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6.  Die Langen Messer

So wurden die Pioniere von den verdrängten Völkern Nordamerikas genannt. 

 

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Wer bei dem Gedanken an Amerika selbstzufriedenes Behagen fühlt, täte gut daran, sich eingehend und nachdenklich unsere schlammigen Flüsse zu betrachten — vom Potomac bis nach Los Angeles. Und wer mit diesem Behagen glücklich ist, sollte sich lange und scharf unseren Kongreß betrachten — unsere notleidenden Schichten, unsere Farmer und Viehzüchter, unsere Holzleute, die staatlichen Amtszimmer und Organisationen, denen das Hilfswerk obliegt, unsere Schulen und Colleges, unsere Volkssitten und sozialen Methoden und endlich unsere Bevölkerungsdynamik. 

Unsere natürlichen Hilfsmittel, die Grundlage einer jeden nationalen Kraft, werden in diesen modernen Limbus geschüttet, der ein Rattenloch ist. Wir befinden uns in einem verwickelten Prozeß der Autophagie — des Selbstkannibalismus. Das Land, das wir als die größte Nation der Welt preisen, wird jedes Jahr verhängnisvoll schwächer. Was waren die Vereinigten Staaten vor dreihundert Jahren? Wie stand es damals mit ihren kolonialen Vorratskammern?

   So waren wir damals  

Annähernd die Hälfte unseres gesamten Gebietes war mit Wald bedeckt. Die Wälder schützten die Wasserscheiden und sorgten für reibungsloses Weiterlaufen des hydrologischen Zyklus. Die meisten unserer Flüsse waren frei und klar. Es gab zu Zeiten Hochwasser, aber längst nicht so heftige wie heute. Unsere Flüsse waren angeschwollen mit Fischen. In den östlichen Strömen gab es so viel Lachse, daß die Dienstboten die vertragliche Bedingung stellten, nicht alle Tage der Woche diesen Fisch essen zu müssen.

Das Dorado der Vereinigten Staaten waren die Biberkolonien. Wo die Spanier Gold suchten, stießen unsere und die kanadischen Trapper über die bekannten Grenzen vor — in erster Linie auf der Jagd nach den Biberpelzen.

Die Wildbestände waren im größten Teil der Vereinigten Staaten so reichlich, daß es kein Problem war, aus dem Lande zu leben. Das Birkhuhn, eine östliche Abart des Präriehuhns, war so leicht zu schießen, daß es an der ganzen atlantischen Küste eins der billigsten Nahrungsmittel war, und ebenfalls in den Mietsabkommen der Dienstboten auftrat. Die Wandertauben flogen in riesigen Schwärmen von Norden nach Süden, vertrauenswürdige Beobachter schätzten sie auf Tausende von Milliarden. Den wilden Truthahn schoß man für jeden Kochtopf von Neu-England bis Texas, und er wurde am Danksagungstag zum Symbol des üppigen Reichtums der Neuen Welt.

Die Waldungen der Vereinigten Staaten waren die beste und am leichtesten zugängliche Holzquelle der Welt des 18. Jahrhunderts. Die schweren Schiffe Groß­britanniens und die leichten Klipper Amerikas wurden aus ihrem Holz gebaut und trugen ihre vortrefflichen Hölzer in die Häfen der ganzen Welt. Unsere Wälder hatten reinen oder fast reinen Baumbestand und dadurch war das Abholzen leicht und vorteilhaft. Es gibt eine alte Redensart, daß ein Eichhörnchen bequem vom Atlantik zum Mississippi wandern konnte, ohne ein einziges Mal den Boden zu berühren. Im fernen Westen war ein Gürtel von großen Bäumen, der jahrzehntelang unangetastet blieb.

Zwischen den waldigen Zonen lagen riesige Grasgebiete. Im feuchten Osten wuchs das Gras bis in Sattelhöhe. Als sich die Niederschläge nach Westen zu verringerten, entstanden kürzere Grassorten.

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Mit dem Wechsel der Jahreszeiten zogen etwa 27 Millionen Büffel nordwärts und südwärts, zwischen Mexiko und Kanada, und ostwärts nach Pennsylvanien, ohne der Weidedecke zu schaden. Die Antilopen waren so zahlreich, daß die Gebirgler sie achtlos schossen, wie der moderne Jäger das wilde Kaninchen. Es gab so viele Präriehühner, daß die Jäger sie nicht beachteten, denn sie waren keinen Schuß Pulver wert. Der Eskimo-Brachvogel sang am Präriehimmel vieler Staaten, und als es einträglich wurde, ihn auf den Markt zu bringen, wurde er buchstäblich in Wagenladungen hingemetzelt.

Im größten Teil dieser inneren Region war der Boden reich und dauerhaft, was die Vegetation bewies. Der mittlere Westen (besonders das Gebiet, das jetzt der Maisgürtel einnimmt) besaß eine der produktivsten Bodenarten, die man auf unserer Erdkugel findet. Vielleicht existiert noch reicherer Boden in den Weizengebieten von Kansas und Nebraska, aber sie sind für die Zwecke des Menschen wegen der unzuverlässigen Regenfälle weniger geeignet.

Das Riesengebiet zwischen dem Rio Grande, dem Winnipegsee, dem Atlantik und dem Pazifik hätte sich zu einem irdischen Paradies entwickelt, wenn es vernunftgemäß behandelt worden wäre. Es hätte hundert Millionen Menschen einen gleichbleibend hohen Lebensstandard sichern können. Es war ein verschwenderisch reiches Land. Und Jahr um Jahr zogen die langsamen biologischen Vorgänge weiteren Reichtum aus der Luft und bereicherten das Land noch mehr. Und dann kam der Europäer.

 

   Die Räuber  

 

Unglücklicherweise gehörten unsere Vorfahren — wir streuen ihnen noch heute Weihrauch in den DAR-Zusammenkünften und am vierten Juli — zu den zerstörerischsten Menschengruppen, die jemals diese Erde verwüstet haben. Sie zogen in eins der reichsten Schatzhäuser, das der Menschheit je geöffnet wurde, und verwandelten in wenigen Jahrzehnten riesenhafte Gebiete in Schutthalden und Schlachthäuser.

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Wir, ihre Nachkommen im fünften und sechsten Glied, versuchen noch immer ihre Verluste wieder einzubringen, und müssen mit Arbeitsstunden und niedrigem Lebensstandard schwer für sie büßen.

Im Museum und in der alten Kirche von Jamestown sind Gedächtnistafeln für John Rolfe mit Dankesinschriften für seine Genialität, die das Trocknen und kommerzielle Ausbeuten des Tabaks erfand. Eine Tafel im Amtszimmer der Nationalpark-Verwaltung besagt, daß seine Technik die Ökonomie Virginias auf mindestens hundertfünfzig Jahre beeinflußt hat. Das ist eine grobe Unterschätzung. Virginia hat sich bis heute noch nicht von den Wirkungen der Ideen John Rolfes erholt, und wird sich höchstwahrscheinlich noch viele, viele künftige Jahre nicht davon erholen können.

Avery O. Craven von der Universität Chikago faßt das Verhältnis zwischen dieser Pionierökonomie und dem Lande in einer der denkbar besten Formulierungen wie folgt zusammen:

"Aus einer frühen Periode pionierhafter Einfachheit, ja mangelnden Komforts, kann sich ein neuer Lebensstandard entwickeln, aber gleichzeitig werden immer entschiedene Anstrengungen entstehen, einen Überschuß zu schaffen und irgendeinen Markt für dieses Tauschgut zu finden, der das Feld der Hilfsmittel erweitert und den sich nach den zugänglichen Stoffen richtenden Lebensstandard hebt.

Wenn ein solcher Austausch sich entwickelt, geht er selten auf gleicher Basis vor sich, und der erzeugte Überschuß muß von einem verschwenderischen Gebrauch der Materialquellen der neuen Gemeinde herrühren. Scheinbarer Überfluß an Rohmaterial ermutigt zur Verschwendung; der Mangel an Kapital verbietet die Ökonomie der Produktion, und die schweren Lasten des Transportes und des Handels fallen auf den Erzeuger des Rohmaterials und des Tauschguts...

...Der Überfluß an Land zusammen mit derKnappheit an Kapital und Arbeitskraft (ein Zustand, der für die Pioniere charakteristisch war) wälzt das Gewicht intensiver Produktion auf den Boden, da er der billigste Faktor im Produktionsgang ist.

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Man bebaut nur den fruchtbarsten Boden und wendet dabei nur Methoden an, welche die größten unmittelbaren Erträge bringen, ohne Rücksicht auf künftige Folgen. Das Problem ist das des schnellen Verbrauchs, nicht das der Erhaltung. Die Geschwindigkeit, mit der die Entbehrungen des Pioniers überwunden werden, hängt von der Geschwindigkeit ab, mit der er die Reichtümer des Bodens ausbeutet. Am glücklichsten daran ist das Pionierland, dessen Fruchtbarkeit am schnellsten zu erschöpfen ist, denn es wird am schnellsten zu einem differenzierten Leben kommen.

Dieser Ausbeutungsprozeß wanderte von den frühesten Zeiten bis zum Tage des letzten Pioniers von einer Küste zur anderen. Was die Zuckerproduktion für Westindien, der Tabak für Virginia und Maryland, die Baumwolle für den tiefen Süden und der Mais für das Mississippital gewesen ist, das waren Weizen und Flachs für unsern Nordwesten von heute.

Die Dauer der natürlichen Fruchtbarkeit unserer Kultur variiert selbstverständlich mit den Bodenarten, den produzierten Anbaufrüchten, den angewendeten Anbaumethoden usw. Aber für gewisse Teilgebiete haben wir erfahrungsmäßig einige Anhaltspunkte. Im kiefernbewachsenen Oberlande der Baumwollstaaten, wo beständig Mais angebaut wird, bewegen sich die Ernteerträge von fünfundzwanzig Bushel pro Acker im ersten Jahr bis zu zehn oder noch weniger im dritten; wo die kurznadlige Kiefer sich mit der langnadligen vermengt, hält die Erzeugung guter Ernten fünf bis sieben Jahre an; wo Eiche und Hickory hinzukommt, kann man bis zu dreizehn Jahren mit guten Ernten rechnen...

In den Tabakregionen des Südens... rechnen die Pflanzer selten länger als drei bis vier Jahre mit einer Fruchtbarkeit, die den Anbau rentabel gestaltet."1

An den östlichen Küsten gaben die Pioniere das Land fast so wieder auf, wie sie es gerodet hatten.

Thomas Jefferson war beunruhigt über diese Zerstörung und schrieb: "Wir können einen Acker neues Land billiger kaufen, als wir einen alten düngen können."

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Am 5. April 1798 entschied George Washington, um den Boden zu retten: "Der Maisanbau ist endgültig aufzugeben, und die nötigen Mengen sind vom Auslande zu beschaffen."

Craven schildert die Landschaft zwischen Port Tobacco und Hoe's Ferry, Maryland, im Jahre 1796, wie sie sich einem Reisenden dieser Zeit darbot:

"Das Land ist flach und sandig und trägt einen traurigen Charakter. Meilen und Meilen sieht man nichts als endlos gestreckte Ebenen, die durch den Tabakbau erschöpft sind; sie sind mit gelbem Schilfgras bedeckt, ab und zu durch kleine Wälder aus Fichten oder Zedern unterbrochen... Inmitten dieser Ebenen liegen mehrere stattliche Wohnstätten, die zeigen, daß das Land ehemals etwas ganz anderes war als es heute ist. Diese Häuser... läßt man jetzt verfallen, weil das Land um sie her erschöpft ist und die Menschen, die darin wohnten, es vorteilhafter fanden, in einen anderen Teil des Landes zu ziehen und dort von neuem ein Stück reichen Bodens zu roden, als diese erschöpften Gebiete wieder kulturfähig zu machen."

Und dieses Bild bot sich — das dürfen wir nicht vergessen — zwanzig Jahre nach unserer Revolution!

Im Jahre 1799 bezeichnete man Virginia als "ein Bild der Zerstörung, das der Beschreibung spottet — Farm um Farm . . . durch Raubbau vernichtet, ausgewaschen, von Rinnen durchfurcht, so daß kaum ein Acker Land einer Besitzung zum Anbau geeignet scheint."

Das war rund zweihundert Jahre, nachdem John Rolfe entdeckt hatte, wie man Tabak trocknet... und heute, wieder hundertfünfzig Jahre später, ist immer noch ein großer Teil dieses Gebietes nur zur Aufforstung mit minderen Hölzern geeignet.

 

   Ertragsfähigkeit und Krieg  

 

Die erschütternden Auswirkungen dieser Bodenzerstörung waren nur einem Manne klar — Edmund Ruffin, dem hochbedeutenden Führer der Südstaatler, der sie mit beinahe hellsichtiger Klarheit voraussah.

