Christian v. DitfurthBlockflötenWie die CDU ihre realsozialistische Vergangenheit verdrängt
1991 bei Kiepenheuer & Witsch |
1991 238 Seiten detopia |
Inhalt Vorwort (11) Für Evi Anmerkungen (231) Leseberichte bei |
1 Ex Oriente pax — Die CDU auf dem Weg in den Sozialismus (16) 2 Die Quadriga — Gerald Götting und seine Helfer (48) 3 Blockflöten im Talar — Die CDU, die Kirche und der »Friedensstaat« (76) 4 Christdemokratische Kundschafter — Wie die CDU auf den Sozialismus aufpaßte (88) 5 Blockflötenbildung — Über die Erziehung zum Unionsfreund (101) 6 Unter Freunden — Aus dem Innenleben der Blockpolitik (114) 7 Das schwarze Loch — Wie die CDU aus der Geschichte floh (137) 8 Aus dem Leben einer Blockflöte — Die erstaunliche Karriere des Josef Duchac (183) 9 Wendige Unionsfreunde — Beispielhafte Blockflötenbiographien (206) 10 Christ-demokratische Doppelmoral — Wie die CDU Sündenböcke findet (223) |
Vorwort
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»Wer aus unserer Partei in der früheren DDR auf einem Paradepferd durchs Ziel geritten ist, muß heute auf einen Esel umsteigen.« So der bekannte Kritiker des SED-Regimes Rainer Eppelmann. Es schlug hohe Wellen in der CDU, als er forderte, daß alle Mitglieder der Ost-CDU, die zwischen dem Tag des Mauerbaus und der Wende politische Ämter bekleidet hätten oder Mandatsträger gewesen seien, sich aus der Politik zurückziehen oder die Partei verlassen sollten. In der Tat, klingt das nicht überzogen? Ist es erstaunlich, daß der mutige Pfarrer keinerlei Unterstützung fand, sondern vielmehr heftig attackiert wurde von seinen Parteifreunden?
Wer dieses Buch gelesen hat, wird sich Pfarrer Eppelmanns Forderung nicht mehr verschließen können, sofern er Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen gewillt ist. Die CDU der DDR war keine Partei von Mitläufern. Vielmehr hat sie sich unentwegt zur Mitverantwortung für den realen Sozialismus bekannt und verlangt, noch umfassender einbezogen zu werden in seine Ausgestaltung. Die führende Rolle der SED anzuerkennen war den meisten »Unionsfreunden«, wie die CDU-Mitglieder sich nannten, ein inneres Bedürfnis. Denn ihre Christlich-Demokratische Union war eine »Partei des Sozialismus«.
Heute wird alle Verantwortung auf Gerald Götting und andere Führungspersönlichkeiten abgeschoben. Wir werden im Verlauf der Untersuchung feststellen, daß hier ein altbekannter Verdrängungsmechanismus seine wirkungsvolle Arbeit leistet. Praktisch jeder christdemokratische Funktionsträger der DDR war Honeckers Gefolgsmann, und er war es freiwillig. Niemand wurde gezwungen, die DDR und die SED zu preisen. Das ist die eine Seite der Medaille.
Die andere ist, daß heute kaum einer der ehemaligen christdemokratischen Aktivisten sich seiner Vergangenheit stellt. Nie akzeptiert und längst vergessen wurde das Eingeständnis Lothar de Maizieres, daß nicht nur die PDS Verantwortung trägt für den realen Sozialismus, sondern auch die CDU. Aus der führenden Rolle der SED ist längst ihre angebliche Alleinschuld geworden. — Die ehemaligen Blockflöten stehlen sich aus der Geschichte — mit Hilfe der Bonner Union, der es wichtiger war, Wahlen zu gewinnen, als dem moralischen Gebot zu folgen, die Mittäter zur Verantwortung zu ziehen.
Von der Erneuerung der Ost-CDU ist erst wieder die Rede, seit die Partei in den neuen Bundesländern in die Krise geriet. Nun, da sie die Quittung für die erlogenen Wahlsiege bekommt, präsentieren die Wahlstrategen Helmut Kohl und Volker Rühe als Sündenböcke die »personellen Altlasten« der ehemaligen DDR-Christdemokratie.
Das »Dresdener Manifest« der CDU, vorgelegt als Antrag des Bundesvorstands auf dem Parteitag vom 15. bis 17. Dezember 1991 in Sachsens Metropole, soll auch dazu dienen, die innerparteiliche Vergangenheitsaufarbeitung voranzubringen. Aber es legt die Verantwortung dafür in die Hände jener, die in das SED-Regime verstrickt waren:
»Wir bitten alle, die in Gesellschaft und Politik ein Amt bekleiden, ihr Verhalten in der Vergangenheit selbstkritisch zu überprüfen. Auch wer keinen Anlaß sieht, sich persönlich etwas vorzuwerfen, muß sich doch die Frage stellen, ob seine frühere Tätigkeit es seinen Mitbürgern heute schwer macht, neues Vertrauen zu gewinnen.«
Wer Mittäter zu Richtern über sich selbst macht, weiß, was er tut — und häuft zusätzlich zur bereits gegebenen weitere Schuld an. Die Operation Vergangenheitsaufarbeitung scheitert an der Inkonsequenz ihrer Initiatoren. Sie rührt daher, daß die CDU-Führung zu viel gleichzeitig bewirken will: die Verantwortung für die realsozialistische Vergangenheit minimieren, in der Öffentlichkeit den Eindruck einer Erneuerung erwecken und, bis auf einige Ausnahmen, die Blockflöten nicht aus der Union vertreiben, weil es ohne sie keine Partei gäbe.
