Anmerkungen (26 Stück)
zur Rudolf-Bahro-Biografie 2002 von Herzberg und Seifert
622-627
1) Ein eigenes — und in der interessierten Öffentlichkeit schon vor Jahren kontrovers diskutiertes — Thema ist die Weiterleitung von Bahros Wünschen durch Gregor Gysi und die damit verbundenen Kontakte, die sein Anwalt hatte.
Das Problem besteht darin, daß nach Aktenlage Gysi dazu Gespräche mit Major Lohr von der HA XX geführt haben soll — nach meiner Meinung scheint dies auch schlüssig —, während Gysi diese Gespräche mit einem Mitarbeiter der Abteilung Staat und Recht beim ZK der SED oder mit Mitarbeitern der Staatsanwaltschaft geführt haben will und dazu eine umfangreiche Rechtfertigung vorgelegt hat: Gregor Gysi antwortet dem »telegraph«. Versuch einer Aufklärung Teil 2, Bonn 1992.
Er gibt darin detaillierte Erklärungen ab, in denen er den Weg zweifelsfrei von ihm stammender Informationen in die Akten des MfS plausibel machen will. Richtig ist, daß es in den Akten keine von ihm geschriebenen oder unterschriebenen Dokumente gibt. Auch sind zahlreiche Gespräche in den Akten dokumentiert, die nach Gysis Angaben nicht in seiner Wohnung und nicht zum angegebenen Datum stattgefunden haben sollen.
Bevor ich mich auf umfangreiche textkritische Auseinandersetzungen einlasse, werde ich für diese Biographie annehmen, daß sie so stattgefunden haben können. Hier geht es um den Strafgefangenen Bahro und seinen Anwalt Dr. Gregor Gysi und um nichts anderes.
(d-2014:) Eine Pressemitteilung 2008 von G.Gysi zum Thema
2)
Schon am 6. Dezember soll es nach der Aktenlage dazu ein Treffen zwischen Gysi und Major Lohr von der HA XX gegeben haben, bei dem der Anwalt seinen »Sprecher« mit Bahro genau wiedergibt und auch den Inhalt der beiden von Bahro geschriebenen Notizen. Dieser Tonbandbericht und ein diesen kurz zusammenfassender Bericht von Lohr - beides vom 7.12. - ist bereits 1992 von der »Umwelt-Bibliothek Berlin« vollständig veröffentlicht worden und veranlaßte Gysi zu einer ausführlichen Erwiderung, in der er diese Begegnung mit Lohr bestreitet und die »Tonbandabschrift« als Kompilation aus verschiedenen Quellen bezeichnet.Selbst für die Wiedergabe der eindeutig aus seinem Besitz stammenden beiden handschriftlichen Notizen Bahros vom »Sprecher« am 2. Dezember 1978 in den MfS-Unterlagen erklärt er, es spreche vieles dafür, »daß hier eine persönliche Quelle genutzt wurde, die aber nicht mit mir identisch ist« (Gregor Gysi antwortet dem »telegraph«, 32).
3)
In den frühen 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts entdeckte der russische Ökonom Nikolai D. Kondratjew ein seit dem späten 18. Jahrhundert sichtbar gewordenes ökonomisches Entwicklungsmuster aus einer Serie von »langen Wellen«, die zwischen 50 bis 60 Jahren andauerten. Diese Bewegungen tauchen seither unter seinem Namen als allgemein gebräuchlicher Begriff in der Fachliteratur auf. Die vierte Kondratjew-Welle erreichte ihren Höhepunkt Mitte der 60er Jahre und befand sich seither im Abschwung. Der fünfte Zyklus setzte Ende der 80er Jahre ein.
