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1.  Die grundlegenden Naturgesetze

Albert-1987

 

Daß ich erkenne, was die Welt 
Im Innersten zusammenhält. 
(Goethe)

Alle Dinge sind
miteinander verbunden.

(Seattle)

 

Die Natur und der Mensch  

13-29

Unter Natur verstehen wir im allgemeinen den Teil der Welt, der von Eingriffen durch den Menschen noch verschont geblieben, d.h., von ihm noch nicht oder wenigstens nicht tiefgreifend verändert worden ist. Natur ist also in ihren Erscheinungsformen noch mehr oder weniger unabhängig vom Menschen. Reine Natur gab es demnach, solange der Mensch noch nicht aufgetreten war, bzw. die Natur noch kaum berührt hatte. Daher kann man von Natur dort nicht mehr sprechen, wo sich unsere Zivilisation mit ihrer Technik ausgebreitet hat und wo sie die Welt nach ihren Vorstellungen gestaltet.

Dieser Naturbegriff ist insofern fragwürdig, als der Mensch ja aus der Natur entstanden und somit selbst Teil der Natur ist. Er hat jedoch durch sein Wirken, durch Anwendung der von ihm entwickelten Techniken, so stark in die ursprüngliche Natur eingegriffen und sie nach seinem Willen so gründlich verändert, daß wenige Jahrhunderte menschlicher Zivilisation eine Welt entstehen ließen, die keinerlei Ähnlichkeit mehr mit der ursprünglichen Natur hat, wie sie sich in Jahrmilliarden langsam entwickelt hatte.

Das Einwirken des Menschen auf seine Umwelt zur "Verbesserung" seiner Lebensbedingungen veränderte die Natur schließlich so tiefgreifend, daß sich heute ernste Gefahren für den Weiterbestand dieser Welt abzeichnen. Der Mensch steht im Begriff - entgegen seiner Absicht -, seinen Lebensraum unbewohnbar zu machen und damit selbst­zerstörerisch sich selbst ein Ende zu bereiten.

Es hat also den Anschein, als arbeite der Mensch gegen die Natur und ihre Gesetze. Selbstverständlich vermag er jedoch die Naturgesetze nicht aufzuheben. Vielmehr handelt er sogar ganz im Sinne der Evolution. In seinem Egoismus und seiner Habgier, in seiner Selbstherrlichkeit und Überheb­lichkeit, versteht er jedoch dabei - wie wir sehen werden -, das Naturgeschehen so tiefgreifend zu beeinflussen und seinem vorbestimmten Ende im Chaos so unüberlegt Vorschub zu leisten, daß ihm sein Handeln trotz kurzfristigen Nutzens auf die Dauer zum Schaden gereichen wird. 

Indem er der biblischen Aufforderung "Macht Euch die Erde untertan" (Genesis 1,28) blindlings folgt, zerstört er die Natur und trägt schließlich zum beschleunigten Untergang seiner eigenen Art bei.

Die biologische Evolution hat uns mit Verstand ausgerüstet. Mit seiner Hilfe sollten wir die Natur in ihren Gesetz­mäßigkeiten zu verstehen versuchen, die in ihr existierenden, uns verhängnisvollen Kräfte erkennen und uns soweit anpassen, daß die drohende Katastrophe aufgehalten wird und wir vielmehr dauernden Nutzen ziehen können.

Welche sind die grundlegenden, das Naturgeschehen wesentlich bestimmenden Gesetze, die wir begreifen müssen?
Und welche sind die Kräfte, die die Entwicklung auf der Erde beherrschen und die wir unbedingt beachten sollten?

   Der Systembegriff  

Die Welt im Großen (Makrokosmos) wie auch im Kleinen (Mikrokosmos) ist stark gegliedert, sie weist reiche Strukturen auf. Ihre verschiedenen Strukturelemente stellen dabei jeweils sog. Systeme dar. Als System bezeichnet man eine Gesamtheit von Teilen, die zueinander in starker, zu ihrer Umwelt jedoch in keiner oder nur schwacher Wechselbeziehung stehen und sich daher als mehr oder weniger selbständiges Gebilde von ihrer Umwelt abheben. Jeder Teil eines solchen Systems wird im allgemeinen selbst wieder als Untersystem ein System für sich sein, das sich in das Gesamtsystem einfügt.

Die Veränderung, die Beseitigung oder der Ausfall eines Teiles kann wegen der dann sich ändernden bzw. wegfallenden Wechselbeziehungen eine empfindliche Störung eines Gesamtsystems bedeuten. Ein System ist eben mehr als nur die Summe seiner Teile. Wesentlich sind die Wechselwirkungen zwischen seinen einzelnen Teilen, was seine Struktur, also die Organisation seiner Teile, verursacht, und — wie wir noch sehen werden — seine Gleichgewichtszustände bedingt. Diese Ganzheitsbetrachtung eines Systems aus Wechsel wirkenden Teilen ist wesentlich für unser Verständnis der uns umgebenden Welt.

Die Gliederung der Welt entspricht der Strukturierung der gegenseitigen Wechselbeziehungen ihrer Teil­systeme. Verschiedene Systeme sind so z.B. das Weltall als Ganzes, Galaxien, Sonnensysteme, unsere Erde, irdische Lebensgemeinschaften, Organismen, Organe, Zellen, Moleküle, Atome, Atomkerne und schließlich Elementarteilchen.

