13. Über die Ökonomik der Kulturrevolution (1)
"Wenn
die marxistische Analyse für die Gegenwart die besondere Rolle der
intellektualisierten Schichten |
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Hier soll nicht wiederholt, sondern vorausgesetzt werden, was im 10. Kapitel an Begründendem über die Kulturrevolution gesagt wurde:
gegen die alte Arbeitsteilung,
gegen den Ausschluß der Vielen von der zur Mitbestimmung der Synthesis befähigenden Bildung,
gegen die patriarchalischen, entwicklungsbeschränkenden Kindheitsmuster,
gegen die Gemeinschaftslosigkeit und
gegen den Bürokratismus.
Vielmehr soll gefragt werden, wo die kulturrevolutionäre, die kommunistische Bewegung den Hebel ansetzen, an welchen Punkten der bestehenden Produktions- und Lebensweise zuerst ihre Idee zur umwälzenden materiellen Gewalt werden kann. Das ist das Problem der Heranführung der Massen an die Kulturrevolution, der Verwirklichung des mehrheitlichen Konsensus in einer anwachsenden Aktion, die immer tiefer in die Widersprüche der modernen Menschheitssituation vordringt. Von ihrem sozialen Potential und von ihren politischen Vorbedingungen (der Erneuerung der Partei, der Erkämpfung der Demokratie) sowie von ihrer Einleitung durch einen antibürokratischen, anti-etatistischen Aufbruch haben die beiden vorigen Kapitel gehandelt.
Dies unterstellt, läßt sich der ganze Komplex der kulturrevolutionären Praxis, also positiv formuliert des Kampfes
um die Umverteilung der Arbeit,
um einen einheitlichen Bildungsweg für voll sozialisierte Menschen,
um die Bildungsfähigkeit und Lernmotivation der Kinder,
um die Bedingungen für ein neues Gemeinschaftsleben und
um die Vergesellschaftung (Demokratisierung) des allgemeinen Erkenntnis- und Entscheidungsprozesses
zusammenfassen unter der Fragestellung nach der Ökonomik der Kulturrevolution, nach der radikalen politökonomischen Alternative, die sie dem bestehenden ökonomischen System entgegengesetzt.
Diese Alternative muß entworfen werden in Gestalt eines Stufenprogramms, das auf die Dynamisierung der sozialen Beziehungen im Reproduktionsprozeß gerichtet ist, das den Status quo, in dem sich die sozialen Faktoren gegenwärtig im ökonomischen Prozeß wechselseitig pattsetzen, konstruktiv aufbricht und die politische Auseinandersetzung um die neue Ökonomik in die Arbeitsstätten hineinträgt.
Ich kann mir für dieses letzte Kapitel nicht vornehmen, eine »Politische Ökonomie der Übergangsperiode« auszuführen, abgesehen davon, daß schon mit der Formulierung vereinfachend unterstellt wäre, es handele sich um einen Vorgang auf der Linie Kapitalismus-Kommunismus. Vielmehr kommt es mir auf eine Übersicht der möglichen praktischen Maßnahmen, wenigstens ihrer Hauptrichtungen an.
Dennoch sind einige summarische Vorbemerkungen nötig, um den Platz solcher Schritte im Bezugssystem der ökonomischen Theorie anzudeuten.
Da Subalternität und Entfremdung in den ökonomischen Verhältnissen wurzeln, müssen sie letzten Endes auch dort angegriffen werden, welches auch immer die Taktik des Vorgehens sei. So weit wird man sich unter Marxisten einig sein.
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Es ist aber außerordentlich wichtig, das ökonomische Kernproblem, das Wesen der ökonomischen Schranken richtig zu fassen. Meiner Ansicht nach — das geht gewiß aus der ganzen vorangegangenen Analyse hervor — steckt dieses Kernproblem in der vertikalen Arbeitsteilung, die sich allgemein als Hierarchie der Arbeitsfunktionen (bzw. der damit gegebenen Niveaus von Bewußtseinskoordination) und speziell als Pyramide der Leitungsfunktionen darstellt.
Das bedeutet nun, daß mir alle jene theoretischen Ansätze prinzipiell unzureichend erscheinen, die die politökonomische Problematik des real existierenden Sozialismus von den Vorzugskategorien der kapitalistischen Ökonomik her zu erklären suchen. Für meine Begriffe reichen solche Probleme wie das Verhältnis von Plan und Markt, wie die wichtigere Frage der Dominanz von Gebrauchs- oder von Tauschwert in der Regulation und selbst wie die überaus wesentliche Dialektik von Zentralisation und Dezentralisation der Verfügung nur in die eine, die andere und die dritte Oberflächenschicht der nichtkapitalistischen Ökonomik hinein.
Zum Beispiel ist eben nicht wahr, daß die Herrschaft des Plans im Gegensatz zu der des Marktes die Durchsetzung der gesellschaftlichen oder gar der »proletarischen« Interessen verbürge, ja auch nur zwingend impliziere (eher im Gegenteil). Und umgekehrt ist auch nicht wahr, daß die Rolle, die Wertgesetz und Warenproduktion in unserer Wirtschaft spielen, etwa zur Folge hätten, daß der Plan materiell* nur eine Fiktion, daß er ein Vehikel des Marktes sei, während er doch den Markt erst setzt, indem er (zumindest jenseits der einfachen Reproduktion) bestimmt, was die Gesellschaft bedarf (bzw. nicht bedarf — womit der Plan zugleich auch den Schwarzmarkt setzt). Selbstverständlich erscheint der Bedarf z.T. nicht direkt um seiner materialen (Gebrauchswert-)Qualität willen im Plan, da zum Beispiel auf den weitestgehend von ihm unabhängigen Weltmarkt exportiert werden muß; aber auch hier vermitteln die Tauschwerte den konkreten Importzweck.
* (d-2014:) gedruckt steht: material
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Man darf das Hauptinstrument der bürokratischen Kontrolle über die Wirtschaft, die freilich mit Recht so vielumstrittene Kennziffer Warenproduktion, nicht mit dem eigentlichen Prozeßgehalt der Staatsplanung verwechseln. Für mich steht außer Zweifel, daß dies die materielle Bilanzierung ist.
Was das Dilemma (man muß inzwischen eher Dilemma als Dialektik sagen) von Zentralisation und Dezentralisation als Thema von »Wirtschaftsreform« betrifft, so wird es solange ein unergiebiges innerbürokratisches Aktivitätsmuster, ein Tauziehen zwischen der Spitze und der Mitte der Leitungspyramide bleiben, wie es keine Autonomie der außeradministrativen, der gesellschaftlichen Kräfte an der Basis gibt. Übrigens behält bis dahin die Zentrale auch immer das Übergewicht. Sie hat im Konfliktfall das — wenn auch entfremdete — gesamtgesellschaftliche Interesse hinter sich. Die Funktionäre in der Mitte und an der Basis haben hinter sich die unüberbrückbare Kluft zwischen dem Apparat als ganzes und den Massen, genauer gesagt, der einstweilen unorganisierten Summe der emanzipatorischen und kompensatorischen Interessen.
Das Bild ändert sich natürlich mit einem Schlage, wenn »Wirtschaftsreform« durch »Gesellschaftsreform« »ergänzt«, d.h. in Wirklichkeit von der Entfesselung der gesellschaftlichen Kräfte aus in Angriff genommen wird. Was dann die Pyramide hinandrängt, das sind nicht mehr die schwachen, mausgrauen partikularen Interessen der Leiter, die ihre Arbeits-, Lebens- und Überlebensbedingungen in den Unterfunktionen aufbessern möchten. Nein, dann überspringen die allgemeinen, die menschlichen Interessen (sicherlich zunächst mit großem kompensatorischem Anteil) den trennenden und schützenden Graben, dann durchstoßen sie den korporativen Panzer, dann zerbricht die bürokratische Solidarität, und das menschliche Potential im Apparat beginnt auf die andere Seite überzulaufen. Das ist der Sturm der gesellschaftlichen Kräfte auf die Pyramide der Macht.
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Man braucht sich dies nur vor Augen zu führen, braucht nur darüber nachzudenken, wie sich dann die ökonomischen Probleme stellen, um schon intuitiv zu erkennen, daß es nicht um Plan oder Markt, Gebrauchs- oder Tauschwert, nicht einmal um Zentralisation oder Dezentralisierung geht. Womit keineswegs gesagt sein soll, daß diese Probleme verschwänden; es wird nur ihre sekundäre Bedeutung sichtbar. Bei gesamtgesellschaftlicher Arbeitsorganisation wird die politische Demokratie zu dem maßgeblichen konstitutiven Moment, von dem es abhängt, ob die Zielsetzung des ökonomischen Prozesses, der qualitative Inhalt des Plans im Austrag der authentischen gesellschaftlichen Interessen oder durch die beschränkten innerbürokratischen Machtverhältnisse und Wissensstrukturen entschieden wird. Übrigens ist dieser Gedanke, jedenfalls der Absicht nach, in Gestalt des sogenannten Delegiertensystems in die jüngste jugoslawische Verfassung eingegangen.
Doch die politische Demokratie ihrerseits kommt nicht durch den abstrakten guten Willen einer Führung zustande, ist letzten Endes keine politisch-juristische Verfassungsfrage. Ich konnte, während ich daran ging, diese letzten Kapitel zu schreiben, noch einige neuere politökonomische Schriften zur Kritik des real existierenden Sozialismus lesen: Mandel, Bettelheim (nur referiert), besonders aufmerksam die Arbeiten von Renate Damus aus den letzten Jahren, die eine der meinen verwandte theoretische Konzeption verraten. Dabei fiel mir ein gewisses Auseinanderklaffen der politischen und der politökonomischen Analyse auf, das ich hier nur en passant anmerken möchte. Ernest Mandel, so scheint mir, läßt sich als Politökonom von zu wenig überprüften Vorurteilen jener politischen Einschätzung leiten, die Trotzki seinerzeit vom Standpunkt einer doch recht unmittelbar sozialistischen Perspektive für die russische Revolution gab.
