Christian v. Ditfurth   cditfurth.de   

 Otto-Katalog 2005  

Über das Buch: "Faktor vier. Doppelter Wohlstand - halbierter Naturverbrauch. Der neue Bericht an den Club of Rome" 
von E. U. v. Weizsäcker, A.B. Lovins und L.H. Lovins, Droemer-Knaur, München 1995, 352 Seiten, 45 Mark

 

 

Sagen wir es gleich rund heraus: Der Titel ist eine Frechheit. Wer angesichts der Verheerungen unserer Lebensweise die Verdoppelung unseres Wohlstands als erstrebenswertes Ziel verkündet (oder verkünden läßt), hat kaum etwas von dem begriffen, was im letzten Vierteljahrhundert diskutiert wurde, seit Rachel Carsons »Stummem Frühling« und Konrad Lorenz' »Zehn Todsünden der Menschheit«. Über das Weltbild, das solchen Wirklichkeitsverlust begründet, sei später gerätselt.

Vorher muß auf einen weiteren bedenklichen Umstand hingewiesen werden: darauf nämlich, daß das Buch eine Mogelpackung ist. Weizsäcker, der uns hier als Hauptautor präsentiert wird, ist Verfasser eines Vorworts und einiger weniger und wenig zusammenhängender Kurzkapitel. Darin wird vor allem referiert, was andere schon längst und besser geschrieben haben, vor allem Donella und Dennis Meadows mit Jørgen Randers in ihren »Neuen Grenzen des Wachstums«. 

Die Substanz des Buches, der Menge wie dem Inhalt nach, stammt nicht von Weizsäcker, sondern von Amory B. Lovins, immerhin Träger des Alternativen Nobelpreises. Folgerichtig befaßt sich das Buch hauptsächlich mit US-amerikanischen Gegebenheiten, das Marketing des Verlags täuscht aber das Gegenteil vor.

 

Hübsch eingepackte Zettelkiste

Bei Herstellung und Vermarktung dieses Buches litt nicht nur die Seriosität, sondern auch die Gründlichkeit. Äußeres Indiz dafür ist der eng bedruckte Korrekturzettel, den der Verlag dem Rezensenten mitliefert - Begründung: »Durch Hektik bei den Autoren verursacht, hat die Schlußkorrektur gelitten.« Ob es auch diese eingestandene Hektik war, die das Buchprojekt in eine hübsch eingepackte Zettelkiste verwandelt hat, weiß ich nicht. Sicher ist nur, daß es sich um ein Sammelsurium von ökotechnischen Ideen handelt, von denen die meisten höchstens im Detail neu sind und die von nicht minder unsortierten allgemeineren Darstellungen eingerahmt werden. 

»Faktor vier« — so ein griffiger Titel »verkauft« —, das heißt in der Sicht der Autoren, daß wir unseren Wohlstand steigern können bei sinkendem Naturverbrauch und wachsenden Gewinnen. Fünfzig Beispiele sollen »beweisen«, daß es geht. Aber: Die Autoren machen einen weiten Bogen um die Industrieproduktion, die in gigantischem Maß Energie umwandelt von einem brauchbaren in einen unbrauchbaren Zustand. Die Autoren betrachten nur Produkte und Techniken, und diese fast nur hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit im kleineren Teil der Welt, den Industriestaaten. Und sie vergessen beim Öko-Bilanzieren, daß neue Produkte zuerst produziert werden müssen. Gewiß, es ist verdienstvoll, die Transportkosten bei der Herstellung von Erdbeerjoghurts zu senken. Und bekanntermaßen gibt es heute schon Häuser mit exzellenter Energieausbeute. Und natürlich sind besser isolierte Kühlschränke und wirksamere Klimaanlagen besser als die gebräuchlichen Stromfresser, vor allem in Florida und Kalifornien. Die Autoren, vor allem Lovins, kennen viele weitere Belege dafür, wie wir nach einer ökotechnischen Sanierung weiterleben können wie bisher.

 

Rase weiter so, Deutschland

 

An erster Stelle ihrer Beispielliste überraschen uns die Autoren mit dem derzeitigen Lieblingsthema der Umweltdiskussion hierzulande, dem Soundsoviel-Liter-Auto. Folgt man Amory B. Lovins, dann ist die Drei-Liter-Variante eine olle Kamelle, weniger als zwei Liter, das »Hyperauto« gar, seien heute schon möglich. Das wird einen niedersächsischen Ministerpräsidenten womöglich animieren, auch noch das Rechtsfahrgebot auf deutschen Autobahnen zur Disposition zu stellen, nach dem ihm drei Liter Diesel schon ein Tempolimit wert waren. Aber es ändert nichts an der ökologischen Verheerung durch den Autoverkehr. Schon heute gibt es bezahlbare Autos, die an der Vier-Liter-Marke nur knapp vorbeischrammen, aber kaum einer kauft sie. 

