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Erster Teil 

Die Natur stirbt, es lebe die Technik!

 

 

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Das Buch ist in zwei Teile untergliedert. In diesem ersten Teil stelle ich meine Natur-Kritik und die daraus folgende Technik-Alternative in ihren Grundzügen vor. Sie erfahren,

  • welche Schreckensseiten die Natur um uns besitzt, aber auch, wie gefährlich die Natur in uns ist 

  • warum die äußere Natur, Tiere und Pflanzen aussterben und was das für uns Menschen bedeutet 

  • wie wir durch neue Techniken einen Ersatz für die Natur schaffen, ja ein besseres Leben (er)finden können 

  • und wie wir in Zukunft unsere innere — seelische und körperliche — Natur technologisch weiterentwickeln werden. 

Im zweiten Teil veranschauliche ich dann an vielen Einzelpunkten und mit vielen Beispielen, wie stark wir noch dem »Prinzip Natürlichkeit« verhaftet sind, aber auch, auf welche Weise wir uns davon loslösen können. Folgen Sie mir auf den Weg in ein weitgehend naturfreies, naturbefreites Leben - in eine zukünftige Techno-Welt!

»Rettet die Natur!« So klingt es uns seit Jahren in den Ohren. Naturfreunde und Umweltschützer klagen und mahnen. »Es ist 5 Minuten vor 12, allerhöchste Zeit, um unsere Umwelt endlich wirksam zu schützen. Wir müssen alles tun, um die Natur vor dem Siechtum zu bewahren.« Richtig an diesen Mahnungen ist, daß die Natur sich in einem beklagenswerten Zustand befindet. Und ich möchte mit diesem Elendszustand beginnen, eine Übersicht über die Hauptschädigungen der Natur geben. Das mag so klingen, als reihte ich mich in den Chor der Öko-Kläger ein. Lassen Sie sich aber überraschen! Sie werden bald erfahren: Ich ziehe völlig andere und ungewöhnliche Schlüsse aus der Notlage der Natur. Viele Pflanzenarten sind bereits ausgestorben, andere stehen kurz davor. Und auch die Pflanzen, die (noch) als ungefährdet gelten, sind mehr oder weniger angeschlagen. Am krassesten ist das vielleicht beim sogenannten Waldsterben zu sehen. Jedes Jahr verzeichnet man eine weitere Zunahme der Schädigungen unserer Wälder. Mittlerweile gelten etwa 70% der Bäume in Deutschland als geschädigt, davon 25% als stark geschädigt.

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Zwar sind diese Zahlen im einzelnen umstritten. Und in letzter Zeit wurden Untersuchungen bekannt, wonach neuerdings geradezu ein vermehrtes Wachstum von Bäumen festzustellen sei. Aber erstens gilt das keineswegs für alle Bäume bzw. Wälder. Und zweitens handelt es sich dabei eher um ein krankhaftes, gleichsam krebsartiges Wachstum; es wird ausgelöst durch Umweltschadstoffe wie Stickstoffverbindungen, die zu einer Überdüngung, einer Art Doping der Bäume führen. Insgesamt bewegt sich der Wald in Deutschland und im übrigen Europa weiterhin auf sein Ende zu.

Während die europäischen Bäume in erster Linie durch Schadstoffe aus Luft, Wässer und Boden dezimiert werden, wird auf dem amerikanischen Kontinent der Wald primär durch Rodung gekillt. Vor allem die Abholzung der Regenwälder erreicht gigantische Ausmaße. Jede Sekunde wird heute ein Waldstück von der Größe eines Fußballplatzes leergesägt, jährlich eine Fläche von über 200.000 Quadratkilometern.

Um die Tiere ist es nicht besser bestellt. Ihr Artensterben hat eine enorme Beschleunigung erfahren. Man schätzt, daß früher in jedem Jahrhundert etwa eine Art ausstarb, um 1900 bereits eine Art pro Jahr, heute fast eine Art je Stunde. Wobei eine Großzahl der Tiere eben gerade deshalb zugrunde geht, weil ihnen mit dem Waldsterben ihr natürlicher Lebensraum abhanden kommt. Aber auch die unterschiedlichsten Schadstoffe, die sie mit der Nahrung oder über Haut und Lunge aufnehmen, können zum Artentod führen oder erst einmal zu den verschiedensten Erkrankungen, zum Beispiel Krebs und Mißbildungen.

 

Dicke Luft & Co.

Eine große Rolle bei der Aufnahme von Schadstoffen spielt die Luftverschmutzung. Durch Industrie, Kraft- und Fernheizwerke, Haushalte bzw. Kleinverbraucher und Verkehr werden Schadstoffe in die Luft abgegeben. Die wichtigsten sind Schwefeldioxid (S02), Stickoxide (Nox, vor allem N02), Kohlendioxid (C02), Kohlenmonoxid (CO), organische Verbindungen (z.B. durch Lösemittelverbrauch) und sonstige, zum Teil schwermetallhaltige Stäube.

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Diese Substanzen fuhren zu einer Dunstglocke, vor allem über den Großstädten, bei ungünstiger Witterung zu Smog. Außerdem wird ein sogenannter Treibhauseffekt ausgelöst: Die »Klima-Gase« wirken in der Atmosphäre wie die Glasscheiben in einem Treibhaus. Sie lassen das Sonnenlicht herein, verhindern andererseits jedoch, daß die von der Erde reflektierte, zurückgestrahlte Wärme ins All entweicht. Gegenüber dem Zeitraum vor der Industrieentwicklung ist die Temperatur bereits um etwa 0,7 °C gestiegen. Es wird vermutet, daß die Wetterkapriolen in den letzten Jahren, die Zunahme von Orkanen, Dürren sowie Überschwemmungen bereits mit dieser Erwärmung zusammenhängen. Mit dem Treibhauseffekt steht das »Ozonloch« in Verbindung. Fluor-Chlor-Kohlen-WasserstofFe (FCKW), die vor allem als Kältemittel und als Treibgase (in Spraydosen) verwendet werden, dringen in die Atmosphäre und greifen die Ozonschicht an, wodurch die UV-Strahlung ungehindert mit einer gefährlichen Strahlenintensität auf die Erde gelangen kann.

Noch weit gefährlicher ist aber die radioaktive Strahlung. Zwar gibt es auch eine natürliche Radioaktivität, aber deren Werte werden inzwischen durch technisch erzeugte Kernstrahlung weit übertreffen. Diese künstliche Radioaktivität resultiert aus Atomwaffenversuchen, Störfällen in Kernkraftwerken wie in Tschernobyl, aber offensichtlich auch aus dem Normalbetrieb von Kernreaktoren, zusätzlich aus verschiedenen medizinischen Maßnahmen, insbesondere Röntgenuntersuchungen (die allerdings normalerweise »nur« den einzelnen betreffen, nicht die gesamte Umwelt).

Wie es der Luft und Atmosphäre schlechtgeht, so auch dem Wasser. Ozeane kippen um, d. h. sie »sterben« an Sauerstoffmangel, weil sie durch ungeklärte Abwässer, Dünnsäureverklappung, Öl-katastrophen nach Tankerunfällen u.v. m. überlastet sind. Viele Flüsse sind infolge von Industrieeinleitungen zu Chemiebrühen geworden, in denen zu baden lebensbedrohlich sein kann. Der Regen fällt als saurer Regen, mit gelöstem Schwefeldioxid. Und das Trinkwasser aus den Wasserleitungen ist trotz aufwendiger Filteranlagen oft mit Schadstoffen belastet, beispielsweise mit Schwermetallen wie Blei und Kadmium oder mit Nitrat.

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Schließlich der Boden: Auch er wird in verschiedenster Weise malträtiert, nicht zuletzt durch die gerade besprochenen Verschmutzungen von Fluß- und Regenwasser. Außerdem sickert aus Müll- und erst recht aus Sondermülldeponien immer mehr Gift in das Erdreich. Hinzu kommt die Erosion und Versteppung des Bodens durch Abholzung, Brandrodung und Raubbau von Bodenschätzen. Die Anbauflächen und Acker sind meist durch Monokulturen ausgelaugt, überdüngt und mit Schädlingsbekämpfungsmitteln verseucht.