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Craven berichtet, daß Ruffin es war, der "beharrlich betonte, daß der im gleichen Verhältnis politische wie wirtschaftliche Verfall des Südens nichts anderes als die Folge des Raubbaus" war. Er fährt fort: "Wäre die ursprüngliche Produktivität des Bodens erhalten geblieben, so wäre die südliche Bevölkerung nicht abgewandert, und ihre Vermehrung hätte sich auf derselben Höhe gehalten wie in den anderen Ländern der Nation. Die Kongreßvertreter der Südstaaten wären zahlreich genug gewesen (sic!), um einer ungerechten Gesetzgebung Einhalt zu gebieten (Zölle, Steuern, Verbot der Sklaveneinfuhr usw.); und der Süden wäre weiterhin gediehen und hätte seine nationalen Fragen selbst regeln können. Das Absinken der Fruchtbarkeit erzeugte das Absinken der Bevölkerungsmenge und alle Übel, die damit verbunden waren."

Ob Ruffin die Macht dieses Faktors übertrieb oder nicht, wäre eine komplizierte Streitfrage; sicher aber ist, daß gerade dieser Faktor ungeheuer wichtig war. Ruffin unterstützt seine Behauptung jedenfalls durch die Klugheit und Wirksamkeit, mit der er in den Jahren vor dem Bürgerkrieg daran ging, die südliche Agrikultur durch Düngung und Erosionskontrolle neu zu beleben. Seine Methoden zeitigten in begrenzten Gebieten erhebliche Erfolge und hätten sehr wohl den ganzen Süden wieder vorangebracht, wenn der Bürgerkrieg ihnen nicht ein Ende gesetzt hätte. Nach der bitteren Niederlage der Konföderierten beging Ruffin, einer ihrer fähigsten Führer, Selbstmord.

Der Vormarsch des Raubbaus, den unsere Vorfahren zweifellos jubelnd als Fortschritt begrüßten, war nur der Anfang eines Totentanzes, der über den ganzen Kontinent zog. Im gleichen Maße wie der Mensch sich durch Abholzen, Niederbrennen, Austrocknen, Pflügen und Schießen seinen Weg nach Westen bahnte, entfesselte er für die Lebensdauer einer Nation einen Schwaden umgebungsmäßiger Widerstände, die er jetzt zu verringern sucht und auslöschen möchte, während er gleichzeitig noch immer an ihrem Entwicklungsprozeß weiterarbeitet! Diese Prozedur hat gewisse geradezu burleske Bühneneffekte, wie die Mühen eines Clowns, der sich immer mehr in ein Stück Teppich verwickelt, das er wegzuschaffen versucht; was aber damit dem amerikanischen Volke zugefügt wird, ist alles andere als komisch.

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Das Gesamtgebiet, das jetzt in den Vereinigten Staaten als Waldland klassifiziert wird, beträgt etwa 630 Millionen Acker. Davon ist uns das Folgende geblieben:

Reifer Wald

Zweiter Wuchs, Nutzholz

Zweiter Wuchs, Klafterholz

Zweiter Wuchs, mittel bis gut aufgeforstet

Abgeholzt, mit geringer und gar keiner Aufforstung

Summe:

100.822.000 Acker

112.030.000 Acker

100.971.000 Acker

 71.336.000 Acker

 76.738.000 Acker

461.897.000 Acker

 

Die Lage ist noch schwärzer, als die Statistik zeigt, weil das Abholzen reifer Wälder Hand in Hand geht mit einer unverhältnismäßigen Vernichtung der hochqualitativen Hölzer. Im Jahre 1909 wurde der Totalbestand von Nutzholz in den Vereinigten Staaten auf 2826 Tausend Millionen Kubikfuß geschätzt. Die Schätzung von 1945 ergab 1601 Tausend Millionen, also ein Absinken um 44% in sechsunddreißig Jahren.2 Viele Sägemühlen zerschneiden schon Stämme von zehn Zoll zu Nutzholz! Zur Zeit bestehen unsere Vorräte an reifem Wald hauptsächlich aus weichen Hölzern, und diese Reserven befinden sich größtenteils im Westen. Das Komitee für Forstwirtschaft führt aus: "Die Wälder mit altem Holzbestande repräsentieren das Erzeugnis von Jahrhunderten. Der zweite Wuchs entsteht durch das Bestreben der Natur, entblößtes abgeholztes Land wieder zu bekleiden. Oft sind diese Wälder aus einer Übergangssorte minderer Qualität zusammengesetzt oder unzulänglich in ihrer Dichte, oder durch Feuer versehrt, oder durch die vorherrschenden Praktiken der Abholzung mißbraucht."3

Der Bedarf an Waldprodukten steigt an und sinkt nicht ab.

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Im Jahre 1946 schätzte man den Nutzholzbedarf der Nation auf 53.900 Millionen Kubikfuß, und das durch Wachstum anfallende Holz auf nur 35,300 Millionen, also ein Defizit von mehr als 50%! Sogar die Freiheit unserer Presse ist bedroht durch die Verminderung der Zellulosevorräte. Die klaffende Lücke zwischen dem, was einstmals nahezu die am reichsten bewaldete Nation der Erde war, und den Vereinigten Staaten von heute dürfte Millionen von Amerikanern, die ein Dach über dem Kopfe suchen, erschreckend klar werden. Einer der Hauptfaktoren unserer nationalen Wohnungsnot ist die Knappheit an Bauholz und den zusätzlichen Holzprodukten, die man zum Bau auf Schritt und Tritt braucht. Und indem wir unsere gegenwärtigen Nöte befriedigen, belasten wir unsere Zukunft immer schwerer.

Über Tausende von Quadratmeilen hin sind die Wasserscheiden abgeforstet und überweidet. Ungezählte verschlammte Teiche, Wasserkraft- und Trinkwasserreservoire und Meilen schmutziger, überschwemmter Flüsse zeigen die Folgen dieser Vernichtung der Pflanzendecke. Unsere staatlichen Forsten schützten die Wasserscheiden, das war einer ihrer wichtigsten Zwecke. Das Gesetz von 1897 sagt: "Es darf kein öffentliches Waldreservat angelegt werden, das nicht die Wälder innerhalb des Reservats verbessert und schützt, oder aber den Wasserläufen günstige Bedingungen sichert und zugleich den Bürgern der Vereinigten Staaten Holzvorräte für ihren Bedarf und Gebrauch liefert." Ein großer Teil der Staatsforsten besteht aus Gebieten, die einst abgeholzt und von kommerziellen Gruppen weitgehend zerstört wurden und dann an die Regierung zurückfielen. Wahrscheinlich sind nur 10% der Holzertragsfähigkeit der Vereinigten Staaten in öffentlichem Besitz, "weil fast das ganze Land der Staatsforsten so arm ist, daß kein Privatbesitzer es haben will4".

Auch unser Weideland wurde schwer verletzt, von den wacholdergefleckten Weiden Neu-Englands bis zu den Moskitosteppen des Südwestens. Das Weideland erstreckt sich fast über eine Million Acker, von denen etwa 65% in Privathand sind. Die westlichen Weidelinder, die ungefähr 800 Millionen Acker umschließen, ernähren annähernd 75% unseres Schaf- und mehr als 50% unseres Rindviehbestandes.

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Die ursprüngliche Weidekapazität der westlichen Länder konnte rund 25 Millionen Herdenvieh ernähren, aber die Vegetation wurde durch Überweidung so schwer beschädigt, daß im Jahre 1935 die Kapazität auf über die Hälfte gesunken war. Seit damals hat (hauptsächlich durch eine Steigerung der Niederschläge) die Weidedecke eine gewisse Besserung erfahren, aber die Herdenzahl ist — als Resultat der steigenden Preise durch den zweiten Weltkrieg — wieder gefährlich höher geworden.

"Nicht ganz 100 Millionen Acker, oder weniger als ein Siebentel des westlichen Weidegebietes ist in befriedigendem Zustand. Dagegen erodieren 589 Millionen Acker mehr oder weniger ganz bedrohlich. Der augenfälligste Mißbrauch des Weidelandes war der Versuch, mehr als 50 Millionen Acker davon für Trockenlandkultur zu gebrauchen."5)

Im Jahre 1935 schätzten die Weidewirtschaftler, daß mehr als fünfzig Jahre dazu nötig wären, um die Weiden soweit wieder herzustellen, daß man wenigstens den derzeitigen Viehbestand von 17 300 000 Stück Herden vieh darauf ernähren könnte, und wahrscheinlich weitere fünfzig Jahre, um die ursprüngliche Ertragsfähigkeit für 25 Millionen Vieh wiederzugewinnen. Die Aufzucht von Herdenvieh geschah früher fast durchweg weidemäßig; im Jahre 1935 stammten bereits 35% des Futters für den westlichen Viehbestand aus bebautem Land und von bewässerten Wiesen — also ein Drittel in fünfundvierzig Jahren!6) 

In Texas stieg der Verbrauch gekauften Futters von 1906-1940 um rund 400%. Der Neuanbau wurde seit 1920 in einigen westlichen Weidegebieten immer stärker ausgedehnt, und die durchschnittliche Periode der Winterfütterung stieg an manchen Orten bis auf sechs W'ochen7. Das alles sind teure Methoden (und aus ihnen erklärt sich das Steak zu einem Dollar pro Pfund), die aber der Mißbrauch der eigentlichen Weiden unvermeidlich gemacht hat. Die Viehzüchter haben nicht nur den umgebungsmäßigen Widerstand des Graslandes gesteigert; ihr destruktiver Einfluß ist nach Osten durchgesickert, da sie das fehlende Futter aus den Ernten der erodierenden Felder von Iowa und Illinois ziehen.

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Überweidetes Land ist hochempfindlich gegen Winderosion, und die Abnahme und gar das Fehlen der Vegetation erhöht die Quote des Bodenschwundes. Die Hochwasser, die sich den Missouri, den Colorado und ihre Nebenflüsse hinabwälzen, rühren teilweise von der übermäßigen Anzahl von Schafen und Rindern in der Gegend der Quellgewässer her. Wir können mit Thomas Moore sagen:

"Eure Schafe, die so bescheiden und zahm zu sein pflegten und so sparsame Kostgänger waren, sind jetzt, wie ich höre, wilde Raubtiere geworden, die selbst den Menschen auffressen. Sie verbrauchen, zerstören und verschlingen ganze Felder, Häuser und Städte."

 

   Das Land läuft zum Meere  

 

Das sichtbarste Resultat der Entwaldung, des Überweidens und der schlechten Farmpraktiken ist die Bodenerosion. Die amerikanische Zivilisation, auf neun Zoll Bodenkrume gegründet, hat jetzt ein Drittel dieses Bodens verloren. D. Hugh Benett legt vor einem Kongreßkommitee im Jahre 1939 folgendes Zeugnis ab: "In dem kurzen Leben dieses Landes haben wir 282 Millionen Acker Land, Anbau- und Weideland, wesentlich zerstört. Dazu wirkte sich die Erosion verheerend auf weitere 775 Millionen Acker aus. Rund 100 Millionen Acker anbaufähigen Bodens, die das beste Getreideland repräsentieren, sind in diesem Lande durch uns praktisch erledigt. Wir können sie nicht wiederherstellen.

Die Natur braucht dreihundert bis tausend Jahre dazu, auch nur einen Zoll Mutterboden zurückzubringen — das ist die gleiche Menge, die wir oft infolge eines einzigen Regens verlieren, wenn es ein besonders heftiger, wolkenbruchartiger Regen ist...

Wir besitzen zwar etwas Boden, der noch nicht genutzt ist; aber er ist über weite Gebiete verstreut. Wir haben keine geschlossenen Landmassen, auf die wir zurückgreifen können. Infolge Erosion verlieren wir täglich den Gegenwert von zweihundert Farmen von je vierzig Ackern. Seit wir gestern hier zusammen waren, haben wir diese Menge verloren. Sie ist fort, auf immer fort...

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Die schlimmen Wirkungen der Erosion halten nicht inne bei der Entfernung des Mutterbodens und der darauffolgenden Aushöhlung des Landes durch die Entstehung der Wasserrinnen, sondern die Produkte dieser Prozesse der Bodenaussaugung und direkten Zerstörung wandern die Hänge hinab und füllen die Wasserreservoire, die Ströme, die Kanäle, die Abzugsgräben und die Bewässerungsgräben ... Im südöstlichen Teil der Vereinigten Staaten haben sich dreizehn kostspielige, lebenswichtige Reservoire bis zum Rande ihrer Dämme mit den Erosionsprodukten angefüllt — und zwar in der durchschnittlichen Zeit von nicht ganz dreizehn Jahren ... Die Ingenieure haben noch keine ökonomische Methode gefunden, ein Reservoir wieder zu reinigen, wenn es einmal mit Sand und Schlamm gefüllt ist."

Das "Süßwasserreservoir" in Kalifornien hat in weniger als sieben Jahren 48% seiner Speicherkapazität verloren. In der Nähe von Stillwater in Oklahama hat sich eine Talsperre, die 1937 tausend Acker bedeckte, bis 1944 über fast dreitausend Acker ausgedehnt; der Schlamm hat das Wasser heraufgedrückt und den Nutzen dieser Überschwemmungskontrolle um dieselbe Menge herabgemindert.

