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8  Menschensaat und Kriegssaat

Von William Vogt, 1948

Bevölkerungsbuch

detopia-2021:

Auch hier die Vorbemerkung, dass der Autor mir als großer Humanist gilt, obwohl ich als "linksgrüner Fundamentalist" seinen "Neo-Malthusianismus" eigentlich unsympathisch (bis eklig) finden müsste. Ich lasse weiterhin "nichts auf ihn kommen" (d.h. auf sein Buch; mehr weiß ich nicht über ihn) und suche immer weiter, wo ich ihm widersprechen kann. Ja, es gibt "Vogt-Brocken", die muss man erstmal verdauen, auch heute noch. Aber es hat sich in den 70 Jahren seit der Niederschrift seiner Zeilen herausgestellt, dass "die Menschheit" - "wir" - zu oberflächlich an das Problem herangegangen ist. Und Vogt geht hier Tiefe. Und so müssen wir das machen (in die Tiefe gehen) - egal, ob wir Vogts Stellen bohren oder an Ditfurths(C), der an anderen Stellen bohrt. Auf jeden Fall sollen wir nicht an den Stellen der Neo-Rassisten bohren, denn dort liegt keine Problemlösung. - Wem Vogt ertmal "zu hart argumentiert", der möge vorher Osborn aus dem gleichen Jahr 1948 lesen, der tut es milder.

 

238-259

Hätten die Hirsche vom Kaibab-Wald Gewehre und Munition und dazu die vielgewundene Hirnrinde besessen, die sie von den Schranken ihres Instinktes befreite und ihnen gestattete, eine Herrenvolkpsychologie zu entwickeln, so hätten sie wahrscheinlich den Kampf um die Welteroberung begonnen.

Durch übergroßen Schutz und übergroße Vermehrung wären sie in eine ähnliche Situation geraten, wie der moderne europäische Mensch; hunderttausend Mägen hätten jeden Tag gefüllt werden müssen von einem Boden, der nur einen Bruchteil dieser Zahl ernähren konnte. Die Idee vom Herrenmenschen hat schon viele Wiedergeburten erlebt, vom "auserwählten Volk" und dem "Weißen Kulturträger" bis zu Josef Goebbels; sie ist ein schmackhafter Bissen für das Gewissen eines anwachsenden Volkes.

Aber den Hirschen fehlte die <höhere> Hirnrinde — und viele von ihnen gingen zugrunde. Der Mensch, der sich von anderen Tieren vor allem durch die Fähigkeit unterscheidet, aus der Vergangenheit zu lernen und die Vergangenheit zu verwerfen, steht jetzt vor der Entscheidung, ob er den größten Teil seiner Rasse zerstören soll oder nicht. Von dieser Entscheidung — ob er von seinen besonderen Fähigkeiten Gebrauch machen soll oder nicht — wird sein Weiterbestehen zum größten Teil abhängen. Wenn er wie die Hirsche an gewissen alten Gewohnheiten festhält, besteht für unsere Kultur keine Hoffnung. Am schicksalschwersten wird diese Entscheidung wahrscheinlich in Europa sein. Denn dort hat der Mensch die Ertragsfähigkeit seines Nährbodens durch übermäßige Vermehrung weit überschritten und hat Zerstörungsmittel als Werkzeuge seines Hasses und seiner Furcht erfunden. In Europa liegt notwendigerweise derZünder.derimmerwiederdie Funken hervorgebracht hat.

Auf dem europäischen Kontinent als Ganzes genommen gibt es nur 0,88 Acker anbaufähigen Bodens für jeden Menschen; amerikanische Ernährungs­sach­verständige rechnen, daß für einen angemessenen Lebensstandard 2,5 Acker erforderlich sind. Könnte Europa sich nicht von den Ländern anderer Weltteile ernähren, so müßten Millionen seiner Bewohner in den meisten Jahren an Kälte und Hunger sterben. Selbst vordem Kriege bei hochgradiger Industrialisierung und bei Nahrungs- und Rohmaterialieneinfuhren von vielen Millionen Tonnen mußten die Völker Europas bei einem Lebensstandard bestehen, der weit unter dem der Vereinigten Staaten liegt. Der Durchschnitt lag nach Colin Clarks Skala bei 44% des unseren.

Jedes Korn Weizen und Roggen, jede Zuckerrübe, jedes Ei und jedes Stück Kalbfleisch, jeder Löffel Olivenöl und jedes Glas Wein hängt von dem unreduzierbaren Minimum Erde ab, von dem es produziert wird. Die Erde ist nicht aus Gummi; sie kann nicht gestreckt werden; die menschliche Rasse, jedes Volk ist begrenzt durch die Menge des Bodens, den es besitzt. Und im gleichen Maße wie sich die Anzahl menschlicher Wesen vermehrt, so verringert sich die relative Menge produktiver Erde.

Wir wollen kurz betrachten, wie es mit diesem Verhältnis in Europa steht:

 

Tabelle 3

Acker 

anbaufähigen

Bodens 

pro Person

Quote des

Bevölkerungs-
zuwachses

pro 1000 

Wieviel Jahre sind

zur Verdopplung der

Bevölkerung nötig

       

Griechenland

0,74

11,8

59

Ungarn

1,53

5.9

118

Rumänien

1,70

10,1

69

Polen

1.33

11,2

62

Italien

1.74

9,4

74

Belgien

0,30

1,2

579

Niederlande

0,27

11,5

61

Deutschland

0,69

7,6

92

Frankreich

1,24

0,4

-

Schweden

1,46

3,1

224

Dänemark

1.73

7,5

93

Gr.-Brit. u. Irland

0,27

-

-

England u. Wales

-

2,2

314

 239


   Der Kaibab-Mensch  

Man kann die dritte Rubrik auch verkehrt herum lesen; dann zählt sie die Reihe der erforderlichen Jahre, um die Ertragsfähigkeit des Bodens pro Kopf ungefähr zu halbieren. Zweien von diesen Ländern haben wir sehr großzügig geholfen, auf Kosten unseres eigenen Lebensstandards, wie man nicht vergessen darf! Und gerade diese beiden verringern mangels Kontrolle ihrer Geburtenrate zusehends ihre Fähigkeit, sich selbst zu helfen; sie benehmen sich so ähnlich wie der Kaibabhirsch.

