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Einführung (2011)

Die Grenzen des Wachstums rücken näher

 

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Die große Geschichte des Bergbaus nahm ihren Anfang vor Zehntausenden von Jahren, als unsere fernen Vorfahren erstmals Löcher in die Erde gruben, um werkzeug­taugliche Steine zu finden. Das war der bescheidene Auftakt einer Revolution, aus der die moderne Bergbauindustrie hervorging, eine Industrie, die heute Milliarden von Tonnen Material abbaut und verarbeitet. Es ist dieser gigantische Zufluss an Mineralrohstoffen, der der weltweiten Industrie­wirtschaft die Energie und die lebenswichtigen Ressourcen liefert, die sie braucht, um auch weiterhin Güter und Dienstleistungen zu produzieren.

Doch während die Ausplünderung der Erde fortschreitet, ist immer häufiger die Befürchtung zu hören, die Bodenschätze könnten uns »ausgehen«. Ängste dieser Art wurden immer wieder als Kassandrarufe verlacht. Und doch dürfen wir nicht vergessen, dass die Erde ein endlicher Planet ist, und auch die Adern sind endlich, die Erze und die Flöze, aus denen wir die Mineralien gewinnen. Die Frage, wie lange diese Vorräte wohl noch reichen werden, ist also durchaus berechtigt.

Und ebenso berechtigt ist die Frage, wie sich deren allmähliche Erschöpfung auf die Wirtschaft auswirken wird  – und zwar schon lange bevor der jeweilige Stoff definitiv nicht mehr zur Verfügung steht.

Und mit noch viel mehr Recht darf man fragen, welche Folgen es haben wird, wenn wir die abgebauten Rohstoffe über das ganze Ökosystem verteilen; es geht also um die Folgen dessen, was wir als »Umwelt­ver­schmutzung« definieren. Viele dieser Materialien sind für den Menschen giftig und der Abbau fossiler Kohlenwasserstoffe führt im letzten Ergebnis zu Kohlendioxid (CO2), das sich auf das gesamte Ökosystem negativ auswirkt und das Erdklima unwiderruflich verändert.

Eine der ersten Studien, die diese Probleme zu analysieren und zu quantifizieren versuchten, erschien 1972 unter dem Titel Grenzen des Wachstums(1). Sie wurde vom Club of Rome gefördert, einer Denkfabrik von Intellektuellen, die sich über die Zukunft der Erde Gedanken machten. Durchgeführt wurde sie von einer Forschergruppe am Massachussetts Institute of Technology. Von Anfang an war die Studie mit dem Ziel konzipiert, ein Gesamtbild zu erstellen und nicht einfach nur die grob vereinfachende Vorstellung von den »zur Neige gehenden Ressourcen« zu behandeln.

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Da man die besten Computer der damaligen Zeit zur Verfügung hatte, konnte die Studie Grenzen des Wachstums die Interaktion verschiedener Parameter des Weltwirtschaftssystems berücksichtigen und Szenarien für die mögliche Entwicklung des Systems bis zum Ende des 21. Jahrhunderts entwerfen. Die steigenden Kosten bei der Ressourcenförderung und beim Kampf gegen die durch die industriellen Prozesse entstehende Umwelt­verschmutzung waren in der Studie einkalkuliert.

Die Ergebnisse ließen für Optimismus wenig Raum. Die Kombination aus Ressourcenverknappung und Schäden, die aus der Umweltverschmutzung herrührten, würde irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft mit Sicherheit das Wirtschafts­wachstum zum Stillstand bringen und einen unumkehrbaren Niedergang des industriellen wie auch des agrarwirtschaftlichen Systems bewirken. Das »Basisfall«-Szenario, das von den zuverlässigsten Daten ausging, die man seinerzeit zur Verfügung hatte, ließ den Beginn des Niedergangs zu einem Zeitpunkt in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts erwarten. Weitere Szenarien, die auf anderen Einschätzungen der Eingabe­parameter beruhten, errechneten den Niedergang für einen späteren Zeitpunkt; vermeidbar erschien er aber auch hier nicht.

Allein ein radikaler Wandel in der Organisation der Weltwirtschaft könnte, so die Studie, den Niedergang verhindern und das Wirtschaftssystem langfristig stabilisieren. Um dieses Ziel zu erreichen, empfahlen die Autoren Maßnahmen wie die Begrenzung des industriellen Wachstums und des Abbaus von Mineralressourcen. Empfohlen wurden auch nachhaltige Verfahren in Industrie und Landwirtschaft sowie geeignete Maßnahmen zur Begrenzung des Bevölkerungswachstums.

