Wolf Biermann

Über das Geld 
und andere Herzensdinge

 

Prosaische Versuche über Deutschland

  Artikel aus <Die Zeit>

 

1991 bei Kiepenheuer

Wolf Biermann  (1991) Über das Geld und andere Herzensdinge - Prosaische Versuche über Deutschland 

1991   103+12 Seiten

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Biermann-1992

Inhalt

Vorwort  (9) 

 

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Vorwort

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Die Deutschen östlich der Mauer haben den zweihundertsten Jahrestag der Französischen Revolution origineller gefeiert als die verkitschten Franzosen. Sie spielten ein gewaltfreies Revolutions-Stück, das vom Fernsehn in alle Welt übertragen wurde.

Ganz Deutschland war in diesen bewegenden Tagen wie ein großes Theaterhaus. Die Plebejer probten nicht, sie machten den Aufstand. Und die Wessis klatschten ihren Brüdern und Schwestern verdattert Beifall. Vorn an der Rampe standen solche Idole wie Bärbel Bohley und Jens Reich – aber auch dunkle Stasiagenten traten ins Scheinwerferlicht, denn sie hatten sich an die Spitze der Bürgerrechtsbewegung gedrängt, um sie besser abbrechen zu können.

Es war die illuminierte Mauer, die als Rampe das staunende Publikum von den Darstellern trennte. Und wie es oft genug in moderneren Inszenierungen gemacht wird, sprang auch mancher Held durch den Eisernen Vorhang ins Parkett. Allerhand welthistorische Komparsen flitzten über Prag und Budapest in den Zuschauerraum. Manch davongelaufener Kleindarsteller hüpfte seiner Tante in Düsseldorf auf den Schoß und schaute seinem eigenen Drama zu, als wär's ein Stück vom anderen Stern.

Obwohl mir die Götter in diesem ganzen Theater eine tragende Rolle zugedacht hatten, saß ich seit der Ausbürgerung im November 1976 mit meiner Gitarre im Westen unter den ungekämmten Kindern des Olymp im Publikum und lachte und pfiff und gröhlte über die Balustrade. Dann kam die Schlußszene mit dem Sturz des Politbüros und dem Zusammenbruch der alten Tyrannei.

Bei der allerersten Gelegenheit trieb es mich auf meine vertraute Bühne. Am 1. Dezember, Erich Honeckers Nachfolger, das ewig lachende Gebiß, war noch an der Macht, sang ich in Leipzig meine neuen und alten Lieder und tummelte mich unter hochgestimmten Freunden und verbiesterten Feinden. Viel ranziger Haß, viel alte Liebe.

Mir war weder in der Begeisterung noch im folgenden Katzenjammer zum Reimen zumute. Der Geschichtsprozeß schrieb selbst sein Lied und brauchte erstmal keine Verse. Das Volk selbst hatte die Verhältnisse zum Tanzen gebracht. Also versuchte ich mich an einigen ungereimten Versuchen, Essays, die in diesem Buch versammelt sind.

Dem Meister Brecht bin ich dahinter gekommen. Das Geheimnis seiner Dichtkunst liegt im prosaischen Ton. Brechts Beispiel hat bei den stärkeren Talenten Schule gemacht, wir schreiben heute seine Sprache, als wäre sie schon Volkssprache geworden. Zumindest in Deutschland strebt der nachgeborene Gedichteschreiber keine verquast poetische Poesie an. Ohne Furcht vor den Niederungen der banalen Wirklichkeit soll ein Gedicht nach unserem Geschmack nebenbei auch noch die Höhe großer Prosa erreichen.

Diese Methode verkehrt sich aber spiegelbildlich bei dem Versuch, in nichtgebundener Sprache zu schreiben. Nun will ich grad die Dichte des Gedichts und tendiere zum Poetischen. So haben auch meine ungebundenen Wortbündel über Deutschland ihre Melodie, ich habe sie gepfiffen, geblasen und getrommelt: Geschichten und Geschichte aus dem Jahr der deutschen Wieder­vereinigung. Erhellende Episoden, giftige Attacken, justitiable Invektiven, freundschaftliche Hingerissenheiten und fundierte Verdächtigungen, ökonomische Analysen, haltlose Begeisterung, literarische Ohrfeigen und fröhliche Fußtritte, echte Schmeicheleien und falsche Liebeserklärungen.