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Jedes System weist einen gewissen Energieinhalt auf, d.h., es hat die Fähigkeit, Energie aufzunehmen, sie zu speichern bzw. wieder abzugeben, und mit der Energie Arbeit zu leisten. Je nach dem Grad der Wechsel­wirkung von Systemen mit ihrer Umwelt unterscheidet man drei verschiedene Arten:

 

    Die Hauptsätze der Physik  

In der Natur gilt allgemein das Gesetz, daß unwahrscheinliche Zustände von selbst in wahrscheinlichere über­gehen. So tritt beispielsweise in einem Körper, dessen Teile sich anfänglich auf verschiedenen Temperaturen befanden, ein Temperaturausgleich durch Wärmeaustausch statt, sofern nicht die Temperatur­differenz von außen durch einseitige Erwärmung aufrecht erhalten wird. Ein Körperzustand mit Temperatur­unterschieden ist einfach unwahrscheinlicher als derjenige mit gleichverteilter Temperatur.

Die Wahrscheinlichkeit irgendeines Zustandes eines Systems läßt sich mathematisch bestimmen. Dazu bedarf es nur der Berechnung der Anzahl aller verschiedenen Möglichkeiten, diesen durch einen bestimmten Energieinhalt festgelegten Zustand durch Variation aller sonstigen Größen zu realisieren. Ein Zustand ist nämlich umso wahrscheinlicher, je mehr Möglichkeiten es für seine Realisierung gibt. 

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Da in einem geordneten Zustand die Zahl der möglichen Variationen gegenüber einem ungeordneten Zustand stark eingeschränkt ist, ist in einem System vieler Teile Ordnung unwahrscheinlicher als Unordnung. Mit der Zeit werden unwahrscheinlichere Zustände verlassen und gehen daher geordnete Strukturen von alleine in ungeordnete über: Die Natur tendiert zum Chaos als endgültigem Zustand.

Da die Natur also ständig in einseitig gerichteter Veränderung begriffen ist, kann sich ein Naturzustand, der der Vergangenheit angehörte, grundsätzlich nie wieder einstellen. Das gilt nicht nur für die Natur als Ganzes, sondern auch für jedes isolierte, abgeschlossene System. Es strebt stets einem wahrscheinlicheren Endzustand zu. Dieser Vorgang kann nicht von alleine im entgegengesetzten Sinn ablaufen. Naturvorgänge sind daher grundsätzlich nicht umkehrbar, sie sind also irreversibel.

Das ist die wesentliche Aussage des sog. Entropiesatzes, auch als zweiter Hauptsatz der Thermodynamik bekannt. Der Satz führt mit der Entropie eine den Zustand eines Systems beschreibende sog. Zustandsgröße ein, die mit der Wahrscheinlichkeit des Zustandes eng zusammenhängt. Sie kann für ein abgeschlossenes System, also auch die ganze Welt, nur zunehmen. Der Entropiesatz bestimmt so die Richtung allen Geschehens mit der Zeit. Entropie­vermehrung ist die eigentliche Triebkraft der Natur.

Seiner Natur nach ist der Entropiesatz ein statistisches Gesetz, d.h., er gilt nur für Systeme, die sich aus sehr vielen Teilchen zusammensetzen. Damit ist vereinbar, daß für Untersysteme die Entropie zeitweise abnehmen kann.

Neben der Richtung ist bei allen Naturvorgängen auch die Geschwindigkeit ihres Ablaufes von Bedeutung. Jedes System versucht, den nächsten, wahrscheinlicheren Zustand möglichst schnell zu erreichen. Bei der Suche nach dem schnellsten Weg kann für chemische Reaktionen die Anwesendheit bestimmter Stoffe, sog. Katalysatoren, den Ablauf beschleunigen. Solche Stoffe ermöglichen schon in kleineren Mengen, ohne dabei selbst verbraucht zu werden, Reaktionsumwege, die jedoch im Endeffekt schneller ablaufen. Da Katalysatoren somit chemische Vorgänge beschleunigen, werden die von ihnen geförderten Reaktionen in der Natur bevorzugt durchlaufen. Katalysatoren gewinnen so ihre Daseinsberechtigung.

Damit läßt sich - vgl. Sachsse - die Entwicklung des Lebens auf unserer Erde im Rahmen des Entropie­satzes erklären. Im Laufe der Zeit bildeten sich zufällig, also im Einklang mit dem statistischen Charakter allen Geschehens, Stoffe heraus, die die Natur in ihrem Streben nach größerer Entropie katalytisch unterstützten. So entstanden auf unserer Erde höhere Molekülstrukturen, schließlich Lebensformen, die sich in ihrer Wirkungsweise als nützlich erwiesen haben, die Entropie in der Welt schneller zu vermehren. Damit bekommt das irdische Leben auf Grund des Entropiesatzes einen grundsätzlichen Sinn.

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Bei allen in einem System ablaufenden Veränderungen findet auch die Umwandlung von Energie zwischen verschiedenen Formen statt. So kann z.B. Bewegungsenergie in elektrische Energie übergehen oder umgekehrt. Dabei bleibt nach dem sog. Energiesatz, dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik, die Gesamtenergie eines abgeschlossenen Systems erhalten bzw. ändert sich im nichtabgeschlossenen System um den Betrag der mit der Umwelt ausgetauschten Energiemenge. Dieser Erhaltungssatz der Energie erlaubt also stets eine Energiebilanz. 

