Wolfgang Gast, taz, 17.2.98
Es ist offenbar nicht zusammengewachsen, was vielleicht zusammengehört hätte. Achteinhalb Jahre nach dem Sonderparteitag der SED, der im Dezember 1989 zu deren Umbenennung in SED-PDS und zum erklärten Bruch mit dem Stalinismus führte, resümiert der Autor Christian von Ditfurth: "So wie sie ist, ist die PDS keine Partei für Menschen, die in der Bundesrepublik linke Politik machen wollen. Aber die PDS ist die einzige linkssozialistische Partei in Deutschland." Das Projekt PDS, fährt Ditfurth in seinem jetzt erschienen Buch "Ostalgie oder linke Alternative – meine Reise durch die PDS" fort, "ist gescheitert."
Das Projekt also gescheitert, die Partei dennoch die stärkste im Osten Deutschlands? Ditfurth treibt den Widerspruch noch weiter: "Die PDS wird nicht zerbrechen: Sie wird statt dessen weitere Wahlerfolge erzielen. Und sie wird über kurz oder lang auch in einer ostdeutschen Landesregierung sitzen." (S.270)
Freuen will sich der Autor, der seit Wendezeiten immer wieder durch die verschiedenen PDS-Parteigliederungen, PDS-nahen Verbände und die diversen Plattformen in der PDS getingelt ist, darüber aber nicht. Zwar gebe es mittlerweile in der PDS "demokratische Sozialisten, aber sie sind ideologisch in der Minderzahl. Sie geben zwar politisch nach außen den Ton an, aber dies nur, weil die Traditionalisten keine Strategie haben und auch wissen, daß die Partei und damit sie auch schlagartig an Bedeutung verlören, wenn sie die Reformer aus der Führung vertrieben." (S.270)
Die Aufarbeitung der SED-Geschichte - für Christian von Ditfurth ist sie schlicht gescheitert. Unter den verbliebenen rund 100.000 Mitglieder dominiert ihm zufolge der Blick zurück im Zorn, der "antistalinistische Grundkonsens" ist demnach zwischenzeitlich wieder aufgeweicht und das moderne Erscheinungsbild nicht mehr als eine trügerische Fassade. Die Partei, so die fast schon bittere Aussage, "hat sich nicht erneuert, sie leistet sich Erneuerer in der Führung. Sie leistet sich einen demokratischen Sozialismus, den an der Basis kaum einer kennt oder kennen will."
Zur Haltung der überwiegenden Mehrheit in der PDS zitiert Ditfurth den Göttinger Politologen Tobias Dürr: "Die DDR als Lebensgefühl ist ihr Hort, die PDS ihre Wärmestube." (S.273)
Wer einem Unrechtsstaat gedient habe, "steht schlechter da als einer, der im Geiste der Geschichte handelte. Außerdem empfinden viele PDS-Mitglieder inklusive des Parteivorstandes die Prozesse gegen Mauerschützen, DDR-Richter und Politbürokraten als Herabsetzung aller DDR-Bürger." (S.80) – Faktor Heimat nennt Ditfurth das.
Den Stalinismus verortet Ditfurth im Grunde genommen nur bei einem Bruchteil der Parteimitglieder. Ausgemacht hat er ihn vor allem in der Kommunistischen Plattform und im Marxistischen Forum: "Was der KPF nicht gelungen ist, hat das Forum binnen kürzester Zeit geschafft: Themen in der Partei zu besetzen und deren Interpretation für die PDS verbindlich zu machen. Das gilt besonders für die juristische Rechtfertigung der DDR. Was die historische Legitimität des SED-Staats angeht, gibt es in der PDS schon seit ihrer Gründung eine umfassende Übereinstimmung aller politischen Flügel." (S.81)
An der Basis habe sich die Argumentation durchgesetzt, "daß man von nichts gewußt habe (erstens), daß die Diktatur – ja, auch Stalin – nicht nur Schlechtes geschaffen habe (zweitens), daß man früher unbehelligt auf der Straße gehen konnte (drittens), daß die 'anderen' auch Verbrechen begangen hätten (viertens) und daß endlich Schluß sein müsse mit der Erinnerung an die Vergangenheit (fünftens)." (S.148)
Beispielhaft führt Ditfurth zum Beleg seiner Aussagen die parteiinterne Auseinandersetzung um die inhaltliche Erneuerung der PDS an. "Zehn Thesen zum weiteren Weg der PDS" hatte der Vorstand im Januar 1995 als Diskussionsgrundlage für den 4. Parteitag unterbreitet. Unter anderem hieß es darin: "Da es um das Überleben der Menschheit geht, lassen sich die Probleme der Gegenwart und Zukunft nicht mit einem vereinfachten und reduzierten Denken in den Kategorien von Klassenkampf oder Sozialpartnerschaft erreichen."
In der Partei brach ein Sturm der Entrüstung los, dem angedachten Konzept eines neuen und notwendigen Gesellschaftsvertrags mochte die Mehrheit nicht folgen. Der Parteivorstand zog daraufhin seine Thesen zurück, verabschiedet wurde ein Papier zu den "fünf wichtigsten Punkten in der gegenwärtigen Debatte". Diese fünf Punkte richten sich vor allem an die Partei.
Insofern, schreibt Ditfurth, "endete der Versuch, die PDS programmatisch und strategisch vorwärtszubringen, weitgehend in der Bekräftigung bereits erzielter Erneuerungsfortschritte gegen eine stärker werdende Front des Traditionalismus. Statt die Partei weiterzuentwickeln, mußten Bisky, Gysi und Andre Brie retten, was zu retten war, gegen die erstarkenden restaurativen Kräfte." (S.246)
Anzumerken bleibt, daß sich der Autor mit der pragmatischen Politik der PDS in den neuen Bundesländern allenfalls am Rand beschäftigt. Er hat ein Sittengemälde der Milieupartei gezeichnet. Und dieses dürfte den GenossInnen – mit wenigen Ausnahmen unter den "Erneuerern" – kaum gefallen.
Wolfgang Gast, taz, 17.2.98
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Die Welt, 28.2.98
Die PDS hat eigentlich kein Geheimnis mehr. Geradezu dankbar haben sich verschiedene Gruppen der SED-Nachfolger angenommen: die Journalisten, weil die anderen Parteien vergleichsweise langweilig sind, der Verfassungsschutz, weil er sonst nicht mehr so viel zu tun hat, und ostdeutsche Bürgerrechtler, weil der alte Feind auch der neue ist. Jetzt weiß die Öffentlichkeit nahezu alles – und doch eigentlich nichts. Denn das Phänomen PDS hat weniger mit der Partei selbst, als mit der ostdeutschen Wirklichkeit zu tun.
Deshalb ist es nur zu begrüßen, daß der westdeutsche Publizist Christian von Ditfurth gleich ein Wohnmobil für seine "Reise durch die PDS" gemietet hat. Schließlich läßt sich aus solch einem Fahrzeug rund um die Uhr das Leben in den Plattenbausiedlungen – Nährboden des PDS-Erfolgs – studieren. Doch leider hat Ditfurth fast nur Parteistützpunkte angesteuert. Und mußte dort eine für den investigativen Journalisten geradezu niederschmetternde Erfahrung machen: "Bei keiner anderen Recherche hatte ich so wenig Widerstand zu überwinden, um Informationen und Informationsquellen aufzutun."
Schade. Denn so ist es nichts geworden mit der "spannenden großen Reportage" (Verlagstext). Wenigstens der Autor hat sich von dem Schrecken erholt und bietet ein Ersatzprogramm: Auf 300 Seiten redet er den Ex-Genossen tüchtig ins Gewissen. Ditfurth ist nämlich Renegat. Zehn Jahre war er in der DKP und hat für die linke Sache gekämpft – bis zur Relegierung von der Uni Heidelberg und nicht näher bezeichneter strafrechtlicher Verfolgung. Dann trat er aus, weil "ich mich davon überzeugt hatte, daß linke Politik und SED-Hörigkeit sich gegenseitig ausschlossen". Übrig blieb ein ungebrochenes Verhältnis zu "linker Politik" und ein Sendungsbewußtsein, das nur Abtrünnige gegenüber Gesinnungsgenossen von einst entwickeln. Christian von Ditfurth propagiert die linke Entmythologisierung – Antifaschismus, Stalinismus, Sozialfaschismus – und schüttelt den Kopf über die Engstirnigkeit von PDS-Hardlinern. Das alles dient einem guten Zweck: der "Renaissance der Linken in Deutschland", einem möglichen Bündnis aus SPD und PDS. Denn der wahre Feind steht für Ditfurth rechts. Und dafür bedient er gerne die Vorurteile kommunistischer Betonköpfe: "Welchen Haß können deutsche Politiker an den Tag legen, wenn es um ehemalige Kommunisten geht. Nicht wenigen konservativen Politikern und Publizisten sind die Nazis geistig näher als die PDS", schimpft er und lobt letztere als pluralistischste Partei Deutschlands.
Vergeblich. Denn "das Projekt PDS ist gescheitert". Stalinistische "Traditionalisten" geben den Ton an, haben aber kein Konzept, während die "demokratischen Sozialisten" um Gysi und Brie ein Programm haben, aber keine Mehrheit. Ein Dilemma? Eine "Tragödie"!
Die Welt, 28.2.98
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Hannes Schwenger, Tagesspiegel-Berlin, 9.3.98
"Deutschlands interessanteste Partei" sei die PDS, meint Christian von Ditfurth. Für Berlin, wo diese Partei in den Bezirken mitregiert, mag das zutreffen. Und für Christian von Ditfurth, der einige Jahre Mitglied der DKP war ("die meiste Zeit davon in Leitungen tätig") und die Parteischule in Biesdorf/DDR besucht hat, mag sie den Reiz des déja vu haben. Ansonsten kann man darüber trefflich streiten. Berliner Studenten finden die FDP zur Zeit viel interessanter. Und wenn es um den Machtwechsel im Herbst geht, sind vermutlich die Grünen die interessanteste Partei. Christian von Ditfurth hat sich gleichwohl für die PDS interessiert und eine interessante Studie verfaßt.
Seine "Reise durch die PDS" (Untertitel) fußt auf einer mehrjährigen Recherche, für die ihm die PDS zumindest die Türen, wenn auch nicht immer die Akten geöffnet hat. Während ihm etwa Lothar Bisky gestatten wollte, seine Korrespondenz als Parteivorsitzender zu lesen, wurde ihm eben dies von Lutz Bertram – als Biskys Medienberater – verweigert: "Bertram kräht empört los ... Kurz und schlecht, das Gezerre geht mehrere Tage, und am Ende wird mir angeboten, ich könne in Biskys Beisein ausgewählte Korrespondenzvorgänge lesen. Darauf kann ich verzichten."
Kann er wirklich, denn er hat auch so Material genug, und genügend alte Bekannte in "Neufünfland", wie er etwas salopp für die neuen (und ebenso ausdauernd wie "Altelfland" für die alten) Bundesländer schreibt. Da ist Herbert Brehmer, ehedem Offizier in der Stasi-Hauptverwaltung Aufklärung, mit dem er einst "eine gute Zusammenarbeit" gepflegt habe. Er ist - wie Ditfurth 1983 aus der DKP - inzwischen aus der PDS ausgetreten, aber noch immer mindestens sosehr "Insider" wie die Mitglieder jenes ominösen "Insiderkomitees" ehemaliger Stasileute, das Christian von Ditfurth in der Nähe der PDS als einen ihr "ideologisch und personell verbundenen Zusammenschluß" ausfindig gemacht hat.
Oder da ist Günter Görlich, der Ditfurth "in der DKP-Parteischule als Paradebeispiel des realsozialistischen, parteilichen Schriftstellers präsentiert" wurde. Heute gehört er zum Kreis der "38er", achtunddreißig einst prominente PDS-Mitglieder, die 1995 Gysis und Biskys Reformkurs mit der Erklärung "In ernster Sorge" angriffen, ihm "Aufweichung", "Anpassung" vorwarfen, sowie "Verabschiedung vom Klassenkampf".
Ditfurth hält dies für die geheime oder, wie bei dieser Gelegenheit, auch offen ausgesprochene Mehrheitsmeinung in der PDS. Für ihn ist die Partei, jedenfalls in ihren ostdeutschen Hochburgen, noch immer auf die DDR-Vergangenheit fixiert und noch nicht in der Bundesrepublik angekommen. Er bezieht das ausdrücklich auch auf die "Kommunistische Plattform" der jungen Linken um Sarah Wagenknecht und den Sohn der einstigen Justizministerin Hilde Benjamin, Michael Benjamin.
Diese zitiert er mit wahrhaft haarsträubenden neostalinistischen Bekenntnissen, für die die Parteibasis immer wieder rauschenden Beifall spende. Auf dem Parteitag 1995, so ruft uns Ditfurth ins Gedächtnis, als Lothar Bisky "die Abwahl Wagenknechts forderte und Gysi in keinem Vorstand sitzen wollte, dem auch die Plattformkommunistin angehöre, fehlten dieser am Ende gerade mal dreißig Stimmen bei den Parteiwahlen".
Nicht viel besser sehe es für die reformwillige Parteiführung bei der schmalen Parteibasis im Westen, in "Altelfland" aus, die sich aus den Restbeständen linker Parteisekten vom KBW bis zur DKP rekrutiert: "Viele Genossen dort haben mit dem Parteivorstand nichts am Hut." Während sich Gregor Gysi mit seinem "Ingolstädter Manifest" und den "10 Thesen zum weiteren Weg der PDS", die der Parteitag auf "fünf Diskussionspunkte" reduzierte, um ein Zukunftsprogramm für die Berliner Republik bemüht habe, zeigten sie sich vielfach "entsetzt angesichts der Behauptung, die PDS sei im Westen 'angekommen'".
Ditfurth zitiert einen West-Genossen der PDS mit dem trotzig-zornigen Bekenntnis: "Wir sind in dieser Republik nie angekommen ... Wenn die PDS den Kapitalismus lieber Marktwirtschaft nennt und nicht mehr vom Imperialismus, sondern euphemisch à la Willy Brandt vom 'Nord-Süd-Konflikt' spricht, dann darf sie sich nicht darüber wundern, daß sie im Westen keinen Fuß auf den Boden kriegt."
Daß weder DKP noch KBW mit ihrem Antikapitalismus und Antiimperialismus je einen Fuß auf den Boden gekriegt haben, scheint dem Sprecher nicht aufgefallen zu sein.
Desto mehr Christian von Ditfurth, der es immerhin zehn Jahre in der DKP ausgehalten hat. Dabei ist ihm offenbar einiges so gründlich aufgefallen, daß er bei aller Sympathie für Gysis und Biskys Reformbemühungen bekennt: "Ich werde die PDS wohl nie wählen. Die Gründe stehen in diesem Buch."
Und er faßt sie so zusammen: "Betrachtet man die Mitgliedschaft, dann ist die PDS im Osten nicht entstalinisiert und im Westen eine Sekte. Auf diesem Fundament stehen die Genossen Bisky, Gysi und Brie und führen dem staunenden Publikum den demokratischen Sozialismus vor. Bei aller guten Absicht, das grenzt an Roßtäuscherei."
Hannes Schwenger, Tagesspiegel-Berlin, 9.3.98
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Wolfgang Hübner, ND, 23.3.98
Ist die PDS ostalgisch oder linksalternativ - diese Frage stellt der Publizist Christian von Ditfurth in seinem soeben erschienenen Buch. Auf dem Podium in der Berliner Volksbühne löste die Frage dieser Tage eine heftige Diskussion aus.
Einerseits ist die PDS eine linke Partei, wenn man ihren programmatischen Anspruch zum Maßstab macht. Andererseits ist sie keine linke Partei, weil sie ein gebrochenes Verhältnis zur Demokratie hat. Möglicherweise aber ist sie überhaupt keine Partei, sondern eher eine Art geistiger Heimatvertriebenenverein. Das meint jedenfalls Christian von Ditfurth, der nach langen Recherchen auf allen Ebenen der PDS sowie nach den 316 Seiten seines neuen Buches "Ostalgie oder linke Alternative. Meine Reise durch die PDS" zu keiner klaren Einschätzung gelangt zu sein scheint.
Ditfurth, der in den 70er Jahren der DKP angehörte und sich noch immer als Linker versteht, sah sich trotz seiner distanzierten Sicht bei der Debatte in der Volksbühne nicht selten in die Rolle des PDS-Verteidigers gedrängt. Denn was vor allem Günther Nooke (CDU) von der PDS hält, spiegelt nur einen kleinen Teil des widersprüchlichen Bildes wider, das Ditfurth zeichnet. Der frühere Bürgerrechtler, der inzwischen das gängige CDU-Repertoire blindlings beherrscht und zumindest in Sachen innere Sicherheit schnell zum rechten Flügel der Union gefunden hat, sieht in der PDS ein erhebliches demokratiegefährdendes Potential, denn "die meisten PDS-Mitglieder sind nicht durch und durch Demokraten". Nooke glaubt beispielsweise, daß die Kommunistische Plattform immensen Einfluß auf die PDS hat, weshalb er Ditfurths Wort vom Sumpf in der PDS gern aufgriff. Solches Vokabular fand PDS-Vorstandsmitglied Michael Schumann indessen "höchst suspekt", denn es komme genau aus jenem stalinistischen Umfeld, das Ditfurth so heftig ablehne.
Nach dessen Ansicht dient die Kommunistische Plattform vorzugsweise als Prügelknabe, auf den Gegner der PDS einschlagen, um sich einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Partei zu entziehen. Nooke bestätigte dies glatt mit seiner Frage, was die Linke sagen würde, wenn sich die CDU eine NSDAP-Plattform hielte. Das Rühe-Bekenntnis zu den "tapfer kämpfenden Wehrmachtsoldaten", entgegnete Ditfurth, offenbare einen ideologischen Bodensatz, der viel gefährlicher sei als die ganze Kommunistische Plattform.
Auch Steffen Reiche, Brandenburger SPD-Landesvorsitzender, fand eine argumentative Abkürzung mit seiner These, die PDS werde nicht durch ein originäres politisches Thema zusammengehalten, sondern lediglich durch Ressentiments und die Absicht, ostdeutsche Biographien zu verteidigen. Der Versuch von Michael Schumann, zu erklären, warum die Rechtfertigung von Biographien keine Flucht aus der Verantwortung bedeutet, stieß auf geballten Unwillen. Nicht nur Wolfgang Templin, bekennende Karteileiche bei den Bündnisgrünen, bezweifelte die Demokratiefähigkeit der PDS.
Gleichwohl, so Ditfurth, dürfe man die PDS nicht ausgrenzen. Man müsse sie ernst nehmen, und es sei auch keine Katastrophe, sollte demnächst irgendwo ein PDS-Minister amtieren, denn solche Herausforderungen könnten nur zur Läuterung der Partei beitragen. Das war freilich starker Tobak für CDU-Mann Nooke, der um das Bundestagsdirektmandat in Berlin-Mitte/Prenzlauer Berg kämpft – es wäre "der größte Fehler", so Nooke, die PDS in Machtspiele einzubinden. Ein Wahlkampf-Seitenhieb, den der Sozialdemokrat Reiche nicht nötig hatte. Schon zuvor hatte er Ditfurth dessen Zustimmung zur Erfurter Erklärung "als Rückfall in alte Zeiten" unter die Nase gehalten und im übrigen kühn erklärt, eine Fortsetzung des Magdeburger Modells werde es nicht geben. Und bundespolitisch stehe sich die PDS selbst im Weg, indem sie durch ihre Existenz eine rot-grüne Regierung womöglich verhindere.
Wolfgang Hübner, ND, 23.3.98
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Manfred Wilke, SZ, 25.3.98
Über die PDS gibt es noch keinen Reiseführer durch ihr Innenleben, der ihre Geschichtsbilder, ihre Glaubensvorstellungen und die politischen Befindlichkeiten ihrer Mitglieder Außenstehenden erklärt. Christian von Ditfurth schließt diese Lücke. Es erinnert an die politischen Reiseberichte von Egon Erwin Kisch oder George Orwell. Es ist auch ein "Erklär' mir die DDR" -Buch für Leser in den elf "Altländern".
Die Reiserouten wählt der Historiker von Ditfurth aufgrund individueller und kollektiver Generationserfahrungen: Seine Lebensabschnittsheimat war zehn Jahre lang die DKP. Er hat auch in diesem Fall keine Gedächtnislücke: Wäre den westdeutschen Kommunisten auf irgendeine Weise die Macht zugefallen, "sie hätten sich nicht die Mühe langwieriger Gerichtsverfahren gemacht. Sie hätten auch keine parlamentarische Kommission zur Aufarbeitung der BRD-Geschichte installiert. Sie hätten alles ausgelöscht, was anders war als sie selbst." Die persönliche Erinnerung an die Zweifel, den Schmerz und die Trauer über den Verlust der eigenen politischen Heimat sind die Voraussetzung seiner kritischen Empathie, mit der Ditfurth die PDS als Gemeinschaft von Heimatvertriebenen beschreibt.
Die Grundfrage für Heimatvertriebene ist, ob die sie aufnehmende Gemeinschaft willens und in der Lage ist, sie zu integrieren, oder ob sie es vorzieht, die Neuankömmlinge außen vor zu halten. Der Autor will die Integration der PDS in das Parteienspektrum – unter einer Voraussetzung: Sie muß den Bruch mit der diktatorischen Vergangenheit des deutschen Kommunismus vollziehen.
Der Autor untersucht den Schmerz und die Trauer der PDS-Mitglieder um die verlorengegangene DDR, wenn er die Bedeutung von ideologischen Welt- und Geschichtsbildern analysiert, die in der PDS vorherrschen. Mit zwei Leitfragen betrachtet er das Selbstverständnis der Partei: Wie hält sie es, erstens, mit der Demokratie, und ist sie, zweitens, als linke Partei in der Bundesrepublik angekommen? Es sind Fragen, in denen die Erfahrungen der westdeutschen Debatte um Täter und Opfer in der nationalsozialistischen Diktatur stecken.
