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5.1  -  Etienne Cabet — Reise nach Ikarien

wikipedia  Étienne_Cabet  *1788 in Dijon bis 1856 (68)     wikipedia  Ikarien  

 

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Man mag eine gewisse Scheu entschuldigen, wenn man ein Buch behandelt, von dem der Autor sagt: Es ist ein Roman, dieses Buch; aber zugleich handelt er über Ernstes: über Politik, Staatshaushalt, Sitten, Gesetze, Ehe, Philosophie und Moral. Wir haben lange und viele, ausgedehnte und tiefe Studien zu machen für nöthig befunden, um ihn zu verfassen.  Auch ist es wiederum ziemlich entwaffnend, wenn Cabet selbst uns mitteilt, daß dieses Werk ein Ergebnis unsrer Liebe zur Menschheit sei.

Die zweite Behauptung ist wahrscheinlich genauer als die erste. Etienne Cabet gehörte zu jenem Typ von Gesellschaftsreformern, deren Liebe zur Menschheit so grenzenlos ist wie ihr Vertrauen in die eigene Stärke, ihre Erlösung herbeiführen zu können.

Cabet wurde 1788 in einer Familie der Arbeiterklasse geboren, doch er erhielt eine gute Ausbildung und wurde ein ziemlich angesehener Anwalt. Schon als Junge reizte ihn die Politik. Er war Anhänger einer aufgeklärten Monarchie, und als Louis Philippe, auf den er große Hoffnungen gesetzt hatte, König wurde, wurde er zum Generalbevollmächtigten von Korsika ernannt. Er war jedoch so unbesonnen zu glauben, er könne dem König Ratschläge geben und fiel bald in Ungnade und verlor seine Stellung. Er kehrte nach Paris zurück und widmete sich der von ihm gegründeten Zeitung Le Populaire, deren Herausgeber er war; 1834 wurde er wegen eines von ihm verfaßten Artikels verfolgt. Er wurde zu zwei Jahren Gefängnis oder fünf Jahren Exil verurteilt. Cabet wählte letzteres und nahm Zuflucht in England.

Im Mai 1834 traf er in London ein, und nach der fieberhaften Aktivität, die er als Anwalt, Journalist und Abgeordneter der National­versammlung an den Tag gelegt hatte, bedrückte der unfreiwillige Müßiggang ihn sehr. Er konnte keinen Kontakt zu den Engländern aufnehmen, denn er beherrschte die Sprache nicht und laut seinem Biographen J. Prudhommeaux waren die fünf Jahre in London für ihn ein einziges Gefängnis. Wie andere berühmte Verbannte nahm er Zuflucht im British Museum, und dort machte er auch die ausgedehnten und tiefen Studien zu seiner Reise nach Ikarien. Die Annehmlichkeiten der Bibliothek sind wahrscheinlich verantwortlich für die mangelnde Originalität seiner Schrift.

Cabets Notizen für die Vorbereitung seiner Utopie, die tausend kleine Seiten bedecken, sind erhalten, und die Frage der Quellen ist daher weniger spekulativ als in den meisten anderen Fällen. Cabet arbeitete gewissen­haft. Er las, wenn auch nicht immer den Originaltext, so doch wenigstens Analysen der meisten Utopien, und mit besonderer Sorgfalt studierte er Harringtons Oceana, doch vor allem Morus' Utopia. Wenn wir ihm glauben dürfen, so war es Morus, der ihn veranlaßte, das System der Gütergemeinschaft zu studieren. 

Als Cabet erst einmal entdeckt hatte, daß "die Quelle des Unheils könnte füglich in der schlechten Organisation der Gesellschaft zu finden sein. Und das Wurzelübel dieser schlechten Organisation, ist das nicht eben die Ungleichheit, die derselben als Grundlage dient?", begann Cabet mit der methodischen Suche nach Denkern, Philosophen, Propheten und Bewegungen der Vergangenheit, die ähnliche Ansichten geäußert hatten. Er entdeckte, daß er eine große Zahl Verbündeter hatte; nicht nur utopische Schriftsteller, sondern seiner Meinung nach konnte er sich auch auf andere berufen: 

auf Jesus Christus, den großen Reformator der Menschheit, der als princip das Bruderthum proklamirt; auf manche Kirchenväter; auf die Christen der Urzeiten; auf die Kirchenreform und deren zahllose Anhänger; auf die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts; auf die Revolution der Nordamerikaner; auf die französische Revolution: — diese weltumändernden Begebenheiten verkündeten die Gleichheit, die Bruderschaft aller Völker und aller Personen in diesen Völkern.

Obwohl Cabet es ungern zugab, war er mittelbar und unmittelbar stark von den kommunistischen Ideen der Babeuvisten beeinflußt. Er hatte Philippe Buonarottis Babeuf und die Verschwörung für die Gleichheit (Conspiration pour l'egalite dite de Babeuf), das 1828 erschienen war, gelesen, und obwohl diese Schrift zu der Zeit wenig Eindruck auf ihn machte, entlehnte er unbewußt viele der Ideen, die die babeuvistische Bewegung beflügelt hatten. 

Außerdem hatten der Plan zur Errichtung einer Gesellschaft der Gleichen und einer großen nationalen Wohlstands­gemeinschaft, die Übergabe aller Verwaltungsmacht an einen zentralisierten Staat, die Übertragung der Souveränität auf den allgemeinen Willen der Gemeinschaft, wie es Babeuf und seine Verbündeten gefordert hatten, den sozialistischen Gedanken in Frankreich in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts stark beeinflußt.

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David Thompson hat in seinem Buch Die Verschwörung Babeufs (The Babeuf Plot) darauf hingewiesen, daß das Hauptinteresse des französischen Sozialismus immer die vollkommene Gleichheit der Menschen gewesen ist und daß er, um dies zu erreichen, bereit war, dem Staat die Freiheit des Individuums zu opfern. 