Es ist interessant, die europäischen Länder zu isolieren, deren Daten wir besitzen, und die keine reichen Überseekolonien haben. Wenn wir sie entsprechend ihrem Lebensstandard einordnen, den höchsten am Ende der Liste, und dann die gleichen Länder nach ihrer Geburtenziffer einrangieren, mit der niedrigsten an der Spitze, so finden wir eine ungeheuer enge Wechselbeziehung:

 

 

Lebensstandard:

 

Rumänien

Italien

Polen

Ungarn

Griechenland

Deutschland

Schweden

Dänemark

Geburtenquote:

 

Rumänien

Griechenland

Polen

Italien

Ungarn

Deutschland

Dänemark

Schweden

(d-2014:)

Hier scheint mir ein Fehler in der Beschreibung vorzuliegen. Rumänien etwa hatte sicherlich die höchste Geburtenquote und Schweden die niedrigste. - Das entspräche auch dem Anliegen des Autors.

240

 


Nicht eins der vorgenannten Länder besitzt auch nur annähernd das Bodenminimum von 2,5 Ackern anbaufähigen Landes, und von ihnen allen erfreute sich nur Frankreich mit einem relativ hohen Lebensstandard einer Periode ohne Bevölkerungszunahme. Alle diese Länder erwarten (oder werden es in Zukunft tun), von nichteuropäischen Ländern ernährt zu werden, und sie erwarten, ja sie bestehen auf einem nicht sinkenden, sondern steigenden Lebensstandard. Tatsächlich wurde ihnen ja durch die Atlantik-Charta und die Charta der Vereinten Nationen die Hebung ihres Lebensstandards geradezu versprochen. Leider haben uns die Politiker aber nicht verraten, wie das Wunder mit den Broten und den Fischen zu wiederholen ist.

Wären die Europäer nicht so überlegene Landwirte, so wäre ihre Situation und die Situation der Welt noch viel schlimmer, als sie jetzt ist. Wir bilden uns gern ein, die besten Farmer der Welt zu sein, jedoch Belgien produziert ungefähr 320 Bushel Kartoffeln pro Acker gegen Ho der Vereinigten Staaten. Nur eins der neunzehn nordeuropäischen Länder hat Ernten von weniger als 160 Bushel per Acker.2. Die Kornproduktion in den Vereinigten Staaten beträgt 18,6 Bushel pro Acker, in Großbritannien dagegen 31,0, in Dänemark 39,3, in Deutschland 29,8, in Holland und Belgien 37,7 usw.

Vor dem Kriege importierte Europa 14% seines Brotgetreides (einschließlich 1 Million Tonnen Reis), 43% Fette und Öle, 31% Zucker und 15% Futtermittel­getreide. Es war ein starker Hang zur Selbstversorgung vorhanden; in den 1920er Jahren kaufte Europa zu relativ hohen Preisen ungefähr 700 Millionen Bushel Weizen, aber im Jahre 1938 war diese Zahl um ein Drittel verringert, das heißt auf den Gegenwert des Weizens, der jährlich auf 35 Millionen Ackern produziert wird.

Auch Großbritannien und Irland importierte 1938 etwas über 200 Millionen Bushel Weizen — das war um ein paar Millionen weniger als in den zwanziger Jahren, trotz der beträchtlichen Bevölkerungszunahme. Beihilfen an britische Farmer zeitigten einen Anstieg der einheimischen Produktion um 43% in den Jahren 1932-1937.

241


Italien war früher der größte Weizenimporteur des kontinentalen Europa und zwar mit einem jährlichen Netto von 80 Millionen Bushel während der Mitte der zwanziger Jahre. 1937 hatte Italien seinen Import auf 18 Millionen Bushel beschnitten, das ist eine Verringerung um 78%. Die Ursache dazu war teils eine Produktionssteigerung von 25% Pro Acker und teils eine Zunahme des Ackerlandes von 5%.

Deutschlands Netto-Weizenimporte betrugen in den zwanziger Jahren ungefähr 700 Millionen Bushel jährlich, und in den fünf Jahren, die mit dem Juli 1937 endeten, war der Durchschnitt nur 8 Millionen Bushel, also 89% weniger!

Mitte der zwanziger Jahre importierte Frankreich durchschnittlich 53 Millionen Bushel, die 1937 auf 10 Millionen heruntergesunken waren. In den Jahren 1934 und 1935 überschritt sein Weizenexport den Import in beträchtlichem Ausmaße.

In Süd- und Südwesteuropa waren die Defizit-Weizenproduzenten Portugal, Spanien und Griechenland. Selbst vor dem Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges hatten diese Länder zusammen ihre Importe um ungefähr 8% Millionen Bushel im Jahr herabgesetzt, im Vergleich zu den Importen der zwanziger Jahre. Portugal und Griechenland hatten vor dem Kriege ihre Produktion gesteigert, bis sie 92% ihres Totalbedarfes selbst erzeugten, im Vergleich zu 86% in den Jahren vorher.

Diese Verringerung der Importe bedeutet nicht, daß die Lücke durch die europäischen Farmen gefüllt wurde. Sie kam zum großen Teil aus einer Entartung der Diät. In den Versuchen, zu nationaler und kontinentaler Autarkie zu kommen, verwendete man immer mehr Mais, Roggen und Kartoffelmehl. Das Futtergetreide wurde stark verringert, was natürlich ein Absinken an tierischen Nahrungsmitteln bedeutete.3

Diese vor dem Kriege auftretende Tendenz bereitete schon den Weg für die spartanischen — oder asiatischen — Maßnahmen, zu denen Europa während des Krieges seine Zuflucht nehmen mußte.

242


Diese wurden 1944 wie folgt beschrieben:

Alle Länder, die mit einem erheblichen Teil ihrer Nahrungsmittel von überseeischen Schiffsladungen abhängig waren, nahmen riesige Weidegebiete unter den Pflug; sie machten Brachland kulturfähig; sie entwarfen Pläne für einen Wechsel der Anbaumethoden und erhöhten die Unterstützungen für Bauern und Landwirte; sie zogen Leute ein, die in der Landwirtschaft arbeiten mußten. Diese europäischen Importländer steigerten ihren Anbau von Kartoffeln, Rüben, Zuckerrüben, Mohrrüben — den Nahrungsmitteln, die den höchsten Kalorienertrag bringen — nicht per Arbeitsstunde, sondern per Acker. Sie steigerten ganz wesentlich den Anbau der Ölsamen.