Ich kann nicht recht begreifen, wie man beispielsweise bis in die 70er Jahre hinein darauf bestehen kann, unsere Bürokratie sei »lediglich ein parasitärer Auswuchs des Proletariats«, verfüge »über keinen politischen, sozialen oder ökonomischen Mechanismus, um ihre besonderen materiellen Interessen« — die sich freilich nicht einfach im Konsumbereich abspielen — »mit der Entwicklung der Produktionsweise zu vereinen, aus der sie ihre Privilegien bezieht« (Sondernummer 3 der »Internationale«/96).
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Bei Renate Damus demgegenüber bleibt der weit gemäßere politökonomische Ansatz deshalb etwas abstrakt und ungewollt funktionalistisch, auch »ökonomistisch«, weil sie für die politischen Konsequenzen beim indirekten Appell an die Einsicht mehr oder weniger »hochgestellter« DDR-Leser verharrt. Die Ökonomik des real existierenden Sozialismus hat ein anderes Verhältnis zur Politik als die des Kapitalismus. Sie muß von der »Politik«, nämlich von ihrem Quellfluß in den Macht-, den Herrschaftsverhältnissen im Arbeitsprozeß her entwickelt werden. Eigentlich geht diese Folgerung bereits aus den Analysen von Renate Damus hervor.
Für die praktische ökonomische Politik eines kommunistischen Bundes stellt sich als erstes das Problem der Initialzündung, um die Gesellschaft gründlich, von ihrer Basis her, in Bewegung zu setzen und die Psychologie der politischen Ungleichberechtigung zu zerschlagen, nach der man von unten bescheiden zu fragen und von oben autoritär zu antworten hat.
Wir wissen, daß die tschechoslowakische Ökonomie 1968 zumindest nicht schlechter funktioniert hat als zuvor. Ausstoß und Produktivität stiegen an, obwohl sich die Reform äußerst unentschlossen zeigte, in den ökonomischen Prozeß vorzustoßen. Allem Anschein nach gab es ungeachtet kohärenterer Ansätze in einzelnen Köpfen ein ziemlich eklektisches Durcheinander von Bestrebungen teils tradeunionistischer, teils managerial-»wirtschaftsreformerischer«, teils rätedemokratischer Art. Eine richtungweisende Synthese durch die Partei zeichnete sich noch nicht ab, jedenfalls nicht auf annähernd verbindliche Weise (ich denke, daß auch der Bericht »Politische Ökonomie des 20. Jahrhunderts«, den Richta und seine Gruppe 1968 in Prag vorlegten, keine geeignete programmatische Grundlage war, weil er zu sehr die besonderen Interessen der privilegierten Schichten des Gesamtarbeiters widerspiegelte).
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Die Folge war die insgesamt zu langsame und vor allem viel zu oberflächliche, vornehmlich im Allgemeinpolitischen verharrende Aktivierung in den Betrieben. Letzten Endes dürfte darauf das nicht zu leugnende Ungleichgewicht der reformatorischen Errungenschaften zugunsten der Intellektuellen- und Managerinteressen zurückzuführen sein, das die als Möglichkeit in der Situation enthaltene kulturrevolutionäre Perspektive gefährdete.
So langsam der Prozeß der zivilisatorischen Umwälzung in die Tiefe dringen wird, so rasch müssen doch in den ersten Augenblicken einige Tatsachen geschaffen werden, um seine Dynamik in Gang zu setzen. Speziell darf das Gefühl der Unentrinnbarkeit der industriellen »Sachzwänge«, der hierarchischen Sozialstruktur des Arbeitsprozesses, der absoluten Schranken der innerbetrieblichen Arbeitsteilung nicht unangefochten die Phase des ersten politischen Aufschwungs überdauern. Die notwendigen Eingriffe en bloc erneut auf eine spätere Konsolidierungsperiode zu vertagen, würde bedeuten, die bestehenden industriellen Zustände nochmals und mit neuem Nachdruck in ihrer scheinbaren Selbstverständlichkeit und Unantastbarkeit zu bestätigen.
Es gibt eine Reihe von Sofortmaßnahmen, bestimmten »Abschaffungen« zunächst, die aber durch ihre politisch-moralische Wirkung sogleich eine konstruktive, positive Tendenz in sich tragen. Ich will sie vorweg nennen, um kurz ihre revolutionierende Funktion anzudeuten, ehe ich etwas ausführlicher auf sie eingehe.
Die wichtigsten Initialmaßnahmen sind:
die Liquidierung der bürokratischen Korruption von oben in ausnahmslos allen ihren offenen und verdeckten, geheiligten und ungeheiligten Formen;
die Abschaffung der Arbeitsnormung und des Stücklohns;
die planmäßige periodische Beteiligung des gesamten leitenden und intellektuellen Personals der Gesellschaft an der einfachen ausführenden Arbeit;
die durch eine sofort einzuleitende, aber etwas längerfristige konsultative Diskussion an der Basis vorzubereitende rigorose Berichtigung des Lohngefüges nach einfachen, übersichtlichen Kriterien, mit dem Ziel eines entscheidenden Fortschritts zur Lohngerechtigkeit innerhalb des Gesamtarbeiters.
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Sobald diese Maßnahmen auch nur ernsthaft in Angriff genommen werden, sind sie geeignet, die soziale Atmosphäre zu reinigen, die Kluft der Sprachlosigkeit zwischen dem politischen Überbau und den Massen, den Interessengegensatz zwischen der wissenschaftlich-technisch-ökonomischen Intelligenz und den Produktionsarbeitern in den Betrieben erst einmal zu überbrücken, mindestens die Fronten fließend zu machen. Sie werden insbesondere — und zwar, wie ich vorweg behaupte, kostenlos, wenn nicht sogar kostensparend — einige überflüssige Provokationen beseitigen, die eine Masse von kindauf mehr oder weniger in ihren Entwicklungschancen verkürzter Menschen zu unproduktiven Protesthaltungen treiben und partielle Rechtfertigungen für undisziplinierte, destruktive und asoziale Verhaltensweisen liefern. Aber sie verleihen nicht nur der sehr aktuellen Forderung nach Solidarität in der Kooperation die dringend notwendige unanfechtbare moralische Autorität. Sie haben eine positive mobilisierende Bedeutung, indem sie der Gesellschaft überzeugend die Aufrichtigkeit der revolutionären Führung zeigen, ihren Willen zur Gerechtigkeit und ihre Entschlossenheit, sich selbst jeder Art von Bereicherung und zusätzlicher Privilegienaneignung zu enthalten.
Rudolf Herrnstadt hat in seinem Buch über die Entdeckung der Klassen (Berlin 1965/183 ff.) an einem historischen Beispiel, an dem Aufschwung der Volksinitiative zu Beginn der Jacobinerdiktatur, hervorgehoben, welche ungeheure Bedeutung dies für die Funktionsfähigkeit der neuen Verhältnisse, für ihren Charakter als neue Ordnung hat.
dnb.Person wikipedia.org/wiki/Rudolf_Herrnstadt *1903 in Gleiwitz bis 1966 dnb Herrnstadt+Entdeckung 1965 + 1975
Freies Deutschland, Organ des Nationalkomitees „Freies Deutschland“. Chefredaktion, 3 Jahrgänge, mindestens 50 Ausgaben, Moskau 1943–1945.
Über „die Russen“ und über uns. Zur Vorbereitung der Parteikonferenz der SED in Berlin. In: Neues Deutschland. Berlin 1948.
Der Weg der Ostzone. Mit einem Anhang. Flüchtlinge aus Westdeutschland sprechen. Landesvorstand der KPD Hamburg, Hamburg 1949.
Der Weg in die Deutsche Demokratische Republik. Dietz, Berlin 1950, 27 Seiten (4. Aufl. 1951).
Kollege Zschau und Kollege Brumme. Dietz, Berlin 1951 (SED-Agitationsbroschüre gegen Arbeiterrenitenz).
Die Entwicklung Berlins im Lichte der großen Perspektive – Aufbau des Sozialismus. Diskussionsbeitrag auf der 2. Parteikonferenz der SED, Berlin, 9.–12. Juli 1952. Dietz, Berlin 1952.
Die erste Verschwörung gegen das Internationale Proletariat. Zur Geschichte des Kölner Kommunistenprozesses 1852. Rütten & Loening, Berlin 1958.
Die Entdeckung der Klassen. Die Geschichte des Begriffs Klasse von den Anfängen bis zum Vorabend der Pariser Julirevolution 1830.
Verlag der Wissenschaften, Berlin 1965.
