Noam Chomsky Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen Zentrale Schriften zur Politik
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dradio.de/dkultur/sendungen/lesart/849309/ LESART 21.09.2008 Rezensiert von Reinhard Kreissl
Moderne Gesellschaften haben ihre eigenen Methoden entwickelt, mit grundsätzlicher intellektueller Kritik umzugehen. Man errichtet keine Scheiterhaufen mehr, schickt die Leute nicht mehr in die Verbannung, sondern verleiht ihnen den Titel des Hofnarren. Noam Chomsky ist dieses Schicksal widerfahren. Der als Linguist hoch geehrte Wissenschaftler wird als radikaler Gesellschaftskritiker in akademischen Kreisen weit weniger ernst genommen. Dabei könnte die jetzt im Kunstmann Verlag vorgelegte Sammlung von Chomskys zeitdiagnostischen Beiträgen ein Vorbild für all jene sein, die sich von Berufs wegen mit öffentlichen Belangen beschäftigen. Aus deren Sicht aber gilt Chomsky der Kritiker als Netzbeschmutzer oder Dilettant. Ein Verdikt, dem man nicht zustimmen muss, das man aber verstehen kann, wenn man sieht, wie er mit der Zunft der Akademiker ebenso harsch wie zutreffend ins Gericht geht.
Diese 1967 formulierte Beobachtung hat bis heute nichts an Aktualität verloren. Wie im Übrigen bei vielen der frühen Analysen von Chomsky zum Beispiel über den Vietnamkrieg und das amerikanische Engagement in Indochina gerade die Lektüre im Rückblick ihre Hellsichtigkeit zu Tage fördert. Das Schalten und Walten des militärisch-industriell-politischen Komplex' in den Ländern der Dritten Welt, im Nahen Osten aber auch auf dem Balkan ist eines der zentralen Themen, das nahezu alle Beiträge des Buches durchzieht. Chomsky gelingt dabei in bewundernswerter Weise der Spagat zwischen faktenreicher Darstellung komplexer Zusammenhänge, klarer Analyse von Mechanismen und heiligem Zorn über die Machenschaften, die er seiner Leserschaft in den verschiedenen Essays vorführt. Das gilt ebenso für seine eher innenpolitisch orientierten Analysen, die von Watergate bis zu den Anschlägen des 11. September reichen. Chomsky vermeidet den falschen Optimismus vieler Kommentatoren, die in der Aufdeckung politischer Skandale, in der Möglichkeit der post-hoc Kritik an schädlichen politischen Entscheidungen die Stärke einer Demokratie bestätigt sehen. Er propagiert einen Realismus des analytischen Blicks, der sich von solchen Formen der Scheinkatharsis nicht blenden lässt. "Während Watergate die öffentliche Aufmerksamkeit fesselte, sagte Botschafter Godley vor dem Kongress aus, dass die Vereinigten Staaten in Laos zwischen 15.000 und 20.000 thailändische Söldner eingesetzt hatten, eine klare Verletzung der Kongress-Beschlüsse. Dass es schon seit den ersten Tagen der Nixon-Regierung geheime Bombardements in Kambodscha und Nordlaos gab, ist bei weitem die wichtigste Enthüllung der vergangenen Monate. Wäre es eine realistische politische Option, man könnte sich schwerlich einen triftigeren Grund für ein Amtsenthebungsverfahren vorstellen. Aber auch in diesem Fall zielen die Reaktionen zum größten Teil ins Leere. Anscheinend sind die Kongressabgeordneten und politischen Kommentatoren mehr über die Vertuschungs- und Täuschungsversuche irritiert als über das Geschehen selbst." Chomsky lässt sich nicht auf die moralischen Mysterienspiele ein, mit denen die Politik ihr für ihn verwerfliches Handeln im Nachhinein entschuldigt oder rechtfertigt. Den ohnehin in politischen Diskussionen viel zu selten gehörten Satz: Wir haben uns geirrt oder einen Fehler gemacht. lässt er nicht durchgehen. Was hilft die Einsicht, dass die Bombardierung vietnamesischer Dörfer ein Fehler war, nachdem solche Aktionen zehntausende von unschuldigen Opfern das Leben gekostet haben? Chomsky weiß, dass er und jeder, der eine gewisse unvoreingenommene Radikalität an den Tag legt, unter den herrschenden Bedingungen des hegemonialen Konsens ein Rufer in der Wüste bleibt. Immer wieder betont er dementsprechend seine Rolle als marginal man. Dennoch entwickelt er eine ungeheure literarische Produktivität als Autor, Aktivist und Redner, der sich den Mund nicht verbieten lässt und die Dinge, die er sieht, beim Namen nennt. Dass diese Art der Benennung selten mit der regierungsamtlichen Propaganda übereinstimmt und damit auch massenmedial untauglich ist, ficht ihn nicht an. Chomsky weiß über die Ökonomie der Massenmedien Bescheid und schreibt erhellend über die verschiedenen Arten der Zensur, von der subtilen Form, die er in der New York Times findet, bis zur brachialen Unterdrückung von Meinungsvielfalt durch Interventionen der USA in Südamerika. Sein geradezu grimmiger Realismus überrumpelt immer wieder die Tabus des Tages. Die Attacken des 11. September waren ein schreckliches Ereignis, aber, so Chomsky, im Vergleich zu den Menschenopfern derer sich die Politik Amerikas schuldig gemacht hat ist die Aufregung und vor allen Dingen die Reaktion übertrieben. Auch wenn seine Urteile bisweilen harsch wirken, Chomsky untermauert jeden seiner Kritikpunkte akribisch mit Belegen aus politischen Dokumenten und einschlägigen Untersuchungen. Das führt allerdings gelegentlich dazu, dass man beim Lesen in die Verästelungen der amerikanischen Innenpolitik verwickelt wird was dann zu langatmigen Ausführungen über die Sitzungen dieses Komitees und die Befunde jenes Ausschusses führt. Man hätte hier bei der Auswahl der Artikel für ein deutschsprachiges Publikum etwas sorgfältiger vorgehen können. Auch die Übersetzung von Chomskys trocken bissiger Prosa kommt gelegentlich etwas holprig daher, eine vermeidbare Beeinträchtigung des Lesevergnügens. Sieht man von diesen, eher von den Herausgebern als vom Autor verschuldeten Mängeln ab, hat man mit diesem Buch ein Vademecum des öffentlichen Gebrauchs der kritischen Vernunft in der Hand, das man gerade jenen empfehlen sollte, die heute das hohe Lied akademischer Exzellenz und gesellschaftlicher Relevanz der akademischen Debatten singen. An der Figur von Noam Chomsky lässt sich der auch hierzulande beobachtbare Auszug des kritischen Geist aus den Universitäten verfolgen: Chomskys Beiträge werden heute vermutlich eher in Diskussionen bei Treffen von Attac als in akademischen Seminaren diskutiert.
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