Es ist schon gravierend, daß die Teilbereiche der Natur wie die Pflanzen oder das Wasser jeder für sich so belastet sind. Aber die Situation wird dadurch noch krasser, daß die Natur ein System darstellt, ein Bio- oder Ökosystem, in dem die Teilsysteme voneinander abhängig sind und aufeinander Einfluß haben. Wenn zum Beispiel die Luft verschmutzt ist, dann betrifft das eben nicht nur die Luft selbst, sondern auch das Wasser, den Boden, die Pflanzen und Tiere. Gerade die sogenannten Kreisläufe in der Natur sorgen dafür, daß die Giftstoffe von einem Untersystem ins andere transportiert werden.

 

Kranke Umwelt, kranker Mensch?

Diese Erkrankung der Natur ist für den Menschen in mehrfacher Hinsicht von Relevanz. Zunächst kann es sein, daß ihm die Natur selbst leid tut, vor allem die leidenden Pflanzen und Tiere: Wildtiere, die in einer veränderten Umwelt keine Nahrung mehr finden, ölverschmierte Seevögel, dem Tod geweiht, Robben, die an einer Umweltkrankheit dahinsterben, oder Hasen und Igel, die zu Tausenden von Autos und LKWs plattgefahren werden. Aber der Mensch ist auch direkt betroffen. Denn trotz Technik und Zivilisation umgibt ihn noch immer Natur. Und es mißfällt ihm, wenn diese natürliche Umwelt immer unansehnlicher und abstoßender wird: häßliche, halbkahle Wälder; trübe, stinkende Seen; diesiger, grauer Himmel, mit Auspuffgasen geschwängerte Luft; nicht zu vergessen die akustische Belästigung durch Lärm.

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Doch es bleibt nicht bei diesen mehr ästhetischen Belastungen, bei psychischen Reaktionen wie Unbehagen, Betroffenheit oder Schuldgefühlen. Das Siechtum der Natur bedroht auch unmittelbar die Gesundheit des Menschen. Denn er lebt — selbst in den Industriestaaten - noch heute weitgehend von der Natur bzw. von Naturprodukten: Er atmet die Luft, er trinkt das Wasser, kocht darin seine Nahrung oder wäscht sich damit. Er ißt Pflanzen wie Getreide, Obst oder Gemüse und ernährt sich von tierischen Produkten wie Fleisch, Milch und Eiern.

Wenn all dieses mit Schadstoffen belastet ist, so wird auch der Mensch damit belastet. Und das ist ja schon längst so: Ausscheidungsorgane wie die Nieren und das Entgiftungsorgan Leber sind überfordert, das Immunsystem, Haut und Schleimhäute werden durch die verschiedenen Fremd- und Reizstoffe arg strapaziert. Bei einer Vielzahl von Erkrankungen gilt die Umweltverschmutzung als Ursache oder jedenfalls Teilursache; zum Beispiel ist der Zusammenhang von Luftverschmutzung und Erkrankungen der Atmungsorgane, bis zum Lungenkrebs, erwiesen, ebenso der Zusammenhang zwischen Hautkrebs und vermehrter UV-Strahlung infolge des Ozonlochs.

Diese Gesundheitsgefahren versetzen die Menschen in Angst. Und sie befürchten, daß es noch schlimmer werden wird: daß eines Tages vielleicht keine Luft zum Atmen mehr da ist und daß das Wasser ungenießbar geworden ist, daß eine lebensgefährliche radioaktive Verseuchung entsteht, daß es überhaupt zu einem »ökologischen Holocaust« kommen könnte, zu einem Zusammenbruch des Ökosystems Natur, mit verheerenden Folgen für die Gesundheit und das Leben der Menschen.

Wahr ist an diesen Befürchtungen: Mit der Natur geht es steil und rapide bergab. Es steht sogar noch schlimmer um sie, als die meisten Menschen ahnen. Sie ist nicht nur schwer krank, sondern sie stirbt, sie befindet sich in einem Sterbeprozeß, der nicht mehr aufgehalten werden kann. Und genau das ist meine erste Hauptthese: Die Natur ist nicht mehr zu retten.

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Warum die Natur nicht gerettet werden kann

Die Natur, so wie wir sie heute kennen, wird untergehen. Die unglaubliche Vielfalt an Tierarten und Tierrassen, an Pflanzen wie Blumen, Bäumen, Gräsern oder Nahrungspflanzen wie Obst und Gemüse, wird drastisch zurückgehen. Die großen Wälder, Wiesen und Äcker werden schwinden, ebenso die Tierherden oder Viehzuchtbetriebe.

Wer will daran glauben, daß sich trotz der Flutwelle von Umweltschädigungen eine intakte Natur erhalten ließe? Nein, zu kraß, zu tief, zu umfassend sind die Verletzungen: vom Waldsterben bis zur Luftverpestung, von der Wasserverseuchung bis zur Bodenvergiftung, vom Ozonloch dort oben bis zum Ozonsmog hier unten. Ohne Zweifel ist dieser Sterbeprozeß der Natur vor allem vom Menschen ausgelöst worden, er hat sie auf dem Gewissen. Durch Einsatz giftiger Substanzen, durch Raubbau, durch gezielte Vernichtung wie Rodung oder Jagd, durch einseitige Pflanzung oder Zucht hat er das natürliche Gleichgewicht gestört, fast schon zerstört.

Aber auch wenn der Mensch der Hauptverursacher des Natursterbens ist, heißt das doch nicht, daß er diesen Prozeß noch stoppen könnte. Es ist nicht mehr 5 vor 12, sondern 12 Uhr ist schon vorbei. Als hätte man eine Lawine ausgelöst — sie läßt sich nicht mehr aufhalten. So hat sich auch der Krankheitsprozeß der Natur verselbständigt, setzt sich von allein fort.

Diese Auffassung, daß ein Untergang der Natur bevorsteht, wird von verschiedenen Ökologen und Sachbuchautoren geteilt, zum Beispiel: Hoimar von Ditfurth (So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen), Theo Löbsack (Die letzten Jahre der Menschheit), Herbert Gruhl (Himmelfahrt ins Nichts), Gregory Fuller (Das Ende) und Ulrich Horstmann (Das Untier). Allerdings behaupten sie — ganz anders als ich —, daß mit der Natur auch der Mensch untergehen wird und muß.

Genauer betrachtet, gibt es zwischen den oben genannten Autoren ebenfalls Unterschiede. Die einen gehen von einem endgültigen Exitus der Natur und mit ihr der Menschheit aus. Andere meinen, daß die Natur auf lange Sicht doch überleben werde und nur der Mensch zum Tode verurteilt sei. Sie begründen das folgendermaßen: Der Mensch gräbt sich — durch Verseuchung der Natur als seiner Lebensbasis — das eigene Grab. Wenn die Menschheit aber ausgestorben ist, dann kann sich die todkranke Natur wieder erholen und regenerieren.

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Die meisten Fachleute spekulieren jedoch, daß der Mensch den drohenden Untergang der Natur und damit seiner selbst vielleicht noch stoppen könnte, wenn er sofort radikalste Maßnahmen des Umweltschutzes ergreifen würde. Rudolf Bahro hat sogar einen »ökologischen Fürsten« gefordert, der mit diktatorischen Maßnahmen der Umweltzerstörung Einhalt gebieten sollte. Einmal abgesehen von der Fragwürdigkeit einer Öko-Diktatur, nach realistischer Auffassung ist die uns vertraute Natur nicht mehr zu retten. Allenfalls ließe sich die Geschwindigkeit des Siechtums verringern.

