Thea Bauriedl

Die Wiederkehr
des Verdrängten

 

Psychoanalyse, Politik
und der Einzelne

 

1986 bei Piper  

Thea Bauriedl :  Die Wiederkehr des Verdrängten   (1986)   Psychoanalyse, Politik, Der Einzelne   - 

1986

242 Seiten

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Die Autorin plädiert dafür, die zahlreichen Stellen, an denen gegenwärtig diese Wiederkehr des Verdrängten zu sehen ist, nicht nur als Gefahr zu sehen, sondern auch als Chance anzunehmen, vielleicht als die letzte Chance, die wir noch haben.


Inhalt

Vorwort  (9)    Inhalt-DNB     Anmerkungen  (243) 


 Thea Bauriedl,
geboren 1938 in Berlin, Dr. phil., Diplompsychologin, ist Privatdozentin an der Universität München und Dozentin an der Akademie für Psychoanalyse, München. Sie leitet das private Institut für Politische Psychoanalyse, München, und gibt dort die Zeitschrift »Anmerkungen« heraus. 


Es kann aber nichts verändert werden, wenn nicht ich selbst mich verändere — dies ist, verein­facht, das, was Thea Bauriedl die psychoanalytische Revolutions­theorie nennt: Ich muß meine Beteiligung an der Unter­drück­ung erkennen, das also, was ich davon habe, unterdrückt zu sein — etwa Angstfreiheit, ein Feindbild, schein­bare Sicherheit, Nähe und Wärme in der eigenen Gruppe, auch das Gefühl, moralisch »gut« zu sein —, um an der Auflösung der Unterdrückung mitwirken zu können... Es sieht so aus, als entwickele sich aus diesem Ansatz die erste in die Breite gehende Verbindung von Politik und Psychoanalyse seit 1968.   

Hildegard Baumgart, DIE ZEIT 

Die bekannte Psychoanalytikerin zielt mit ihrem Buch auf den inneren Zusammenhang von Persönlichem und Politischem. Die Grunderfahrung der Psychoanalyse, daß alles Verdrängte unausweichlich und mit oft verheerenden Folgen wiederkehrt, überträgt Thea Bauriedl auf die Gesellschaft: Phänomene wie z.B. Angst, strukturelle Gewalt, unter­drückte Minderheiten, Natur­zerstörung und atomare Hochrüstung müssen für uns endlich Anlaß sein, die Wieder­kehr des Verdrängten als Chance zur positiven Veränderung anzunehmen.

Gewalt, Krieg und Naturzerstörung sind keine unausweichlichen Katastrophen, die ohne unser Zutun über uns hereinbrechen. Jeder einzelne ist an ihrem Zustande­kommen beteiligt; deshalb kann er sich auch daran beteiligen, daß ein menschlicheres Miteinander in der Politik und im Verhältnis zur Natur entsteht.

Vor dem Hintergrund ihrer psychoanalytischen Erfahrungen mit einzelnen, Paaren, Familien und Gruppen, aber auch aufgrund vieler Gespräche mit verschiedenen Politikern und politischen Gruppierungen zeigt Thea Bauriedl, wie ähnlich die Beziehungs­störungen im großen und im kleinen, in der Politik und in der Familie sind. Macht und Ohnmacht in zwischen­menschlichen Beziehungen beruhen auf Unbewußtheit; sie können deshalb durch die »Wiederkehr des Verdrängten« ins Bewußtsein aufgelöst werden. 

Teil A:  Psychoanalyse als politische Wissenschaft  (13)

1. Kann man Erkenntnisse aus der Psychoanalyse auf die Politik übertragen?  (15)  Die Übermacht »objektiver« Strukturen (15)  Die »Realpolitik« und ihre Strategien (18)  Macht oder Potenz? (22) d) Die Angst — Gefahr oder wichtiges Signal? (29)  Psychoanalyse des Individuums — Psychoanalyse der Massen? (34)  Die Krankheit des einzelnen und die Krankheit der Gesellschaft (42)  Widerstände gegen die Verbindung von Psychoanalyse und Politik (46)  Die Chancen einer psychoanalytisch verstandenen Politik (55)

2. Geht das revolutionäre Potential der Psychoanalyse verloren?  (58)  a) Revolutionäre Anstöße der Psychoanalyse in der Zeit um die Jahrhundertwende (59) b) Anpassungsversuche der Psychoanalytiker, damals und heute (61)  c) Anpassungsversuche in der psychoanalytischen Theorie (65)  d) Die Revolutionstheorie der Psychoanalyse (69)  e) Die Angst der Psychoanalytiker, sich politisch zu engagieren (77) 

