Umkehr oder Untergang
Schlussbemerkung 1987 von Max Albert
205-207
Die Zukunft des Menschen hängt nicht - wie uns kurzsichtige Ideologen glauben machen wollen - von unternehmerischer Freiheit, von wirtschaftlichem Wachstum, von der Gewinnung von mehr Energie und Rohstoffen, von hochgerüsteten Machtpositionen, ja von der Eroberung des Weltalls ab. Sie ist allein bestimmt, durch die Funktionsfähigkeit der Gesamtheit unserer irdischen Ökosysteme, der Biosphäre.
Diese verarmen wir zusehens durch Verwüstung des Landes und Ausrottung der Lebewesen. Ein Zusammenbruch des Systems ist aber auch für das menschliche Geschlecht tödlich. Wegen kurzfristiger Interessen rotten wir uns dann selber aus. Wir sägen wahrlich an dem Ast, auf dem wir sitzen.
Wenn wir Menschen daher weiterhin auf dieser Erde leben wollen, wenn unsere kulturellen Leistungen erhalten und fortgeführt werden sollen, müssen wir uns endlich den irdischen Lebensbedingungen anpassen und mit dem, was uns die Natur bietet, auskommen. Dann dürfen wir nicht weiterhin versuchen, die Natur zu beherrschen und sie in ihrem Gleichgewicht zu stören, um uns auf Kosten anderer, vor allem aber unserer Nachwelt, ein Schlaraffenland zu schaffen.
Vielmehr müssen wir uns verständnisvoll den natürlichen Begebenheiten unterordnen, uns in die Natur einfügen und kritisch mit solchen Techniken umgehen, die uns und unserer Umwelt schaden könnten.
Lange haben die Menschen nur von der Sonne als Energiequelle gelebt. Dann glaubten sie in anmaßendem Hochmut, die Natur beherrschen zu müssen. In der kurzen Zeit der Industrialisierung wurde die Erde ausgebeutet, vor allem ihrer reichen fossilen Energielager beraubt. Diese Zeit brachte den gewaltigen wissenschaftlichen und technischen Fortschritt, blieb aber nicht ohne Folgen für uns und unsere Umwelt, wurden doch Luft, Wasser und Boden verseucht und vergiftet und droht uns nun eine allgemeine Katastrophe.
Der Mensch mußte schon einmal, als er homosapiens wurde, das Paradies verlassen. Jetzt gilt es das Wirtschaftswunderland, das uns alles zu ermöglichen schien, wieder aufzugeben. Das heißt, auf manch liebgewonnenen Luxus zu verzichten. Vor allem muß die nachindustrielle Zeit wieder zur Sonnenenergie als alleiniger Energiequelle zurückfinden.
Doch müssen nicht alle Errungenschaften wieder vergessen werden. Schließlich kennen wir ja auch schon sanfte Techniken, die der Umwelt nicht schaden, vielmehr uns ein zivilisiertes Leben in der nachindustriellen Zeit erlauben. Trotzdem wir sie mißhandelt haben, hat uns die Natur eine Chance gewährt, die es jetzt zu nutzen gilt.
So sollten wir das inzwischen angesammelte Wissen und alle bisherigen sanften Techniken im Einklang mit der Natur vernünftig und verantwortungsvoll anwenden und weiter entwickeln. Nicht Stillstand oder sogar Rückschritt ist das Gebot der Stunde. Fortschritt ist weiter gefordert, allerdings unter anderen Randbedingungen; ein vernünftiger, bedächtig tastender Fortschritt, der jederzeit seine Erfolge kritisch prüft, schädliche Folgen abschätzt und gegebenenfalls Fehlentwicklungen rückgängig macht.
Keine Generation darf sich auf Kosten der folgenden bereichern. Daher müssen wir Selbstbescheidung und Verzicht üben, relativen Wohlstand für alle auf der Basis umweltschonender Techniken suchen und keinen Raubbau an den kostbaren Ressourcen der Erde treiben. Eine absolute Voraussetzung dafür ist aber das Gesundschrumpfen der Weltbevölkerung und Abkehr von jeglicher Wachstumsideologie. Dann sollten sich schließlich auch aller Ideologiestreit und jegliches Wettrüsten erübrigen.
Gemeinnutz muß an die Stelle von Eigennutz treten. Zugunsten gemeinsamen Wohlergehens sollten wir selbstlos zusammenleben können. Indem wir die Zusammenhänge verstehen, sollten wir daher in der Lage sein, die Pläne der egoistischen Gene zu durchkreuzen und unsere Süchte zu zügeln.
Die sich andeutende globale Katastrophe macht eine unverzügliche Wende und drastische Sofortmaßnahmen notwendig.
Wir dürfen nicht warten, bis alle Ursachen der Umweltschäden eindeutig bewiesen sind.
Die unheilvollen Folgen würden nur noch deutlicher werden und ließen sich schließlich wegen der dem System innewohnenden Trägheit nicht mehr unter Kontrolle bringen. Dann wäre es zu spät. Ebenso ist dem Wettrüsten umgehend Halt zu gebieten bzw. sind alle Waffen wieder abzubauen.
Die Machbarkeit, beispielsweise eines Gesundschrumpfens der Menschheit, darf dabei keinen Augenblick in Frage gestellt werden.
Die Natur würde sie uns allerdings unter katastrophalen Bedingungen beweisen. Warum versuchen wir daher nicht, einsichtig zu sein, selbst Herr des Geschehens zu werden und uns zu retten?
Dringend wird somit ein neues Denken gefordert, eine Gesinnungswende, die im wesentlichen zur Selbstbegrenzung führt, weg von Maßlosigkeit und Habsucht. Wir dürfen uns nicht so verhalten, als dürfte "nach uns die Sintflut" kommen. Wir haben eine Verpflichtung gegenüber unserer Umwelt und Nachwelt.
Nur wenn wir eine solche Wende schaffen und kompromißlos zu unser aller Besten in die Zukunft aufbrechen, wenn wir den Zufall durch die Absicht ersetzen, ist uns erlaubt, von einer göttlichen Vorsehung zu sprechen.
Angesichts der Reaktionen unserer maßgebenden Regierenden auf die Katastrophe von Tschernobyl müssen wir allerdings das Unvermögen unserer in Machtpolitik und Wachstumsideologie befangenen Politiker feststellen, den Ernst der Lage zu erkennen und der Entwicklung Einhalt zu gebieten. Vielleicht sind sie aber auch nur unfähig, sich dem Problem zu stellen, Alternativen zu entwickeln und auszuführen. Es ist eben leichter, der Entwicklung ihren Lauf zu lassen und die Bevölkerung in Sicherheit zu wiegen.
Daher sind alle mündigen Bürger aufgerufen, mit eindringlichen Appellen und notfalls Demonstrationen auf sie einzuwirken bzw. geeignetere an ihre Stelle zu wählen, um auch von oben eine Wende zu bewirken.
Optimismus, es werde alles von alleine zum Besten geraten, ist fehl am Platze.
Auch dürfen wir uns keine Illusionen machen, die Umkehr wäre ohne große Widerstände und Schwierigkeiten zu erreichen.
Aber es besteht immer noch ein Funke Hoffnung für die Einsicht der Menschen.
207
Ende
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Max
Albert 1987 Kritik an der vermeintlichen Vernunft