In den siebziger Jahren stand der Begriff "Filbingern" für fehlendes Unrechtsbewußtsein von ehemaligen Nationalsozialisten. Ditfurth charakterisiert mit diesem Wort das Lavieren des PDS-Parteivorstandes, wenn dieser wieder einmal die "politische Strafverfolgung" der Mauerschützen, Volksrichter oder Politbürokraten durch die bundesdeutsche Justiz geißelt. Chefideologe in solchen Angelegenheiten ist der rechtspolitische Sprecher der PDS im Bundestag, Uwe-Jens Heuer, zu DDR-Zeiten Direktor des Instituts für Staatsrecht an der Berliner Humboldt-Universität. Er hat den Satz des früheren Marinerichters Hans Filbinger für die DDR übernommen: Was früher Recht war, kann heute kein Unrecht sein, und schließlich war die DDR ein souveräner Staat. Diese Argumentationskette konfrontiert Ditfurth mit einer Frage: Wie kann man einen Staat und "eine Gesellschaft für moralisch, politisch oder historisch legitim halten, die ihre Existenz vor allem der Gewalt verdankt? Keine Entscheidung in der DDR ist demokratisch gefällt worden. Keine."
Lebt Stalin?
Das ist die Grundsatzfrage; aus ihr erklärt sich der hohe Stellenwert der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Im Selbstverständnis der PDS ist sie noch gegenwärtig. Es geht immer um Geschichte, wenn die Genossen der Kommunistischen Plattform (KPF) in der PDS Fragen der Art ergründen, welchen Anteil der "Verrat" von KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow am Ende der DDR habe oder wie Stalin zu bewerten sei.
Ditfurths kritischer Realismus läßt keine Mißverständnisse aufkommen. Es geht ihm um die Differenzierungen, um die Grautöne in der Innenwelt der PDS, die bei politikwissenschaftlichen Abhandlungen gern der begrifflichen Klarheit geopfert werden. Ditfurth läßt keinen Zweifel daran, daß die Kommunistische-Plattform-Anhänger in der PDS glauben, "daß Sozialismus ohne Unterdrückung nicht möglich sei". Ihre eigentliche Bedeutung liegt für ihn jedoch in ihrer inneren Funktion als "Linienpolizei" der PDS. Ihre Positionen bedienen die Gefühlswelt vieler älterer Mitglieder, die nicht umsonst gelebt haben wollen". Am Ende der Auseinandersetzung um das Jahrhundertverbrechen Auschwitz stand in der Bundesrepublik die strafrechtliche Ahndung all derjenigen, die versuchen, die Verbrechen in Auschwitz zu leugnen.
Mit Blick auf die Verharmlosung von Stalins Untaten durch die KPF fragt Ditfurth, ob die Gulag-Lüge nicht ebenso verwerflich sei, "wie Auschwitz zu leugnen?" Ist die Stalin-Frage für die DDR-Apologetik der PDS-Geschichtsbilder von existentieller Bedeutung, wenn es um ihr "Ankommen" in der Bundesrepublik geht, so ist für die Koalitionsfähigkeit der PDS ihre Haltung zur SED-Gründung von 1946 zentral. Damals, im April 1946, schlossen sich KPD und SPD in der Sowjetischen Besatzungszone zur Sozialistischen Einheitspartei zusammen, womit die kommunistische Machtpolitik die SPD in der SBZ ausschaltete. Ob dieser Vorgang als "Zwangsvereinigung" zu bezeichnen ist, das steht heute noch zwischen SPD und PDS.
Keine linke Sammlung
Als 1989 die PDS aus der SED heraus entstand, haben viele ihre politische Selbstbehauptungskraft unterschätzt. Als Anwalt der "Ostinteressen" im Vereinigungsprozeß wird die PDS gewählt, und sie hat in "Neufünfland" und der früheren Hauptstadt der DDR von allen Parteien immer noch die meisten Mitglieder.
Als linke Partei neben SPD und Grünen konnte sich die PDS im Westen nicht etablieren; nur linksradikale Sektierer sammelten sich unter ihrer Fahne. "Die PDS ist die Partei der einstigen Träger des SED-Systems, der Militärs, Ideologen, Wissenschaftler, Lehrer oder Künstler." Damit werden die sozialen Interessen deutlich, die sie vertritt; es geht um das Ansehen der einstigen DDR-Staatsdiener, um die Abwehr der Einsicht in den illegitimen Charakter der SED-Diktatur, und schließlich um die Renten für Parteifunktionäre und MfS-Offiziere.
Dieser Wirklichkeit der sozialen Interessen der ehemaligen Nomenklaturkader der SED entsprechen die "ostdeutschen Verbände", die mit der PDS verbunden sind, und die Wirkung der durch das "Marxistische Forum" Heuers oder die KPF-organisierten "restaurativen Kräfte" in der Partei. Da verwundert es nicht, daß die PDS bislang nichts für die Opfer des SED-Regimes getan hat und immer noch in der "Welt der Täter" lebt.
Ditfurths Bestandsaufnahme ist auch die Neubewertung der Rolle der "Reformer" wie Gregor Gysi, Lothar Bisky und André Brie, die in den Augen der Öffentlichkeit die PDS zu führen scheinen. Ditfurth zeichnet ein anderes Bild von ihnen. Innerparteilich lavierten sie, beschreibt er, sie vermieden den klaren Bruch mit der Diktaturgeschichte des deutschen Kommunismus und könnten auf der politischen Bühne nur deshalb brillieren, weil die restaurativen Kräfte der PDS, die nicht in unserer Zeit leben, über keine plausible politische Strategie verfügten: "Die Partei hat sich nicht erneuert, sie leistet sich Erneuerer in der Führung. Sie leistet sich einen demokratischen Sozialismus, den an der Basis kaum einer kennt oder kennen will."
Ditfurths Befunde sind ernüchternd: SED-Ostalgie unter den Mitgliedern im Osten, im Westen linksradikale Sektierer - seiner Ansicht nach haben die "SED-Erneuerer" von 1989 kräftig dazu beigetragen. Damals haben sie versucht, die Macht und das Vermögen der SED zu behalten. An dieser Stelle verläßt den Autor sein Blick für die Interessenlagen im Herbst 1989. Die PDS-Gründer wollten ihre Partei und ihren Staat gegen die Einheitsbewegung in der DDR behaupten.
Das Buch erscheint zum Bundestagswahlkampf. Ditfurth will die Integration der Sozialismusvertriebenen in die Bundesrepublik, er will den Machtwechsel: "Ich bin dagegen, daß jene verächtlich gemacht werden, die mit der PDS zusammenarbeiten wollen. Auch deshalb habe ich die 'Erfurter Erklärung' unterschrieben. Ich gebe zu, mit Bauchschmerzen." Die Tolerierung der rot-grünen Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt und die von den Reformern in der PDS nachhaltig geförderte "Erfurter Erklärung" sind für Ditfurth Stationen auf dem Weg zu einer Integration der PDS in das demokratische Parteiengefüge. Dabei setzt er auf die Sozialdemokraten, die nur in Kooperation mit der PDS die Hegemonie der Union brechen können.
Das Plädoyer zur Integration der PDS entspricht den Erfahrungen der Bundesrepublik mit den Tätern der NS-Diktatur und der Aufnahme von Vertriebenen und Flüchtlingen. Ditfurths Buch über die PDS kann als Beitrag zur demokratischen Erinnerungskultur der Deutschen gewertet werden. In Deutschland leben ja viele "Ehemalige", die einer der beiden Diktaturen oder gar beiden gedient haben. Die Deutschen könnten am Ende des Jahrhunderts der Weltkriege und Diktaturen mehr solcher Reiseführer in die vielfältigen Gruppen von "Ehemaligen" gebrauchen, damit die Nachgeborenen die Geschichte kennen, die sie zu überwinden haben.
Manfred Wilke, SüdZ, 25.3.98
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Uwe Backes, FAZ 30.3.98
Im Januar 1997 wurde vor dem Schweriner Parteitag der PDS eine von einem "Bündnis linker Schriftsteller, Theologen, Wissenschaftler und Gewerkschafter" gemeinsam erarbeitete "Erfurter Erklärung" veröffentlicht, in der für ein breites "Bündnis für soziale Demokratie" unter Einschluß von SPD, Bündnisgrünen und PDS geworben wird. Christian Ditfurth gehört zu den Unterzeichnern des Manifests und wirbt in seinem Buch für dessen Einlösung. Koalitionen würden zur Erhaltung der "linkssozialistischen Alternative" PDS beitragen und ihr den Weg ebnen, "sich ganz von Stalin zu befreien".
Wie die verquere Formulierung zeigt, steht der Verfasser der PDS keineswegs vorbehaltlos gegenüber. Der Leser entnimmt dem mit persönlichen Erlebnisschilderungen unterhaltsam angereicherten Erfahrungsbericht, daß Ditfurth viele Jahre lang der DKP angehörte, dabei die DDR kennenlernte und an der Ost-Berliner SED-Parteischule "Franz Mehring" als Kader weitergebildet wurde. Später hat er der DDR und der DKP den Rücken gekehrt und sich als Journalist mit den ehemaligen Blockparteien und der PDS kritisch auseinandergesetzt. Nun kamen ihm seine persönlichen Kontakte zu DKP-"Erneuerern", die zur PDS übergelaufen waren, seine Kenntnis der DDR und der dort verbreiteten Mentalitäten zugute.
Ditfurths Reise durch die verschiedenen Strömungen und Ebenen der PDS ähnelt einer Fahrt mit der Geisterbahn. In den mitgliederstarken Landesverbänden "Neufünflands" grassiere nicht nur DDR-"Ostalgie", sondern spuke gar das Gespenst Stalins. In dem Bestreben, die eigene Biographie zu retten, flüchte man sich nicht selten in abstruse Legitimationskonstrukte. Als Beispiel zitiert Ditfurth in einem der über den Band verstreuten Dokumenteneinschübe die "ökologische" Rechtfertigung der Mauer und der mit Minen, Selbstschußanlagen und Stacheldraht bewehrten Grenzstreifen aus der Feder eines ND-Lesers: "Weil ja keiner raus und rein kam, konnte sich die Natur völlig geschützt entwickeln." Sahra Wagenknecht, die junge Pasionaria der Kommunistischen Plattform (KPF), beschreibt Ditfurth als "die hübsche Frau mit den häßlichen Gedanken". Ihre Anhänger unterhielten ein "taktisches Verhältnis zur Wahrheit". Die PDS-Führung trenne sich nicht von der KPF, weil deren Meinungen "in der gesamten PDS verbreitet sind" und "ideologische Mehrheiten finden". Auch das gegenüber der KPF stärker gewordene Marxistische Forum bleibt nicht verschont. Dessen Aufruf "In großer Sorge" charakterisiert der Autor als das Produkt all jener, "die als Parteiintelligenz jeden Winkelzug des Politbüros mit akademischen Weihen versehen hatten". Hart geht er mit dem K-Gruppen-Sektierertum der schwächlichen westlichen PDS-Verbände ins Gericht. Und am Beispiel eng mit der PDS verflochtener Interessenvereinigungen wie ISOR, GRH und GBM wird gezeigt, daß sich die Partei in der Masse ihrer Mitglieder als "Rächerin der entmachteten DDR-Eliten" versteht.
Zu diesem ungeschminkten Bild von den Stimmungen, Anschauungen und Mentalitäten der "Basis" steht das der Parteiführung in grellem Kontrast: Der Mannschaft um Gysi, Bisky, Brie und Bartsch bescheinigt Ditfurth großzügig, sie habe sich "aus der geistigen Sklaverei des Stalinismus" befreit, sei – mit vielen anderen in den Vorständen der Partei – inzwischen "in der Bundesrepublik angekommen" und stehe auf dem Boden des Grundgesetzes. Sie habe mit dem demokratischen Zentralismus gebrochen und erscheine "pluralistischer als alle anderen Parteien". Von der "Diktatur des Proletariats" habe man sich ebenso verabschiedet wie von der "historischen Mission der Arbeiterklasse".
Ditfurth bringt es auf folgende Formel: "Die Partei hat sich nicht erneuert, sie leistet sich Erneuerer in der Führung. Sie leistet sich einen demokratischen Sozialismus, den an der Basis kaum einer kennt oder kennen will." Eine weithin "stalinistische" Basis und eine demokratisch-reformistische Führung: Wie reimt sich das zusammen?
Ditfurths Buch ist offenbar das Produkt eines schmerzhaften Lernprozesses, den der Leser über die Kapitel hinweg rekonstruieren kann. Das ehemalige DKP-Mitglied ist sich inzwischen des diktatorischen Charakters des DDR-Regimes bewußt, er würdigt demokratische Errungenschaften der Bundesrepublik. Er streicht Parallelen zwischen Stalinismus und Nationalsozialismus heraus und geht in seiner Würdigung der Verbrechen des Kommunismus so weit, deren Negation mit der Auschwitzlüge auf eine Stufe zu stellen. Offengelegt wird auch der Mißbrauch, den Kommunisten mit dem Begriff des "Antifaschismus" getrieben haben. Doch so manches Versatzstück des Marxismus-Leninismus hat die ideologische Entrümpelung überlebt. Die "Enteignung des Finanzkapitals", meint Ditfurth, sei nach 1945 versäumt worden, und man habe die "alten Eliten weitgehend ungeschoren" davonkommen lassen. Die "Organisierung des praktischen Widerstandes gegen die bestehenden kapitalistischen Verhältnisse" gilt ihm auch heute als Gebot der Stunde.
Ob er die Vergangenheit seiner ehemaligen politischen Freunde ausreichend aufgearbeitet hat, erscheint bei allen unleugbaren Fortschritten zweifelhaft. Der "demokratische Impetus der Partei Rosa Luxemburgs" erstrahlt nur in hellem Sonnenschein', wenn man ihn mit dem unter Thälmann vergleicht. Daß der großzügige Umgang mit dem Stalinismusbegriff die Zustände in den ersten Jahren nach der Oktoberrevolution ausblendet und die Verantwortung Lenins und Trotzkis verkleinert, schiebt der Autor beiseite. Auch wer ihm zustimmt, wenn er Marx und Engels gegen die völlige Vereinnahmung durch den "realen Sozialismus" in Schutz nimmt, muß die Nichtbeachtung aller totalitären Elemente in deren Lehren monieren.
So entgeht Ditfurth auch die für das Selbstverständnis der PDS-Führung entscheidende Rolle des Gramscismus und der Lehre von der "kulturellen Hegemonie". Darüber hinaus wird vieles ausgespart, was die PDS-Führung in anderem Licht erscheinen lassen könnte (wie die Bündnispolitik mit kommunistischen Parteien aus aller Welt). Doch mindern all diese Einwände nicht den Wert des Buches in seiner Eigenschaft als ehrlicher, kurzweiliger und in seinen Beobachtungen vielfach treffsicherer Erfahrungsbericht über die "Strömungen", "Arbeitsgemeinschaften" und "Plattformen" an der Basis der PDS.
Uwe Backes, FAZ 30.3.98
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Katholische Nachrichtenagentur (KNA), Korrespondentenbericht, 21. März 1998
PDS sollte eigentlich für "Partei Der Sozialismusvertriebenen" stehen, spottet der Historiker und Journalist Christian von Ditfurth. Denn derzeit gleiche sie eher einem Heimatvertriebenen-Verband als einer linken Partei. Die Aussage ist keineswegs blanke Polemik, sondern das Ergebnis einer Analyse, für die das frühere DKP-Mitglied zwei Monate durch die Landes- und Ortsverbände reiste, Diskussionen besuchte und in Archiven recherchierte. Er traf dabei auf eifrige Verteidiger des Stalinismus, alte Männer, die den "Versuch" DDR verteidigten, und Reaktionäre. In der Berliner Volksbühne, direkt neben der PDS-Zentrale, stellte der Autor sein Buch "Ostalgie oder linke Alternative" vor und diskutierte mit dem PDS-Vorstandsmitglied Michael Schumann sowie den Ex-Bürgerrechtlern Wolfgang Templin, Steffen Reiche und Günter Nooke.
Von Ditfurth konzentriert sich auf den Umgang der PDS mit der Vergangenheit - sowohl auf der politischen als auch auf der persönlichen Ebene der Mitglieder. "Ich kann doch nicht umsonst gelebt haben", diese Sätze hörte der Autor bei Gesprächen. Seine Antwort ist schonunglos: "Doch, man kann umsonst gelebt haben. Nämlich dann, wenn man einer schlechten Sache gedient hat, auch wenn man dafür die besten Gründe nennt." Reiche, heute SPD-Landesvorsitzender und Kultusminister in Brandenburg, sieht in der Verteidigung der Biographien das "einzig Originäre" der PDS. Die Partei werde nicht von einem Thema, sondern von einem Ressentiment zusammengehalten. PDS-Politiker Schumann hingegen nannte es "menschlich legitim", wenn etwa SED-Bürgermeister auf ihre Leistungen und Errungenschaften für die Gemeinde stolz seien. Auch die Gründung der DDR sei nach dem Versagen der bürgerlichen Herrschaftsschichten legitim gewesen. Allerdings habe es nie die Freiheit gegeben, in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) eine parlamentarische Demokratie einzuführen. Schließlich seien die Sowjets und Stalin infolge der Weltkriegs-Verbrechen "über uns gekommen".
Ditfurth ließ dies nicht gelten. Dabei werde vergessen, daß bei dem "Versuch" viele Menschen unter die Räder gekommen seien. Verantwortliche einer Partei, "die die Menschenrechte mit Füßen getreten hat", könnten nicht ihre Biographie verteidigen. Statt dessen sollten sie ihre Biographien offenlegen, Die PDS lasse zudem bei der juristischen Aufarbeitung der DDR-Verbrechen, "jede Nähe zur Welt der Opfer" vermissen. Prozesse gegen Genossen würden pauschal als "Siegerjustiz" abgetan. Die Partei kenne noch immer nur die Perspektive der Unterdrücker. Auch der Bruch mit dem Stalinismus ist nach Ansicht des Historikers nicht völlig vollzogen. Dazu zitiert er in seinem Buch seitenweise Papiere und haarsträubende Thesen der "Kommunistischen Plattform" und des "Marxistischen Forums". Auch Interessengruppen wie die "Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR" (ISOR), die "Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung" (GRH) und die "Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde" (GBM) untersuchte von Ditfurth. Die enge Verflechtung der PDS mit diesem "Sumpf der Täter" - "Antidemokraten" wie "unverbesserlichen Stalinisten" - sei bemerkenswert.
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Peter Wagner, Stadtmagazin Mönchengladbach, Nr. 4/98
PDS: Partei der Stasispitzel? Partei der übriggebliebenen Honecker-Veteranen, die unter dem Deckmantel der Demokratie eine deutsche sozialistische Revolution vorbereiten?
Christian v. Ditfurth durchleuchtet gekonnt eine Partei, die mannigfaltige Facetten hat, aber, so Ditfurth, eine Parteispitze besitzt, die meilenweit vom Gros der Mitglieder entfernt ist; die den Spagat üben muß zwischen den ostalgischen Genossen, die teils dem Stalinismus noch hinterhertrauern, und einer jungen Linken, die eine Idee mit neuer Prägung ins nächste Jahrtausend zu retten versucht.
Um es vorwegzunehmen, Ditfurth, der in Mönchengladbach lebt und am 8. Mai im BIS liest, gehört nicht zu der ImmerDraufAufDieGenossen-Fraktion, die von dem Gedanken beseelt ist, Deutschland von den Sozialisten zu befreien. Er ist selber Sozialist und war lange Jahre Mitglied der DKP. Um so heftiger trifft seine Kritik. Gnadenlos schreibt er der PDS ins Poesiealbum, daß sie noch lange nicht mit der Vergangenheit abgeschlossen hat und daß sie auf dem Weg ist, auszusterben: Zwar ist sie im Osten tief verwurzelt, aber die Mitglieder sterben ihr wortwörtlich weg, und im Westen hat sie es bislang nicht geschafft, eine passable Zahl von jungen Leuten anzusprechen. Schlimmer noch: Die linke Sektiererei, die schon vor 1989 die westdeutsche Linke hemmte, blüht innerhalb der PDS weiter.
Der gelernte Historiker transportiert neben der Analyse ein Stück Lebensgefühl der PDS und setzt sich umfangreich mit ihren Wurzeln auseinander. Er prophezeit der PDS weitere Wahlerfolge, da "sie die einzige ostdeutsche Partei ist, die anderen werden als Filialen der Westparteien betrachtet, und dies zu recht". Aber er sagt auch: "Das Projekt PDS ist gescheitert." Die Partei trat 1989 an, um sich vom Stalinismus zu befreien. "Mittlerweile gibt es in der PDS demokratische Sozialisten, aber sie sind ideologisch in der Minderzahl." Von der "linken Alternative" läßt Ditfurth kaum etwas übrig. Die reformistische Führungsspitze um Gysi und Bisky hält er für eine Art Lebensversicherung, die sich die PDS leistet, um die Partei vor dem Untergang zu bewahren. Früher oder später, meint er, werden sie ihre Schuldigkeit getan haben und der innerparteilichen Mehrheit weichen müssen.
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Matthias Meisner, Sächsische Zeitung, 25.3.98
Es ist nicht eben bequem für die PDS, was der Historiker Christian von Ditfurth da auf 352 Seiten notiert. Besonders schmerzen dürfte die Partei, daß die umfangreiche Kritik diesmal nicht aus dem rechten Lager kommt, sondern von links. Zumal sie mit viel Detailkenntnis begründet wird. Es ist das zweite Mal, daß sich der aus Mönchengladbach stammende Autor eine ostdeutsche Partei vornimmt. Schon 1991 erschien "Blockflöten. Wie die CDU ihre realsozialistische Vergangenheit verdrängt" - eine Analyse über die Ost-CDU, die das Bonner Konrad-Adenauer-Haus am liebsten zur Bückware erklärt hätte. Diesmal verspricht von Ditfurth "neue Wahrheiten" über die Nachfolgerin der ehemaligen DDR-Staatspartei. Sein Fazit: Zwar würden Lothar Bisky, Gregor Gysi und André Brie glauben, sie könnten Mitglieder und Möglichkeiten einer ostdeutschen Volkspartei mit unbewältigter SED-Vergangenheit nutzen, um moderne sozialistische Politik zu machen. "In Wahrheit benutzt die Partei ihre Aushängeschilder längst, um zu übertünchen, daß im Inneren das Rad zurückgedreht wird. Die Reformer laufen über einen Sumpf. So etwas ist noch nie gutgegangen."