Außerdem noch mindestens zwei Werke unter Pseudonym aus der Zeit seiner Abschiebung nach Merseburg, darunter als R. E. Hardt:
R. E. Hardt: Die Beine der Hohenzollern. (= Geschichte in der Tasche. 1). Rütten & Loening, Berlin 1960.
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Er stellte sich vor allem die Frage, wie die Jacobiner erreicht haben, daß gearbeitet wurde, und zwar mit »nie gewesener Hingabe, ... auch von Menschen, die nie zu arbeiten geneigt waren« (Subbotniks sind gar nichts spezifisch Sozialistisches oder Kommunistisches, es sei denn in sehr weitem Sinne)! »Mögen einige aus Furcht mitgegangen sein, andere aus Neugier, die weitaus meisten arbeiteten enthusiastisch, weil sie sich — endlich, endlich — eins fühlten mit dem Verlauf der Weltgeschichte.«
Herrnstadt konstatiert den plötzlichen Überfluß an Talenten auf allen Gebieten — und daß die Jacobinerdiktatur das Problem der Jugend nicht kannte: »Sie hatte sie. Sie kannte nicht das Problem des positiven Helden: Es galt als verächtlich, keiner zu sein.« Die Form des nationalen Lebens war bestimmt durch eine wirkliche Dialektik von revolutionärer Regierung und Volksorganisationen, vor allem den Kommunen. Die Sektionen von Paris hatten das De-facto-Veto: sie marschierten nicht, wenn sie nicht mit dem Wohlfahrtsausschuß einverstanden waren.
Dazwischen als vermittelndes Glied die revolutionären Klubs, als quasi-Fraktionen der revolutionären Partei, die formell noch nicht existierte. Aber nicht dieses Schema als solches entschied, sondern: »Der ganze vielgliedrige, oft widerspruchsvolle Organismus der revolutionär-demokratischen Diktatur konnte aus zwei Gründen funktionieren: 1. weil er tiefgreifende ökonomische Veränderungen« — damals vornehmlich Boden für die Bauern und Höchstpreise für Lebensmittel und Rohstoffe — »vornahm, die längst herangereift waren und von den Massen gebraucht wurden; 2. weil diese Veränderungen unter dem Diktat einer hohen Moral erfolgten.« Ohne das Zweite gewinnt kein Regime das Volk, es mag mit Sozialmaßnahmen werben, soviel es will und vermag. Da war der Maßstab der Bürgertugend: »ehrliches, aufopferndes Verhalten im Interesse der Revolution«: »Was hast du getan, um im Falle einer Konterrevolution gehängt zu werden?« »Welches war dein Vermögen vor 1793, welches Vermögen besitzt du heute? Wenn sich dein Vermögen vermehrt hat, wodurch?«
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Und da die Jacobiner in der Verfolgung der Revolutionsprofiteure bis ans Ende gingen, auch in den eigenen Reihen, errangen sie das Vertrauen des Volkes und entfesselten seine Initiative.
Es ist nicht wahr, daß die große Zahl der Individuen nie »selbstlos« handeln könnte und daß sie den Führer, wenn er ihnen den Bruder statt den Herrn zeigt, immer in ihren Suppentopf stieße.
Die Jacobiner — und nach ihnen die Bolschewiki — bewiesen eine Zeitlang das Gegenteil: »sie hatten vor den durch Jahrtausende ausgebeuteten, mißtrauischen Massen den unwiderleglichen Beweis der Ehrlichkeit erbracht.«
Nicht zuletzt darum geht es bei den Sofortmaßnahmen, um eine Atmosphäre also auch, in der das demoralisierte, verlumpte Element gar nicht aufkommt. Nur an diesen Zusammenhang soll das historische Beispiel erinnern.
Vor einem weiteren Horizont ist damit bereits das umfassendere Problem der Einstellung zu den kompensatorischen Interessen in der kulturrevolutionären Praxis berührt.
Doch will ich darauf erst nach den Bemerkungen zu dem unmittelbaren ökonomischen Aktionsplan zurückkommen.
Erstens — Liquidierung der bürokratischen Korruption von oben
Wer die politische Macht innehat, besitzt automatisch die Verfügungsgewalt über mehr oder weniger große Teile des Mehrprodukts. Nichts löst unfehlbarer das Mißtrauen der Menschen aus, und nichts bestätigt ihnen sinnfälliger, daß mit dem Oben und Unten »wie immer alles beim alten bleibt«, als der Mißbrauch der Macht für die vorzugsweise Absättigung der kompensatorischen Bedürfnisse bei den politischen Aktivisten und ihrem Anhang sowie für die Bestechung eines breiteren nachrückenden Personals. Die korrupten Elemente, die ein solches Verfahren anzieht, sorgen schnell dafür, daß der Geist der Korruption allgemein und obligatorisch wird. Sie schaffen in kürzester Frist ein Klima, in dem der ehrenhafte Funktionär, der bewußt auf die Vorteile verzichten will, verdächtig wird, nicht nur ein Dummkopf zu sein, sondern das Korps nicht zu mögen und aus undurchsichtigen Motiven nach den Positionen zu streben, die die Schakale bereits erobert haben.
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Bei der bürokratischen Korruption von oben gibt es keine unschädliche Dosierung. Man muß den Anfängen wehren und an die Wurzeln gehen. Insbesondere ist es völlig unzulässig, ihre Beträge gegen irgendwelche zusätzlichen Einkünfte aufzurechnen, die beispielsweise traditionellen sozialen Schichten wie dem Handwerk spontan aus dem ökonomischen Prozeß zufließen. Der Chauffeur, der den Bürokraten von der Haustür abholt, obwohl dort eine Straßenbahn verkehrt, ist unvergleichlich schlimmer als das luxuriöse Wochenendgrundstück des Autoreparateurs, der mit seiner Dienstleistung auf dem Schwarzen Markt hausiert. Analoges gilt für die zumindest vordergründig immateriellen Vorteile, die die Intelligenz aus ihren Verbindungen zu den Repräsentanten des höheren Bildungswesens zieht, im Vergleich zu der systematischen Heranzüchtung von Spezialisten für die repressivsten Zweige der Bürokratie mit Hilfe von Vorzugsstipendien. Wenn es so weit gekommen ist, daß die zentralen Partei- und Staatsinstanzen sich selbst Residenzen, Luxuslimousinen, Ferienschlösser und Spezialkliniken genehmigen, dann hilft nur noch die Entmachtung des ganzen Klüngels, der die entsprechenden Positionen besetzt hält.
Die politische Revolution wird unbedingt die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit haben, wenn sie noch aus der Bewegung heraus folgendes dekretiert und durchführt:
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Reduzierung aller Gehälter, die die obere Grenze des normalen Gehaltskatalogs übersteigen. Wie alle Kommunisten wissen, hielt Lenin, und nicht nur er, »die demoralisierende Wirkung hoher Gehälter sowohl auf die Sowjetmacht ... als auch auf die Arbeiterklasse« für unbestreitbar (LW 27/240 f.). Die Bedingungen, die ihn seinerzeit dazu veranlaßten, das Prinzip des Facharbeiterlohns für leitende Tätigkeit fallenzulassen, existieren längst nicht mehr. Was hindert also diejenigen, die sich unentwegt auf Lenin berufen, an der Durchführung dieses Prinzips? Die für den Reproduktionsprozeß in seiner gegenwärtigen Form massenwirksame Einkommensdifferenzierung bewegt sich beispielsweise in der DDR zwischen 500 und 1500 Mark. Was darüber ist, fließt in die Taschen von Leuten, die ohnehin auf andere Weise verpflichtet sind und so nur zusätzlich für ihren bürokratischen Gehorsam bzw. für spezielle Dienstleistungen an die Macht honoriert werden sollen. Gehälter bzw. Einnahmen von 3000 Mark und mehr können bei unseren Durchschnittseinkommen nur auf Ausbeutung fremder Arbeit basieren.
(Dieser Schnitt wird natürlich auch andere Privilegierte treffen, etwa bestimmte Monopolisten im Kunstbetrieb u. ä., die vielleicht selbst hart arbeiten, aber mit ihren Konten um sich herum ein halbparasitäres Milieu erzeugen.)
Beseitigung aller besonderen materiellen, sozialen, medizinischen, kulturellen und sonstigen Versorgungseinrichtungen des Funktionärsapparats, soweit sie nicht entweder nachweisbar öffentlichen Zwecken dienen oder sich im Rahmen der üblichen Sozialeinrichtungen von Betrieben halten; Reduzierung des Repräsentationsaufwandes im weitesten Sinne (Bauten, Wagen, Empfänge u. v. m.); Aufhebung der Regierungsghettos; Reduzierung des Personals für persönliche Sicherheit der Repräsentanten; Abriegelung des speziellen bürokratischen Einflusses auf die Hochschulzulassungen, der u. a. dahin tendiert, die Besetzung bestimmter Zweige des Apparats, wie etwa des inneren und des äußeren Ressorts, der Familientradition und anderen persönlichen Beziehungen anheimzugeben.
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Schluß mit dem kleinbürgerlichen Pomp der Orden und Ehrenzeichen, insbesondere Streichung sämtlicher damit zusammenhängender Bezüge mit sofortiger Wirkung. Das gesamte Auszeichnungs- und Prämienunwesen, das großenteils eine ständige Farce darstellt, bedarf dringend der Überprüfung und mindestens einer rigorosen Schlankheitskur. Notwendig ist u.a. auch die Beschränkung der Renten und anderer Kompensationen für Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus auf die betreffenden Personen selbst. Die »Würdigung« menschlicher Heldentaten in der revolutionären Vergangenheit durch materielle Privilegien verschiedenster Art in der Gegenwart und für die Nachkommen kann eigentlich nur eine Beleidigung aller aufrichtigen Kämpfer für den Sozialismus sein: sie setzt sie mit den Rebellen jenes Typus gleich, deren Traum die Villen und Fleischtöpfe der alten herrschenden Klassen waren. Ohnehin werden die Besten der alten Kommunisten und Sozialisten damit nur für alles das entschädigt, was sie als Verrat der nachrevolutionären Gesellschaft an ihren einstigen Idealen empfinden müssen. »Wofür haben wir gekämpft?«
Die Führer, die Aktivisten und Funktionäre müssen die durchschnittlichen materiellen Lebensbedingungen des Volkes teilen. Wo Mangel nicht überwunden ist, müssen sie mit auf der Warteliste stehen. Sie müssen privat in der Mitte der Bevölkerung leben und durch ihre Bewegungsformen und Umgangsgepflogenheiten dokumentieren, daß sie sich in ihren Ämtern (das hat nichts mit dem Wert der Person zu tun) ersetzbar wissen und nach der dahingehend zu verändernden Verfassung des Staates und der Verbände morgen wieder Werktätige wie alle anderen sein werden. Eine organisierte öffentliche Meinung muß kontrollieren,, daß das Regierungswesen nicht wieder zur Selbstdarstellung einer über die Gesellschaft erhabenen Korporation entarten kann. Mindestens wird die Liquidierung der bürokratischen Korruption von oben den Dienst in den Apparaten unattraktiv für die ordinärsten Spezies von Karrieristen und Bürokraten machen.