Während der letzten hundert Jahre hat der Potomacfluß mehr als eine halbe Milliarde Tonnen Boden aus Washington hinausgetragen, das heißt etwa fünfundsiebzigTonnen von jedem der 7,400,000 Acker des Drainagebeckens über Washington. Ein Teil des Landes besteht aus Wald und ein Teil ist so steil oder felsig, daß er niemals kultiviert worden ist. Demzufolge ist der tatsächliche prozentuale Verlust pro Acker des kultivierten Landes viel größer, als es diese Zahlen angeben8.

Seit den frühesten Kolonialtagen hat die Erosion zwischen einem Viertel bis zu drei Vierteln der besten Teile des getreideproduzierenden Mutterbodens von mehr als fünf Millionen Ackern des ganzen Potomac-Drainagebeckens entfernt. Zuzüglich ist von weiteren 221.000 Ackern 75 bis 100% des Mutterbodens erodiert. Daher ist es kein Wunder, daß der tiefe Hafen, in den einstens die Ozeanschiffe der sieben Meere einliefen, jetzt mit Schlamm gefüllt ist!9

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Nach Schätzung des Boden-Konservierungsamtes wurden annähernd fünf und eine halbe Million Tonnen Bodensatz im Jahre 1947 durch Washington gespült. Und dies geschah trotz der Tatsache, daß auf der Wasserscheide des Potomac zwanzig Bodenkonservierungsgebiete organisiert sind. Sie umfassen fast 87% dieses Beckens. Mit Hilfe der Techniker, der Inspektoren und der Farmer des Boden-Konserservierungsamtes sind schon annähernd 55000 vollständige Pläne zur Konservierung einzelner Farmen ausgearbeitet worden, welche die Behandlung jedes einzelnen der nahezu 1000000 Acker vorsehen. Dennoch fließen fünf und eine halbe Million Tonnen alljährlich den Fluß hinunter. Und hier handelt es sich um einen verhältnismäßig kleinen Fluß.

An der Landspitze der Chesapake-Bucht wurden zwischen 1846 und 1938 rund 85 Millionen Kubikmeter Bodensatz abgelagert; die durchschnittliche Tiefe eines Wassergebiets von 32 Quadratmeilen wurde um 2x/2 Fuß verringert! An den Ufern von zwei Maryland-Häfen, die ehemals dem Überseehandel dienten, stehen die Mooringpfähle jetzt mehr als zwei Meilen vom schiffbaren Wasser entfernt. Im 17. Jahrhundert segelten die Hochseeschiffe buchtaufwärts bis Piscataway in Maryland; jetzt ist die Einfahrt zur Bucht ungefähr zwei Fuß tief! Der Verfall der Landschaft um Tobaccoport, von welcher Cravens Reisender berichtet, trug das ihre bei zur Verschlammung und Stillegung so mancher Häfen an der Chesapakebucht. Port Tobacco selbst ist jetzt eine Meile vom schiffbaren Wasser entfernt.

Obwohl die Bundesstaatenregierung während der letzten hundert Jahre rund 17 Millionen Dollar daran gewendet hat, den Hafen von Baltimore auszubaggern, ist der Wasserstand unter seiner Hannover-Street-Brücke bis zum Jahre 1924 von siebzehn Fuß auf sechs Zoll gefallen.

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   Versteckte Kosten   

 

Die Wirkung dieser Verschlammung auf das Geschäftsleben, die Schiffahrt, die Fischerei, die Austernzucht usw. war natürlich außerordentlich kostspielig; dennoch stellt sie nur einen winzigen Bruchteil der versteckten Kosten dar, die das amerikanische Volk für den unproduktiven Luxus des Bodenmißbrauchs zu zahlen hat.

Es ist sehr wohl möglich, daß in unserer Nationalgeschichte mehr Dollars darauf verwendet wurden, den Mißbrauch unserer natürlichen Hilfsquellen zu kompensieren, als alle Kriegsbudgets, einschließlich der des zweiten Weltkrieges, verschlungen haben. Die Wiedergutmachung unseres Bodenraubbaus zeichnet verantwortlich für den größten Teil der Kosten der Agrikulturschulen, der landwirtschaftlichen Versuchsstationen, des Bodenkonservierungsamtes, der Forst Verwaltung, des Wild- und Fischereiamtes, des geologischen Überwachungsamtes, der staatlichen Konservierungskommissionen und die Armeeingenieure.

Der Mißbrauch des Bodens hat unsere Steuern hochgetrieben, die wir brauchten, um Hochwasserschäden gutzumachen, Flüsse und Häfen auszubaggern, Talsperren und Schutzdeiche zu bauen. Die Reparaturen der Chausseen und Kanäle, der Verlust an hydroelektrischer Kraft, der Schaden durch Insekten und Nagetiere, der erhöhte Dungbedarf und die Resultate der schlechten und nicht ausreichenden Nahrung, der mangelhaften Erziehung und so weiter, alles trägt — und oft ganz erheblich — dazu bei, das amerikanische Leben zu verteuern. Wir sehen diese versteckten Kosten nicht; nur durch langes und sorgsames Studium kämen wir zu einem auch nur annähernden Verständnis. Dennoch: wäre die Last, die sie auf Steuern und Lebensmittelpreise, Kleidung und Löhne häufen, plötzlich aufgehoben, so würden wir zweifellos eine ganz bedeutende Besserung unseres Lebensstandards merken.

Durch unser das ganze Volk umfassende Programm zum Schutze gegen die Bodenerosion ist tatsächlich schon vieles geschehen, um die Erosion einzudämmen und den Boden zu erhalten; aber in den dreizehn Jahren des Bestehens unseres Bodenkonservierungsamtes sind erst 10% seines Programms für Schutzmaßnahmen durchgeführt worden.

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Dieser Fortschritt ist zu langsam, um ein Gefühl der Sicherheit zu rechtfertigen. Und der Achtzigste Kongreß hat das Budget dieses Amtes noch beschnitten!

Im Juli 1947 hat das Missouri-Hochwasser schätzungsweise mehr als 115 Millionen Tonnen des Mutterbodens weggeschwemmt, der einst den Staat Jowa zu einem der größten Agrikulturgebiete der Welt gemacht hat. Der Re-

(gen hat ihn weggetragen. Dadurch sind mindestens 25% von Jowas gesamtem Getreideland weggewaschen. Die Sachverständigen schätzten, daß diese 115 Millionen Tonnen Mutterboden von etwa 6 Millionen Ackern Lehmboden kamen, die schon angesät oder bepflanzt oder wenigstens vorbereitet waren (teils mit Mais, teils mit Soyabohnen); diese reihenweise angebauten Feldfrüchte — wir haben es schon früher dargelegt — bringen hundertmal mehr Erosionsgefahr als Wald und Weideland. Die Washington Post brachte ihren Bericht darüber mit der fettgedruckten Überschrift: "Jowa zahlt mit Boden für die Ernährung der Welt" — als ob das eine Neuigkeit wäre, und als ob Jowa das nicht schon seit Jahrzehnten getan hätte.

Man hat den Verlust der 1947er Erosion für Jowa allein auf 134 Millionen Dollar geschätzt. Das ist natürlich ein irreleitender Begriff, da der Boden eines Landes buchstäblich unbezahlbar ist. Ihn nach den Sätzen eines Grundstückmaklers zu beziffern, ist eine höchst gefährliche Form des Trugschlusses. Es ist die Identifizierung von Symbol und Wirklichkeit in der Verzerrung.

Und sich unter "Bodenerosion" nichts anderes vorzustellen als "Bodenerosion" ist einfach gefährlich primitiv; nicht nur der Boden wird ins Meer gewaschen, sondern auch, wie Jay Darling ausführt, unser Brot und unser Speck und unsere Kartoffeln. Der Golf von Mexiko an der Mississippimündung ist trüb und schmutzig von der Substanz, aus der Knochen und Blut und Muskeln unserer Kinder aufgebaut werden sollen. Diese braunen Wogen ertränken die Zukunft Amerikas.

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Das zweite Problem nach der Bodenerosion ist der Verlust an Fruchtbarkeit. Jungfräulicher Boden in Virginia brachte ohne veredelten Samen und ohne Insektenkontrolle pro Acker hundert Bushel Mais und sechzig Bushel Weizen. Jetzt sind die Durchschnittsernten zweiundvierzig Bushel Mais und zwanzig Bushel Weizen. Und selbst dieser Ertrag wird nur unter Schwierigkeiten und mit großen Kosten aufrechterhalten — und das in einem der fortschrittlichsten Agrikulturstaaten der Union, wo man gründliche Kenntnisse von Krankheits- und Pestkontrolle, von Düngung und Pflanzenzucht besitzt11. Hier haben wir einen Gradmesser, an dem wir den umgebungsmäßigen Widerstand messen können, den wir Amerikaner in unserem Lande hochgetrieben haben.

Der Verlust an Hilfsquellen zeitigt nicht nur die einfache Tatsache der Zerstörung von Holz, Gräsern, Boden und Wildbestand, sondern ein äußerst kompliziertes Ansteigen des totalen umgebungsmäßigen Widerstandes, der jedes Jahr die Ertragsfähigkeit des amerikanischen Bodens weiter herunterdrückt. Was man dabei wahrscheinlich niemals hinlänglich erwogen hat, ist das Absinken des Lebensstandards in seiner Auswirkung auf Gesundheit und Erziehung.

Der Süden steht mit seinem hohen Prozentsatz an Kriminalität und Unwissenheit, seinem Ku-Klux-Klan, seiner Intoleranz und seinem Lynchsystem nach demokratischen Begriffen und nach sozialen Maßstäben bestimmt auf einer der tiefsten Stufen unseres Landes. Wieviel Schuld daran den verzweifelten Versuchen der Menschen beizumessen ist, aus ihrem erschöpften Boden Existenzmöglichkeiten zusammenzustückeln, kann man nicht feststellen — aber der Einfluß muß ganz beträchtlich sein.

Auch Kanada hat ein Erosionsproblem; unter dem Druck der Nahrungssorgen der ganzen Welt hat es sein Land weit mehr verletzt, als dies für seine eigene zum Glück niedrige Bevölkerung notwendig war. In Saskatchevan war 1887 ein schwerer Bodenabtrieb, der offenbar bald nach dem Umpflügen und dem Getreideanbau des Präriebodens einsetzte.

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Die Gegenmaßnahmen waren wirksam, aber so vereinzelt, daß die Gesamtwirkung doch nur schwach blieb. 1934 wurden etwa acht und eine halbe Million Acker anbaufähigen Bodens durch Dürre und Wind schwer mitgenommen, und die Erträge hatten einen Durchschnitt von fünf Bushel pro Acker. Die Wassererosion war nicht so empfindlich wie in den Vereinigten Staaten, trat aber dem Bericht nach doch in den östlichen wie pazifischen Provinzen in Erscheinung. Relativ ist sie hier gefährlicher als weiter südlich, weil Kanada nur beschränkte Gebiete guten Bodens besitzt12.

Die Überschwemmungen in unserem mittleren Westen und die fast hysterische Forderung nach Wasserregulierung durch technische Anlagen sind eine Nebenerscheinung des Bodenmißbrauchs. Die Leute, die sich in den Niederungen des Mississippi, Missouri und ihrer Nebenflüsse angesiedelt haben und jetzt wehklagen, die Bewohner des übrigen Landes müßten ihr Land trocken legen, erinnern mich immer an den Mann, der vom Wolkenkratzer hinuntersprang —und dann seinen Sinn änderte. Das Land, auf dem sie sich angebaut haben, und die Felder, die sie umpflügen, waren ganz offenkundig von vergangenen Überschwemmungen abgelagert worden. Daß menschliche Wesen sich jetzt in der angeschwemmten Niederung angesiedelt haben, ist kein Hinderungsgrund für weitere Überschwemmungen.

Die zeitweilig auftretenden Hochwasser zu verringern, indem man eine Reihe von Deichen baut, die ein Stück des reichsten Bodens der Welt dauernd unter Wasser setzen würden (das ist das Projekt der US. Armeeingenieure), scheint der Torheit die Krone aufzusetzen. Eine Anfrage vom 7. Juli 1947 an die Armeeingenieure ergab die Information, daß sie keine Ahnung hatten, welche Menge Ackerland das Reservoir umfassen würde! Es ist niemals errechnet worden, wieviel gutes Land auf immer durch ein Missourital-Projekt (Missouri Valley Authority = MVA) der Nutzung des amerikanischen Volkes entzogen wäre.

