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13 - Wird sich der Kreis schließen?

Commoner-1971 (Schluss)

 

 

268-274

In diesem Buch habe ich mich mit den Zusammenhängen zwischen der Umweltkrise und den Gesellschaftssystemen befaßt, zu deren Bestandteil sie gehört. Das Buch zeigt, so glaube ich, daß die Logik der Ökologie viele der Probleme, die die Welt und ihre Bewohner quälen, zu erhellen vermag. Das Verständnis der Umweltkrise erklärt die Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderungen, in deren weiterem Rahmen auch die Lösung der Umweltkrise liegt.

Aber zwischen der Logik der Ökologie und den Bedingungen der Realität, in denen die Umweltprobleme verankert sind, besteht ein schroffer Gegensatz. Trotz der ständigen Hinweise auf ganz konkrete, alltägliche Erfahrungen — wie verpestete Luft, verschmutzte Gewässer und unübersehbare Schutthalden — herrscht eine Atmosphäre der Unwirklichkeit um die Umweltkrise. 

Die komplizierte Chemie des Smogs, der Düngemittel und ihrer noch feiner verwobenen Verbindungslinien zu wirtschaftlichen, sozialen und politischen Problemen sind Gedankengebäude, die reale Merkmale des modernen Lebens betreffen, aber sie bleiben eben doch Gedanken. 

Was in unserem Leben wirklich und — im Gegensatz zu der nachvollziehbaren Logik der Ökologie — chaotisch und schwer zu handhaben ist, ist die scheinbar hoffnungslose Trägheit des ökonomischen und politischen Systems; seine phantastische Behändigkeit, sich um die Grundprobleme herumzuwinden, die die Logik offenbart; das selbstsüchtige Manövrieren derer, die an der Macht sind, und ihre Bereitschaft — oft unwissentlich, manchmal aber auch zynisch —, sich selbst der Umweltzerrüttung als eines Mittels zur Erlangung noch größerer politischer Machtfülle zu bedienen; die Hoffnungslosigkeit des einzelnen Staatsbürgers, der sich mit dieser Macht und ihren Ausflüchten konfrontiert sieht; die Verwirrung, die wir alle empfinden, wenn wir einen Ausweg aus dem Umweltdilemma suchen. 

Um eine Verbindung zwischen der Logik der Ökologie und der Realität herzustellen, müssen wir sie zu den gesellschaftlichen, politischen und wirtschaft­lichen Kräften in Beziehung setzen, die sowohl unseren Alltag als auch den Gang der Geschichte bestimmen.

Wir leben in einer Zeit, die von ungeheurer technischer Gewalt und äußerster menschlicher Not beherrscht wird. Die Gewalt der Technik offenbart sich in qualvoller Deutlichkeit in den Megawatt-Leistungen der Elektrizitätswerke und den Megatonnen Sprengkraft der Atombomben. Die menschliche Not wird schon allein an der Zahl der Menschen deutlich, die heute und in nächster Zukunft am Leben erhalten werden sollen, im Verfall ihres Wohnraums, der Erde, und in der ausweglos scheinenden, weltweiten Seuche von Armut und Hunger. Die Kluft zwischen der vernunftlosen Macht und der menschlichen Not vergrößert sich ständig, da die Macht sich an derselben falschen Technologie mästet, die auch die Not vermehrt.

Überall auf der Welt gibt es Beweise genug für das Scheitern jedweden Versuchs, die den Menschen zur Verfügung stehenden Fähigkeiten, Reichtümer und Kräfte zu ihrem größtmöglichen Vorteil zu nutzen. Denn wir befinden uns in einer Umweltkrise, weil die Mittel, derer wir uns zur Schaffung von Wohlstand durch Ausbeutung der Ökosphäre bedienen, die Ökosphäre selbst zerstören.

Das gegenwärtige Produktionssystem ist selbstzerstörerisch; der gegenwärtige Kurs, den die menschliche Zivilisation steuert, selbstmörderisch.

Die Umweltkrise ist der düstere Beweis für einen heimtückischen Betrug, den Produktivität und Reichtum der modernen, auf Technologie beruhenden Gesellschaft verschleiern. Dieser Reichtum wurde durch eine rasche und kurzfristige Ausbeutung des Umweltsystems geschaffen, die gleichzeitig und blindlings eine ungeheure Schuld der Natur gegenüber angehäuft hat (in Form der Umweltzerrüttung in den Industrie- und des Bevölkerungsdrucks in den Entwicklungsländern) — eine Schuldenlast, die so groß und so beherrschend ist, daß sie, bliebe sie unbezahlt, noch zu Lebzeiten der nächsten Generation den größten Teil des Reichtums verschlingen könnte, den sie uns eingebracht hat. 

