiete vor der Zerstörung zu retten.

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Seit Jahren versuchen die Ökologen, in den Vereinigten Staaten ein Graslandreservat zu errichten, in welchem die Umgebung unter natürlichen Bedingungen für die Forschung zugänglich ist. Bisher sind diese Versuche fruchtlos geblieben. Das "Abkommen über Naturschutz und Wildbestandserhaltung in der westlichen Hemisphäre", das von elf amerikanischen Regierungen ratifiziert wurde, hat die Wichtigkeit solcher Gebiete voll anerkannt. Eins der betonteren Ziele dieses Abkommens ist es, den primitiven Gebieten, wo dies möglich ist, ständigen Schutz angedeihen zu lassen und sie zu erhalten. Unglücklicherweise ist wenig geschehen, um dieses Ziel zu erreichen.

Es müßte allgemein bekannt sein, der Nutzen, den der Mensch aus irgendeinem Stück Boden zieht, muß den Naturgesetzen angepaßt sein, denen es unterworfen ist; und das erste dieser Naturgesetze lautet: man muß die Beziehung zwischen jedem Landgebiet und dem Wasser berücksichtigen!

Es gibt viele andere Naturgesetze: sich den Geboten der Pflanzenfolge anpassen; ein Gleichgewicht unter konkurrierenden Arten aufrechterhalten (selbst in veränderten Assoziationen); keine Spezies einführen, die zur Plage werden kann; keiner Spezies unmäßige Vermehrung zu gestatten, wie den übergeschützten Weißschwanzhirschen usw. Millionen von Jahren hat die Natur durch einen wohltuenden Kreislauf ihren herrlichen Reichtum auf der Oberfläche dieser Erde erhalten; was auch der Erde entsprossen ist, hat die Natur immer wieder durch langsamen Bodenaufbau und natürliche Düngung der Erde zurückgegeben, aus der es kam. 

 

    Kein Reichtum ohne Grenzen   

Mit Ausnahme weniger Gebiete hat der Mensch überall extraktive Agrikultur getrieben. Er hat die Fülle der Erde hingenommen und wenig dafür zurückgegeben. Wo er nicht direkt Boden und Wasser verloren hat, hat er zumindest überweidet und übererntet, und hat durch die Entfernung von Tieren und Pflanzen wertvolle Bodenminerale fortgenommen, die hochwichtige Bodenstruktur gebrochen, und gewöhnlich seine Umwelt erschöpft.

Der Chinese hat durch freigebige Verwendung von tierischem und menschlichem Dünger in einigen Gebieten den Kreis geschlossen. Seit dem ersten Weltkrieg hat der westliche Mensch große Fortschritte gemacht, indem er Stickstoff aus der Atmosphäre zieht und es dem Boden zurückerstattet. Van Hise schätzt jedoch, daß nach nur fünfundfünfzig Jahren der Bodenbewirtschaftung die jungfräulichen Gebiete von Ohio, Illinois und Wisconsin 36% ihres natürlichen Phosphorgehaltes verloren haben werden.

Kein Wunder, daß die Gelehrten dem Staate Wisconsin weniger als vierhundert Jahre auf seiner gegenwärtigen Produktionshöhe geben, auch bei den besten Methoden und Techniken, die wir jetzt kennen.

Eins der größten Hindernisse für das Weiterbestehen des modernen Menschen ist das hochentwickelte sanitäre System, das jedes Jahr Millionen von Tonnen mineralischen Reichtums und organischer Stoffe, aus den Farmen, den Weiden, den Wäldern gezogen, im Meer verlorengehen läßt.

In Ländern mit einer gesunden ökologischen Entwicklung erreicht der Mensch durch Düngung, Fruchtfolge, Gründüngung usw. eine ausbalancierte Agrikultur. Er bewirtschaftet seine Wälder, seine Wildbestände, seine Fischerei und sein Grasland auf der Basis gleichbleibender Ertragsfähigkeit. Rückständige, übervölkerte Länder sind nicht von sich aus imstande, dieses biologische Gleichgewicht zu erreichen, und wenn wir in einer Welt des Friedens leben wollen, so sollten wir Sorge tragen, daß die technologischen Hilfsmittel auch auf rückständige Gebiete ausgedehnt werden.

Wir kehren noch einmal zu der Formel A = B : C zurück. 

Wir können den Boden nicht in das System zwingen, das wir ihm auferlegen wollen, sondern müssen die Nutzung dem Boden anpassen, seinen Möglichkeiten und seinen Begrenzungen. Jede Bodenbewirtschaftung sollte dazu angelegt sein, das denkbar günstigste Verhältnis auf der rechten Seite der Formel zu erhalten, ja, wenn möglich zu verbessern, zum mindesten aber den Status quo aufrechtzuerhalten

Wo das Verhältnis verderblich ist, müssen wir unerläßlich die Anforderungen an die Ertragsfähigkeit zurückschrauben — entweder durch Herabsetzung des Lebensstandards oder durch Verminderung der Bevölkerung. 

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 William Vogt   Road to Survival   Die Erde rächt sich   1948