Während in England auch der größte Leveller Gerrard Winstanley versuchte, Gleichheit mit der größtmöglichen persönlichen Autonomie zu verbinden und die Funktionen des Staates auf ein Minimum reduzierte, erhielt in Frankreich der Staat die Aufgabe, die große nationale Wohlstandsgemeinschaft zu errichten und aufrechtzuerhalten, die die Gleichheit aller Bürger garantieren sollte. Während die Worte Gemeinschaft von Wohlstand, Gleichheit und Brüderlichkeit in den babeuvistischen Schriften immer wiederkehren, wie später auch bei Cabet, werden die Worte Freiheit oder individuelle Rechte niemals erwähnt, und ein möglicher Konflikt zwischen den Interessen des Staates und denen des Individuums wird vollkommen geleugnet.

Wenn es auch kaum einen Unterschied zwischen dem praktischen Programm der sozialen Neuordnung, wie sie die Babeuvisten forderten, und Cabets Vorstellungen gibt, gingen sie doch bezüglich der anzuwendenden Mittel zur Errichtung ihres komm­unistischen Regimes weit auseinander. Während Babeuf mit Hilfe einer kleinen, gut organisierten Partei die Regierung gewaltsam stürzen wollte, glaubte Cabet, daß

die Gemeinschaft sich organisiren und eine zahlreiche, auf geschichtlicher Vergangenheit ruhende Nation sich in eine güter­gemeinschaftliche umbilden kann. Unsrer Überzeugung nach darf und kann dieser Schritt durchaus nicht plötzlich geschehen, nicht mit Gewalt, nicht mit List; sondern nur allmählich, auf dem Wege des Einwilligens, Überzeugens, der Verständigung; es muß die öffentliche Meinung gewonnen werden.

Auch maß Cabet der industriellen Entwicklung größere Bedeutung zu als sein Vorläufer und behauptete, daß

die immer mehr ausgebildete Industrie sich als Instrument eingefunden hat, mit welchem man, durch Hülfe der Maschinen und des Dampfes, die producirende Kraft ins Unendliche steigern und einen gleichheitlichen Reichtum über die Allgemeinheit verbreiten könnte, den man in frühern Epochen nicht in solchem Maaße zu erzeugen im Stande war. Die Künste und Wissenschaften würden ungemein dabei gewinnen.*

Wahrscheinlich führte Robert Owens Beispiel, mit dessen Schriften Cabet in London bekannt wurde, ihn dazu, seinen Theorien eine praktische Form zu geben, indem er einige ikarische Gemeinschaften in Amerika gründete.

Seine Reise nach Ikarien, die zum ersten Mal 1839 in einer begrenzten Auflage und unter dem Titel Voyage et Aventures de Lord William Carisdall en Icarie erschien, wurde unter ihrem jetzigen Titel im Januar 1840 neu aufgelegt und war ein unmittelbarer Erfolg; von 1840 bis 1848 gab es fünf Auflagen. Mitten in einer Zeit von großer Arbeitslosigkeit und Armut in der französischen Arbeiterklasse wurde Cabets Utopie mit außergewöhnlicher Begeisterung begrüßt.

*  Vorwort zur 2. Auflage von Voyage en Icarie (1842).

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Arbeiter, die sich das Buch nicht leisten konnten, legten zusammen, um es kaufen zu können, überall in Frankreich entstanden Gesellschaften von Anhängern der sozialreformerischen Ideen Cabets, und es wurde Geld gesammelt, um ikarische Gemeinschaften in Amerika zu gründen.

Ungefähr 1847, am Vorabend der 1848er Revolution, beschloß Cabet, sein System in die Praxis umzusetzen und fing an, Mitglieder anzuheuern, die den Kern einer neuen Nation in Amerika bilden sollten. 1847 kam Cabet nach London, um Owen über den Standort der ersten Kolonie zu konsultieren, und er erhielt den Rat, sie in Texas zu gründen. Dies erwies sich als kein glücklicher Vorschlag, und nachdem die ersten ikarischen Kolonisten vergeblich versucht hatten, sich in Texas anzusiedeln, zogen sie in eine ehemalige Mormonenkolonie in Nauvoo bei St. Louis, wo Cabet selbst die Leitung übernahm (nachdem er eine aktive Rolle in der Pariser Revolution von 1848 gespielt hatte, während der er Leiter eines der einflußreichsten sozialistischen Clubs war). 

1853 war er jedoch gezwungen, nach Paris zurückzukehren, und nach seiner Abreise wurde die Gemeinschaft durch innere Streitigkeiten geschwächt. Als Cabet nach Amerika zurückkehrte, war er nicht in der Lage, die Kolonie wieder auf eine feste Grundlage zu stellen, und 1856 starb er als enttäuschter Mann. Nichtsdestoweniger bestanden ikarische Gemeinschaften mehrere Jahrzehnte lang, die letzte ging erst 1898 auseinander.

Cabets Reise nach Ikarien ist "die Bibel des ikarischen Kommunismus" genannt worden, und tatsächlich ist sie mehr als eine Utopie. Der erste Teil, in dem ein imaginäres Land beschrieben wird, die Gemeinschaft, in der eine zahlreiche Nation lebt, kann als die reine Utopie betrachtet werden, doch im zweiten Teil erklärt er, wie ein kommunistisches Regime errichtet werden kann und durchsprechen wir die Theorie der Gemeinschaft, widerlegen die Einwände, während der dritte Teil eine Zusammen­fassung der Prinzipien darstellt, auf welchen das Gemeinschaftssystem sich gründet.

Die Bestimmungsgründe, warum eine Utopie populär wird, sind so geheimnisvoll wie bei jedem anderen Bestseller, doch Cabets Utopie mag einige Hinweise auf die erforderlichen Eigenschaften geben. Der erste, wesentliche, scheint der, daß, wer immer ein imaginäres Land beschreibt, in seiner Bewunderung so unkritisch wie möglich sein sollte und ein Bild in leuchtenden Farben malen sollte. Die Einbettung in einen Roman, wie unwahrscheinlich und sentimental er auch immer sein mag, ist ein sicherer Weg, die Erfolgschancen zu erhöhen, und ein zusätzlicher Reiz wird dadurch erreicht, daß ein junger, netter englischer Lord seine Bewunderung für die Segnungen der Demokratie nicht verhehlen kann und daß die Schneider und Schlosser, denen er in Utopia begegnet, unter dem alten Regime Fürsten und Herzöge gewesen wären. Cabet sorgte ausreichend für diesen emotionalen Hintergrund, und dies mag eine Erklärung für den Erfolg des Buches sein, trotz der mangelnden Originalität, den zahlreichen Wiederholungen und einem Stil, der es heutzutage fast unleserlich macht.