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Zweitens — Abschaffung der Arbeitsnormung und des Stücklohns
Nichts erinnert die unmittelbaren Produzenten im real existierenden Sozialismus so unmißverständlich an die spezifisch kapitalistische Vergangenheit wie der »Akkord«. Was spiegeln Arbeitsnormung und Stücklohn letzten Endes wider? Unter welchen Umständen muß man die Arbeitsleistung des Einzelnen (jenseits überschlägiger Kapazitätsberechnungen) verbindlich fixieren? Normierung und finanzielle Stimulierung der individuellen Arbeitsleistung haben nur Sinn, wenn »die Gesellschaft« dadurch ein höheres Mehrprodukt erhält, wenn also die Individuen ohne solche Vorkehrungen ihre Kräfte und Fähigkeiten sparen würden.
Die Norm in Verbindung mit dem Stücklohn unterstellt, sofern sie den Arbeiter nicht über das physiologisch vertretbare Maß der Intensität hinaustreiben will, Leistungszurückhaltung als Durchschnittsreaktion auf den real gegebenen Charakter der Arbeit. Das heißt, sie unterstellt entfremdete Arbeit in der doppelten Bedeutung, daß sie unter Herrschaftsverhältnissen stattfindet und daß die dafür aufgewendete Zeit konkret für die Entwicklung und für den Selbstgenuß des Individuums weitgehend verloren ist. In einer solidarischen Gemeinschaft würde sich jeder sittlich veranlaßt fühlen, nach vorhandenen Kräften und Fähigkeiten sein Bestes beizutragen, so daß Vergleichsmarken und zusätzliche Stimuli höchstens moralische Bedeutung im Wettbewerb der bei der jeweiligen Aktivität erfolgreichsten Individuen haben könnten. Ungleich begabte und entwickelte Individuen den gleichen Anforderungen unterwerfen zu wollen, würde als die eigentliche Ungerechtigkeit gelten.
Es dürfte von niemandem zu bestreiten sein, daß der »Akkord« die Produktionsarbeiter sowohl untereinander als auch hinsichtlich ihrer Einordnung in den industriellen Gesamtarbeiter desolidarisiert. Er setzt sowohl für diejenigen, die er betrifft, als auch für diejenigen, die ihn festlegen, vertreten und durchsetzen müssen, ein unwürdiges und ungerechtes soziales Verhältnis fort und reproduziert die Bedingungen, die es begründen.
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Schon der Akt des Zeitnehmens als solcher stellt ein moralisch schlechtes, böses, nämlich die Beziehung der Solidarität und Gegenseitigkeit zwischen gleichgestellten Werktätigen negierendes Verhältnis dar.
Der Arbeiter wird zum Objekt eines Verfahrens, das er nur scheinbar — in seiner vordergründigen Unmittelbarkeit — kontrollieren kann, während es von seinem nicht ohne spezielle Fachkenntnisse nachvollziehbaren Systemzusammenhang her vielmehr ihn kontrolliert. Die Zeitnahme als solche qualifiziert ihn als »dressierte Naturkraft«, und die Zumutung wird um so größer, je schwerer, monotoner, primitiver die Bewegungsfolge ist, die normiert werden soll. Zudem macht die Norm schon unter den Arbeitern selbst, vor allem aber an jener Grenze, die die Produktionsarbeiter von den Angestellten im allgemeinen und von den technischen und ökonomischen Spezialisten sowie von der Leitung im besonderen trennt, einen ungerechten Unterschied zwischen den einen, die ihr unterworfen sind, und den anderen, die ihr entgehen.
Während jedermann weiß, daß in den Büros effektiv mehr Arbeitszeit als in den Werkhallen vertan wird, geht doch gerade von den Schreibtischen der Kampf um die möglichst vollständige Ausnutzung der Arbeitszeit in der Produktion aus. Und nicht zufällig taucht gerade an solchen Arbeitsplätzen, wo die Technologie den Menschen ohnehin schon am meisten entwürdigt, wo sie z. B. unendliches Repetieren von Operationen verlangt, am ehesten der Arbeitsnormer mit der Stoppuhr auf.
Selbstverständlich ist auch dieser Gegenspieler des Arbeiters von seiner Rolle entstellt. Seine Leistung wird nach der Zeiteinsparung bewertet, die er herauszumessen und -zurechnen versteht. Kein anderer Angestellter, kein Meister, kein Ingenieur repräsentiert dem Arbeiter eindeutiger die Herrschaft der vergegenständlichten Arbeit, in der die Herrschaft des Menschen über den Menschen erscheint.
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Seine hierarchisch völlig einflußlose Funktion symbolisiert genau den Riß, der die technisch-ökonomische Intelligenz und das übrige Verwaltungspersonal in den Betrieben von den Produktionsarbeitern scheidet. Er vor allen anderen sieht sich fortgesetzt mit der schlichten und vom Standpunkt der klassischen Unterscheidung zwischen Arbeit und Nichtarbeit nach wie vor berechtigten Frage »Warum arbeitest Du nicht?« konfrontiert.
Und in der Tat, warum arbeitet er nicht? Rechtfertigt der Aufwand für die Normierung überhaupt das Ergebnis? Für die Chemische Industrie der DDR gibt es beispielsweise ein Besetzungsnormativ, nach dem 1980 auf 30 bis 60 Produktionsarbeiter (je nach dem Charakter der Fertigung) ein Arbeitsnormer beschäftigt werden soll. Um überhaupt einen Effekt zu machen, muß dieser Normer erst einmal die ca. 1750 Stunden effektiver Arbeitszeit pro Jahr einsparen, die er selbst in der Produktion leisten könnte. Ein großer Teil der Arbeitszeiteinsparung ist nominell, da sie sich auf Normzeiten bezieht, die in der Praxis unterboten werden.
Wenn etwa eine Norm, die bei 100prozentiger Erfüllung einen Ausstoß von 100 Stück in 8 Stunden bedeutet, um 20% überboten wird, und man rechnet diese Mehrleistung künftig in die Norm ein, so hat man zunächst vorher wie nachher dieselben 120 Stück, kann aber eine Arbeitszeiteinsparung von 80 Minuten ausrechnen. Das heißt, der wirkliche Kapazitätszuwachs liegt in der Regel viel niedriger als die errechnete Normzeiteinsparung vermuten läßt. Vielleicht steigt der Ausstoß faktisch auf 125 Stück ... Außerdem bleibt dem Meister, der angesichts des Arbeitskräftemangels um die Besetzung seiner Schicht bangt, immer noch die Möglichkeit, eine Normerhöhung zu kompensieren, indem er einen größeren Zeitanteil im Durchschnittslohn schreibt.
Schließlich schränkt die moderne Technik selbst den Anwendungsbereich des Stücklohns und der Leistungsbewertung mit der Stoppuhr zunehmend ein, und zwar in zweifacher Hinsicht:
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zum einen, indem die technischen Taktzeiten immer häufiger zwangsläufig den Ausstoß während der effektiven Maschinenlaufzeit bestimmen; zum anderen, indem der Arbeitsaufwand bei komplizierterer Produktion eine von mancherlei Störungen abhängige Größe ist, die sich nur über einen unvertretbar langen Meßzeitraum hinweg fixieren ließe. Wo der Arbeiter über eine Mehrzahl von Variablen die Erzeugnisqualität, den Materialverbrauch, das Funktionieren der Technologie, die Taktzeiten und die Maschinenlaufzeit insgesamt beeinflussen kann, gibt es nicht einmal dem Namen nach »technisch begründete Arbeitsnormen«. Der Versuch, sie anzuwenden, wirkt dann nur als ein weiterer, meist recht erheblicher Störfaktor gegen die Optimierung des Prozesses, gegen die ungehemmte Ausnutzung der geistigen Produktivkraft. Ja, in vielen Fällen sinkt sogar der durchschnittliche Ausstoß, weil sich der Arbeiter in der Norm eine generelle Reserve für Eventualfälle vorbehalten wird, die er dann in Zeiten geringer Störung nicht aufdecken kann.
Alles in allem kann der Normer in der Regel nicht einmal die Arbeitszeit wieder ersetzen, die er selbst verausgabt. Was bleibt also übrig außer einem allgemeinen Disziplinierungseffekt, um die einmal erreichte Arbeitsintensität aufrechtzuerhalten? Braucht man die Arbeitsnormung dazu wirklich? Inzwischen beginnt man selbst in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern ihre Effektivität zu bezweifeln — wo sie auf jeden Fall größer ist als bei uns. Die Kapitalisten beginnen die auf Marx zurückgehende Feststellung zu beherzigen, daß die Produktion auf wissenschaftlich-technischer Basis allmählich aufhört, von der physischen bzw. psychophysischen Intensität der lebendigen Arbeit abzuhängen. Um 1970 haben streikende Bergarbeiter dem schwedischen Staatskapital das Experiment mit der Abschaffung der Arbeitsnormung aufgezwungen; sie werden seitdem nach Zeit entlohnt. Aufschlußreicherweise ist die Produktivität nicht zurückgegangen, zumal die Entlastung des Verhältnisses zu den Arbeitern das Klima für technische und organisatorische Rationalisierung verbessert.
