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3  Die Grünen und die Goldene Horde 

Fakten und Folgerungen zum Jubiläum - Frankfurter Rundschau, Januar 2005 - 12 Punkte - Amery

 

289-297

1.

Dieser Tage trat G.W. Bush seine zweite Amtszeit an, und die GRÜNEN feiern ihren offiziellen 25. Gründungs­tag. Die beiden Ereignisse stehen in einem inneren Zusammenhang: im Zusammenhang der wahren Gesch­ichte, die seit dem Beginn der Moderne in ihre größte Krise geraten ist — eine Krise auf Leben und Tod.

2. 

Wie bekannt, waren die Amerikaner in der Ausfaltung einer Grünen Sozialbewegung den Europäern voraus. Sie entwuchs dem Anti-Vietnam-Protest und richtete sich militant gegen die so genannte »Mega­maschine« der Industriezivilisation. Höhepunkt der Bewegung wurde der Earth Day 1970, an dem etwa 20 Millionen Amerikaner für die Zukunft des bewohnbaren Planeten auf die Straße gingen. Es entstand ein Corpus von 28 größeren Umweltgesetzen, umgeben von Detaillierungen und Ausführungs­bestimmungen.   wikipedia  Tag_der_Erde

3. 

In Deutschland dauerte es länger; die Bewegung hatte mit den Blut-und-Boden-Erinnerungen des III. Reichs, aber auch mit verschiedenen marxistischen Dogmatiken zu kämpfen. Mit dem Jahr 1972 (Meadows-Bericht, Stockholmer Umweltkonferenz) kam die biosphärische Krisen-Perspektive unumgehbar in die öffentliche Diskussion. Es folgten in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre die Gründung lokaler und landesweiter Grüner Listen, Teilnahme an der Europawahl und schließlich die Gründung der Bundespartei; 1980/1.   wikipedia  Konferenz_der_Vereinten_Nationen_über_die_Umwelt_des_Menschen

Beschleunigt wurde dies durch den Übergang der Kanzlerschaft von Willy Brandt auf Helmut Schmidt, der einen Kurswechsel der SPD in die Technokratie und damit die Desavouierung ihrer ökologistischen Denker (Eppler, Duve, Steffens) mit sich brachte. Die Themen, insbesondere die biosphärischen, kamen aus der Wissenschaft und der alten Kulturkritik — aber es war sozialdemokratische Dissidenz, welche die Bewegung nährte. 

4. 

Niklas Luhmann schrieb: »Die Grünen haben völlig recht. Es hört sie nur keiner.« Es gab jedoch jemand, der sehr genau hinhörte und die neue Bewegung genau als das begriff, was sie ihrem Wesen nach war: die zentrale Kriegserklärung an die Transnationale der großen Konzerne und insbesondere ihren US-amerikanischen harten Kern, der sich politisch in den Republikanern formiert. (Nennen wir ihn die <Goldene Horde>.)

Eine jahrzehntelange Materialschlacht setzte ein, die über das unablässige Lobby- und Medien-Trommel­feuer hinaus drei millionenschwere Angriffswellen organisierte:
die Erfindung, Montage und Finanzierung des Präsident­schafts­kandidaten Reagan 1980,
eine parlamentarische Offensive der Mehrheits-Republikaner unter Newt Gingrich während der Amtszeit Bill Clintons
 wikipedia  Newt_Gingrich  *1943
— und schließlich die Kandidatur von G.W. Bush im Jahr 2000. 

5. 

Die Kader der neuen Grünen Partei in Deutschland rekrutierten sich aus vielfältigen Schichten, von besorgten Altkonservativen über Minderheiten der sexuellen Orientierung bis hin zu häretischen Marxisten­gruppen. Gemeinsam war ihnen die Ablehnung der Konsumgesellschaft, des Programms der Kernenergienutzung und der Weiterrüstung — es entstand die ÖKOPAX-Bewegung, die bis dahin unerreichte Massen gegen die Mittel­strecken­raketen und neue KKWs auf die Beine brachte. Perspektivisch war sie nach wie vor der Dramaturgie des Kalten Krieges unterstellt.

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6.  

Die war in der US-amerikanischen Szene schon obsolet. Gewiß, der Kampf gegen das »Reich des Bösen« wurde noch als Werbespot verwendet, um die Identität von Freiheit und Kapitalismus zu verkaufen, doch die Goldene Horde rüstete längst gegen jede verantwortungsbewusste Zukunftspolitik auf.