Wie sehr die persönlichen Abenteuer des Lord William Carisdall und der göttlichen ikarischen Frauen, denen er auf seiner Reise in das vollkommenste Land der Welt begegnete, zu dem Erfolg des Buches auch beigetragen haben mögen, wollen wir sie hier doch nicht behandeln und beginnen mit einer kurzen Beschreibung des Landes.

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Ikarien liegt günstig, isoliert vom Rest der Welt durch Gebirge im Norden und Süden, einen Fluß im Osten und das Meer im Westen. Es ist in hundert Provinzen unterteilt, die sich in Größe und Bevölkerungszahl mehr oder weniger gleichen. Jede Provinz ist in zehn Gemeinden von ungefähr derselben Größe unterteilt. Die Provinzhauptstadt liegt ungefähr im Zentrum der Provinz, und die Gemeindehauptstadt ist das Zentrum der Gemeinde. Jede Gemeinde besitzt außer der Gemeindehauptstadt acht Dörfer und viele Bauernhöfe, die gleichmäßig über das Gebiet verstreut sind. Ein ausgedehntes Netzwerk von Straßen, Eisenbahnlinien und Kanälen verbindet alle Teile des Landes. Wie in Morus' Utopia ist die symmetrische Anordnung der Städte und Gemeinden das Werk des Erlösers und Gesetzgebers des Landes, der ihm auch seinen Namen gab, Ikarus.

Die Hauptstadt Ikara ist ebenfalls neu erbaut worden nach einem Superplan, der nicht nur ihre Fläche auf einen fast vollkommenen Kreis festlegte, sondern auch den Lauf des Flusses zu einer praktisch geraden Linie veränderte und ihn zwischen zwei Wälle einbettete. Im Zentrum der Stadt verzweigt sich der Fluß in zwei Arme, zwischen denen eine, selbstverständlich runde, Insel liegt. Auf der Insel befindet sich ein mit Bäumen bepflanzter Platz, in dessen Mittelpunkt das wichtigste öffentliche Gebäude der Stadt steht mit einem „prächtigen" Terrassengarten, in dessen Zentrum sich eine „riesige" Säule erhebt, gekrönt von einer „kolossalen" Statue, die alle anderen Bauwerke überragt. Alles in Ikarien ist peinlich genau symmetrisch angeordnet. Alle Straßen sind gerade und breit. Fünfzig Hauptstraßen durchqueren die Stadt parallel zum Fluß und fünfzig im rechten Winkel dazu. Zwischen den Straßen sind Plätze und hinter allen Häusern sind Gärten, die von den Familien, denen sie gehören, kultiviert werden.

Von modernen Erfindungen wird ausgiebig Gebrauch gemacht, um den Einwohnern der Stadt ein Maximum an Annehmlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Es gibt Straßenbahnen, eine Antizipation der Pferdebahn; sie fahren alle zwei Minuten, tausende davon in alle Richtungen. Die Leute warten auf sie in überdachten Haltestellen, und alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen werden getroffen, um Unfälle zu vermeiden, wie zum Beispiel Fußgängerüberwege, die mit Vorläufern der Verkehrsampeln gekenn­zeichnet sind.

Die Sauberkeit, Ordnung und Tüchtigkeit, die Liebe zu Planung und mathematischer Präzision, die das öffentliche Leben der Bürger charakterisieren, finden sich in jedem Detail ihrer Existenz. Alles wird sorgfältig vom Staat geplant mit Hilfe von Experten und auf Befragen der gesamten Nation. Es ist kein Platz für Spontaneität und Phantasie in Cabets Utopie; alles wurde gesetzlich festgelegt, vom Grundriß der Städte bis zur Form der Hüte, vom strengen Stundenplan bis zur Speisekarte für jeden Wochentag. Die Regierung von Ikarien ist republikanisch und der Wille des Volkes ist souverän, kann sich jedoch nur durch National­versammlungen oder die Vermittlung von Abgeordneten äußern.

Und so erklärt ein Mitglied des ikarischen Gemeinwesens die Grundsätze der gesellschaftlichen Organisation der ikarischen Republik:

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Die Ikarier sind der unerschütterlichen Überzeugung, kein wahres, kein wirkliches Glück könne bestehen ohne Gleichheit und ohne Vergesellschaftung, und so ist es denn dahin gekommen, daß wir eine Gesellschaft auf der Grundlage der völligen Gleichheit ausgebildet haben.
Alle sind so zu sagen associirt, sind Bürger, sind gleich an Rechten und Pflichten.
Alle theilen sich gleichmäßig in die Lasten und in die Vortheile der Association; alle formiren nur eine einzige Familie, deren Mitglieder durch das Band der Bruderschaft verknüpft sind.
Wir sind ein einziges Brudervolk, und jedes unsrer Gesetze zweckt auf die Gleichheit, in allen Fällen wo sie nicht materiell unmöglich ist...
Wie wir nur eine einzige Gesellschaft, ein einziges Volk, eine einzige Familie ausmachen, geradeso macht unser Grund und Boden, mit seinen unterirdischen Reichthümern und seinen Bauten über der Erde, nur ein einziges Grundstück, unser Gesellschaftsland, unsre Domäne, aus. Alle beweglichen Güter der Associirten, nebst allen Produkten des Bodens und der Industrie, bilden nur ein einziges Gesellschaftskapital.
Dieses, wie jenes, gehört untheilbar dem Volke, der Nation, die es bebaut und benutzt, durch ihre Bevollmächtigten oder in eigner Person verwaltet, und sich in die Erzeugnisse gleichmäßig theilt...