Es ist unnötig zu erwähnen, dass keine dieser Maßnahmen je in die Praxis umgesetzt wurde. Die Geschichte der Grenzen des Wachstums ist nicht nur die Geschichte einer wissenschaftlichen Untersuchung; sie erzählt auch davon, wie schwer es unserer Gesellschaft fällt, Zukunftsplanungen zu entwickeln. Die Veröffentlichung des Buchs im Jahr 1972 trat eine hitzige Debatte los, die im Lauf der Jahre in eine regelrechte Schmutzkampagne ausartete. Dadurch wurden die Glaubwürdigkeit der Studie und der Ruf der Autoren unterminiert. Am Ende war die Öffentlichkeit überzeugt, dass die Studie Grenzen des Wachstums nichts weiter als eine Reihe falscher Vorhersagen war und ihre Verfasser eine Gruppe verblendeter, womöglich halb-irrer Wissenschaftler, die geglaubt hatten, uns würden demnächst sämtliche Bodenschätze nicht mehr zur Verfügung stehen.

Das war aber nicht richtig. Keines der in der Studie Grenzen des Wachstums entwickelten Zukunftsszenarien sagte voraus, dass der Menschheit vor dem Ende des 21. Jahrhunderts irgendetwas »ausgehen« würde. Die Szenarien basierten vielmehr auf der einleuchtenden Überlegung, dass fortschreitende Verknappung zwangsläufig eine Erhöhung der Förderkosten bewirken müsse, während die Anhäufung von Abfällen die Kosten im Kampf gegen die Umweltverschmutzung in die Höhe treiben würde.


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Aus eben diesen Kostensteigerungen, und nicht aus der simplifizierenden Vorstellung vom »Ausgehen« der Bodenschätze, entwickeln die in der Studie verwendeten Modelle die »Grenzen des Wachstums«. Die Grenzen des Wachstums wie auch die Folgeberichte von 1982 und 2004 wurden durch spätere Studien2,3 überprüft und bestätigt und man hat nachgewiesen, dass der Kurvenverlauf der weltwirtschaftlichen Parameter bis heute dem Basismodell doch recht eng gefolgt ist4. Die Studie hatte sich nie zum Ziel gesetzt, den genauen Zeitpunkt für den Beginn des Niedergangs festzulegen. Deshalb geht es gar nicht um die Frage, ob eines der konkreten Szenarien diesen Punkt korrekt angesetzt hat. Es kann aber sehr wohl sein, dass das Basisszenarium der Studie in seiner Einschätzung richtig lag, dass nämlich die Kombination von Verschmutzung und Verknappung sich in den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts allmählich als Hemmschuh für das Wirtschaftswachstum erweisen würde. Das könnte eine Erklärung für die Verwerfungen sein, die wir heute in der Weltwirtschaft beobachten.

Angesichts dieser Situation war es mit Sicherheit nicht besonders klug, die Durchführung systemischer Studien zur Entwicklung der globalen Industrie als eine Funktion der Ressourcenknappheit abzubrechen und aufzugeben, wie dies in der Welle des Optimismus der 1990er Jahre geschah, als die Mehrheit der Menschen vorübergehend überzeugt zu sein schien, das Internet werde uns eine immerwährende Ära unbegrenzten Wohlstands bringen.

Heute ist das Interesse am Thema Ressourcenknappheit neu erwacht; es sind zahlreiche einschlägige Bücher und Artikel erschienen5–11. Einige dieser Studien kommen zu dem Schluss, dass wir uns in der Tat einem Punkt nähern, an dem die fortschreitende Erschöpfung billiger Bodenschätze zu einem wichtigen Begrenzungsfaktor für das Wachstum der Wirtschaft geworden ist, ja die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Niveaus der Wirtschaftsleistung in Frage stellt.

Das Problem der schwindenden Bodenschätze ist umso gravierender, als es parallel mit der beschleunigten Zerstörung der Ökosysteme auftritt, die sich derzeit vor allem in Form des Klimawandels zeigt. Die Temperaturen steigen weltweit an, dazu treten eine Menge weiterer Probleme auf, wie die Versauerung der Meere, Dürren, der Verlust an Biodiversität oder die Verschärfung von Extremwetterereignissen, um nur einige, hinlänglich bekannte Aspekte zu nennen.

Bei diesen Phänomenen besteht das Problem nicht allein darin, dass uns etwas ausgeht oder dass wir die globale Erwärmung abmildern müssen. Diese Symptome sind nichts weiter als der sichtbare Ausdruck der vollständigen Umwandlung des gesamten Ökosystems Erde, verursacht durch das Eingreifen des Menschen.

So wird der Aufruf zum Handeln, den die Studie Grenzen des Wachstums schon im Jahr 1972 an uns alle gerichtet hat, zunehmend dringlicher.


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Wir müssen der Zerstörung des Ökosystems und dem Schwinden der Mineralvorräte mit höherer Effizienz in allen Bereichen der Industrie begegnen – mit dem verstärkten Einsatz erneuerbarer Ressourcen und mit der Entwicklung effizienter Recyclingprozesse, um die Lebensdauer der verbleibenden Ressourcen zu verlängern (vgl. die Beiträge von Jakobi, S. 286ff. und Gutberlet, S. 301ff.).