Und so entpuppt sich das ganze Theater um das »Öko-Auto« als die Kehrseite von Rase weiter so, Deutschland, am liebsten in der S-Klasse. Eine umweltverträgliche Verkehrspolitik würde das Schwergewicht darauf legen, den Individualverkehr zurück­zudrängen und den öffentlichen Verkehr massiv zu fördern. Das hat vor allem Winfried Wolf in seiner bahnbrechenden Studie über »Eisenbahn und Autowahn« mit schlagenden Argumenten gezeigt.  

Das Nischengefährt fürs gute Öko-Gewissen, gleich wieviel Liter es verbraucht, ändert nichts am Mobilitätsfetischismus unserer Zivilisation. Es läßt alles andere, wie es ist. Umweltschutz als Individuallösung gibt es aber nicht. Darin liegt, gewichtiger als alle Mogelei und Schlamperei, der geradezu prototypische erste Denkfehler des Buches. Alle vorgestellten Produkte und Techniken gelten heute und in absehbarer Zeit nur im Einzelfall (oder vor allem in Kalifornien). Nicht ein einziges Produkt, kein einziges Verfahren ändert etwas an den Ursachen der Öko-Katastrophe, in der wir längst leben, obwohl wir so tun, als drohte sie uns erst. 

Fünfzig Beispiele mit begrenzter Anwendungsmöglichkeit sollen den Eindruck vermitteln, wir brauchten unsere Lebensweise eigentlich gar nicht zu ändern. Wir müßten nur endlich in Lovins Techno-Katalog greifen, und alles wäre gut.

 

Nährwerte von Sparlampen

 

Da wird allen Ernstes eine Prognose referiert, so um 2005 herum würden Neuwagen nur noch von Hybridmotoren angetrieben. Diese Behauptung ist schon für den hochindustrialisierten Norden die Rechnung eines autonärrischen Milchmädchens. Im Anblick des größten Automarkts der Zukunft - China! - ist sie aber nur Beweis einer wahrhaft monströsen Ignoranz, eines Balkens im Auge, wie er dicker nicht sein könnte. Jede von unseren Autoherstellern lärmend gepriesene Spriteinsparung werden diesselben Autohersteller ein paar tausend Kilometer weiter in Makulatur verwandeln. Jede zehn Prozent weniger hier werden sie auf dem asiatischen Autoweltmarkt von morgen mehr als hundertprozentig wegproduzieren. 

Der größte Teil der Welt kommt so gut wie gar nicht vor im »Faktor vier«. Und wenn, dann wird er profitabel durch Energieeffizienz gerettet. Haiti, so versichern die Autoren etwa, könne sein verfügbares Einkommen um bis zu einem Fünftel steigern, wenn es denn nur Energieglühlampen einsetzte. Leider haben die Autoren vergessen, uns die Nährwerte von Sparlampen mitzuteilen und vorzuschlagen, wie die armen und die reichen Inselmenschen ihre Gesellschaft so ordnen, daß steigender Wohlstand nicht mehr nur Wohlstand für die Reichen ist.

 

Reichtum und Armut

 

Stünde statt des obszönen Titels über dem Buch »Otto-Katalog 2005«, dann wüßten wir, woran wir wären. Wenn neue Techniken Energie einsparen und die Umweltverschmutzung verringern, wer sollte dagegen wettern? 

Wer aber glaubt, mit neuen Techniken und durch Wohlstandsvermehrung die Welt retten zu können und dabei auch noch ordentlich zu verdienen, sitzt einem weiteren Denkfehler auf. Er besteht im arithmetischen Blick auf unsere Welt, in der ein Zuwenig durch ein Mehr ausgeglichen werden soll. Es gibt für die meisten Menschen ein Zuwenig an Wohlstand, und dieser Mangel muß, so sagt das arithmetische Weltbild, durch Steigerung ausgeglichen werden. 

Armut und Not wachsen auch bei uns, aber sie beherrschen, alles Vorstellbare übertreffend, vor allem die Dritte Welt. Dort leben fast achtzig Prozent der Menschheit. Eine knappe Milliarde hat nicht einmal genug zu essen. Zig Millionen verrecken elend, weil sie gar nichts zu essen haben. 

Gleichzeitig aber gibt es ein Zuviel an Wohlstand, gibt es absurden Reichtum und eine Lebensweise, die die globale Öko-Bilanz längst überzogen hat, wie Treibhauseffekt und Ozonlöcher sinnfällig dokumentieren. In der Geschichte des Nordens und des Südens hat die unaufhörliche Steigerung des Wohlstand nur das weltweite Elend wachsen lassen. 

Im »goldenen Jahrzehnt« der Industriestaaten, den achtziger Jahren, fiel ein Großteil der Welt wohl endgültig in den Orkus. Die Verteilungsmechanismen der Marktwirtschaft erzeugen Reichtum und Armut gleichermaßen, von letzterer aber immer viel mehr als von ersterem. Wer angesichts dieser nationalen und globalen wirtschaftlichen Strukturen die Verdoppelung des Wohlstands durch High-Tech für ein erstrebenswertes Ziel hält, verwechselt eigene Bedürfnisse mit denen der Menschheit.

 

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