1976 gründete der Brauereimilliardär Joseph Coors die Heritage Foundation — es folgte ein Schwarm von think tanks, Ideen-Labors wie das American Enterprise Institute, sowie von hochdotierten Netzwerken, die der Sabotage der Umweltgesetze im Hinterland dienten.  

Bezeichnend für das Vorgehen des Großen Geldes (hinter dem fast alle wichtigen Konzerne stecken) war die ungeheure Verlogenheit der Etiketten. So nannte sich das zentrale Netzwerk der Öko-Sabotage Wise Use — »Weiser Gebrauch«. Die Lobby der Wald-Kahlschläger hieß Evergreen Foundation — und so fort.

wikipedia  Heritage_Foundation  *1973      wikipedia  The_Heartland_Institute *1984     en.wikipedia  Wise_use_movement     en.wikipedia  Ron_Arnold  *1937

Was jedoch nicht zu verbergen war und auch gar nicht verborgen werden sollte, war der glühende Haß auf die Umweltbewegung. Ron Arnold, der Sprecher von Wise-Use, erklärte: »Unser Ziel ist die Vernichtung, die Ausradierung der Umweltbewegung, ist die freie Ausbeutung der Ressourcen auf Profit.« 

Noch erfolgreicher als die Dreckarbeit an der Front erwies sich die ideologische Macht der Think Tanks, denen es gelang, ein neoliberales Meinungsmonopol in Wirtschaftswissenschaft und Medien fast weltweit durchzusetzen — nach 1989 vor allem auch in Ländern des ehemaligen Sowjetblocks. Deregulierung wurde Trumpf.

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7. 

In Deutschland gewann die Grüne Partei zusehends an Wählerstimmen, driftete jedoch mit der Vereinigung 1989 an den Rand der politischen Diskussion. Ihre Umwelt-Thematik wurde angesichts der anstehenden nationalen Probleme kaum mehr wahrgenommen, obwohl viel oppositionelle Meinungsbildung in den letzten Jahren der DDR mit dem Zustand der dortigen Umwelt zu tun hatte.

Eine bezeichnende Episode im Gang der Vereinigung: die Grünen schlugen vor, den ökoschweinischen Trabant-Kisten die Einfahrt in die alte BRD zu verweigern und den Fahrern Freibillets für die Bahn auszustellen. Der Vorschlag wurde niedergelacht — und der Trabbi zum alldeutschen Kultobjekt.

Aber dann, 1998 im untauglichsten Moment, mit einer SPD, die zum ersten Mal die Wonnen des totalen Opportunismus auskostete, und unter einem sehr unpassenden Kanzler, erstand die rotgrüne Koalition, ergab sich die ersehnte Gestaltungsmacht.

8. 

Zwei Jahre später kam George W. Bush ins Weiße Haus, die NEUE ORDNUNG stand. Sie wurde zum bisher größten Sieg über die biosphärische Vernunft.  Neocon:  wikipedia  Neokonservatismus 

Ihre Schlachtordnung war nicht besonders kompliziert. Das Zentrum war die Goldene Horde, die viele Millionen in den Wahlkampf gesteckt hatte, entsprechende Gegenleistungen erwartete — und erhielt. Sie wurde einerseits flankiert von den so genannten Neocons, Denkzellen, die expansiven Imperialismus ansagten, und andererseits von einer sogenannten christlichen Rechten, die den Kulturkampf ansagte.

Was sich dann ereignete, war und ist ein Horrortrip.

Die umweltpolitischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte, soweit nicht durch den Materialkrieg ohnehin verwässert, wurden systematisch zerschlagen, entscheidende Kontroll- und Entscheidungspunkte nach dem Bock-als-Gärtner-Prinzip besetzt, gewissenhafte Beamte hinausgeekelt, rund 300 juristische rollbacks veranstaltet, die Justiz mit absurden Präzedenzfällen ausgerüstet. 

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Die Medien, die sich immer mehr vertrusten und so selbst in den Dunstkreis der Goldenen Horde geraten, wichen und weichen vor der Macht des geballten Kapitals zurück, Gegner und Kritiker der Neuen Ordnung verschanzen sich im Public Radio, in stachligen kleinen Journalen und im Buchmarkt. 

