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 Eugen Oker oder
Exkurs über das oberpfälzische Gelächter  

Amery, Juni 1999    wikipedia  Eugen_Oker   1919-2006

204-208

Lieber Freund, liebe Maria, verehrte Festversammlung. 

Voll Betroffenheit stelle ich fest, daß mir nur wenige Minuten vergönnt sind, um einer jahrzehntelangen Freundschaft mit Eugen Oker und seiner Frau gerecht zu werden. Wie soll ich den ersten Eindruck würdigen, den ich von ihm gewann, als ich die hinreißenden Lebens-Kurzprotokolle zu Gesicht bekam, die dann unter dem Titel SO WAS SCHÜINS MOU MA SOUCHA erschienen — in einem Dialekt, eben dem Schwandorfer Nordbairisch, das wie ein ferner Glockenklang aus der Kindheit an mein Ohr drang? (Man muß wissen, daß sowohl mein Großvater wie mein Vater ihre Kindheit dortselbst verbrachten, und daß infolgedessen dieser spezielle Ton in meinem Elternhaus noch durchaus vernehmbar war.) 

Wie soll ich auf die verantwortungslos-spielerischen Lebens-Exkurse eingehen können, die wir zusammen unternahmen — etwa auf unser klassisches Ringen um den Lorbeer des besten (oder auch schwachsinnigsten) Doppelschüttelreims auf der letzten Seite der Hamburger ZEIT, der Hamburger Tante, die damals noch einen Sinn für Humor hatte? Wie eingehen auf unsere Verdienste um die deutsche Spiele-Landschaft, die natürlich in erster Linie seine Verdienste waren? Wie auf die zahlreichen Abende im Freundeskreis, von zwangloser Heiterkeit bekränzt? 

Denn das alles würde ja unbedingt in eine auch nur halbwegs tiefschürfende Analyse unseres Preisträgers gehören, der, wenn man ihm überhaupt ein Gesamt-Etikett aufpappen dürfte, als HOMO LUDENS, als Spielender beschreibbar ist. Spätestens seit Huizingas Buch mit diesem Titel ist klar, daß damit die vornehmste Definition des Menschen überhaupt gegeben ist. Spiel ist Zweckfreiheit, ist Freiheit von der Knechtschaft des Ertrags und der Ressourcen; wenn es irgendein praktikables Rezept für den Weg der Menschheit in ein höchst problematisches 21. Jahrhundert geben sollte, dann ist es, meiner und seiner Überzeugung nach, der Weg des HOMO LUDENS. Natürlich haben wir nie, wie es deutschen Literaten zustünde, über ein derartig ernsthaftes Programm geredet, aber das ist ja unter Spielern überflüssig, das weiß man von selber.

Nun, ich drohe mich in allzu persönlichen Erinnerungen zu verlieren, und das ist angesichts des heutigen Zeitplans unzulässig. Ich greife, um dem feierlichen Anlaß gerecht zu werden, einfach ein paar Grundgedanken aus meinem demnächst erscheinenden kulturanthropologischen Standardwerk NATUR- und KULTURGESCHICHTE DES GELÄCHTERS auf, das demnächst als book on demand erscheinen wird. (Leider wagt sich kein Verleger an das epochemachende Werk.)

Kapitel XXIV geht darin speziell auf das oberpfälzische Gelächter ein. Wer die prachtvollen Lebensprotokolle Eugen Okers gelesen hat, könnte sich vermutlich meine profunden Ausführungen darüber ersparen; dennoch möchte ich in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, daß es zumindest drei Vertreter der deutschen Literatur gibt, denen dieses Gelächter gegeben ist bezw. nachgesagt wird: dem aus der Oberpfalz stammenden Professor Walter Höllerer, dem Laudator — und natürlich dem Laudandus selber.

Was ist bezeichnend an solchem Gelächter? Was an der offensichtlichen Verwandtschaft zumindest teilweise oberpfälzischer Literaten? (Mein eigener genetischer Anteil beläuft sich auf drei Achtel.)

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Zunächst eine physische Beschreibung: das oberpfälzische Gelächter ist laut und ungehemmt; es kommt aus voller Lungenkraft und fordert das Universum sozusagen heraus. Ein Freund von mir, der viel in der Welt herumkommt, nämlich Rupert Neudeck, der Initiator von Cap Anamur, hat es einmal mit dem Gelächter von Afrikanern verglichen. Als ich das hörte, wurde ich stutzig, und ich begann nachzudenken: muß man die Frage erweitern? Gibt es etwas, einen Bewußtseinsstand, eine kulturelle Parallele, die solch urzeitliche Verwandtschaft zwischen Oberpfälzern und Schwarzafrikanern einsichtig machen könnte?