Die europäischen Farmer machten sich daran, eine andere Gruppe von Nahrungsmitteln in großem Stil zu erzeugen: die Gemüse. Die Deutschen beispiels­weise steigerten ihre Handelsgemüse- oder Versandgemüseproduktion um 250%. Bei der Knappheit an Fleisch und Fetten mußten die Gemüse große Mengen gesunder Nahrung ersetzen.

Dr. Karl Brandt von der Stanford-Universität sagt:

"Angesichts des Verlustes von 20 Millionen Tonnen Nahrung und Nahrungsimporten aus Übersee und angesichts der Möglichkeit des Verhungerns ist es selbstverständlich das Natürliche und Gegebene, die Kürzungen an den nichtwesentlichen Proportionen der knappsten Nahrungsmittel vorzunehmen. Diese Proportionen bestehen hauptsächlich aus der großen Menge tierischer Produkte und Fette, die das industrialisierte Volk verzehrt. Zuerst schlachtet man das Huhn, weil die Hühner fressen, was der Mensch essen kann, nämlich Korn. Wenn man Geflügel füttert, so verliert man zwischen sieben und neun Zehnteln der Nahrungsenergie, die man in Kalorien mißt. Mit anderen Worten, bis zu 90% der Energie geht verloren mit jedem Pfund tierischer Produkte, die gegessen werden und nicht lebenswichtig für die Diät sind.

243


Wenn es darum geht, ob Millionen von Menschen weiterbestehen oder verhungern, wie in Belgien, Holland und Dänemark mit ihren enormen Hühnerscharen, die in der Hauptsache von importierten Futtermitteln leben, so werden natürlich zu allererst die Hühner bis auf 25 oder 30% des Vorkriegsbestandes abgeschlachtet. Das ist die einzig vernünftige Maßnahme. Die amerikanische Presse schuf mit ihrem Bericht darüber den vollkommen falschen Eindruck, daß dies ein Zeichen von Hungersnot sei. Es war das Gegenteil. Es bewies lediglich, daß diese Nationen mit den Tatsachen zu rechnen verstanden und das Richtige taten, um den Hunger zu vermeiden. Der nächste Schritt auf diesem Wege war die Verminderung des Schweinebestandes, denn auch die Schweine verbrauchen Nahrungsstoffe, die dem Menschen dienen können. Sie brauchen Kraftfutter (aus Getreide), Kartoffeln und Magermilch, die der Mensch, wenn er will oder wenn er muß, direkt statt Speck und Schinken essen kann. Es war also einfach eine ausgleichende Maßnahme, ökonomisch absolut durch die Knappheit an Kraftfutter und Ölkuchen bedingt."4

Die Europäer taten während des Krieges im wesentlichen das, was von uns nach dem Kriege verlangt wird. Aber wir verschlechtern unsere Diät, um diese Europäer in dem Stil zu ernähren, an den sie gewöhnt sind.

Tabelle 4  

 

Nahrung und 

Einkommen (5)

Kalorien-

zahlen

Pro Kopf, 
Vor-kriegs-prozent-satz 
an 
Getreide-nähr-mitteln

Jährliches
Einkommen 
pro Kopf

in Dollar

 

 

 

 

Cypern

2,304

68,1

Portugal

2,461

55,1

Griechenland

2,523

54,5

68

Türkei

2,6l9

61,3

77

Italien

2,627

61,1

141

Polen

2,702

52,6

81

Tschechoslowakei

2,761

45,-

159

Spanien

2,788

50,8

Ungarn

2,815

63,8

114

 

Bulgarien

2,831

75,5

72

Rumänien

2,865

69,6

86

Jugoslavien

2,866

72,1

74

Belgien

2,885

4i,3

258

Österreich

2,933

42,4

303

Finnland

2,950

42,-

150

Niederlande

2,958

32,7

323

Deutschland

2,967

37>6

449

Island

2,980

39,7

Großbritannien

3,005

29,9

478

Frankreich

3,012

40,1

257

Schweiz

3,049

34,2

450

Schweden

3,052

29,8

394

Norwegen

3,129

36,6

349

Irland

3,184

37,8

240

Dänemark

3,249

26,4

348

Vereinigte Staaten

3,249

27,3

555

Der Verlauf der 1930er Jahre und die scharfen Maßnahmen, die zwangsläufig während des Krieges getroffen wurden, unterstützten wesentlich die Behauptung, daß Europa 35% mehr Menschen ernähren könne — auf dem asiatischen- oder Hungerstandard.6 Vor dem Kriege aß der Durchschnittseuropäer ungefähr sechsmal so viel Fleisch wie der Asiate, das heißt 94 Pfund. Zusätzlich konsumierte er 442 Pfund Brotgetreide, 519 Pfund Kartoffeln, 60 Pfund Zucker und 53 Pfund Fett und Öl. Unglücklicherweise hat sich trotz des Krieges, der deutschen Massaker und der örtlichen Unterernährung die Bevölkerung Europas (ausschließlich Rußlands) zwischen 1936 und 1946 um 11 Millionen vermehrt; und man kann erwarten, daß sie um 1955 einen Stand von 404 Millionen erreicht — das bedeutet ein Anwachsen um 10% innerhalb von zwanzig Jahren!7. 

244-245


Man kann nicht oft genug wiederholen: Diese Bevölkerungszunahme ist im Grunde genommen ein ebenso physikalischer Prozeß wie das Niederbrennen von Lagerhäusern voller Lebensmittel! Statt daß dreimal täglich 370 Millionen leere Mägen zu füllen sind (mit Nahrung, die von irgend jemandes Land gezogen werden muß!), werden dann 404 Millionen Mägen zu füllen sein, oder welche Zahl auch immer in Schweden, Dänemark, Holland, Belgien und Österreich zusammen vorhanden ist. 

Diese Zunahme der hungrigen Mägen — und dabei nicht die geringste Zunahme an Boden! Statt dessen unter dem Druck der Bevölkerungszunahme ein dauerndes Anwachsen des totalen umgebungsmäßigen Widerstandes.

Vielleicht wird die Situation noch klarer, wenn man die physikalischen Bedingungen gewisser Teile des Kontinents betrachtet.

