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     Nachwort zur Taschenbuchausgabe    

Von Jonathan Weiner 1995

 

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Die globale Erwärmung ist ein Thema, das meine Freunde aus Höflichkeit meiden, wenn sie bei mir sind. Sie wissen, daß ich vor ein paar Jahren dieses Buch darüber geschrieben habe, und sie fragen sich, ob ich mich vielleicht geirrt habe.

Wenn die Menschen hier in Pennsylvania, wo ich lebe, heute an extremes Wetter denken, fällt ihnen nicht der Sommer 1988 ein, sondern der Winter 1994. In jenem Januar bedeckte Eis unsere Straßen, im Februar fielen Bäume auf die Hochspannungsleitungen, und der Nordpol rief sich sogar noch im März in Erinnerung, wenn man aus dem Fenster schaute.

»Ich denke immer noch an den Treibhauseffekt, besonders an heißen Sommerabenden«, sagt ein Freund von mir. Andere sagen: »Ich sollte noch so oft daran denken wie vor ein paar Jahren. Aber ich tue es nicht.« 

Und auch ich muß gestehen, daß ich — so besessen ich war — durch andere Themen, über die ich schrieb, und durch die kleinen Stürme des Alltags­lebens abgelenkt wurde. 

Ist das Problem verschwunden, oder haben wir uns von ihm abgewendet?

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Letzten Sommer rief ich Keeling in seinem alten Familiensitz in Montana an, wo er einen seiner seltenen Urlaube vom Labor und von einer Hitzewelle in La Jolla machte. Ich bat ihn um die letzten Werte. »Warte«, sagte er und legte den Hörer beiseite, um eine Kopie von Keelings Kurve zu suchen. Als er ans Telefon zurückkam, bemerkte er: »Es hat keinen Sinn, sich diese Zahlen zu merken, weil sie ständig ansteigen. Es ist, als versuchten wir, uns an das Alter unserer Kinder zu erinnern. Im Augenblick sind es etwa dreihundertneunundfünfzig Teile pro Million — jahreszeitlich bedingt.«

Das bedeutete, daß der Kohlendioxidspiegel in der Atmosphäre um 44 Teile pro Million höher war als zu der Zeit, da Keeling angefangen hatte zu messen.

Ich rief auch Gregg Marland von den <Oak Ridge National Laboratories> in Tennessee an. Er zeichnet auf, wieviel fossiler Brennstoff weltweit jedes Jahr verbrannt wird. Er sagte, er habe die Computer­aufzeichnungen für das ganze Jahr 1991 komplett. In diesem Jahr hätten wir genug Kohle und Öl verbrannt, um mehr als sechs Milliarden Tonnen Kohlenstoff in die Luft zu jagen.

Im Durchschnitt kommt damit über eine Tonne auf jeden Menschen unseres Planeten. In jenem Jahr hätten allein die brennenden Ölquellen in Kuwait mehr als hundert Millionen Tonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre freigesetzt.

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In jenem Sommer aß ich mit einem Sohn Keelings zu Mittag. Bei unserem letzten Gespräch hatte er mir erzählt, daß er gerade an einem neuen Typ eines Gas­analysegeräts arbeitete. Inzwischen hatte er damit aufgehört und war in die Fußstapfen seines Vaters getreten. Ralph Keeling hat eine Methode gefunden, den Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre in Teilen pro Million zu messen. Er wiederholt diese Messung Jahr für Jahr. Sein Labor ist ebenfalls am Scripps, nicht weit von dem seines Vaters entfernt. Der Sauerstoffgehalt der Luft sinkt, und die absteigende Kurve seiner Werte bildet ein Spiegelbild der Kurve von Ralphs Vater.

Man muß nicht viel von Chemie verstehen, um diese Kurven deuten zu können. Der Kohlendioxidspiegel steigt jedesmal an, wenn wir etwas verbrennen. Der Sauerstoffspiegel sinkt jedesmal, wenn wir Sauerstoff in Kohlendioxid umwandeln, indem wir etwas verbrennen. Wir laufen nicht Gefahr, daß der Sauerstoff knapp wird, aber es steht außer Frage, daß sich das Kohlendioxid in der Atmosphäre ansammelt, und es steht außer Frage, daß Kohlendioxid als Wärme­falle wirkt.