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Ehe dies geschehen ist und die jeweilige MVA.-Entwicklung sich diesem Faktor angepaßt hat, ist das MVA. nur eine nationale Belastung. Wir können es uns nicht mehr leisten, fruchtbare Felder unter hydro-elektrischen Reservoirs dahinschwinden zu sehen. Ebensowenig können wir es uns leisten, fruchtbare Felder zu opfern, um stromabwärts liegende Großstadtgebiete gegen Hochwasser zu sichern. Wir haben nicht genug gutes Land, um unsern laufenden Bedarf halbwegs zu decken, was die Ereignisse der letzten Zeit — einschließlich der hohen Preise —klar erwiesen haben. Wir sind weit entfernt davon, den Erosionsverlusten an gutem Boden ein Ende gesetzt zu haben; und unsere eigenen und die Anforderungen der Welt an das gute Land, das uns geblieben ist, steigen immer höher. Der Gedanke, hier auf der Basis von Wasserscheiden Abhilfe zu schaffen, ist einer der aussichtsreichsten und gesündesten Pläne unserer modernen Zeit. Er ist aber, wie alle menschlichen Unternehmungen, durch aristotelische Identifikationen kompliziert. Wenn wir nicht von der Voraussetzung ausgehen, daß jede Wasserscheide einzigartig und einmalig ist, werden die Flußtal-Projekte zu zerstörerischen und kostspieligen Irrtümern führen. Das Missourital ist nicht das Tennesseetal. Selbst wenn das Tennesseetal-Projekt ein uneingeschränkter Erfolg wäre, müßte es doch weitestgehend abgeändert werden, ehe man es auf andere Gebiete überträgt. Im Tennesseetal werden Fehler gemacht, wie die Überflutung produktiven Landes und die Vernachlässigung der Wasserscheide — und solche Fehler könnten sich anderswo sehr ernst auswirken; das Missourital ist bis zu einem beträchtlichen Ausmaße ein Gebiet mit leichtem, außerordentlich erodiblem Boden, der intensiv und extensiv bewirtschaftet wird.

Eine besondere Gefahr besteht darin, daß man die Ingenieure losläßt, ehe ausreichende Studien gemacht worden sind. In besonderen Vorlesungen über das Missourital-Projekt haben einige unserer bedeutendsten Wissenschaftler glänzende Aufklärungen über das verwickelte Problem einer gesunden Landnutzungs-Entwicklung, besonders der Bewässerung des Missouritals gegeben; diese Ausführungen bewiesen klar, daß in unseren Kenntnissen über dieses Gebiet bedenkliche Lücken sind.

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Über Nacht kann man die notwendigen Studien und Forschungen nicht machen, und ohne solche Studien Deiche zu bauen (wie es die US-Armeeingenieure und die Unterabteilung für Urbarmachung getan haben), scheint eine unverantwortliche Schädigung des Landes und der Steuerzahler.

Die hundert Millionen Dollar, die man von uns fordert, um die Zerstörung der Städte zu verhüten und den Verlust von Menschenleben zu vermeiden, sind eine ungeheure Last für den Steuerzahler. Zur gleichen Zeit, da unser Schulsystem zusammenzubrechen droht, weil wir den Lehrern kein anständiges Gehalt zahlen können, da wir kaum unsere Hospitäler unterstützen können, die unsere Kranken versorgen — werden wir dazu gedrängt, Milliarden Dollar an Leute zu verschwenden, die zu töricht sind, den Überschwemmungsgebieten fernzubleiben, und an die Eindeichung von Flüssen, die hauptsächlich durch die Zerstörung der Wälder und des Graslandes außer Rand und Band geraten sind! Die Okies*), die 1936 und 1937 nach Kalifornien strömten, waren Produkte der Unwissenheit und des Mißbrauchs der Naturgesetze und der natürlichen Hilfsquellen.

Eine Periode günstiger Regenfälle hat viele dieser Leute in die Gefahrenzone zurückgebracht; es ist gewiß, daß innerhalb weniger Jahre die Abtrift des Mutterbodens wiederum die Farmhäuser begraben wird — und die Okies werden sich wieder auf die Wanderschaft begeben. Leute, welche die Wasserscheiden entwalden und überweiden, und sich selbst in den Weg des Hochwassers stellen, sind nicht weniger eine nationale Belastung als die Okies. Und man ist versucht zu sagen, daß auch die westlichen Senatoren nichts anderes sind; während sie die enorm kostspieligen Flußtal-Projekte befürworten, fahren sie fort, das Uberweiden und die Erosion der Wasserscheiden dieser Flüsse zu unterstützen, indem sie für die Beihilfen der Schafzüchter stimmen!

*) entwurzelte Farmer.

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Ein anderes natürliches Hilfsmittel, das jedem guten Amerikaner Kopfzerbrechen machen sollte, ihm aber wenig Kopfzerbrechen macht, ist unser Grundwasser. In einem großen Teil der Vereinigten Staaten fällt der Grundwasserspiegel. Um Baltimore —vermutlich als Gegenstück der eben geschilderten Erosion und Verschlammung — ist es in zweiunddreißig Jahren um 146 Fuß gefallen13. Mit anderen Worten: 1948 muß man einen Brunnen 146 Fuß tiefer graben als es 1916 nötig war. Das erhöht natürlich die Kosten der Wasserbeschaffung und bringt die Zeit nahe, da einfach nicht genug Wasser für die Bedürfnisse der Stadt vorhanden sein wird. Dann wäre Baltimore in der gleichen Lage wie Mexiko City — ohne genügend Wasser für die Feuerwehr, für die Industrie, für die sanitären Notwendigkeiten — ein häßliches Beispiel, das dem Rest des Landes eine bitter notwendige Lektion in elementarer Biophysik erteilen könnte.

Eine der sinnlosesten Vergeudungen der Weltgeschichte spielte sich in Kalifornien im Santa-Clara-Tal ab; wenige Jahre, nachdem es unter die "fortschrittliche" Verwaltung der Nordamerikaner gekommen war, wurden die artesischen Hilfsquellen des Tales entdeckt und zur Bewässerung angezapft. In den 1890er Jahren wurden Pumpenbrunnen über dem artesischen Gürtel eingelassen; 1910 gab es tausend fließende Brunnen.

Die Auffüllung des Grundwassers hängt größtenteils von gewittergenährten Strömen ab, die zwischen den angrenzenden Bergen anschwellen; es wurde nichts getan, um diesen Vorrat aufzufangen, und noch 1932, nachdem die Hydrologen und Ingenieure jahrzehntelang protestiert hatten, rannen 71% dieser Wasser ungenützt in die Bucht von San Franzisko.

Nach 1915 wurde die Situation bedrohlich. Noch immer war nichts geschehen, um den natürlichen Vorrat zu erhöhen; im Gegenteil, die Pumpwerke breiteten sich rapide aus. Sie sprangen von 25000 Acker-Fuß im Jahre 1915 auf 134000 im Jahre 1933. Der Grundwasserspiegel sank jährlich um etwa fünf Fuß, bis zum Jahre 1933, da er um einundzwanzig Fuß fiel!

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Als der Wasserspiegel sank, hörten die artesischen Brunnen auf zu fließen; 1930 versiegte der letzte. 1934 mußte man das Wasser durchschnittlich 165 Fuß hoch heraufpumpen, und die Bewässerung wurde sowohl schwierig wie kostspielig.

Nachdem der stützende Grundwasserspiegel fehlte, sank die Talsohle selbst in zwanzig Jahren um fünf Fuß. Die Gebäude, Röhrenleitungen, Obstgärten und Straßen erlitten kostspielige Schäden, die sich auf Millionen beliefen. Anhaltende Besiedlung verringerte die Grundwasservorratskapazität um 500.000 Acker-Fuß.

Das alles brachte die Kalifornier immer noch nicht dazu, zu erkennen, was sich da abspielte; im Jahre 1922 wurde ein Konservierungsplan für vier Millionen mit 7 : 1 abgelehnt; dennoch verbrauchten die Farmer in den folgenden zwanzig Jahren mehr als 16 Millionen für neue Brunnen, für immer stärkere Pumpanlagen usw. Zweifellos fingen sie auch an zu beten. Erst als 1934 das Salzwasser, das von der San Franzisko-Bucht einsickerte, aus ihren Pumpen floß, gingen sie daran, etwas dagegen zu tun — das Regenwasser in die Erde zurückzubringen u!

Diese Geschichte hat sichzwischen Baltimore und dem Santa-Clara-Tal mit Variationen Hunderte von Malen wiederholt. Am schlimmsten ist die Lage im trockenen und halbtrockenen Westen; aber auch in vielen Teilen des feuchten Ostens ist sie schlimm und wird immer schlimmer; dort werden die großen Vorräte potentiell zugänglichen Wassers durch die Zerstörung der Vegetation und durch unmäßigen Gebrauch für gemeindliche und industrielle Zwecke abgeleitet. In Ohio "fällt der Wasserspiegel in bedrohlichem Maße". In zahlreichen Bezirken müssen die Farmer Wasser kaufen und heranschaffen — ein kostspieliger Prozeß, der natürlich zu Lasten des Verbrauchers geht15. Der Mensch vermehrt durch seine Torheit die umgebungsmäßigen Widerstände; er kann vielleicht durch nachträgliche Überlegung einen Teil seines Wassers wiederbekommen ; aber wir alle müssen dafür zahlen — durch die erhöhten Preise des Obstes und Gemüses von Santa Clara.

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   Die Tiere auf dem Feld  

 

Es gibt noch eine natürliche Hilfsquelle, die wir — um Jay Darlings berühmtes Wort zu gebrauchen — ungefähr so behandeln wie ein O-beiniges Mädchen bei einem Tanzkränzchen — es ist der Wildbestand und sein Revier.

Wir setzen den Wildbestand fast immer ganz unten auf die Liste unseres nationalen Reichtums, und unsere Rechtfertigungen für seinen Schutz klingen beinahe wie Entschuldigungen. Dafür gibt es eine ganze Anzahl von Gründen; zum Beispiel unsere nationale Tendenz (für die uns sogar die sehr geldbewußten Franzosen und Latein-Amerikaner als Geizhälse brandmarken), das Dollarzeichen als unser hauptsächlichstes Standardmaß zu gebrauchen. Wie kann man einen Münzwert festsetzen, wenn einem das Herz hochspringt beim raschen Anblick einer purpurroten Prachtmeise, beim schmetternden Gesang der Wachtel, beim Aufsteigen der weißen Ibisse über der sumpfigen Steppe, selbst beim traulichen Zirpen des Zaunkönigs?

Und wie steht es mit den blauen Teppichen von Hahnenfuß-Veilchen in der Prärie, dem unbeschreiblichen Scharlachrot der wilden Lobelie, der zarten Vollendung der kleinen weißen Orchidee und der Pantoffelblume, der Frühlingsglocke der einfachen Zehrwurz ? Mit dem Schwirren der grünen Libellen über den Teichbinsen, dem Schrei der Wildente, wenn sie zum Nisten einfällt? Kommt irgendeine Architektur der Alten Welt den lebenden Spitzbogen gleich, die sich über unsere südlichen Sümpfe spannen, in denen alle Singvögel des Urwalds wie lebende Edelsteine umherschießen? Wer einmal schweigend durch die natürlichen Wasserstraßen der Deltamarschen gerudert ist, dem müssen die schmutzerstickten Kanäle Venedigs nicht mehr als ein Antiklimax sein! Wie wir Chartres und den Louvre nicht danach bewerten, was sie bei einer Auktion bringen würden — so dürfen wir auch nicht den Versuch machen, unser Wild nach seinem Geldwerte zu registrieren!

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Wir sind auch sehr praktische Leute und tun uns etwas darauf zugute, daß wir bei einem Ding, das wir nicht nach Geld werten können, wenigstens verlangen, daß es einen "praktischen Zweck" hat. Wie oft bin ich gefragt worden, ob eine wilde Blume oder ein Salamander oder ein Vogel "zu etwas nütze" sei!

Die Liebe für die freie Natur und ihre Geschöpfe ist ein wichtiger Teil unseres Erbes von jener Zeit, da Catesby seine ersten Bilder vom Leben des amerikanischen Wildes malte, bis auf den heutigen Tag, da in einem Jahre mehr als fünfundzwanzig Millionen Menschen unsere nationalen Parks besuchten. Thoreau, Emerson, Whitman, Melville, Cooper, Jeffers, Beebe und ein ganzes Heer anderer Dichter war tief beeindruckt durch unsere Wälder, unsere Vögel, unsere Küsten. Die Maler von Audubon bis zu Benson, Rungius und Jaeques haben die Schönheit unseres Wildlebens gesucht. Mehr als jede andere Kultur — außer vielleicht der britischen — steht die unsere tief unter dem Einfluß des Naturbewußtseins. Und heute, da wir in den knirschenden Maschen einer mechanisierten Zivilisation und in der Eintönigkeit unbefriedigender Aufgaben verstrickt sind, brauchen wir notwendiger denn je die wohltuende Wirkung unserer Berge und Wälder mit ihrem Reichtum an Pflanzen und Tieren.

Dennoch haben wir diesen Reichtum vernachlässigt und beleidigt und zerstört. Die letzte der zahllos schwärmenden Wandertauben starb 1914 in einem Käfig. Das Birkhuhn ist seit 1932 nirgends mehr zu finden. Der Eskimo-Brachvogel, der von den Jägern in Wagenladungen auf den Markt geschafft wurde, erschien zum letztenmal 1924 auf seiner Winterwanderung in Argentinien. Der östliche Puma, der die Wildscharen nicht überhandnehmen ließ (wie die Hemmung die Uhrfeder am Ablaufen hindert), wurde vor fünfzig Jahren ausgerottet. Der Grizlybär, der in unserer Volkssage eine so große Rolle spielt, ist in beängstigend wenigen und gefährdeten Exemplaren übriggeblieben. Das gewaltige Großhornschaf hält sich nur noch auf wenigen isolierten Vorposten.