 

Nordeuropa — vergleichbar mit unsern Staaten Maine, Nord-Michigan, Wisconsin, Minnesota und Washington — war ursprünglich mit Fichten, Tannen, Kiefern und Lärchen bedeckt. Dieses Areal umschloß den größten Teil Skandinaviens, Nordrußland und Schottland. Sie hatten den selben sauren Boden wie unsere Nadelwälder und haben kein Ackerland von hoher Ertragsfähigkeit hervorgebracht. Südlich des Koniferengürtels kamen riesige Strecken von Laubwald, die von Irland bis zum Schwarzen Meer reichten.

Längs des Atlantik sind starke Winde dem Wachstum der Bäume wie der Feldfrüchte feindlich. Während die Temperaturen mild und gleichmäßig sind — mit der geringen Unterschiedlichkeit von fünfzehn Grad Fahrenheit in Irland —, sind die Sommertemperaturen für Mais zu niedrig und die Niederschläge für Weizen oft zu schwer. Sie sind auch unstabil und beeinträchtigen die Zeit des Wachstums. Der katastrophale Fehlschlag der britischen und irischen Weizenernten im Jahre 1947 dürfte niemanden überrascht haben. Die erfolgreichsten Anbaufrüchte im Küstengebiet sind Hafer, Rüben und Gras für das Vieh.

246


Deutschland, Ostfrankreich und Südskandinavien haben stabilere Temperaturen, Sommerregen und im Winter reichlichen Schnee; sie sind gut geeignet für den Anbau von Getreide und Trauben. In diesen beiden Regionen hat sich die Agrikultur jahrhundertlang entwickelt, und der Mensch hat die weisen Künste der Fruchtfolge, der Düngung, des Brachliegenlassens usw. gelernt. Ebenso wie in Teilen Südchinas, Javas und der Philippinen wird menschlicher und tierischer Dünger planmäßig verwendet, und das westliche Europa betreibt seine Landwirtschaft eher auf der Basis gleichbleibender Erträge als auf der Extraktionsbasis.

Tatsächlich ist in den letzten paar Jahrzehnten die Produktion per Acker in manchen Teilen dieser Gebiete gestiegen, denn das Wissen der Agrikulturforscher hat zunehmend Früchte getragen. Man hat das biotische Potential ziemlich genau erkannt. Trotzdem ist diese Erkenntnis noch längst kein allgemeiner Zustand, und der steigende Bevölkerungsdruck arbeitet in umgekehrter Richtung.

Vor allem aber bleibt Westeuropa von dem schneidenden Regen der Neuen Welt verschont. Das hat seinen Boden gerettet und ist zugleich die Ursache zu dem Feldgeschrei der europäischen Emigranten: Land ist Land!, mit dem sie unseren Boden der schon geschilderten Erosion aussetzen.

Wendet man sich landeinwärts, so treten zwei einschränkende Faktoren in Erscheinung: zunehmende Höhenlage und abnehmende Niederschläge. Nähert man sich der russischen Grenze, so gleichen die Bedingungen immer mehr denen unserer Great Plains. Das Gebiet östlich der Donau steht unter wechselhaften klimatischen Einflüssen, ähnlich wie bei uns Montana und Dakota.

Für das Mittelmeergebiet charakteristisch sind milde Winter mit Regen (der aber der Landwirtschaft nicht viel nützt, da er nicht in die Jahreszeit des Wachstums fällt) und heiße trockene Sommer. Die eigentümlichen einheimischen Pflanzen sind Korkeiche, Zypresse und Zeder. Wo sie durch Abholzen oder Feuer zerstört sind, nimmt der buschige Maquis ihren Platz ein, der im Kriege berühmt geworden ist. Dieses Gebiet hat infolge von Raubbau und Überweidung (besonders durch Ziegen) seine umgebungsmäßigen Widerstände so stark entwickelt, daß sie sich wie Festungswälle gegen die Wohlfahrt des Menschen stemmen.

247


Von Spanien bis Ungarn sind die Hänge bis auf den nackten Felsen weggewaschen, und mit Ausnahme der Bergmulden und Flußtäler ist die Ertragsfähigkeit des Landes schwer reduziert. 

Die folgende Tabelle gibt uns einen Schlüssel der landwirtschaftlichen Produktivität:

Tabelle 5.: Wöchentliches Einkommen in der Landwirtschaft 19378.

 

Kleinbauern

Lohnarbeiter

 

Dollar

Dollar

     

Jugoslavien

1,00-2,00

(wenige Lohnarbeiter)

Polen u. Rumänien

1,40-2,40

1,40-2,00

Ungarn

2,00-3,00

1,40-2,40

Belgien

3,60-4,60

3,60-4,40

Deutschland

4,00-5,00

3,60-4,60

Holland

4,00-6,00

4,60-6,00

Dänemark

6,00-8,00

4,60-5,20

Großbritannien

8,00-?

6,00-7,20

 

 

    Das ungarische Volk   

Die Schätzungen der Nahrungsverhältnisse im Vorkriegseuropa haben wir in Tabelle 4 gebracht. Kalorienzahlen sind jedoch trügerisch. Dänemark zum Beispiel hat, trotzdem es Erzeuger großen Stils ist, nur wenige Milchwirtschaftsprodukte in die Diät seines Volkes eingeschlossen und sie durch Zucker und Margarine ersetzt; es leidet auch unter einem Mangel an Obst und Gemüsen.

Dänemark ist selbst ein Parasit der Neuen Welt, welche die Nahrung für die dänischen Herden hervorbringt; es verschifft den zu Schinken, Speck, Butter, Käse und Eier verwandelten eingeführten Mais und Weizen an Luxusgebiete wie London — welche wiederum ihrerseits Parasiten anderer Länder sind. Die Handelsbilanzen, durch Geld symbolisiert, waren günstig, also kümmerte sich niemand allzu viel um den Ernährungsstandard, und schon gar nicht um so weit abliegende Belange wie biotische Potentiale.

248


Zwei Drittel der gesamten Nahrung des Italieners bestanden aus Weizen, Reis und Mais. In manchen Teilen Polens wurde nur drei- oder viermal jährlich Fleisch gegessen; und obwohl viele Farmer Milchwirtschaftsprodukte erzeugten, mußten sie diese praktisch alle verkaufen, um die dringendsten Notwendigkeiten der Farm zu bezahlen.