Ralph erklärte mir beim Essen, daß zwei Kurven ausdrucksstärker sind als eine. Ralph hofft, indem er sozusagen zwischen den Zeilen liest, herauszufinden, weshalb von dem Kohlendioxid, das wir jedes Jahr ausstoßen, nur die Hälfte oben in der Luft bleibt, und weshalb und wo die andere Hälfte herunterkommt — ein Teil auf dem Land und der andere Teil im Meer.

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Ralph hofft, diese Fragen in zwei oder drei Jahren beantworten zu können. Die Auffindung des vermißten Kohlenstoffs könnte Geowissenschaftlern bei der Vorhersage helfen, wie rasch der Kohlendioxidanteil in Zukunft zunehmen wird.

Ralph sagte, er erwarte, daß die Geschichte mit der globalen Erwärmung ähnlich ausgehen wird wie die Ozon-Geschichte. Wir wußten seit Jahren, daß der Aufbau der Fluorkohlenwasserstoffe die Ozonschicht schädigen konnte. Wir dachten, diese Schäden würden irgendwann im nächsten Jahrtausend auftreten. Wir beobachteten, warteten und diskutierten. Dann plötzlich — viel früher, als irgend jemand erwartet hatte — tauchte das Loch an einer Stelle auf, wo es niemand vermutet hatte.

Bei all den weltweiten Aufzeichnungsbemühungen werden die ersten, dramatischen Folgen des steigenden Kohlendioxidanteils in der Atmosphäre wahr­schein­lich sich an einer Stelle und zu einer Zeit bemerkbar machen, wo wir sie am wenigsten erwarten; wir spielen mit etwas, das weitaus komplizierter ist, als daß wir es verstehen könnten. Dann werden die Wissenschaftler aufhören, nach Anzeichen für eine Erwärmung Ausschau zu halten, und anfangen, darüber zu diskutieren, was geschehen ist. »Mir scheint, als würden die Dinge sich auf diese Weise entwickeln«, sagte Ralph.

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Klimaexperten stimmen darin überein, daß das Kohlendioxid, das wir der Luft zuführen, jetzt die Oberfläche des Planeten um etwa zwei Watt pro Quadrat­meter erwärmt. Die Erde weist eine Gesamtoberfläche von etwa 0,51 Billiarden Quadratmetern auf. Wir haben gewissermaßen ein kleines Pilotlicht über jedem Quadratmeter Land, Meer und Eis entzündet, und jedes Licht erleuchtet bei Tag und bei Nacht dieses Fleckchen Erde.

Im Jargon der Geowissenschaftler sind diese Pilotlichter als Treibhausfaktoren bekannt. Sie gehören gemeinsam mit anderen Werten wie den Helligkeits­schwankungen des Sonnenlichts, der Lichtdurchlässigkeit der Wolken oder dem Ärosolgehalt in der Stratosphäre zu den Faktoren, welche die Veränderung des Klimasystems bewirken.

Aber die Atmosphäre wird auch von all den übrigen Sphären beeinflußt: von der Hydrosphäre — den Meeren; der Kryosphäre — den Eisflächen; der Biosphäre — der Gesamtheit des Lebens auf der Erde; und der Lithosphäre — der felsigen Kruste der Erde selbst. All diese Sphären verändern und bewegen sich ständig — ebenso wie auch die Sphäre aus Feuer über uns, die Sonne.

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In welcher Weise wird das Klima sich verändern? Wie rasch wird dies geschehen, oder hat die Veränderung bereits eingesetzt? 

Die mittlere Temperatur auf der Erde hat sich in den letzten hundert Jahren um etwa ein Grad Fahrenheit erhöht; um die Zehntelgrade streiten sich die Experten noch. 1990 war das heißeste Jahr seit mindestens hundert Jahren. Aber 1991 brach der Vulkan Pinatubo aus und schleuderte solche Massen an Rauch, Staub und Schwefeldioxyd in die Atmosphäre, daß die durchschnittliche Erdoberflächen-temperatur sank und uns so eine Abkühlung beschert wurde. Seitdem sind keine Rekorde in den globalen Temperaturen mehr zu verzeichnen gewesen.