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Die Liste der Arten, deren Leben an einem Faden hängt, ist erschreckend lang; sie enthält den Eisbären, den kanadischen Marder, den Steinmarder, den Vielfraß, den Kittfuchs, den Waldwolf, den floridischen Kaguar, verschiedene Seehund-, Hirsch- und Walfischarten, das Waldrenntier, die floridische Seekuh, den großen weißen Reiher, den Trompetenschwan, den kalifornischen Kondor, den herrlichen schreienden Kranich und den elfenbeinschnabligen Specht, den größten und prächtigsten der ganzen amerikanischen Spechtfamilie16. Ob unsere Wildenten es überleben, von zwei Millionen Jägern beschossen zu werden, ist mehr als fraglich.

In Tausenden von Jahren hat die Natur unter diesen Vögeln und Säugetieren ein Fortpflanzungsmaß entwickelt, das genügend Nachwuchs schuf, um das Weiterbestehen aller Arten zu sichern, trotz der normalen, natürlichen Verluste, die im Tierleben vorkommen. Zu diesen gehören das Raubtierwesen, die Krankheiten, das Parasitentum, die Zufälle des Wetters und der Wanderzeiten. Die meisten dieser Rückschläge sind auch heute noch wirksam. Nun aber kommt die Vernichtung des Tiers durch den Menschen hinzu — die Verwüstung der Sümpfe, Wälder, Flüsse und Felder — der einzigen Orte, an denen diese Geschöpfe leben können. Demnach ist es kein Wunder, daß ihr Fortbestehen von ständiger menschlicher Wachsamkeit und Hegung abhängt !

Allein der Größe und dem Reichtum unseres Landes, und — im Vergleich zur Alten Welt — dem relativ schwächeren menschlichen Druck auf die Umgebung verdanken wir, daß wir nicht noch viel mehr Wild verloren haben. Jetzt aber, da der Viehzüchter den letzten grünen Halm, der Holzhändler den letzten großen Baum, der Ingenieur die besten Uferhänge für die riesigen Reservoire sucht, erfordert der Schutz unseres Wildbestandes ständig vermehrte Sorgfalt und Klugheit.

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Viele Amerikaner fühlen sich von der Frage nicht betroffen, da wir immer noch im Besitz eines beträchtlichen Reichtums an wildem Leben sind. Aber dies gleicht bedenklich der Haltung des kleinen Jungen, der es ablehnte, eine Mark zu verdienen, da er ja schon eine Mark besaß. Oder, auf eine höhere Ebene übertragen, als wolle man Cellinis silbergetriebene Gefäße einschmelzen mit der Begründung, man hätte ja immer noch die des Leonardo.

Tatsächlich scheint der Vandalismus, der den letzten schreienden Kranich, den letzten elfenbeinschnabligen Specht ausrottet, noch viel schlimmer. Silberne Schalen sind tote Dinge, die der Mensch in ein paar Wochen oder Monaten geschaffen hat. Der Kondor aber, der mit dem Sturm über Kaliforniens Berge braust, der Brachvogel, der zwei Kontinente mit seinem Lockruf umspannte — sie sind in Millionen von Jahren entstanden. Dieselbe Kraft, die die Erde geschaffen hat, formte ihre Gestalt, ersann ihre Bestimmung. Der Wind und die Kälte, der Reigen der Jahreszeiten, die Verschiebungen des Landes, die Erfolge und Fehlschläge der Vegetation und die Gewandtheit ihrer Feinde hämmerten in tausend und zehntausend Generationen auf die geschmeidige Substanz dieser Geschöpfe ein. Endlose Auswahl, endloses Verwerfen, endloser Wechsel brachte sie zu dieser letzten Vollkommenheit für die Welt, in der sie leben. Darf der Mensch wie ein tölpelhafter Zauberlehrling es wagen, den Schmelztiegel zu zerschlagen, in dem sie so vollendet wurden, darf er sie herabwürdigen zu einer bloßen Erinnerung, einem Bündel ausgestopfter Federn in einem Museum ? Nach meinem Gefühl darf er es nicht, ohne sich selbst aufs Ärgste zu berauben!

Glücklicherweise kann man den Menschen, die keinen anderen Wert als den durch die Goldreserve gesicherten zu schätzen wissen, mit Leichtigkeit beweisen, daß der Wert unserer Vögel und Säugetiere und Reptilien, ja sogar vieler Insekten auch in klingender Münze zu messen ist. 

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Unser Wild, unser Wildgeflügel und unsere Fische tragen eine Industrie von zwei Milliarden Dollar jährlich — allein an Jagd-, Fischerei- und damit verbundenen Artikeln. Unsere Pelzträger sind fraglos mindestens ein Viertel dieser Summe wert. Aber der Wert unserer Wildbestände zur Aufrechterhaltung einer ausgewogenen, gesunden Ökologie, in der der Mensch gedeihen kann, ist viel höher, als jede Summe, die man für ihre direkte Ausbeutung errechnet. Sie sind unschätzbar für unsere Gesundheit — die körperliche wie die seelische —, und das gilt für alle, die ihretwegen in die freie Natur gehen, mit oder ohne Flinte und Angelrute. Die grundlegende Ausbildung für diesen Zweck trug erheblich dazu bei, daß eine riesige Gruppe nichtmilitaristischer junger Bürger mit erstaunlicher Geschwindigkeit zu einem prachtvollen Korps von Dschungelkämpfern wurde. Die Wertschätzung und die Verteidigung unseres Wildbestandes bedarf keiner Entschuldigung; aber sie muß immer neu angefacht werden; wir müssen uns daran erinnern, daß dieser Schatz nicht seinesgleichen hat, und daß nur tatkräftiges Handeln ihn uns zu unserer Freude erhält.

Diese kurze Übersicht unserer ersetzbaren Hilfsquellen wirft ein scharfes Licht auf einen sehr beliebten Teil unseres nationalen Lebens: den freien Wettbewerb. Seit etwa fünfzehn Jahren hören wir immer häufiger Diskussionen darüber. Seine primitiven Jünger rufen wieder und wieder: ,,Der freie Wettbewerb hat unser Land zu dem gemacht, was es ist!"

Hierzu wird der Ökologe sardonisch bemerken: "Allerdings." Denn auf dem freien Wettbewerb lastet die schwerste Verantwortung für unsere verwüsteten Wälder, unser aussterbendes Wild, unsere verkümmerten Weiden, ja für einen untergrabenen Kontinent und brausende Hochwasser. Freier Wettbewerb — ohne jedes biophysische Verständnis und ohne soziale Verantwortlichkeit!

Wer immer noch für das eintreten will, was vom freien Wettbewerb übriggeblieben ist, sollte sich Zeit nehmen, sehr gründlich über die Antwort auf zwei Fragen nachzudenken:

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Hätte der freie Wettbewerb dieses Land mächtig und reich und demokratisch frei gemacht, wenn ihm nicht der vielleicht größte Vorrat an natürlichen Reichtümern zur Verfügung gestanden hätte? Und kann ein Wettbewerb auch nur teilweise frei bleiben, wenn wir fortfahren, unser Geburtsrecht wie betrunkene Matrosen zu vergeuden?

 

Die Schädigung der Weiden gipfelte in dem Taylor Grazing Act mit seiner minimal wissenschaftlichen Kontrolle über die Viehzüchter. Sie haben ihn mit politischen Manipulationen wie mit einem Sandsack totgeschlagen. Wenn sie nicht das Abweiden der Grasbestände den natürlichen Ergänzungsmöglichkeiten anpassen (und zur Zeit deutet nichts darauf hin, daß die Viehzüchter dazu willens sind!) muß die Nation Notwehrmaßnahmen ergreifen, die viel strenger sind und viel schärfer wirken — ein echtes Weideschutzgesetz. Das Forstministerium der Vereinigten Staaten hat Mut genug, ein System kontrollierten Abholzens zu befürworten. Wenn es jedoch nicht durchzusetzen ist (und so sieht es zur Zeit aus!), werden die meisten Amerikaner eine Beschränkung des Einschlags immer noch der Verstaatlichung aller Waldgebiete vorziehen. Verschwindet auf diese Weise der "freie Wettbewerb" von Wald und Weide, so haben sich nur diejenigen dafür zu tadeln, die ihn so mißbraucht haben.

Der Polizeistaat ist abschreckend für die meisten Menschen, die einmal die Freiheit gekannt haben; es sind gewiß nur wenige unter uns, die nicht lieber im Kampfe um die Freiheit sterben als den Polizeistaat hinnehmen würden. Und wenn man sich nach den kärglichen Nachrichten, die aus Rußland durchsickern, die Vorgänge dort rekonstruieren kann, so hat auch der Polizeistaat noch nicht den Weg zur gesunden Landnutzung gefunden. Ebensowenig gelang es dem freien "Commonwealth" Australiens.

Wir sind dagegen leidlich erfolgreich gewesen mit staatlich durchgeführten Projekten wie dem Postwesen, der Wassergeflügeljagd, der Forstverwaltung und den Weidedistrikten; es ist unwahrscheinlich, daß wir uns angesichts der Notwendigkeit weigern sollten, diese Verwaltung weiter auszudehnen.

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Wir vermeiden einen solchen Schritt, unsern Boden zu schützen, durch die demokratischen Grundsätze der Bodenkonservierungsgebiete. Diese sind jedoch, da ihre Wirksamkeit bisher nicht nachgewiesen ist, immer noch nur ein Versuch; und sie sind nicht durch die Machtkonzentration gehemmt, die man bei den Viehzüchtern und Holzhändlern findet. Die Mitglieder der Bodenkonservierungsbezirke erlegen sich selbst Beschränkungen auf und erhalten so ein Unternehmen der freien Wahl durch demokratische Mittel aufrecht. Wie lange andere Ausbeuter unserer Hilfsmittel imstande sein werden, eine gewisse Freiheit zu behalten, ist eine Frage, die sie selbst entscheiden werden. Wenn ich mich nicht sehr irre, wird es nicht mehr lange dauern, bis sie sich entschließen müssen.

 

     Der Weg zurück   

 

Wir haben damit begonnen, unser Land wieder zu heilen —aber wir haben noch nicht annähernd genug dazu getan. Unsere Forstverwaltung, unsere Fischerei- und Wildschutzbehörden, unsere Nationalpark-Verwaltung und das Bodenkonservierungs-Amt sind bewundernswert, aber unzulänglich. Universitäten und landwirtschaftliche Institute haben viele Forschungen durchgeführt, die eine Basis für verbesserte Landnutzung sind, aber sie hatten niemals genügende Mittel und ausreichendes Personal. Einige staatliche Konservierungskommissionen haben wichtige Beiträge dazu geliefert, aber in diesen Kommissionen sind zu viele politische Liebediener, Mantelträger und Unbefugte.

Die bürgerlichen Organisationen (wie die Isaak-Walton-Liga, der Nationalpark-Verein, das Konservierungskomitee für Notstände, die Nationale Audubon-Gesellschaft, das Institut für Wildhegung und der Nationale Wildschutz-Verein) haben konstruktive Arbeit geleistet, aber sowohl ihre Mittel wie ihre Mitgliedschaften sind kläglich beschränkt, und das in einer Nation, wo mindestens ein Drittel der 145 Millionen Einwohner, wenn nicht die Hälfte, in freier Natur Erholung sucht! Die meisten dieser Gruppen, gleichviel, ob sie zur Regierung gehören oder nicht, sind gehemmt durch die nicht ausreichend kritische Wertschätzung ihrer eigenen Arbeit.

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Nach Carl W. Shoemaker vom Nationalen Wildschutz-Verband betrug 1945 der gesamte Aufwand für die Konservierung (Forschung, Erziehung und Durchführung) in den Vereinigten Staaten annähernd 1.000.000.000 Dollar. Und das in einer Nation mit einem Jahreseinkommen von nahezu 200.000.000.000 Dollar!

Unser Reichtum und unser Fortbestehen hängt von unsern natürlichen Hilfsquellen und unserem Boden ab; dennoch verbrauchen wir zu ihrer Erhaltung nur ungefähr ein halbes Prozent unseres nationalen Einkommens! Wir geben viele Milliarden aus für Armee, Flotte und Luftwaffe, da wir unsere nationalen Grenzen gegen einen möglichen Angriff schützen wollen; aber wir wollen nur einen kleinen Bruchteil dieses Betrages daran wenden, uns gegen die zahlreichen Angriffe aller Art zu schützen, die innerhalb unserer Grenzen immer weit ergehen und die einzigen Mittel zu unserem nationalen Fortbestand bedrohen.

Die Torheit dieser Sparsamkeit am falschen Platz wird noch augenfälliger, wenn wir erkennen, daß eine gesunde Landnutzung tatsächlich unser Nationaleinkommen erhöht. Wenn die Weiden in gutem Zustande sind, kann pro Acker mehr Fleisch durch weniger Tiere erzeugt werden. Ein Viehzüchter aus Texas, der 1937 mit der Bewirtschaftung seines Bodens anfing, produzierte 21000 Pfund Wolle, das heißt einen Durchschnitt von 8,6 Pfund pro Schaf; dazu 69.000 Pfund Lamm- und 39.000 Pfund Kalbfleisch.