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Anscheinend wird man in den Ländern des real existierenden Sozialismus länger am Akkord hängen als in den Ländern des Kapitals, wo man sich allmählich über die Ambivalenz seines Einflusses auf die wirtschaftliche Leistung klar wird.
Die Situation des »Leistungsarbeiters« forciert Protest- und Abwehrhaltungen, verursacht Störmanöver (z.B. gegen das normale Funktionieren von Maschinerie und Technologie), kostet Qualität und Material, erzeugt Solidarisierung gegen leistungsstärkere Kollegen, erhöht den Krankenstand usw. Die ganze Summe psychischer Energie, die dafür aufgewandt bzw. abgeführt wird, geht der Entwicklung der Produktivkräfte verloren, mehr noch, sie wirkt ihr aktiv und passiv entgegen. Auf längere Sicht und im gesamtwirtschaftlichen Maßstab dürfte der Schaden, den die Arbeitsnormung und der Stücklohn anrichten, schon bei rein ökonomistischer Betrachtungsweise größer als der oberflächlich in Erscheinung tretende Nutzen sein.
Natürlich darf die Abschaffung der Arbeitsnormung nicht mit dem Verzicht auf die Fixierung von Kennzahlen für den betrieblichen wie für den gesellschaftlichen Durchschnittszeitaufwand pro Leistungseinheit verwechselt werden. Solche Kennzahlen, die den Charakter von Richtwerten für die Kostenrechnung und Kapazitätsbilanzierung tragen und auch für den individuellen Arbeiter eine bestimmte Leistungserwartung zum Ausdruck bringen, muß es selbstverständlich geben. Was fortfällt, ist nur die Kopplung zwischen diesen Erwartungswerten und der Lohnhöhe, die dann durch einen zeit- und, soweit sinnvoll, qualitätsbezogenen Tarif festgelegt wird. Die Arbeitsleistung hängt damit von der gesellschaftlich beeinflußbaren Situation im Arbeitskollektiv, von der Herausbildung einer bestimmten Bereitschaftshaltung in dessen Kern sowie von der moralischen Autorität des Leiters ab. Arbeiter mit undisziplinierten oder parasitären Neigungen können erzogen werden.
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Arbeiter, die die je spezifischen Fertigkeiten aus irgendwelchen Gründen trotz korrekter und kameradschaftlicher Unterweisung nicht aufbringen, können entweder auf andere, für sie befriedigendere Tätigkeiten orientiert oder bewußt ohne Diskriminierung vom Kollektiv mitgetragen werden. Die allgemeine Produktivität reicht längst aus, um der humanen Solidarität, wie sie die primitivsten Gemeinwesen kannten, einen Spielraum in der Produktion zu eröffnen; es sind nur die von der alten Ökonomie genährten egoistischen Gewohnheiten, die dies einstweilen noch häufig verhindern.
Die Ermittlung der Leistungskennzahl selbst wird viel einfacher und exakter, wenn die Primärdaten nicht unter den von vornherein verzerrenden Bedingungen eines sozialen Interessenwiderspruchs am Arbeitsplatz erhoben und wenn Unterlagen, Berechnungen etc. nicht im Hinblick auf mögliche Konfliktfälle als potentielle Gegenstände der Arbeitsgerichtsbarkeit gehandhabt werden müssen. »Technisch begründete Arbeitsnormen« gibt es in der ökonomischen Wirklichkeit sowieso gerade nur dort, wo sie eigentlich überflüssig sind. Überall, wo die »Arbeitskraft« Einfluß auf die Produktionsmenge hat, können die Normen nur soziale Kompromisse darstellen; ihre numerische Genauigkeit ist fast immer fiktiv.
In einer nichtkapitalistischen Gesellschaft gar, die insgesamt relativ viel soziale Sicherheit verbürgt und überdies ihre Wirtschaft mit einem ständigen Arbeitskräftedefizit programmiert, werden diese Kompromisse wahrscheinlich auf ein im Vergleich zum Kapitalismus mäßiges Intensitätsniveau hinauslaufen. Insofern kann man sich das ganze pseudowissenschaftliche Brimborium sparen. Sind die effektiven Arbeitszeiten bzw. Maschinenlaufzeiten pro Schicht bekannt (deren Erfassung freilich unter den gegenwärtigen Bedingungen den moralischen Status der Spionage gegen die Arbeiter hat), geben schon die Produktionsmeldungen, über einen etwas längeren Zeitraum ausgewertet, hinreichende Auskunft über die Durchschnittsleistung pro Zeiteinheit bzw. den Durchschnittszeitaufwand pro Arbeitsgang oder Fertigungsstufe bis hin zum vollendeten Erzeugnis.
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Man gewinnt auf diese Weise auch Aufschluß über die tatsächliche Kapazität, soweit sie vom verfügbaren Arbeitszeitfonds abhängt, und zwar mit weit geringerem Aufwand als beim Rechnen mit Normzeiten, die erst über eine besondere Statistik der durchschnittlichen Normerfüllung korrigiert werden müssen.
Drittens — Allgemeine Beteiligung an einfacher ausführender Arbeit.
Diese Maßnahme ist gewiß kein Allheilmittel gegen den Riß, der durch den Gesamtarbeiter geht; sie kann nur äußerlich etwas von dem vorwegnehmen, was die Umverteilung der Arbeit leisten soll, und hat insbesondere keine direkte emanzipatorische Funktion für die unmittelbaren Produzenten.
Dennoch hat sie nicht nur die symbolische Bedeutung, die Solidarität der privilegierten Elemente mit den weniger qualifizierten und entwickelten Schichten auszudrücken. Vielmehr wird sie für alle jene, die auf der Basis der alten Arbeitsteilung vornehmlich leitende bzw. schöpferische, also selbstentwicklungsgünstige Tätigkeiten ausüben, ein anders kaum zu erzielender Anstoß sein, sich unablässig und ohne selbstgerechte Idealisierung des eigenen Standortes in der Gesellschaft mit den Ursachen und Folgen der sozialen Ungleichheit im real existierenden Sozialismus auseinanderzusetzen.
Die Funktionäre aller Ebenen, die Intellektuellen aller Grade brauchen die Gelegenheit, sich erlebnisbetont in die Lage jener Mehrheit hineinzuversetzen, die bei der Verteilung von Arbeit und Bildung, zum großen Teil auch noch bei der Einkommensverteilung, benachteiligt wurde. Sie alle sollten zum Beispiel erfahren, was Schichtarbeit bedeutet. Man muß einen Modus regelmäßiger, relativ dauerhafter Verbindung zu bestimmten Arbeitskollektiven für sie schaffen, wobei natürlich ein Höchstmaß an Vernunft bei der Zuordnung nötig sein wird. Der Begriff des »Produktionseinsatzes« wäre sicherlich zu eng.
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Ich spreche absichtlich nicht nur von physischer Arbeit in der unmittelbaren Produktion, obgleich die Diskriminierung der körperlichen Arbeit, und speziell der Fabrikarbeit schlechthin, immer noch der ideologische Springpunkt ist. Es gibt kreativitätsbetonte körperliche Arbeit, und es gibt heute außerhalb der materiellen Produktion, etwa im Dienstleistungssektor, in den Verwaltungen, in der Datenverarbeitung, eine ungeheure Masse anstrengender und oft geisttötender Routinearbeit. Auch würde die Beschränkung auf körperliche Arbeit allzuviele Ausnahmen aus tatsächlichen oder vorgeschobenen gesundheitlichen Gründen nach sich ziehen und so das Prinzip durchlöchern, das keine Ausnahmen verträgt, insbesondere keine Ausnahmen für die Spitzen.
Wenn die Funktionäre und Intellektuellen lange genug, vielleicht etwa 4-6 zusammenhängende Wochen pro Jahr, mit bestimmten Kollektiven zusammenarbeiten, dann entsteht eine anders gar nicht erreichbare Vertrautheit der Kommunikation. Sie könnte viel dazu beitragen, die erheblichen Informationslücken und begrifflichen Verständigungsschwierigkeiten zwischen den sozialen Schichten zu überbrücken, und insbesondere den offiziellen Desinformationsprozeß über die politische Stimmung an der Basis ausschalten.
Einen spezifischen Nutzen kann der systematische längerfristige Einsatz der betrieblichen Ingenieure und anderen Fachleute in den Fertigungsabteilungen des eigenen Werkes oder verwandter Produktionsstätten haben. Gegenwärtig leidet die Rationalisierung in den Betrieben unter der mangelnden Detailkenntnis und Interessiertheit der Fachleute hinsichtlich der verschiedenen Arbeitsgänge und -verrichtungen.
In letzter Instanz muß die massenhafte Konfrontation der Funktionäre und der Hochqualifizierten mit dem Arbeitsalltag in der Produktion und Distribution, im Dienstleistungswesen und in den Verwaltungen fruchtbare Folgen für die beschleunigte kritische Auseinandersetzung der ganzen Gesellschaft mit ihrem Produktions- und Verwaltungsapparat, mit ihrer Produktions- und Lebensweise überhaupt haben.
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Viertens — Berichtigung des Lohngefüges.