Alle Ikarier sind, wie gesagt, gleich und associirt, jeder muß folglich eine Industrie üben und dieselbe Anzahl Stunden arbeiten; aber ihre ganze Vernunft ist rastlos bemüht, Mittel und Wege zu finden um dieses Arbeiten leicht, bequem, angenehm, kurz, zu machen. Sämmtliche Werkzeuge der Arbeit und die zu verarbeitenden Stoffe werden aus dem Gesellschaftskapital bestritten; alle Produkte des Bodens und der Industrie werden in den öffentlichen Magazinen aufgespeichert. Wir alle sind ernährt, logirt, gekleidet, und das geschieht auf Kosten des Gesellschaftskapitals; wir sind es alle auf gleichmäßige Weise, mit der erforderlichen Berücksichtigung des Geschlechtes, des Alters und einiger ändern Punkte die im Gesetz angegeben sind. Auf diese Art ist die Republik oder Gütergemeinschaft die alleinige Besitzerin, die alleinige Eigenthümerin; sie allein organisirt ihre Arbeiter und baut die Werkstätten und Magazine; sie allein baut den Acker, und errichtet die Häuser, und fabrizirt alle Stücke die zur Kleidung, Nahrung, Wohnung und Möblirung nöthig sind.

Da die Erziehung bei uns als Grundlage der Gesellschaft gilt, so gibt die Republik selbige jedem Bürger, jedem ihrer Kinder, und zwar unentgeltlich, und zwar gleichmäßig, nicht anders wie sie jedem gleichmäßig die Nahrung gibt, deren er bedarf.

Alle genißen das Brod des Leibes und das Brod des Geistes in gleicher, gleichmäßiger, gleichartiger Weise. Alle bekommen den nämlichen Anfangsunterricht, und hinterdrein diejenige besondre Belehrung welche zu ihrem besondern Wirken, zu ihrem besondern Geschäft notwendig ist. Die Erziehung bezweckt aus allen Einwohnern tüchtige Arbeiter, gute Eltern, wackre Bürger, kurz wahrhaftige Menschen zu bilden...

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Der Vertreter der Ikarier fährt fort und beschreibt die Grundsätze der staatlichen Organisation der ikarischen Republik:

Da wir also alle gleich an Rechten, alle Bürger und associirt sind, so folgt sicher von selbst, daß wir alle Wähler und Wählbare, alle Mitglieder des Volks und der Volkswehrmannschaft sind. Wir alle, ohne Einen auszuschließen, sind Volk, Nation, denn bei uns ist kein Unterschied zwischen Volk und Nation. Ich brauche Ihnen nicht erst zu bedeuten, daß unser Volk nur sich selbst angehört, also selbst-herrschend ist; demnach das Recht besitzt, sich in seinen Berathungen und Thaten selbständig zu bestimmen. Es hat seine Gesetze sich ersonnen und aufgestellt, und kann sie, wenn es ihm gut dünkt, widerrufen oder abändern. Viele hier zu Lande können gar nicht begreifen wie in ändern Ländern das Ding anders sein darf. Das ikarische Volk hat durch seine Gesetze Ordnung in die Ernährung, Kleidung, Wohnung zu bringen gewußt, in seine Arbeiten, in seine Erziehung, und in seine Vergnügungen.

Könnte es sich ohne Weitres oft auf einer Ungeheuern Ebene versammeln, oder in einem Saale, so würde es seine Oberherrlichkeit ausüben und dort die Gesetze machen, denen es forthin nachzuleben gedächte. Doch in der materiellen Unmöglichkeit sich solchergestalt zu versammeln, bekleidet es mit denjenigen Machtvollkommenheiten, die es nicht in Person und unmittelbar vollziehen kann, seine Beauftragten, und behält sich alle übrigen vor. Es überträgt seiner Volksvertreterschaft die Macht, seine Konstitution und seine Gesetze zu bilden. Es überträgt einem Aus-führungscomite, einem Ausschusse, die Macht, diese Gesetze in Wirksamkeit zu bringen. Aber es bewahrt sich das Recht, die Vertreter zu wählen, die Mitglieder des Ausschusses zu ernennen, die Gesetzesentwürfe anzunehmen oder zurückzuweisen, Gerechtigkeit auszuüben, öffentliche Ruhe und den Frieden zu erhalten. Alle öffentliche Beamten sind folglich Beauftragte des gesamten Volkes, sind alle wählbar, sind auf eine Zeit nur im Amte, sind verantwortlich und absetzbar. Um ja jedem übel angebrachten Ehrgeiz vorzubeugen, sind bei uns die gesetzgebenden Beamten und die gesetzausführenden geschieden, so daß nicht ein und der nämliche Bürger beides zugleich sein darf.

Unsre Volksvertretung besteht aus zweitausend Deputirten; sie berathschlagen zusammen in einem einzigen Saale, nicht in zweien. Sie sind ohne Unterbrechung versammelt, und werden jährlich zur Hälfte erneuert. Ihre wichtigern Gesetze werden der Begutachtung des gesammten Volkes vorgelegt.

Unser ausübender Ausschuß, oder Vollziehungsausschuß, besteht in einem Präsidenten mit fünfzehn Mitgliedern, die jährlich zur Hälfte neu gewählt werden; er ist in allen Stücken der Vertreterschaft untergeordnet.

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Das Volk übt in seinen Versammlungen alle Rechte aus die es sich vorbehalten hat, als da sind: das Wählen, das Berathen und das Urtheilen. Sie wissen unstreitig, Mylord, daß, um der Nation dieses ihr Geschäft zu erleichtern, das ganze Land in einhundert kleine Provinzen getheilt ist, und jede in zehn Gemeinden, was also tausend Gemeinden macht, die an Flächeninhalt und Seelenzahl ziemlich gleich sind. Jede Provinzialstadt liegt im Mittelpunkt ihrer Provinz, jede Gemeindestadt im Mittelpunkt ihrer Gemeinde, und außerdem sind alle erdenklichen Maßregeln getroffen, um den Einwohnern den Besuch der Versammlungen bequem zu machen. Damit ja kein Interesse leide, beschäftigt sich jegliche Gemeinde mit ihren Gemeindesachen, jegliche Provinz mit ihren Provinzialsachen insonderheit, während alle Gemeinden, alle Provinzen insgesammt, d.h. das Volk in seiner Allheit, und seine Vertreterschaft, sich mit den nationalen allgemeinen Angelegenheiten abgeben.