Eindeutig ergreift von Ditfurth Partei für die Reformkräfte in der PDS - um ihnen zugleich zu bescheinigen, daß sie praktisch längst gescheitert sind. Er begründet das nicht nur mit Splittergruppen in der PDS wie der Kommunistischen Plattform (KPF), in der "Stalins Ideen eine Renaissance feiern".
Abenteuerliche Reise durch die Partei
Entscheidender ist nach Ansicht des Autors die folgende Erscheinung: Obwohl die KPF nur schätzungsweise 500 Mitglieder in der Partei habe, reiche das Gedankengut in die ganze PDS hinein. So führt seine "abenteuerliche Reise" durch die Partei zum Marxistischen Forum des Bundestagsabgeordneten Uwe-Jens Heuer über die "Ostalgie inklusive Ministerium für Staatssicherheit" und die gescheiterte West-Ausdehnung hin zu einer Haltung zur DDR, die von Ditfurth immer wieder an der Basis angetroffen hat: "Ich stehe dazu."
Ich stehe dazu: Diese Position wird von einem weißhaarigen Herrn mit Brille verkörpert, der im Buch immer wieder auftaucht - ein Hinweis auf die gefährliche Überalterung der PDS. Der Herr sagt: "Ich stehe moralisch über dem Scherbenhaufen des SED-Staats. Ich habe Jahrzehnte meines Lebens geopfert für ein besseres, antifaschistisches, humanistisches Deutschland. Aber ich bin betrogen worden. Ich trage keine Schuld." Der Buchautor setzt dagegen: "Man gibt seinem Leben keinen Sinn, wenn man einer schlechten Sache gedient hat und sich darüber nicht bewußt werden will."
Wie bei einem Treffen der Heimatvertriebenen
Für Ditfurth personifiziert solche Kontinuität der Ideale auch der ehemalige Dresdner SED-Bezirkschef und heutige PDS-Ehrenvorsitzende Hans Modrow. Immer wieder vollbringe er das Kunststück, die Konzepte der Reformsozialisten mit zu unterzeichnen, ohne selbst Vorwärtsweisendes in die Debatte zu bringen. Gleichzeitig betone Modrow stets die guten Seiten des realen Sozialismus. "In dieser Wirklichkeit steht er zwischen Erneuerung und Ostalgie."
Nicht nur einmal kommt sich der Autor auf einer PDS-Versammlung so vor wie auf einer Kundgebung von Heimatvertriebenen. So unterstreicht er Gysis Fazit aus dem Jahre 1990, als der die PDS als "reaktionäre Partei" beschrieb. Die Denk- und Verhaltensmuster der SED seien nicht überwunden - und wenn das Buch für die Genossen-Partei einen deutlichen Makel hat, dann den, daß es keinen schlüssigen Ratschlag enthält, wie dem Dilemma zu entfliehen ist. Ditfurth schwant es: Der Anreiz, reinen Tisch zu machen, fehlt. Viele, wohl zu viele Stammwähler würden der Partei verloren gehen. Und doch: Für ein Machwerk des Klassenfeindes wiegt das Buch zu schwer.
Matthias Meisner, Sächsische Zeitung, 25. März 1998
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Rainer Jung, Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 3. April 1998
Im deutschen Osten gehört er zu den zeitgemäßen Physiognomien: der bebrillte Rentner, der sich bei jeder beliebigen Diskussion einschaltet. Lächelnd stimmt er "im Prinzip" zu, doch müsse er "Ergänzungen anbringen".
Und zwar die immer gleichen: In der DDR war nicht alles schlecht, man wollte nur das Beste, der Kapitalismus hat auch schlimme Härten. Voilà, die PDS, wie sie Christian von Ditfurth während der Recherchen für sein Buch "Ostalgie oder linke Alternative" unzählige Male erlebt hat. Und doch nennt der Publizist die Linkssozialisten im nächsten Atemzug "Deutschlands pluralistischste Partei". Wie paßt das zusammen?
Es paßt nicht, und das anschaulich herauszuarbeiten ist das Verdienstvolle an Ditfurths gutgeschriebener Analyse. Jenseits der gängigen Vereinfachungen ("Verschwörung der Roten Socken" versus "Gysis bunte Truppe") zeigt sie die PDS, wie sie ist - hoffnungslos gespalten.
Da gibt es die überalterte Basis, die ihre Partei primär als "Wärmestube" nutzt. In ihr bestätigt man sich gegenseitig, daß die eigene DDR-Biographie doch noch einen Wert hat und früher nicht alles schlecht war. Dabei hängen die alten Herren politischen Orientierungen nach, die Ditfurth wegen ihrer Geringschätzung der Demokratie als eindeutig "stalinistisch" brandmarkt.
Doch weil die Basis mit sich selbst beschäftigt ist, kann bislang eine dünne Schicht von Reformern Programm und parlamentarische Praxis der Partei bestimmen. Nach außen engagiert sich die PDS deshalb für direkte Demokratie, soziale Gerechtigkeit und ökologische Reform.
Der Führungsspitze nimmt Ditfurth solche Bekenntnisse auch durchaus ab. Nur zweifelt er, ob sie sich künftig durchsetzen kann: In den letzten Jahren habe der Einfluß der Unbelehrbaren wieder zugenommen, die Reformer laufen über einen Sumpf - und wie recht der Autor hat, zeigt die augenblickliche Krise der PDS mitten im Wahljahr. Sollten die Reformer verschluckt werden, wäre das nach Ditfurth allerdings auch das Ende der PDS. Übrig bliebe ein Verein von nörgelnden DDR-Nostalgikern. Zweifellos unsympathisch, aber keine Gefahr für die gesamtdeutsche Demokratie.
Rainer Jung, Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 3. April 1998
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Klaus Schroeder, Berliner Morgenpost, 18.4.98
Trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Wahlerfolge in Ostdeutschland bleibt die PDS westlichen Beobachtern ein Rätsel. Christian von Ditfurths interessantes und anregendes Buch über die PDS schafft etwas Abhilfe. Der Autor, der schon mit seiner Studie über die "CDU-Blockflöten" einiges Aufsehen erregt hat, weiß, worüber er schreibt, schließlich war er selber zehn Jahre Mitglied in der DKP, dem SED-Westableger. Das räumt er selbstkritisch ein, wie er auch keine Zweifel über die Absichten dieser von der SED gesteuerten Partei läßt, die "die demokratischen Grundrechte des Grundgesetzes mit einem Federstrich ausgelöscht hätte, wenn sie nur die Macht dazu gehabt hätte. Sie wollte eine deutsche Vereinigung unter dem Vorzeichen der SED."
Die PDS ist für den Autor keine kommunistische Partei im klassischen Sinn, sondern ein Konglomerat verschiedener Einzelgruppen. Am rechten Rand finden sich die Kommunistische Plattform, das Marxistische Forum und verschiedene Interessenorganisationen ehemaliger Verantwortungsträger, die darin wetteifern, die stalinistischen Verbrechen zu verharmlosen und die DDR seligzusprechen.
Rechtfertigung des DDR-Unrechts
Während erstere weniger mit ihren schlichten stalinistischen Parolen als mit ihrer "Medienfigur" Sahra Wagenknecht Schlagzeilen machen, versammeln sich im Marxistischen Forum die ehemaligen Ideologieproduzenten der SED. Ihre Anstrengungen gelten der wissenschaftlichen Legitimation des Sozialismus und der Rechtfertigung des DDR-Unrechts als staatliche Notwendigkeit. Sie behaupten, "was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein", und sprechen von "Siegerjustiz"; sie bereuen nichts - sind Unbelehrbare.
Zwar stellen diese Gruppen innerhalb der PDS nur eine kleine Minderheit dar, artikulieren jedoch Meinungen, "die in der gesamten PDS verbreitet sind". Indem sie an die gelebte Vergangenheit und den gemeinsamen geschichtlichen Auftrag und damit an Erfahrungen und Erinnerungen appellieren, vermitteln sie ihren Sympathisanten und Wählern das Gefühl, "nicht umsonst gelebt zu haben". Es ist die gleiche Gefühlslage wie nach 1945. Dagegen spricht von Ditfurth aus, was sich leider nur wenige Politiker trauen: "Doch, man kann umsonst gelebt haben. Nämlich dann, wenn man einer schlechten Sache gedient hat, auch wenn man dafür die besten Gründe nennt."
Die "Reformkräfte" in der PDS macht er um Gysi, Bisky und Brie aus. Die seien schon in der Bundesrepublik angekommen und strebten für das vereinte Deutschland ein sozialistisches Modernisierungsprojekt an. Auch wenn sie sich mit ihren programmatischen Vorstellungen in der PDS bisher nicht durchsetzen konnten, sind sie gerade für politisch Heimatlose in Ost und West Hoffnungsträger. Aber auch sie konzentrieren sich bisher vor allem auf die Vertretung ostdeutscher Interessen und die Weichzeichnung der DDR.
In der Einschätzung dieser Gruppe verläßt den Autor leider seine ansonsten reichlich ausgeprägte Kritikfähigkeit. Schließlich handelt es sich zumindest bei ihren prominenten Sprechern auch um ehemalige Nomenklaturkader der SED, wenn auch nur aus der dritten Reihe, die ebenfalls ihren Anteil an der Aufrechterhaltung der SED-Diktatur hatten und nicht gerade selbstkritisch mit ihrer persönlichen Vergangenheit umgehen, wie der Fall Gysi offenbart.
Dagegen räumt der gelernte Historiker mit den in der PDS weitverbreiteten Mythen zur DDR-Geschichte auf: Sie war nicht demokratisch legitimiert und basierte auf Gewalt und Zwang. Für die in die Hunderttausende gehenden Verurteilungen politisch Andersdenkender und die Opfer an der Grenze gibt es keine Rechtfertigung. Selbst der identitätsstiftende Antifaschismus wurde von der SED-Führung instrumentell genutzt: "Der Antifaschismus der SED war genauso demokratie- und menschenverachtend wie der Antifaschismus von Thälmanns Partei."
Die PDS speist ihre Kraft als ostdeutsche Milieupartei aus dem geistigen und seelischen Zustand ehemaliger Staats- und Parteifunktionäre, die nicht nur ihren Status, sondern auch ihre Heimat verloren haben. Sie sind noch nicht im vereinten Deutschland angekommen, ja, viele wollen es gar nicht. Von daher plädiert der Autor unvermittelt für eine Integrationstherapie und schlägt eine Regierungsbeteiligung der PDS im Rahmen eines linken Projekts vor. Aus diesem Grund hat er auch die "Erfurter Erklärung" unterschrieben, in der SPD, Bündnisgrüne und PDS zu einer gemeinsamen Regierungsbildung aufgefordert werden.
Die Ablösung der "konservativen Hegemonie", d. h. der jetzigen Bundesregierung, ist für den Autor wichtiger als die demokratischen Defizite der PDS. So relativiert sich leider sein geradezu vernichtendes Gesamturteil über die PDS. "Betrachtet man die Mitgliedschaft, dann ist die PDS im Osten nicht entstalinisiert und im Westen eine Sekte. Auf diesem Fundament stehen die Genossen Bisky, Gysi und Brie und führen dem staunenden Publikum demokratischen Sozialismus vor. Bei aller guten Absicht, das grenzt an Roßtäuscherei."
Linke Sektierer und Obskuranten
Das eigentliche Dilemma der PDS liegt in ihrem Spagat zwischen Ost und West. Während sie im Osten als strukturkonservative, um nicht zu sagen reaktionäre Partei agiert und damit Wählerstimmen einfängt, "positioniert" sie sich in Westdeutschland als Forum für linke Sektierer und Obskuranten. Aus diesem Widerspruch wird sie sich nur lösen können, wenn ihr bei einer möglichen rot-grünen Koalition in Bonn die linken Flügel von Bündnisgrünen und SPD zulaufen sollten.
Das Buch hinterläßt einen zwiespältigen Eindruck. Eine radikale und gleichzeitig aufklärerische Kritik an der PDS und eine aufmerksame und feinfühlige Beschreibung ihrer Basis gehen einher mit einer gewünschten politischen Aufwertung der PDS als möglichem Regierungspartner und einer überzogenen Kritik am eingeschlagenen Vereinigungsweg. Doch noch ist die Bundesrepublik keine psychologische Selbsthilfeeinrichtung und die Bundesregierung - gottlob - keine Therapiegemeinschaft, auch wenn es manchmal so scheinen mag.
Klaus Schroeder, Berliner Morgenpost, 18. April 1998
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Dieter Braeg, Stadtmagazin Mönchengladbach, Nr. 5/98
"Ich habe überhaupt nichts zu meckern!"
Eher zufällig entdeckten wir, daß es in Mönchengladbach einen gebildeten, Bücher schreibenden und links denkenden Intellektuellen gibt, der unsere so oft, auch von uns selbst, gescholtene Heimatstadt auch noch toll findet. Er residiert in einem schmucken Altbau in der Nähe des Rheydter Fischerturms, und wenn er seinem Computer nicht gerade Worte diktiert, nutzt er den Rheydter Hbf als Tor zur Welt.
Zufall war es für den Autor der Bücher "Internet für Journalisten", "Blockflöten. Wie die CDU ihre realsozialistische Vergangenheit verdrängt" (1991), "Wachstumswahn. Wie wir uns selbst vernichten" (1995) und "Ostalgie oder linke Alternative. Meine Reise durch die PDS", das jüngst im Kiepenheuer & Witsch Verlag erschienen ist, daß er in Rheydt lebt.
Ditfurth, Historiker und Publizist, war stellvertretender Verlagsleiter bei der ECON-Verlagsgruppe und zog vor zehn Jahren von Hamburg an den Niederrhein. Zuerst wohnte er in Viersen, um seit 1992 in Mönchengladbach in der Taubenstraße zu leben und zu arbeiten. Als überzeugter Kommunist diente er bei der Bundeswehr, um dann in Heidelberg von 1973 bis 1980 Geschichte und Germanistik zu studieren, letzteres nur zwangsweise, weil das die Prüfungsordnung vorschrieb. Unterbrochen durch eineinhalb Jahre DKP-Parteischule in Ostberlin, hat er 1980 sein Examen gemacht.
Einen Kindheitstraum erfüllte er sich: "Büchernarren", so erzählt er in seiner gemütlichen Küche bei starkem Espresso, "müssen Lektoren werden." So redigierte er beim Hoffmann und Campe Verlag in Hamburg, wechselte nach kurzem freien Intermezzo nach München zu Bertelsmann, von dort zurück nach Hamburg, um beruflich schließlich in Düsseldorf zu landen.
"Die Träume von einer unabhängigen sozialistischen Partei sind im Jahre 1922 ausgeträumt gewesen. Seitdem gibt's die Partei nicht mehr. Es gibt für Linke nur zwei Möglichkeiten: entweder versucht man autonom irgend etwas hinzukriegen, oder man versucht in den bestehenden Strukturen etwas hinzukriegen. Wir sind heute nicht in der Situation, um über Machtfragen zu diskutieren - wir brauchen erst mal eine Verständigung."
Ditfurth macht sich keine Illusionen. Die bisherigen Rezepte der Linken sind gescheitert. Das ist nicht nur für ihn bitter. Und wie wenig die PDS seine großartige Arbeit "Ostalgie oder linke Alternative" verstanden hat, wird deutlich, wenn man im "Neuen Deutschland" vom 23. 3. 1998 lesen kann: "Mit seinem Buch über die PDS setzte sich Christian von Ditfurth zwischen alle Stühle." Dort sitzt die PDS, bezogen auf ihre Politik, schon lange, und anstatt ein Diskussionsangebot anzunehmen, bleibt, man erlebte es kürzlich bei ihrem Rostocker Parteitag, alles möglichst wackelfrei unbeweglich.
Ditfurths Buch ist vor den Bundestagswahlen ein ernstzunehmendes Angebot, mal wieder über die entgangenen Chancen, Möglichkeiten einer sozialistischen Alternative links der SPD nachzudenken, und das ist am Freitag, den 8. Mai 1998 um 20 Uhr im BIS möglich. Ditfurth hat sich bis zum heutigen Tage nicht mit den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen in Deutschland abgefunden, und die Gefahr, daß es so bleiben wird, freut ihn wenig. Das kann man in seinem Buch "Wachstumswahn. Wie wir uns selbst vernichten" nachlesen.
Was aber hält Christian v. Ditfurth von Mönchengladbach? Suche man Liebreiz, meint er, müsse man nach Neuschwanstein gehen oder sich in München in manchen Ecken umsehen. Mönchengladbach ist für jemanden, der kein Schickimicki mag, eine gute Stadt. Sie ist überschaubar, sie hat einen guten, ganz ordentlichen Nahverkehr: "... mein Rheydter Hauptbahnhof ist für mich das Tor zur Welt, und ich kann alles zu Fuß erreichen. Hier in Rheydt wohne ich ruhig und mitten in der Stadt. Ich finde die Stadt prima, ich habe überhaupt nichts zu meckern!"
Schade ist eigentlich nur, daß Christian v. Ditfurth in nächster Zeit nach Lübeck übersiedeln wird.
Dieter Braeg, Stadtmagazin Mönchengladbach, Nr. 5/98
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Gerlinde Sommer, Thüringische Landeszeitung, 4. April 1998
Mit den "Blockflöten" ist sein Name in Thüringen verbunden. Christian von Ditfurth hat bereits 1991 in einem Buch aufgearbeitet, "wie die CDU ihre realsozialistische Vergangenheit verdrängt". Das kam seinerzeit je nach politischem Standpunkt (gar nicht) gut an. Der Gothaer Landrat gar "adelte" eine Lesung Ditfurths mit seinem Erscheinen.
Nach den "Blockflöten" ist jetzt das einstige Gesamtorchester und sein vielstimmiger Nachfolge-Klangkörper PDS dran! Ditfurth hat eine "Reise durch die PDS" unternommen - das Ergebnis läßt er im Titel offen: "Ostalgie oder linke Alternative" nennt er das 310seitige Werk. Die Reise zu den Spielstätten neuer und alter Polit-Partituren, die sich Ditfurth da auferlegt hat, führt bisweilen in seine eigene Vergangenheit.
Zwischentöne
Der Autor weiß, wovon er spricht, wenn er sich mit Kommunistischer Plattform und real existierendem Sozialismus, mit Stalin und mit Thälmann auseinandersetzt. Ditfurth hat eine DKP-Vergangenheit: Von 1979 bis 1983 war er aktives und führendes Mitglied des SED-Westablegers und nahm an einem Einjahreslehrgang an der DKP-Parteischule in Ostberlin teil.
Wurde Ditfurth wegen seines Blockflötenbuches von interessierter Seite vorgeworfen, er höre nur auf einem Ohr, widerlegt er dies jetzt mit dem erneuten Aufspüren zahlreicher Zwischentöne.
Viele, die er trifft auf seiner Gastspielreise, scheinen aber von ideologischer Taubheit geschlagen - eine Krankheit, die mit offenkundig unkontrolliertem Redefluß einhergeht. Sahra Wagenknecht - ständig die verrüschte Rolle Rosa Luxemburgs geben wollend und die erste Geige beanspruchend - wird am besten einfach nur zitiert: "Eigentlich gibt es nichts, von dem ich sagen würde, das hatte ich in der DDR nicht, das fehlte mir in der DDR." Auch nicht Südfrüchte, Infrastruktur, Informationsmöglichkeiten? fragt sich der Autor. Wagenknecht: "Nein, auf eine so alltägliche Diskussion lasse ich mich ungern ein. Und Äpfel esse ich lieber als Bananen."
Nun kann es mit dem Obst jeder halten, wie er will. Wie aber steht es um den Freiheitsbegriff der Andersdenkenden? Ditfurth nimmt Note um Note auf. Bald wird hörbar, daß noch nicht einmal die Kommunistischen Plattformen in Thüringen und Berlin ähnliche Töne von sich geben. Die PDS ist viel mehr als diese - wie Ditfurth meint - überschätzte Wagenknecht-Gruppe.
Keine Melodie
Klangliche Geschlossenheit - und das ist nach der Vergangenheit auch schon ein Verdienst - hat die PDS, die so gerne Nachfolgepartei genannt wird, heutzutage nicht vorzuweisen.
Am Ende des trotz allen Parteichinesisch interessant geschriebenen Werkes bleibt der Eindruck: Der Töne viele haben wir gehört, eine Melodie, auf die es sich einstellen ließe, bekam Ditfurth nicht zu Gehör. Ungeklärt bleibt nach dieser Innenansicht allerdings das Erfolgsgeheimnis bei Wahlen.
Gerlinde Sommer, Thüringische Landeszeitung, 4. April 1998
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Dieter Braeg, Westdeutsche Zeitung, 6. April 1998
Politisch Lied, ein garstig Lied? Der in Gladbach lebende Historiker, Lektor und freie Autor Christian von Ditfurth hat ein wichtiges politisches Sachbuch geschrieben: "Ostalgie oder linke Alternative". Es ist "Ein Reisebericht", auch als Untertitel, ... durch die PDS".
Es gibt Sachbücher, die langweilen, und ihre Autoren stellen ihr Besserwissen so unverständlich und kompliziert dar, daß dem Leser die Leselust vergeht. So ist dieses politische Sachbuch kein "garstiges Buch", sondern ein wirklich notwendiges, um einige Illusionen und Wunschvorstellungen, die man - vor allem in den alten Bundesländern zur PDS entwickelte - endlich abzulegen. Wie sehr Stalin noch in manchen Köpfen herumgeistert, kleine grauhaarige Brillenmänner einen eigenartig undemokratischen Antifaschismus betreiben oder Thälmanns Lebenslauf weiterhin falsch kolportiert wird, kann man in diesem Buch mit seinen insgesamt 311 Anmerkungen und einem reichhaltigen Personenverzeichnis nachlesen.
Von Ditfurth beschreibt diese Tatsachen ohne Häme, eher mit engagiertem Bedauern. Er hat seit 1990 an vielen Sitzungen teilgenommen, Kreisvorstände und Landtagsfraktionen besucht und befragt. Für mich, als Sohn eines Vaters, der dem Naziregime in einem hohen Amt diente, während mein Stiefgroßvater noch im Jahr 1935 in Siebenbürgen mehr als 80 Lehrer entließ, weil sie Nazi-Anhänger waren, war das Buch von Ditfurths wichtig und notwendig, und es spricht nicht für den Neubeginn nach 1945, der solche Arbeiten nicht zuließ.