Antworten wir damit, daß wir zunächst alles Mythologische weglassen. Stellen wir einfach fest: Schwarzafrikaner wie Oberpfälzer sind Leute, denen es verdammt dreckig geht — oder zumindest ging. Sie trauen, was immer sie ihren Seelsorgern und Politikern erzählen, dem Himmel alles Mögliche zu. Worauf das hinausläuft, zeigt klar der Lebenslauf bezw. die Lebensläufe von Oberpfälzern und Schwarzafrikanern. Aber es hat wenig Sinn, diesen Himmel (was immer er an Mächten enthalten mag) unnötig zu verärgern. Wir lachen ihm herzhaft zu, um zu signalisieren, daß wir ihm wegen seiner undurchschaubaren Kaprizen keineswegs böse sind. Das muß ehrlich klingen, sonst glauben sie's da oben nicht und sind womöglich uns böse. Und das hat sich schon so lange eingespielt, daß beide Seiten ihre Rollen längst beherrschen. Denn die Welt ist Theater (man vergleiche dazu Shakespeare und das so betitelte Kapitel in Okers LEBENSFÄDEN).

Aber (und damit kommen wir auf Eugen Oker persönlich, sein auch literarisch dokumentiertes Lebens-Spiel und Lebens-Kunstwerk) jenseits des Gelächters verzichtet der Sklave gemeinhin auf jede weitere Artikulation. Oker (und gottseidank viele Schwarzafrikaner heute) tun es jedoch nicht. 

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Sie bestehen darauf, ihre Erfahrungen wahrheitsgemäß, und das heißt immer durch die eigene Lebensbrille gesehen und durch eigenes und fremdes Gelächter unterbrochen, nach einem jahrhundertlangen Weg aus der erzwungenen Verschwiegenheit, nach grausigen Erfahrungen mit der Knechtseligkeit der eigenen Leute, in ein Zeugnis zu verwandeln, das gleichzeitig ein Zeugnis der persönlichen Befreiung ist.

Und in diesem Augenblick, dem Augenblick der Befreiung, nimmt auch das Gelächter einen neuen, zusätzlichen Charakter an. Es ist nicht mehr nur das Schutzschild, das verlogene (geben wirs hier zu) gegen die immer möglichen grausamen Kaprizen der Götter — es ist schon Teil der Befreiung selbst. Lachendes Zeugnis wider das heimatliche Elend der Fremd- und Selbst-Verstümmelung: in der glückenden und beglückenden Wahrnehmung dieser Möglichkeit wird Eugen Oker Mitglied in jener Bande von heiteren Wahrheitsaposteln, die zuerst in Spanien (man denke an den pikaresken Lazarillo de Tormes!) ihr Wesen trieb, aber auch höchst beachtliche deutsche Vertreter wie Simplicius Simplicissimus und Oskar Mazerath fand.

Der Blick des Picaro, des komischen Schelms, ist nichts anderes als eine bewahrte Gnade der Kindheit; der gleichzeitig staunende und unerbittliche Blick des Ich-Betrachters, dem die deformation humaine des Erwachsen­werdens erspart blieb. Es ist deshalb alles andere als ein Zufall, daß Eugen Oker als erste bedeutende Ehrung den Astrid-Lindgren-Preis für ein höchst innovatives Kinderbuch erhielt. Es ist aber auch dieser Kinderblick, der den literarischen Weg der Selbstbefreiung vor jedem peinlichen Selbstmitleid bewahrt. Was dieser Sohn Schwandorfs, dieser Hafner, Geometer, Spiele-Kritiker, Zinnsoldaten-Kenner, Juxdichter, Literat und prachtvolle Freund im Leben alles mitgemacht hat, ist trotzdem unschwer zu extrapolieren. Ich möchte jedenfalls davor warnen, ihn einen »Tausendsassa« zu nennen, auch wenn es noch so gut gemeint sein mag. 

Die Beschreibung suggeriert eine Abwesenheit von Reflexion, die für den pikaresken Blick gerade nicht typisch ist. Man braucht nur einmal Eugen Oker aus seinen »Lebensfäden« vorlesen hören, um sofort zu merken, wie durchdacht und gewichtig (ich scheue das Wort nicht) diese Texte gemacht sind; einschließlich der seitenlangen Listen von Trivialitäten, welche die fast fieberhafte Weltergreifung des klugen Kindes dokumentieren.

Aber damit kommen wir ins Partielle, und dafür reicht die zugemessene Zeit nicht. Lassen wirs jetzt bei guten Wünschen bewenden; beim Wunsch eines noch langen und haltbaren Lebensfadens für den Preisträger und seine nicht wegzudenkende Gefährtin; beim Wunsch des Gedeihens seines weithin berühmten Verlagshauses STRAPS & KUcKUCK, das interessanterweise noch von keiner Fusion aufgefressen wurde und wohl auch nicht in eine derartige Gefahr geraten dürfte — und, natürlich, beim Wunsch, daß er den nordbairischen Preis, den er jetzt erhält, nach Lust und Verdienst genießen möge.

Zum Abschluß sei es mir erlaubt, jenen Doppelschüttelreim, den ich einmal in seiner Gegenwart auf eine Speisekarte in Kalimünz schrieb, sozusagen als Charakterisierung unseres Stammes bekanntzugeben:

Der Oberpfälzer Edelknecht
mag seine Reiberknödel echt.
Drum bringt auch so ein Edelknabe
nie einen Pfanniknödel abe. 

Quod erat demonstrandum.

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