4)
In der gedruckten Version ist der Brief mit »26.1.83« datiert. Dies trifft nach Auskunft von Gerd Koenen nicht zu.5)
Die Originalversion des Buches von Erich Fromm erschien 1973 unter dem Titel The Anatomy of Human Destructiveness. Die deutsche Übersetzung wurde 1974 veröffentlicht. Bahros Erwähnung des »ökonomisch-philosophischen Manuskripts« spielt auf einen vom jungen Marx 1844 geschriebenen Text über »Nationalökonomie und Philosophie« an, (Vgl. MEW Ergänzungsband, Berlin 1968, 465-588).6) T2:5, s386
Anspielung auf ein Buch des ehemaligen Stern-Reporters Jörg Andrees Elten, das dem Bhagwan-Boom Ende der 70er Jahre starken Auftrieb gab.7)
Schreiben des Persönlichen Referenten des Bundesaußenministers, Clemens von Goetze, vom 11. Juli 2000 an Kurt Seifert. Joschka Fischers persönlicher und politischer Weggefährte Daniel Cohn-Bendit ließ am 27. November 2000 über eine Mitarbeiterin per E-mail mitteilen, daß er sich »nicht zu Herrn Bahro äußern möchte«.8)
»<Bahro schwebt über allem>, hat sich vorigen Herbst Joschka Fischer gewünscht, bei seiner Realpolitik braucht die Partei natürlich jemanden für die Sonntagsreden. Den Gefallen wollte ich ihm nicht länger tun«, schreibt Bahro in seinem Papier »Fundamentalistisches zur Krise der GRÜNEN« vom 1. März 1984 (Archiv Grünes Gedächtnis, Bestand A-V. Krieger, Akte Nr. 14).9)
Laut mündlicher Auskunft von Reinhard Spittler. Kommerziell war der Logik der Rettung kein großer Erfolg beschieden. Die Auflage der 1987 veröffentlichten Hardcover-Ausgabe betrug 4600 Exemplare (Ladenpreis DM 48,-). 1989 folgte eine Studienausgabe (Softcover) mit einer Auflage von 2400 Exemplaren (Ladenpreis DM 29,80). Die Studienausgabe erhielt keine Nachauflage und ist seit Frühjahr 1995 nicht mehr lieferbar (gemäß Auskunft des Weitbrecht Verlages).10)
An dieser Stelle nimmt Bahro auch Bezug auf die Kritik des US-Amerikaners Ken Wilber, eines führenden Theoretikers der Bewußtseinsevolution, an der »New Age«-Bewegung: Sie sei »eine seltsame Mischung einer Handvoll wahrhaft transpersonaler Seelen mit Massen von präpersonalen Süchtigen« (Wilber 1988, 370).11)
Einige Jahre später wird Rudolf Bahro an Lothar Späth schreiben: »Meine Einstellung - wenn auch nicht zu jenem Thema, aber zu Ihnen - hat sich schon dadurch geändert, daß Sie nach Ossiland gefahren sind, und nicht auf Besuch. Außerdem kann ich mir gar nicht denken, daß Sie im Innersten noch so an eine primär auf Technologie gestützte Kehre vor dem Abgrund glauben.« (Schreiben vom 4.11.1992)
12)
Der Magie des Geldes am Beispiel des Faust von Johann Wolfgang von Goethe ist der Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger nachgegangen. Er plädiert nicht für eine Abschaffung des Geldes, sondern für die Unterordnung der Geld-Schöpfung unter jene der Natur-Schöpfung. Auch Bahro meint, Geld gehöre nicht zu den Dingen, »die völlig abgeschafft werden könnten oder sollten. Aber wenn wir es bewältigen wollen, dürfen wir uns nicht mit ihm als einem Symbol der Freiheit identifizieren» (Logik, 140).13)
Erstmals tauchte die Metapher in der Logik der Rettung auf. Die entsprechende Passage lautet: »Die bereits hier und dort vernehmbaren Rufe nach einem >grünen Adolf< werden keineswegs zu einem wiedererkennbaren Faschismus jenes unverwechselbaren Typs mit einem Psychopathen an der Spitze führen. Da wird nach einem Gespenst gerufen, und von der Gegenseite vor einem Gespenst gewarnt, das keinen Auftritt plant. [...] Die Psychopathie des Ganzen ist perfekt genug, als daß es auch nur eines einzigen Psychopathen in dem präparierten Notstandsbunker bedürfte.« (Logik, 358)14)