Sicher hätte auch die PDS eine Chance, zu einer linken demokratischen Partei zu werden. In der Spitze, dies bestätigt der Autor, bemühen sich Gysi, Bisky und Brie, aber der Einfluß altgedienter Ideologien und Kader aus SED-Zeiten ist groß. Daß dann noch ein Trotzkist im Schafspelz, Winfried Wolf, im alten Land für Druck sorgt, wundert mich nicht. So ist Ditfurths Meinung: "Eine linke Partei hat die Pflicht, Programme und Strategien zu erarbeiten, um zu verhindern, daß Gesellschaft und Wirtschaft zu Spielbällen des internationalen Finanzkapitals werden", zu unterstreichen.
Dieter Braeg, Westdeutsche Zeitung, 6. April 1998
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Steffen Bach, Hessische/Niedersächsische Allgemeine, 25. April 1998
Christian von Ditfurths Bericht über seine "Reise durch die PDS" ist nach dem Buch über die "Blockflöten"-CDU der DDR der zweite Versuch des Autors und Historikers, sich einer ostdeutschen Partei anzunähern. In "Ostalgie oder linke Alternative" fragt Ditfurth, was die PDS ist und in Zukunft sein könnte. Das Fazit fällt ernüchternd aus. Er beschreibt die mitgliederstärkste Partei in den neuen Bundesländern als Gemeinschaft Heimatvertriebener Menschen, die in der Vergangenheit leben und die vor allem damit beschäftigt sind, sich ihre "Biografien nicht nehmen zu lassen".
Daß "Gysis bunte Truppe" im Bundestag, Punks im Bundesvorstand, die geschickte Öffentlichkeitsarbeit und die oft witzigen Wahlkämpfe nur wenig über das wahre Seelenleben der Partei aussagen, wir haben es schon immer geahnt. Wie sehr der mediale Schein und das Bewußtsein an der Parteibasis auseinanderklaffen, faßt Ditfurth am Ende des Buches zusammen: "In Wahrheit benutzt die Partei ihre Aushängeschilder längst, um zu übertünchen, daß im Inneren das Rad zurückgedreht wird. Die Reformer laufen über einen Sumpf. So etwas ist noch nie gutgegangen."
Diese Einschätzung ist vermutlich das Ergebnis eines eigenen Lernprozesses. Ditfurth, in den Siebzigern selbst Mitglied der DKP, nähert sich der PDS von links. Jahrelang hat er Quellen ausgewertet, in Archiven recherchiert, Veranstaltungen besucht und Mitglieder interviewt. Er trifft Menschen, die mit dem Untergang der DDR "einen Glauben verloren, aber keinen neuen gefunden haben", Menschen, die sagen: "Ich kann doch nicht umsonst gelebt haben." Ditfurths Antwort ist schonungslos: "Doch man kann umsonst gelebt haben. Nämlich dann, wenn man einer schlechten Sache gedient hat, auch wenn man dafür die besten Gründe nennt."
Marxisten geben Ton an
Trotz dieses harten Urteils ist Ditfurth weit davon entfernt, in eine Rote-Socken-Rhetorik zu verfallen. Bei aller Kritik und Distanz nähert er sich seinen Gesprächspartnern mit Respekt, oft auch mit Verständnis und Sympathie. Nicht mit Häme, sondern eher mit Verzweiflung sieht Ditfurth, wie sich die PDS immer mehr von den anfänglich vorhandenen Bemühungen, mit dem Stalinismus zu brechen, entfernte. Gruppen wie das Marxistische Forum und die Kommunistische Plattform hätten die Meinungsführerschaft in der Partei übernommen. Eng verflochten sei die PDS darüber hinaus mit den Organisationen der Täter des SED-Regimes wie der "Initiativgemeinschaft zum Schutze der Sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR" oder der "Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung".
Was ist die PDS wirklich? Eine "Vereinigung von Heimatvertriebenen", ein "gescheitertes Projekt", die "einzige linkssozialistische Partei in Deutschland" oder eine "therapeutische Selbsthilfegruppe"? Ditfurth überläßt die Antwort dem Leser.
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Holger Hintzen, Rheinische Post, 7. Mai 1998
"Für die PDS gibt's mit dem Buch ein paar Probleme", sagt Christian von Ditfurth. Und das ist wohl vorsichtig formuliert. Denn in dem Buch stehen viele Sätze wie diese: "Ist die PDS überhaupt eine Partei? Für viele Genossen, wenn nicht für die meisten, ist sie eher eine therapeutische Selbsthilfegruppe, in der die Verlierer von 1989 sich gegenseitig darin bestärken, doch immer nur das Beste gewollt zu haben. Sie ist eine Vereinigung von Menschen mit gebrochenen Biographien, die sich für nichts mehr interessieren als dafür, sich reinzuwaschen. Insofern ist die PDS eine Vereinigung von Heimatvertriebenen." - Sätze, für die Autor Ditfurth bei Lesungen in Ostdeutschland "knüppelharten" Widerspruch geerntet hat.
Den einen oder anderen PDS-Anhänger mag besonders schmerzen, daß solche Wertungen nicht von der rechten Seite kommen. Ditfurth, Jahrgang 1953, Historiker, derzeit als freier Autor und Lektor tätig und in Mönchengladbach wohnhaft, ist ein "Wessi". Noch dazu einer, der von 1973 bis 1983 der DKP angehörte und in seinem Buch "Ostalgie oder linke Alternative. Meine Reise durch die PDS" auch schreibt: "Dem politischen Spektrum in Deutschland fehlen seit 1989 linke Alternativen - und sei es nur als Korrektiv."
Hübsche Frau, häßliches Denken
Nichtsdestotrotz fällt seine Abrechnung mit der DDR, dem Stalinismus und seinen unbelehrbaren Anhängern gnadenlos aus. Sarah Wagenknecht, Galionsfigur der "Kommunistischen Plattform" in der PDS, nennt er "die hübsche Frau mit den häßlichen Gedanken", die Millionen Opfer der kommunistischen Diktatur in der Sowjetunion als bedauerliche, aber notwendige Begleiterscheinung des sozialistischen Aufbaus zu rechtfertigen, ist ihm ebenso verwerflich, wie Auschwitz zu leugnen. "Wie kann man eine Gesellschaft für moralisch, politisch oder historisch legitim halten, die ihre Existenz vor allem der Gewalt verdankt", fragt Ditfurth und fügt hinzu: "Keine Entscheidung in der DDR ist demokratisch gefällt worden. Keine."
Ein Konglomerat
Erstaunlicher werden im Westen Deutschlands wohl viele Ditfurths Diagnose finden, die PDS sei keine kommunistische Partei und mit dem Begriff "SED-Nachfolgepartei" nicht zutreffend beschrieben. Für Ditfurth, der jahrelang in Archiven forschte und viele Parteiveranstaltungen - von Vorstandssitzungen bis hin zu Treffen der Basis besuchte -, ist die PDS ein "Konglomerat", eine geradezu absurd bunte Mischung: im Westen ein Sammelbecken linker Sektierer mit verschwindend geringer Mitgliederzahl; im Osten ein Konglomerat, das unter anderem aus unbelehrbaren Stalinisten, einer dünnen Schicht um die Definition eines demokratischen Sozialismus ringender Funktionäre (etwa Gregor Gysi) und eben jenen Mitgliedern besteht, die Ditfurth "Heimatvertriebene" nennt: Menschen, die sich seit dem Zusammenbruch der DDR ihrer geistigen Heimat und ihrer Identität beraubt fühlen, die "noch nicht in der Bundesrepublik angekommen sind", die in der PDS gegenseitige Rechtfertigung ihrer Biographien suchen. Motto: "Ich kann doch nicht umsonst gelebt haben." "Kann man doch" antwortet ihnen Ditfurth. Und zwar, wenn man einer schlechten Sache gedient habe und sich weigere, sich dies bewußt zu machen.
Viel Ostalgie also - und wie steht's mit der "linken Alternative"? Miserabel. "Linke Politik ist unmöglich ohne vollständigen Bruch mit der SED-Diktatur", befindet Ditfurth. Und den habe die PDS bisher nicht vollzogen.
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Ulf Maaßen, Westdeutsche Zeitung, 7. Mai 1998
Mit seinem Namen geht er nicht gerne hausieren, obwohl dieser auf den Buchtiteln einiger renommierter deutscher Verlage prangt: Christian von Ditfurth, Historiker, Autor und Wahl-Mönchengladbacher, ist natürlich der Sohn von Hoimar von Ditfurth und der Bruder von Jutta von Ditfurth.
Doch während bei Vater und Schwester die Ökologie im Vordergrund stand und steht, hatte sich der 44jährige "schon in der Schulzeit neben Lesen für Geschichte" interessiert. Ein entsprechendes Studium folgte, wobei Christian von Ditfurth die Zeit-Geschichte besonders aktiv auch selbst verfolgte. Er macht heute keinen Hehl daraus, daß er in den 70er Jahren Mitglied in der DKP war und sogar über ein Jahr lang Marxismus an einer Ost-Berliner Kaderschule studiert hat. Doch das Kapitel DKP beendete er schon 1983, ohne aber die Politik im Allgemeinen aus den Augen zu lassen.
Doch erst einmal stand ein Beruf im Vordergrund, und was liegt für einen Literatur-begeisterten Menschen näher als die Ausbildung zum Lektor. In den folgenden Jahren pendelte von Ditfurth zwischen großen Verlagshäusern in Hamburg und München, um dann schließlich 1990 doch am Niederrhein – zuerst in Viersen, dann in Rheydt – zu landen.
Den Entschluß, seine Position als stellvertretender Verlagsleiter bei Econ in Düsseldorf aufzugeben und als freier Autor zu arbeiten, bereut er nicht. "Ich schreibe Bücher, um selbst auch etwas zu lernen!" Einen Themenschwerpunkt ("Da herrscht bei mir Chaos") hat er nicht, obwohl er sich immer wieder mit der deutschen Einheit und ihre Folgen beschäftigt. Neben zahlreichen Aufsätzen und Zeitungsbeiträgen entstanden so seit 1991 zwei Internet-Fachbücher, ein Buch über den "Wachstumswahn" sowie ein Buch über die ehemalige DDR-CDU mit dem bezeichnenden Titel "Blockflöten".
Parallel dazu beschäftigte sich von Ditfurth seit 1990 mit der PDS. Sein aktuelles Buch "Ostalgie oder linke Alternative - Meine Reise durch die PDS" nimmt diese Partei unter eine kritische Lupe. "Doch es war mehr eine Abenteuerfahrt als eine Reise", beschreibt von Ditfurth seine langjährigen Recherchen. Einen Auszug seiner aktuellen Arbeit stellt Christian von Ditfurth am Freitag, 8. Mai, um 20 Uhr im Kulturzentrum "Bis", Bismarckstraße, auf einer Lesung vor.
Ulf Maaßen, Westdeutsche Zeitung, 7. Mai 1998
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Markus Schwering, Kölner Stadt-Anzeiger, 14. Mai 1998
"In Wahrheit benutzt die Partei ihre Aushängeschilder längst, um zu übertünchen, daß im Inneren das Rad zurückgedreht wird. Die Reformer laufen über einen Sumpf So etwas ist noch nie gutgegangen." Das Urteil des Autors über die PDS fällt hart aus. Und es kommt in dieser Härte überraschend, denn die Seiten zuvor zeitigten ein sorgsames Abwägen, wobei einstweilen unklar war, zu welcher Seite sich die Waage senken würde.
Wer gibt bei den Postkommunisten, die im Westen als Sammelbecken frustrierter Linkssektierer ein Schattendasein führen und im Osten den Status einer Volkspartei haben, tatsächlich den Ton an? Ist es die Gruppe der Erneuerer um Gysi, Bisky und Brie, die den Bruch mit der stalinistischen Vergangenheit radikal vollziehen wollen, oder sind es die Traditionalisten, die die untergegangene DDR verklären und die parlamentarische Demokratie, in der sie jetzt notgedrungen leben müssen, letztlich ablehnen?
Dies ist die Frage, die der Historiker Christian von Ditfurth in seinem neuen Buch "Ostalgie oder linke Alternative. Meine Reise durch die PDS" zu beantworten sich vorgenommen hat. "Reise durch die PDS" ist dabei einigermaßen wörtlich zu nehmen: Immer wieder hat Ditfurth in den vergangenen Jahren Parteiversammlungen besucht, Prominente und "einfache" Mitglieder gesprochen, im parteieigenen Archiv recherchiert. Der Anschaulichkeit wie der Glaubwürdigkeit der Argumentation sind diese Vorarbeiten zweifellos zugute gekommen. Die reportagehaften Schilderungen legen ein haltbares Fundament für das Gebäude der politischen Analyse, das sich auf ihm erhebt.
Das Ergebnis: Gysi und Genossen ist es laut Ditfurth nach 1989 gelungen, die gesamte Partei auf einen antistalinistischen Kurs einzuschwören. Inzwischen aber ist - dies der aus vielen Einzelbeobachtungen gewonnene Eindruck des Autors - ihre Position in der PDS nicht mehr mehrheitsfähig: Die Tabus fallen - Ditfurth belegt es - wie Dominosteine: Wer die Bezeichnung Unrechtsstaat für das SED-Regime empört zurückweist, für wen Gorbatschow ein Verräter ist und die ehemaligen DDR-Bürgerrechtler Feinde sind, ist wieder hoffähig, kann mit herzlichem Beifall rechnen.
Dies ist, so Ditfurth, auch der Grund dafür, daß Figuren wie Sahra Wagenknecht - die "schöne Frau mit den häßlichen Gedanken" - und der Historiker Kurt Gossweiler, der Stalin verherrlichende Brandreden hält, nicht aus der Partei geworfen werden. Sie sind zu einflußreich und verfügen über zuviel Rückhalt an der Basis.
Man muß nicht alle Schlußfolgerungen und Wertungen Ditfurths teilen, manches bleibt dem bloßen Mutmaßen verhaftet. Trotzdem sollte das Buch all denen zu denken geben, die in der PDS immer noch eine seriöse demokratische Alternative sehen.
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André Brie, Neues Deutschland, 16./17. Mai 1998
Eindrücke von einer "Reise durch die PDS" legt Christian v. Ditfurth vor. Sein Buch liest sich gut und schnell und kann den Leser geradezu fesseln. Aber die Spannung wird nicht selten durch Kolportage hergestellt, die sich eigentlich in einem politischen Sachbuch verbietet. Da muß beispielsweise ein "würdiger älterer Herr mit Brille, den es auf fast jeder PDS-Veranstaltung gibt" (S. 94) als Kronzeuge für die Meinung der PDS-Basis herhalten.
Ditfurth hat Versammlungen der PDS besucht, mit Mitgliedern lange Gespräche geführt, viel Material studiert. Das alles führt ihn zu sehr widersprüchlichen Urteilen, die - so scheint's mir - nicht allein in der zweifellos widersprüchlichen Situation innerhalb der PDS ihre Ursache haben, sondern ebenso in widersprüchlichen Positionen des Autor selbst. Anders ist schwer zu erklären, daß Ditfurth auf der einen Seite findet, die PDS sei die interessanteste Partei Deutschlands, ihr auf der anderen Seite als bundesweite linke sozialistische Partei keinerlei Perspektive gibt. In der Kommunistischen Plattform macht er einige hartgesottene Stalinisten aus und fragt: "Aber warum schmeißt die PDS die paar Dutzend KPF-Sektierer nicht einfach raus?". (S. 43) An anderer Stelle schreibt er jedoch: "Betrachtet man die Mitgliedschaft, dann ist die PDS im Osten nicht entstalinisiert und im Westen eine Sekte." (S. 272) Er fragt weiter: "Ist die PDS überhaupt eine Partei?" Stellt dann jedoch fest: "Aber die PDS ist die einzige linkssozialistische Partei in Deutschland." (S. 275)
Es gibt keinen Grund, die Defizite, Schwierigkeiten, ungelösten Probleme der PDS zu beschönigen. Im Gegenteil, nicht durch Selbstgerechtigkeit und Abschottung, sondern nur durch öffentliche Auseinandersetzung und entschiedene Selbstkritik, die nicht abgerungen, sondern als Chance begriffen und praktiziert wird, kann die PDS die widerständige, konsequent demokratische sozialistische Partei werden, die Stoiber, Waigel und Hintze, aber auch Schröder und Fischer dauerhaft und wirkungsvoll von links herausfordern kann. Ditfurth spricht der PDS diese Fähigkeit und Bereitschaft ab. Doch die Quellen, mit denen er seine Einschätzung beweisen will, widersprechen ihm eindeutig. Nahezu ausschließlich beruft er sich auf PDS-Politiker und -erklärungen. Offensichtlich steckt in dieser Partei doch ein ungebändigtes selbstkritisches Potential. Ditfurth leugnet dieses zwar, nutzt es aber kräftig für sein Buch. Und wenn er - durchaus zu Recht - PDS-Politikern Ungenauigkeiten beim Zitieren nachweist, so muß er sich doch auch die Frage gefallen lassen, warum ähnliche Oberflächlichkeit auch bei ihm zu registrieren ist. Die Möglichkeiten, dieses Buch für den notwendigen Disput in der PDS heranzuziehen, werden dadurch jedenfalls erheblich beeinträchtigt.
Andere Mängel sind schwerwiegender, aber hier nur anzudeuten. Der Autor widerspricht entschieden der konservativen Gleichsetzung von Naziherrschaft und SED-Staat, aber wenn PDS-Mitglieder davon reden, daß es in der DDR sichere Arbeitsplätze, Kindergärten, niedrige Mieten usw. gegeben habe, dann sagt er: "Das klingt mir zu sehr nach Autobahnen." Womit auch bei ihm der Unterschied von Naziregime und DDR unter der Hand verschwindet.
Einigen von Ditfurths Thesen kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt dringender Veränderungen unserer Geschichtssicht zugestimmt werden, so wenn er schreibt: "Die NS-Diktatur war kein Instrument des großen Kapitals, sondern stützte sich auf die breite Zustimmung des deutschen Volkes ... " (S. 83) So richtig - leider - der zweite Teil dieser Feststellung ist, so offenkundig unrichtig der erste. Da ist selbst ein Teil der konservativen Geschichtsschreibung weiter. Und Günter Wallraff stellt noch für die 70er Jahre hinsichtlich der Chefetagen deutscher Konzerne fest: "70 Prozent der über 50jährigen Führungskräfte stammten aus den Elitegruppen des Dritten Reiches." (Stern-Beilage, 26. März 1998)
Der Autor bekennt sich nicht zu der Kinkelschen Forderung, "das SED-Regime zu delegitimieren" (S. 100), aber er verlangt genau das. Er fordert von Menschen, die in der DDR gelebt und für die DDR gearbeitet haben, sie dürften nicht sagen, "ich kann doch nicht umsonst gelebt haben". Erbarmungslos hält er ihnen vor: "Doch, man kann umsonst gelebt haben. Nämlich dann, wenn man einer schlechten Sache gedient hat, auch wenn man dafür die besten Gründe nennt. ... Das ist viel verlangt. Aber anders geht es nicht" (S. 97f.) Offenbar kann auch Ditfurth nur in den Kategorien "richtig oder falsch", "nützlich oder umsonst" denken, ganz in der Tradition des Marxismus-Leninismus, der auch Christian von Ditfurth einmal gefolgt war.
Mir wirft er die These vor, "daß die konsequente und praktische Kritik des stalinistischen und poststalinistischen Sozialismus ... nicht die historische Legitimität der Oktoberrevolution oder des Versuchs, ein anderes, ein antifaschistisches Deutschland zu errichten, in Frage" stellt. Er ernennt diese These zum "ideologischen Kitt, der die widerstreitenden Flügel zusammenhält". Und auch deretwegen werde die PDS kaum eine gesamtdeutsche sozialistische Partei werden (S. 81). Zu der entscheidenden Frage, ob die Legitimität eines historischen Aufbruchsversuchs generell und post festum bestritten werden muß, wenn der Versuch gescheitert ist, nimmt er nicht Stellung. Darüber hinaus kann die erforderliche Kritik der Oktoberrevolution nicht in ahistorischer Weise von der barbarischen Illegitimität jener Zustände abstrahiert werden, die ihre Ursachen waren - dem (bis dahin) beispiellosen Verbrechen des Ersten Weltkrieges und der allgemeinen Zerrüttung Rußlands, auf die jedoch die Februarrevolution eben noch keine Antwort gab.
Ich unterstütze Ditfurths Auffassung, nicht die Mängel und Verbrechen des einen Systems gegen die des anderen aufzurechnen. So kann man weder zu einer realistischen und nachhaltigen Kritik des zusammengebrochenen "realen Sozialismus" sowie einer Erneuerung der sozialistischen Politik, noch zu wirkungsvoller Kritik der kapitalistischen Gesellschaft kommen. Um dies zu erreichen, muß die Ganzheitlichkeit der Geschichte herangezogen werden, kann z.B. die zivilisatorische Wirkung der Oktoberrevolution für den Zusammenbruch des Kolonialismus und die Analyse dieser bis in die Gegenwart reichenden mörderischen und sozial und kulturell zerstörerischen Seite kapitalistischer Weltherrschaft nicht ausgeblendet werden. Umgekehrt - und in dieser Hinsicht ist Ditfurths Kritik oft zutreffend - kann und darf die PDS die zivilisatorischen Errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft nicht verleugnen, wenn sie deren Realisierungsstand glaubwürdig kritisieren, die Defizite der DDR-Gesellschaft bestimmen und in erneuerten Sozialismusvorstellungen überwinden will.
Ditfurths Bild ist letztlich ebenso differenzierungslos wie das von ihm kritisierte. Wenn ich einen Moment notwendiger Veränderung in der Linken hervorheben müßte, so wäre es die Lehre, daß jedes Lager- und Schwarz-Weiß-Denken unweigerlich zu Realitätsverlust führen muß. Differenzierung und Ganzheitlichkeit des Denkens ist in der heutigen Mediengesellschaft unbequemer und schwieriger denn je. Aber für die Wiedergewinnung sozialistischer Politik unerläßlich.