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Denn sie stellen das personelle Gerüst einer Christdemokratie, die in ihren östlichen Landesverbänden mehr denn je auf die einstigen Gefolgsleute der SED angewiesen ist. Viele, die sich nach der Wende in der CDU engagieren wollten, sind bald wieder weggelaufen vor einem Klima der Heuchelei und Selbstbeweihräucherung.
Das Kind ist längst in den Brunnen gefallen. Landauf, landab sitzen in allen Gremien, Parlamenten, Regierungen und Behörden in Dörfern, Städten, Kreisen und Ländern die alten Blockflöten, als wäre nie etwas geschehen. Das ist das unwiderrufliche Resultat der Entscheidung im Konrad-Adenauer-Haus, sich der Wahlkampfbataillone der Ost-CDU zu bedienen.
Mein Versuch, das Parteiarchiv der Ost-CDU zu benutzen, schlug fehl. Es war schnell der Konrad-Adenauer-Stiftung zugeschlagen worden. Ich will hier nicht unterstellen, daß diese Aktion dem Zweck diente, es für einige Jahre aus dem Verkehr zu ziehen. Aber dies ist das Ergebnis. Denn nun muß es in die Registratur des West-CDU-Archivs einsortiert werden. Das dauert lange. Aber immerhin wurde mir angeboten, Quellen bis zum Jahr 1961 einzusehen — zu alt für meine Zwecke.
Mehr Glück hatte ich in Landesparteiarchiven der PDS, in denen unzählige Dokumente der Ost-CDU aufbewahrt werden. Diese Archive sind öffentlich und für jeden zugänglich. Mich hat die Tatsache erstaunt, daß kaum ein Historiker den Weg dorthin findet, wo sich Materialien von unschätzbarem historischem Wert finden lassen. Mein Dank gilt vor allem den Leitern der PDS-Landesarchive Thüringen (Erfurt) und Sachsen (Dresden), und gerne vermerke ich ihre Einladung an alle Interessenten, die Archive zu benutzen, um einen Beitrag zur Vergangenheitsaufarbeitung zu leisten.
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Genauso gilt mein Dank dem Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung und dem Zentralen Parteiarchiv in Berlin. Viele aufschlußreiche Dokumente stammen aus deren Beständen. Andere Materialien verdanke ich Menschen, die mich dabei unterstützen wollten, dieses Buch zu schreiben.
Ich danke außerdem den vielen Anhängern und Gegnern der ehemaligen CDU der DDR, die mir Zeit opferten für Interviews, aus denen ich wesentliche Erkenntnisse gewonnen habe.
Ich weiß, daß manches Urteil in diesem Buch in den neuen Bundesländern von vielen Menschen, die ich im Lauf meiner Recherchen schätzen gelernt habe, nicht gerne gehört und als mindestens zu scharf empfunden wird. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich ein System, welches Verbrechen gegen die Menschlichkeit legalisiert und systematisch ausgeübt hat, als verbrecherisch bezeichne. Das heißt nicht, daß die Menschen, von denen viele um ihre Ideale betrogen wurden, Verbrecher sind.
Ich bekunde meinen Respekt vor jenen, die sich ihrer Vergangenheit und ihrer Verstrickung stellen. Ich habe erlebt, wie schmerzhaft das Eingeständnis eigener Schuld ist. Nur wenige finden die Kraft dazu.
In den ehemaligen Blockparteien gehört es fast schon zum guten Ton, sich im nachhinein in Widerstandskämpfer zu verwandeln. Kaum einem früheren und heutigen Amtsträger der Block-CDU kommt mehr über die Lippen als die Erklärung, man sei nicht mutig genug gewesen, seine Forderungen deutlicher zu erheben und durchzusetzen. Als hätte die CDU der DDR zwischen 1950 und der Wende je Vorstellungen entwickelt, die denen der SED widersprachen. Das Gegenteil ist richtig.
Ich habe dieses Buch geschrieben gegen das Verdrängen und Vergessen einer Geschichte, die heute auch die der Westdeutschen ist. Und ich habe es geschrieben, um Widerspruch anzumelden gegen eine Art, mit historischer Verantwortung umzugehen, die ich als »kriminalistisch« bezeichnen will.
Der Konkurrenzkampf der Medien fordert Sensationen: Mord, Intrigen und Betrug. Und so erscheinen im Bewußtsein der Öffentlichkeit als die Verantwortlichen für die DDR-Vergangenheit neben Honecker, Mittag und Mielke zunehmend die offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit.
An deren Mitschuld besteht kein Zweifel. Aber in der DDR herrschten nicht allein die Staatssicherheit und einige Politbürokraten. In der DDR herrschte vielmehr die SED zusammen mit den mit ihr »befreundeten Parteien« und Massenorganisationen, darunter an prominenter Stelle die CDU. Wer sich nur noch für Stasiskandale und korrupte Politbürokraten interessiert, hilft mit, Nebel zu werfen. Die Repressalien des Ministeriums für Staatssicherheit sind vielmehr undenkbar ohne das politische System der DDR, das zu unterstützen die Ost-CDU nicht müde wurde. Wer sich für den realen Sozialismus einsetzte, setzte sich auch für die Staatssicherheit ein. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar.
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Christian v. Ditfurth, Viersen, im Oktober 1991