Aber diese Frage bleibt sowieso hypothetisch, denn es ist offensichtlich: Der Mensch wird keine drastischen Schritte zum Schutz der Natur unternehmen. Schon seit Jahren wissen wir im Grunde: Wenn wir die Natur erhalten wollen, müssen sofort extreme Schutzmaßnahmen durchgesetzt werden. Tausende von Funk-und Fernsehsendungen, Zeitschriftenartikel und Bücher berichteten weltweit über die Umweltgefahren — besonders bekannt: 1962 alarmierte die Biologin Rachel Carson die Öffentlichkeit mit ihrem Bestseller Silent Spring (deutsch Der stumme Frühling), 1972 warnte der Club of Rome vor den Grenzen des Wachstums, 1980 erschien Global 2000, der erschreckende Umweltreport im Auftrag des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter. 

Und mit großer Eindringlichkeit hat 1985 Hoimar von Ditfurth noch einmal klargemacht, daß wir auf einen »Weltuntergang« zusteuern. In bezug auf das berühmte Wort von Martin Luther »Und wenn ich wüßte, das morgen die Welt unterginge, so würde ich heute noch mein Apfelbäumchen pflanzen«, betitelte er sein Buch: So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen - Es ist soweit. Dennoch änderte sich kaum etwas an unserem allzu laschen Umweltverhalten bzw. unserer schmalspurigen Ökopolitik.

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Aber was ist mit der Umweltbewegung, mit Umweltorganisationen wie Greenpeace und mit der Partei Bündnis 90/Die Grünen? Zeigt sich hier nicht eine breite Strömung für ein Naturengagement, die erheblichen Einfluß auf die Politik ausüben kann? Wohl kaum. Die breite Mehrheit — der Main Stream — ist nach wie vor nicht zu wirklich schmerzhaften Verhaltensänderungen zugunsten der Umwelt bereit. Und die Mehrheit wählt eben auch nicht grün. Selbst wenn die Grünen (in Deutschland!) einmal 15% erreichen mögen, bleiben sie damit eine Minderheitenpartei. Man vergißt dies nur manchmal, weil sie sich ständig so lauthals zu Wort melden.

Unsere Gesellschaft hat sich bisher immer nur zu halbherzigen Maßnahmen durchgerungen. Um ein Wort zu benutzen, das durch die Deutsche Bank Berühmtheit erlangt hat: »peanuts«. Alle bisherigen Umweltschutzmaßnahmen waren letztlich peanuts. Und wenn doch einmal ein konsequentes Gesetz verabschiedet wurde, höhlte man es durch zig Ausnahme­genehmigungen wieder aus. Dabei ist Deutschland sogar ein Vorreiter in Sachen Umweltschutz, der oft genug von den EG-Partnern gebremst wurde, zum Beispiel beim Termin für ein Verbot von FCKWs. Jedoch wenn es um Autos ging, zeigten sich die Deutschen als »Umweltmuffel«. Wir haben als einziges Land in Europa keine (durchgängige) Geschwindigkeits­begrenzung auf den Autobahnen. Und als die deutschen Wagen, die nach den USA exportiert wurden, schon sämtlich einen Katalysator besaßen, wurden sie bei uns noch massenweise ohne Katalysator verkauft. Allerdings forderte der deutsche Autofahrer auch nicht gerade lautstark Kat-Autos, im Gegenteil, die ersten Modelle ließ er auf der Halde stehen und griff lieber zu den preisgünstigen Kat-losen. 

Die Regierenden und die Bürger haben sich gegenseitig nichts vorzuwerfen. Beide Seiten sind nicht zu einem echten Umweltschutz bereit. Als Beispiel die Ozonverordnung, die am 14. Juli 1995 im Bundestag verabschiedet wurde. Ein durch Ausnahmegenehmigungen durchlöchertes Gesetz, das keine Geschwindigkeitsbegrenzung vorschreibt, sondern nur ein Fahrverbot für Autos ohne Katalysator, und zwar ab einem Wert von 240 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft. Dies ist ein unrealistisch hoher Wert, wie er bisher kaum erreicht wird. Genauso gut könnte man sagen: Ja, wir erlassen eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen. Niemand darf schneller als 300 Stundenkilometer fahren...

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Nun könnten die Bürger aber trotzdem langsamer fahren, aus purer Naturliebe. Doch damit ist nichts! Untersuchungen haben gezeigt: Die Empfehlungen in einigen Bundesländern, bei Ozonsmog bitteschön langsamer zu fahren, wurden kaum eingehalten. Was nicht verboten ist, ist eben erlaubt. Und das nutzt der »freie Bürger« dann auch. Freie Fahrt — sprich Bleifuß. Man mag einwenden, der Nutzen von Temporeduzierungen für die Ozonverminderung sei eben auch nicht erwiesen. Aber das ist eins der typischen heuchlerischen Argumente in Umweltfragen. Denn daß eine Drosselung der Geschwindigkeit generell (vom Ozon ganz abgesehen) für die Natur und insbesondere für den Wald von Vorteil wäre, ist doch unbestritten. Aber fahren Sie versuchsweise mal das empfohlene Tempo 100 auf der Autobahn. Wieviele Autos überholen Sie dann? Richtig, fast 100 Prozent!

 

Brent Spar - Sieg der Ökologie?

Und was ist mit dem Protest gegen die Versenkung der Ölbohrinsel Brent Spar im Juni 1995, als vor allem der Boykott der deutschen Autofahrer den Ölmulti Shell in die Knie und zum Nachgeben zwang? War das nicht ökologisches Musterverhalten von uns Deutschen? Von wegen. Man mußte ja auf nichts verzichten. Man fuhr einfach eine Tankstelle weiter (wieviel zusätzliche Fahrerei!), tankte bei Aral oder Esso, das übrigens genauso wie Shell für die geplante Versenkung verantwortlich zeichnete. Da waren wir dann voll Freude über unser eigenes Saubermannverhalten und voll Schadenfreude, daß der arrogante Großkonzern und sogar der sture britische Premierminister Major eins auf die Nase bekommen hatten.

Und trotz allem stimmt es, daß wir Deutschen in Europa und vielleicht sogar weltweit die Vorreiter in Sachen Umweltschutz sind (bzw. waren). In England und Frankreich zum Beispiel gilt die grüne Bewegung nach wie vor als exotisch, ist ungefähr so populär wie das Essen mit Stäbchen. 

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Die Amerikaner haben zwar strengere Auflagen, was Autos angeht, aber in anderen Bereichen sind sie höchst zurückhaltend, zum Beispiel bei der Drosselung von Industrie­emissionen zur Luftreinhaltung. So blockierten sie auf der UN-Umwelt-Konferenz in Rio 1992 genaue Zielsetzungen und Zeitpläne für eine Begrenzung des Kohlenstoff­ausstoßes. Überhaupt verbrauchen sie nach wie vor die meiste Energie auf der ganzen Erde, nicht nur absolut, sondern auch relativ pro Kopf der Bevölkerung.

Wenn nicht andere, unterentwickelte Länder einen geringen Energieverbrauch hätten, wodurch sich global gesehen ein gewisser Ausgleich ergibt, wäre die Natursituation bereits viel schlimmer. Allerdings verweigern solche Entwicklungsländer ihrerseits Umweltschutzmaßnahmen, beispielsweise holzen sie die Regenwälder, die große Bedeutung für das Gesamtklima der Erde besitzen, radikal ab. Nur handeln diese Staaten bzw. die Menschen in diesen Staaten aus Not, ihre Armut zwingt sie dazu. All dies läßt nur eine Prognose zu: Der Mensch wird auch zukünftig keine Kehrtwende in der Umweltpolitik machen. 

Und die Natur wird immer weiter dezimiert werden oder sich von selbst »zurückziehen«. Das geschieht nicht von heute auf morgen, es ist ein allmählicher Prozeß. Insofern läßt sich auch kein eindeutiges Todesdatum angeben. Das Natursterben kann noch fünfzig Jahre andauern, noch zwanzig — oder aber auch nur einige Jahre. Denn es ist nicht auszuschließen, daß plötzlich, sprunghaft und unerwartet ein Kollaps der Gesamtnatur auftritt. Wir sollten uns von der Heuchelei verabschieden, wir wären doch bereit, (fast) alles dafür zu tun, damit die Natur überlebt. Wir sind es nicht, weder die »da oben«, noch wir »da unten«, nirgendwo und nirgendwann. Insgeheim ahnen wohl auch die meisten von uns, daß es mit der Natur zu Ende geht, aber die wenigsten wollen das wahrhaben. Diese Verdrängung können wir uns aber nicht mehr leisten. Wenn die Natur vergeht, dann überlebt der Mensch nur, insofern er eine neue Lebensbasis findet. Sonst geht er mit der Natur unter.