In vielen Teilen Europas, von Spanien bis zum Balkan, ist die Produktivität des Bodens bemerkenswert verringert durch die Latifundien oder den Großgrundbesitz in Händen weniger, oft abwesender Gutsherren. Diese Besitze waren der erste Gegenstand der spanischen republikanischen Reform. Sie waren selten sachverständig oder voll bebaut worden, und es war einer der besten Lockvögel der Kommunisten, diesen Großgrundbesitz zu zerbrechen und ihn an die Bauern zu verteilen oder zu verkaufen.

Ein Problem, das man wenig beachtete und nicht allgemein diskutierte, war das der Minifundien, der übermäßig kleinen Landtrakte, wie wir sie schon in Lateinamerika beschrieben haben. Viele Bauernfamilien in Osteuropa versuchen, auf fünf, sechs oder sieben Ackern ihr Dasein zu fristen, die noch dazu in kleine Parzellen zerrissen sind und manchmal drei oder vier Meilen auseinanderliegen. Die Zunahme der Bevölkerung in diesem Teil des Kontinents verkleinert die Parzellen immer mehr, was zur Folge hat, daß der Bodenpreis steigt. 

Dem Bericht nach geben die Kommunisten (vielleicht ist das ein Schritt, um den Leuten die Kollektivwirtschaft aufzuzwingen) den Familien so wenig Farmland, daß sie nicht darauf existieren können. Das begrenzte Gebiet jedes Trakts macht die Weidewirtschaft unmöglich und verringert dadurch die Dungproduktion, die z.B. für den französischen Farmer so wichtig ist. Als Resultat sinkt natürlich in Osteuropa die Produktion per Acker. Im südlichen Polen sinkt sie bereits seit zwanzig Jahren.

Jede Verallgemeinerung Europa betreffend mag natürlich irreführend sein. Die Länder haben ganz unterschiedliche Ertragskapazitäten, ökonomische Organisationen, kulturelle Methoden usw.

249


Vor dem Kriege hing Großbritannien zu 50% vom Import ab, um 50 Millionen Menschen zu ernähren. Deutschland importierte etwa 25% seiner Nahrung. Der Küstengürtel der Milchwirtschaft treibenden Länder von Belgien bis Dänemark war zum großen Teil von überseeischen Getreide-Futtermitteln abhängig, die sie wiederum in Form tierischer Proteine weiterexportierten. Frankreich, fast autark in der Ernährung, besaß einen hohen Prozentsatz anbaufähigen Landes pro Kopf, dazu den großen Vorteil des günstigen Klimas und des gesunden Gleichgewichts zwischen städtischer und ländlicher Bevölkerung.

Wir haben hier keinen Platz für die detaillierte Betrachtung der europäischen Völker, aber für das Volk der Vereinigten Staaten hat Griechenland eine besondere Bedeutung und ist kürzlich durch eine FAO-Mission sehr sorgfältig studiert worden. Nachdem das Land so viele Eigentümlichkeiten mit andern osteuropäischen Ländern teilt und mit den amerikanischen Problemen so eng verknüpft ist, verdient es besondere Aufmerksamkeit.

 

   Im Reiche des Ziegengottes - Griechenland   

Griechenland ist ein kleiner Staat mit einem Totalgebiet von 50100 Quadratmeilen. Der für Agrikultur brauchbare Boden innerhalb seiner Grenzen beträgt 12700 Quadratmeilen, also 25% des Totalgebietes. Das ist das ganze Ausmaß des Bodens, der zur Nahrungsproduktion für siebeneinhalb Millionen Menschen verfügbar ist, gleichviel ob er zur Zeit kultiviert wird oder entwicklungsfähig ist.

Das anbaufähige Land liegt meistens in den Tälern oder auf den Ebenen nahe der Küste, am Fuße von Steilhängen. Die restlichen 75% bestehen größtenteils aus jäh abstürzenden Bergen, die sich bis zu 10.000 Fuß erheben. Dieses gebrochene Terrain (nicht anders als ein großer Teil Osteuropas, Asiens und Lateinamerikas) schafft äußerst schwierige Probleme physikalischer und ökonomischer Natur (Verbindungen und Transport), die gelöst werden müssen, wenn Griechenland hoffen will, den Weg zur Autarkie zu beschreiten. Selbst unter normalen friedensmäßigen Bedingungen war Griechenland nur zur Produktion von etwa 60% seiner notwendigen Nahrungsmittel fähig.

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Seine Kornproduktion von 13,5 Bushel pro Acker war die niedrigste von Europa. Auf den Feldern Griechenlands hat der typische Großfarmer nur 7,5 bis 12,5 Acker pro Familie. 1938 war die Größe der Durchschnittsfarm einschließlich Ackerland, Brache, Weinbergen und Obstgärten, und ohne Ausschluß der wenigen großen Farmen und Besitzungen 9,1 Acker. Man bedenke den Kontrast zwischen einem solchen Kleingehöft und der typischen Familienfarm unseres Weizengürtels — 320 bis 640 Acker — und unseren Mais- und Viehfarmen von 160 bis 320 Ackern!

Wie die meisten übervölkerten Länder hat auch Griechenland seinen Boden mißhandelt. Jahrhundertelang hat es versucht, eine unmöglich hohe Zahl von Weidetieren zu unterhalten, welche seine Wälder zerstörten und zu Erosion und heftigstem Erdschwund beigetragen haben. Wie andere übervölkerte Länder hat es seinen Boden den Ziegenherden überlassen. In der allgemeinen und falschen Annahme, der Graswuchs würde dadurch verbessert, hat es seine Hänge seit dem griechischen Unabhängigkeitskampf 1821 wiederholt abgebrannt; der Aberglaube des Abbrennens ist tief in seinen Volkssitten eingewurzelt.

Die Erosion dieses Landes ist ganz allgemein geworden durch das Abbrennen, Überweiden und den Versuch, Getreide (meist ohne Bodenkonservierungsmethoden) auf Feldern der Bodenklasse II—III anzubauen. Im ganzen Lande sieht man Beispiele bedrohlicher Erosion auf guten Böden; das hätte vermieden werden können, wenn der Mensch sich Mühe gegeben hätte, den Naturgesetzen zu gehorchen. Es sind einzelne ganz ausgezeichnete Terrassenanlagen vorhanden — aber lediglich lokal. Heute ist der ökonomische Druck so stark, daß gerade die Praktiken, welche die größte Erosion hervorrufen, angewendet werden — es sei denn, daß eine Unterstützung für Hirten und Farmer aufgebracht werden kann. Wie Dutzende von Ländern auf den vier anderen Kontinenten steht Griechenland vor einem

251


ernsten Wiederbesiedelungsproblem. Will man die potentiellen Ertragskapazitäten verwirklichen, so müssen Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Menschen von den Berghängen heruntergezogen werden.