Jedoch sind die Umwandlungsmöglichkeiten zwischen den verschiedenen Energieformen durch den Entropiesatz eingeschränkt: Es findet immer eine Energieabwertung statt. Daher ist es das unvermeidbare Schicksal jeder höherwertigen Energieform, die Arbeit leisten kann, daß sie mehr oder weniger schnell in Wärme übergeht. So wird z.B. aus Bewegungsenergie durch Reibung Wärme. Wärme ist zwar auch Energie, und bei der Umwandlung in Wärme bleibt auch der Energiesatz gewahrt, jedoch ist sie nur bedingt und begrenzt arbeitsfähig. Nutzbare Energie geht also mit der Zeit stets in unnutzbare Energie, nämlich Wärme über. Das endgültige Chaos ist somit gleichzeitig der Wärmetod der Welt.

Im nichtabgeschlossenen System können durch geeignete Eingriffe von außen normalerweise irreversible Vorgänge aufgehalten oder sogar wieder rückgängig gemacht werden. Damit ist allerdings eine Veränderung der Umgebung verbunden. Im offenen oder geschlossenen System kann die Entropie abnehmen, jedoch nur unter gleichzeitiger, wenigstens gleichgroßer Zunahme der Entropie der Umgebung. Denn die Gesamtentropie für das aus offenem bzw. geschlossenem Teilsystem und seiner Umgebung bestehende Gesamtsystem kann nicht abnehmen.

Es ist also grundsätzlich unmöglich, irgendeine irreversible Veränderung eines Systems wieder vollständig rückgängig zu machen, ohne daß irgendwo sonst in der Natur eine Veränderung zurückbleibt. Vielmehr geht das Gesamtsystem stets in einen Zustand größerer Wahrscheinlichkeit über.

Im Gegensatz zum abgeschlossenen System, bei dem mit der Zeit jegliche höherwertige Energieformen in Wärme übergehen, kann ein nichtgeschlossenes System solche Energieformen auf Kosten seiner Umgebung bewahren. Daher können beispielsweise Temperaturunterschiede, die sich im abgeschlossen System mit der Zeit ausgleichen würden, im nichtgeschlossenen System aufrecht erhalten werden.

Auch unser Sonnensystem als praktisch abgeschlossenes System strebt als Ganzes mit der Zeit einem Zustand höherer Entropie zu. Die Entropie­zunahme betrifft im wesentlichen jedoch nur die Sonne. Die Planeten stellen dagegen wegen der dauernd eingestrahlten Sonnenenergie nur geschlossene Systeme dar, deren Entropie sogar abnehmen kann. So konnten auf unserer Erde sonst nicht dauerhafte Zustände entstehen und das Chaos aufgehalten werden. Das ermöglichte die Entwicklung immer höherer und damit unwahrscheinlicherer Strukturen in Form des irdischen Lebens und die Ablagerung riesiger, hochwertiger fossiler Energielager organischen Ursprungs als Kohle, Erdöl und Erdgas.

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Wird von einem geschlossenen System mehr Wärme abgestrahlt, als ihm Energie zugeführt wird, indem im System gespeicherte Energiereserven angebrochen werden, so nimmt die Entropie des Systems zu. Das ist beispielsweise heute auf unserer Erde der Fall, da wir nicht nur fossile Energie aufbrauchen, sondern nun auch zusätzlich in vermehrtem Ausmaße nukleare Energie einsetzen. Beide Energieformen gehen schließlich in Abwärme über, die der Erde verloren geht.

 

    Gleichgewichtszustände von Systemen  

Ein System, dessen Zustandsgrößen zeitlich konstant bleiben, wird als stabil bezeichnet. Es befindet sich im sog. Gleichgewichtszustand. Ein abgeschlossenes System, dessen Zustandsgrößen sich ändern, das also nicht im Gleichgewicht ist, bewegt sich spontan auf einen solchen stabilen Zustand zu. Dabei nimmt die Entropie stets zu, um schließlich einen Höchstwert zu erreichen. Gleichgewicht besteht oder ist erreicht, wenn sich die Entropie nicht oder nicht mehr ändert.

Im geschlossenen System, das Energie mit seiner Umgebung austauscht, können im Gleichgewicht mehr oder weniger komplizierte, geschlossene Stoffkreisläufe stattfinden. Das sind Vorgänge, bei denen alle daran beteiligten Stoffe nach Durchlaufen verschiedener Umwandlungsprozesse stets wieder in der ursprünglichen Form und Menge vorliegen. Die aufgenommene "Nutzenergie" sorgt dabei für die Aufrechterhaltung der Kreisläufe. Bei solchen Kreislaufprozessen entstehen keine Nebenprodukte. Solche Kreisläufe heißen daher auch ideal. Nur die zur Aufrechterhaltung der Kreisläufe benötigte Energie wird verbraucht und als Abwärme wieder abgegeben. Damit können auch keine ernsthaften Veränderungen im System eintreten.

Ein Beispiel für einen idealen, geschlossenen Stoffkreislauf auf unserer Erde, einem geschlossenen System, ist der irdische Wasserkreislauf. Die eingestrahlte Sonnenenergie besorgt die Verdunstung des Wassers der Weltmeere, welches dann als Niederschläge zurück auf die Erdoberfläche kommt und über Bäche und Flüsse schließlich wieder sich in den Meeren ansammelt.