Das Volk, in den eintausend Gemeinden vertheilt, hält dort eintausend Gemeindeversammlungen, nimmt folglich dort das Wort über seine Gesetze, sei dies nun vor, sei dies nach der Berathung derselben in der Deputirtenkammer. Natürlich geschieht alles im vollsten Lichte der Öffentlichkeit; alles wird statistisch übersichtlich dargestellt und die dazu bestimmte Nationalzeitung wird jedem Mitbürger zugeschickt.

Damit nun jede Diskussion möglichst gründlich vor sich gehe, hat die Deputirtenkammer, und ebenso jegliche Gemeindeversammlung, folglich das ganze Volk, sich in fünfzehn große Abschnitte oder Ausschüsse eingetheilt, deren jeder das ihm gehörende Fach behandelt. Wir haben einen Ausschuß für die Reichsverfassung, einen für die Erziehung, einen für den Ackerbau, einen für die Industrie, einen für die Nahrung, einen für die Wohnung, einen für die Kleidung, einen für die Statistik, usw. Jedes dieser großen Comites hat also den fünfzehnten Teil der Gesamtbevölkerung in sich, und die ganze Einsicht eines gebildeten großen Volkes ist rastlos mit Verbesserungsentwürfen und Ausführung derselben beschäftigt. Wir leben in einer Republik, in einer fast reinen Demokratie...

(Der einmütige Wille des Volkes ist immer bemüht, politische und soziale Gleichheit zu schaffen, die Gleichheit von Glück und Rechten, allgemeine und absolute Gleichheit: Erziehung, Nahrung, Kleidung, Wohnung und Möblierung, Arbeit und Vergnügen, Wahlrecht, Wählbarkeit und Beratungen sind für uns alle dieselben, unsere Provinzen, unsere Gemeinden, unsere Städte, unsere Dörfer, unsere Höfe und unsere Häuser sind so weit wie möglich gleich. Mit einem Wort, überall werdet Ihr Gleichheit und Glück finden.)

 

Die Aufgabe, die verschiedenen Aspekte des ikarischen Lebens zu beschreiben, ist dem jungen französischen Maler Eugen übertragen, der nach der Julirevolution freiwillig nach Ikarien ins Exil gegangen ist. In den Briefen an seinen Bruder, der in Paris geblieben ist, beschreibt er hingerissen die Errungenschaften des ikarischen Regimes. Unter dem Deckmantel von Eugens Feder wirft Cabet die kleine Reserve über Bord, die er im Fall des englischen Lord noch für notwendig erachtete, und Ausrufungs­zeichen, Kursivschrift und Großbuchstaben werden noch großzügiger benutzt als sonst.

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BRIEF  EUGEN'S  AN  SEINEN  BRUDER

 

Lieber Kamill! wäre doch unser theures Frankreich endlich auch ein Ikarien! Lies und staune.

NAHRUNG

Bei uns ist alles was sich auf Leibes-Nothdurft bezieht, bekanntlich ganz der Laune des Zufalls preisgegeben; hier zu Lande ist es aufs Gerechteste und Umständlichste geordnet, und man darf sagen, Ikarien habe den schwersten und erhabensten Sieg errungen, der dem Menschen auf Erden zu Theil werden kann: Ikarien hat den Zufall besiegt.

Zuvörderst bestimmt das Gesetz, welche Nahrungsmittel heilsam, und welche zu verwerfen sind; ein Rath von Gelehrten und Sachkundigen, von der Deputirtenkammer eigens dazu ernannt, und vom Mitwirken der Bürger unterstützt, hat ein Verzeichniß von allen Nahrungsmitteln angefertigt, mit genauer Angabe der guten und schlechten Eigenschaften von jedem, oder richtiger der Verhältnisse, worin ein Nahrungsmittel diese oder jene Eigenschaft behält oder verliert. Nach dem ikarischen Satze: „zuerst das Notwendige, dann das Nützliche, zuletzt das Angenehme", nach diesem so einfachen, so wahren Lebenssatze, der auf das Größte wie Kleinste auf Erden seine Anwendung findet, hat das Comite jener Gelehrten auch in dieser Angelegenheit verfahren, und an jede Familie des Reiches ein Exemplar der erwähnten Schrift geliefert. Außerdem hat jede Familie ein Exemplar eines andern Buches, worin die zweckmäßige Zubereitung jeder Speise angegeben ist; ein ikarisches Kochbuch...

Die Republik hat also die Nahrungsstoffe festgesetzt. Nach den Jahreszeiten und Lebensaltern, Beschäftigungen und Gesundheitszuständen kommen in den Verbrauch wohl einige Verschiedenheiten, wie du dir denken kannst, aber diese Verschiedenheiten sind ganz unerheblich auf das Ganze, und es ist eine viel größere Gleichheit hier wirklich, als unsere kühnsten Denker oder Träumer je haben für möglich halten wollen. Die Republik läßt keine andern, als die vom Speiserath anerkannten Nahrungsmittel bauen, und so findest du denn auch keine ändern bei ihren Ackerwirthen, welche als Mitbürger und Mitgesetzgeber ihr Interesse daran haben, ihren eignen Gesetzeswillen zu vollstrecken. Die Gemeinschaft Ikarien vertheilt die Produktion des Bodens, die sie so hoch wie möglich, durch beste Benutzung, Düngung, zweckmäßiges Abholzen und Waldpflege, durch Bewässerung usw. gesteigert hat, gleichermaßen an jeglichen Einwohner, wenn ein Stoff in so reichem Maße produzirt wird, daß alle mitgenießen können und zur selbigen Zeit. Sie vertheilt jedoch, wenn ein Stoff nur in einem Maße, welches nicht für Alle ausreicht, denselben auch nur theilweise, d.h. in der Art, daß jeder Einwohner erst dann ihn erhält, wenn die Reihe an ihn kommt...