Daraufhin berichtete er dem Bodenkonservierungs-Amt:

"Das sah so einfach aus, daß ich beschloß, meine Wollproduktion auf 25.000 Pfund zu erhöhen, indem ich mehr Schafe züchtete. Mehrere Jahre lang ging es sehr gut. 1939 fügte ich noch Ziegen hinzu, und 1942 hatte ich neunzig Tiere auf jeder Sektion (etwa 2% qkm). Im gleichen Jahre aber bemerkte ich eine große Veränderung — ich schor nur 16.000 Pfund Wolle, also einen Durchschnitt von 6,7 Pfund pro Schaf, und produzierte nur 36.000 Pfund Lammfleisch, also etwa 51 Pfund pro Stück. Damals wurde mir klar, daß jede Weide ihre Produktionsgrenzen hat. Ich beschnitt meine Einheiten um ein Viertel und erzielte bei der Schafschur 8,5 Pfund Wolle pro Tier, die Lämmer wogen 61 Pfund und die Kälber 460. Ich erzielte mehr Jungtiere, fütterte zusätzlich nur Böcke und Bullen, und hatte geringere Sterblichkeitsverluste und Zuchtkosten. Vor 1946 brauchte ich ungefähr 50 Tonnen zusätzliches Futter; in diesem Jahr brauchte ich nur zehn Tonnen."17

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Es ist festgestellt worden, "daß die Farmer im Staate Jowa im Jahre 1945 rund 37 Millionen Dollar mehr Einnahmen gehabt hätten, als es tatsächlich der Fall war, wenn sie ihre Soyabohnen und ihren Mais reliefmäßig angebaut hätten." Diese Schätzung basierte auf der niedrigsten Ertragssteigerung, die in Bushein pro Acker zu erwarten war, und zwar zweiundeinhalb Bushel bei den Bohnen und fünf Bushel beim Mais18. In dem betreffenden Jahr war, das muß man in Betracht ziehen, sehr günstiges Wetter; die Preise waren relativ niedrig; es hatte weder Dürren noch Überschwemmungen von bemerkenswertem Ausmaße gegeben; bei ungünstigeren Verhältnissen wäre der Mehrertrag für die Farmer noch höher gewesen.

 

    Eine menschliche Hilfsquelle   

 

Eine Hilfsquelle, deren Wert niemals angemessen geschätzt worden ist, sind die Männer und Frauen, die sich mit der Bodenkonservierung beschäftigen — im Staats- und Gemeindedienst, in den Universitäten und Colleges, in mehreren Organisationen der Regierung und von privater Seite. Ich habe im Laufe der Jahre sehr viele von ihnen kennengelernt. Ihre Intelligenz und die Hingabe an ihre Arbeit gehören zu unseren gewaltigsten nationalen Aktiven. Sie werden zum großen Teil schamlos schlecht bezahlt, wenn man vergleicht, was sie mit ihrer Intelligenz und Persönlichkeit in der Geschäftswelt verdienen würden.

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Zwei von ihnen, Gifford Pinchort und Hugh B. Bennett, haben wahrscheinlich mehr für unser Land getan als irgendeiner unserer Präsidenten, mit Ausnahme der allergrößten — Pinchot kämpfte und gewann mit Theodore Roosevelts Hilfe die erste große Schlacht um die Konservierung — zugunsten unseres Forstwesens. Ihm verdanken wir die Einrichtung des US.-Forstdienstes, und er war es, wahrscheinlich mehr als jeder andere, der das Wort "Konservierung" in unserm Wortschatz populär machte. Hugh Bennett kämpfte fast zwanzig Jahre als Verteidiger des Bodens, ehe er so gehört wurde, wie es ihm zukam. Als Wissenschaftler, Administrator und evangelischer Prediger in einer Person veranstaltete er praktische "Erweckungs"-Zusammenkünfte zugunsten unseres Bodens, von einem Ende des Landes bis zum anderen. Unter seiner Führung wurde das Bodenkonservierungs-Amt aufgebaut; es ist in der ganzen Welt als die beste Organisation dieser Art anerkannt. In einigen Teilen des Landes hat es bereits geradezu unglaubliche Erfolge gehabt; wenn man tatsächlich überlegt, was es innerhalb von dreizehn Jahren geleistet hat, so kann man es eine unserer stolzesten nationalen Errungenschaften nennen. Das amerikanische Volk wird in tausend Jahren — vorausgesetzt, daß es nicht durch Krieg oder andere Katastrophen ausgelöscht ist — sich noch immer der Wohltaten erfreuen, die durch den großen Glauben, die Selbstlosigkeit und Tüchtigkeit dieser beiden Männer ins Leben gerufen wurden.

Aber trotz der bemerkenswerten Konservierungsberichte der Vereinigten Staaten verlieren wir immer noch Boden, symbolisch wie buchstäblich genommen. Wir fahren fort, vom Kapital unseres Bodens zu leben, und die Anforderungen, die national wie international an unser Land gestellt werden, steigen beständig. In einer Zeit, da wir der schlimmsten Holzknappheit in unserer Geschichte gegenüberstehen, entwickelt die Industrie zahlreiche neue Verwendungsmöglichkeiten für Holz.

Dieser gesteigerten Nachfrage begegnen zum Teil verbesserte Methoden zur Verwendung der Holzabfälle, trotzdem besteht ein steigender Hang zur weiteren Verringerung "nserer Forstreserven. So unglaublich es klingt — in den

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Vereinigten Staaten sind immer noch 136 Millionen Acker Wald ohne organisierten Schutz gegen Feuer! Einer der schrecklichsten Waldbrände ereignete sich im Jahre 1947 in Alaska, wo der Kongreß das Budget der Feuerwehr empfindlich beschnitten hatte.

Die Nahrungsknappheit der Welt und die damit zusammenhängenden hohen Preise haben unsere Agrikultur kopfüber in jene ökologische Halbwelt zurückgeworfen, wo alles gut ist — wenn es regnet! Man schätzt, daß zwölf Millionen Acker, die nicht mehr bebaut werden durften, unter den Pflug genommen wurden, und die Regierungssachverständigen bestätigen, daß nur die ungewöhnlich großen Niederschläge uns im Jahre 1947 vor dem Wiederauftreten des Staubbeckens bewahrt haben.

Da die Bevölkerung der Welt ebenso ansteigt wie die unsere, besteht für viele künftige Jahrzehnte keine Wahrscheinlichkeit eines absinkenden Nahrungsbedarfs; die Nahrung — das heißt unser Boden — ist im Kampfe der Welt zu einer überlegenen politischen Waffe geworden. Der höhere Lebensstandard, den während des Krieges die Gruppen mit geringem Einkommen genossen, hat den nationalen Appetit auf Fleisch gesteigert, der nur durch Ausbeutung —und damit Zerstörung — unserer Weiden befriedigt werden kann. Man könnte zwar Hammelfleisch aus Argentinien importieren, das dem meisten in den Vereinigten Staaten produzierten Fleisch überlegen ist, aber die Schafzüchterlassen es nicht zu.

Die Bebauung ungeeigneten Landes, schlechte agrikulturelle Methoden, Entwaldung und Überweidung spielten ihre üblichen Rollen im Zunehmen des Bodenschwundes und trugen ihr Teil zu den ernsten Überschwemmungen des Frühjahrs 1947 bei; der Kreislauf geht weiter und kommt im Golf von Mexiko heraus. Enorme Hindernisse sind zu überwinden, wenn wir unsere Nation auf eine gleichbleibende gesunde Ertragsbasis bringen wollen. Aber es kommen noch höhere Schranken hinzu durch die Notwendigkeit, den Hunger zu lindern und damit die politischen Spannungen der übrigen Welt zu verringern.

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    Die Unzulänglichkeit des Kongresses   

 

Eins der höchsten Hindernisse, die zu überwinden sind, ist der Kongreß. Seine Mängel spiegeln lediglich etwas von den Mängeln unserer ganzen Lebensweise wieder. Der Kongreß repräsentiert das Volk und kommt aus dem Volke. Er besitzt fast bestimmt einen höheren Durchschnitt an Erziehung und Intelligenz als die Wählerschaft. 

Mit wenigen Ausnahmen ist er aus aufrichtigen, ehrlichen Männern zusammengesetzt, die an einer der wichtigsten Aufgaben der Welt ungewöhnlich hart arbeiten. Das ist aber unglücklicherweise nicht genug in einer übervölkerten Welt, die Verwicklungen fast jenseits des menschlichen Verständnisses zeigt; die meisten Kongreßmitglieder wissen nichts vom Impakt des Menschen auf seine Umwelt und von dem der Umwelt auf ihn.

Die aristotelische Tendenz ihrer Erziehung neigt dazu, die Betonung der Dinge zu übertreiben, die ihnen gelehrt wurden. Ihre überwiegende Mehrheit ist nicht mit dem ökologischen Gebiet vertraut, nicht einmal mit den Methoden wissenschaftlicher Forschungen. Viele Kongreßmitglieder rühmen sich selbst als "praktische" Männer und kennen die schöne Definition des "praktischen Mannes" nicht: "Ein praktischer Mann ist einer, der den Theorien folgt, die mindestens vierzig Jahre alt sind." Sie bringen für ihre Wertung der Bodennutzungsforschung nichts mit von dem Verständnis unserer hervorragend praktischen industriellen Führer, die Hunderte von Millionen auf wissenschaftliche Prüfungsverfahren verwenden, von denen viele keine unmittelbare "praktische" Verwendung finden. Wenige Kongreßmänner begreifen auch nur entfernt, wie notwendig das Verständnis des Klimas, der Bodenarten, der Pflanzenfolgen, des tierischen und pflanzlichen Wettbewerbs, der tierischen und pflanzlichen Zahlen, der beschränkenden Faktoren und der Unmenge komplizierter Zwischenbeziehungen ist. Die Männer, die unsere Gesetze machen, sind zum großen Teil Juristen und wissen ebensowenig vom biophysischen Gesetz, wie der durchschnittliche Biologe vom Körperschaftsgesetz.

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Und weil sie kein Verständnis haben für die Probleme der Menschen, die mit dem Boden arbeiten, sind sie gegen diese Probleme unduldsam; sie haben noch nicht gelernt, daß wir nicht wissen, was wir tun! Sie sind oft mißtrauisch gegen die Berater der Regierung — unglücklicherweise manchmal nicht ganz unberechtigt — und sie haben sich nicht selbst um kompetente Berater außerhalb der Regierungsbüros gekümmert. Im großen und ganzen haben ihre Methoden der Wertung wissenschaftlicher Arbeit, die durch ihre eigene Regierung geleistet wird, in hundert Jahren wenige oder gar keine Fortschritte gemacht.

Sie verbrauchen Hunderte von Millionen Dollar und beeinflussen Hunderte von Millionen Leben auf Gebieten, auf denen sie vollkommen unwissend sind. Man könnte eine vergleichbare Situation schaffen, indem man fünfhundert Mitgliedern der Amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft die Aufgabe stellte, das Steuersystem des Landes zu reorganisieren, oder wenn man einen eminenten Obstbaukundigen an den Höchsten Gerichtshof beruft. Die Wissenschaftler widmen zwanzig oder dreißig Jahre dem Studium eines Gegenstandes, um herauszufinden, was für ihn erforderlich ist — und dann müssen sie vom Kongreß Befehle entgegennehmen, wie sie ihn zu behandeln haben. Die Bewirtschaftung der natürlichen Hilfsmittel unseres Landes kann kaum jemals auf eine gesunde gleichmäßige Ertragsbasis kommen, wenn der Kongreß nicht vieles lernt, von dem er nichts weiß, und sich an kompetente, objektive Ratgeber hält.

Der Kongreß muß einmal begreifen, daß es auf weite Sicht sparsamer ist, hundert Millionen Dollar jährlich für Bodennutzungsforschung zu opfern, als hundert Millionen auf Kosten unseres Bodens und unserer natürlichen Hilfsquellen einzusparen. Die meisten Kongreßmänner können nicht begreifen, daß ein fehlschlagendes Forschungsprojekt oft wertvoller, oder zum mindesten nicht wertloser als ein erfolgreiches ist; wir müssen nicht nur wissen, was wir tun dürfen, wir müssen auch wissen, was wir nicht tun dürfen. Der Kongreß handelt oft hinsichtlich der Forschung nicht anders, als es die Verwaltung einer ölgeSeilschaft tun würde, die darauf besteht, daß jede Bohrung eine Quelle zutage bringt.

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Das Resultat ist, daß die Regierung der Forschung seit langem die Hände gebunden hat. Wissenschaftliche Forschungen können selten innerhalb eines Jahres zum erfolgreichen Abschluß gebracht werden. Dennoch machen die budgetmäßigen Einschränkungen die Planung von Forschungen auf weite Sicht zu bloßen Hoffnungen. Die Ergebnisse sehr kostspieliger Forschungen liegen in Büroakten begraben, weil die Mittel zur Veröffentlichung nicht verfügbar sind! Die Geschichte unserer Regierung ist übersät mit den Trümmern vieler potentiell wertvoller wissenschaftlicher Untersuchungen, die aufgegeben werden mußten, weil der Kongreß sich weigerte, sie weiter zu finanzieren.