Die Bilanz in den Rechnungsbüchern der modernen Gesellschaft ist derart unausgeglichen, daß ersichtlich wird, welch ungemeiner Betrug an den Völkern dieser Welt verübt worden ist. Der schnell sich verschlechternde Kurs der Umweltverschmutzung ist ein Alarmzeichen dafür, daß der Schwindel alsbald auffliegen, daß die Forderung, die globalen Schulden zu begleichen, gegenüber einer Welt erhoben werden könnte, die bereits bankrott ist.

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Das bedeutet nicht notwendigerweise, daß die Industrienationen, um die Umweltkrise überleben zu können, ihren Lebensstil des »Überflusses« aufgeben müßten. Denn, wie wir gezeigt haben, ist dieser »Überfluß« — mißt man ihn anhand so herkömmlicher Kriterien wie Bruttosozialprodukt, Energieverbrauch und Metallerzeugung — selbst eine Illusion. Darin spiegelt sich nämlich in einem ganz erheblichen Maß nur eine ökologisch falsche, gesellschaftlich verschwenderische Form der Produktion, nicht aber das tatsächliche Wohlergehen der Individuen. 

Daher können die nötigen Reformen auf dem Produktionssektor vorgenommen werden, ohne daß dadurch das gegenwärtige Maß an nützlichen Gütern, die dem Individuum zur Verfügung stehen, wesentlich verringert würde; gleichzeitig könnte durch eine Kontrolle der Umweltverschmutzung die Qualität der Lebensbedingungen erheblich verbessert werden.

Es gibt jedoch den einen oder anderen Luxus, den uns die Umweltkrise — und der bevorstehende Bankrott, den sie anzeigt —, so fürchte ich, aufzugeben zwingen wird. Es sind dies die verschiedenen Formen des politischen Luxus, den bislang diejenigen genießen konnten, die daraus ihren Nutzen zu ziehen wußten: der Luxus, zuzulassen, daß der Reichtum einer Nation vorzugsweise den Interessen einer so kleinen Minderheit ihrer Bürger dient; der Luxus, jede Information der Bürger zu unterlassen, die sie besitzen müßten, um ihr Recht auf politische Herrschaft ausüben zu können; der Luxus, jeden Hinweis, der grundlegende wirtschaftliche Werte in Frage stellt, als Lästerung zu verdammen; der Luxus, die strittigen Probleme, die die Logik aufdeckt, unter einer Flut selbstbefriedigender Propaganda zu begraben.

Um die Umweltkrise beheben zu können, werden wir — endlich — auch auf den Luxus verzichten müssen, Armut, Rassendiskriminierung und Krieg zu dulden. Auf unserem ahnungslosen Marsch in den ökologischen Selbstmord haben wir unsere Alternativen verspielt. Jetzt, wo uns die Rechnung für unsere Umweltschulden präsentiert worden ist, sind uns nur noch zwei Möglichkeiten geblieben: entweder eine vernunftgemäße, soziale Organisation von Gebrauch und Verteilung der Ressourcen dieser Erde — oder eine neue Barbarei.

Diese unausweichliche Logik ist unlängst von einem der stärksten Verfechter der Geburtenkontrolle, von Garrett Hardin, offen ausgesprochen worden. Während der letzten Jahre äußerte er sich wiederholt zu der von ihm so genannten »Tragödie des Gemeindelands« — das heißt zu jener Anschauung, wonach das globale Ökosystem so etwas wie ein öffentliches Weideland sei, auf dem jeder einzelne — geleitet von dem Wunsch nach persönlichem Gewinn — seine Herde weiden und wachsen läßt, bis die Weide für alle unbrauchbar geworden ist.

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Aus dieser Analogie zog Hardin zwei Schlüsse: erstens, daß »Freiheit auf einem Gemeindeland zum Ruin aller führt«, und zweitens, daß die Freiheit, die eingeschränkt werden müsse, um diesen Ruin zu vermeiden, nicht die Freiheit sei, privaten Gewinn aus einem gesellschaftlichen Gut (dem Gemeindeland) zu ziehen, sondern vielmehr »die Freiheit, sich zu vermehren«.

Hardins Logik ist klar und bewegt sich in der Richtung, die wir an anderer Stelle skizziert haben: Wenn wir die gegenwärtige Herrschaft privater Interessen über gesellschaftliche Güter (das Gemeindeland oder die Ökosphäre) als unabänderlich hinnehmen, dann erfordert unser Überleben eine unmittelbare, drastische Begrenzung der Bevölkerungszahl.