Über dieses Ereignis berichtet Marina Lewkowicz: »Wir suchten den Bogen zu schlagen von Idomeneo - dem Sieg der Liebe über mythischpatriarchale Stammesloyalität -, von der Entführung — Janitscharen-Musik riß uns immer wieder hin zu ausgelassenem Tanz - zur ersten Intensiv-Begegnung mit den Charakteren des Figaro (wer kennt sie nicht, die Gräfin und Susanna, den Grafen und den Figaro, und Cherubino?) und dem Don Giovanni (Donna Anna, Donna Elvira, die kühne Zerlina) - Urbildern von Gestalten, die unser Leben, unsere Beziehungen jetzt berühren, die wir in uns selbst wiedererkennen.Nicht weniger die aus Cos; fan tutte - Despina, Fiordiligi, Dorabella, Guglieimo und Ferrando, der überhaupt die schönste Arie singt: >Un' aura amo-rosa ...<, der Odem der Liebe. Dann der tiefste Gang in die Unterwelt mit Don Giovanni, zur Königin der Nacht, der initiatische Weg mit der Zauberflöte zum Licht, zur Sonne und schließlich ins Überpersönliche, ins Paradies der Milde und Gelassenheit des Titus, mit der Musik einer himmlischen Hochzeit (des Annio und der Servilia).« (Rückkehr, 335 f.)
15)
Die Schweisfurth-Stiftung ist eine Gründung des sehr erfolgreichen Wurstfabrikanten Karl Ludwig Schweisfurth, der einen Bewußtseinswandel vollzog und nur noch »wirkliche Lebensmittel« fördern will - mit ökologischer Landwirtschaft und durch Unterstützung alternativer Projekte. Für Bahro (und später dessen Nachfolger Johannes Heinrichs) hat er sich finanziell stark engagiert.16)
Die Professorenstellen gehen von der niedrigen C2 bis zum Lehrstuhlinhaber C4. Die sichtbaren Unterschiede liegen in der Bezahlung, den zugestandenen Assistentenstellen und der Beschäftigung einer Sekretärin.17)
Verein zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis (VPM): Ein 1986 aus der sogenannten Zürcher Schule des autodidaktischen Psychotherapeuten Friedrich Liebling (1893-1982) hervorgegangener »psychologischer Fachverband« (so die Selbstdarstellung) — Hauptsitz in Zürich — mit ca. 3000 Anhängern in der Schweiz und der Bundesrepublik.
Von Nordhausen und Billerbeck (Psycho-Sekten, 1997) als »Heilslehre vom besseren Leben durch Sauberkeit und Ordnung« der rechten Psychoszene zugerechnet, wobei sich der Verein in hunderten von Prozessen gegen seinen Ruf als Sekte zur Wehr setzte und seine Bedeutung im Kampf gegen Drogen und AIDS hervorhob.
Eine Zeitlang auch Anlaufpunkt von »heimatlosen Linken« der 68er Bewegung, machte VPM ab 1988/89 eine Wende durch und stieg in die Gesellschaftspolitik ein, wobei der Verein besonders gegen die subversive »Zerstörung von Staat und Gesellschaft« zu Felde zieht und dabei starke Sympathien und Unterstützung aus dem rechten und antikommunistischen Lager erfuhr.
Der Artikel gegen Bahro erschien in der Zeitschrift des Bundes Freiheit der Wissenschaft, der direkt mit der VPM verbunden war, und ist insofern ein interessanter Fall, da er linke antifaschistische Klischees gegen die Logik der Rettung mit einer rechtsradikalen Grundhaltung gegen den »linken Ideologen« Bahro, gegen das »menschenverachtende Gedankengebäude des französischen >Philosophen< Michel Foucault« und gegen die Neue Linke insgesamt vereint. Der Verein hat sich am 4. März 2002 offiziell aufgelöst.