Wir haben im fünften Kapitel beschrieben, daß die Zerstörung der Bodendecke eine katastrophale Wirkung auf den hydrologischen Bereich ausübt. Flüsse sind anarchisch, wie wir das in den Anden Venezuelas sehen. Sie haben abwechselnd Überschwemmungen und Perioden äußerst niedrigen Wasserstandes; so beträgt zum Beispiel die höchste ausgeströmte Wassermenge des Piniosflusses schätzungsweise mindestens 88.300 Kubikfuß per Sekunde, während das Minimum nur 200 ist! 

Die Hochwasser bringen natürlich schwere Ladungen von Schlamm und Geröll; diese bedecken das fruchtbare Land und blockieren die Wasserläufe derartig, daß das Wasser über die weiten fruchtbaren Küstenebenen zurückgetrieben wird und sich oft neue Kanäle in den Boden schneidet. In Griechenland wie in den Vereinigten Staaten haben die Versuche zur Hochwasserkontrolle meistens am Unterlauf des Flusses begonnen, mit dem Resultat, daß die griechischen Dämme — wie die amerikanischen — nur eine begrenzte Speicherfähigkeit haben; die Schätzungen der Wirksamkeit wie der Lebensdauer dieser Anlagen waren zu 200% falsch11!

Kurzum, Griechenland repräsentiert den gleichen Komplex pathologischen Bodenmißbrauchs, wie wir ihn in den übervölkerten, gebirgigen Ländern der ganzen Welt finden, und von Griechenland kann man erwarten, daß es in neunundfünfzig Jahren seine Bevölkerung verdoppelt — das heißt, die Landmenge pro Kopf der Bevölkerung halbiert!

So sieht dieses Land aus; und da will man den amerikanischen Bürgern weismachen, daß es in wenigen Jahren "wiederhergestellt" sein wird — zu demokratischer Stabilität! Ein paar hundert Millionen Dollar — sie stellen Millionen amerikanischer Arbeitsstunden dar — sollen den griechischen Lebensstandard "heben"! Und das trotz der Tatsache, daß Griechenland vor dem Kriege pro Kopf ein Einkommen von 68 Dollar hatte; daß es schwer beschädigt ist,

252


und daß es seine Schlafzimmertätigkeit nicht reduziert. Griechenland hat niemals — wenigstens in jüngster Zeit — Gesamtexporte von 90 Millionen Dollar erreicht. Es exportierte hauptsächlich landwirtschaftliche Produkte. Jetzt wollen die Wirtschaftler es industrialisieren und damit seinen Lebensstandard heben. Was Griechenland aber verkaufen kann, und an wen es verkaufen kann — und das noch dazu im Wettbewerb mit Deutschland, England, Frankreich, Italien und den Vereinigten Staaten — das verrät uns niemand. Auch wie es so schnell "wiederhergestellt" werden soll, um wenigstens im Gleichschritt mit seinem alljährlichen Kindersegen zu bleiben, ist ein Geheimnis der Wirtschaftler und Politiker.

Pan, der Ziegengott, muß diese vielen Jahrhunderte lang in Griechenland geschwelgt haben, und seine Freunde und Freundinnen haben das Land immer mehr in die Hand bekommen. Und Pans Gelächter hallte sicherlich von den attischen Bergen wider, als die Fremden aus dem Westen anfingen, Paniktribute zu zahlen, um aufzubauen, was seine scharfen Hufe niedergetreten hatten!

Das Agrikulturprogramm, das die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation für Griechenland entworfen hat, um diesen Eckpfeiler gegen den Kommunismus zu schützen, ist von einem Stacheldrahtzaun aus lauter "Wenns" und "Abers" umgeben.

Ich habe die Berichte sorgfältig studiert und habe den Eindruck, daß ihre Verfasser wirklich erwarten, das Dilemma bei den griechischen Kalenden zu lösen! Es gibt viele Hinweise auf die Übervölkerung, und es wird vorgeschlagen, daß Griechenland, wenn möglich, seine überschüssige Bevölkerung in geeignete Länder schicken soll — wenn es solche findet. (Diese Sprache ist natürlich nicht die des FAO-Berichts.)

An keiner Stelle des ganzen Berichts findet sich ein einziger Hinweis darauf, daß eine positive Maßnahme ergriffen werden muß, die Bruttätigkeit dieses Landes einzudämmen.

Wie eine Gruppe von Wissenschaftlern diese Unterlassung durch irgendwelche vernünftigen Gründe rechtfertigen will, wäre interessant zu wissen; sie würde bei uns im tiefsten Hinterland jedem Sachverständigen für Wildschutz das Genick brechen. Und nachdem Griechenland seine Hand fest in den Fleischtöpfen Amerikas verankert hat, ist diese Frage von mehr als akademischem Interesse für den amerikanischen Steuerzahler.

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    Die "männlichen" Italiener   

 

Auch Italien "bittet um eine milde Gabe" von Onkel Sam, mit dem allzu deutlichen Hinweis, daß es "andernfalls" gezwungen ist, sich an Väterchen Stalin zu wenden; es besitzt die gleiche Menge anbaufähigen Bodens pro Kopf wie Griechenland. 1946 rief Graf Carlo Sforza auf der Sucht: nach einem Abladeplatz für seinen Überschuß hungriger Menschen verzweifelt aus: "Wir sind übervölkert! Wir können unmöglich so viele Münder füttern!" Und dennoch wird Italien, wenn es fortfährt, sich im gegenwärtigen Maßstabe zu vermehren, in vierundsiebzig Jahren weniger als die Hälfte anbaufähigen Bodens pro Kopf haben, als es jetzt besitzt.