3. Der Traum als Hüter des Schlafes — ein politisches Thema  (84)  a) Der Schlaf als Rückzug aus der Außenwelt (86)  b) Über die Stabilisierungsfunktion und die Gefährlichkeit der Abwehrmechanismen (87)  c) Das Veränderungspotential des Unbewußten in den Träumen (93) 

Teil B:  Macht beruht auf Unbewußtheit  (101) 

4. Die Aufhebung von Unbewußtheit  (103)  a) Unbewußte Abhängigkeiten  103   b) Die Wiederkehr des Verdrängten  116  c) Veränderung des Bewußtseins - Veränderung des Verhaltens 121

5. Emanzipation als Verzicht auf die Macht  (126)  a) Was ist Emanzipation? (126)  b) Machtbeziehungen (127)  c) Befreiung durch Verzicht auf die Macht  (141)

6. Feindbilder in Familien — ihre Entstehung und ihre Auflösung  (145)  a) Bündnisstrukturen in Familien (147)  b) Die Veränderung des einzelnen im System und die Veränderung des Systems durch den einzelnen (153)  c) Neue Perspektiven für die psychoanalytische Theorie (157) 

Teil C: Das zentrale Problem der Politik:  Gewalt   (159) 

7. Gewalt und Gewaltlosigkeit  (161)  a) Strukturelle Gewalt und strukturelle Verantwortungslosigkeit (161)  b) Der moralische Krieg als Vorstufe gegenseitiger Vernichtung (168)  c) Gewalt und Krieg als Perversion der Sexualität (174) 

8. Die Weltraumrüstung, ein Symptom des kollektiven Größenwahns  (181)   a) Die Angst vor dem Verlust der Hegemonie 183  b) Der Wahn: Paranoia und irreale Rettungsphantasien 192  c) Die Auflösung des Wahns: Jeder einzelne ist daran beteiligt (198) 

Teil D. Der einzelne und die Gesellschaft  (205) 

9. Kann der einzelne die Gesellschaft verändern?  (208)  a) Zielorientiertes und prozeßorientiertes Denken  210  b) Um welche Veränderungen geht es?  213  c) Wünsche, Ängste und Widerstände  219  d) Kampf gegen den Widerstand oder Lernen am Widerstand? (223) 

10. Das Persönliche ist politisch  (226)  a) Die Trennung von Persönlichem und Politischem (226)  b) Die private und die gesellschaftliche Unbewußtheit und ihre Folgen (234)  c) Prinzipien der Veränderung unmenschlicher Herrschaftsstrukturen (236) 

   

Vorwort

9

Wir leben in einer Zeit existentieller Bedrohung und gleichzeitig in einer Zeit großer gesellschaftlicher Veränderungen. Angstvoll fragen sich viele Menschen: Nähern wir uns dem gemeinsamen Selbstmord, oder ist noch eine Veränderung möglich, die uns und unseren Kindern menschenwürdigere Lebens­bedingungen schafft?

Die zunehmende Gefahr alles vernichtender atomarer Kriege, die fast unausweichlich näherrückende Gefahr ökologischer Katastrophen und die parallel dazu wachsende Gefahr der weiteren Entdemokratisierung unserer Gesellschaft, alle diese Gefahren haben Ursachen, die in der Unbewußtheit des einzelnen und des Kollektivs zu finden sind. Wir nehmen nicht wahr, daß wir so vieles verdrängen, und halten das, was wir wahrnehmen, für die vollständige Realität. 

Vor allem unsere Abhängigkeiten und unsere »Lebensinteressen« sind uns so wenig bewußt, daß wir uns durch eigene und fremde Machtinteressen immer weiter einschränken lassen. Wir phantasieren, daß immer der Schwächere von Stärkeren abhängig ist, und müssen deswegen selbst immer bei den Starken sein. Wir erkennen die Gefahren zu wenig, die unser aller Leben bedrohen, und können deswegen auch nur wenig tun, um uns zu retten.

Wenn die Angst zu groß wird, nehmen wir die Gefahr nicht mehr wahr. Wenn die Unterdrückung in den Menschen und zwischen den Menschen zu groß wird, taucht das Verdrängte und Unterdrückte wieder auf. Wir alle sind diesen Mechanismen ausgeliefert. Sie laufen in uns und zwischen uns ab, ohne daß wir an den Mechanismen selbst etwas ändern können.