Beim stabilen offenen System, das Energie und Materie aufnimmt und auch wieder abgibt, spricht man auch von stationärem oder Fließgleichgewicht. Das wesentliche hier ist das Bestehen von einfachen oder zusammengesetzten "Kreisläufen" von Stoffen, bei denen im Gegensatz zum idealen, geschlossenen Kreislauf die von außen aufgenommenen und benutzten Materialien in veränderter Form wieder an die Umwelt abgegeben werden. Sie werden daher auch als offene Kreisläufe bezeichnet.

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Das ständig arbeitende offene System erhält sich, indem es die aus der Umgebung aufgenommene Energie in die benötigten Formen wie chemische oder mechanische Arbeit und schließlich Wärme umwandelt. Der Energiebedarf wird z.B. durch Lichtenergie oder energiereiche Stoffe gedeckt. Das Gleichgewicht kann über längere Zeit nur bestehen, wenn alle in den offenen Kreisläufen entstandenen Nebenprodukte abgeführt werden können. So dienen einem lebenden Organismus, dem Beispiel eines offenen Systems, aus der Umgebung zugeführte Nahrung und Energie zur Aufrechterhaltung seiner lebensnotwendigen Vorgänge. Werden seine Ausscheidungen von der Umwelt nicht weiter abgebaut oder abgeführt, so erstickt der Organismus schließlich an ihnen.

Ein im Gleichgewicht befindliches offenen System kann auf äußere Einwirkungen je nach der Stabilität des Bleichgewichts und der Stärke der Störung verschieden reagieren. Handelt es sich um einen relativ stabilen Gleichgewichtszustand und ist die Störung schwach, so vermag das System entsprechende, die Einwirkungen aufhebende, sie neutralisierende Gegenwirkungen aufzubringen und dabei im Gleichgewicht zu verharren. Der Zustand wird nur vorübergehend leicht gestört. Das System selber ist also störunempfindlich. Dieses Systemverhalten nennt man auch Selbstregulation. Ist der Gleichgewichtszustand jedoch labil oder erreicht die Störung eine gewisse Stärke bzw. hält über längere Zeit an, so gibt das System der äußeren Einwirkung im allgemeinen nach. In diesem Fall sucht es meist irreversibel ein neues stabiles Gleichgewicht auf. Der ursprüngliche Zustand wird also weniger gestört als vielmehr zerstört.

Man kann jedes einfache System mit einem Regel- oder Wirkungskreis vergleichen und seine Stabilität durch die Art seiner Reaktion auf die Störung, seine Rückwirkung bzw. Rückkopplung beschreiben. Letzteres meint die Korrektur eines beobachteten, störbedingten Istwertes der wesentlichen Zustandsgröße des Systems nach Vergleich mit ihrem angestrebten Sollwert. Ist die Rückwirkung gleichsinnig mit der Störung, also diese noch fördernd, so wird sie als verstärkend, oft auch im mathematischen, nicht wertenden Sinn als positiv bezeichnet. Das führt zu einem Aufschaukelungs­effekt und damit zum Verlassen des ursprünglichen, somit labilen Gleichgewichtszustandes. 

Eine zur Störung entgegengesetzte Rückwirkung heißt abschwächend bzw. auch negativ. Sie ergibt einen Einpendelungseffekt. Letzteres ergibt Ausregulierung der störenden äußeren Einflüsse und damit Beibehaltung des bisherigen, demnach stabilen Zustandes: Selbstregulation. Die das Verlassen eines Gleichgewichtzustandes verursachende, verstärkende Rückwirkung geht bei der Annäherung an einen neuen Gleichgewichtszustand in eine abschwächende Rückwirkung über.

Jedes komplizierte System läßt sich durch miteinander gekoppelte Wirkungskreise darstellen, sog. Wirkungs­netze. Sie wirken gegenseitig aufeinander, indem die Istwerte bestimmter Kreise Sollwerte anderer sind, die Kreise sich also gegenseitig steuern.

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Beispiele solcher Regelsysteme in der Natur sorgen für die Aufrechterhaltung gleichmäßiger Arbeits­bedingungen in den Organismen bzw. ihre Anpassung an umweltbedingte Belastungen, z.B. für die Konstanthaltung von Temperatur, Blutdruck und Herzschlagfrequenz, aber auch die Regulation von Populationen.

Auf die Dauer können sich in der Natur nur Systeme mit abschwächender Rückkopplung halten. Sie realisieren regelrecht ein Lebensprinzip. Verstärkende Rückkopplung, die sich in dauerndem Wachstum einer bestimmten Systemgröße ausdrückt, führt jeweils zur Katastrophe, was eine tiefgreifende Veränderung eines Systems darstellt, ja seinen Zusammenbruch (Explosion) bedeuten kann.

Rückkopplungen verleihen einem System eine gewisse Trägheit, d.h. die Eigenschaft, im bestehenden Zustand zu verharren. Dieses Verharrungs­vermögen gegenüber Einwirkungen von außen bewirkt, daß ein System seinen Ruhezustand, bzw. seinen Bewegungs- oder Veränderungs­vorgang beibehält, bzw. auf Einflüsse aus der Umgebung nur verzögert reagiert. Es verhält sich dann wie ein Fahrzeug, das trotz Bremsens noch eine Weile auf dem sog. Bremsweg zurücklegt, bis es endlich zum Stehen kommt. Den Einfluß einer Störung sollte man daher immer abwartend beobachten, bevor man beispielsweise die Störung verstärkt.