 

    Das Land der Blinden   

 

Auch hier entspringt der Schaden, der entsteht, wieder unserem elementaren aristotelischen Erbe. Wir denken in abgeteilten Feldern, finden dementsprechend begrenzte Lösungen, die den größten Teil hochkomplizierter Probleme übersehen, und maßen uns dann an, "alles" Wissen zu besitzen, das wir brauchen. Wenn wir religiös sind, beten wir, wo wir Dämme bauen und Kliniken zur Geburtenkontrolle einrichten sollten. Wenn wir liberal sind, so beginnt unser Glaubensbekenntnis: "Ich glaube an Gott und die ökonomische Reform." Wenn wir der Unionsliga angehören, sind wir überzeugt, daß die Welt gerettet ist, sobald man alle Kontrollen und Beschränkungen aufhebt außer denen, die unsere eigenen Dividenden schützen. Wenn wir Kommunisten sind, hegen wir den Glauben, daß der Polizeistaat uns alle zur Rechtschaffenheit zwingt. Es ist in der Tat außerordentlich selten, daß unsere Erziehung uns etwas von den dynamischen, immer wechselnden Beziehungen des Menschen und seiner totalen Umwelt gezeigt hat. Weder der Kongreß noch die Wählerschaft verstehen das.

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Selbst unsere führenden Wissenschaftler entfalten in diesen Dingen eine unglückliche Unkenntnis und Unwissenheit. Ein Präsident der Amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft plädierte kürzlich für die kommerzielle Ausbeutung des Buschs und der Wälder zweiter Güte an den Hängen Neu-Englands, offenbar in völliger Unkenntnis ihrer Rolle, den Holzbestand wieder aufzufüllen, die Erosion einzudämmen, den Wildbestand zu schützen und den hydrologischen Kreislauf zu stabilisieren. Die Diskussionen einer Nationalen Wissenschafts-Stiftung haben (beginnend mit dem "Busch-Plan") größten Nachdruck auf die medizinische, industrielle und militärische Forschung gelegt, und darüber die Beziehung der Biologie und Physik zum Lande fast vollkommen vernachlässigt. Sie ist ein Feld, auf dem wir erschreckend rückständig sind. Viele "Naturwissenschaftler" lehnen die Einbeziehung der "Sozialwissenschaftler" in die Nationale Wissenschafts-Stiftung schroff ab, trotz der Tatsache, daß wir von den Sozialwissenschaftlern abhängen, wenn wir die Früchte der Naturwissenschaft vernünftig gebrauchen wollen. Eine Verbesserung des Landes auf weite Sicht ist unwahrscheinlich, bis das Verständnis der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt ein Teil unserer Erziehung und eine Hauptbasis ihrer Orientierung geworden ist. Wir müssen diese Beziehung begreifen, müssen sie so tief empfinden, daß sie auf alle unsere Gefühle abfärbt — auf unser Gefühl für Kinder, Land, Gesetze, Weiterbestehen, Auslandsbeziehungen, ja fast auf jeden anderen Gedanken, auf jedes andere Gefühl, das uns erfüllt. Wir brauchen eine Revolution im Kropotkinschen Sinn einer tiefen Wandlung fundamentaler Ideen.

Inzwischen werden wir unterminiert durch eine ökologische Fünfte Kolonne (größtenteils weil wir erst angefangen haben, unsere Beziehung zum Boden zu begreifen), die unser Land verkauft, wann und wo sie nur einen Käufer finden kann. Sie setzt sich zusammen aus druckausübenden Gruppen — aus Holzhändlern der Vereinigten Staaten und des Auslandes, aus Farmern, Viehzüchtern, Handels-

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, kammern, Gewerkschaften, Arbeiterverbänden usw. Nicht alle diese druckausübenden Gruppen sind durch und durch schlecht, aber viele von ihnen haben den Prozeß einer gesunden Hilfsmittelnutzung so oft zum Straucheln gebracht, i'daß es eine nationale Gefahr darstellt. Ein unerhörtes Beispiel ist das Elektrische-Kraft-Monopol, das mit allen Mitteln, fairen und gemeinen, die ordnungsmäßige Entfaltung .'unserer Wasserscheiden bekämpft hat. Der Nutzen des Individiums, ja selbst der Nutzen einer ganzen Gruppe, muß oftmals für den allgemeinen Nutzen geopfert werden. Bis wir das verstehen und zur Basis der Politik unserer Hilfsquellennutzung machen, haben wir wenig Aussicht, zu einer harmonischen Beziehung mit dem Boden zu kommen.

Eins der größten Hindernisse auf dem Wege eines rationellen Forstprogramms ist das System unseres Landbesitzes. Neunzig Prozent der Holzkapazität der Vereinigten Staaten liegen in privatem Land, das in den Händen von vier oder fünf Millionen Privatbesitzern ist. Viele von ihnen haben so kleine Gebiete, daß sie es sich nicht leisten können, ein gesundes Bewirtschaftungsprogramm einzuhalten. Der Waldbesitz liegt oft in isolierten, unzugänglichen Revieren und ist durch die Liegenschaften großer Holzbesitzer eingekreist oder abgesperrt. Auch fehlt den Besitzern kleiner Waldstreifen meistens das zur gesunden Bewirtschaftung erforderliche technische Wissen.

Aber wie die Antwort auch lauten mag: im nationalen Interesse muß eine gesunde gleichbleibende Ertragsbasis geschaffen werden. Einige Länder Europas haben durch Verstaatlichung eine Lösung gefunden und behandeln den ganzen Waldbestand wie wir unsere Staatsforstgebiete; oder durch Kontrolle des Einschlags der Privatwaldbestände, die eine offizielle Genehmigung für das Fällen jedes Baumes verlangt. Das letzte System wäre, gelinde gesagt, für die meisten amerikanischen Holzbesitzer verabscheuenswert, denn ihre Gedankengänge stammen noch aus der Zeit, da wir meinten, wir hätten kein Holzproblem.

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In einer Bill, die dem 79. Kongreß vorgelegt wurde, schlug man einen Kompromiß vor zwischen Forstkontrolle und freiem Waldbesitz; dieser Kompromiß erstreckte sich bis zur Zahlung von Hilfsgeldern an die privaten Waldbesitzer, ähnlich den Hilfsleistungen für die Farmer. Mit anderen Worten: man hätte dem Steuerzahler eine zusätzliche Last aufgebürdet, um damit ein Waldbesitzsystem zu stützen, das hoffnungslos um fünfzig Jahre überaltert ist. Vielleicht aber ist eine Annäherung an diesen Vorschlag unvermeidlich, angesichts der mit der Frage verbundenen Gefühle. 

 

    Die Kalikaken des Landes   

 

Die Frage, wie man das Problem unserer Forsten lösen soll, eröffnet uns einen riesigen und finsteren Ausblick auf die ökologische Unzuständigkeit. Die Jukesen und die Kalikaken*) — soweit sie einwandfrei untauglich sind — werden als öffentliche Wohlfahrtsempfänger von uns unterstützt; ebenso erhalten wir die Alten, die Unheilbaren, die Geisteskranken, die Bettler, und alle, die wir im ökologischen Sinne inkompetent nennen müssen — und dazu gehören auch die mit Hilfsgeldern unterstützten Rind- und Schafzüchter.

Diese sind schlimmer als die "Arbeitsunfähigen" aller Arten — denn sie verderben und zerstören unser Grasland, fördern die Erosion und tragen zu den Überschwemmungen bei. Sie leben davon, daß sie die Mittel zum nationalen Weiterbestehen vernichten; wären wir in bezug auf unsere Zukunft wirklich weise, so würden wir diese Leute als ökologische Typhusherde erkennen — als die Quelle der Epidemie, mit der sie uns alle anstecken. Dasselbe gilt für die habgierigen Holzfachleute, die Weizenbauer, die gewissenlos den Abzugshahn für eine neue Staubbeckenexplosion anspannen, die Jäger oder Pelzjäger, die sich mehr als ihren Anteil an dem überzähligen Wild nehmen, und für die Farmer, die ihren Boden erschöpfen und es unterlassen, Methoden anzuwenden, die ihn stabilisieren.

*) degenerierte Indianerstämme.

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Man kann diese Individuen mit den Herstellern der Patentmedizinen vor etwa drei Jahrzehnten vergleichen. Die Geheimmittel, die so viele Amerikaner vergifteten, wurden schließlich abgeschafft oder kontrolliert. Und die Kontrolle der Zerstörung des Graslandes, der Wälder und des Ackerbodens, von der unser nationales Fortbestehen abhängt, dürfte offenbar nicht weniger wichtig sein! Das Geschäft der Viehzucht, der Holzwirtschaft, des Jagens und des Fischens hat überhand genommen wie andere Geschäfte. 

Hier aber ist nur durch sehr langsam wirkende Methoden eine Möglichkeit zur Erhöhung des Kapitals gegeben. In bezug auf die vorhandenen Hilfsmittel sind diese Industrien — oder wenigstens erhebliche Teile dieser Industrien — im wesentlichen bankerott. Sie haben nicht nur ihre Geldschränke leer gemacht; sie versuchen durch Bettelei ihre Pulte, ihre Sessel und ihre Spucknäpfe am Leben zu erhalten. Sie müßten in unserm nationalen Interesse liquidiert werden, zumindest teilweise. In diesem Prozeß würden natürlich eine Menge Leute schwer getroffen werden, wie bei jeder Liquidation. Aber je länger sie hinausgezögert wird, um so mehr Leute werden in Mitleidenschaft gezogen.

Eine der Hauptursachen unserer ökologischen Unausgewogenheit ist unser ökonomisches Denken.

Wir identifizieren den symbolischen Dollar mit wirklichem Reichtum — das ist nicht anders, als wollte man von "ein paar Ellen Hitze" reden. Wir diskutieren unser nationales Einkommen, als wäre es irgendwie etwas anderes als unsere nationalen Ausgaben. Wir schreiben Bücher über die Streitfrage, ob wir es uns "leisten" können oder nicht, unsern Boden zu konservieren19. Wir entziehen ihm Petroleum, Eisenerz, Edelholz und Wildgeflügel, und nennen das "Produktion"! In einer Verzerrung der Mythe von Prometheus verschlingen wir unsere eigene Leber und beglückwünschen uns selbst zu der guten Mahlzeit. Die geldliche Wertbestimmung des Raubbau treibenden Holzhändlers, Farmers, Viehzüchters, Trappers und Industriellen, ja des größten Teils unserer Bevölkerung, muß einer biophysischen Wertbestimmung untergeordnet werden; unsere Haltung und unser Platz in außenpolitischen Fragen muß rnit demselben Maße gemessen werden.

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Unsere Vorfahren wurden von den Völkern, die sie verdrängten, "Die langen Messer" genannt. Es ist höchste Zeit, daß wir auf hören, unsern Kontinent zu skalpieren.

Wir sind in einem schrecklichen Gewebe semantischer Konfusion verfangen, und ehe wir nicht solche Identifizierungen aufgeben, ehe wir nicht lernen, auf der Ebene der Abstraktion Unterschiede zu machen — eher haben wir keine Aussicht, unsere Fesseln zu zerreißen.

 

    Zu viele Amerikaner   

 

Man hat die Ansicht ausgesprochen, daß Nordamerika nach asiatischem Standard eine Bevölkerung von 577.000.000 Menschen ernähren könne.20. Nach den Begriffen, die wir gern von unserem amerikanischen Standard hegen, sind wir wahrscheinlich bereits jetzt übervölkert, besonders seit wir in Selbstverteidigung helfen müssen, die übrige Welt zu ernähren.

Nach der Meinung eines unserer besten Bevölkerungswissenschaftler wäre unser Optimum 100 Millionen. Er sagt:

"Je größer die Bevölkerung, um so größer ist auch die Menge an Ackerland, an Mineralvorräten und anderen natürlichen Hilfsquellen, die wir benötigen, oder um so intensiver muß eine gegebene Menge bearbeitet werden, um uns mit den Notwendigkeiten des Lebens zu versorgen. Nachdem unser Ackerboden und unsere Minerallager in Qualität und Zugänglichkeit variieren, wird die Erzeugung größerer Quantitäten uns nötigen, auch die ärmeren Grade zu bearbeiten. Sowohl die Expansion wie die Intensivierung der Methoden neigt dazu, die durchschnittliche Produktion pro Arbeiter zu verringern, woraus sich wieder die Lohnsenkung in der Industrie oder das Ansteigen der Preise für die Industrieprodukte ergibt. Beides aber wird den Lebensstandard der Bevölkerung herabdrücken.

"... Eine Bevölkerung von 100 Millionen — verglichen mit den 150 Millionen der Vereinigten Staaten — sollte pro Arbeiter einen höheren Ertrag ergeben — in der Landwirtschaft, im Forstwesen und im Bergbau; ungefähr den gleichen Ertrag in Handel und Fabrikation, und einen geringeren im Verkehrs- und Transportwesen.