Auf diese unendlich einfache Manier ist der gröbste wie der feinste Nahrungsstoff völlig im Genüsse Aller. Kein Mensch beklagt sich, er komme zu kurz. Keiner aber kann auch prassen, oder geizig aufwuchern und speichern, denn alles Aufspeichern geschieht lediglich durch die Gemeinschaft in den Nationalmagazinen, zufolge besonderer National­gesetze. Somit wird diese große, viele Millionen umfassende Bevölkerung besser genährt als unsere reichen Herrschaften...

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Die Gerichte wechseln; alle Tage kommt ein anders; über einerlei kann man sich nicht beklagen. Übrigens ist auch die Zeit und Dauer, und Zusammensetzung des Frühstücks und Mittagstisches vom Comite nach reiflicher Erwägung festgestellt. Und warum sollte man nicht gern diesem folgen? Ist es doch zum Besten. Der Mensch gehorcht gern einer Ordnung, die er selbst gemacht hat.

Um sechs Uhr früh nehmen die Arbeiter, das will heißen alle Einwohner, gemeinschaftlich in dem Speisesaal des Stadtviertels einen leichten Morgenimbiß ein. Um neun Uhr frühstücken sie, nachdem sie bereits einige Stunden gearbeitet, in der Werkstatt; die Frauen aber und Kinder thun ein Gleiches zu Hause. Um zwei Uhr wird zu Mittag gespeist; alle Einwohner derselben Straße versammeln sich dazu in dem Speisehause.

Abends, gegen neun oder zehn Uhr, genießt jede Familie noch ein kleines Abendessen zu Hause, und dies, in Früchten und Zuckerwerk bestehend, ist von den Frauen bereitet. —

Das Mahl beginnt meist mit einem TOAST auf die Gemeinschaft, auf die Gründer derselben, INSONDERS AUF IKAR DEN BEFREIER UND WOHLTHÄTER.

Du mußt gestehen, Bruder, die Ikarier wissen zu speisen. Ich sehe nur schlechterdings nicht ein, weßhalb andere Leute nicht auch dieses haben dürfen? Übrigens ist es selbst mir, der ich doch die prächtigen Speise- und Kaffeesäle von Paris und London kenne, ein erstaunliches Schauspiel gewesen, wie es bei solchem gewöhnlichen ikarischen Mittagstisch hergeht. Der Glanz des Lokals, das Silber und Gold, Porzellan und Weißzeug, die Möbeln, die Beleuchtung, die Teppiche sind vielleicht bedeutender als in unsern europäischen Herrschalts- und Fürstenpalästen; gewiß aber haben sie das vor diesen voraus, daß hier alle Welt mitgenießt. Selbst Gemälde, Blumen, Musik, Wohlgerüche, Springbrünnlein u. dgl. fehlen in keinem dieser großen, gemeinsamen Speisesäle, an die sich meist ein Garten und eine Terrasse schließt. Durchschnittlich speisen zweitausend Leute zusammen.

In diesen Lokalen wird am zehnten Tage der ikarischen Woche nicht gespeist; an diesem ikarischen Sonntage ißt man im Kreise der Seinigen oder besonderer Freunde, geht aufs Land, macht Wasserpartien. Auch hierfür sorgt die Republik; es werden den zu Ausflügen in die Umgegend sich Anschickenden zubereitete Gerichte ins Haus gesandt. Du siehst, der Speisesaal des Stadtviertels weiß den Hausfrauen viele Plage abzunehmen.

VERTHEILUNG DER LEBENSMITTEL

So schwierig diese Aufgabe aussieht, so einfach und verständig ist sie gelöst. Du erinnerst dich, daß die Republik alles zum Unterhalt Erforderliche baut, verarbeitet, und aufspeichert. Dazu dienen geräumige Keller und Magazine, deren jedes ein Verzeichniß der Speisesäle, Werkstätten, Schulen, Hospitäler und Familien hat, an welche es abliefern muß. Im Magazin steht für jede Familie ein Korb, ein Maaß mit Hausnummer und Straßennamen gezeichnet; in diesem Maaß wird der Antheil von Stoffen zugemessen.

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Dieser Maaße sind stets zwei vorhanden, so daß eines weggetragen werden kann, während das andere dort bleibt. Jede Wohnung hat eine besondere Nische oder Vertiefung in der Mauer, wo die Austheiler das volle hinstellen und das leere, schon in Bereitschaft dastehende, abholen. Ein Klingelzug bedeutet der Familie die Ankunft des frischen Vorraths; zudem ist die Stunde vorher allgemein bestimmt.

KLEIDUNG

Wie mit der Nahrung, lieber Bruder, gerade so geht es mit der Kleidung... Die Republik hat ein Comite erwählt, welches auf vorherige Zuratheziehung Aller, die Kleidungsweisen aller Länder geprüft, dies Verzeichne derselben mit farbigen Abbildungen (in einem schönen Werke, welches jede Familie besitzt) angefertigt und die Vortheile wie Nachtheile einer jeden dieser Kleidungen gehörig, mit einem Text, ans Licht gestellt hat. Der Leser findet darin eine genaue Schilderung der Nützlichkeit, Nothwendigkeit und Annehmlichkeit.

Was geschmacklos war, ist vom Muster, von der Farbe, von der Form sorgsam verbannt, und so kommt es denn, daß die ikarische Tracht an Form, Farbe und Zeichnung die angenehmste ist, die ich je gesehen; ich glaube nicht, daß es etwas noch darüber gibt. Da ist Einfachheit nebst Grazie, da ist Pracht nebst Geschmack. Jede Schuhform, jede Haartracht z.B. ist vorher von einem Modell der Besprechung für würdig erachtet und kritisirt worden...