18)
Zu Frank Natale, einer Kultfigur in der Sannyasin-Szene, schreiben Nordhausen und von Billerbeck, er sei einer »der bekanntesten Anbieter von Psycho-Kursen auf dem Esoterik-Markt«, er verkaufe »nicht nur Seminare wie >erfolgreiche Kommunikation<, >würdevolle Sexualität< oder >Feuermänner des Herzens<, sondern auch Trance-Dance-CDs, Bücher und Videos« und veranstalte Rituale mit dem rauschhaften »heiligen Ayahuasca-Drink« (Psychosekten, 161 f, 155).19)
Gemeint ist folgende Passage in den Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten von Marx: »Dieser Kommunismus ist als vollendeter Naturalismus = Humanismus als vollendeter Humanismus = Naturalismus; er ist die wahrhafte Auflösung des Widerstreites zwischen dem Menschen mit der Natur, und mit dem Menschen, die wahre Auflösung des Streits zwischen Existenz und Wesen, zwischen Vergegenständlichung und Selbstbestätigung, zwischen Freiheit und Notwendigkeit, zwischen Individuum und Gattung. Er ist das aufgelöste Rätsel der Geschichte und weiß sich als diese Lösung.« (MEW, Ergänzungsband. l. Teil, 536)20)
Bahro spielt hier auf den Schlußsatz im letzten Abschnitt des 13. Kapitels des ersten Bandes des Kapital an, der überschrieben ist: Große Industrie und Agrikultur. Er lautet: »Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.« (MEW, Bd. 23, 529 f.)21)
Idee eines »Ökologischen Rates«: Die Studie Zukunftsfähiges Deutschland (BUND/Misereor 1996) erwähnt zumindest in einer Fußnote, Rudolf Bahro sei der erste gewesen, der den Vorschlag, einen »Ökologischen Rat« zu schaffen, in die Diskussion gebracht habe (ebd., 422).
22)
Ich hatte diesen Artikel bei der Ausarbeitung der Biographie gelesen und wegen des überscharfen, gegen die SED gerichteten Tons für keinen aus der DDR stammenden Text, sondern für eine Spiegel-Erfindung gehalten und sofort aussortiert.23)
Projektgruppe Strahlen: Bericht zum Projekt: Einsatz von Röntgenstrahlen und radioaktiven Stoffen durch das MfS gegen Oppositionelle - Fiktion oder Realität?, BStU Berlin 2002, 226 Seiten.24)
Ebenda, S. 14, vgl. auch die Ergebnisse von M. Beleites, S. 12 f., und das weiterführende Ergebnis zu anderen Strahlenquellen, S. 42.25)
G. Herzberg: Kein Opfer der Stasi-Bestrahlung, in: FAZ, 11.4.2003.26)
Zu den sachlichen Beziehungen zwischen einigen Stücken Volker Brauns und der Alternative vgl. V. Kirchner: Im Banne der Utopie, Heidelberg 2002,S. 103,115-119,148,158.
Bildnachweis:
Archiv Grünes Gedächtnis der Heinrich-Böll-Stiftung/Ralph Rieth: XIII # Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen: VI u., VII u., VIII o., IX o., # Fotoagentur Zentralbild (dpa): IX u., X, XVI # Gedenkstätte Bautzen/Ronny Heidenreich: VIII u. # Jupp Darchinger: XI u. # Joachim Fisahn: XV u. # Hans-Peter Heinrichs: XI o. # Privatarchiv Gundula Bahro: I, III, IV u.. V, VI o. # Privatarchiv Fritz Boeck: II o. # Privatarchiv Günter Ehmke; IV o. # Privatarchiv Gerda Jun: XV o. # Privatarchiv Marina Lehnert: VII o., XIV # Privatarchiv Horst Spaar: II u. # Friedrich Stark/plata: XIII o.
627
#