Ich darf mich zu denen rechnen, die gewiß noch mehr "durch die PDS gereist" sind als Christian v. Ditfurth. Und ich bekenne, daß ich viele der Symptome für Hemmnisse und Schwierigkeiten in der Entwicklung der PDS, die er erkannt hat, nicht anders sehe. Aber ich widerspreche Ditfurth, wenn er immer wieder von "den meisten PDS-Genossen" spricht, die "unbelehrbar" seien.
Ich weiß, wie schwer es vielen Genossinnen und Genossen gefallen ist - ich nehme mich da nicht aus - und noch fällt, die DDR so kritisch zu sehen, wie es eine tiefgründige historische Analyse verlangt, die für eine linkssozialistische Partei in der Tat lebensnotwendig ist. Ich erlebe aber auch fast täglich, wie um diese notwendigen Erkenntnisse buchstäblich gerungen wird. Nach meinen Eindrücken in und von der PDS behaupte ich, Ditfurths Diagnose ist verfehlt. Er meint, behaupten zu können: Das Projekt PDS ist gescheitert. (S. 271) Den Beweis dafür bleibt er allerdings schuldig. Da findet sich nichts auf den über 300 Seiten seines Buches.
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Larissa Schippel, Disput, Nr. 5/1998
Christian von Ditfurths Buch trägt den Untertitel »Meine Reise durch die PDS«; der Verlag verspricht eine »abenteuerliche Reise durch Politik, Geschichte und Ideologie von Deutschlands interessantester Partei«.
Das Fazit dieser Studie lautet, die PDS habe »durch die Ausstrahlungskraft vieler programmatischer Aussagen und von Persönlichkeiten wie Gysi, Bisky oder Brie viele Linke ( ... ) an sich herangezogen. Und erstickt so Keime einer antistalinistischen, sozialistischen Entwicklung. ( ... ) Die PDS greift linke Ideen auf, schreibt sie in ihre Programme und Erklärungen und kompromittiert sie schon dadurch. Das ist der bislang letzte Akt der Tragödie der deutschen Linken.« (S. 276) Die Sympathie des Autors gilt - das ist ja durchaus nachvollziehbar - Personen wie Gysi, Bisky und Brie. Dieses »Erneuerertrio« stehe allerdings ziemlich allein auf weiter Flur und nutze den nostalgischen Rest und nähre so die Illusion, man könnte auf dieser Basis sozialistische Politik machen.
Wie diese Basis aussieht, hat der Verfasser in den Jahren 1989 bis 1997 analysiert und nennt die Stationen seiner Reise: die Kommunistische Plattform, das Marxistische Forum, Zusammenschlüsse wie ISOR (Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR e.V.), GRH (Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung) und GBM (Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde), »die dritte im Bund der dubiosen Vereinigungen« (S. 127).
Der ernst zu nehmende Teil des Buches, in dem Ditfurth den Stalinisierungsprozeß der KPD unter Thälmann nachverfolgt und auch die Frage nach der Legitimität von SED- und DDR-Gründung diskutiert, den Vereinigungsprozeß von KPD und SPD differenziert ausleuchtet, ist, wenngleich nicht neu, so doch lesenswert.
Widerspruch provoziert dennoch die Wertung, wonach der Versuch einer gesellschaftlichen Alternative in Form der DDR nach Ditfurth nicht legitimierbar sei, weil es sich dabei
1. um Okkupationssozialismus (von der SU aus macht- und sicherheitspolitischen Gründen unter Stalin veranlaßt); 2. um eine nicht demokratisch gerechtfertigte Staatsgründung handelte; 3. es kein Rechtsstaat und 4. aufgrund des Ausschlusses der Bevölkerung von der realen Machtausübung es auch keine moralisch legitimierte Gesellschaft war.
Nun sind das alles keine DDR-Spezifika. DDR-spezifisch war lediglich eins: Die Behauptung einer gesellschaftlichen Alternative zu einem anderen deutschen Staat. Die DDR hatte nur dann eine Berechtigung, wenn sie grundsätzlich anders war als die alte Bundesrepublik. Und das war sie weiß Gott! Im Guten wie im Bösen. Das heißt, sie definierte sich von Anfang an gegen die Bundesrepublik. Nur das erklärt eine Vielzahl ihrer Grundzüge und der Verhaltensweisen ihrer Bürgerinnen und Bürger - teilweise bis heute. Es erklärt auch den Druck auf Veränderungen innerhalb der Entwicklungsgeschichte der DDR (die bei Ditfurth kaum eine Rolle spielen) und auch sture Beharrungen, die sich aus dieser Konfrontation ergeben. Die oben genannten Kriterien zur Beschreibung der DDR stimmen zweifelsohne, erklären aber nichts, vor allem sagen sie nichts über das Verhältnis der DDR-Bürgerinnen und -Bürger zu diesem Staat.
Auch Ditfurth - und das ist das Bedauerliche an diesem Buch - zeichnet mit an einem rückblickenden DDR-Bild, das m. E. zwei Ziele verfolgt: 1. Einen offiziösen Darstellungsrahmen zu liefern zur Beurteilung der DDR, innerhalb dessen sich zu bewegen hat, was anerkannt sein will, political correctness also. 2. Aus der Umkehrung dieser Defizite der DDR ergibt sich dann folgerichtig die Überlegenheit des demokratischen Rechtsstaates BRD mit Teilhabe der Bevölkerung an der Machtausübung.(!) Das aber ist genau die Legitimierung einer westdeutschen Führungsschicht im Osten, des nahezu kompletten Elitenwechsels, der im Osten stattgefunden hat. Die Delegitimierung des (gescheiterten) Versuchs DDR von Anfang an ist eine Rechtfertigung, ob man will oder nicht, dieser Art des Anschlusses von 108 000 qkm Grund und Boden, die leider bewohnt sind.
Ebenso folgerichtig wird dann die PDS ein ostdeutscher Heimatverein zur Verteidigung falsch gelebten Lebens. Unverständlicherweise haben sich einige (wenige) kluge Köpfe (immer die drei mehrfach Genannten) in diesen Nostalgieclub vernarrt und versuchen nun, daraus - zum Leidwesen der deutschen Linken - moderne sozialistische Politik zu machen: »Die Reformer laufen über Sumpf. So etwas ist noch nie gut gegangen.« (278)
Der Zustand der PDS ist nicht schön zu reden. Und von einem Durchreisenden ist auch kein Wohlwollen einzuklagen. Vom Historiker kann wohl aber auch im Hinblick auf eine politische Bewegung das Benennen von Ursachen und Wirkungen erwartet werden. Trotziges Bestehen auf dem Recht auf gerechte Bewertung des eigenen Lebens entsteht nur, wenn dieses bestritten wird. Wer an sich selbst, an Kindern und Enkeln erlebt hat, daß nichts zählt, was im Osten galt, wird unter Umständen auch ungerecht, vor allem aber unproduktiv.
Wer das aber nicht einbezieht in die Beurteilung derer, die nicht ankommen wollen in dieser Bundesrepublik, übersieht die Ursache von Trotz und Widerstand. Denn er reflektiert nicht, daß ein Großteil der Bewohnerinnen und Bewohner von Neufünfland nicht ankommen durfte in dieser heilen Welt der besseren Deutschen. Die Hürden standen hoch für diejenigen mit der Ungnade der falschen Geburtsorte. Aber Demütigung schafft nicht Demut. Freilich, mit Trotz kann man dauerhaft keine Politik machen.
Keine Antwort hat Christian von Ditfurth darauf, wieso der beschriebene Nostalgieverein PDS mit reformerischer Spitze im Osten Wahlergebnisse einfährt, die um die 20 % liegen. Die Mischung aus Milieuverbundenheit und geschickter Wahlkampagne kann ja nicht ernsthaft als Erklärung gemeint sein. Seriöse WählerInnen-Analysen zeigen, daß es bei weitem nicht die sogenannten Wendeverlierer sind, die die PDS im Osten stark machen, sondern diejenigen, die »angekommen« sind in der Bundesrepublik. Aber gerade sie sind es, die auf Kritikwürdiges stoßen in diesem »Paradies, in das sie vertrieben« wurden. Sie haben den Anspruch, Kritikwürdiges kritisieren, Veränderungswürdiges verändern, Notwendiges im Sinne einer Zukunftsfähigkeit entwickeln zu dürfen - auch wenn man aus dem Osten kommt. Das ist schwer angesichts der Verführung, vor allem Unrecht zu thematisieren, das zuhauf geschehen ist beim Basteln an den »blühenden Landschaften«. Und mancher bleibt mit der Lebenserfahrung aus einer bipolaren Welt bei der Kritik des gegenwärtigen Unrechts stecken, wohl wahr. Nur, dies nicht zu benennen und den alten weißhaarigen freundlichen Herrn zu zitieren, der immer nur das Unrecht »der anderen Seite« auflistet, ist auch eine Form der Unredlichkeit. Dann bleibt eben außerhalb der Beschreibung ein Umgang mit einer Armee, deren Angehörigen vom jetzigen Oberaufarbeiter des SED-Unrechts zumindest ein Abgang in Würde versprochen wurde, von dem wenig blieb - auch das ein Grund für die Existenz von ISOR. Es gibt eben nicht nur einen Faktor 0,7 (Rentenberechnung für ehemalige MfS-Angehörige), über den Ditfurth sich äußert. Es gibt auch noch einen Faktor 1,8. Und der gilt für alle Hochschulabsolventen aus der DDR. Ein Grund für die Existenz der GBM.
Der Anschluß der DDR hat so und nicht anders stattgefunden, ohne nennenswerten Protest der demokratischen, entstalinisierten Westlinken. In Erinnerung bleibt der Protest eines Günter Grass (»Ein Schnäppchen namens DDR«) und einiger weniger anderer. Und dieser Anschluß ist gleichzeitig auch der Fonds, vor dem die Erneuerung der PDS stattfinden mußte. Daß sie nur unvollständig, punktuell und vor allem konferenzmäßig ablief, ist leider wahr; daß gegenwärtig eine Phase von Restauration und gerade in bestimmten Strukturen wie eben in vielen Basisgruppen Stagnation eingetreten ist, kann nicht bestritten werden. Kritik von außen kann hilfreich sein, vor allem wenn sie eigenes Tun impliziert. Aber hier war wohl von der Linken der alten Bundesrepublik auch nicht so viel zu erwarten wie anfangs erhofft. Die hatte sich nach ihrem 68-er Aufruhr schnell von ihren Protagonisten verabschiedet und lieber die angebotenen Lehrstühle an den Universitäten besetzt. Nun analysiert sie die Beliebigkeit der Postmoderne und ist kritisch distanziert gegenüber einem Staatswesen, mit dem sie sich als unveränderbar abgefunden hat.
Christian von Ditfurth erklärt, die PDS nicht zu wählen. Das steht ihm frei. Für die Feststellung, das Experiment PDS sei gescheitert, scheint seine Datenbasis freilich ein wenig schmal, wenn er genüßlich davon spricht, »künftigen Junggenossen (dürfte) ein Besuch in einer PDS-Basisgruppe in Pirna, Friedrichroda oder Malchin genügen, um ein für allemal Reißaus zu nehmen«. (274) Denn Prognosen, um einen Meterologen zu zitieren, sind bekanntlich immer schwierig, vor allem aber, wenn es um die Zukunft geht.
Larissa Schippel, Disput, Nr. 5/1998
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Joachim Pohl, Märkische Allgemeine, 21. März 1998
Selten präsentiert sich die Junge Union vor der Berliner Volksbühne. Heute dagegen verteilt dort eine Gruppe adrett gekleideter Mitglieder der CDU-Nachwuchsorganisation sogar Flugblätter. Unkommentiert sind darauf Zitate aus einem jetzt erschienenen Buch von Christian von Ditfurth aneinandergereiht. Unter dem Titel "Ostalgie oder linke Alternative" hat der Autor, selbst zehn Jahre lang DKP-Mitglied, nach einer zweijährigen "Reise" durch die PDS versucht, den Charakter der Partei zu ergründen.
In der Volksbühne haben auf dem Podium vier Politiker Platz genommen, die mit dem Autor über das Buch diskutieren wollen: Steffen Reiche, Brandenburgs SPD-Landeschef, PDS-Vorstandsmitglied Michael Schumann, der Bürgerrechtler Wolfgang Templin und Günter Nooke. Nooke, kürzlich vom Bündnis 90 in die CDU übergetreten, kandidiert hier, in Berlins Mitte, als Bundestags-Direktkandidat für die Christdemokraten.
Autor von Ditfurth läßt die PDS von Anfang an nicht als Partei durchgehen. Sie sei vielmehr Mitbringsel des Ostens, eine kleine sozialistische Oase. Die PDS diene lediglich dazu, mit "Schlußstrichmentalität" Biographien zu legitimieren. Woraus der Autor schlußfolgert, die PDS sei nicht links, sondern reaktionär.
Schumann räumt ein, daß die Partei viele ältere Mitglieder habe, die in der SED großgeworden sind. Es sei aber legitim, so der PDS-Spitzenmann, daß sie ihre eigene Lebensleistung verteidigten. Der DDR habe es nicht freigestanden, eine parlamentarische Demokratie einzuführen.
Steffen Reiche spricht wenig. Er bewundere die Leidensfähigkeit Ditfurths, der sich erst in einem Buch mit den Blockparteien auseinandergesetzt und jetzt auch noch "das Original" erlebt habe. Es sei das Schicksal der PDS, daß sie selbst dem Ziel im Weg stehe, das sie zu vertreten vorgebe: linker Politik. Das Magdeburger Modell kennzeichnet für den Sozialdemokraten Reiche jedenfalls die Grenze denkbarer Zusammenarbeit von SPD und PDS.
Günter Nooke lobt von Ditfurths Buch. Mit erhobener Stimme gibt er sich sichtbar Mühe, die PDS als eine Gefahr für die Bundesrepublik darzustellen. Nooke bezieht sich dabei auf das vorliegende Buch, doch der Autor weist diese Interpretation weit von sich. Publikum und Podium zeigen wenig Sympathie für Nookes Wahlkampf, allein die Junge Union applaudiert dem CDU-Mann.
Christian von Ditfurth läßt in der Runde an diesem Abend keine Gelegenheit aus, sich selbst als einen "objektiven Beobachter" der PDS-Szene darzustellen. In seinem Schlußwort bricht er jedoch noch einmal den Stab über die Partei: "Die PDS absorbiert in Deutschland alle linken Gruppen und diskreditiert sie dadurch. Das ist ein echtes Dilemma."
Joachim Pohl, Märkische Allgemeine, 21. März 1998
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Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Monatsbericht, Mai 1998
Christian von Ditfurths Reise durch die PDS
Zwei Lesarten
(1) An Büchern über die PDS herrscht kein Mangel. Da sind Schriften aus dem Umfeld des PDS-Gegners Patrick Moreau und die Jubelschriften aus dem Dunstkreis der Partei selbst. Auf einem Schlingerkurs dazwischen findet die Reise von Ditfurth statt.
Das Buch widmet den Schwerpunkt seiner Beschreibungen den Innen-Ansichten der Partei, d. h. den Meinungen von PDS-Mitgliedern über sich und die Welt. Das ist ein Ausflug durch Mythen und Lebenslügen. Der Autor nennt die Dinge schonungslos beim Namen: den Antifaschismus, die Errungenschaften, das Unrechtssystem, den Mauermythos und die Legenden von den Biographien, die man sich nicht kaputtmachen lasse. Scheingefechte mit umgewidmeten Begriffen; Ditfurth läßt nichts aus; mit kalter Argumentation räumt er auf - ein wenig Betroffenheitsgedusel blickt aber auch durch, wenn er auf seinen schmerzhaften Abschied von der DKP zu sprechen kommt. Das ist natürlich auch Argumentationsersatz für den, der es nötig hat: Schaut her, ich habe mich auch befreit.
Doch dann, auf Seite 241, man beginnt bereits darüber nachzudenken, daß nichts neues mehr kommen kann, kommt die Wende: Ist die PDS eine kommunistische Partei? Nein, sagt Ditfurth, und zählt auf, was der Parteivorstand ("die Reformer") alles an Unkommunistischem zum besten gegeben hat: Man müsse in der Bundesrepublik ankommen, Abschied von der Weltrevolution, das Ende des Klassenkampfes. Was will man mehr. Doch die wortreichen Ausführungen einschließlich der Begründung, daß es in Deutschland einer echten linken Partei bedürfe, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Autor einen Argumentationsbruch vorführt. Oder wie soll das zusammenpassen, wenn auf 200 Seiten erzählt wird, daß die Masse der PDS-Mitglieder dumpf den Rezepten von einst verhaftet sei, daß sie den jetzigen Vorstand mit seinen demokratischen Eskapaden nur aus Not duldeten. Hier sind also Fragezeichen angebracht: Entweder der Vorstand führt eine Partei nach nicht-kommunistischen Grundsätzen, oder er verkündet Weisheiten, die von einer Mitgliedschaft, die im übrigen anderer Meinung ist, aus taktischen Erwägungen geduldet wird. Stimmt letzteres, dann ist Ditfurths Folgerung sehr fraglich, da er selbst den Mitgliedern einen anderen Bewußtseinsstand attestiert.
Fazit: gut lesbar, interessantes Material, zwiespältige Folgerungen.
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(2) Spiegel-Autor Christian von Ditfurth hat ein sehr persönliches, gründlich recherchiertes Buch über die PDS geschrieben. In den siebziger Jahren war von Ditfurth Kommunist, besuchte die Parteischule in Ostberlin und ist bis heute nicht bereit, sich von linken Idealen zu trennen. Daher mißt er die Partei PDS an ihren Programmen und Ideen, vor allem aber an ihren Personen. Sein Fazit ist: "Das Projekt PDS ist gescheitert."
Von Ditfurth geht unter verschiedenen Blickwinkeln an das Phänomen PDS heran. Er untersucht Programmatik, Organisation, Strategie und Geschichte der PDS. Dabei folgt er nicht der strikten linearen wissenschaftlichen Methode, sondern geht vielmehr von Personen und ihren Ideen aus. Dieses Vorgehen erweist sich als ausgesprochen glücklicher Ansatz, zumal von Ditfurth über intime Kenntnisse der Geschichte der kommunistischen Bewegung verfügt. Außerdem bemüht er sich, jedem seiner vielen Gesprächspartner gerecht zu werden. In einer gelungenen Mischung aus akribischer Analyse und subjektiver Schilderung entsteht ein Porträt der PDS, das wissenschaftlichen Ansprüchen genügt und zugleich lesbar und spannend ist.
In der PDS gibt es eine moderne reformsozialistische Führung und eine "graue Realität an der Basis", stellt von Ditfurth fest. So zieht sich die Schilderung des Konfliktes von Modernisierern und der vorherrschenden ostalgischen Grundströmung als Grundthema durch das Buch. Gleich welche Aspekte der Autor beleuchtet, immer wieder stößt er auf diesen Widerspruch, den die PDS-Führung nur mittels eines Spagates beherrscht. Ein großer Teil des Buches ist den rückwärts gewandten Kräften in der PDS gewidmet. Die Kommunistische Plattform, das Marxistische Forum, Verteidiger der Stasi und die "filbingernden" Freunde der verurteilten Parteiführung betrachtet von Ditfurth mit sachlicher Distanz und setzt sich ausführlich mit ihren Argumenten auseinander. Dabei schont er beim Thema "Rentenstrafrecht" und bei der Erörterung der Ziele der ISOR auch die herrschende Politik nicht (S. 121 ff.). Die MfS-Angehörigen würden "doppelt diskriminiert" meint er, wendet sich dann aber dagegen, daß jene sich "als Opfer aufspielen". Immer wieder den Bogen zur PDS-Führung spannend, macht er so vor allem dem westdeutschen Leser die Aktionsfelder der Politik in Ostdeutschland transparent. Das Bemühen, den Politikern der PDS gerecht zu werden, führt jedoch auch gelegentlich zu merkwürdigen Argumentationslinien. So macht sich von Ditfurth die Märtyrerlegende des Gerhard Riege zu eigen. Riege erhängte sich wegen seiner Stasi-Vergangenheit, von Ditfurth macht - wie die PDS - Haß und Ausgrenzung für Rieges Tod verantwortlich.
Deutlich distanzierter geht von Ditfurth an den Streit um die Geschichte der Arbeiterbewegung heran. Als ausgewiesener Fachhistoriker folgt er den Mythen und Legenden der Parteihistoriker von SED und PDS selbstverständlich nicht. Immer wieder legt er den Finger auf die Wunden, die sich die Kommunisten durch permanentes Säubern und Ausmerzen selbst zufügten. Auch den Antifaschismus und die Mythen um Thälmann unterzieht von Ditfurth einer gnadenlosen Prüfung. Er mißt sie an den selbstverkündeten Idealen und kommt zu dem Schluß, daß weder der Antifaschismus noch die Person Thälmanns positive Ansätze verkörperten. Denn von Ditfurth meint, daß im Antifaschismus "nicht nur das Gegen, sondern auch das Für" stecke. Antifaschismus hieße, "sich dafür einzusetzen, daß die Lebensverhältnisse der Menschen human und demokratisch sind". (S. 187 f.) Diese Feststellung mag als Postulat des linken Idealisten von Ditfurth und pädagogischer Hinweis an die PDS durchgehen, ist jedoch fragwürdig. Ebensowenig vermag sich von Ditfurth zu der Erkenntnis durchzuringen, daß revolutionäre Praxis in Konsequenz stets zu diktatorischen Erscheinungen führt. Von Ditfurth bleibt bei den Postulaten Rosa Luxemburgs stehen, die zwar für die PDS wegweisend sein müßten, aber keineswegs zur Analyse diktatorischer Bewegungen taugen.
Kapitel zur Strategie der PDS, insbesondere zur Zusammenarbeit mit der SPD (Koalition, Erfurter Erklärung) und zur Westausdehnung, beschließen das Buch. Das Urteil von Ditfurths ist vernichtend. Den Konzepten der Modernisierer bescheinigt er Chancen für eine Renaissance der Linken in Deutschland. Doch er stellt fest, daß im "Inneren das Rad zurückgedreht wird". "Die PDS", so meint er, greift linke Ideen auf, schreibt sie in ihre Programme und Erklärungen und kompromittiert sie schon dadurch. Das ist der bislang letzte Akt der Tragödie der deutschen Linken." In Anbetracht dessen, daß der Autor mit den Ideen der PDS sympathisiert, sollten bei all jenen die Alarmglocken schrillen, die die PDS in einem demokratischen System für regierungsfähig halten.
Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Monatsbericht, Mai 1998
PDS - Grau in Grau
So wie sie ist, ist die PDS keine Partei für Menschen, die linke Politik machen wollen. Dieses Fazit zieht der Publizist Christian von Ditfurth in seinem neuen Buch "Ostalgie oder linke Alternative" (erschienen bei Kiepenheuer und Witsch, 314 Seiten, 39.80 DM). Unter der weiter rapide schrumpfenden Mitgliedschaft dominiere der Blick zurück im Zorn, das moderne Erscheinungsbild sei nicht mehr als eine trügerische Fassade. Die Partei, so die bittere Analyse, "hat sich nicht erneuert". An der Basis habe sich die Argumentation durchgesetzt, "man habe erstens von nichts gewußt, zweitens habe man früher unbehelligt auf die Straße gehen können und drittens müsse endlich Schluß sein mit der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit".
Gegen das von einigen angedachte Konzept eines neuen Gesellschaftsvertrages brach ein Sturm der Entrüstung los. Stalinistische Positionen erkennt Ditfurth nur bei einer kleinen Minderheit der PDS, insofern ist der pragmatische Kurs im Alltag der Landes- und Kommunalparlamente nicht verwunderlich. Das eigentliche Problem der PDS ist eine spezifische Mischung aus geistiger Unbeweglichkeit, dumpfen Ressentiments und starrer Rückwärtsgewandtheit.
SPD-Intern, Nr. 3/1998 (http://www.spd.de/partei/intern/0398/p37.htm
Christoph Jünke, analyse & kritik, Nr. 416/1998
Hilfloser Antistalinismus
Christian v. Ditfurths PDS-Kritik ist engagiert, aber widersprüchlich
Das jüngst erschienene Buch des politischen, sich selbst links verstehenden Journalisten Christian von Ditfurth ist eine gleichermaßen engagierte und zutiefst bittere Abrechnung mit der PDS. Vor allem zeigt es exemplarisch Stärken und Schwächen einer bestimmten westlinken Kritik an der PDS auf, mit der sich auseinanderzusetzen gerade für jene lohnt, die der Partei in westlinker, kritischer Sympathie mehr oder weniger nahe stehen.
Für Ditfurth ist das Projekt einer linksalternativen, demokratisch-sozialistischen Partei gescheitert - im Osten an ihrer mangelnden Entstalinisierung, im Westen an den die Parteistrukturen dominierenden Sekten. Spätestens der Beschluß des Parteivorstandes zum Krenz-Urteil ist ihm das Zeichen, daß die Neostalinisten und sogenannten Ostalgiker um die Kommunistische Plattform (KPF) und das" Marxistische Forum" die Partei mittlerweile fest im Griff haben. Doch nicht die glänzenden, mal mehr, mal weniger gelungenen Charakterisierungen einzelner Akteure und Strömungen machen die Substanz des Buches aus. Seine Stärken und Schwächen liegen in der Analyse der politischen Stagnation der PDS und in der argumentativen Auseinandersetzung mit den nach Ansicht Ditfurths mittlerweile dominierenden Ostalgikern.
Ostalgie: Relativierung des Stalinismus
Im Zentrum des alles beherrschenden Roll-Back steht (nicht nur) für ihn die Stalinismusdiskussion: "Den Gegenreformern um das Marxistische Forum und die KPF ist es gelungen, den Stalinismusbegriff auszuhöhlen. Gewissermaßen weiß die Partei gar nicht mehr, was Stalinismus überhaupt ist. ( ... ) Gibt man zu, daß die DDR stalinistisch war, stellt man sie in die Linie eines Verbrecherregimes. Dann aber kann man den Vorwurf nicht mehr zurückweisen, daß die DDR ein Unrechtsstaat war. Und wenn die DDR ein Unrechtsregime war, dann wirft das zumindest ein schlechtes Licht auf jene, die in der DDR Partei- und Staatsfunktionen innehatten oder auch akademische Titel erwarben." Und so wich die Orientierungslosigkeit der beharrenden Kräfte anfangs der 90er Jahre einer "War doch alles nicht so schlimm"-Haltung, in deren Mittelpunkt eine zuerst historische, schließlich auch juristische Relativierung der alten DDR-Zustände fröhliche Urständ feiert.
Ditfurths Stärke liegt darin, die innerparteilichen Debatten auf ihren harten, in der Regel verklausulierten Kern zurückzuführen und diese inhaltlich bestimmten Positionen ausführlich anzugreifen. Handelte es sich beim Stalinschen Terror lediglich um Exzesse und Fehler? Aber der Terror hatte nicht nur System, auf ihm beruhte das ganze System - läßt sich also nicht davon loslösen: "Die Vernichtung eines beträchtlichen Teils der eigenen Bevölkerung war keine bedauerliche Begleiterscheinung des sozialistischen Aufbaus, sondern seine Bedingung." Jede Diskussion über das Aufbewahrenswerte der ehemaligen Gesellschaftsordnung, die nicht zuallererst hierauf rekurriert, darauf beharrt Ditfurth mit Eloquenz, ist Apologie von Herrschaft und Unterdrückung, Apologie eines Okkupationssozialismus, und kann folglich als vermeintlich demokratischer Sozialismus kaum ernst genommen werden.
Ditfurth beharrt zu Recht darauf, daß die DDR samt und sonders undemokratisch gewesen ist. Es gab keinerlei demokratische Partizipation, keinerlei aktive Zustimmung der Bevölkerung in demokratischen Verfahrensweisen. "Ein demokratischer Sozialist fragt nicht danach, ob ein Politbüro sich an die von ihm selbst gesetzten Regularien hält. Sondern danach, ob es demokratisch zugeht." Eine interpretationsbedürftige Aussage (ich komme darauf zurück), aber als solche vollkommen korrekt.
Sicherlich war die DDR völkerrechtlich legitimiert, doch daraus folgt nicht notwendigerweise schon demokratische, moralische oder historische Legitimität. Doch was ist mit den antifaschistischen Grundlagen der Ex-DDR? Ditfurth legt die Finger in die Wunde, wenn er auf die Zeit des Hitler-Stalin-Paktes, die damit verbundene praktisch-politische Stillhaltepolitik der damaligen Kommunisten und ihre ideologische Verwirrung als Beispiel mangelnden Antifaschismus verweist. Auch die Entnazifizierung war ihm Ausfluß weniger von echtem Antifaschismus als vielmehr nacktes Herrschaftsinstrument, Mittel zur Schaffung einer sozialen Basis für die neue bürokratische Schicht: "Die Tragödie des kommunistischen Antifaschismus besteht darin, daß er am Ende dazu diente, eine Diktatur zu rechtfertigen." Solche Worte mögen weh tun, sind aber eine Wahrheit, die in linken Kreisen viel zu selten betont wird.
Fragt Ditfurth auf seiner Reise nach den Gründen dieser oftmals sehr subtilen Form von Legitimationsideologie, so läßt sich von den Betreffenden vernehmen: "Ich kann doch nicht umsonst gelebt haben". Doch er bleibt in seinem moralischen Rigorismus unerbittlich und spricht von selbstverschuldeter Blindheit: "Man gibt seinem Leben keinen Sinn, wenn man einer schlechten Sache gedient hat und sich darüber nicht bewußt werden will."
Grenzen der moralischen Kritik
Die Grenzen des Ditfurthschen Ansatzes werden allerdings deutlich, sobald wir fragen, welche Konsequenzen er aus seiner Analyse zieht. Für ihn wäre es ein Zeichen erneuerten demokratischen Sozialismus, solche Leute auszuschließen. Hier haben wir dann jenes argumentative Zentrum betreten, in dem eine verkürzte, materialistisch nicht gesättigte Moral in ihr notwendiges Gegenteil, in Repression umschlägt.
Moralische Kritik gibt es nicht unabhängig von politisch-theoretischen Grundlagen. Und eine moralische PDS-Kritik, wie sie Ditfurth präsentiert, ist nur glaubwürdig und konsistent, wenn sie von einem demokratisch-sozialistischen Standpunkt aus vorgetragen wird und sich nicht auf Moral allein begrenzt. Bei beidem muß Ditfurth passen.
Fangen wir mit dem letzteren an, mit der Moral. Eine politische Bewertung der Ostalgie, die über die rein moralische Kritik hinausgehen möchte, muß sich über deren gesellschaftliche Grundlage und Dynamik Rechenschaft ablegen. Ditfurth kennt sie, er führt sie am Anfang seines Buches an: Der Neostalinismus von KPF und schweigender Parteimehrheit war nicht ursprünglich, er hat sich erst langsam entwickelt, als Reaktion auf die gescheiterten Hoffnungen nach 1990, auf wirtschaftliche und soziale Zerrüttung und als Reaktion auf den vermeintlichen Anpassungs- und Integrationskurs der Parteiführung an und in den Westen, von dem sich viele im Osten an den Rand gedrängt fühlen.
Ditfurth kann jedoch mit dieser Erkenntnis nicht viel anfangen, wenn er gleichzeitig suggeriert, daß es sich bei dieser Entwicklung vor allem um geschickte Tarnung der Neostalinisten handele. Das Problem ist eben nicht nur der entlarvte Neostalinismus, es sind auch die gesellschaftlichen Verhältnisse, die ihn blühen lassen. Die Forderung, die Illusionen über einen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusion bedarf, hat einmal ein schlauer demokratischer Sozialist geschrieben. Das heißt eben auch, daß man solche Mentalitäten nicht durch Ausschluß oder gesellschaftliche Ächtung auflöst, sondern durch "Aufklärung und Aktion" (Rudi Dutschke), durch Freilegung jenes harten rationellen Kerns, der in solcher Ideologie sich versteckt, sowie durch dessen Aufhebung in einer wirklich demokratisch-sozialistischen Weltsicht.
Kommen wir also zum zweiten, dem demokratisch-sozialistischen Standpunkt. Ditfurth entwickelt ihn lediglich in Ablehnung der "restaurativen Kräfte". Denen sei, so sein Vorwurf, "der anzustrebende Sozialismus keine Fortentwicklung der Demokratie und ihrer Institutionen, sondern ein scharfer Bruch mit der bürgerlichen Gesellschaft". Statt dessen sieht er in den Konzepten der PDS-Modernisierer "Chancen für eine Renaissance der Linken in Deutschland. Sozialistische Politik im 21. Jahrhundert müßte zurückgreifen auf ihre Ideen der Demokratisierung, der Eigentumsvielfalt, der Zivilisierung und des ökologischen Umbaus." Vor allem heiße dies jedoch, daß man sich vom Klassenkampfdenken als solchem verabschiede, betont er des öfteren.
Deutlich wird hier, daß das ehemalige DKP-Mitglied Christian von Ditfurth über keinen eigenen Begriff von Sozialismus verfügt. Sozialismus ist ihm schlicht Demokratisierung bürgerlicher Gesellschaftsstruktur, die Modernisierer sind ihm "dort angekommen, wo Eduard Bernstein vor hundert Jahren schon war" - ohne daß ihn dies irgendwie stutzig machen würde. "Ich halte die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im neuen Deutschland für veränderungswürdig", schreibt er in entlarvender Unbestimmtheit und denkt offensichtlich nicht über den gesellschaftlichen Konsens von Kohl, Schröder und Fischer hinaus. Wo bleibt hier, muß gefragt werden, das Sozialistische im demokratischen Sozialismus? Und wo bleibt der Zorn gegen eine neoliberal verkommene Gesellschaftspolitik - noch immer notwendiges Minimum eines wie auch immer verstandenen demokratischen Sozialisten? Ein demokratischer Sozialist fragt eben nicht nur danach, ob es demokratisch zugeht, sondern auch, wohin es denn gehen soll.
Daß eine solche moralische Stalinismuskritik nicht genügt, um dem Gespenst des Neostalinismus mit Argumenten ernsthaft und konkret zu begegnen, das sei zumindest an einem zentralen Beispiel verdeutlicht - am Beispiel der von Ditfurth angeführten Kritik Sarah Wagenknechts an der Entspannungspolitik.
Wagenknecht sieht in der Chruschtschowschen Entspannungspolitik die "Einführung des Opportunismus in die Politik". Verursacht durch die wirtschaftlichen Kriegsfolgen und die dadurch ermöglichte erpresserische Drohung mit der Atombombe, sei es schließlich zur Selbstauslieferung der Sowjetunion durch Verräter, allen voran natürlich Gorbatschow, gekommen.
Was hat nun Ditfurth diesem gängigen neostalinistischen Klischee zu entgegnen? Erstens, daß Materialisten Geschichte bekanntlich nicht mit Fehlern von Subjekten erklären dürfen; zweitens, daß der Kommunismus eben einfach am Zusammenbrechen gewesen ist. Welch eine schillernde Widerlegung! Was fehlt, ist der Hinweis, daß die dem Chruschtschowschen und Gorbatschowschen Denken zugrundeliegende Theorie eben jene Theorie des Sozialismus in einem Lande und die daraus abgeleitete Politik friedlicher Koexistenz ist, die auf niemand geringeren zurückgeht als eben jenen Stalin, für den die Neostalinisten nicht müde werden, so viel Verständnis aufzubringen.
"Der Revisionismus ist seinem Ursprung nach stalinistischer", schrieb schon Isaac Deutscher vor vielen Jahrzehnten. Eine demokratisch-sozialistische Sichtweise, die Geschichte im Herrschaftsinteresse nicht umbiegen und verfälschen will, wird deswegen an der Frage nach den gesellschaftlichen Interessen, an der Frage nach den materialistischen Grundlagen bürokratischer Politik nicht vorbei können. Jede Stalinismuskritik, die nicht vor allem und zuerst auf das Problem der Bürokratie als herrschender Kaste eingeht, verliert sich im Subjektivismus vermeintlich individueller Fehler bzw. individuellen Verrats oder im fatalistischen Objektivismus der vermeintlich unreifen Verhältnisse. Solcherart verbleibt sie notwendig in hilfloser Moral stecken.
Dies ist beileibe keine Geschichtsfrage, denn zu einer Einschätzung des zeitgenössischen, Ditfurth so am Herzen liegenden Neostalinismus, vor allem unter dem Blickwinkel seiner Bekämpfung, gehört eben die Frage nach dessen aktuellen materiellen Grundlagen. So gesehen ist der Neostalinismus einer Sarah Wagenknecht und anderer vor allem ein mentales Problem, denn es gibt keine Institutionen organisierter Arbeiterbewegung, auf die er sich stützen kann. Mentalitäten können und müssen jedoch auf rein argumentativem Wege bekämpft werden, nicht auf administrativem.
Neostalinismus im Parteiapparat
Der teils mehr, teils weniger verkappte Neostalinismus ist eines der zentralen Probleme in der Linken. Und Ditfurth verdient Lob dafür, mit vielen der neostalinistischen Argumente tabula rasa zu spielen. Doch zum innerparteilichen Strukturproblem wird der Neostalinismus nicht dadurch, daß große Bevölkerungsteile einer Region aus "Ostalgie" Versatzstücke des Neostalinismus adaptieren. (Haben wir ihnen denn Besseres zu bieten? Ditfurth jedenfalls nicht!) Zum Problem wird er, wenn er sich mit einer institutionellen Strategie verbindet. Hier verlassen wir dann die Hinterzimmer und müssen den Blick auf diejenigen Teile der Partei richten, die in den staatlichen Institutionen vorwiegend des deutschen Ostens sitzen.
Ditfurth weiß und betont dankenswerterweise, daß die PDS keine Arbeiterpartei ist, keine Kommunistische Partei, und er gibt auch unumwunden zu, daß ihre Zusammenarbeit mit der SPD "unsere Gesellschaft nicht grundlegend ändern (würde)", er weiß sogar, daß die Reformer nicht um der Sache wegen in die Regierungsverantwortung treiben, sondern um "endlich aus dem Getto der SED-Vergangenheit herauszukommen. Nur so gibt es eine Chance, die Partei zu verändern, die Ostalgiker zurückzudrängen, die Genossen auf Ziele einzuschwören, die in der Zukunft liegen, statt mit dem Blick zurück zu leben." Doch er fragt nicht nach jener problematischen Verbindung von institutioneller Integration in die bürgerliche Gesellschaft mit traditionskommunistischer, neostalinistischer Mentalität, wie sie bspw. ein Dietmar Bartsch verkörpert, seines Zeichens Bundesgeschäftsführer der PDS und neuerdings auch medial entdeckter vierter Mann in der Führungsriege der Partei. Bartsch - ein Prototyp jener neuen im Osten Deutschlands verwurzelten Garde von Parteitechnokraten, die hinter dem oftmals durchaus ehrenwerten André Brie bereits Gewehr bei Fuß stehen - hat keine Probleme, die vollständige soziokulturelle Integration in die Institutionen des bürgerlichen Staates zu kombinieren mit heimlich gepflegter Sympathie für die chinesischen Marktstalinisten. Konsequent intrigiert er auf administrativem Wege gegen mißliebige westlinke PDS-Abgeordnete oder kanzelt seine Hamburger Basis via Fernsehen in geradezu parteischädigender Weise ab. Für Ditfurth dagegen ist Bartsch ein Gewährsmann der Reformer, auf dessen Worte er sich ungeprüft verläßt.
Wenn solche Leute Beteiligung an bürgerlicher Regierungspolitik anstreben, nur um ihre anders nicht in den Griff zu bekommenden Nostalgiker parteilich zu isolieren, dann sollte ein demokratischer Sozialist hellhörig werden. In seinem (individualpsychologisch erklärbaren) Haß auf Ostalgiker und Westlinke ("Ladenhüter" ist noch eine der harmloseren Entgleisungen) schließt Ditfurth die Augen vor solchen Konflikten innerhalb der PDS, die ja nicht nur etwas über den demokratischen und sozialistischen Charakter einer solchen Partei aussagen, sondern auch etwas über die strukturelle Dynamik derselben.
In Ditfurths Buch erfahren wir zwar manches über einzelne Teile der Partei und lesen viele gute Argumente gegen die Ostalgie. Aber eine Analyse der Partei als Ganzem, ihrer Konstitution, Programmatik und Dynamik, wie auch der Gesellschaft, innerhalb der sie agiert, suchen wir vergebens. Schade ist vor allem, daß es dadurch vielen erleichtert wird, sich um die Diskussion der richtigen Argumente herumzudrücken.
Christoph Jünke, analyse & kritik, Nr. 416/1998
Willi Schulz, Deutschland Archiv, Nr. 5/1998
Keine linke Alternative
Die Ebenen und Abgründe der PDS
Christian von Ditfurth hat sie bereist. Sein Buch ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern ein flüssig geschriebener Führer durch die SED-Nachfolgepartei. Der Autor, Jahrgang 1953, studierter Historiker, einst zehn Jahre lang DKP-Mitglied und Jahreslehrgangsteilnehmer 1977 an der DKP-Parteischule in Ost-Berlin, weiß, wovon er spricht. Er hat von 1989 bis 1997 in "Neufünfland", im alten DDR-Gebiet, Gespräche mit PDS-Spitzenfunktionären und Mitgliedern an der Basis geführt, an PDS-Veranstaltungen teilgenommen, Archive gesichtet und Parteidokumente analysiert und seinen lebendigen Schilderungen 28 Seiten mit Anmerkungen und Quellennachweisen sowie ein Personenverzeichnis beigefügt.
V. Ditfurth schreibt aus einer linken Position: Er hält die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland für veränderungswürdig, und von diesem Standpunkt die PDS zunächst für "Deutschlands interessanteste Partei", die sie aber nach seinen Erfahrungen schließlich selbst für linke Alternativsucher nicht ist: "Die Erneuerung der PDS hat nur in wenigen Köpfen begonnen und bis heute die Parteimehrheit nicht erreicht. Ihre Ansätze werden immer wieder zerrieben zwischen dem Beharrungsvermögen der Parteibasis und den Schulterschlußbemühungen der Führung, die es sich nicht gänzlich verderben will und kann mit der Mitgliedschaft."
Enttäuscht stellt er am Ende seines Buches fest:
"Auf dem geistigen Niveau der Kritik Rosa Luxemburgs" ("Zur Russischen Revolution") "sind die meisten PDS-Genossen nicht angekommen. Es ist auch zu bezweifeln, daß sie es jemals tun werden. Sie wollen es nicht. ( ... ) Für sie gilt nur die DDR, vorzugsweise der eigene biographische Ausschnitt. Sie haben gewiß einiges zu kritisieren an der DDR - vor allem, daß sie untergegangen ist. Aber sie halten doch tatsächlich die vierzig Jahre unter Walter Ulbricht und Erich Honecker für das Maß aller Dinge. In den Konzepten der Modernisierer dagegen steckten Chancen für eine Renaissance der Linken in Deutschland. Sozialistische Politik im 21. Jahrhundert müßte zurückgreifen auf ihre Ideen der Demokratisierung, der Eigentumsvielfalt, der Zivilisierung und des ökologischen Umbaus. Doch leider glauben Bisky, Gysi und Brie, sie könnten die Mitglieder und Möglichkeiten einer ostdeutschen Volkspartei mit unbewältigter SED-Vergangenheit nutzen, um moderne sozialistische Politik zu machen. In Wahrheit benutzt die Partei ihre Aushängeschilder längst, um zu übertünchen, daß im Inneren das Rad zurückgedreht wird."
Kann man die PDS so sehen? Man kann. Die Belege, nicht nur v. Ditfurths, sind zu vielfältig, als daß man sie negieren könnte. Zur Mitgliedschaft - über 67 Prozent sind heute über 60 Jahre alt - schrieb Hans Modrow, vormals Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden und kurzfristig erster DDR-Nachwende-Ministerpräsident, heute Ehrenvorsitzender der PDS, im Herbst vergangenen Jahres:
"Als wir uns entschlossen, zusammen mit all jenen SED-Mitgliedern, die nicht nur aus Karrieregründen jener Partei angehörten, die nicht vor dem politischen Druck der Diskriminierung und der antikommunistischen Hetze der Nachwendezeit zurückwichen, die PDS aufzubauen, ging es in erster Linie um all jene, die mehr oder weniger Opfer der Anschlußpolitik wurden und deren Interessenvertreter wir sein wollten" ("DispLit" 10/1997).