(Das alles ist sehr genau im jüngst erschienenen Buch <Crimes Against Nature>, <Verbrechen gegen die Natur>, von Robert F. Kennedy Jr., dem Sohn des ermordeten Präsidentenbruders, nachzulesen. Der Mann scheint gegen Familien­erfahrungen immun zu sein.)    Kennedy bei detopia 

Und so wird das amerikanische Natur- und Kulturerbe weiträumig zerstört und geschändet. In den Wäldern tobt der Kahlschlag, Arsen und Quecksilber sind in die Gewässer, toxische Emissionen in die Lüfte zurückgekehrt. In den Landschaften, in denen die großen Schweinebarone herrschen, breiten sich riesige, mit Toxinen und Hormonen angereicherte Kotlagunen aus. Die Gipfel der Appalachen, einer wunderbaren Bergkette voll früher amerikanischer Erinnerungen, werden im sogenannten Mountain-Top-Verfahren weggesprengt, der Trümmerschutt von gigantischen Baggern in die Täler und Bäche geschaufelt. Das erspart Kumpellöhne, die Dörfer leeren sich, ein neuer Typ Wüste bleibt zurück. Aber die Profite steigen steil.

9.  

Diese NEUE ORDNUNG, zu der logisch der kriegsbereite Imperialismus und die Absage an alle inter­nationalen Bindungen wie Kyoto-Protokoll, Abrüstungsvereinbarungen, Abkommen gegen Kriegsverbrechen gehören, ist übersichtlich genug, wenn man als ihre erste, ihre urigste Ursache die Anliegen der Goldenen Horde erkennt. Deren tiefste Ideologie ist rechts-anarchistisch, ihr Hass und ihre Wut richtet sich gegen jede Einschränkung der Ellbogenfreiheit — eigentlich gegen alles, was REGIERUNG heißt. Zukunft interessiert sie nicht; sie ist in der barbarischen Naivität der Großen Landnahme seit 1492 stecken geblieben.

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Der Atheismus der Neocons ist anderer Natur; im Grunde antikphilosophisch. Letzten Endes geht es ihnen wohl um eine weltweite Pax Americana, überherrscht von weiträumig stationierten Legionen.

Was hat die sogenannte christliche Rechte bei diesen Leuten zu suchen? Was bringt sie ins Bündnis ein?

Nun, es ist wohl klar, dass die Interessen der Goldenen Horde dem Lebensgefühl einer zutiefst zukunfts­gläubigen Nation krass widersprechen. Was die Goldene Horde betreibt, ist flächendeckende Zukunftsvernichtung als Causa finalis, als End-Ursache. Das einzig noch Mögliche in einer so paradoxen Situation ist eine Zukunftsvision, die mit den strukturellen Verbrechen an der Schöpfung nichts, aber auch gar nichts zu tun hat; die von außen und oben nach dem Drehbuch apokalyptischer Bibelteile verordnet wird, und die der glaubenssicheren Minderheit den unverdienten — oder vielleicht doch verdienten? — Aufstieg ins ewige Leben gewährt. Dieses Drehbuch, meistenteils noch durch einen Schuß Pop auf schlechtes Grusel-Niveau heruntergeschraubt, erfreut sich hoher Popularität, produziert Serienromane und Serien-TV-Sendungen mit höchsten Quoten und Auflagen und wird von elektronischen Demagogen laufend weitervermittelt.

George W. Bush, der einerseits sein Alkoholproblem durch christliche Wiedergeburt bewältigte, andererseits als Gouverneur von Texas den Umweltstandard weit nach unten trieb, war also für die Goldene Horde der ideale Kandidat. Die Rechnung ging auf. Und Osama Bin Laden tat der NEUEN ORDNUNG den endgültigen Gefallen und lieferte das Feindbild, das seit 1989 nicht mehr ordentlich besetzt war. 

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10. 

Man tut Europa kein Unrecht, wenn man feststellt, dass es für die notwendige fundamentale Auseinandersetzung nicht gerüstet war und ist. Es gibt dafür ein betrübliches Beispiel: die »Initiative Europa« der Intellektuellen, die sich in führenden Zeitungen nach den Millionendemonstrationen gegen den Irakkrieg 2003 kritisch äußerten.

Was sie vorzubringen hatten, bewegte sich im Bereich der feinstäubigen Differenzierungen, ließ bei aller vornehmen Zurückhaltung doch immer wieder den Unterton der Überlegenheit des europäischen Intellekts gegenüber den herzigen, aber etwas rauen Vettern jenseits des Atlantik anklingen. Von einer tatsächlichen Alternative war nichts zu spüren. Allzu links wollte nach 1989 niemand sein — Derrida und Habermas nicht und Umberto Eco nicht; die schnöde Welt von Kraft und Stoff ist nicht ihr Ressort. Der Probe dieses Aufstands folgte keine weitere.