Mit der Entropie streben auch andere Systemgrößen Extremwerten zu, seien dies Höchst- oder Niedrigst­werte, sog. Maxima bzw. Minima. Durch diese wird der stabile Gleichgewichtszustand eines Systems beschrieben. Maximierung, d.h. die Steigerung bis zum äußersten, also die Erzielung des höchstmöglichen Wertes einer Größe, ist somit ein Naturprinzip. Das Ausschöpfen aller Möglichkeiten, das Ausnutzen und Aufbrauchen aller Hilfsmittel bis zur Erschöpfung, die Ausfüllung und Ausweitung eines Lebensraumes, Wachstum bis an vorhandene Grenzen sind Auswirkungen dieses Prinzips. Es regelt nicht nur Vorgänge in der Natur, sondern wirkt sich auch auf die menschliche Handlungsweisen aus. Basierend auf dem Streben, den Eigennutzen zu vermehren, bewirkt, es die Gewinnmaximierung in der Ökonomie und treibt z.B. den Wirtschaftler zur Eroberung des Marktes oder den Imperialisten zur Ausdehnung seiner Handels- und Machtsphäre.

Jede Maximierung arbeitet mit. abschwächender Rückkopplung, da Begrenzungsfaktoren, in Form ansteigenden Aufwands, etwa wegen Verknappung der Hilfsmittel, überhandnehmen, das Wachstum negativ beeinflussen und schließlich zum Anhalten zwingen, womit das Maximum erreicht ist.

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Abb.1 beschreibt wie in einem System mit einem gewissen Einsatz eine bestimmte Ausbeute erreicht wird. Sie zeigt, wie anfangs die Ausbeute mit dem Einsatz, etwa von Energie, im gleichen Verhältnis wächst, später jedoch nurmehr schwächer zunimmt, um schließlich einen Sättigungswert, das Maximum der Ausbeute, zu erreichen. 

Das Beispiel kann die Fruchtbarkeit landwirtschaftlichen Bodens (= Ausbeute) in Abhängigkeit vom Aufwand an künstlichem Dünger (= Einsatz) veranschaulichen.

 

    Ungleichgewichtszustande von Systemen  

In einem System, das sich nicht im Gleichgewicht befindet, ändern sich bestimmte Systemgrößen. Hängt die Veränderung nur vom augenblicklichen Wert der Größe ab, genauer, ist die sog. Veränderungsrate, also das Verhältnis von augenblicklicher Veränderung zu augenblicklichem Wert der sich verändernden Größe konstant (fester Prozentsatz), so erfolgt die Veränderung (Wachstum bzw. Schrumpfen) exponentiell. Das bedeutet, daß sich die Größe jeweils innerhalb bestimmter, gleicher Zeitabschnitte verdoppelt oder halbiert.

Exponentielles Wachstum gilt beispielsweise für das Anwachsen von Populationen von Lebewesen in einem instabilen Ökosystem. Mit der Anzahl von Individuen einer Art, ihrer Populationsgröße, und deren Veränderung lassen sich zwei Größen definieren. Das eine ist die sog. Geburtenrate, d.h. die Anzahl von Geburten in einem bestimmten Zeitabschnitt, bezogen auf die Populationsgröße, also die Fruchtbarkeit, das andere die entsprechend definierte Sterberate oder Sterblichkeit. Die Differenz zwischen Geburtenrate und Sterberate wird als Vermehrungsrate bezeichnet und beschreibt, ob eine Population schrumpft, stagniert oder wächst.

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Abb.2: 

Exponentielles Wachstum

 

Ist die Vermehrungsrate negativ, d.h. überwiegt die Zahl der Sterbefälle diejenige der Geburten, so nimmt eine Population ab. Hat die Vermehrungsrate den Wert Null, ist also mit der Zeit die Anzahl der Abgänge gleich der Anzahl der Zugänge, so bleibt. die Population konstant, und das System befindet sich im Bleichgewicht.

Bei positiver Vermehrungsrate endlich wächst die Population. Das ist also der Fall, wenn die Zahl der Geburten diejenige der Sterbefälle übertrifft. Dabei hängt die Wachstumsgeschwindigkeit von der Größe der Vermehrungsrate ab. Je größer die Rate, desto schneller das Wachstum und desto steiler die sog. Wachstumskurve.

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Bleibt die Vermehrungsrate mit der Zeit gleich, so ergibt sich für die Wachstumskurve ein exponentieller Verlauf. Das bedeutet, daß sich die Population jeweils innerhalb bestimmter, gleicher Zeitabschnitte verdoppelt:

Wachstumsrate

1%  2%  3%  4%  5% 

Verdopplungszeitraum (Jahre)

70   35   23   18   14

 

Die Abb.2 zeigt das Wachstum einer Population bei konstanter Wachstumsrate, also bei Verdopplung in jeweils gleichen Zeitabschnitten.

Ein Beispiel für exponentielles Wachstum schildert die Beschichte von dem Diener, der seinem Herrn ein kostbares Schachbrett schenkte und als "bescheidenen" Lohn sich für das erste Feld nur ein Getreidekorn, für jedes folgende aber jeweils die doppelte Menge erbat. Fallen auf das elfte Feld erst 1024, so sind es beim einundzwanzigsten bereits über 1 Mill., beim einunddreißigsten sogar mehr als 1 Mrd.. Schließlich gibt es auf der Erde überhaupt nicht so viele Körner, wie für das ganze Brett hätten erbracht werden müssen.