Hungrige Menschen sind nicht empfänglich für die langsamen Prozesse der Demokratie. Die Freiheit kommt einem nicht so wichtig vor, wenn der knurrende Magen die Freiheitslieder übertönt, und der Mann auf dem Tank mit dem roten Stern oder der Reiter nimmt die glaubhafte Gestalt eines Führers aus der Wüste an. Die Demokratie kann — zumal in unserer komplizierten Welt, wo kein Teil für sich selbst lebt — schwerlich gedeihen bei einer Diät aus Unwissenheit und Unbildung; wo die große Menge des Volkes mühselig ihr Dasein fristet — auf übervölkertem, erschöpftem, erodiertem Boden und nicht in der Lage ist, Schulen zu bauen, Bücher zu kaufen und Lehrer auszubilden und anzustellen. Es ist kein Zufall, daß die autoritären Gruppen aller Landstriche sich wehren gegen die Freiheit der Erziehung und Bildung, und nur unbegrenzter Vermehrung das Wort reden!

Und gerade in diesen übervölkerten Gebieten Europas ist der Boden besonders empfänglich für die Erosion — eine Situation, in der die Ursache zur Wirkung und gleichzeitig die Wirkung zur Ursache wird.

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Die Mauren hatten einen großen Teil der Küste des mittelländischen Meers zerstört und fingen gerade höchst erfolgreich an, auf der iberischen Halbinsel dieses Zerstörungswerk fortzusetzen. Die moderne Substituierung kleiner existenzfähiger Farmen durch Großgrundbesitz, der abwesenden Besitzern gehört und als Weide benutzt (und überweidet) wird, beschleunigte diese Zerstörung.

Schon zur Zeit der Römer fand eine schwere Entwaldung der Apenninen statt, in Griechenland sogar noch früher. Aber die Zerstörung der Wälder in den Pyrenäen und Alpen wurde dem Bericht nach erst im späten Mittelalter bedrohlich; die Übervölkerung der Täler mit der wachsenden Nachfrage nach Feldern, Weiden und Brennholz übte einen katastrophalen Druck auf die Berghänge aus. In den französischen Pyrenäen sind große Gebiete zerstört, und die Versuche der Bauern, mit der Erosion fertig zu werden, erinnern an die Bedingungen im südöstlichen Asien12.

Auf dem Balkan außerhalb Griechenlands nehmen die Landwirte ihre Zuflucht zu Mitteln, die man wohl "Teelöffel-Agrikultur" nennen kann. Sie schicken buchstäblich ihre Kinder mit Teelöffeln aus, um in den Felsspalten und wo sie sie finden können, fruchtbare Erde zu suchen, die dann auf den Feldern als Düngung gebraucht wird.

Vor dem zweiten Weltkrieg wurde die Ernährungslage in Europa durch die im Donaubecken greifbaren Getreidevorräte verbessert, und einige Jahre lang durch die in der Sowjetunion greifbaren. Mehr als in jedem andern Teil der Welt hat die Struktur der europäischen Gesellschaft die Verbundenheit eines lebenden Organismus angenommen, wo jeder Teil den anderen beeinflußt. Europa erinnert an einen Dinosaurus, der sich unter gewissen ökologischen Bedingungen (1800-1914) zu ungeheurer Größe und Kompliziertheit entwickelte. Jetzt, da sich die Umwelt erheblich verändert hat, hat das Ungeheuer sich festgefahren.

Und gerade auf dem schwachen Punkt dieser Analogie, nämlich dem Miniaturhirn dieses Reptils, liegt die Hoffnung Europas: nur das Reservoir seines Wissens enthält die Mittel, einem schlimmen Schicksal zu entfliehen — wenn Europa sie benutzt! Es ist nicht zu erwarten, daß viele Länder Europas oder gar Europa als Ganzes (einschließlich Großbritanniens) autark in der Ernährung werden können.

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Vor zwanzig Jahren schrieb einer unserer bedeutendsten Ökologen: "Eines Tags wird es ein Glück für die Völker Europas und Asiens sein, daß es so wenig Menschen auf den amerikanischen Farmen gibt — überhaupt so wenig Menschen im ganzen Nordamerika."(13) 

Das war vor der Explosion unseres Staubbeckens, ehe Hugh Bennett angefangen hatte, dem amerikanischen Volk die Augen dafür zu öffnen, was mit seinem geschändeten, überlasteten Boden geschah. Aber Dr. Baker hat immer noch recht: Europa wird alles nehmen, was es bekommen kann. Europa wird weiterhin die Erwartung hegen, von anderer Völker Land zu ziehen, bis in die fernsten Regionen der Welt; es wird weiterhin von ihnen fordern, daß sie seine Fertigwaren als Gegenwert für Nahrungsmittel annehmen. Ob die übrige Welt es wünscht oder nicht — sie ist in beträchtlichem Maße eine Rohstoff-Kolonie Europas — wenn Europa sie bei der Stange halten kann.

Wir haben schon erwähnt, daß die Ökonomen der Ansicht sind, Europa könnte auf asiatischem Standard eine noch größere Bevölkerung ernähren als es jetzt hat. Als Bismarck begann, den Platz an der Sonne für Deutschland zu fordern und Hitler eine ganze Nation dazu brachte, nach Lebensraum zu schreien, war Deutschlands Lebensstandard weit höher als der der meisten übrigen Welt; aber immer noch nicht hoch genug, um die Deutschen zu befriedigen; sie versuchten ihn dadurch zu heben, daß sie die Länder anderer Völker vergewaltigten, statt die Anforderungen an ihr eigenes Land dadurch zu beschneiden, daß sie ihre Bevölkerung verminderten. Sie kämpften keineswegs um ihr Dasein, wie ihre Führer es propagierten, sondern um die Annäherung an den amerikanischen Lebensstandard. Sie versuchten ihre Lage durch Handel zu verbessern — aber die übrige Welt hatte dieselbe Idee. 

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Selbstverständlich traten sie in Wettbewerb mit anderen industrialisierten Ländern; selbstverständlich schützten sie ihre Industrien durch Zölle. Auch Argentinien, Brasilien, Chile, Peru, El Salvador, Ägypten, Indien und Australien können den wirtschaftlichen Zauberstab der Industrialisierung nicht schwingen, ohne geschützt zu sein.

Der Versuch, in einer nationalistischen Welt neue Industrien zu entwickeln, aber gleichzeitig die Zollschranken zu senken oder gar zu verbannen, hat eine Art ökonomischer Schizophrenie ausgelöst. Und Europa ist eins ihrer Hauptopfer. Seine Märkte schrumpfen im gleichen Maße, wie sich sein Bedarf durch den wachsenden Bevölkerungsdruck steigert. Es möchte seinen Lebensstandard heben — und zwar für eine größere Bevölkerung! Und in manchen Ländern verschmäht man es nicht, zu Erpressungsmethoden seine Zuflucht zu nehmen.