Was wir können, ist: uns auf diese Mechanismen einstellen und mit der Wiederkehr des Verdrängten arbeiten anstatt gegen sie.

Mit dem Begriff »Die Wiederkehr des Verdrängten« wollte Freud zeigen, daß nicht die Fortsetzung der Verdrängung, sondern ihre Aufhebung zur psychischen Gesundheit führt. Gegenwärtig kehren viele bisher beiseite geschobene oder unbewußt gemachte Wünsche, Ängste, Gefahren, Möglichkeiten, »verdrängte« Minderheiten und auch »verdrängte Abfallprodukte« im materiellen Sinn ins allgemeine Bewußtsein zurück. Wenn wir die Wiederkehr bzw. das Bewußtwerden dieser »Minderheiten« nicht nur als ein Anzeichen für unseren bevorstehenden Untergang, sondern das Bewußtwerden selbst auch als Chance, vielleicht als letzte Chance, für uns verstehen können, dann dienen wir gleichzeitig unserer privaten und unserer gesellschaftlichen Gesundheit.

Mit dem Aufzeigen der Analogie zwischen psychischer (und somatischer) Krankheit beim Individuum und in der Gesellschaft möchte ich die künstliche Trennung zwischen Psychoanalyse und Politik aufheben, die beide Disziplinen in der Vergangenheit hat verarmen lassen. Ich glaube, daß die Psychoanalyse nur von Bedeutung bleiben kann, wenn sie ihre politische Bedeutung - auch in einzelnen Therapien - begreift. Ich glaube aber auch, daß die Politik eine Chance hat, zur »sanften Politik« zu werden, die die lebendigen Bedürfnisse und Ängste der Menschen - auch der Politiker - respektiert, wenn sie Erkenntnisse aus der Psycho­analyse einbezieht, die ich hier darstelle.

Nicht ich übertrage die psychischen Mechanismen der einzelnen und des Kollektivs - in vielleicht als unzulässig angesehener Weise - auf die Politik. Ich versuche, ein Bewußtsein dafür zu wecken, daß und wie sie ständig auch im politischen Rahmen von Bedeutung sind. Dieses Bewußtsein, das ist meine Hoffnung, kann uns vielleicht helfen, auch in der Politik zu einem »ökologischen«, unsere gegenseitigen Abhängigkeiten erkennenden Denken zu kommen. Dadurch entstünde gleichzeitig ein größeres persönliches Verantwortungsbewußtsein und auch mehr individuelle Handlungsfreiheit.

Ich meine, daß an solchen Veränderungen jeder einzelne beteiligt ist. Er entscheidet darüber, ob sich an seiner Stelle eine Veränderung des allgemeinen Bewußtseins ereignet oder nicht.

Einige Kapitel dieses Buches (Kapitel 2, 3 und 5) entstanden aus Veröffentlichungen, die schon in psychoanalytischen Fach­zeitschriften erschienen sind. Ich habe mich bemüht, sie so umzuarbeiten, daß sie für ein allgemeines Publikum verständlich sind. Die neu geschriebenen Kapitel entstanden zum Teil aus Vorträgen, die ich in den letzten Jahren an verschiedenen Stellen gehalten habe. In diesen Teilen des Buches habe ich versucht, Psycho­analyse auf die für mich wichtigsten Grundprinzipien zu reduzieren und zu konzentrieren. Ich habe dabei Vereinfachungen nicht nur in bezug auf psychoanalytisches, sondern auch auf medizinisches und politikwissenschaftliches Wissen in Kauf genommen. Es war mir wichtiger, für möglichst viele Leser verständlich zu sein, als an Details der Fachwissenschaften zu arbeiten.

Dieses Buch enthält Gedanken und Hoffnungen unserer Zeit, wie ich sie an vielen Stellen, in meinen Therapien, bei meinen Studenten, in Gesprächen mit verschiedenen politischen Gruppen, mit Politikern, Politikwissenschaftlern und psychoanalytischen Kollegen angetroffen habe. Ich danke allen meinen Gesprächspartnern, daß sie mir durch ihre ernsthafte Kritik geholfen haben, meine Wahrnehmung zu differenzieren. Ich hoffe, daß dieses Bemühen um die Veränderung und Erweiterung zunächst der eigenen Wahrnehmung in dem Buch deutlich wird — und vielleicht auch ansteckend wirkt.

Ich danke auch Frau Renate Dörner vom Piper-Verlag für die verständnisvolle Betreuung, und Frau Dr. Heidi Bohnet für die ermutigende und kritische Hilfe bei der Redaktion des Buches.

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