Verlagsleseprobe     

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1  Mit Vollgas ins neue Ölzeitalter

 

Amerika schwingt sich zur neuen Energiesupermacht auf.

Das verdankt das Land dem geologischen Zufall, aber mehr noch der Halsstarrigkeit der Texaner.

 

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 Am 1. Juni 2017 tritt US-Präsident Donald Trump im Rose Garden des Weißen Hauses ans Rednerpult. Es ist ein sonniger Frühsommertag, eine leichte Brise weht. Es sei seine heilige Pflicht, Amerika und seine Bürger zu beschützen, erklärt Trump, hinter ihm die Stars and Stripes. Und um diese Pflicht zu erfüllen, werde sich die USA aus dem Pariser Klimaabkommen zurückziehen. Pittsburgh – das einstige Herz der US-Stahlindustrie – statt Paris, ruft er. An dieser Stelle muss der Präsident kurz eine Pause einlegen, weil die versammelten Vertreter seiner Regierung in heftigen Applaus und zustimmende Rufe ausbrechen.

Das weltweite Klimaabkommen von 2015, das sein Vorgänger Obama zu seinen größten Errungenschaften gezählt hatte, ist nach Trumps Ansicht nichts als ein schlechter Deal, der ausschließlich anderen Ländern zugutekommt, »während Amerikas Arbeiter – die ich liebe – und die amerikanischen Steuerzahler die Kosten dafür durch verlorene Jobs, niedrigere Löhne, geschlossene Fabriken und eine deutlich verminderte Wirtschaftsleistung tragen müssen«, so Trump.

Und er lässt keinen Zweifel, um was es ihm eigentlich geht. »Wir haben die größten Energiereserven des Planeten, doch mit dem Abkommen würden wir sie praktisch wegschließen, wir würden auf unseren Reichtum verzichten«, sagt er an jenem Tag im Rosengarten.1 Bei einem Wirtschaftswachstum von einem Prozent, da würden vielleicht erneuerbare Energien reichen, doch nicht die drei bis vier Prozent Wachstum, für die er, Trump, von nun an sorgen würde. »Dafür brauchen wir alle Energie, die uns zur Verfügung steht.« Wie Deutschland hat auch Trump eine Energiewende eingeleitet, nur führt sie mit Vollgas ins fossile Brennstoffzeitalter zurück.

Die Folgen dieses Ölbebens sind weitreichend. Zum einen löst es eine tektonische Verschiebung der Geopolitik aus. Eine Verschiebung, die Deutschlands Sicherheit und Energieversorgung gefährdet. Zum anderen wird das neue Zeitalter, das der Präsident einläutet, den Klimawandel anheizen. Mit katastrophalen Folgen für den Rest der Welt.

Mit Trumps Absage verliert das historische Klimaabkommen von Paris den entscheidenden Partner. Nicht nur, weil Amerika der zweitgrößte Verschmutzer der Welt ist, sondern weil nach dem US-Ausstieg auch andere große Volkswirtschaften wie China und Indien, die Nummern eins und drei, dem Beispiel folgen und ihre Bemühungen, den Klimawandel aufzuhalten, zugunsten kurzfristiger Wachstumsgewinne aufgeben oder zumindest einschränken könnten.

Mit seinen Zweifeln am vom Menschen verursachten Klimawandel ist Trump alles andere als allein. Doch für seine Politik ist das Leugnen eines Zusammenhangs zwischen fossilen Brennstoffen und einer sich abzeichnenden Umweltkatastrophe zwingend. Nur wenn es diesen Zusammenhang nicht gibt, lässt sich Trumps wichtigstes Vorhaben rechtfertigen – die mit fossilen Brennstofen angetriebene Reindustrialisierung der USA.

Nie zuvor hat sich eine US-Regierung derart der Förderung von fossilen Brennstoffen jeglicher Art verschrieben. Trumps Strafzölle mögen die Staatschefs von Berlin bis Peking umtreiben. Seine Obsession mit dem Milliardenbau »einer schönen Mauer« gegen Mexiko, um »bad hombres« abzuhalten, mag die Opposition im eigenen Land in Wallung bringen, und seine möglichen Verstrickungen mit Russland, seine Affären mit Playboy-Model und Pornostar, seine chaotische Amtsführung mögen Reporter zu immer neuen Schlagzeilen animieren.

Das alles wird in ein paar Jahren in der kollektiven Erinnerung verblasst sein. Doch die grundlegendste Veränderung, die der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika hinterlassen wird, sind die unumkehrbaren Folgen seiner Energiepolitik. Mit ihr stellt er die bisherige Weltordnung auf den Kopf.

Waren die Europäer einst die engsten Verbündeten der USA, sind sie nun zu Vasallen degradiert. Das gilt besonders für die Industrienation Deutschland, die von Energieimporten abhängig ist.