Unsere menschliche Population, d.h. die Erdbevölkerung wächst mehr als exponentiell, da sich die Verdopplungs­zeit, augenblicklich etwa 30 Jahre, dauernd verkürzt. Diese Bevölkerungsexplosion wird verursacht durch erhöhte Fruchtbarkeit bzw. Lebenserwartung, bedingt vor allem durch die Errungenschaften unserer Zivilisation. Mit der Bevölkerung wachsen ebenfalls exponentiell ihre Bedürfnisse und Hinterlassenschaften. Solches Wachstum kann nicht beliebig anhalten, es wird spätestens bei spürbarer Verknappung bzw. Vergiftung der lebensnotwendigen Ressourcen gewaltsam gestoppt. Das wird dann zu katastrophalen Zuständen führen.

 

    Der exponentielle Zerfall  

Ein anderes Beispiel exponentieller Veränderung liegt beim radioaktiven Zerfall vor, einer in ihren Auswirkungen auf das Leben wesentlichen Naturerscheinung. Bestimmte Stoffe in der Natur sind natürlich radioaktiv, d.h. ihre Atomkerne sind instabil und zerfallen mit der Zeit in Atomkerne anderer Stoffe unter Aussendung von energiereichen Alpha-, Beta- und Gammastrahlen.

Alphastrahlen bestehen aus sehr schnellen Heliumkernen, Betastrahlen aus sehr schnellen Elektronen. Gammastrahlen sind eine sehr kurzwellige elektromagnetische Strahlung energiereicher Quanten. Die Bewegungsenergie der ausgestrahlten Teilchen stammt aus der Masse der ursprünglichen Atomkerne, d.h. genauer aus dem Massendefekt, wie er Einsteins berühmter Masse-Energie-Relation entspricht.

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Abb.3: 

Exponentieller Zerfall

 

 

Der natürliche Radioaktive Zerfall erfolgt spontan, d.h. ohne jede äußere Ursache. Er ist nicht determiniert, sondern gehorcht einem statistischen Gesetz: Von einer einheitlichen radioaktiven Substanz zerfällt in gleichen Zeiten stets der gleiche Bruchteil der jeweils noch vorhandenen Ausgangssubstanz. Die Zerfalls­geschwindigkeit eines Stoffes läßt sich ausdrücken durch die Zeit, in der die Hälfte einer anfangs vorhandenen Menge des Stoffes zerfällt, die sog. Halbwertszeit. Nach jeweils dieser Zeit sind vom ursprünglich vorhandenen Stoff noch 1/2, 1/4, 1/8, 1/16 usw. seiner Ausgangsmenge vorhanden. Die Restmenge nimmt also exponentiell ab. Es handelt sich damit um ein negatives exponentielles "Wachstum" (Abb.3).

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Die Halbwertszeiten der radioaktiven Stoffe sind äußerst verschieden. Sie liegen zwischen Milliarden von Jahren und zehnmillionstel Sekunden. Die Halbwertszeit des Radiumisotops Ra226 beträgt beispielsweise 1622 Jahre. D.h., erst nach 1622 Jahren ist die radioaktive Strahlung einer bestimmten Radiummenge auf die Hälfte zurückgegangen.

Die Halbwertszeiten verschiedener Isotope betragen:

Thorium

Th232

14 Mrd. Jahre

Uran

U238

4,5 Mrd. Jahre

Kalium

K40

1,3 Mrd. Jahre

Uran

U235

710 Mill. Jahre

Kohlenstoff

C14

5730 Jahre

Radium

Ra226

1622 Jahre

Radon

Rn222

3,8 Tage

Polonium

Po218

3 Minuten

Die Strahlungsteilchen haben eine Energie, die etwa millionenmal größer ist als die Bewegungsenergie von Luftmolekülen. Damit können sie Materie durchdringen und auf ihrem Wege viele andere Teilchen, auf die sie stoßen, anregen oder sogar ionisieren. Betroffene Moleküle gehen dabei leicht zu Bruch. Strahlenschäden in Organismen sind so die Beschädigung von solch lebenswichtigen Molekülen wie beispielsweise den Chromosomen durch vorbeifliegende Zerfallsprodukte.

Werden Atomkerne mit energiereichen Teilchen beschossen, so können sie unter dem Beschuß erzwungen, also nicht spontan, zerfallen. Die Halbwertszeit dieser künstlichen Kernumwandlung ist damit Null, die Kerne zerfallen sofort. Als Geschosse können die verschiedenartigsten Teilchen dienen, wie auch die auftretende Zerfallsstrahlung sich nicht nur auf oben genannte Teilchen beschränkt. Hier können neben Protonen und Deuteronen auch Positronen und Neutronen auftreten. Die zurückbleibenden Zerfallsprodukte können "natürlich" radioaktiv sein, d.h. mit einer endlichen Halbwertszeit weiter zerfallen.

Können die ausgestrahlten Teilchen zu weiteren Kernumwandlungen führen, so ist eine sog. Kettenreaktion möglich, wie sie beispielsweise bei der Kernspaltung des Urans im Uranreaktor oder der Uranbombe vorliegt. Maßgebend dafür ist nur das Erreichen bzw. überschreiten einer kritischen Masse, oberhalb derer mehr ausgestrahlte Neutronen wieder auf spaltbare Kerne treffen und diese zur Umwandlung bringen, als selbst zu ihrer Erzeugung nötig waren. Den Reaktor wird man so steuern, daß er kontrolliert mit genau der kritischen Masse und damit mit einem konstanten Teilchenfluß arbeitet, wobei über lange Zeitspannen nutzbare Energie aus der Bewegungsenergie der Spaltprodukte gewonnen wird. Bei der Uranbombe führt das plötzliche überschreiten der kritischen Masse beim Zünden und damit das augenblicklich exponentielle Anwachsen des Neutronenflusses zu einer explosionsartigen Kettenreaktion, bei der infolge des auftretenden, deutlichen Massendefekts ungeheure Energiemengen frei werden.