V. Ditfurth dazu: "Die PDS ist die Partei der einstigen Träger des SED-Systems, der Militärs, Ideologen, Wissenschaftler, Lehrer oder Künstler. ( ... ) Sie empfanden den fundamentalen Mangel an Demokratie nicht als Verlust. Sie haben die autoritären Strukturen der SED und des DDR-Staats als richtig empfunden."
Von einer PDS-Versammlung mit Gysi und Bisky im riesigen Kultursaal des Eisenhüttenkombinats Ost an der Oder 1991 berichtet er: "Kampfesstimmung gegen den 'Anschluß' und seine sozialen Folgen. Kein Sterbenswörtchen über die SED vom Podium, keines aus dem Kreis der vielleicht knapp tausend Anwesenden. Mir kam es vor, als wäre ich auf einer Kundgebung von Heimatvertriebenen gelandet." Die PDS als Auffangbecken - wie Anfang der fünfziger Jahre der BHE, der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten in Westdeutschland, mit ähnlichen Wahlergebnissen. Die PDS, so v. Ditfurth, werde das Schicksal der Heimatvertriebenenparteien teilen (sie verschwanden eines Tages wegen Mangel an Wählern von der politischen Bühne), wenn die PDS so bleibe, wie sie ist.
Ausführlich beschäftigt er sich mit der ständigen Relativierung oder gar Leugnung der stalinistischen Vergangenheit von SED und DDR. Differenziert verweist er nicht nur auf den stalinistischen Positivismus der Kommunistischen Plattform in der PDS, die er für weniger gefährlich hält, sondern vor allem auf die Verdrängungsmechanismen gerade auch unter Wissenschaftlern, wie in Uwe-Jens Heuers "Marxistischem Forum". Gäbe man zu, so v. Ditfurth, daß die DDR stalinistisch war, stellte man sie in die Linie eines Verbrecherregimes, dann aber könnte man den Vorwurf nicht mehr zurückweisen, daß die DDR ein Unrechtsstaat war. Und das würde zumindest ein schlechtes Licht auf jene werfen, die in der DDR Partei- und Staatsfunktionen innehatten oder aber auch akademische Titel erwarben. Den Genossen gehe es um die Rettung des "sozialistischen Versuchs" in der DDR, sie klammerten sich an eine Legende, weil sie die Wahrheit nicht ertragen würden: "Die Machtfrage stand über allem - das hatte auch der Genosse an der Basis begriffen. Nieder also mit dem Sozialdemokratismus! Stalin hatte in den Köpfen der Genossen gesiegt. Stalin regierte ihre Ideale. Der 'sozialistische Versuch' ist auch in dieser Hinsicht eine Schimäre."
Der Autor verweist darauf, daß das heute noch gültige PDS-Programm von 1993 schon geprägt gewesen ist vom Lavieren der Führung zwischen den innerparteilichen Lagern und den Eindruck erwecke, Stalinismus habe es nur in der Sowjetunion gegeben. Das im Januar 1997 verabschiedete Parteistatut kenne schließlich den Begriff "Stalinismus" nicht mehr, und auch keinen "antistalinistischen Gründungskonsens". "Aber noch und auf absehbare Zeit" habe die PDS eine Führung, die sich mehrheitlich diesem Konsens des Gründungsparteitages verpflichtet fühle. Doch habe sie inzwischen die Definitionshoheit für Schlüsselbegriffe verloren; in dieser Hinsicht sei das PDS-Projekt bereits heute gescheitert.
Ich entsinne mich einer Äußerung Biskys über seine Besuche örtlicher Parteiversammlungen, daß er es satt habe, sich jedesmal dafür zu entschuldigen, daß die PDS keine kommunistische Partei sei. Eine kommunistische Partei ist die PDS sicher nicht, wie v. Ditfurth im Vergleich mit den alten kommunistischen Parteien nachweist. Ihr Problem sind die noch vorhandenen alten Denkschablonen ihrer Mitglieder (vgl. DA 2/1996, S. 257 ff.). Zu Recht erinnert v. Ditfurth an die persönlichen Schmähungen, die die Rede des PDS-Bundestagsabgeordneten Dietmar Keller 1993 vor der Bonner Enquetekommission über die SED-Diktatur in der PDS auslöste (vgl. DA 1/94, S. 94 ff).
Über die PDS im Westen - Ende 1997 2527 Mitglieder (im Osten 96000) - zeichnet v. Ditfurth mit dem Erfahrungsschatz und den Kontakten seiner DKP-Aktivitäten ein sicher zutreffendes Bild. Sie sei überwiegend ein Konglomerat aus Sekten, aus Verlierern, die sich jahrelang "ewige Wahrheiten um die Ohren gehauen" hätten. Der Versuch der PDS, die West-Linken zusammenzuführen, habe viele kleine Sekten zu einer etwas größeren vereinigt. Die Streitereien jedoch gingen weiter, so zwischen einstigen DKP-Mitgliedern und rund 300 Ex-Maoisten vom Bund Westdeutscher Kommunisten, die als eigene Arbeitsgemeinschaft auftreten, sowie ehemaligen Trotzkisten und Erz-Stalinisten der KPD/ML. Erneuerungsschübe aus dem Westen seien ausgeblieben. Nicht nur die Lage, auch die Perspektiven der PDS im Westen seien trübe. V. Ditfurths Resümee: "Betrachtet man die Mitgliedschaft, dann ist die PDS im Osten nicht entstalinisiert und im Westen eine Sekte."
Auch der Versuch, der PDS ein neues Programm und eine klare Strategie zu geben, ist nach Ansicht v. Ditfurths gescheitert. Auf dem Schweriner Parteitag 1997 habe man vor allem altbekannte Formeln gehört, die vielfältige Interpretationsmöglichkeiten offenlassen: "den Klassenkampf genauso wie einen Gesellschaftsvertrag, die Vergesellschaftung" (im PDS-Statut steht: "die die Ausbeutung des Menschen abschafft", nach Marx die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln) "genauso wie die soziale Marktwirtschaft". Es hapert an Glaubwürdigkeit, meint v. Ditfurth: "Das liegt allein schon daran, daß nur eine verschwindende Minderheit, vor allem in Berlin, über Programm und Strategie debattiert, höchstens ein paar hundert Genossen. Dem Rest der Partei ist dieser Streit eher zuwider. In den meisten stecken noch die Appelle der SED nach 'Einheit und Geschlossenheit'. ( ... ) Für sie ist allein wichtig, daß immer mal wieder vom Sozialismus die Rede ist."
Von v. Ditfurths Analyse hatte sich die PDS-Führung offenbar mehr versprochen. Die Enttäuschung war in den ersten Reaktionen offensichtlich: "Zweifel am Demokratiewillen. Mit einem Buch über die PDS setzte sich Christian von Ditfurth zwischen alle Stühle", überschrieb das "Neue Deutschland" (23. März 1998) den Bericht über eine Podiumsdiskussion in der Volksbühne. Einige allzu saloppe Formulierungen in seinem Buch, so seine Schlußsätze: "Die Reformer laufen über einen Sumpf. So etwas ist noch nie gutgegangen", sind dabei bequeme, weil ablenkende Angriffspunkte. So empfand PDS-Vorstandsmitglied Michael Schumann diese Formulierungen als "höchst suspekt" und aus dem "stalinistischen Umfeld" kommend.
André Brie, theoretischer Kopf der PDS-Reformer und Wahlkampfleiter, widmete v. Ditfurths Buch im "Neuen Deutschland" (16./17. Mai 1998) fast eine ganze Seite, betitelt "Symptome erkannt, Diagnose verfehlt". Brie bekennt, daß das Buch sich gut und schnell lese, daß es geradezu fesseln könne, daß er gar "viele der Symptome für Hemmnisse und Schwierigkeiten in der Entwicklung der PDS, die er [v. Ditfurth] erkannt hat, nicht anders sehe". Doch widerspreche er ihm, wenn dieser die "meisten PDS-Genossen" für "unbelehrbar" halte. Brie sieht die Möglichkeiten erheblich beeinträchtigt, "dieses Buch für den notwendigen Disput in der PDS heranzuziehen".
Er selbst ist offenbar auch dem Delegitimierungssyndrom erlegen, das anscheinend eine Kinkel-Äußerung in der PDS hervorgerufen hat, denn er reagiert äußerst empfindlich auf eine Anmerkung von v. Ditfurth zu seiner These, nach der "die konsequente und praktische Kritik des stalinistischen und poststalinistischen Sozialismus nicht die historische Legitimität der Oktoberrevolution oder des Versuchs, ein anderes, ein antifaschistisches Deutschland zu errichten, in Frage (stelle)". Das sei, so v. Ditfurth, der "ideologische Kitt", der die widerstreitenden PDS-Flügel zusammenhalte. Wegen dieses "fundamentalen Glaubenskonstrukts" werde die PDS kaum eine gesamtdeutsche sozialistische Partei werden.
In seiner ND-Replik wirft Brie ihm vor, er nehme nicht Stellung "zu der entscheidenden Frage, ob die Legitimität eines historischen Aufbruchsversuchs generell und post festum bestritten werden muß, wenn der Versuch gescheitert ist". Muß er auch nicht. Geschichtliche Aufbrüche haben ihre Ursachen, sie geschehen wie die Russische Oktoberrevolution oder der Faschismus oder eben der Versuch, "ein anderes, antifaschistisches Deutschland" zu errichten. Legitimierungen sind, historisch gesehen, nachträgliche Rechtfertigungen, oder gar Berufung auf höhere Weihen der jeweiligen Machthaber: Mit der Legitimation "von Gottes Gnaden" rechtfertigten Kaiser, Könige und Zaren ihre absoluten Herrschaftsansprüche, Hitler berief sich auf die "Vorsehung", und die SED rechtfertigte ihre "Diktatur des Proletariats", ihre "führende Rolle" als Partei der Arbeiterklasse damit, "von der Geschichte berufen" worden zu sein.
Der Versuch, ein anderes, ein antifaschistisches Deutschland zu errichten, war nach all dem, was von Deutschen in Europa angerichtet worden war, zwingend notwendig, das ist unbestreitbar. Doch was im sowjetischen Besatzungsgebiet von deutschen Kommunisten und der Besatzungsmacht als DDR geschaffen wurde, war antifaschistisch/sozialistisch auf stalinistische Art, war antidemokratisch, antisozialdemokratisch und auch noch antizionistisch mit antisemitischen Tendenzen (vgl. auch DA 4/1994 S. 408 ff.) - ein beklemmender Antifaschismus. V. Ditfurth benennt "auffällige Gemeinsamkeiten zwischen beiden deutschen Diktaturen: Einparteienherrschaft, Überwachungsstaat, Unterdrückung Andersdenkender und Verweigerung demokratischer Grundrechte, ideologische Durchdringung der gesamten Gesellschaft, Militarisierung des Alltagslebens. ( ... ) Ein entscheidendes Kennzeichen war die Abwesenheit von Demokratie."
Die Realitäten verschleiernd (v. Ditfurth: "wenig glücklich") scheint auch nur Bries Unterscheidung zwischen "stalinistischem" und "poststalinistischem Sozialismus" zu sein: letzteren hat es in Europa gar nicht gegeben. V. Ditfurth: "Das Ausschlaggebende am Stalinismus ist nicht Stalin, sondern das System, das er schuf. ( . ) Sein Tod hat am System nichts geändert (wohl aber die Exzesse beendet)."
Sicher kann man über v. Ditfurths Ansichten, historischen Rückblicke und Schlußfolgerungen diskutieren – erfreulich ist, daß er keine "ewigen Wahrheiten" verkündet, daß er auch zweifelt –, aber dazu muß man ihn erst gelesen haben, was nicht nur allen PDS-Mitgliedern empfohlen sei.
Willi Schulz, Deutschland Archiv, Nr. 5/1998
Zeitschrift für Politikwissenschaft, Nr. 2/1998
Ditfurths "Reise durch die PDS" basiert auf intensiven Recherchen, die der Autor seit 1989 durchgeführt hat. Er besuchte eine Vielzahl von Parteiveranstaltungen und führte zahlreiche Gespräche mit Funktionären der PDS bis zum Schweriner Parteitag im Januar 1997. Ditfurth setzt sich zunächst intensiv mit der Ideologie der PDS, insbesondere ihren extremen Strömungen, der kommunistischen Plattform und dem marxistischen Forum auseinander. Der Autor führt die PDS als eine in Ost und West gespaltene Partei vor. Die tiefe Kluft manifestiere sich insbesondere in der Frage des Umgangs mit der DDR-Vergangenheit. Die Aufarbeitung der Geschichte ist laut Ditfurth gescheitert. Weiteres Thema seiner Gespräche waren die Perspektiven einer politischen Zusammenarbeit mit der SPD in den ostdeutschen Bundesländern. Die kommunalpolitische Ebene bleibt dabei allerdings weitgehend außen vor, auch wenn hier zahlreiche parteiübergreifende Kooperationen auch mit der CDU zu beobachten sind. Das Fazit Ditfurths fällt vernichtend aus: "Betrachtet man die Mitgliedschaft, dann ist die PDS im Osten nicht entstalinisiert und im Westen eine Sekte. Auf diesem Fundament stehen die Genossen Bisky, Gysi und Brie und führen dem staunenden Publikum den demokratischen Sozialismus vor." (272) In das Buch eingestreute Dokumente von Rosa Luxemburg über das Versprechen der Thälmann-Pioniere von 1971 bis hin zu Szenen aus dem Deutschen Bundestag verdeutlichen die Aussagen Ditfurths.
Zeitschrift für Politikwissenschaft, Nr. 2/1998
Katharina Schuler, Badische Zeitung, 29. 10. 1998
Die PDS - Partei der "ostalgischen" Heimatvertriebenen?
Christian von Ditfurths Reise durch die "Partei des Demokratischen Sozialismus": Zwischen linker Alternative und altem Stalinismus
Die PDS ist mit 100.000 Mitgliedern die größte Partei in Ostdeutschland. Im Westen ist offenbar über die Realität dieser Partei wenig bekannt - und man wundert sich über ihren Erfolg bei den Bundestags-wahlen. Während die Konservativen sich bisher abweisend und mitunter diffamierend verhalten, ist bei manchen Linken eine zuweilen leichtfertige Bereitschaft anzutreffen, der Partei ihre Herkunft aus der SED zu verzeihen und sie als Neugründung zu akzeptieren. Deshalb lohnt es, sich mit dem Historiker Christian Ditfurth auf eine "Reise durch die PDS" zu begeben.
Besonders interessiert hat den Autor, wie die Partei mit der eigenen Vergangenheit umgeht und wie sich ihr Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie entwickelt hat. Hatte es unter dem Schock des Zusammenbruchs 1989 einen antistalinistischen Konsens gegeben, so gerät dieser mehr und mehr unter innerparteilichen Druck. In den Medien besonders präsent ist die Gruppierung "Kommunistische Plattform" (KPF). Im Unterschied zum "Marxistischen Forum" (ebenfalls ein parteiinterner Zusammenschluß) geht es der KPF nicht darum, die DDR vor dem Vorwurf, sie sei stalinistisch gewesen, zu schützen, sie hat am Stalinismus vielmehr gar nichts auszusetzen. In diesen Kreisen heißt die Berliner Mauer immer noch "antifaschistischer Schutzwall".
Da die KPF im Verhältnis zur Gesamtpartei nur wenige Mitglieder hat, bräuchte man sie nicht weiter zu beachten, wenn sie nicht, so Ditfurth, in vielem das träfe, was auch viele andere Parteimitglieder denken.
Der Parteivorstand dagegen, den Ditfurth den reformorientierten Kräften zuordnet, ist noch am ehesten zu grundsätzlicher Kritik am DDR-Sozialismus bereit. Er bekennt sich zu – in der DDR verfemten – revisionistischen Positionen, d.h. der stetigen Weiterentwicklung der Institutionen der bürgerlichen Demokratie mit dem Ziel einer umfassenden Demokratisierung des wirtschaftlichen und politischen Lebens. Doch der Abstand der Führung zur Basis, die in der PDS nicht zuletzt ein Stück Heimat sieht, ist groß. Indem viele altgediente GenossInnen die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte verweigern, versuchen sie, ihre Biographie, ihren Lebenssinn zu retten. "Ich kann doch nicht umsonst gelebt haben", hat Ditfurth immer wieder zu hören bekommen.
Sein Buch ist nicht nur eine Bestandsaufnahme der Befindlichkeiten und Strömungen in der PDS, es handelt sich vielmehr um eine kritische Auseinandersetzung mit den in der Partei gängigen Argumenten und Denkmustern. Dabei schießt er, selbst ehemaliges DKP-Mitged, also "Konvertit", manchmal etwas über das Ziel hinaus. So ist es einer differenzierten Diskussion kaum zuträglich, wenn er als Antwort auf die Stalinismus-Leugner nun die gesamte Geschichte der DDR ohne Unterschied unter das Stalinismus-Verdikt stellt.
Gern hätte man auch etwas genauer gewußt, welche Positionen die PDS zu aktuellen Fragen bezieht oder welche konkrete Politik sie auf lokaler Ebene macht (wo ja auch die CDU mit ihr zusammenarbeitet). Ditfurths Urteil fällt nicht optimistisch aus: Wenn die PDS es nicht schafft, in der Bundesrepublik anzukommen, wenn Demokratie nicht auch an der Basis zu einem anerkannten Grundwert wird, wird sie den Platz links von SPD und Bündnis-Grünen nicht ausfüllen können. Ihre Rolle als Ostalgie- und Protestpartei kann sie zwar noch eine Weile spielen, wenn auch stets durch Überalterung bedroht (67% der Mitglieder sind älter als 60 Jahre). Um ein spezifisch "linkes" Politikkonzept handelt es sich dabei aber nicht.
Katharina Schuler, Badische Zeitung, 29. 10. 1998
Presseblick, Schwerpunkte der energiewirtschaftlichen und energiepolitischen Berichterstattung, Jahresband 1998
Für Sie gelesen
Die "Partei des demokratischen Sozialismus" (PDS) überwand bei der letzten Bundestagswahl erstmals die Fünf-Prozent-Hürde und ist nunmehr als Fraktion mit 36 Sitzen erneut im Parlament vertreten. In Mecklenburg-Vorpommern hat sie soeben eine Koalition mit der SPD vereinbart und wird zum ersten Mal an einer Landesregierung beteiligt. In Sachsen-Anhalt regierte schon seit längerem ein rot-grünes Bündnis mit Tolerierung durch die PDS. Die Nachfolgepartei der SED ist nicht nur in den neuen Bundesländern ein wichtiger politischer Faktor, sondern kann aufgrund ihrer starken Bastionen im Osten auch auf Bundesebene eine gewisse Rolle spielen. - Wird es so bleiben? Wird die PDS ihren Einfluß sogar noch vergrößern können? Könnte es ihr gelingen, auch in den alten Bundesländern Fuß zu fassen?
Christian von Ditfurth geht nicht ganz unbefangen an diese Fragen heran. Wie seine Schwester Jutta versteht sich der Sohn des Wissenschaftspublizisten Hoimar von Ditfurth als Linker. Im Unterschied zu seiner Schwester, die in den achtziger Jahren eine der bekanntesten Politikerinnen der Grünen war, trat er jedoch 1973 der DKP bei, die als westdeutsche "Bruderpartei" von der SED finanziert und dirigiert wurde. In den zehn Jahren seiner Zugehörigkeit war er nicht nur einfaches Mitglied, sondern zählte zum "Kader", wie man im Parteijargon die niederen bis hohen Weihen der Funktionärs-Priesterschaft nannte. Zum Beispiel absolvierte er einen einjährigen Lehrgang an der DKP-Parteischule in Ostberlin, als er wegen seiner politischen Aktivitäten für eineinhalb Jahre von der Universität Heidelberg relegiert wurde. Noch höhere Weihen hatte die Partei nur durch eine Ausbildung in Moskau zu vergeben. Aber dazu kam es nicht mehr: Wie so mancher andere versprengte Linke aus der Achtundsechziger-Bewegung erkannte auch Christian von Ditfurth eines Tages, "daß linke Politik und SED-Hörigkeit sich ausschlossen".
Trotz der engen politisch-ideologischen Verflechtung zwischen den beiden kommunistischen Parteien war es ein riesiger Unterschied, ob man im Westen der DKP oder im Osten der SED beitrat: Im Westen verdankte die DKP ihre zeitweilige Attraktivität, der sogar ein heute eher konservativer Geist wie Martin Walser erlag, dem Zerfall der antiautoritären Studentenbewegung. Die meisten dieser enttäuschten Idealisten, die ihr Heil in einer neuen Orthodoxie suchten, hatten davon nur empfindliche Nachteile, bis hin zum "Berufsverbot" im öffentlichen Dienst. Ganz anders im Osten: Hier war der Bonbon im Knopfloch, wie man das Parteiabzeichen der SED nannte, die Vorbedingung des beruflichen Aufstiegs und der Zugehörigkeit zur politischen Elite. Die SED war die bevorzugte Partei von Karrieristen und Anpassern. Einem westdeutschen Genossen wie Ditfurth, der sich seine Denkfähigkeit bewahrt hatte, mußte in dieser Umgebung schnell klar werden, daß er mit seiner Achtundsechziger-Mentalität vom Regen in die Traufe geraten war und daß er im real existierenden Sozialismus für jede Art von Ketzerei noch weit gnadenloser verfolgt würde als dies zu Hause durch die vergleichsweise harmlose Inquisition des Radikalenerlasses geschah.
Nun legt die PDS ja großen Wert darauf, nicht die geradlinige Fortsetzung der SED zu sein, sondern eine geläuterte, von den stalinistischen Eierschalen befreite Nachfolgepartei. Sie bekennt sich sogar zum "demokratischen Sozialismus", was für die SED ein ideologischer Kampfbegriff des Klassenfeinds war, um den "real existierenden Sozialismus" zu diffamieren. Aber wie weit geht diese Wandlung wirklich? Wieweit sind solche Galionsfiguren wie Gregor Gysi, Lothar Bisky oder Andre Brie typisch für die Masse der Mitglieder? Wie sicher sind die Vorstandsstühle, auf denen sie sitzen? Welche Rolle spielt die "Kommunistische Plattform" mit Sahra Wagenknecht und den anderen Unbelehrbaren? Wie groß ist das intellektuelle Potential der Partei, um ihren Fortbestand im Osten zu sichern und sich neue Wählerkreise im Westen zu erschließen?