Du kannst dir vorstellen, daß Jeder zwar dieselbe Kleidung trägt, aber doch bei dem entwickelten Schönheitssinn der Nation, die Einförmigkeit und Langweiligkeit vermieden wird. Von selbst versteht sich, daß die Kleidung der beiden Geschlechter eine verschiedene ist. In jedem Geschlecht ändert das Individuum häufig seine Tracht, je nach seinem Alter und seiner Stellung. Durch ein sinnreiches Anwenden des Gegebenen ist die Einrichtung getroffen, daß gewisse Verhältnisse der Person auch besondere Eigenthümlichkeiten in der Tracht mit sich führen. So sind Kindheit, Jugend auf ihren verschiedenen Stufen, Mündigkeit z.B., verheiratheter, lediger, verwittweter Stand, Wieder­verheirathung, die verschiedenen Geschäfte und Ämter, Arbeiten und Verwaltungen, auf der Kleidung angezeigt. Es kommen auf diese Weise Uniformen dabei heraus, aber was schadet das? Tausende und Tausende von Uniformen, jede eine andere, ist das nicht himmelweit entfernt von dem Einförmigen? — Zudem ist für die jungen Frauenzimmer, z.B. zwar Stoff und Schnitt des Gewandes bestimmt, aber die Farbe keineswegs; diese hängt lediglich von ihrem Geschmack ab, und du weißt, die Frauen wissen sich stets geschmackvoll zu tragen, sobald man sie von dem Joch der albernen Moden befreit hat. Ferner ist die Kleidung für die Arbeitsstunde, für die Mußestunde, für Festlichkeit, für die feine Gesellschaft oder für die öffentliche Versammlung, für die Stube — stets eine verschiedene.

Willst du etwas von der Weise wissen, wie die Kleidung gemacht und ausgetheilt wird, so vernimm folgendes.

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Du hast nicht vergessen, daß die Republik mit Leichtigkeit die Übersicht über die Quantität der Rohstoffe, wie auch der Kleidungsstücke, die zur Nothwendigkeit gehören, sich bewahrt, mit Leichtigkeit desgleichen die Rohstoffe im Bereich Ika-rien's durch ihre Ackerbauer erzeugt, oder im Ausland ankauft; ferner durch die, weit näher als bei uns, der Vollkommenheit gebrachten Maschinen zubereitet, und in riesenhaften Werkstätten durch Arbeiter und Arbeiterinnen in Kleidungen verwandelt.

Fast alle Stücke, von der Kopf- bis zur Fußbekleidung, sind elastisch, können mithin im Nothfall für verschiedene Personen passen, und sind ohnehin so eingerichtet, daß ihre Darstellung sehr geringe Zeit in Anspruch nimmt. Beinahe alle werden auf mechanischem Wege gemacht, und die Arbeiterhände haben nur wenig zu thun übrig. Maaßnehmen ist unnütz geworden, da die Stücke immer auf vier bis fünf Größen gefertigt sind. Die immer dieselben Stücke machenden Arbeiter gelangen, von den Maschinen unterstützt, nothwendig zu großer Gewandtheit, und zwar unter kostbarer Ersparniß von Zeit, Kräften und Mühe. Auch ist die lächerliche Erscheinung, die man Mode heißt, verschwunden.

Jede Familie wählt im Magazine was sie braucht und was ihr zusagt. Das Magazin führt Buch über jede Familie und schickt ihr in's Haus, was sie sich gewählt hat und was ihr zukommt...

Namentlich sind die Kleidungen des weiblichen Geschlechts über allen Tadel erhoben. Das weibliche Geschlecht, bester Kamill, genießt überhaupt in diesem glücklichen Lande Auszeichnungen, Achtungsbezeigungen, wie es sie im übrigen Theil der Welt noch vergeblich sucht. Es ist der stete, zarte Gegenstand der feinen und ernsten Huldigungen seitens der männlichen Bewohner Ikarien's. Man möchte sagen, die ikarischen Männer erheben und verherrlichen ihre Mitbürgerinnen, um mit um so reicherm Genuß sie anbeten zu können. Wie gar anders sieht es dagegen in unserm unseligen Frankreich aus!

 

Es ist unnötig, die anderen Aspekte der gesellschaftlichen Organisation in Ikarien ausführlich zu beschreiben, denn sie sind alle nach demselben Muster geschneidert. Immer gibt es ein Expertencomite, das nach sorgfältiger Prüfung einen Musterplan für die besten Wohnhäuser, Eßtische, Höfe, Studienprogramme oder Denkmäler aufstellt; dies wird von der ganzen Nation einstimmig angenommen und zum Gesetz. Das Gesetz hat auch einen strengen Stundenplan für alle Einwohner festgelegt, sie müssen um 5 Uhr morgens aufstehen, bis zwei Uhr nachmittags arbeiten, sich bis neun Uhr vergnügen und nach 10 Uhr gewissenhaft die Sperrstunde beachten, die bis 5 Uhr am nächsten Morgen dauert.

Es ist die Pflicht jedes Bürgers, eine gewisse, gesetzlich festgelegte Stundenzahl für die Republik zu arbeiten. Wenn die Jungen mit 18 und die Mädchen mit 17 Jahren aus der Schule entlassen werden, müssen sie ein Handwerk oder einen Beruf lernen. Wenn es zu viele Bewerber für einen bestimmten Beruf gibt, werden die geeignetsten durch einen Wettbewerb ausgewählt. Auch um Schriftsteller zu werden, muß man bestimmte Prüfungen absolvieren.

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Männer dürfen mit 65, Frauen mit 50 in den Ruhestand treten, doch die Arbeit in Ikarien ist so leicht und angenehm, daß die meisten damit nach dem Ruhestandsalter fortfahren wollen. Die Arbeit wurde annehmbar durch angemessene Ruhepausen, stets saubere Fabriken und ausgiebigen Gebrauch der Maschinerie. (Cabet war offensichtlich tief beeindruckt von der industriellen Entwicklung in England zur Zeit seines Aufenthalts dort, und obwohl er die Bedeutung der Landwirtschaft nicht unterschätzte, sollte Ikarien industriell noch fortschrittlicher werden als England. Er beschrieb so viele Erfindungen in seiner Utopie, daß man manchmal den Eindruck hat, die Akten eines Patentamtes zu studieren.)