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Zieht man in Betracht, daß 1930 Landwirtschaft und Bergbau ungefähr E dreimal so viel Arbeiter beschäftigten als Transport- und Verkehrswesen, und eine verhältnismäßig größere Personenzahl zu tragen hatten, so liegt der Nettovorteil einwandfrei eher auf der Seite einer noch kleineren Bevölkerung als der gegenwärtigen, nicht auf der einer größeren. Vom Standpunkte der ökonomischen Wohlfahrt pro Kopf sind die Vereinigten Staaten jetzt bereits übervölkert.

Man könnte vielleicht einwenden, daß die Mechanisierung der Agrikultur in der Zeit seit 1930 die Arbeitsleistung pro Kopf erhöht hat. Wenn das zutrifft, so ist es alles andere als ein Segen. Das Überlaufen aus den Familienbetrieben der Farm zur städtischen Arbeitermasse verringert die Wirksamkeit der sich selbst erhaltenden Landbevölkerung als ' ökonomischer Puffer. Bei der nächsten Depression werden einige Millionen Arbeitslose mehr auf der Liste der Unterstützungsempfänger stehen, welche ohne die Mechanisierung unserer Farmen sich selbst und ihre Familien zum mindesten hätten ernähren können. Mechanisierung ist auch für den Boden ein zweifelhafter Segen, da sie mehr auf rein extraktiver Basis arbeitet als die alten Methoden; vor dem Traktorenschuppen finden wir keinen Düngerhaufen wie vor dem Stall! Ferner verleitet sie dazu, Boden vierter, fünfter und sechster Klasse zu kultivieren, den man vor der Ankunft des Traktors als Weideland benutzt hätte. Ohne die Mechanisierung wären die Weizenfelder unserer Great Plains nicht so schwer gefährdet.

Und was wird aus unserer steigend mechanisierten Landwirtschaft, wenn auch uns die Brennstoffknappheit einholt, oder wenn die Notwendigkeit, Gasolin zu importieren oder aus Kohle oder Kohlenschiefer herzustellen, seinen Preis hinauftreibt ? Das scheint niemand in Betracht gezogen zu haben.

Ein weiteres Hindernis auf dem Wege des Fortschreitens zu einer gesunden Landnutzung ist das Problem der Farmverpachtung. Schon seit vielen Jahren zerbrechen sich die Agrikulturökonomen die Köpfe über die immer wachsende Zunahme des Bodens, dessen Besitzer selbst abwesend sind.

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Mehr und mehr ist der Grundbesitz in die Hände der Banken, der Versicherungsgesellschaften und anderer Gruppen oder Individuen übergegangen, die ihn nicht selbst bearbeiten. Die Interessen der Aktionäre und der Farmpächter am Boden sind nicht auf lange Sicht, und es ist ihre Tendenz — ein Reflex unserer industriellen Philosophie — möglichst große Gewinne herauszuwirtschaften und möglichst wenig in das Land hineinzustecken.

Ein Mann, der vielleicht schon im nächsten Jahr auf eine andere Farm ziehen muß, übernimmt kaum die hohen Kosten der Drainage, des Brachliegenlassens, der Fruchtfolge auf lange Sicht, der Aufforstung und Waldpflege usw. Die Regierung hat einen verheißungsvollen, aber unzulänglichen Angriff auf dieses Problem gemacht, indem sie den Pächtern Regierungsdarlehen angeboten hat, die sie in die Lage versetzen, ihr Pachtland zu kaufen — aber es ist noch völlig ungewiß, ob dieses Programm weiter durchgeführt wird. Das Problem ist auch schwierig, besonders auf abgewirtschafteten, verhältnismäßig unproduktiven Farmen, die wieder auf ihre volle Ertragshöhe gebracht werden müßten.

 

   Zu viele Städte   

 

Ein politischer Einfluß gegen die Verbesserung der Bodennutzung ist das ungünstige Verhältnis zwischen ländlicher und städtischer Bevölkerungszahl. 60% unseres Volkes leben jetzt in Städten von 2500 und mehr Einwohnern; 30% leben in Städten von 100.000 und mehr. Diese Leute haben einen unverhältnismäßig großen Einfluß beim Wählen der Kongreßmitglieder und Staatsgesetzgeber — und dabei neigen sie dazu, nicht weiter zu denken als bis zu ihrem Fleischerladen, ihrem Büchsengemüse und ihrer Milchflasche. Sie haben gar keine Vorstellung von ihrer Abhängigkeit vom Boden, vom Grasland, den Wäldern, dem Wildbestand und dem Wasser unter der Erde.

Es ist keine Übertreibung, zu sagen, daß bei der Erziehung unserer städtischen Wähler zum Verstehen des Bodens unser Schulsystem jämmerlich versagt hat. 

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Dem hätte man in gewissem Ausmaße entgegenarbeiten können, wenn man dem Bodenkonservierungs-Amt, der Nationalpark-Verwaltung und dem US.-Forstamt gestattet hätte, eine entsprechende erzieherische Tätigkeit auszuüben. Aber dazu besteht heute wahrscheinlich weniger Aussicht als vor fünfundzwanzig Jahren, weil der Kongreß den Standpunkt einnimmt, daß jeder erzieherische Schritt, den ein Ministerium unternimmt, eo ipso ein Versuch ist, sich selbst Prestige und Etatbewilligungen zu verschaffen. Die Mehrzahl der Schulkinder in den Vereinigten Staaten hat wahrscheinlich niemals die anschaulichen Veröffentlichungen des Bodenkonservierungs-Amtes zu sehen bekommen. Zehn Millionen Dollar pro Jahr für die Bulletins und Filme dieses Amtes, und noch ein paar Millionen mehr für die des Forstamtes, der Wildschutz- und Fischereibehörden, der Nationalpark-Verwaltung usw., um den Schulkindern unseres Volkes einen Begriff von gesunder Landnutzung zu geben — das wäre die wirksamste "nationale Lebensversicherung", die man sich vorstellen könnte! Die Departements für Agrikultur und Innenwirtschaft bearbeiten das Land und die Menschen, die auf dem Lande arbeiten; es wäre höchste Zeit, daß sie einmal anfangen, die Millionen Menschen zu bearbeiten, denen das Land nichts weiter ist als ein Ort, wo sie ihre Ferien zubringen können.

Bei der Erschließung unseres Kontinents wäre, wie Craven andeutet, übermäßige Ausnutzung durch 10 oder 20 Millionen Menschen verfechtbar gewesen. Noch lange Zeit nach der Besiedlung von Virginia erzeugte Nordamerika mehr als der Mensch herauszog. Aber die Zerstörung der natürlichen Umwelt und das Anwachsen der Bevölkerung hat diesen Zustand längst verändert. Der jetzige Lebensstandard für 145 Millionen Menschen wird nur durch das Leben vom Bodenkapital aufrecht erhalten. Innerhalb von hundertfünfzig Jahren haben wir ein Drittel unseres Mutterbodens verloren, dazu mehr als die Hälfte unserer hochwertigen Wälder, eine unbekannte Menge unserer Wasserreserven und einen großen, aber nicht abschätzbaren Teil unseres Wildbestandes. Und in dem Maße, wie wir unser Kapital verringern, fällt natürlich unser nationales Einkommen; und deshalb greifen wir da/"Kapital immer weiter an.

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Es ist ganz klar, daß so etwas nicht auf die Dauer weitergehen kann.

In bezug auf die verlorene Produktionskapazität und die aufgewandten Kosten, um den Schaden auszuflicken, haben wir unsern Kontinent schon verhängnisvoll belastet, haben wir die Zukunft unserer Kinder und Enkel belastet — wie unsere Voreltern uns ihre Schulden hinterlassen haben. Die Eisenbahnbarone schrieben eine Tragödie über die Great Plains hin, die Holzleute verstümmelten tausend Flüsse an ihrer Quelle; John Jacob Astor und die Gentleman-Abenteurer preßten das Lebensblut aus unserer Landschaft, als ihre Pelzjäger die Biber vernichteten, deren Dämme die kleinen Gewässer zurückhielten. Die Great Plains werden immer noch an den Meistbietenden verschachert — an Weizen und Viehherden; die Holzleute meinen, daß die dreißig Silberlinge, die sie gezahlt haben, sie dazu berechtigen, für alle Zeiten das Auffangbecken unserer Flüsse zu zerstören; und wenn die Biber nicht mehr da sind, um die Hochwasser in Schach zu halten, so müssen wir es tun — so sagt der ökologische Ignorant — wir haben ja Zement und Milliarden von Dollars. Unsere Vorväter schöpften den Rahm ab von unserm Kontinent; wir separieren mit erschreckender Geschwindigkeit den Butterfettgehalt heraus, der noch geblieben ist.

Die Zerstörung unseres Bodens und der damit verbundenen Hilfsquellen ist im Begriff, nicht nur unsern materiellen Lebensstandard zu beeinflussen; wenn uns nicht mehr drohte, als eine Verminderung der Automobile, der Luxusinstallationen, des Radiolärms in unseren Häusern, der Talmiverlockungen, in denen Hollywood Spezialist ist, des mechanischen Firlefanz aller Art, und eine noch erheblichere Abweichung unseres Lebensstandards von dem, den unsere Filmstars uns setzen — dann brauchten wir uns kein großes Kopfzerbrechen zu machen.

Zu den größten Schwächen unserer Zivilisation gehört der übertriebene Wert, den wir auf die Dinge legen, und die Kränkung, die wir empfinden, wenn wir ihrer beraubt werden.

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Könnte die Zerstörung des Bodens uns wieder dahin bringen, unsere inneren Hilfsmittel zu pflegen, wie während der Blütezeit Neu-Englands, so wären wir ein glücklicheres, gelasseneres und stabileres Volk.

Aber unsere fortschreitende nationale Armut wird dabei nicht stehenbleiben. Da unser Reichtum mit der Treiberde die Flüsse hinunterschwimmt, trägt er unvermeidlich einen Teil unserer Kaufkraft mit sich fort, und zeitigt infolgedessen eine industrielle Verschiebung. Das Gefühl der Sicherheit, das die meisten Amerikaner vor hundert Jahren besaßen, als es noch möglich war, genug für die "alten Tage" beiseite zu legen, ist jetzt größtenteils durch ein soziales "Versicherungssystem" ersetzt, das dem Menschen nicht viel mehr bietet, als ein altmodisches Armenhaus. Was wird es aber in vierzig oder fünfzig Jahren bieten, wenn Millionen seiner wirklich bedürfen — falls unser Boden, unsere Wasserreserven, unsere Forsten und Weiden, diese Basis unseres nationalen Reichtums, im gleichen Tempo weiter zerstört werden wie in den vergangenen fünfzig Jahren?

 

   Amerika, erwache!   

 

Die Demokratie kann in unserer hochgradig ineinander verflochtenen Welt nur fortbestehen, wenn sie von einem reifen, gründlich gebildeten Elektorat geführt wird.

Unsicherheit gebiert Unreife, und bei unserem Kampf, eine immer ärmer, immer unsicherer werdende Welt wieder ins Gleichgewicht zu bringen, merken wir, daß das Ziel einer gewissen Reife und Männlichkeit immer weiter zurückweicht. Wenn die Möglichkeiten zusammenschrumpfen, Reichtum (entgegen unseren natürlichen Hilfsquellen) zu produzieren, wenn unser Lebensstandard die Flüsse hinunterschwimmt, so können wir dem Schicksal nicht entgehen, daß auch unsere Schulen und Bibliotheken bei der Hungerdiät, die wir ihnen auferlegen, verkümmern müssen; unser ganzes Erziehungswesen würde dann auf die Ebene des armseligen Niveaus von Alabama und Mississippi herabsinken.

Selbst diese bloße Möglichkeit ist ein böses Omen für ein freies Volk!

Ohne reichliche und ausgeglichene Lebensweise, ohne die Hilfsquellen von Wasser, Holz und Mineralien, ohne zuverlässige Ernten aus gutem Boden, ohne Sicherheit vor Überschwemmungen, Sandstürmen, verschlammten Wasserbehältern kann unsere Nation weder stark und groß, noch (in dieser übervölkerten Welt!) vor Angriffen sicher sein.

Ich behaupte nicht, daß die Zukunft den Vereinigten Staaten diesen Verfall bringen muß. Er ist nicht unvermeidlich. Wir sind uns schärfer als jedes andere Volk der Erde dieses Problems bewußt und sind verstandes-, wenn nicht gefühlsmäßig, darauf vorbereitet, uns damit zu messen. Die Zukunft unseres Landes liegt in unserer Hand. Aber ein paar weitere Jahrzehnte solcher Mißwirtschaft, wie wir sie jetzt getrieben haben, werden uns die Herrschaft entreißen.

Wir werden zurückgleiten in die Vergessenheit von Ur, von Timgad, von Angkor Vat, von Nord-China, von Mayapan — und zwar mit einer Geschwindigkeit, die unaufhaltsam ist. Die größte Gefahr liegt vielleicht darin, daß wir nicht mehr genug Zeit haben werden, die Bremsen anzuziehen.

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 William Vogt   Road to Survival   Die Erde rächt sich   1948