Da wir zu einem radikalen Naturschutz nicht entschlossen sind, müssen wir — obgleich das zunächst paradox klingt — eine Kehrtwendung und damit Abwendung von der Natur vollziehen, um all unsere Kraft in ein neues hochtechnologisches Lebensfundament zu investieren. Der bisherige lasche Umweltschutz hilft uns gar nicht weiter, er ist ein fauler, ja gefährlicher Kompromiß, weil wir so unsere alte Lebensgrundlage zerstören, ohne eine neue zu schaffen.

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Besser leben ohne Natur

Ich will nicht versuchen, den Niedergang der Natur (und seine Geschwindigkeit) durch weitere Argumente oder gar Statistiken zu beweisen, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens haben bereits eine Vielzahl von Wissenschaftlern und Sachbuchautoren genaue Belege hierfür vorgelegt, etwa Herbert Gruhl mit verschiedenen Büchern (wie Ein Planet wird geplündert). Die »schweigende Mehrheit« hat ihnen trotzdem nicht geglaubt bzw. nicht glauben wollen.

Zweitens ist ein strenger Beweis des Natursterbens im Sinne einer mathematischen Ableitung doch nicht möglich. Auch anspruchsvolle Computerprogramme wie die des Club of Rome können die Zukunft nicht mit Sicherheit vorhersagen. Drittens, und das ist am wichtigsten, ist nicht mein zentrales Anliegen zu zeigen, daß wir die Natur nicht erhalten können, sondern daß wir es auch gar nicht versuchen sollen. Wenn die erste Hauptthese lautete: Die Natur kann nicht gerettet werden, so möchte ich meine zweite Hauptthese wie folgt zuspitzen: Die Natur soll nicht gerettet werden.

Denn im Gegensatz zur allgemein verbreiteten Meinung ist meine Überzeugung, daß der - zukünftige - Mensch ohne Natur (oder mit wenig Natur) nicht nur überleben, sondern sogar besser leben kann. Der Untergang der Natur bedeutet keineswegs automatisch den Untergang der Menschheit. Er bietet uns sogar die Chance für einen evolutionären Aufschwung, für eine Höherund Weiterentwicklung ungeahnten Ausmaßes. Aus diesem dritten Punkt folgt: Selbst wenn es doch eine Möglichkeit geben sollte, die Natur zu erhalten, wäre diese Rettung ein Fehler, weil man damit an einem alten, überholten Zustand festhalten würde, anstatt sich für eine neue Entwicklung zu öffnen. Nach meiner Auffassung ist also der Natur- und Umweltschutz ein Irrweg, wir müssen uns vielmehr von der Natur verabschieden.

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Das erfordert die Schaffung einer neuen, anderen Lebensbasis. Diese Basis kann nur die Technik sein, aber eine enorm gesteigerte, verbesserte, verfeinerte, perfektionierte Technik, Technik einer neuen Qualität, einer neuen Generation. Man mag sie »MegaTechnik« nennen oder »Supra-Technik«, »Ultra-Technik« oder einfach »High Tech«. Wie auch immer, wir benötigen dafür eine technologische Revolution. Vor allem, um »lebende Technik«, lebende technische Systeme, Live Tech zu produzieren. Ich will also eine Umkehr vorschlagen, eine Wende: die endgültige Abwendung von der Natur und die unbedingte Hinwendung zur Technik. Dieser Weg erfordert ein neues Bewußtsein und neues Handeln, was vor allem folgende zwei Komponenten beinhaltet:

Erstens müssen wir uns die Schattenseiten der Natur (wieder) bewußt machen. Wir müssen erkennen, welche Nachteile die Natur uns Menschen bringt und daß sie unserem heutigen Entwicklungsstand nicht mehr angemessen ist. Wir haben also die naive Idealisierung alles Natürlichen zu überwinden. Zweitens müssen wir unsere Vorstellung von Technik ändern. Technik sollte nicht mehr als etwas Fremdes oder gar Feindliches angesehen werden, eine andere Welt, die in unser vertrautes Leben dringt, sondern als die zukünftige Heimat des Menschen, wenn man so will, als neue »Natur« des Menschen selbst. Damit komme ich zu meiner dritten Hauptthese: Die Technik ist unsere Rettung. Oder anders: Die Technik muß unser Leben werden. Dafür ist es erforderlich, alle Kräfte zu bündeln, nicht auf das sinnlose Unterfangen einer Naturbewahrung, sondern auf eine Beschleunigung der technologischen Evolution, die dem Menschen nicht nur zu überleben erlaubt, sondern ihn zum Schöpfer seiner eigenen Welt erhebt, ja zum Schöpfer seiner selbst. Ehe wir jedoch zur neuen Technik kommen, werden wir uns mit der alten Natur und ihren Schattenseiten beschäftigen.

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Auslaufmodell Natur - Veraltet und häßlich

Bei der gängigen Naturverklärung wird mehr und mehr ausgeklammert, wie die Natur wirklich ist. Sie wird nur als gute Mutter beschrieben, die ihren undankbaren Menschensohn nährt und schützt, was der ihr aber nicht danke; denn er mißhandele sie, raube ihre Schätze und überschütte sie mit chemischem Gift. Bei dieser Sicht geraten die häßlichen, bösen und giftigen Seiten der Natur völlig aus dem Blick.

Sprechen wir zunächst von der Vergangenheit, davon, wie die Menschen früher »natürlich« lebten (für die sogenannten »Naturvölker« ist dies allerdings bis heute aktuell). Auch wenn wir Bewohner von Industriestaaten noch viel mit der Natur zu schaffen haben - viel mehr, als uns oft klar ist -, so ist dies nicht mit den Verhältnissen in früheren Zeiten zu vergleichen. Damals existierten die Menschen wirklich im engsten Kontakt mit den Naturgewalten. Sie lebten zwar von der Natur, aber auch gegen sie. Einerseits gab Mutter Natur ihnen Nahrung und Kleidung, aber andererseits mußten sie ihr Leben ständig gegen die »böse Stiefmutter« Natur verteidigen. Sie mußten sich gegen Hitze und Kälte, Regen und Sturm behaupten; und vor allem mußten sie sich der Angriffe wilder Tiere erwehren.

Auch wurde ihnen die Nahrung keineswegs geschenkt. Es war kein Schlaraffenland, wo einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen oder wo Milch und Honig fließen, sondern die meisten Völker hatten der Natur ihre Nahrung abzutrotzen, ernteten mühselig angebaute Nahrungspflanzen oder jagten und fischten, oft unter Einsatz des eigenen Lebens. Und dies ist das Grundgesetz der Natur: jagen oder gejagt werden, töten oder getötet werden, fressen oder gefressen werden. »Natürliches« Leben bedeutet permanente Gefahr, Wechsel zwischen Flucht und Kampf; es ist wie im Krieg, nein es ist Krieg. Zwar gibt es auch Kooperation und Symbiose, aber sie sind dem Kampf ums Überleben völlig untergeordnet. Es herrscht das Faustrecht (vielleicht sollte man hier besser »Pfotenrecht« sagen), das Recht des Stärkeren. Der Schwächere hat sich zu ducken, sonst wird er verjagt oder gemordet. Das Zusammenleben in der Natur ist somit gerade das Gegenteil einer demokratischen Ordnung, in der prinzipiell alle Mitglieder gleichberechtigt sind.

