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18  Ausblicke 

 

 

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So, wie es für die Opfer von sexuellem Mißbrauch wahrscheinlich nur Heilung gibt, wenn sie ihrem inneren Wesen, einem inneren Halt und der spirituellen Dimension ihres Seins öffnen, wird auch unsere Gesellschaft sich nur dann verändern, wenn die Bereitschaft entsteht, neue menschliche Werte zu entwickeln und zu leben; bleibt sie aber weiterhin nur auf äußerliche, materielle Werte ausgerichtet, so wird sie ihre moralische und öko­nomische Stabilität nicht bewahren können. In einer Kultur, die Besitz, Erfolg, Konsum, Gewinn zum Mittel­punkt ihrer Ethik macht, wird es immer auch Ausbeutung und Mißbrauch als Schattenaspekte geben.

Eine Wende ist also nur über die Veränderung der Einstellung und die Bereitschaft herbeizuführen, die eigenen Schattenseiten, also Aggression, Gewalt, Perversion, anzuschauen und zu überwinden. Das gilt sowohl für die Gemeinschaft als auch für den einzelnen.

Konkret heißt das für jeden von uns, seine Wachsamkeit zu schärfen und sexuellen Mißbrauch wahrzu­nehm­en. Jeder kennt Täter. Auch noch so gute Aufklärung verfehlt ihr Ziel, wenn wir weiterhin wegsehen. Wir müssen die Bereitschaft zu wirkungsvolleren Hilfeleistungen entwickeln. Dazu gehört, daß das Thema des sexuellen Mißbrauchs endlich auch in der Ausbildung von Pädagogen, Erzieherinnen, Therapeuten, Polizisten, Juristen und Ärzten behandelt wird. Dazu gehört die Einrichtung von weiteren Familien­beratungs­stellen und von Therapiezentren in jeder größeren Stadt. Dazu gehört ein bundesweites Nottelefonnetz, das rund um die Uhr von Fachkräften besetzt sein müßte. Dazu gehört die kommunale Unterstützung der Selbst­hilfegruppen. Es gehören Kampagnen zur Aufklärung potentieller Täter über die Folgen des sexuellen Miß­brauchs dazu, möglichst schon in den Schulen, in der Ausbildung, beim Militär, und die Elternarbeit während der Schwanger­schaft, die auf die Erziehung und den Umgang mit dem Kind vorbereitet.

Täter dürfen sich nicht länger damit entschuldigen, daß sie selbst Opfer von Tätern waren. Wir müssen endlich damit anfangen, den Täter-Opfer-Kreislauf zu durchbrechen. Dazu ist eine vorurteilsfreie Therapieform dringend erforderlich. In der Bundesrepublik sollte ein Netzwerk geschaffen werden, das alle beteiligten Institutionen und Behörden miteinander verbinden und so den Kommunikationsmangel der Stellen untereinander beheben könnte. Dadurch ließen sich auch die einzelnen Schritte von der Präventivarbeit bis zur Gerichtsverhandlung koordinieren, und es würden übergreifende Konzepte zur Hilfe möglich.

»Kinder gehören zu den Schwächsten in unserer Gesellschaft. Sie vertrauen uns und sind auf unseren Schutz und unsere Hilfe angewiesen. Wir müssen sie vor den Perversionen der Erwachsenen schützen«, erklärt Bundes­justizminister Klaus Kinkel. Wenn diese Aussage ernst genommen werden soll, müssen neue gesetz­liche Bestimmungen folgen. Ein Jahr für den Besitz von Kinderpornographie — im Moment noch schützen die Mißbraucher, die Erwachsenen, doch eher sich selbst.

Und was ist mit den Verjährungsfristen für sexuellen Mißbrauch? Politiker sollten erkennen, daß dringend Handlungsbedarf besteht. Wir dürfen nicht länger hinnehmen, daß orale Vergewaltigung schon nach fünf Jahren und Geschlechtsverkehr mit einem Kind nach zehn Jahren verjährt ist — so daß eine Minderjährige vor Gericht ziehen muß, um den Täter — oft den eigenen Vater — zur Rechenschaft zu ziehen. Auch ein Umdenken von Richtern und Staatsanwälten ist gefordert: Prozesse, in denen drei oder sogar fünf Jahre über die Glaubwürdigkeit des Opfers anstatt über die Taten des Angeklagten verhandelt wird, sollten endlich der Vergangenheit angehören.

In den letzten Jahren ist ein Erkenntnisprozeß darüber in Gang gekommen, daß wir mit weiterer ungehemmter Ausbeutung der Natur auch uns selbst vernichten. 

Ebenso sollten wir erkennen, daß unsere Zukunft in unseren Kindern liegt. Wollen wir unsere Zukunft mutwillig zerstören?

 

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