Es gibt kein erniedrigendes Handwerk in Ikarien, denn das Gesetz verbietet jegliche Beschäftigung, die für ungesund oder unmoralisch erachtet wird — zum Beispiel gibt es keine Kneipenwirte und niemand darf Dolche herstellen. Ein Schuhmacher wird ebenso hoch geachtet wie ein Arzt, und einer der höchsten Beamten im Land ist Schlosser und seine Tochter Schneiderin. Da die Löhne abgeschafft worden sind, kann die Arbeit keinen höheren Lebensstandard garantieren und somit keine neue Aristokratie hervorbringen. Darüberhinaus lehrt die Erziehung jeden Bürger, daß alle Handwerke gleich nützlich für die Gemeinschaft sind und gleichermaßen geachtet werden müssen. Arbeiter, die sich dadurch auszeichnen, daß sie bei der ihnen zugewiesenen Aufgabe mehr leisten oder eine nützliche Erfindung machen, erhalten jedoch eine öffentliche Anerkennung.

 

Die industrielle Produktion wird in großen Fabriken durchgeführt, wo die meiste Arbeit am Fließband verrichtet wird. In einer Druckerei zum Beispiel sind 5000 Arbeiter in demselben Gebäude versammelt und

überhaupt ist die Maschinerie aufs Höchste getrieben; es werden durch sie an fünfzigtausend Arbeiter ersetzt, wie wir hörten. Man denke sich, wie viel Mühe, Zeit, Menschenkräfte dadurch erspart, und für andere Zwecke gesichert werden! Besondere Maschinen bereiten das Papier und legen es zum Falten hin, in eine Werkstatt, die, nebst andern großartigen Gebäuden, sich rechts befindet, wo die weitere Verarbeitung in Hefte und Bücher vor sich geht. Dort stehen auch die Niederlagen der fertigen Bücher.

Die Arbeit in einer Uhrenfabrik wird mit militärischer Disziplin verrichtet:

Die eigentliche Uhrenwerkstatt ist ein tausend Fuß ins Geviert zählendes Gebäude, auf Eisensäulen ruhend, drei Stockwerke übereinander. Unten sind Maschinen zum Metallschneiden. Oben die Arbeitenden, in ebenso viele Klassen getheilt als es Arbeiten in der Uhr gibt; eine Klasse macht stets nur eine und die nämliche Arbeit. Die Ordnung, Reinlichkeit, Helligkeit, Bequemlichkeit, und der Fleiß sind wahrhaft bewundernswerth. Man sieht, es sind freie, gleiche Leute.*

Ein Arbeiter erklärt die Arbeitsweise dieser kleinen Armee:

 

* In der englischen Ausgabe heißt es: Es herrscht so viel Ordnung und Disziplin wie in einer Armee! (A.d.Ü.)

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Wir kommen ein Viertel vor sechs Morgens her, wechseln unsere Stadtkleider im Kleidersaal der Werkstätte gegen diese Arbeitskleider, und fangen mit Glockenschlag sechs an. Um neun gehen Alle in das Speisezimmer auf zwanzig Minuten hinab und frühstücken; während die übrigen zuhorchen, liest einer das Morgenzeitungsblatt vor. Um ein Uhr wird aufgehört. Man bringt die Sachen in Ordnung und geht hinunter ins Kleiderzimmer, wo man sich wäscht, die Kleider wechselt, und um zwei Uhr begibt sich jeder nach Hause, um mit den Seinigen zu speisen und den übrigen Theil des Tages zu verwenden wie ihm gut dünkt.

Während zweier Stunden sprechen wir nichts und beobachten ein völliges Schweigen; aber während zwei folgender Stunden wird gesprochen, und während der zwei letzten wird gewöhnlich gesungen, oft im Chor.

Verglichen mit den herrschenden Bedingungen in den Fabriken des neunzehnten Jahrhunderts muß Cabets ideale Werkstatt tatsächlich utopisch angemutet haben, doch militärische Disziplin und der Zwang, ein Leben lang an der Maschine das gleiche Stück herzustellen, sind so unterdrückerisch wie unhygienische Bedingungen.

Obwohl es in Ikarien keine Reichen und keine Armen, keine Berufspolitiker und Soldaten, keine Polizisten und keine Gefängnisse gibt, haben wir das seltsam unangenehme Gefühl, daß es viele gemeinsame Züge mit den totalitären Systemen des zwanzigsten Jahrhunderts hat: die grandiose Architektur wie in Mussolinis Italien, die Vorliebe für Uniformen und Disziplin, die Verehrung des toten Diktators Ikar, dessen Bild auffällig an allen öffentlichen Orten ausgestellt ist und dessen Name ständig in Liedern und Ansprachen beschworen wird, rufen schmerzliche Erinnerungen hervor. Wir sind nicht erstaunt, wenn wir erfahren, daß in Ikarien bei der Errichtung des Regimes Bücher verbrannt wurden, und daß eine strenge Zensur die Produktion aller Kunstwerke kontrolliert.

Vergeblich suchen wir nach einem lebendigen Winkel, wo die Individualität des Menschen sich ausdrücken kann. Cabets Behauptung, daß der Wille des Volkes souverän ist, läßt uns skeptisch, denn er sagt uns nicht, wie eine ganze Nation in jeder kleinen Einzelheit des Lebens übereinstimmen kann. Noch weniger annehmbar ist die alles durchdringende Weisheit seiner Experten, und man mag sich fragen, nach welchen Grundsätzen sie die Uniform einer ikarischen wiederverheirateten Witwe entwerfen.

Die Vorliebe für Uniformität, Zentralisierung und Staatskontrolle ist in den meisten Utopien zu finden, doch in Reise nach Ikarien wird sie so auf die Spitze getrieben, daß sie uns in vieler Hinsicht an die satirischen Utopien unseres Jahrhunderts erinnert.

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