Das vorgefundene Lohngefüge in den osteuropäischen Ländern unterscheidet sich — abgesehen davon, daß die Extreme etwas geschleift sind — kaum von dem kapitalistischen, das es ohne wesentlichen Einschnitt tradiert. Zusätzliche Verzerrungen ergaben sich zunächst aus der Notwendigkeit, zu Beginn der antikapitalistischen Umgestaltungen bestimmte Spezialistengruppen zu bestechen, sowie aus dem Bedürfnis, die Arbeiter der für den Aufbau wichtigsten Zweige bevorzugt zufriedenzustellen.
Hinzu kamen die Konsequenzen der Investitions- bzw. Strukturpolitik unter Verhältnissen eines permanenten Arbeitskräftemangels (in den entwickelteren Ländern ohne große agrarische Arbeitskraftreserve eines absoluten Defizits, aber der Mangel an qualifizierter Arbeitskraft kann auch ohne absolutes Defizit denselben Effekt auslösen). Die Führung unterlag überhaupt häufig der Versuchung, überkommenen oder neu verursachten Kapazitätsdisproportionen mit lohnpolitischen ad-hoc-Regelungen zu begegnen. Weiterhin hat das Interesse des Apparats am politischen Stillhalten der Produktionsarbeiter, an ihrer Funktion als Ballast des Staatsschiffes gegen Bewegungen in der Intelligenz, dauernd dazu gedrängt, in den Relationen der Nettolöhne bzw. -gehälter das theoretisch vertretene Leistungsprinzip zuungunsten der Masse der Hoch- und Fachschulkader zu verletzen.
Der sichtbarste Mangel des Lohngefüges besteht darin, daß infolge der historisch übereinander geschichteten Schwerpunktbildungen ein und dieselben Tätigkeiten, unter Umständen an ein und demselben Ort, nach verschiedenen Tarifen entlohnt werden. Besonders auffällig wird das an den funktionell identischen Arbeitsplätzen der industriellen Produktionsvorbereitung und Verwaltung. Ein Technologe im Textilbetrieb hat prinzipiell die gleiche Arbeitscharakteristik wie sein Kollege in der Metallurgie, »verdient« aber im Durchschnitt wesentlich weniger.
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Projekte zur Berichtigung werden in regelmäßigen Abständen von den zentralen Regierungs- und Gewerkschaftsinstanzen ausgearbeitet, dann aber zugunsten weiteren ad-hoc-Laborierens an den jeweiligen Schwerpunkten liegengelassen, da die Partei mit einer Generallösung zuviel Bewegung in die Gesellschaft zu bringen fürchtet. Außerdem lohnt die Mühe — und das ist das eigentliche Problem — tatsächlich nicht, wenn man das Unternehmen 30 bzw. 60 Jahre nach der Initiierung der nichtkapitalistischen Verhältnisse nicht mit einer neuen sozialökonomischen Perspektive verbinden will.
Veränderungen im Lohngefüge greifen tiefer als die drei zuvor skizzierten Maßnahmen in die ökonomischen Verhältnisse ein, jedenfalls dann, wenn man die Herstellung der Lohngerechtigkeit als einen bewußten Vorstoß in Richtung auf Egalisierung der Einkommen konzipiert, wie es die Vorbereitung der Kulturrevolution erfordert. Für die große Mehrheit der Arbeitskräfte dringt zwar »halbspontan«, auf dem Wege über Regierungsbeschlüsse, auch gegenwärtig bereits die Tendenz zu dieser Egalisierung vor, jedoch auf eine emanzipatorisch folgenlose Weise, weil die objektive Intention unter den bestehenden Produktionsverhältnissen bloß in der Verkleisterung der fundamentaleren sozialen Widersprüche und Ungleichheiten besteht.
Da überdies gleichzeitig weiterhin das Leistungsprinzip behauptet wird, nährt der Realverlauf konservative Unmutreaktionen der hochqualifizierten Elemente, speziell der technisch-ökonomischen Intelligenz in den Betrieben, die sich in dieser Frage fernerhin gegen die wirkliche Perspektive des historischen Fortschritts einordnen können. Kulturrevolutionär funktionieren entsprechende Eingriffe nur, wenn sie offen die Geltung des Leistungsprinzips für die Einkommensverteilung und den Einsatz des sogenannten materiellen Anreizes als wichtigsten Regulator des Leistungsverhaltens in Frage stellen.
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Es versteht sich, daß diese Eingriffe nur in einem Kontext die gewünschte Wirkung haben können, der die motivationale Energie der anspruchsvollsten Sozialschichten mit sublimierteren Zielsetzungen beschäftigt. Ebenso versteht sich, daß die Umstellung eine gewisse Zeit braucht, sowohl für die — in einer revolutionären Situation sicherlich beschleunigte ~ öffentliche Meinungsbildung als auch vor allem zur Akkumulation der Mittel, um die Anpassung zumindest für die Masse der Werktätigen nach oben vornehmen zu können. Die strategische Entscheidung gegen die Fortsetzung der bisher verfolgten Wachstumspolitik — das sei hier in Parenthese gesagt — kann selbstverständlich nicht unvermittelt praktiziert werden. Vielmehr wird der Zuwachs zunächst benötigt, um die Strukturveränderung des Reproduktionsprozesses — unter anderem gerade auch in der Einkommensfrage — ohne allzu schwerwiegende Reibungen vorantreiben zu können.
Vom theoretischen Standpunkt aus ist die Egalisierung der Einkommen der nächste mögliche und notwendige Schritt zur Überwindung der Lohnarbeit im strengen Sinne. Solange stark differenzierte Löhne gezahlt werden, bleibt die Bindung an die Reproduktionskosten der Arbeitskraft aller ideologischen Haarspalterei zum Trotz für die Masse der Werktätigen evident; die Zuteilung aus dem allgemeinen Konsumtionsfonds wird nicht real zum herrschenden Verhältnis. Betrachten wir das Problem wirklich unter dem Gesichtspunkt der Einkommenszuteilung, dann handelt es sich erst einmal um die Bestimmung der Quantität, die auf das Individuum fällt, d.h. um die pro Kopf für die Konsumtion verfügbare Menge geronnener abstrakter Arbeit.
(Dieser Gesichtspunkt bleibt in komplexen Gesellschaften mit hochentwickelter technischer Arbeitsteilung, wo sich die Proportionalitätsfragen dem Augenmaß entziehen, generell relevant; und er zieht an und für sich keineswegs die Regulierung des Reproduktionsprozesses durch das Wertgesetz nach sich, auch dann nicht, wenn man sich für den Standpunkt entscheidet, daß Geld wegen seiner Eigenschaft als Meßinstrument unerläßlich bleiben wird und daß die Vorstellung einer sukzessiven Entlassung der eigentlichen Subsistenzmittel aus der Anteilsverteilung über das Geld unpraktisch ist.)
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Nach den Abzügen vom Gesamtprodukt, über deren Notwendigkeit sich ja im Prinzip — d.h. abgesehen von der Bemessung ihres Umfangs, von ihrer konkreten Verwendung, von ihrem Zentralisierungsgrad usw. — alle Individuen im klaren sind, steht planmäßig das Produkt einer bestimmten Stundenzahl abstrakter Arbeit für die Verteilung zwecks individueller Konsumtion zur Verfügung. Daraus kann man leicht den Durchschnittsanteil errechnen, der auf die Individuen bzw. Familien, Haushalte etc. entfällt, und so wird ja zu statistischen Zwecken im nachhinein auch verfahren. Nur stellt sich dieser Durchschnitt gegenwärtig eben über eine faktisch noch mehr als theoretisch unübersichtliche und in sich selbst längst von allen guten Geistern interner Logik verlassene Differenzierung her, die überdies einen erheblichen direkten und indirekten Arbeitsaufwand bindet und ihre Rolle als Leistungsantrieb kaum mehr spielt.
Ich sagte bereits, daß die Egalisierung ohnehin avanciert; nur eine verhältnismäßig schmale Oberschicht, die großenteils gar nicht hauptsächlich über den finanziellen Anreiz stimuliert wird, den sie freilich gerne einstreicht, sprengt die Normalverteilung. Die soziale Differenzierung wirkt vornehmlich über andere Mechanismen. Man könnte das ganze System sehr vereinfachen und verbilligen, wenn man davon ausginge, daß alle Individuen in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der Gesellschaft diesen Durchschnittsbetrag erhalten sollen. Wozu z.B. die millionenfache Errechnung und Buchverschiebung von Lohnsteuer- und Sozialversicherungsbeträgen? Der real existierende Sozialismus stellt sich buchstäblich ein Armutszeugnis aus, indem er praktisch davon ausgeht, daß man immer noch nur über den klassengesellschaftlich-primitiven »materiellen Hebel« die Einhaltung der Arbeitspflicht und einer dem Bedürfnisniveau entsprechenden Arbeitsintensität erreichen könne.
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In Wirklichkeit wird da nur die allerdings unleugbare Tatsache der Subalternität und Entfremdung der Individuen in ihrem Reproduktionsprozeß samt den dazugehörigen Folgen unkritisch reflektiert. Bei der bestehenden Ökonomik verstrickt sich die Gesellschaft tatsächlich immer tiefer in jenes Anreizsystem, bei dem erst die Prämie eine annähernde Intensität und Qualität der Arbeit sicherstellt und nicht nur bei der Feierabendarbeit das »Pfund fürs Erscheinen« Schule macht. Die Individuen müssen eben zusehen, wie sie außer der Arbeit privat auf ihre Kosten kommen und daher soviel wie möglich kassieren.