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Das ständige Sich-Wehren-Müssen gegen Naturgewalten oder gegen andere Lebewesen, nicht zu vergessen Krankheitserreger, wie Bakterien und Viren, macht verständlich, warum die Menschen sich, soweit sie konnten, vom Naturleben wegentwickelt haben. Und warum Naturvölker, wenn sie mit der Zivilisation in Berührung kommen, fast immer mit großer Bereitwilligkeit und Schnelligkeit deren Errungenschaften übernehmen, seien es materielle Dinge wie Kleidung und Werkzeug, seien es Verhaltensweisen wie eine veränderte Nahrungsaufnahme. Wenn die Naturmenschen mit ihrer Lebensweise wirklich so glücklich wären, wie uns manch zivilisationsmüder Romantiker weismachen will, würden sie sich doch nicht so auf die Zivilisationsgüter stürzen.

Wir modernen Menschen der Gegenwart sind zwar auch noch mit der Natur verbunden, haben uns aber andererseits schon ein Stück weit von ihr losgelöst. Das wird heute von vielen als Entfremdung beklagt. Nur schwärmen immer die am meisten von etwas, die es am wenigsten kennen. Menschen, die tatsächlich in und mit der Natur leben, können sich keine sentimentale Naturseligkeit leisten. Sie mußten und müssen sich täglich einer — vielfach feindlichen - Umwelt erwehren, dieser ihr Leben abtrotzen. Anders die Biophilen: Sie begeistern sich über das angeblich so harmonische Zusammenleben der Tiere und Pflanzen, über das ökologische Gleichgewicht, reden nur von Partnerschaft und Symbiose in der »sanften Natur«. Für sie ist jeder modrige Tümpel gleich ein Biotop und jedes armselige Stoppelfeld ein Ökosystem. Aber sie meinen eigentlich gar nicht die echte Natur, sondern die romantischen, irrealen Naturbilder in ihren Köpfen. Besonders absurd wirkt es, wenn im Rahmen von modischen Geistesströmungen wie New Age oder Esoterikwelle die Natur spiritualisiert, als heilig erklärt wird. Jeder Baum ist dann ein Heiligtum, jeder Wald ein Tempel. So wird die Natur selbst »übernatürlich«, und der Mensch befindet sich auf dem Rückweg zur Naturreligion. Gern läßt man sich dabei von »Naturweisen« inspirieren, besonders von Indianerhäuptlingen, die, anstatt in der Natur zu leben, von Großstadt zu Großstadt, von Kongreß zu Kongreß reisen (wie der inzwischen verstorbene Rolling Thunder), um die Bleichgesichter als Naturfrevler anzuklagen und ihnen ins Gewissen zu reden — vielleicht eine Art Rache für die frühere Eroberung der Indianergebiete durch den weißen Mann.

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»Biollusionen«

Trotz aller naturseligen Euphorie und Illusionen, »zurück zur Natur«, zurück in ein spartanisches, hartes, entbehrungsreiches Leben, das will kaum jemand. Das wird nur abstrakt gefordert. Konkret fordert man allerdings, Naturvölker bzw. unterentwickelte Völker mit unserer Technik zu verschonen, nicht zuletzt, damit ihre Scheinidylle, ihre pittoreske Armut erhalten bleibt, die wir als Touristen so gerne bestaunen.

Nein, echte Aussteiger gibt es wenige. Und es zieht diese Leute auch selten in eine unberührt-gefährliche Umwelt, sondern in liebliche Gegenden, wo die Natur längst gezähmt und kontrolliert ist, nach Südfrankreich oder auf eine griechische Insel. Dort lebt man dann meistens in größeren Gruppen, sogenannten Landkommunen. Aber auch diesen Kommunen ist selten eine lange Dauer beschert, denn sogar in solchen »naturberuhigten« Gegenden ist vielen das Leben — womöglich ohne Strom, Licht, Heizung und warmes Wasser — einfach zu hart.

Wenn man schon selbst nicht in die Natur zieht (vom »Häuschen im Grünen« wollen wir hier absehen), so versucht man wenigstens, Natur (oder was man dafür hält) wieder mehr in seine Alltagswelt hineinzuziehen, nach einem Prinzip Natürlichkeit zu leben: vor allem sich natürlich zu ernähren, Naturstoffe zu tragen, Möbel aus Naturholz zu kaufen, nur Kosmetika aus natürlichen, am liebsten pflanzlichen Stoffen zu verwenden, sich im Krankheitsfall mit Naturheilkunde zu behandeln bzw. vom Arzt für Naturheilverfahren oder sogar vom Naturheiler behandeln zu lassen. 

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Viele Menschen glauben, was natürlich sei, das sei auch automatisch gesund, bekömmlich, heilsam. Im Umkehrschluß wird alles »Chemische« als ungesund, schädlich, giftig angesehen. Das ist in vielfacher Weise absurd. In der Natur wimmelt es geradezu von Giftpflanzen und Gifttieren. Auch gefährliche Schwermetalle wie Arsen oder Mineralfasern wie Asbest stammen ursprünglich aus der Natur. Keineswegs ist ein Nahrungsmittel oder Medikament schon deswegen unschädlich, weil es natürlicher Herkunft ist. Ebensowenig muß Chemie immer gesundheitsschädlich sein. Überhaupt werden Naturstoffe heutzutage oft chemisch synthetisiert, zum Beispiel Vitamin C (Ascorbinsäure). Der synthetisierte Stoff ist mit dem natürlichen völlig identisch, es besteht dabei gar kein Unterschied mehr zwischen Natur und Chemie. Auch hat vieles, was als »natürlich« angeboten wird, diese Kennzeichnung gar nicht verdient. Die Verbraucher kaufen gerne Kleidung aus »100 % Baumwolle«, sie glauben, damit ein reines Naturprodukt zu erwerben. Die Baumwolle wird aber mit einer Vielzahl von Chemikalien, in diesem Fall auch schädlichen, behandelt. Dagegen ist ein Kleidungsstück aus moderner Chemie- oder Kunstfaser wesentlich gesünder, es gibt keine Schadstoffe an den Körper ab.

 

Die Natur als Katastrophe  

Natur kann aber noch viel zerstörerischer sein. Am direktesten wird der Mensch mit ihrer rohen Gewalt durch Naturkatastrophen konfrontiert, wie Überschwemmungen, Wirbelstürme, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Lawinen, Dürrezeiten, Waldbrände, Schädlingsplagen und andere mehr. Von ihnen werden auch die Bewohner der Industriestaaten hart getroffen, obwohl normalerweise nicht so kraß wie die Menschen in der Dritten Welt, die weniger Finanzmittel und Technik besitzen, um eine Naturkatastrophe bzw. deren Folgen in den Griff zu bekommen.

Zu den größten Killern gehören Erdbeben. Bei einem Beben 1556 in Shaanxi/China sollen 830.000 Menschen umgekommen sein. 1737 forderte die bebende Erde in Kalkutta/Indien etwa 300.000 Tote. Auch in unserem Jahrhundert hat es ein so verhee-

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rendes Erdbeben gegeben: 1976 in Tangschan/China mit über 655.000 Todesopfern. Besser in Erinnerung ist uns die Erdkatastrophe 1988 in Armenien, bei der 24.000 Menschen starben. Und noch genauer stehen den meisten von uns wohl die (Fernseh-)Bilder vom Januar 1995 vor Augen, als bei einem Beben insgesamt 6308 Bewohner der japanischen Hafenstadt Kobe ihr Leben verloren.

Solch immense Todeszahlen gibt es sonst nur bei Überschwemmungen bzw. Flutkatastrophen. Bei einer Nordsee-Sturmflut 1570 sollen eine Million Menschen zu Tode gekommen sein. In Asien, vor allem in China, treten häufiger katastrophale Überschwemmungen auf: 1887 Huang-He-Überschwemmungen mit etwa 900.000 Toten; 1931 traten der Chang-Jiang und der Huang-He über die Ufer, was mehrere hunderttausend Menschenleben forderte. Bei einer Sturmflut in Bangladesch 1970 waren 200.000 Opfer zu beklagen.