Vor kurzem hat Hardin diesen Gedankengang nun bis zu seinem bitteren logischen Ende fortgeführt: In einem Leitartikel180 in <Science> erklärt er:

»Von Tag zu Tag werden wir [das heißt die Amerikaner] zu einer kleineren Minderheit. Wir vermehren uns nur zu einem Prozent jährlich; die übrige Welt vermehrt sich doppelt so schnell. Um das Jahr 2000 wird jeder 24. Mensch ein Amerikaner sein; in hundert Jahren nur noch jeder 46.... Wenn die Erde ein einziges großes Gemeindeland ist, auf dem alle Nahrung gleichmäßig aufgeteilt wird, dann sind wir verloren.

Diejenigen, die sich schneller vermehren, werden allmählich den Platz der übrigen einnehmen ... Ohne Geburtenkontrolle läßt eine Politik, die nach dem Prinzip <pro Mund eine Mahlzeit> verfährt, schließlich eine ganz und gar erbärmliche Welt entstehen. In einer nicht ganz perfekten Welt wie der unseren muß das Prinzip der Zuteilung von Rechten, die auf Territorialbesitz beruhen, gewahrt werden, wenn ein verderblicher Fortpflanzungswettlauf vermieden werden soll.

Es ist unwahrscheinlich, daß Kultur und menschliche Würde überall fortbestehen können; aber besser an einigen Stellen als nirgendwo. Die vom Glück begünstigten Minderheiten müssen als Treuhänder einer Kultur handeln, die durch Unwissende mit guten Absichten bedroht wird.«

Hier tritt Barbarei — nur schwach verhüllt — zutage. Sie leugnet das gleiche Recht aller Menschen auf ein menschliches Leben. Sie verurteilt die meisten Menschen zu einem Leben auf dem materiellen Niveau von Barbaren und die übrigen, die »glücklichen Minderheiten«, zu einem Leben auf dem moralischen Niveau von Barbaren.

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Weder innerhalb von Hardins winzigen Enklaven der »Kultur« noch in der weiten Welt um sie herum würde irgend etwas von dem, was wir zu bewahren suchen, fortbestehen — weder menschliche Würde noch Humanität und ebensowenig Kultur und Zivilisation. In dem engen Entscheidungsraum, der uns in einer Welt, die sich in den Klauen der Umweltkrise befindet, noch verblieben ist, gibt es keine andere Wahl als die zwischen der Barbarei und der Anerkennung der wirtschaft­lichen Konsequenz aus den ökologischen Geboten — die darin besteht, daß die gesellschaftliche, globale Natur der Ökosphäre eine entsprechende Organisation der Produktions­unternehmungen, die von ihr abhängig sind, erfordert.

Eine der üblichen Reaktionen auf die Aufzählung der Umweltübel dieser Erde ist ein tiefer Pessimismus, der vielleicht nur als natürliche Nachwirkung jenes Schocks anzusehen ist, der jedem von uns durch die Erkenntnis versetzt wird, daß der vielgerühmte »Fortschritt« der modernen Zivilisation nichts als ein schäbiger Deckmantel einer weltweiten Katastrophe ist.

Ich bin jedoch davon überzeugt, daß — wenn wir erst einmal über das bloße Bewußtsein drohenden Unheils hinausgelangen und zu verstehen beginnen, warum wir in diese mißliche Lage geraten sind und wohin uns die Alternativen in Zukunft führen könnten —, daß wir dann gerade in der Natur der Umweltkrise einigen Anlaß zum Optimismus finden werden.

So besteht beispielsweise Grund zu Optimismus gerade auch in der Komplexität der Probleme, die die Umweltkrise hervorgerufen hat; sind die Verbindungen zwischen den einzelnen Teilbereichen eines Problems einmal erkannt, dann wird es möglich, neue Mittel und Wege zu entdecken, um das ganze Problem zu lösen. Betrachtet man etwa gesondert die dringende Notwendigkeit, in den Entwicklungsländern neue Produktionsbetriebe zu errichten, und die andere, die in den Industrieländern vorhandenen Unternehmen nach ökologischen Gesichtspunkten zu reorganisieren, dann mag beides hoffnungslos schwierig erscheinen. Wenn jedoch erkannt worden ist, was beide miteinander verbindet — nämlich die ökologische Bedeutung der Einführung synthetischer Ersatzstoffe für natürliche Materialien —, dann werden Möglichkeiten offenbar, wie beide Probleme auf einmal zu lösen sind. 