Selbstverständlich würde man das Prinzip des gleichgroßen Konsumschecks für alle ad absurdum führen, wollte man es mechanisch durchsetzen. Die jetzige Differenzierung, die, so weit sie noch durchschlägt, nach der Qualität, nach den Funktionsniveaus der Arbeit vorgeht und also der Regel »Wer hat (wer entwicklungsfördernde und damit bedürfnistreibende Arbeit hat), dem wird gegeben« folgt, kompensiert nicht, sondern verstärkt zusätzlich die Ungerechtigkeit in der Verteilung von Entwicklungschancen, Bildung und Arbeit.
Die neue Differenzierung wird umgekehrt ansetzen: Kein Zuschlag für schöpferische, entwicklungsfördernde Arbeit; wenn die Gesellschaft die Bildungskosten trägt und auch während der Ausbildungszeit jedem seinen Anteil zukommen läßt (sicher nicht zwangsläufig von vornherein in der vollen Höhe), gibt es gar keinen Grund mehr dafür, zumal der Bildungserwerb schon in sich selbst Gewinn ist, Geist und Sinn für höheren, differenzierteren Genuß entwickelt. Einschränkungen nur gegen Individuen, die sich schuldhaft und über längere Fristen um ihren Beitrag zur Reproduktion der Lebensbedingungen drücken. Kompensationen jedoch für schwere Arbeit, für monotone Arbeit, für unangenehme Arbeit, für Nachtarbeit, kurz für alle Arbeit, die die Entfaltungsmöglichkeiten beeinträchtigt (solange sie nicht annähernd gleich unter alle verteilt ist). Diese Lösung drängt sich sowieso längst in der Praxis auf.
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(Hierin erscheint übrigens die preisregulatorische Komponente, die der Lohn behält, solange keine direkte Verteilung der Arbeitskraft erfolgt. Die Gesellschaft muß Arbeitskraftangebot und -nachfrage für die verschiedenen mehr oder weniger attraktiven Zweige und Tätigkeiten zum proportionalen Ausgleich bringen. Wenn sich für lebenswichtige Tätigkeiten wegen ihrer Ungunst für das Individuum keine Ausführenden finden, ist es nicht ungerecht, soviel Mehreinkommen zuzuschlagen, bis die Plätze besetzt sind.)
Zu regeln bleiben dann außerdem nur noch zwei Dinge. Das ist zum einen die Dauer der Arbeitszeit, auf deren Differenzierung neben den verstärkt beizubringenden hygienischen und pädagogischen Kriterien dieselben Prinzipien anzuwenden sind. Und zum andern der Ausgleich für die Zahl der nicht über eine Arbeitsstelle oder andere gesellschaftliche Institution versorgten Familienmitglieder, d.h. vor allem der Kinder. Die Einbeziehung der Renten in die Egalisierung und ihre Annäherung an den Durchschnittsanteil versteht sich von selbst.
Es würden demnach alle Mitglieder der Gesellschaft über etwa das gleiche Limit an Anweisungen auf abstrakte Arbeit verfügen. Angesichts eines beträchtlichen Freiheitsspielraums über dem Existenzminimum würde dies der qualitativen Verschiedenheit ihrer Bedürfnisstruktur keinen Abbruch tun. Im Gegenteil, es könnten auch von dieser Seite her die schichtspezifischen Schranken der Genuß- und Erlebnisfähigkeit rascher abgebaut werden. Die Individuen können zwischen den in ihrem konkreten Gebrauchswert und -zweck sehr unterschiedlichen Genuß- und Entwicklungsmitteln wählen, auf die sie ihren individuellen Anteil am Mehrprodukt verwenden wollen. Ein den (wie auch immer zu verändernden) Bedürfnissen annähernd proportionales Angebot vorausgesetzt, kann ich ihn je nach meiner Neigung primär für komfortables Wohnen oder weites Reisen, für lukullische Küche oder ausgedehnte Bibliothek anlegen (wie es ja in den entwickelten Ländern, ungeachtet der ungleichen Beträge, längst der Fall ist, wobei der ökonomische Zwang zum absoluten Verzicht auf bestimmte Standardgenüsse zugunsten anderer immer seltener wird).
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Die Gesamtheit der Individuen könnte sich z.B. in der DDR bereits heute tendenziell »alles leisten«, dessen sie zur reichen Entfaltung der Persönlichkeit bedarf. Für den ganzen Zusammenhang der Verteilungsverhältnisse gilt mehr denn je der Sinn einer Stellungnahme des Kommunisten Jean-Jacques Pillot aus dem Jahre 1840:
»... jeder schuldet es der Gesellschaft, für das, was er empfängt, seine gesamten Fähigkeiten zum Wohlergehen aller zu betätigen. Das Gleichheitsgesetz diktiert die Grundregel: Wer tut, was er kann, tut, was er soll.«
»Die Eigenschaften des Körpers wie Gesundheit und Kraft und die Eigenschaften des Geistes wie Denkvermögen und Scharfsinn setzen keinen anderen Unterschied zwischen dem, der besonders viel, und dem, der besonders wenig davon besitzt, als den, daß der eine größere Aufgaben zu übernehmen hat als der andere. Die verschiedenen Funktionen, die die Verwaltung der Republik oder Kommune erfordert, sind allesamt nur Pflichten, wie sie jeder Bürger für das Wohlergehen der Gesellschaft erfüllt; sie können daher für den, der sie bekleidet, weder Grund noch Vorwand für Unterschiede in der Befriedigung der physischen oder intellektuellen Bedürfnisse sein«
(Höppner/Seidel-Höppner: Von Babeuf bis Blanqui II, Leipzig 1975/462 f.).
*
Der gemeinsame Nenner aller dieser Initialmaßnahmen ist ihre Funktion als Bindeglied zwischen der Erkämpfung der politischen Demokratie und der grundlegenden Veränderung der sozialen Bedürfnisstruktur. Sie sind ja — das war vorausgesetzt — nur möglich, nachdem der politbürokratische Absolutismus gestürzt, also das bis dahin maßgebliche Kräfteverhältnis zwischen den emanzipatorischen und den Apparatinteressen nachhaltig zugunsten der ersteren verschoben ist.
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Dann rückt aber sogleich ein anderes Kräfteverhältnis in den Mittelpunkt der Bewegung und wird entscheidend für ihr weiteres Schicksal, für ihre Sicherung gegen eine direkte etatistische Konterrevolution wie gegen die schleichende bürokratische Restauration: das Kräfteverhältnis zwischen den emanzipatorischen und den kompensatorischen Interessen. Und eben darum geht es strategisch bei den Sofortmaßnahmen. Es ist eine höchst wichtige Frage, wie sich die Kulturrevolution zu den kompensatorischen Bedürfnissen der Massen verhalten soll. Für sich genommen sind die kompensatorischen Interessen meist ein Reservoir des politischen Konservatismus. Um ihre Unterordnung bzw. Neutralisierung geht jenseits der unmittelbar politischen Aktion der Kampf zwischen den Tendenzen der politbürokratischen Reaktion und der kulturrevolutionären Bewegung weiter.
Gegenüber den kompensatorischen Interessen ist eine ganz andere Einstellung erforderlich als gegenüber den Apparatinteressen, und nicht nur, weil es sich hier um einen Widerspruch innerhalb des überschüssigen Bewußtseins handelt. Die kompensatorischen Interessen sind viel tiefer im Lebensprozeß der Individuen verankert. Das Problem, das ihre Vorherrschaft in dem überschüssigen Bewußtsein aufwirft, kann auf keinen Fall mit einem von der Gunst des Augenblicks getragenen politischen Sturmangriff gelöst werden. Spontan, sich selbst überlassen, werden die kompensatorischen Interessen zu Forderungen nach kurzfristiger Entschädigung für erlittene Degradation und Beschränkung der Persönlichkeit und zu prophylaktischen Angstreaktionen auf jede vermutbare Veränderung sozialer Besitzstände an Privilegien, Gütern, Prestigepositionen, Bequemlichkeiten usw. tendieren.
Der Marxismus hat dadurch, daß er den Knäuel von seinem materiellen Ende aufzurollen begann, daß er an die erste Stelle die Frage nach den Entwicklungsbedingungen der unterprivilegierten Massen setzte, die größte Chance, das Problem in einer praktischen Bewegung zu lösen.
Wenn die marxistische Analyse für die Gegenwart die besondere Rolle der intellektualisierten Schichten konstatiert, so tut sie es nicht, um dem traditionellen Hochmut der Intelligenz zu frönen, sondern um ihre Aufgaben im Gesamtprozeß der allgemeinen Emanzipation zu bestimmen.
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Sie wendet sich entschieden gegen jede politisch-liberale Fehlinterpretation des Freiheitsbegriffs. Die Werktätigen haben unmittelbar wenig gewonnen, wenn die Intellektuellen erreichen, daß sie in den Massenkommunikationsmitteln ungehindert mit ihrer Beredsamkeit glänzen können. Die Lehre von der führenden Rolle der Arbeiterklasse, mit deren Problematik ich mich auseinandergesetzt habe, kann in ihrer politisch-moralischen Intention, wo sie die Dienstverpflichtung der progressiven Intellektuellen an die Sache der allgemeinen Emanzipation ausspricht, erst veralten, wenn der kategorische Imperativ des jungen Marx erfüllt ist. Ihre ursprünglichste Bedeutung ist die aktive Solidarität mit den am meisten Unterdrückten, ohne deren Befreiung alle Emanzipation halb bleiben und alsbald unwahr werden muß.