Obwohl es so extreme Naturkatastrophen in den letzten Jahren nicht gab, scheint insgesamt die Anzahl von Unwettern, Überschwemmungen und Wirbelstürmen zuzunehmen. Diese Katastrophenzunahme steht für eine allgemeine Entwicklung, die man folgendermaßen formulieren könnte: Die Natur wird immer negativer: ungesünder, häßlicher, nutzloser.

Wie schon dargestellt, war die Natur auch früher mehr Feind/in als Freund/in des Menschen, auch als er noch ein natürliches Leben führte. Allerdings besaß die Natur damals ebenfalls positive Seiten: saubere Luft, klares Wasser, fruchtbare Böden, gesunde Wälder, eine intakte Landschaft... Doch heute hat sich das zum Negativen gewandelt. Zwar gibt es immer noch manche Naturschönheiten: bunte Blumenbeete, blühende Bäume, sprudelnde Bäche, zwitschernde Vögel, goldenen Sonnenschein; und selbst über Großstädten zeigt sich gelegentlich noch ein strahlend blauer Himmel. Aber dies alles bedeutet eine gefährliche Täuschung, denn in Wahrheit ist die Natur todkrank.

Und das Kranksein zeigt sich immer krasser auch im Erscheinungsbild einer Rest- und Krüppelnatur; halbkahle Wälder, vergilbte und zerfressene Blätter, häßliche Baumstümpfe, armselige Grünflächen, vertrocknete Blumen, grau-diesiger Himmel, stickige Luft, stinkende, verseuchte Flüsse, überzüchtete Haustiere, kränkelnde Wildtiere, gequälte Masttiere.

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Ich bestreite nicht, daß diese Verelendung der Natur primär durch Zivilisation und Technik bedingt ist. Aber was nutzen diese Einsicht und Schuldzuweisung? Sie ändern nichts an der Tatsache, daß es schlecht mit der Natur aussieht bzw. daß die Natur schlecht aussieht.

Das ist beileibe kein rein ästhetisches Problem, sondern auch ein funktionales. Denn die sieche Natur kann immer weniger die Funktionen erfüllen, die sie bisher für den Menschen so wertvoll machten. So können die kranken Wälder immer weniger ihrer Aufgabe der Luftreinhaltung und Lufterneuerung nachkommen; sie vermögen weniger Staub zu binden und vor allem weniger Kohlendioxid aufzunehmen und entsprechend weniger Sauerstoff zu produzieren. Die Flüsse sind kaum noch ein Garant für sauberes, wohlschmeckendes Trinkwasser.

Das gleiche gilt für unsere Nahrungsmittel, die selbst so krank sind, daß man sie besser nicht mehr Lebensmittel nennen sollte. Pflanzen wie Getreide, Gemüse und Obst sind durch die generelle Umweltverschmutzung belastet, ebenso Tiere und damit auch tierische Produkte wie Fleisch oder Milch. Hinzu kommt, daß diese Nahrungsmittel noch mit speziellen Chemikalien wie Schädlingsbekämpfungsmitteln oder Antibiotika behandelt werden. Zwar gelingt es in diesem Bereich, ästhetisch ansprechende, ansehnliche Naturprodukte zu erzeugen, zum Beispiel große Äpfel mit glänzender Schale, ohne Faulstellen; doch an Nah-rungs-, Genuß- und Gesundheitswert hat diese »Edelnahrung« wenig zu bieten: die Superäpfel schmecken wässrig und besitzen kaum Vitamine.

Eine erste Bilanz: Die Natur ist schon immer primär ein Ort des Kampfes gewesen, Kampf gegen andere Lebewesen, gegen Hitze und Kälte, Dürre und Unwetter sowie gegen regelrechte Katastrophen. Der Mensch hat gelernt, die Natur — durch Zivilisation und Technik — eines Teils ihrer Schrecken zu berauben, sie ein Stück weit zu beherrschen. Aber in dieser Beherrschung sind ihm bis heute deutliche Grenzen gesetzt, wie vor allem die Naturkatastrophen zeigen. Außerdem entwickelte die Natur unter dem Einfluß von Technik neue Gefahren und büßte zugleich einen Großteil ihrer Schönheit und Nützlichkeit ein.

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Die Natur des Menschen  —  Einfach tierisch  

Es gilt, nicht nur die Schattenseiten der äußeren Natur, der Umwelt zu sehen, sondern auch die unserer inneren Natur. Unter »innerer Natur« verstehe ich einerseits den menschlichen Körper, aber auch unsere Wesensart, den Charakter unseres Fühlens, Denkens und Verhaltens.

Der Körper des Menschen ist auf den ersten Blick ein hochleistungsfähiges System, dennoch besitzt er viele Mängel, Schwächen und Anfälligkeiten. Wir machen uns das nur so wenig bewußt, weil wir unseren »Body« einfach als gegeben hinnehmen und kaum fragen, wie er anders und besser beschaffen sein könnte. Der größte Mangel des Körpers ist die Anfälligkeit für Erkrankungen. Insgesamt gibt es Hunderte verschiedener Krankheiten, die uns befallen können. Und schon von jeher wurde der Mensch von ihnen heimgesucht, auch unsere Vorfahren litten zum Beispiel schon unter Rheuma und Gicht. Es ist also keineswegs so, wie gerne behauptet wird, daß nur und erst der moderne Mensch durch seine unnatürliche Lebensweise solche »modernen« Krankheiten erleidet. Und es hat sich in der Geschichte beim Kontakt von Naturvölkern mit Menschen aus Zivilisationsstaaten immer wieder gezeigt, daß die Naturmenschen selbst »harmlosen« Infekten wie Erkältungen erlagen, weil ihr Immunsystem zu wenig trainiert war, um mit ihm unbekannten Krankheitserregern fertig zu werden.

Nicht umsonst hat ja auch die Lebenserwartung bei uns laufend zugenommen, etwa auf das doppelte der früheren »natürlichen« Lebensdauer. Denn durch Fortschritte der Medizin und größere Hygiene konnten viele der alten Krankheiten besiegt werden, vor allem Infektionen wie Pest und Pocken. Andererseits konnte und kann die Medizin bis heute längst nicht alle Erkrankungen heilen, das reicht vom banalen Schnupfen (der allerdings von selbst heilt) bis hin zum Krebs, der trotz gewaltigen Forschungsaufwandes noch immer weitgehend unbeherrscht ist.

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Außerdem treten neue Krankheiten verstärkt auf, etwa Herz-Kreislauf-Störungen oder Immunstörungen wie Allergien, Autoaggressionskrankheiten oder Aids. Diese Erkrankungen werden ohne Zweifel durch unser zivilisiertes Leben in einer industriell belasteten Umwelt begünstigt oder sogar verursacht; man spricht deshalb von Zivilisationskrankheiten.

Nur kann man das von zwei Seiten betrachten: Normalerweise erklärt man diese Krankheiten eben damit, daß unsere Lebensweise zu ungesund und unsere Umwelt zu giftig sei. Wir können es aber auch von der anderen Seite sehen, nämlich daß unser Körper zu anfällig ist, daß er sich zu wenig an die heutige Umwelt angepaßt hat und seine Flexibilität, sich auf neue Umstände einzustellen, nicht ausreicht. Mit einem Wort: Unser Körper ist ein »Bio-Trabbi«.

Man spricht aber auch von der Natur des Menschen, wenn man seine seelische Natur meint. Darunter versteht man ganz allgemein sein wahres Wesen, seinen typischen Charakter. »Seelennatur« kann aber auch spezifisch bedeuten: diejenigen psychischen Eigenschaften, die der Mensch von der Natur mitbekommem hat, die er mit anderen Lebewesen, vor allem hochentwickelten Primaten teilt. (Es wird später noch zu fragen sein, ob die wirkliche Natur des Menschen nicht gerade durch kulturelle Eigenschaften bestimmt ist, also »unnatürliche« Verhaltensweisen, die den Menschen vom Tier unterscheiden.)