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Oder wir geraten in Verzweiflung darüber, einen so großen Teil der Ressourcen dieser Erde aus dem Zugriff der Vereinigten Staaten entlassen zu sollen, bis deutlich wird, wieviel dieses »Überflusses« die Umwelt belastet, statt zum Wohl der Menschen beizutragen. Dann wird gerade die Größe des heutigen Anteils der Vereinigten Staaten an den Ressourcen dieser Erde zu einer Quelle der Hoffnung — denn seine Verringerung mittels ökologischer Reformen kann dann einen starken und günstigen Einfluß auf die verzweifelte Notlage der Entwicklungsländer ausüben.

Optimistisch kann ferner die Tatsache stimmen, daß die Umweltkrise nicht das Produkt biologischer (Un-)fähigkeiten des Menschen ist, die sich möglicherweise nicht mehr rechtzeitig verändern könnten, sondern vielmehr seines gesellschaftlichen Verhaltens — das sehr viel schnelleren Umwälzungen unterworfen ist.

Da die Umweltkrise das Ergebnis der schlechten gesellschaftlichen Verwaltung der Ressourcen der Erde darstellt, kann sie behoben werden und der Mensch unter menschlichen Lebensbedingungen weiterexistieren, wenn die Gesellschaftsordnung der Menschheit in Einklang mit der Ökosphäre gebracht wird.

Hier können wir etwas Grundsätzliches von der Natur lernen: daß nämlich nichts auf diesem Planeten fortdauern kann, was nicht einen kooperativen Bestandteil eines größeren, globalen Ganzen bildet. Das Leben selbst hatte diese Lektion ursprünglich auch erst zu lernen. Denn man wird sich daran erinnern, daß die ersten Lebewesen der Erde — wie die moderne Menschheit — ihre Ernährungsgrundlage aufzehrten, indem sie den geochemischen Vorrat an organischen Substanzen in Abfallstoffe umwandelten, mit denen sie ihre Bedürfnisse nicht mehr befriedigen konnten. Das Leben folgte, so wie es zuallererst auf der Erde in Erscheinung getreten war, einem geradlinigen selbstzerstörerischen Kurs.

Was das Leben vor seiner Auslöschung bewahrte, war das im Verlauf der Evolution erfolgende Auftauchen einer neuen Lebensform, die die Abfallstoffe der primitiven Organismen in neue organische Substanzen zurückverwandelte. Die ersten zur Photosynthese befähigten Organismen wandelten den räuberischen, geradlinigen Kurs, den das Leben steuerte, in den ersten großen ökologischen Zyklus der Erde um. Indem sie den Kreis schlossen, ermöglichten sie, was kein Lebewesen — allein — erreichen kann: ein Weiterleben.

Die menschlichen Lebewesen haben den Kreis des Lebens durchbrochen — und zwar nicht aufgrund irgendeiner biologischen Notwendigkeit, sondern aufgrund der gesellschaftlichen Ordnung, die sie ersonnen haben, um sich die Natur zu »unterwerfen«: durch Mittel und Wege zur Erlangung von Reichtum, für die Erfordernisse maßgebend sind, die im Widerspruch zu jenen stehen, die für die Natur maßgebend sind.

Das Endergebnis ist die Umweltkrise, ist eine Überlebenskrise. Noch einmal muß, um ein Überleben zu ermöglichen, der Kreis geschlossen werden. Wir müssen lernen, wie wir der Natur die Reichtümer zurückerstatten können, die wir von ihr entliehen haben.

In unserer auf Fortschritt versessenen Gesellschaft wird von jedem, der sich anmaßt, ein schwieriges Problem zu verdeutlichen, erwartet, daß er sich gleichzeitig anbietet, es auch zu lösen.

Aber niemand von uns — ob als einzelner oder als Mitglied irgendeines Komitees — kann wahrscheinlich einen speziellen »Plan« zur Lösung der Umweltkrise entwerfen. Etwas anderes zu behaupten hieße nur, sich um die eigentliche Bedeutung der Umweltkrise herumzudrücken: daß es nämlich nicht irgendein einzelner schwerwiegender Fehler gewesen ist, der die Welt an den Rand des ökologischen Zusammenbruchs gebracht hat — und der mit Hilfe eines klugen Plans zu korrigieren wäre —, sondern die Phalanx mächtiger wirtschaftlicher, politischer und sozialer Kräfte, die den Lauf der Geschichte bestimmen.

Jeder, der beabsichtigte, die Umweltkrise zu lösen, unternähme es damit, den Lauf der Geschichte zu verändern. Dafür aber ist allein die Geschichte selbst kompetent, denn eine durchgreifende gesellschaftliche Veränderung kann nur unter den Bedingungen rationalen, informierten, kollektiven gesellschaftlichen Handelns konzipiert werden.

Daß wir handeln müssen, ist nicht mehr zu bezweifeln. Die Frage ist nur, wie.

273-274

 

Ende

 

 

 

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