Es ist notwendig, die Intelligenz aus ihrer spontanen Klassenstimmung gegen die Unterentwickelten herauszureißen, ihr bewußtzumachen, daß und inwiefern sie privilegiert ist (dazu gehört Einsicht in die Mechanismen der Motivation, der Charakterbildung und deren soziale Vermittlung) und inwiefern ihre Frustrationen gerade damit zusammenhängen, daß andere frustriert sind und ebenso spontan den ungerechten Wettbewerbsbedingungen in Schule und Betrieb zu entkommen trachten, etwa durch Lernunlust in der Kindheit, später durch Leistungszurückhaltung, Verkommenlassen von Material und Maschinerie u.v.m.
Vor allem ist noch einmal daran zu erinnern, daß die Gesellschaft nicht in Klassen oder auch bloß Schichten von Individuen zerfällt, welche hier kompensatorische und dort emanzipatorische Bedürfnisse hätten. Gerade die intellektualisierten Schichten reagieren mit einer Fluchtbewegung in privaten »Lebensstil«, zu dem sehr viele Konsumgüter »absolut notwendig« sind, auf ihre durch den politischen Zustand verursachte Frustration.
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In unserer Gesellschaft ist es die Regel, daß die Arrivierten und Privilegierten ihre kompensatorischen Bedürfnisse gut befriedigen können und die Massen verhältnismäßig schlecht. Die solcherart Benachteiligten genießen da nicht etwa den Vorteil der Unschuld, sondern sie werden mit den minderwertigeren Produkten der materiellen und geistigen Kultur abgespeist. Auch in den kompensatorischen Bedürfnissen waltet natürlich eine Dialektik des Fortschritts. In den Konsumtionsmitteln sind die beiden in der Abstraktion unterschiedenen Bedürfnischaraktere nicht getrennt; da kommt es auf die Einordnung in den jeweiligen individuellen Lebensprozeß an, was der Genuß jeweils bedeutet. Es existiert eine Sozialstruktur ihres Gebrauchs und Verbrauchs.
Man kann und darf den reproduktiven Zirkel von Produktion und Konsumtion der Bedürfnisse nicht durch eine Politik der Konsumreduktion durchbrechen wollen, die auf dem Rücken der ohnehin benachteiligten Schichten ausgetragen werden und die sozialen Widersprüche an der falschen Front zuspitzen würde. Im Gegenteil: um die Gesellschaft aus dem Teufelskreis herauszuführen, muß man für eine wirkliche Egalisierung in der Verteilung der standardbestimmenden Konsumgüter sorgen. Bisher maß sich der Aufstieg für die Unteren immer am Verbrauch der Oberen, d. h. an ihrer Aneignung materieller Güter, sinnlicher und kultureller Genüsse, nicht an der Verfügung über den sozialen Prozeß oder gar an der kulturellen Sublimation jenseits des Reichtums. Meiner Ansicht nach kann man den Schluß ziehen, daß eine Nivellierung der Gesellschaft in bezug auf die'Quantität des Verbrauchs die Bedingung dafür wäre, über das Prinzip der Quantität, über den kompensatorischen Verbrauch hinauszukommen. Eine solche Politik hätte zugleich die Tendenz, die Entwicklung neuer Luxusbedürfnisse zu begrenzen und auf lange Sicht das Anwachsen des materiellen Bedarfs überhaupt abzubremsen, das primär durch die soziale Ungleichheit der Aneignungspotenzen angetrieben wird. So verfolgt das kulturrevolutionäre Konzept den Zweck, den Abfluß eines möglichst großen Betrages motivationaler Energie aus dem kompensatorischen Komplex zu erreichen.
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Neben der positiven Anziehung überschüssigen Bewußtseins durch die politische Aktivierung der Menschen muß daher etwas geschehen, um bestimmte vordringliche, massenhafte kompensatorische Bedürfnisse zu neutralisieren, und zwar am besten durch ihre relative Absättigung. Dabei steht zunächst der Ausgleich der elementarsten sozialen Ungerechtigkeiten in den Verteilungsverhältnissen des Einkommens, erst ansatzweise auch schon der Entscheidungsmacht, im Vordergrund.
Dieser Ausgleich bezweckt vor allem Entlastung der kulturrevolutionären Bewegung für die tiefgreifende Transformation der Bedürfnisstruktur, für die Schwerpunktverlagerung des sozialen Interessenkampfes von der vornehmlich durch Verzehr charakterisierten Aneignung materieller Subsistenz- und Genußmittel auf die Aneignung der Kultur (d.h. natürlich auch auf eine andere Struktur des materiellen Verbrauchs). Die Gefahr einer »Explosion« der materiellen Bedürfnisse droht besonders für die Situation des Übergangs, und dagegen ist Egalisierung der Einkommen die wichtigste Abfangmaßregel, die zugleich der relativ ungestörten Einübung neuer Gewohnheiten Raum bietet.
Wenn bei der sozialistischen Losung »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung« der zweite Teil der Formel die meiste Aufmerksamkeit auf sich zieht, so gebührt sie bei der kommunistischen Losung »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen« dem ersten. Zugespitzt formuliert, lautet die Forderung: Das Leistungsprinzip (hinsichtlich der Einkommensverteilung) abschaffen, um es (hinsichtlich des Einsatzes der Fähigkeiten) zu verwirklichen. Die beiden Losungen aus der Kritik des Gothaer Programms sind viel weniger kommensurabel, als der Wortlaut erscheinen läßt.
Das Herumrätseln über die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit schrankenloser Bedürfnisbefriedigung wird sich als gegenstandslos, als Reflex auf jetzt bestehende Verhältnisse erweisen, wenn der Reproduktionszyklus der kompensatorischen Interessen einmal durchbrochen ist.
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Denn dann wird die Erweiterung des materiellen Verbrauchs über eine gewisse Schwelle hinaus diejenigen benachteiligen, die sie betreiben. Sie wird als Hindernis für die Selbstverwirklichung der Individuen erkannt werden. Denn sie wird, wie Seve in seinem Buch über »Marxismus und Theorie der Persönlichkeit« gut gezeigt hat, die Proportionen des Zeitplans für die verschiedenen Aktivitäten, die die Persönlichkeit konstituieren, in Richtung auf ein Überhandnehmen der psychologisch unproduktiven Konsumtion (im Unterschied zur psychologisch produktiven) verschieben. Das bedeutet, die in dieser Richtung fixierten Individuen werden in der für ihre soziale Geltung und ihren Beziehungsgewinn aus der Kommunikation ausschlaggebenden »Akkumulationstätigkeit«, der Akkumulation von Fähigkeiten und Kenntnissen, beeinträchtigt. Man wird solche Menschen dann mit derselben Mischung aus Mitleid und gelinder Geringschätzung ansehen, mit der man in ausreichend versorgten Ländern heute bereits Leute betrachtet, die »fürs Fressen leben«.
Die weitgehende Ausschaltung des materiellen Anreizes liefert die Grundlage, um die neue Triebkraft des intersubjektiven Wettbewerbs, die ungleiche Verteilung der Fähigkeiten und Tätigkeiten, die zum zentralen Thema der Kulturrevolution werden soll, erst einmal klar in der massenhaften gesellschaftlichen Praxis herauszuarbeiten und dem allgemeinen Bewußtsein als Problem darzustellen. Denn so bedeutsam die Angleichung im Umfang des Verbrauchs auch ist, sie spielt noch immer im Vorfeld der Kulturrevolution, die die Bedürfnisinhalte betrifft, und bleibt an und für sich mehr Mittel als Zweck. Dennoch muß dieses Vorfeld erst einmal gewonnen werden, um die Kräfte für die Umwälzung der Zivilisation zu formieren, um sie ideologisch so weit aus den alten Strukturen herauszuführen, daß sie sich neu gruppieren können.
Das heißt, hier geht es darum, die Bewegungsfreiheit für die emanzipatorischen Interessen herzustellen, ein Terrain zu erobern, auf dem sie ausgreifen können.
Die kommunistische Strategie besteht also darin, eine Situation herbeizuführen, in der die Menschen ihre unmittelbaren Interessen in Beziehung zu den allgemeinen Möglichkeiten und Herausforderungen der Epoche setzen und sich über alle jene Aneignungen erheben können, die ihre kulturelle Entwicklung beschränken.
Zugleich werden die Kommunisten jedes bloß restriktive Verhalten zu diesen Kompensationen vermeiden, weil sie wissen, daß die entschiedene Angleichung der materiellen Existenzgrundlagen aller Gesellschaftsmitglieder die Voraussetzung für die allmähliche Überwindung der kompensatorischen Interessenorientierung und damit für die vollständige Ablösung der bisherigen Verteilungsverhältnisse ist.
Damit wird die Ausgangsposition für den Aufbruch in den eigentlichen kulturrevolutionären Prozeß gewonnen: für die Beseitigung der alten Arbeitsteilung als Quelle aller Subalternität und Entfremdung durch tiefe Eingriffe in die Verteilung der Arbeit, in die Bedingungen der Sozialisation und Ausbildung der Individuen sowie in die Regulationsformen des Reproduktionsprozesses. Man darf sich diese Abfolge nur nicht als mechanisches Nacheinander vorstellen.
Schon der Kalkül zur Unterordnung bzw. Neutralisierung der kompensatorischen Interessen kann nur aufgehen, wenn der Abbau des finanziellen Anreizes für die Massen mit viel weitergehenden Hoffnungen und Perspektiven verbunden ist, so daß gleichzeitig die neuen Motivationen aufgebaut und die sonst vorübergehend unvermeidlichen desorganisatorischen Effekte vermieden werden.
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Rudolf Bahro 1977 Die Alternative Zur
Kritik des real existierenden Sozialismus