Wie auch immer man die innere Menschennatur genau bestimmt, es steht nicht gut um sie. Sie befindet sich ebenso in einer Krise wie die äußere Natur. Von daher spricht man auch von Innenweltverschmutzung parallel zur Umweltverschmutzung. Viele Menschen sind heute unzufrieden mit sich und ihrem Leben, sie fühlen eine Leere, ein Sinndefizit. Gesteigerte Angst und Aggressivität sind weit verbreitet. Auch die Zahl echter psychischer und geistiger Erkrankungen wie Depression oder Schizophrenie ist hoch. Außerdem nehmen Gewalttaten zu, seien es Affekthandlungen infolge von Unbeherrschtheit oder seien es geplante, mit krimineller Energie begangene Verbrechen.

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Diese Störungen sind nicht auf individuelle Menschen begrenzt, sondern ganze Sozialsysteme zeigen ein gestörtes, »krankes« Verhalten. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus im Osten, nach dem Wegfall der Konfrontation zwischen Ostblock und westlichen Ländern hatte man eine stabilere und friedlichere Welt erwartet. Aber das Gegenteil ist eingetreten. Durch ausgeprägten Nationalismus und Separatismus sind eine Vielzahl neuer Krisenherde und Kriege entstanden, allen voran der Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien, der allerdings 1995 (vorläufig?) beendet wurde. Zwar sind solche »Kleinkriege« noch lokal begrenzt, aber es besteht die Gefahr einer Ausbreitung. Gerade der Krieg in Bosnien mit seinen Foltern,Vergewaltigungen und anderen Greueltaten hat die Frage nach der Natur des Menschen nochmals radikal aufgeworfen.

 

Ist der Mensch im Innersten brutal?

Auf diese Frage hat es im Laufe der Geschichte vor allem zwei Antworten gegeben bzw. zwei Richtungen. Die eine meint, der Mensch sei von Natur aus gut, friedlich und im seelischen Gleichgewicht. Nur die Umstände, die Gesellschaft, machten ihn zu einem unzufriedenen und bösartigen Wesen. Dabei wird in letzter Zeit vor allem auch auf das »unnatürliche« Leben und die Umweltzerstörungen als Ursache hingewiesen. Auf den Punkt gebracht: Die Entfremdung von der Natur in unserem Leben hat auch die positive innere Natur geschwächt oder fast zum Verstummen gebracht.

Die Vertreter der anderen Richtung behaupten, der Mensch sei von Natur her schlecht, aggressiv, von inneren Konflikten und Kämpfen gespalten — entsprechend zur negativen äußeren Natur. Zum Beispiel wird auf einen Aggressionstrieb oder sogar Todestrieb verwiesen, der den Menschen zu zerstörerischen Handlungen antreibe. Nach dieser Auffassung ist es erst die Gesellschaft, die uns zu (halbwegs) verträglichen sozialen Wesen macht. Durch Erziehung, Sozialisation, Zivilisation, gegebenenfalls auch durch Bestrafung, überwinden wir den ungehobelten Naturzustand und lernen ein »zivilisiertes« Verhalten.

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Beide Auffassungen sind aber zu kritisieren: Es ist offensichtlich falsch zu behaupten, erst die Zivilisation und die durch sie bedingte Umweltverschmutzung hätten den Menschen so gereizt und aggressiv gemacht. Gewalt zwischen einzelnen Menschen und kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Gruppen hat es immer gegeben, solange es den Menschen gibt; alle Zeugnisse der Vergangenheit wie alte Schriften beweisen das. Daß die Kämpfe früher nicht so verheerend waren wie heute, liegt daran, daß unsere Vorfahren noch nicht so viele und hochentwickelte Waffen besaßen. Hätten sie über moderne Waffen verfügt, hätten sie die bestimmt auch eingesetzt — der Mensch hat bisher noch immer seine besten Kampfgeräte eingesetzt.

Außerdem haben die Menschen früher ebenfalls die Natur ausgebeutet. Stefan Heiland belegt in seinem Buch Naturverständnis, »daß zu allen Zeiten und unabhängig vom jeweiligen philosophischen Naturverständnis der beherrschende Aspekt des Mensch-Natur-Verhältnisses Nützlichkeitsüberlegungen waren«. Und weiter: »Ein von vornherein rücksichts- und ehrfurchtsvoller Umgang früherer Gesellschaften mit der Natur war also nicht gegeben, schon gar nicht um der Natur selbst willen.« Daß unsere Altvordern die Umwelt nicht so kraß wie heute geschädigt haben, lag kaum an einer besonderen Harmonie mit der Natur, sondern daran, daß ihre Siedlungsdichte viel geringer war und sie noch nicht unsere heutigen technischen Möglichkeiten besaßen. Es läßt sich aber auch nicht pauschal behaupten, der Mensch sei durch Zivilisation und Kultur insgesamt zufriedener und friedlicher geworden. In einigen Lebensbereichen geht es bei uns zwar »kultivierter« zu als bei Naturvölkern, aber grundsätzlich hat sich die menschliche Natur kaum verändert. Sie ist in etwa die gleiche wie vor 120.000 Jahren, denn so lange hat der Mensch biologisch, von seiner Erbmasse her, keine wesentliche Entwicklung mehr gemacht. Eigentlich sind wir Steinzeitmenschen im Anzug oder Kostüm.

Zwar hat das moderne Leben uns von vielen Belastungen befreit, aber es führt zu einer neuen Form von Streß, auf die wir genetisch nicht vorbereitet sind: Hektik, Überfüllung, Lärm und künstliches Licht bewirken eine Reizüberflutung, wobei die so entstehenden Emotionen und Aggressionen sich noch stauen, weil sie infolge unserer Bewegungsarmut nicht körperlich abgearbeitet und abreagiert werden.

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Halten wir fest: Der Mensch war zu allen Zeiten ein aggressionsbereites Wesen, in der alten »Naturzeit« wie in der neuen, industriellen Zeit. Selbstverständlich besaß und besitzt er auch friedliche, kooperative Seiten, aber die konnten niemals seine Kampfbereitschaft überwinden, denn diese ist eine wesentliche Komponente seiner biologischen Programmierung. Sie ist ein Erbteil der Natur, eine Eigenschaft, die er aus seiner evolutionären Entwicklung übernommen hat, wobei der Grad sicherlich von Individuum zu Individuum differiert und es auch Geschlechtsunterschiede gibt, da nämlich die Aggressivität bei Männern im Durchschnitt stärker ausgeprägt ist als bei Frauen.

Ich möchte hier davon absehen, eine simple Bewertung vorzunehmen, in der Art aggressiv = schlecht und friedlich = gut. Man muß diese Eigenschaften im Systemzusammenhang und in Relation zum Umfeld sehen. Solange der Mensch in die Natur eingeschlossen lebte, war seine Kampfwilligkeit weitgehend angemessen, um sich im natürlichen (Über-)Lebenskampf durchzusetzen. Seine innere Natur paßte zur äußeren Natur. Er mußte hart sein, weil sein Leben hart war.

Nur heute, wo wir weniger in der Natur und mehr in einer technischen Welt leben, ist dieses hohe Aggressionspotential kaum mehr zweckmäßig, sondern eher gefährlich. In der Zivilisation ist weit weniger körperlicher Kampfeinsatz notwendig. Sicherlich, auch hier braucht man eine gewisse Aggressivität im Sinne von Selbstbehauptung, um sich gegen widrige Umstände oder Gegenspieler durchzusetzen. Aber die Kämpfe könnten und sollten überwiegend geistig, durch das Wort geführt werden. Doch faktisch werden die anachronistischen Körperkampfprogramme durch Reizüberlastung und Bewegungsmangel besonders aktiviert, wobei sich ihre Auswirkungen durch die modernen Waffen vervielfachen.