In Wahrheit hat Europa der Goldenen Horde in seinem jetzigen Zustand wirklich nichts Wesentliches entgegenzusetzen. Ihre Clans sind auch hier rüstig am Werk, um mit den Mitteln ihrer Art von Globalisierung die restlose Verkäuflichkeit des Planeten zu verwirklichen. Die Wirtschaftswissenschaftler, um eine gottverlassene Theologie geschart, tun desgleichen, ebenso ihre Herolde in den Medien. Wann, werter Zeitgenosse, vernimmt man etwas Wesentliches über das Dilemma der Menschheit, die Unvereinbarkeit unserer Lebensweise mit irgendeiner nachhaltigen Zukunft in der medialen Diskussion? Stattdessen wird einer schwerreichen Nation die nahe Götterdämmerung verheißen, wenn sie zu viel verdient, aber zu wenig ausgibt.

11. 

In diese Bredouille ist die Grüne Partei hineingeraten, als sie an die Gestaltungsmacht geriet. Nun ist Politik bekanntlich die Kunst des Möglichen, und diese Kunst reklamiert sie für sich. Einiges wurde tatsächlich möglich, etwa im Energiebereich, und die Grünen halten sich als flotte und ziemlich moderne Fortschrittspartei — aber von einem grundsätzlichen Perspektivwechsel seit 1998 kann keine Rede sein.

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Die alten Machtallianzen, 1989 siegreich, schoben sich allenthalben vor, der Auftrag der Bundeswehr wurde im Sinn einer Feuerwehrtruppe des Status Quo verändert und sofort im Kosovo erprobt. Im übrigen wurden die Reichen reicher, die Armen ärmer, die Strukturpolitik folgt üblichen Mustern und den üblichen Appetenzen der Lobbys, die Ressorteinteilungen blieben die gleichen — und die geplante Europa-Verfassung vereidigt den Kontinent auf die Wirtschaftsreligion der Goldenen Horde. 

Mit anderen Worten: Es gelang und gelingt den Grünen nicht, mit den platten Dialogen der politisch-medialen Vorderbühne so umzugehen, dass dahinter die Wetterwände der wahren, der erdgeschichtlichen Gefahr sichtbar werden und bleiben.

Was besonders stört, ist Selbstgefälligkeit, die in Verblendung umschlägt. Wenn sich etwa ein führender Grüner dazu beglückwünscht, dass man keine »Ein-Punkt-Partei« mehr sei, sondern über »flächendeckende Kompetenzen« verfüge, so beweist dies, dass er die Tragweite einer universalen biosphärischen Perspektive nie begriffen hat.

Eine realistische, auf Zukunft bedachte Politik müsste anders aussehen. Hätten wir zum Beispiel eine grüne Finanzpolitik, müsste sie das gesamte fiskalische System von Lohn- und Einkommensteuern weg auf Rohstoff-, Geld- und Energiebewegungen umleiten, wodurch sich auch der gerechte ökologische Preis ergäbe. Hätten wir eine ökologische Wirtschaftspolitik, wäre es ausgeschlossen, nicht über die Zukunftswirkungen des Konsumismus oder über die heilige Kuh Automobil nachzudenken. Hätten wir eine grüne Wehrpolitik, müsste das Budget für Konfliktprävention mindestens die Höhe des Wehrmachtbudgets haben. Hätten wir einen grünen Außenminister, wäre seine dringlichste Aufgabe die diskrete Vorbereitung der Befreiung Amerikas vom Feudalismus der Goldenen Horde.

Das würde eine neue Art von Weltinnenpolitik voraussetzen — Absprachen etwa mit den sieben Ostküstenstaaten, die sich zu einer Anti-Treibhaus-Initiative zusammengeschlossen und ihre Absicht verkündet haben, von sich aus das Kyoto-Protokoll zu unterzeichnen. Absprachen mit rebellischen Organisationen, Kirchen und Universitäten. Absprachen vielleicht sogar mit dem steirischen Herrscher von Kalifornien, dem die Goldene Horde eine schon geplante nachhaltige Forstpolitik in der Sierra Nevada versaut hat. Und natürlich Absprachen mit der Armen Welt — ihren Regierungen nicht so sehr wie ihren gesellschaftlichen Kräften. (Die altmodischen Cotillons mit Madeleine und Condi kann man ja auf der Vorderbühne weiterüben ...)

12.  

All das ist noch nicht viel. All das steht immer noch unter dem Fluch der Gegenwart: schon minimale strukturelle Anpassung an eine bewohnbare Zukunft übersteigt weit das Maximum dessen, was unter den geschilderten Umständen erreichbar ist. Aber vielleicht nimmt die Grüne Partei dieses Bukett von kleinen Anregungen zum runden Geburtstag huldvoll an.

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