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Seit 1990 hat sich die deutsche Gewinnung von Energierohstoffen wie Kohle und Erdgas um 40 Prozent reduziert. Heute werden nach Angaben des Umwelt­bundesamtes etwa 4000 Petajoule inländisch gewonnen. Damit kann das Land gerade ein Drittel des Primärenergiebedarfs decken. Deutschland importiert Erdgas, Uran, Steinkohle und Öl – die drei letzteren kommen zu 100 Prozent aus dem Ausland.2 Bis vor wenigen Jahren schienen die USA dieses Schicksal zu teilen, auch die Supermacht jenseits des Atlantiks war von Öl- und Gasimporten, vor allem aus dem Nahen Osten, abhängig. Der ungehinderte Zugang der westlichen Industrienationen zu diesen Energiequellen – vor allem Öl – war ein gemeinsames Interesse. Ein Interesse, dem die USA im Gegensatz zu Deutschland notfalls militärisch Nachdruck verleihen konnten – und es auch immer wieder taten. Politisch lagen Washington und Bonn, später Berlin, zwar nicht immer auf einer Linie. In Sachen Energiesicherheit aber war man auf demselben Tanker.

 

Die Schieferrevolution

 

Das Ölbeben, das Trump nun für seine Ziele nutzt, hat lange vor ihm begonnen. Noch zehn Jahre vor seiner Wahl hatte es so ausgesehen, als ob die USA sich damit abfnden müssten, in absehbarer Zeit die eigenen Ölreserven verbraucht zu haben. 1970 – da war Nixon Präsident – belief sich die Tagesproduktion auf knapp zehn Millionen Barrel. Schon als J.R. Ewing, der fiese Öltycoon aus Dallas, seine Intrigen und dreckigen Tricks ausspielte, hatte in Wirklichkeit der Abstieg begonnen. Schließlich waren es nur noch fünf Millionen Barrel am Tag.

Jetzt, in einer dramatischen Wendung, die aus einem Dallas-Drehbuch stammen könnte, sind die USA wieder ganz vorne in der Ölförderung. Eine Revolution in der Fördertechnik, das Fracking, hat die USA innerhalb weniger Jahre zum größten Ölproduzenten der Welt gemacht. Rund 12 Millionen Barrel am Tag pumpten die Amerikaner Anfang 2019. Nach Schätzungen der US-Energiebehörde EIA werden bis 2020 täglich über 13 Millionen Barrel aus den Bohrlöchern zwischen North Dakota und New Mexiko sprudeln.3 Damit liegen die Amerikaner deutlich vor den bisherigen Champions Saudi-Arabien und Russland.

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Und es ist nicht nur Öl. Hatten US-amerikanische Energie­experten noch vor kurzem besorgt debattiert, aus welchen Ländern sich künftig der wachsende Bedarf an Erdgas decken lassen würde, legen nun fast täglich Tanker mit Flüssiggas von den US-Häfen in Texas und Louisiana ab. Ihr Ziel: Asien und Europa. So billig ist Erdgas in den USA inzwischen, dass Förderunternehmen es abfackeln, weil es sich nicht lohnt, es aufzufangen.

Während die Deutschen darum ringen, ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern und sich weiter den Klimazielen der internationalen Gemeinschaft verpflichtet fühlen, hat Trump diesen Konsens verlassen. Das gibt Amerika zumindest kurzfristig einen Wettbewerbsvorteil. Der ungehemmte Einsatz von Öl, Gas und Kohle senkt die Kosten für Unternehmen. Allein in den vergangenen Jahren haben Unternehmen aus der Petrochemie, die einen hohen Bedarf an Energie, Öl und Gas haben, 300 neue Projekte mit einem Investitionsvolumen von mehr als 200 Milliarden Dollar in den USA angekündigt.4 Zwei Drittel haben ausländische Beteiligung, so der Washingtoner Branchenverband. Milliarden Investorengelder sind in den US-Energiesektor geflossen.

Für die Branche bedeutet Trump das letzte Hurra. Entsprechend werden Tatsachen geschaffen – buchstäblich in Stahl und Beton gegossen. Sind die Rohre erst einmal eingegraben, die Raffinerien genehmigt, die Förderrechte gesichert, dann wird es für Trumps Nachfolger schwer sein, dies wieder rückgängig zu machen. Trump, der sein Amt im Weißen Haus in der gleichen Weise führt, wie er einst seine Immobiliendeals im New Yorker Trump Tower durchzog, erkennt in dem Energieüberfluss, was die New Yorker »leverage« nennen: Einen Hebel, den er ansetzen kann, um einen Vorteil herauszuhandeln.

Besonders Deutschland mit seiner Exportstärke empfndet der Präsident als unfairen Konkurrenten für »seine« Unternehmen. Schon sein Vorgänger Obama forderte, die Bündnispartner der NATO – allen voran Deutschland – sollten für die Schutzleistung der Amerikaner mehr bezahlen. Doch der Ton, den vor allem Richard Grenell, Trumps Gesandter in Berlin, anschlug, war von sengender Schärfe. »Heuchlerisch«, schimpfte er die Bundesregierung etwa.

Weil er sich wie ein »rechtsextremer Kolonialoffizier« (Ex-SPD-Chef Martin Schulz) auführe, solle man den undiplomatischen Diplo-

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