Es geht bei unserem biologischen Erbe aber nicht nur um Aggression, es geht vor allem auch um Irrationalität, Verdrängung, Inkonsequenz. Dafür können wir als passenstes Beispiel das Verhalten gegenüber dem Natursterben nehmen. Ich möchte hier vier hauptsächliche Reaktionen unterscheiden:

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1. Verdrängung oder Bagatellisierung

Die Mehrheit der Menschen bei uns verdrängt die ökologische Gefährdung noch immer oder bagatellisiert sie: Es sei alles halb so schlimm, man dürfe keine Umwelthysterie betreiben, die Natur werde sich schon wieder erholen. Und so lebt und wirtschaftet man weiter wie bisher, macht nur halbherzige Versuche zur Lösung des Umweltproblems und verschließt die Augen vor den zunehmenden Alarmzeichen. Besonders ausgeprägt findet sich diese Haltung bei Politikern, Berufsoptimisten, die sich selbst und uns weismachen wollen, sie hätten alles im Griff. Wenn man die Umweltrisiken verdrängt, tut man gar nichts oder wenig dagegen und versäumt ebenfalls den Aufbau einer naturalternativen Technik. Die Probleme werden einem irgendwann über den Kopf wachsen und sich nicht mehr verdrängen lassen. Doch dann wird es für jede Lösung zu spät sein. Realistisch an diesem Verhalten ist immerhin, daß die Bedeutung der Natur für den Menschen nicht überschätzt, sondern relativiert wird.

2. Flucht in den Konsum

Viele Menschen glauben aber auch, daß der Umweltkollaps irgendwann kommen wird, daß wir ihn wohl nicht auf Dauer verhindern können. Sie leben deshalb so weit wie möglich in der Gegenwart, stürzen sich auf jedes Vergnügen, konsumieren auf Teufel komm raus. Nur das Hier-und-Jetzt zählt für sie, denn schon bald könne alles vorbei sein. Logischerweise hat diese Gruppe wenig Interesse an Umweltschutz, sie bezweifelt seinen Erfolg. Aber sie engagiert sich auch kaum für die Entwicklung technischer Lösungen. »Lebe heute!«, das könnte man ihr Motto nennen. Vor allem Jugendliche und sogenannte Yuppies vertreten diese Position.

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So ist es am bequemsten: Man genießt das Leben einfach, solange es noch geht. Und dann? »Nach uns die Sintflut!« Das ist eine reichlich verantwortungslose Haltung, vor allem kommenden Generationen gegenüber (insofern es solche Generationen noch geben wird; denn falls alle Menschen derart egozentrisch nur um ihre momentane Befriedigung kreisten, dürfte die Katastrophe nicht zu verhindern sein). Und wenn die Konsumisten Pech haben, dann kommt diese Katastrophe noch zu ihren Lebzeiten. Positiv läßt sich einem solchen Standpunkt allenfalls abgewinnen, daß er uns davor warnt, nur für morgen zu leben, nur in der Hoffnung auf eine — letztlich ungewisse — Zukunft, und dabei das heutige Leben zu vernachlässigen.

3. Resignation

Die Gruppe der Resignierenden teilt mit der eben beschriebenen die Auffassung, daß die Natur und mit ihr der Mensch auf längere Sicht kaum eine Chance haben. Nur verzweifelt sie an dieser Aussicht. Sie besitzt nicht die Kraft oder den Willen, die verbleibende Zeit noch auszukosten, sondern lebt wie gelähmt, in ständiger Angst oder Resignation. Man starrt auf das drohende Ende wie das Kaninchen auf die Schlange. Wir finden diese Krisenreaktion bevorzugt bei älteren Personen, aber auch bei jungen Leuten mit der »Null-Bock«-Mentalität.

Angst und Depression angesichts der bedrohlichen Umweltentwicklung sind zwar eine verständliche Reaktion. Aber wie man sagt: Angst ist ein schlechter Ratgeber. Man verhält sich passiv oder panisch, und beides fördert keine sinnvolle Problemlösung. Positiver ist da noch die der Resignation benachbarte Gelassenheit, ein umfassendes Einverstandensein mit allem, was geschieht, ohne Depressivität oder Verbitterung. Aber auch eine solche Geisteshaltung, die gerne als weise charakterisiert wird, beinhaltet ein Nicht-Handeln. Und so läßt sich die Um/Welt nun einmal nicht verändern.

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4. Engagement zur Rettung der Natur

Es gibt aber auch eine nicht unbeträchtliche und wachsende Anzahl von Menschen, die sich dafür einsetzen, die natürliche Umwelt — viel konsequenter als bisher — zu schützen und zu bewahren. Sie verdrängen die Gefahr einer ökologischen Apokalypse nicht, halten sie aber für überwindbar, wenn der Umweltschutz endlich wirksam durchgezogen wird. Diese Menschen verstehen sich als Teil einer Umweltbewegung, ihre politische Heimat finden sie vorrangig bei den Grünen.

 

Eine solche Einstellung scheint zunächst die realistischste und reifste zu sein. Man verdrängt die Gefahr nicht, flüchtet nicht in den Konsumrausch, resigniert aber auch nicht, sondern stellt sich dem Problem und versucht, es zu lösen. Ich selbst habe Natur-und Umweltschutz früher für den — einzigen — richtigen Weg gehalten und eine konsequente Durchsetzung des »ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft« befürwortet. Aber ich mußte erkennen, daß ich mich im Irrtum befand, und vertrete heute das Gegenteil. Jetzt behaupte ich: Das Engagement zur Rettung der Natur ist sogar die unrealistischste Haltung, weil sie als einzige davon ausgeht, wir könnten die Natur (in heutiger Form) erhalten oder ihr sogar wieder mehr Platz auf der Erde einräumen. 

Obwohl ich das Naturengagement — von der Motivation her — weiterhin für verantwortungsbewußt und idealistisch ansehe, halte ich es andererseits für gefährlich, weil es Illusionen nährt und notwendige Verhaltensänderungen blockieren mag. Außerdem wird dieser Ökologismus oft mit einer Intoleranz und Arroganz (des Besserwissenden) vertreten, mit schulmeisterlichem Moralisieren, bis hin zum Schnüffeln im Müll des Nachbarn, ob der auch seine Abfälle ordnungsgemäß getrennt hat. Ich denke, daß die vier genannten Haltungen zur Naturkrise — Verdrängung, Konsumrausch, Resignation und Umweltengagement — wirklich die häufigsten und wichtigsten sind. Und interessanterweise stieß ich jetzt in einem Artikel von Rolf R Sieferle (Gaia 2/94) auf eine ähnliche Unterteilung: 1. Business as usual, 2. Carpe diem, 3. Intellektuelle Resignation und 4. Mahnung zur Umkehr, wobei Sieferle diesen Problem-Haltungen einen »Realistischen Umgang« gegenüberstellt. Entsprechend betrachte ich die vier von mir beschriebenen Einstellungen letztlich alle als unangemessen oder dysfunktional. Sie verraten damit auch ein »natürliches Denken«, das egozentrisch und egoistisch begrenzt ist, dem es an Übersicht, Klarheit, Nüchternheit, Unvoreingenommenheit, Unparteilichkeit, aber auch Ganzheitlichkeit mangelt. 

Eine sinnvolle, funktionale Haltung muß sich dagegen aus einem technischen Denken, einem »Techno-Bewußtsein« speisen. Das ist schwierig, weil unsere technologische Reife noch bescheiden ist, wir eben noch stark naturverbunden sind. Dennoch: Der Geist kann am ehesten zukünftige Entwicklungen vorwegnehmen, auch wenn die Gefühle und das Verhalten hinterherhinken. Und so wird es möglich sein, eine neue Haltung gegenüber Natur und Technik zu beschreiben und einzufordern, in der Hoffnung, daß es gelingt, unsere Naturßxiertheü, unsere »Naturbesessenheit« so weit aufzulockern, daß die progressive Haltung Realität wird.

Halten wir zum Abschluß des ersten Kapitels die drei Hauptthesen noch einmal fest: Erstens: Der Mensch kann die Natur nicht retten. Zweitens: Der Mensch soll die Natur nicht retten. Drittens: Der Mensch muß sich durch die Technik retten.

 

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