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    Die Zufälligkeit des Naturgeschehens  

Die fundamentalste Erkenntnis der Naturwissenschaften ist die Tatsache, daß jegliches Elementargeschehen in der Natur, also im kleinen, zwar nach bestimmten Gesetzen abläuft, jedoch im einzelnen auf dem Zufall beruht, d.h., spontan erfolgt. Das läßt sich mit einem Würfelspiel vergleichen, bei dem die Figuren nach bestimmten Regeln bewegt werden, die eigentliche Bewegung aber erwürfelt wird, also dem Zufall überlassen bleibt.

Zufälligkeit bedeutet, daß das Eintreten von elementaren Ereignissen unbestimmt und somit unvorhersagbar ist. Eis läßt sich quantitativ nur durch Wahrscheinlichkeiten ausdrücken. Elementarvorgänge erfolgen also planlos und ohne Absicht. Das Geschehen im einzelnen ist nicht vorherbestimmt, es ist indeterminiert. Beispiele sind etwa der "spontane" Radioaktive Zerfall von Atomkernen oder "zufällige" Mutationen in der biologischen Evolution. Bei ersterem Vorgang läßt sich nicht bestimmen, wann ein bestimmter Kern zerfällt, bei letzterem, welche Veränderung in der Erbsubstanz eines Lebewesens entsteht.

Die Wahrscheinlichkeitsaussagen, wie sie schon in der statistischen Mechanik vieler Teilchen, erst recht jedoch in der Quantenmechanik zur Anwendung kommen, erlauben nurmehr eine statistische Beschreibung der Natur im Kleinen. In der klassischen Physik war es einfach nicht praktikabel, ein System vieler Teilchen mathematisch zu behandeln, obwohl das prinzipiell möglich gewesen wäre. Die Quantentheorie postuliert jedoch in der Heisenbergschen Unschärferelation die grundsätzliche Unmöglichkeit der gleichzeitigen exakten Bestimmung von Ort und Geschwindigkeit eines Teilchens. Dieses läßt sich nur durch eine Wahrschein­lich­keits­funktion, seine Eigenschaften damit als sog. Erwartungswerte darüber, also lediglich als Wahrschein­lichkeiten, beschreiben. Erst bei der Betrachtung von Ansammlungen sehr vieler Teilchen, von Kollektiven, und der Feststellung ihres Gesamtverhaltens durch Bildung der Mittelwerte ihrer Bestimmungs­größen mitteln sich die Wahrscheinlichkeiten heraus und ergeben sich voraussagbare, deterministische makroskopische Zustandsgrößen, für die dann kausale Ursache-Wirkung-Beziehungen gelten.

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Der Zufallscharakter des Naturgeschehens zwingt zu der Annahme, daß es keinen Weltplan gibt, daß alle Naturvorgänge - abgesehen vom letztendlich angestrebten Chaos - ziellos erfolgen und daß kein überirdisches Wesen existiert, das das Weltgeschehen lenkt. Vielmehr gibt es nur die Naturgesetze, die man mit Gott identifizieren kann, und unendlich viele Möglich­keiten, sie ohne irgendeine höhere Vorausbestimmung zu erfüllen. 

Insbesondere hat auch das Leben keinen von einem höheren Wesen verliehenen Sinn, außer dem schon oben genannten, nämlich den Endzustand der Welt schneller zu erreichen.

Damit muß man jede Garantie für eine von einer Gottheit gefügten, besseren Zukunft ausschließen: Die Welt ist auf sich selbst gestellt und der Mensch, das diese Erde beherrschende Wesen, muß sich seiner Verantwortung für das Geschehen auf dieser Erde bewußt sein. Er muß selbstbestimmend seinem Leben einen Sinn geben und sein Handeln darauf einstellen.

  Selbstorganisation  

 Obwohl also der Zufall allem Naturgeschehen zugrunde liegt, Wahllosigkeit und somit Unordnung somit in der ganzen Natur herrschen sollte, kommt es doch bereits im Mikrokosmos, dann aber auch und vor allem in makro­skopischen Dimensionen auch zu Strukturen, die höhere Ordnung aufweisen und somit auf Organisations­vorgänge hinweisen. Der Zufall, der für das Verhalten des einzelnen Teilchens unter gegebenen Bedingungen die wesentliche Rolle spielt, wird dann offensichtlich überlagert durch Kollektivverhalten aller beteiligten Teilchen.

Gemeint sind solche Strukturen, wie sie beispielsweise in Kristallen vorliegen. Bei ihnen entsteht Ordnung ja durch den Mangel an Bewegung, besser gesagt Bewegungsenergie, so daß sich alle Atome unter ihrer gegenseitigen Wechselwirkung zu stabilen, regelmäßigen Kristallgittern zusammen finden. Dabei kann die Ordnung durch Energiezufuhr leicht wieder gestört werden, wenn der Kristall schmilzt und die einzelnen Teilchen ihre mehr oder weniger unabhängige Wärmebewegung ausführen können. Unordnung und Ordnung liegen also im Wettstreit miteinander und je nach der Menge der dem System der Teilchen innewohnenden Energie gewinnt die eine oder die andere Kraft die Oberhand. D.h., damit aus Unordnung Ordnung wird, dürfen die Teilchen sich nicht in einem abgeschlossenen System befinden.