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Leserinnen und Leser sollen wissen, daß ich vor einem Jahr mein erstes Prosa-Buch mit dem Titel <Klartexte im Getümmel> veröffentlichte. Das sind sehr verschiedene kleinere und größere Versuche aus den 15 lehrreichen Jahren zwischen meiner Ausbürgerung und dem Fall der Mauer. Ich schrieb dort über den »Sturz des Dädalus«, über die Bergarbeiterfrau Domitila aus Bolivien und über mein erstes Konzert im Knast für den Häftling Dagobert Biermann im Winter 1942.

Den Schluß dieser Sammlung bildet logischerweise mein erster Versuch über die Revolution in der DDR. Aber genau mit diesem Essay über den Aufstand der gelernten Untertanen, über die Revolution ohne Revolutionäre, über den Tod des Kommunismus, über die längst fällige Beerdigung des Riesenkadaverleins muß ich dieses neue Buch beginnen. Mit all diesen Texten warf ich mich gleich ins Getümmel: sie wurden in der ZEIT öffentlich gemacht.

Der Verleger warnte mich vor dem Argusauge der Rezensenten, die dem Publikum verraten werden, daß wir den ersten unserer fünf Fische nun ein zweites mal verkaufen ... Aber ohne diesen ersten Text wäre das neue Buch ohne seinen natürlichen Anfang. Ich will ja mein ganzes Bild von diesem großen Jahr der Deutschen vorzeigen. Und ich muß eine Wahrheit gestehn. Erst ganz zum Schluß dieses Dramas ging mir die Pointe des Stückes auf: Die Wirtschaft! Das Ökonomische!

Nach dem Geschrei über den stinkenden Stasi-Schaum und über Wellen, die der Geist geistloser Zeiten schlägt, schrieb ich einen Essay über die tiefere Strömung im neuen Deutschland: Über das Geld und andere Herzensdinge. Karl Marx ist überholt, aber überholt ist auch Isaak Newton. Trotzdem fallen die Apfel noch immer nach unten. Und Freiheit ohne genügend Fraß ist nur ein schönes trauriges Wort.

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Die Marktwirtschaft kommt nun über die fünf neuen Bundesländer wie schwere Malaria, mit der man früher die Syphilis austrieb. Die Raubzüge der Ritter von der schnellen Mark im wilden Osten sind mindestens so interessant wie die Schlammschlacht der Intellektuellen, die einander jetzt die verjährten Gesinnungslumpereien im ungleichen Spiel mit den Mächtigen öffentlich vorwerfen. Mehr noch als um Menschenrechte und Meinungsfreiheit geht es um wirtschaftliche Macht und um effektivere Spielregeln der Ausbeutung.

Als böses Willkommen im Westen rieb mir vor Jahren ein Dilettant aus Bielefeld zwei säuerliche Zeilen unter die Nase:

Biermann singt gern vom Klassenkampf
Wenn er für volle Kassen klampft... 

Damals ärgerte ich mich über solche schüttelgereimte Niedertracht eines Sonntagsreimers, der womöglich weder Geld noch Gedichte machen kann. Immerhin hatte ja grade ich in der DDR gar keine klassenkrämpferischen Lieder gegen den Kapitalismus der westdeutschen Klassenfeinde geschrieben, wie die SED-Bonzen sie haben wollten.

Ich hatte Spottlieder gegen die Spitzel gesungen, rotzige Songs gegen die Phrase vom Volkseigenen Betrieb, Pasquille gegen die Heuchelei der Funktionäre, lebenstrotzige Oden über meine schöne Dicke in den Fichten und eine Ballade über Franz Villon, der auf dem blutigen Stacheldraht der Mauer die große Harfe spielt und dabei von Schüssen durchsiebt wird. Außerdem lebte ich zwölf lange Jahre verboten, verleumdet und verfolgt, und ich verdiente in der DDR keinen Pfennig. Nicht mal als Hilfsarbeiter im VEB Elektroapparatewerke Treptow durfte ich arbeiten, weil die Obrigkeit Angst hatte, daß ich die Kollegen aufhetze.

Heute sehe ich mehr Wahrheit durch diesen albernen Schüttelreim schimmern. Man muß ihn nur richtig mißverstehn. Denn die stalinistische Bürokratie war eben doch eine vollausgereifte Klasse im Sinne des Marxismus, eine Ausbeuterklasse modernerer Machart mit feudalistischen Manieren.