Die letzten Spuren des Pinatubo-Ausbruchs gelangten im vergangenen Jahr in die Stratosphäre, und Klimaexperten in der ganzen Welt warten nun gespannt darauf, was als nächstes geschieht. Ich bat Stephen Schneider, einen Klimatologen an der Stanford University, um eine Vorhersage. »Ich würde sagen, daß uns in den nächsten zwei oder drei Jahren ein heißes Jahr bevorsteht«, sagte er vorsichtig. »Ich bin nicht sicher, aber die Wahrscheinlichkeit beträgt fünfzig bis sechzig Prozent.«

James Hansen, Direktor des <Goddard Institute for Space Studies> (NASA, New York City), geht weiter. Er erwartet, daß die restlichen neunziger Jahre vorwiegend warm sein werden. »Sobald man sagt, auf der Welt würde es wärmer«, sagte er mir,

»denkt der Mann auf der Straße, jede Jahreszeit würde wärmer. Das wird sicher erst in fünfzig Jahren passieren. Aber ich würde sagen, daß die Temperaturen den Durchschnitt der späten achtziger und der frühen neunziger Jahre dieses Jahrhunderts übertreffen werden. Es wird interessant werden.«

Andere Klimatologen sind zurückhaltender. Niemand weiß wirklich, was diese halbe Billiarde Lichtpunkte mit der Oberflächen­temperatur des Planeten, mit der antarktischen Polkappe oder mit der Höhe des Meeresspiegels anstellen werden. Kein Supercomputer-Wettermodell vermag mehr, als Möglichkeiten darzustellen; und niemand, der mit diesen recht groben Modellen arbeitet, hat jemals etwas anderes behauptet.

Vielleicht haben wir Glück. Gemäß einer neuen Denkrichtung führt der Schadstoffschleier, der unseren Schornsteinen und Auspuffrohren entweicht — der Ausstoß des menschlichen Vulkans —, zu einer Abkühlung, während das Kohlendioxid eine Erwärmung mit sich bringt. Vielleicht heben diese beiden Entwicklungen einander auf, oder ein Zufall kommt uns zu Hilfe. 

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Einer der Optimisten im Treibhaus ist Richard Lindzen, ein Meteorologe am MIT (Massachusetts), dessen Maß an Skepsis für dieses Forschungs­gebiet höchst ungewöhnlich ist. Lindzen hält die Unwägbarkeiten in den Modellen für so groß, daß die globalen Temperaturen seiner Meinung nach mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit fallen wie steigen können. »Wer auch immer wetten will, ich halte mit«, sagte er mutig zu mir.

Seit Erscheinen dieses Buchs wurde weltweit ungeheuer viel über die globale Erwärmung geredet und spekuliert. Sie war das Hauptthema der großen Umwelt-Konferenz in Rio vor drei Jahren und war auch in der Nachfolgekonferenz, die kürzlich in Berlin stattfand, ein wichtiges Thema. 

Wenn ich dieses Buch heute revidieren müßte, würde ich Berichte über diese Konferenzen und über die Arbeit des IPCC, des <International Panel on Climate Change>, hinzufügen; und ich müßte hier und dort eine Zahl ändern. Aber im großen und ganzen hat sich nur wenig geändert.

»Ich denke, die Wahrheit lautet, daß keiner von uns bereit ist, seinen Lebensstandard herunterzuschrauben, um diese Kohlen­dioxid­zunahme zu verhindern«, sagte Keeling nüchtern. »Angenommen, du müßtest wirklich das Einkommen von jedermann um zwanzig Prozent verringern, weil es ansonsten tatsächlich ungemütlich würde — was würdest du tun? Ich denke, du würdest sagen: <Laßt uns noch ein bißchen warten und sehen, was geschieht>.«

Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand mit einem Gefühl für die Komplexität des Planeten Keelings Kurven anschauen kann, ohne sich zumindest unwohl zu fühlen. Im Jahr 1958, mit dem die Kurve einsetzt, fügten wir der Atmosphäre jährlich zwei Milliarden Tonnen Kohlenstoff hinzu; heute ist es beinahe das Dreifache. Da wir inzwischen extremes Wetter jeder Art erleben — schlimme Winter und auch schlimme Sommer —, ahnen wir, wie gefährlich unsere Lage wirklich ist. Wir verändern die Bedingungen, unter denen wir selbst und alle Tier- und Pflanzenarten auf dem Planeten gedeihen, und wir wissen nicht, was als nächstes geschehen wird. 

Für mich bleiben Keelings Kurven ebenso ernüchternd wie der Anblick der hundertjährigen Eiche, die eines stillen Morgens in unserem Wald umstürzte, nachdem sie sich den ganzen Winter über aufrecht gehalten hatte, und drei Meter vom Sandkasten entfernt landete.

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The Next One Hundred Years / Die Klimakatastrophe