Die Struktur entsteht, indem aus der Unordnung der Gesamtheit der einzelnen Teilchen heraus (Konkurrenz) durch geringfügige lokale Abweichungen sich erst begrenzt und dann sich immer weiter ausbreitend Kollektive bilden, in denen die Bestandteile gleiches Verhalten zeigen (Kooperation). Indem einige Teilchen sich zueinander ausrichten gewinnen sie verstärkten Einfluß auf die anderen, die sich nun ebenfalls ausrichten. Auf diese Weise können sich mikroskopische Schwankungen des individuellen Verhaltens durchsetzen und zu makroskopischen Erscheinungen kollektiven Verhaltens ausbilden. Damit schaukeln sich zufällige Elementar­ereignisse synergetisch auf und werden in ihrer Wirkung makroskopisch bemerkbar. Das System organisiert sich selbst.

Selbstorganisation bewirkt nicht nur die Kristallisation von Stoffen, sie führt auch zur Magnetisierung magnetischer Substanzen, zu Resonanzeffekten elektromagnetischer Strahlung (Laser) oder zu bestimmten strukturierten Strömungsformen in Flüssigkeiten. Solche Änderungen des Zustands eines Systems können natürlich nur eintreten, wenn das System mit seiner Umgebung Energie austauschen kann, also nicht abgeschlossen ist. Dann muß ja auch die Entropie nicht zunehmen. Dabei bedarf es einer nicht zu kurzen Organisationszeit. Erfolgt der "Ordnungsprozeß" nämlich zu schnell, so entsteht kein regelmäßiger Kristall bzw. treten Strömungsturbulenzen auf, und bei Resonanzen kann es zur sog. Resonanzkatastrophe kommen. Ein System verträgt also keine zu raschen oder zu großen Energieänderungen, um einen geordneten Zustand zu erreichen oder beizubehalten.

Vor allem aber spielt Selbstorganisation bei der Entstehung der Lebewesen und ihrer biologischen Evolution eine wesentliche Rolle. Führt doch die Selektion einzelner geeigneter, spontaner Mutationen zu deren Durchsetzung und damit zur Höherentwicklung der Lebensformen. Und auch hier spielen wieder zwei Kräfte zusammen: Konkurrenz und Kooperation. Schließlich erklären sich auch bestimmte Vorgänge in der menschlichen Gesellschaft als Formen der Selbstorganisation. Das gilt für solche Situationen, in denen sie unstrukturiert auftritt, also etwa bei der Meinungsbildung ohne institutionalisierte Meinungsmacher.

Die auf unserer Erde so verbreiteten Erscheinungsformen der Selbstorganisation dürfen nicht darüber hinweg­täuschen, daß dieses Naturphänomen nur in nicht abgeschlossenen Systemen, also unter ständiger Energie­zufuhr, möglich ist und daß vor allem der Entropiesatz weiterhin besteht und als oberstes Naturgesetz alle Entwicklung bestimmt.

   

Zusammenfassung 1

  1. Natur und Mensch bilden zwar eine Einheit, doch übt der Mensch auf das Naturgeschehen einen unheilvollen Einfluß aus. 

  2. In der Natur gibt es abgeschlossene, geschlossene und offene Systeme.
    Während abgeschlossene Systeme von ihrer Umgebung vollkommen isoliert sind, tauschen geschlossene mit ihr Energie aus und offene zusätzlich auch noch Materie. 

  3. Die Natur bewegt sich allgemein auf wahrscheinlichere, ungeordnetere Zustände zu.
    Allein geschlossene Systeme, wie unsere Erde, profitieren von der Energie­zufuhr von außen und können höhere Lebensstrukturen entwickeln.

  4. Das stabile Gleichgewicht ist der angestrebte Zustand jedes Systems.
    Beim geschlossenen System, wie es unsere Erde darstellt, müssen sich dabei alle Stoffe in geschlossenen Kreisläufen bewegen.

  5. Bei positivem Vermehrungsfaktor wachsen Populationen exponentiell. Sie verdoppeln sich in jeweils gleichen Zeiträumen.

  6. Beim radioaktiven Zerfall werden energiereiche Teilchen frei.
    Die gefährliche, radioaktive Strahlung nimmt exponentiell ab, d.h. sie beträgt jeweils nach der betreffenden Halbwertszeit noch die Hälfte.

  7. In der Natur herrscht der Zufall, alles Geschehen erfolgt ziellos. Nur das Verhalten größerer Kollektive ist bestimmbar.
    Es gibt keinen überirdischen Weltplan, der etwa eine bessere Zukunft garantierte
    , allein der Mensch ist dafür verantwortlich.

  8. Schwankungen bei elementaren Zufallsvorgängen können sich aufschaukeln.
    So wird aus Unordnung Ordnung und können sich in nicht abgeschlossenen Systemen höhere Lebensformen bilden.
    Der Entropie­satz behält dabei jedoch uneingeschränkte Gültigkeit. 

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 Max Albert  1987  Kritik an der vermeintlichen Vernunft