Will man diese Probleme wirksam bekämpfen, braucht man eine funktionierende Wirtschaft, die für den Ersatz von fossilen Brennstoffen durch nicht kohlenstoffbasierte Ressourcen, für Minderungsmaßnahmen und eventuell auch für gewisse, risikoarme Formen eines »Geo-Engineering« die notwendigen finanziellen Überschüsse zur Verfügung stellen kann. Nur so können wir uns der doppelten Herausforderung von Ressourcenverknappung und Klimawandel stellen, mit der sich die Menschheit in den kommenden Jahren auseinandersetzen muss.

Das vorliegende Buch gibt einen Überblick über die Idee des Rohstoffabbaus im Kontext der Erdsystemwissenschaft und im Zusammenhang mit ihren Auswirkungen auf Wirtschaft und Ökosystem. Es stützt sich auf die Sachkenntnis, die der Hauptautor, Ugo Bardi, mit seinem früheren Werk La Terra Svuotata (Editori Riuniti, 2011), das sich mit dem gleichen Thema befasst, gewonnen hat.

Es handelt sich hier aber nicht um eine Übersetzung des ursprünglichen Buchs, sondern um einen neu verfassten Text, der beim Thema Mineralverknappung mehr in die Tiefe geht und die Verknüpfung von Mineral­abbau mit Umweltverschmutzung und Klimawandel expliziter und detaillierter herausarbeitet.

Die Aufgabe des Buchs besteht nicht darin, für bestimmte Mineralressourcen detaillierte Vorhersagen zu treffen; vielmehr wird eine globale Sicht auf die vielen Fragen angestrebt, die mit dem Prinzip des Ressourcenabbaus und seiner Auswirkung auf das Ökosystem verbunden sind. Untersucht wird die große Periode des Bergbaus, die vor Zehntausenden von Jahren begann und heute Symptome aufweist, die auf einen Prozess des Niedergangs hindeuten.

Das Buch erzählt die Geschichte des Bergbaus bis zum heutigen Tag und gibt einen Überblick über die Prozesse der Frühzeit, in deren Verlauf die Bodenschätze, die wir heute noch abbauen, entstanden sind. Es stellt die Frage, was uns denn überhaupt noch übrig bleibt für einen Abbau unter vernünftigen Bedingungen, und schildert die dynamischen Prozesse, die aller Wahrscheinlichkeit nach dazu führen werden, dass die Wirtschaft in Zukunft immer weniger Material zur Verfügung haben wird. Es umreißt die Konsequenzen für das Ökosystem, die sich aus der Verteilung von großen Mengen an Mineralien und Schutt aus dem Abbauprozess ergeben. Und schließlich versucht das Buch, eine Strategie zu entwerfen, zum Erhalt einer Gesellschaft, die, was den Energiefluss und erwirtschafteten Überschuss betrifft, mit der heutigen vergleichbar ist – wohl wissend, dass uns der bisher so selbstverständliche Vorrat an billigen Mineralrohstoffen dann nicht mehr zur Verfügung stehen wird.

Die Aufgabe, die Zukunft bestimmter Ressourcen zu untersuchen, wird von einer Gruppe von Experten in ihren Beiträgen übernommen. In diesen Ausblicken geht es darum, die Situation anhand einiger zentraler relevanter Rohstoffe zu beleuchten. Darüber liefern sie Einblicke in einige mit Ressourcenmanagement verknüpften Probleme, welche die Autorinnen und Autoren in der aktuellen Situation für besonders signifikant hielten. Bei der Konzeption wurde nicht der Versuch unternommen, alle die Mineralressourcen, die zurzeit in der Weltwirtschaft auf dem Markt sind, abzudecken. In einer jährlich aktualisierten Erhebung listet der United States Geological Survey 88 solche Ressourcen auf und es macht keinen Sinn, wenn es hier zwischen beiden Arbeiten zu Überschneidungen kommt. Stattdessen haben wir Themen ausgewählt, die von Relevanz zu sein scheinen, entweder was die besondere Bedeutung der untersuchten Ressourcen betraf (zum Beispiel der fossilen Brennstoffe) oder auch für den Zugang zu Themen, die für umfassende Veränderungen verantwortlich sind, welche sich gerade in der Weltwirtschaft vollziehen (zum Beispiel partizipatorische nachhaltige Abfallwirtschaft).

Die Autorinnen und Autoren wurden also gebeten, sich um eine langfristige Perspektive zu bemühen und auf weltweite Trends zu konzentrieren, den Akzent also nicht auf kurzfristig schwankende Dinge wie etwa die Preise der wichtigsten Rohstoffe zu setzen. Dabei ist eine Reihe von sechzehn Ausblicken herausgekommen, die zu verschiedenen Aspekten der heutigen Mineralindustrie und zu den möglichen Zukunftstrends ein richtiges Bergwerk (um im Bild zu bleiben) an Informationen liefern.

Vorhersagen sind immer schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Insofern sind die Ausblicke nicht als Prognosen zu betrachten, sondern als Hinweise auf das, was kommen wird.

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