Ditfurths Blick auf die PDS ist zur Beantwortung solcher Fragen besonders aufschlußreich, da er aus eigener Anschauung vergleichen kann: Zum einen kennt er die Ideologie und Praxis der stalinistischen Vorläuferpartei aus der intimen Sicht des Renegaten. Zum anderen hat er sich die Mühe gemacht, der heutigen PDS politisch-ideologisch auf den Zahn zu fühlen, indem er zahlreiche interne Veranstaltungen der Partei besuchte, Gespräche mit Funktionären führte und sonstige Quellen erschloß. So entstand bei aller subjektiven Involviertheit doch ein recht überzeugendes Bild vom gegenwärtigen Zustand und den Perspektiven dieser eigenartigen Partei, die mit ihrer ausgeprägten regionalen Verwurzelung an die CSU erinnert, von der Programmatik her aber eher mit Grünen und SPD konkurriert.
PDS als "sozialtherapeutische Selbsthilfegruppe"
Ditfurth bescheinigt der PDS, daß sie in ihrer Gesamtheit weder zurück zur alten DDR möchte noch die alten stalinistischen Methoden des politischen Spiels betreibt. Im Gegensatz zur SED sei die PDS im Osten Deutschlands durch freie Wahlen demokratisch legitimiert und habe sogar den Charakter einer Volkspartei. Ihren führenden Vertretern wie Gysi und Bisky könne das Bekenntnis zum "demokratischen Sozialismus" durchaus abgenommen werden. Freilich dürfe man sich durch die clevere Führungsmannschaft, die geschickte Öffentlichkeitsarbeit oder die klugen, witzigen Wahlkämpfe nicht über die graue Realität an der Basis der Partei hinwegtäuschen lassen, wo die "Traditionalisten" noch immer den geistigen Strukturen von gestern verhaftet seien. Gewiß wollten auch diese Traditionalisten kaum zurück zu Verhältnissen, wie sie unter Honecker oder Ulbricht herrschten. Aber sie seien einfach unfähig zur geistig-emotionalen Aufarbeitung dessen, was ihnen erst durch das repressive System der DDR und dann durch den freien Fall in die westliche Gesellschaft zugefügt wurde. Man merke dies beispielsweise an der Häme, die dem ehemaligen Politbüromitglied Günter Schabowski entgegenschlug, als dieser tatsächlich schonungslos mit sich und seiner Partei ins Gericht ging.
Nach Ditfurths Beobachtungen ist die PDS für viele Genossen "eine Art therapeutische Selbsthilfegruppe. in der die Verlierer von 1989 sich gegenseitig darin bestärken, nur das Beste gewollt zu haben". Sie erinnert ihn insofern an die Heimatvertriebenenparteien, die in den Anfangsjahren der Bundesrepublik eine gewisse Bedeutung als Mehrheitsbeschaffer hatten, bevor sie sich in anderen Parteien auflösten. Und sie werde deren Schicksal teilen, wenn sie so bleibe, wie sie ist, prophezeit er.
Allerdings gebe es auch sehr handfeste, materielle Interessen, die der PDS vorläufig eine treue Wählerschaft sicherten. Ditfurth nennt hier vor allem die Rentenkürzung, die ursprünglich etwa 100.000 frühere Funktionsträger des Regimes betraf, seit Anfang 1997 aber nur noch für hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter gilt. Dieses "Rentenstrafrecht", wie es die PDS-Anhänger bezeichnen, sei in der Tat ein Skandal und werde selbst in seiner Beschränkung auf Stasi-Angehörige vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben können. Außerdem seien diese Rentenkürzungen völlig unverhältnismäßig, wenn man an die ungeschmälerten Renten denke, die sogar Schergen des Nazi-Regimes gewährt wurden.
Die PDS profitiere so zum guten Teil von der Arroganz und Blindheit westlicher Politiker, die nicht fähig oder bereit seien, die andersgeartete Entwicklung in der ehemaligen DDR zu begreifen und die daraus resultierenden Biographien zu respektieren. Typisch seien die undifferenzierte Stasi-Debatte oder der Versuch, in der PDS nichts weiter als die Fortsetzung der SED zu sehen. Die großen Vereinfacher hätten es auf diese Weise sogar geschafft, ehemalige Stasi-Leute ins Recht zu setzen, in der Bevölkerung den Eindruck von Sieger-Willkür zu erwecken und der PDS zu einer Legitimation zu verhelfen, von der die frühere SED nur träumen konnte.
Parteiführung strebt Regierungsbeteiligung an
Dennoch werde dies alles kaum ausreichen, um der PDS eine dauerhafte Existenz zu sichern. Die Partei vergreise. Um junge Wähler zu gewinnen, müsse sie mehr als "Ostalgie" oder ein paar Punk-Frisuren auf ihren Wahlplakaten bieten. Die erhofften Erneuerungsschübe aus dem Westen seien ausgeblieben. Statt dessen schlage sich die Parteiführung in den alten Bundesländern mit einem "dubiosen Konglomerat von Sekten" herum, die mindestens ebenso verbiestert seien wie die Alt- und Jungstalinisten von der Kommunistischen Plattform.
Die Mannschaft um Gysi sei letzten Endes nicht typisch für die Masse der Mitglieder und Anhänger. Sie benötige die Zusammenarbeit mit der SPD und die Beteiligung an Regierungen, um sich gegen die Altlasten und Widerstände in den eigenen Reihen weiterhin behaupten und die Partei in das politische System der Bundesrepublik integrieren zu können.
Die jetzige Koalition mit der SPD in Mecklenburg-Vorpommern darf demnach auch als Erfolg der Parteiführung gewertet werden, denn die "Traditionalisten" und "Ostalgiker", wie Ditfurth sie nennt, wollten lieber in der Opposition bleiben und schienen zwischendurch sogar Oberwasser zu bekommen. Die Schweriner Koalition markiert jedenfalls einen wichtigen Wendepunkt: Der Versuch, die PDS als Schmuddelkind in die parlamentarische Ecke zu stellen, kann als gescheitert gelten. Die feine Art war es sowieso nicht, wie etwa die Unionsabgeordneten bei der Eröffnung des vorherigen Bundestags dem Alterspräsidenten Stefan Heym ihre Mißachtung demonstrierten, nur weil Heym auf der Liste der PDS kandidiert hatte. Und klug war es auch nicht, weil gerade Heym die bessere Seite der ehemaligen DDR repräsentierte und eine durchaus beachtliche Rede hielt.
Sobald aber die PDS politische Mitverantwortung trägt, kann sie sich billigen Populismus, mit dem sie bisher in der Opposition oft auf Stimmenfang geht, nicht mehr leisten. Sie wird mehr als bisher klarstellen müssen, wie sie wirtschaftliche oder soziale Fragen lösen will oder wie sie es mit essentiellen liberalen Grundsätzen wie der Gewaltenteilung hält. Letztendlich würde sie damit zu einer sozialdemokratischen Partei. Als "linkes Gewissen" der SPD könnte sie vielleicht sogar im Westen Fuß fassen und auch bei den Grünen erben, die bereits deutliche Symptome einer Identitätskrise zeigen, während sie politisch auf dem Höhepunkt ihrer Macht angelangt sind.
Vielleicht teilt die PDS aber auch das Schicksal der ehemaligen Heimatvertriebenenparteien, mit denen Ditfurth sie so treffend vergleicht. Schon jetzt wird das Wegsterben der Älteren nicht durch Neuzugänge bei den Jüngeren wettgemacht. Im Westen ist noch kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Und die anderen Parteien bleiben sicher nicht untätig. Nachdem die CDU ihre Rote-Socken-Kampagne abgeblasen hat und eher versöhnliche Töne gegenüber ehemaligen SED-Mitgliedern anschlägt, könnte es sogar sein, daß der PDS auch von dieser Seite die Klientel abspenstig gemacht wird.
Presseblick, Schwerpunkte der energiewirtschaftlichen und energiepolitischen Berichterstattung, Jahresband 1998
Nordseezeitung, 26. Februar 1999
Keine Partei - ein Lebensgefühl
Christian von Ditfurth fällt ein harsches Urteil über die PDS
Ob in Rostock oder Dresden, Görlitz oder Gotha, der weißhaarige, ältere Herr mit Brille ist auf jeder PDS-Veranstaltung dabei. Geduldig hört er den Parteikritikern zu, notiert das eine oder andere – um dann am Ende zu einem großen Rundumschlag über die Missetaten des Imperialismus auszuholen. Damit ist in seinen Augen dann auch die staatssozialistische Diktatur in der DDR gerechtfertigt. Und – was für ihn und viele andere ehemalige Diener des real existierenden Sozialismus heute viel wichtiger ist – sein Leben hat einen Sinn gehabt.
Auf subtile Art ist Christian von Ditfurth in seinem brillant geschriebenen Buch dem Wesen der SED-Nachfolgepartei und ihrer Anhänger auf den Grund gegangen. Seit 1990 hat er an Sitzungen von Parteigremien teilgenommen, mit Mitgliedern und Funktionären gesprochen und unzählige Quellen ausgewertet. Sein Fazit: Die PDS ist eigentlich gar keine Partei, sie ist eher ein Lebensgefühl. In ihr sammeln sich die "Heimatvertriebenen" der DDR, diejenigen, deren Biographie durch die Wende Schiffbruch erlitten hat und die sich jetzt in der Wärmstube der SED-Nachfolgepartei ihre Streicheleinheiten abholen. Und die medienwirksamen Genossen Lothar Bisky, André Brie und Gregor Gysi sind nur ein reformerisches Feigenblatt, das sich die ostdeutsche Regionalpartei leistet. Ein harsches Urteil des Historikers, der immerhin über zehn Jahre lang Mitglied der DKP, der westdeutschen Schwester-Partei der SED, war. Doch gerade diese Nähe zum Untersuchungsgegenstand schärft seinen Blick für die Defizite der Partei. Für von Ditfurth ist es klar, daß die PDS erst vollständig mit der SED-Diktatur brechen muß, bevor sie eine wirkliche politische Alternative darstellen kann. Doch dazu ist sie weder bereit noch in der Lage, da das Selbstverständnis vieler Mitglieder auf einer ostalgischen Schwärmerei für den untergegangen Ost-Staat beruht. Die jüngsten Ereignisse wie die PDS-Forderung nach einer Amnestie für DDR-Funktionäre oder der Honorarvertrag der PDS-Bundestagsfraktion für den ehemaligen Topspion Rainer Rupp bestätigen von Ditfurths Analyse nur.
Nordseezeitung, 26. Februar 1999
Kölner Stadtanzeiger, 9. März 1999
Warnung vor dem "Druck von links"
Kanzler-Äußerung zur PDS irritiert Ost-SPD-Abgeordnete
Im Kreis der 65 SPD-Bundestagsabgeordneten aus den neuen Ländern gibt es Verwirrung und Verdruß über die jüngste Äußerung von Kanzler Gerhard Schröder zur PDS. Schröder sagte, "daß man im Bundesrat nicht mit Parteien zusammenarbeitet, sondern mit Ländern". Damit spielte der Regierungschef die Bedeutung von SPD/ PDS-Koalitionen für das Abstimmungsverhalten in der Länderkammer auf eine Weise herunter, die viele Sozialdemokraten nicht mehr nachvollziehen können.
Das Schröder-Zitat wird als Freibrief für die thüringischen Sozialdemokraten verstanden, gegebenenfalls nach der Landtagswahl vom 12. September mit der SED-Nachfolgepartei eine Koalition einzugehen. In diesem Sinn hatte sich vor einer Woche bereits SPD-Chef Oskar Lafontaine geäußert. Käme es so, hätte Rot-Grün im Bundesrat die Scharte der Hessen-Wahl ausgewetzt und würde 37 von 69 Stimmen in der Länderkammer mobilisieren können - immer vorausgesetzt allerdings, PDS-Landesminister würden dieses Spiel mitspielen.
Viele aus der Ost-SPD befürchten dagegen Erpressungsmanöver durch die PDS. Theoretisch kann bereits jetzt die PDS in Mecklenburg-Vorpommern - aufgrund der ersten rot-roten Koalition - im Bundesrat eine Stimmenthaltung erzwingen. Von dieser Möglichkeit, absolute Mehrheiten im Bundesrat zu vereiteln und damit wichtige Gesetze zumindest auf die lange Bank zu schieben, hat die PDS in Schwerin allerdings bislang nicht Gebrauch gemacht. Die Neigung, "Druck von links" auf die SPD auszuüben, würde aber vermutlich wachsen, wenn es eine zweite SPD/PDS-Koalition gäbe.
Nach Ansicht des Bonner SPD-Fraktionsgeschäftsführers Uwe Küster (Magdeburg) haben viele westdeutsche Sozialdemokraten ein "Wahrnehmungsdefizit" gegenüber der PDS. Sie beschmunzeln Gregor Gysis flotte Sprüche. Sie stoßen sich kaum an der Biederkeit des Parteichefs Bisky. Aufgrund solcher Eindrücke glauben sie, die PDS genügend zu kennen.
Wie rückwärtsgewandt die PDS tatsächlich ist, argumentiert Küster, erschließt sich aber erst durch ständiges Beobachten ihrer Basis. "Würden Lafontaine und Schröder in einer PDS-Mitgliederversammlung einmal Mäuschen spielen, würde ihnen ein Licht aufgehen, wie sehr immer noch DDR-Altkader die Richtung bestimmen", heißt es vorwurfsvoll im - antikommunistischen - SPD-Arbeitskreis "Neue Mitte".
Vielleicht würde ja auch schon die Lektüre des Buches von Christian Ditfurth "Ostalgie oder linke Alternative" weiterhelfen. Ditfurth hat Hunderte PDS-Versammlungen besucht und zieht das Fazit: Wenn es um das PDS-Selbstverständnis geht, dann erhebt sich im Saal ein Dogmatiker - vom Typ "weißhaariger Herr mit Brille" - und verklärt die DDR nach dem Motto: "Ich kann doch nicht umsonst gelebt haben."
Ditfurth diagnostiziert eine "kollektive Schuldabwehr", wie sie auch aus Stammtisch-Diskussionen über die NS-Zeit bekannt sei: Von besonders fragwürdigen SED-Handlungen habe man "nichts gewußt", es sei "nicht alles schlecht gewesen", die "anderen" hätten auch schwere Versäumnisse aufzuweisen, früher habe es weniger Verbrechen gegeben und schließlich müsse "endlich einmal Schluß sein" mit der Debatte über die Vergangenheit.
Jede Aufwertung der PDS, sagen Anhänger der "Neuen Mitte", schadet der SPD sowohl im Osten als auch im Westen. Massiv gefährdet seien dann auch die SPD-Direktmandate in den neuen Ländern. Immerhin haben 60 der 65 SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Osten ein Direktmandat errungen - häufig nur wegen ihrer Distanzierung von der PDS.
Kölner Stadtanzeiger, 9. März 1999
Conrad Lay, Frankfurter Rundschau, 20. Mai 1999
Auf dünnem Eis
Christian von Ditfurth und Christoph Dieckmann ergründen die Ost-Identität
Die künftige Berliner Republik unterscheidet sich von ihrer Bonner Vorgängerin auch darin, daß in den Neuen Bundesländern die Parteienlandschaft anders aussieht: FDP und Bündnis 90/Die Grünen spielen nahezu keine Rolle, dagegen konnte die PDS bei den Bundestagswahlen '98 ihre starke Position sogar noch ausbauen.
Ist die PDS eine Partei, die der DDR-Vergangenheit hinterhertrauert? Oder könnte sie künftig die Rolle einer "linken Alternative" spielen? Um solche Fragen zu beantworten, hat von Ditfurth ausgedehnte Reisen durch den Osten Deutschlands unternommen, hat Mitgliederversammlungen und Ortsvereine der PDS besucht und so ein differenziertes Bild des Milieus erhalten.
Ihren besonderen Reiz erhalten die Recherchen dadurch, daß der Autor von 1973 bis '83 selbst der westdeutschen DKP angehörte, die damals bekanntlich von Ostberlin finanziert wurde. Da er später mit seiner politischen Heimat brach, bringt er ein gutes Gespür dafür mit, wie wohl die SED-Nachfolgerin PDS mit ihrer Vergangenheit zurechtkomme. Von Ditfurth fällt jedoch erfreulicherweise nicht mit der Furie eines Abtrünnigen über die PDS her. Seinen Beobachtungen nach zeichnet sich die SED-Nachfolgepartei durch eine ausgeprägte Kluft zwischen den Reformsozialisten an der Spitze der Partei und der großen Mehrheit der meist älteren Mitglieder aus. Diesen geht es nicht um Zukunftsstrategien, sondern um eine Rettung ihrer Vergangenheit. Von Ditfurth schließt daraus, die PDS sei eigentlich als ein Traditionsverband von "Heimatvertriebenen" zu verstehen. In erster Linie seien diese darum besorgt, daß das eigene Leben im Rückblick nicht vergebens gewesen sei.
Im Unterschied zum Westautor von Ditfurth haben die älteren PDS-Mitglieder nicht nur ihre politische Heimat zu verlieren, sondern all die Traditionen, in denen sie von klein auf groß geworden sind. Während es in der Generation des 1953 geborenen von Ditfurth beinahe zum guten Ton gehört, das Recht des politischen Irrtums in Anspruch zu nehmen, ist dies in der Tradition, in der die PDS steht, völlig unbekannt: man hat - wie ein "Parteisoldat" - auf der richtigen Seite zu stehen, auch wenn das - wie es dann passenderweise heißt - "Bauchschmerzen" bereitet; Kritik am eigenen Lager würde nur dem politischen Gegner in die Hände spielen. Es sind diese ideologischen Versatzstücke des Kalten Krieges, ja des Stalinismus, die von Ditfurth sehr differenziert herausarbeitet.
Man spürt förmlich, wie leid es dem Autor tut, die Partei, der er einen erheblichen Vertrauensvorschuß entgegenbringt, letztlich doch hart kritisieren zu müssen: Die Reformspitze der PDS um Bisky und Gysi habe die Partei nicht im Griff; aus diesem Grunde sei es allerdings auch absurd, die PDS als "kommunistische Kaderpartei" zu kritisieren. Die Partei zerfalle aufgrund ihres Pluralismus in verschiedene Strömungen und Flügel; die reformorientierte Parteispitze würde vielfach an der Basis außerhalb Berlins, weit draußen in Thüringen oder Mecklenburg, nicht ernst genommen. Der Autor hält das Projekt PDS jetzt schon für gescheitert. Zwar sieht er in den Konzepten der PDS-Modernisierer um Gysi und Bisky Chancen für eine Renaissance der Linken in Deutschland. Doch leider glaubten die Reformer, so von Ditfurth, "sie könnten die Mitglieder einer ostdeutschen Volkspartei mit unbewältigter SED-Vergangenheit nutzen, um moderne sozialistische Politik zu machen". In Wahrheit verhalte es sich genau umgekehrt: Die Partei benutze ihre Aushängeschilder. (...)
Conrad Lay, Frankfurter Rundschau, 20. Mai 1999
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Meike Wulf ddr-im-www.de
Dieses Buch ist unbequem. Aber eigentlich ist es besser, mit dem anzufangen, was dieses Buch nicht ist: Es ist nicht anschmiegsam; es ist nicht schnell zu lesen; es ist nicht leicht zu verdauen, es läßt sich nicht verbiegen. Es hat tausend Ecken und Kanten, es fordert viel vom Leser. Aber vor allem ist es ein Buch über die PDS - und in diesem Maße auch über die SED, die DDR (und was davon blieb) sowie die Bundesrepublik.
Es ist gründlich recherchiert, gut lesbar geschrieben und verlangt, daß man über die Thesen nachdenkt. Deswegen hat es mir gut gefallen, auch wenn es ganz sicher keine locker konsumierbare Kost ist. Nichts, um es mit in die Badewanne zu nehmen nach einem anstrengenden Tag - aber etwas, das unbedingt gelesen gehört, wenn man sich mit der DDR, ihrer Geschichte und den Folgen beschäftigt.
Christian von Ditfurth ist mit diesem Buch angeeckt, das verwundert nach der Lektüre kaum. Alle politischen Farben bekommen ihr Fett weg, und das heißt, daß hier nicht die PDS demontiert wird, sondern es wird vielmehr der Umgang der SPD, CDU, der Grünen und aller Intellektuellen mit diesem Phänomen durchleuchtet. Was vermutlich die Kritiker besonders erbost, ist die schlüssige Argumentation. Die alten Kader aus den Reihen der SED dürfte z.B. auf die Palme bringen, wie der Autor Anwandlungen in Richtung Ostalgie niederschmettert.
Wer bisher unter "PDS" vor allem Gysi, Wagenknecht oder Bisky verstanden hat, wird gründlich aufgeklärt. Die Basis der Partei wird analysiert, ihr Verhältnis zu Programm und personellen "Aushängeschildern", zu "Kommunistischer Plattform" (kurz KPF, dem "Hardliner"-Zusammenschluß), Ideologie, Stalinismus und eben zur realsozialistischen Vergangenheit. Besonders interessant: Auch, wie PDS (West) zu PDS (Ost) steht, kommt nicht zu kurz.
Worauf gründet sich der Erfolg der PDS, wird sie am Ende gar aussterben, weil die biologische Lösung durch Überalterung der Mitglieder eintritt?
Christian von Ditfurth war von 1989 bis 1997 unterwegs für sein Buch, auf Basis-, Gemeinde-, Stadt- und Landesebene der Partei, auf Versammlungen, bei Gesprächen war er dabei. Er hat Archivmaterial gesichtet und mit Zeitzeugen gesprochen. Wie heißt es im Klappentext so schön? "Eine abenteuerliche Reise durch Politik, Geschichte und Ideologie" der PDS. Es ist ein Buch über die PDS, aber es eröffnet viele der Gedanken und Argumente, die eine Rolle bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR und dem jetzigen Neufünfland spielen.
Wie auch immer man im einzelnen zu den Argumenten stehen mag, man kann sich an dem Buch reiben, scheuern und schubbern. Wer allerdings in der Schule beim Thema Marxismus/Leninismus gerade krank war, wird sich an mancher Stelle überfordert fühlen.
Meike Wulf bei DDR im WWW - ddr-im-www.de
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