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Insofern sang ich eben doch in all den Jahren in der Chausseestraße 131 Lieder vom Klassenkampf – gegen die rotgetünchten Bonzen. Und unter uns: meine Kassen blieben ja auch nicht leer. Für jedes Lied, das der Klassenfeind im Westen als Platte oder Radiosendung oder im TV verbreitete, kassierte ich im Osten meine Tantiemen als Textautor und Komponist.

Allerdings kam ich an mein Geld auf eine delikat indirekte Weise, die ein pikantes Detail im großen Sittenbild der DDR liefert: Die Anstalt zur Wahrung der Aufführungsrechte (AWA), das war die Urheberrechts­gesellschaft der DDR, kassierte bis zu meiner Ausbürgerung sämtliche Tantiemen, die in der Bundesrepublik von der GEMA für meine Lieder eingesammelt wurden. Mir wurde dann nach Abzug von 20 % Bearbeitungsgebühr der Betrag zum offiziellen Kurs von 1:1 in Ost-Mark überwiesen. So hatten wir alle was davon: Der Staat kassierte Devisen für die Lieder, die er verboten hatte und für deren Verbreitung er seine aufsässigen Landeskinder ins Gefängnis sperrte. Ich besitze einen Brief der AWA, in dem ich höflich gebeten werde, schnellstmöglich die »Stasi-Ballade« ordentlich anzumelden.

Die AWA überwies mir jeden Februar das Geld vom Vorjahr, eine Summe, die sich von jährlich 4 Tausend Ostmark auf über 20 Tausend steigerte. Und da ein subventioniertes Drei-Pfund-Brot 50 Pfennige kostete und meine Drei-Zimmer-Wohnung knapp über 90 Mark und ein Zentner Briketts nur Groschen, konnte ich sehr gut leben. Noch schöner: Ein Teil des Geldes wurde mir sogar als Valuta-Scheck ausgezahlt, mit dem ich im Intershop Kaffee und Schokolade für mich, Chanel No. 5 für meine Flamme und Courvoisier für meinen Freund Robert Havemann kaufen konnte. Da es nicht meine Schande war, prangerte ich diese Perversion immer auch und in aller Öffentlichkeit an.

Geld, Geld, Geld - ein ungehöriges Thema. Zum erstenmal habe ich in diesem Buch darüber in aller Peinlichkeit nachgedacht.

Mehr politische Freiheit und zugleich mehr soziale Gerechtigkeit, das ist die unsterbliche Forderung nach der Quadratur des Kreises in der menschlichen Gesellschaft. Dem Kapitalismus ist nun der vertraute Todfeind weggestorben. Die kommunistische Alternative ist gescheitert. Aber das ist noch lange kein historischer Sieg für die Schweinepriester der kapitalistischen Profit­maximierung. Die Forderung nach der sozialen Quadratur des Freiheitskreises tritt dem Kapital­verwertungsprinzip nun immanent gegenüber. Was ihn nicht mehr von außen bedrohen kann, wird ihn nun von innen attackieren. Das wird andere und tiefere Auswirkungen haben, als uns schwant.

Unsere Tage auf der Erde sind gezählt. Aber mein Wunschdenken übertölpelt jeden klaren Gedanken an die offenbar unver­meidbare Selbstvernichtung der Gattung Mensch. Und weil ich zudem ein Deutscher bin, muß ich ausgerechnet auf uns Deutsche hoffen. Vielleicht gehören all diese übertüchtigen Leute zwischen Oder und Rhein ja doch zu denen, die die Welt heile machen, nachdem sie so viel zerstört haben in zwei großen Kriegen und mit all ihrer Heilhitlerei.

Was hier abgedruckt ist, entspricht nicht in jedem Fall meinen Artikeln in der <ZEIT>, sondern den damals gelieferten Manu­skripten, die das 2-Seiten-Limit der Zeitung sprengten.

Die fünf Prosatexte, in einem schmalen Buch gebündelt, mögen brauchbar sein auch in Ländern, deren Selbstinteresse ein Interesse an den Deutschen verlangt. Nebenbei könnten diese Versuche eine Orientierungshilfe für Menschen sein, die ganz andere Träume haben als dieser

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