 

    Uns bleibt keine Wahl!   

Als die Nation mit dem größten nationalen Reichtum sind wir natürlich das Opfer Nummer 1. Wir besitzen ein gut Teil der Dinge, die Europa braucht, in Form von Nahrungsmitteln, Rohstoffen und zeitweise wichtigen Waren. Was aber besitzt Europa, das unsere Gewerkschaften und Handelskammern so nötig hätten, um es dafür in Tausch zu nehmen — ebenso unsere Arbeiter und Geschäftsleute? Und wo ist die Kaufkraft der "unentwickelten" Rohstoffgebiete, die Konkurrenzprodukte Europas, Nordamerikas und Japans — und in einigen Jahrzehnten vielleicht auch noch Rußlands — aufzusaugen?

Unser Lebensstandard wurde wesentlich gesenkt, als wir den europäischen Krieg kämpften und durch Vorräte und Waffen ermöglichten. Nach dem Kriege ist er noch weiter gesunken, da wir versucht haben, eine Art internationaler WPA aufrechtzuerhalten. Und in den kommenden Jahren wird er zweifellos noch tiefer gesenkt werden.

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Wir haben buchstäblich keine Wahl als uns der Erpressung zu fügen.

(Wem dieser Ausdruck zu scharf vorkommt, der denke an <Onkel Shylock>, die strahlende Kraft-durch-Nürnberg-Freude, die Sprechchöre "Duce, Duce", während die Brandbomben auf die äthiopischen Hütten fielen. Es wäre allzu naiv, zu glauben, daß mit unsern Dollars auch der Geist von Jefferson und Lincoln über Europa kommt!)

 wikipedia  Der_Kaufmann_von_Venedig  (Shylock)

   dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/ns-organisationen/kraft-durch-freude.html 

wikipedia  Abessinienkrieg 

Wenn wir nicht zahlen, was die Erpresser verlangen, so entsteht ein Vakuum, das den Polizeistaat vom Osten einsaugt. Und das dürfte dem Gerede von "Selbstbestimmung" ein Ende setzen. Wenn wir nicht willens sind, zu helfen, so besteht wenig Hoffnung, die Wiedergeburt des Militarismus zu vermeiden.

Ein internationales WPA ist bei weitem einem Atom- und Bakterienkrieg vorzuziehen, gegen den es keine Verteidigung gibt. Europa hat die Möglichkeit, Krieg zu führen, oder wird sie wenigstens in ein paar Jahren wieder haben. Es hat sich wiederholt sehr willig gezeigt, diese Möglichkeit in die Tat umzusetzen. Wir wären töricht, den Zünder nicht herauszuziehen — wenn wir irgend können.

Aber wir wären noch törichter, wenn wir nicht erkennen würden, daß die Übervölkerung, die so viel zu den vergangenen europäischen Wirren beigetragen hat, eine fortbestehende und immer wachsende Drohung ist. Unser WPA in Italien, Griechenland usw. unterstützt diese Bedrohung. Ein Europa mit 450 Millionen Menschen im Jahre 1975 ist viel gefährlicher als das Europa von 1935 mit 370 Millionen Menschen. Und es wird noch mehr gute Äcker anderer Völker aussaugen. Nicht seine eigenen, das dürfen wir nicht vergessen, denn Europa hat keine eigenen.

Im selben Maße wie unsere Hilfe die europäische Bevölkerung vermehrt, im selben Maße vermehren wir Europas Schwierigkeiten und damit unsere Gefahr. Unsere Nahrung, unser Geld, unsere Medikamente werden, wenn sie nicht total versagen, die Sterblichkeitsziffer herabsetzen.

Die Geburtenziffern fallen, aber sie fallen nicht so schnell, daß es wirklich eine Hilfe bedeuten würde. Die Lebensdauer-Statistiker erklären uns feierlich, daß — wenn wir nur lange genug warten — die Bevölkerungskurven sich von selbst senken und die Geburtsziffern sich den Sterblichkeitsziffern von selbst anpassen werden. Auf "natürliche" Weise.

Was aber inzwischen mit der Welt geschieht, ist für sie offenbar eine dieser ärgerlichen Wirklichkeiten, die langsam in die akademischen Klöster einsickern wie die Essenz gleichmäßig tröpfelnden Regens. Die Höflichkeit verlangt, daß wir den muffigen Geruch der feuchten Mauer ignorieren. Unglücklicherweise aber wird er immer stärker.

Alles, was wir unternehmen, um diesen üblen Geruch zu verstärken — das heißt die Bevölkerung Europas zu vermehren —, ist ein schlechter Dienst an Europa wie an uns selbst. Stillstand und wenn irgend möglich Rückgang der Bevölkerungszunahme in Europa — das wäre ein großer — ja, der größte Schritt zur Befriedung und Wohlfahrt der Welt.

Und "Die Vereinigten Staaten von Europa" mit der Hälfte oder dem Drittel ihrer jetzigen Bevölkerung könnten höchstwahrscheinlich einen Lebensstandard erringen und aufrechterhalten, der dem der Vereinigten Staaten gleichkommt oder ihn gar übersteigt.

Wir sind in der Lage, Forderungen zu stellen. Jede Hilfe, die wir geben, sollte abhängig sein von einem nationalen Programm, das zur Stabilisierung der Bevölkerung führt — und zwar durch freiwillige Haltung des Volkes. Wir müßten auf der Freiheit der Empfängnis­bekämpfung bestehen, wie wir auf der Freiheit der Presse bestehen. Sie ist mindestens ebenso wichtig.

Da wir viele hundert Dollarmillionen unserer amerikanischen Steuerzahler investieren, sollten wir uns versichern, daß einer überwiegenden Mehrheit in Europa erzieherisches wie funktionelles Anti-Empfängnismaterial zugänglich ist. Nicht weniger wichtig als die großen "Freiheiten", die wir zu unserem Losungswort gemacht haben, ist eine fünfte Freiheit — die Freiheit von einem übermäßigen Kindersegen!

Weit mehr als die Welt es sich klar macht, hängt sogar die Teilverwirklichung der ersten vier von der Erfüllung dieser letzten ab!

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 William Vogt   Road to Survival   Die Erde rächt sich   1948